Der Birch-Pfeiffer-Auerbach’sche Handel.#
Metadaten#
- Herausgeber
- Christine Haug
- Ute Schneider
- Fassung
- 1.0
- Letzte Bearbeitung
- 07.2020
Text#
458 Der Birch-Pfeiffer-Auerbach’sche Handel.#
* Dresden, 20 Jan. Ist denn kein Hitzig da? möchte man rufen, wenn man die Berliner Zeitungen so einseitig über diese Frage berichten sieht. Die Spree-Athener kommen mit verweinten Augen aus dem geliebten „Dorf und Stadt“, es ist ihnen so etwas neues gewesen dieß Schwäbeln, dieß Herzele und Bübele, dieß Ischt und ond und stond, dieß gehe, sage, trage, und da sind sie dankbar für die Mühe jener Frau, die laut den ersten Berichten der HH. Gubitz und Rötscher dieß „einfache Seelenleben“ vom „Lorle“ so gut wie selbst erfunden, und wieder einmal den Nagel auf den Kopf getroffen hat. Die öffentliche Meinung, eine Dame die bekanntlich erst seit kurzem in Berlin wohnhaft ist, soll daselbst allgemein für die „Bearbeiterin“ seyn, und nun gar der gute Auerbach auf der Leipziger Messe sich, um schwäbisch zu sprechen, verschwätzt hat, nun es sogar Zeugen gehört haben daß er daselbst unserm dramatischen weiblichen Atlas, der auf seinen Schultern das deutsche Repertoir trägt, gesagt hat: „Verarbeiten Sie mich!“ nun werden wir von Berlin aus nichts unbefangenes mehr über jene Frage vernehmen, und es ist wohl Zeit dazwischen zu treten und wenigstens die Principien zu retten.
Ist kein Hitzig da? fragten wir, und gedachten jener schönen Zeit als von Berlin aus so treffliche neue Deductionen für das geistige Eigenthum aufgestellt wurden. Jene Deductionen widersprachen auch dem römischen Corpus und dem preußischen Landrecht, sie kamen von England, von Frankreich herüber, ja um richtiger und populärer zu sprechen, von der leider noch entlegeneren Atlantis, gesunde Vernunft genannt. Wie edel und wahr hatten Hitzig und Schellwitz über das geistige Eigenthum gesprochen! Und fest stand es: wir nähern uns einer subtilen, feinen, tiefen Auffassung dieser Verhältnisse. Fest stand es: wir verwerfen alle nüchterne römische Einrede über Dinge welche die Römer nicht gekannt haben, und selbst von Pufendorf bis Cocceji, von Carmer bis zu unsern modernen ständischen Ausschüssen, Preßcommissionen genannt, noch nicht in ihrer wahren Wesenheit gewürdigt sind. Die Nachdrucksfrage ist in ihrer rohesten Gestalt allerdings erledigt: aber mitten in der Fortentwicklung dieses Thema’s sollten wir jetzt aufhören? in der Mitte abbrechen, was wir uns für die Gesetzgebung des Geistes zu erobern auf dem Wege waren?
Rufen wir uns doch zurück was in so leuchtender Helle vor uns stand: das Urrecht des Autors, das Urrecht der Gedankenform! Der Gedanke ist frei, der mag wogen und wallen durchs Land, mag die Aecker verheerend überfluthen oder segnend befruchten! Da lohne dem Erfinder eine Säule, ein Standbild, kein Gesetz, kein Wildbann, keine Schranke! Die Form aber des Gedankens, die künstlerische Erfindung, mein Ich, das ich in die Welt ausströme und aushauche, meine Schmerzen, meine Geburtswehen, meine glücklichen Heurekas! die sind in unserm Jahrhundert individuelle, heilige Rechte geworden, und die Organisation des neuern Schriftenthums verlangt daß der Staat diese Rechte schützt als Eigenthum, als Besitzthum. Staatsschutz aber bedingt eine äußere Form dieses Eigenthums, und dieß ist das pecuniäre Erträgniß, die Rentabilität der geistigen Arbeit. Wo diese beeinträchtigt ist, da seh’ ich noch keine neue Zeit, noch keine Aussöhnung und Freundschaft mit dem Jahrhundert. Wir sprechen mit einer Art Ehrfurcht von den Speculationen der Börse, die Eigenthumsfrage wird nach allen Seiten der nivellirenden Anarchie des Besitzes gegenüber mit Leidenschaft geltend gemacht, und über eine Frage wie z. B. die vorliegende kann man so leichtsinnig und so frivol schreiben, wie dieß in Berliner Blättern geschieht! Mit Begeisterung sollte man die Veranlassung ergreifen um weiter fortzubilden was auf diesem Felde bei uns noch so unfertig ist. Es gilt die Sicherstellung der geistigen Arbeit, und für diese sprechen wir, wenn wir auch nicht alles billigen was wiederum andrerseits von Auerbach geltend gemacht wurde.
Es war früher hergebracht daß man einen Roman in ein Drama verwandeln konnte, ohne dem Autor des Romans die Früchte des Drama’s mit zuzuwenden. In Frankreich ist dieser Brauch schon längst abgeschafft. Man hat dort gefühlt daß die Litteratur keine andere Anlehnung mehr hat als an sich selbst, und daß sie eine große noble Gemeinde ist, in der es ehrlich hergehen muß. Die Fürsten thun nichts mehr für die Litteratur, aber alles thut für die Litteratur das Publicum. Der Dichter schafft wie jeder andere Arbeiter, und von seinen Anstrengungen soll er die Früchte in weitester Ausdehnung genießen. Wer in Frankreich einen Roman auf die Bühne bringt, adoptirt bei noch so viel eigenen Zuthaten immer eine fremde Arbeit, macht sie lukrativ für sich, und die Gesetzgebung hat dort gesagt: Sie sey es auch für den ursprünglichen Autor! Dieser hat dort nicht Erklärungen zu geben nöthig oder gerichtliche Verbote einzulegen, es existirt ohne seine Mühe eine Controle, die von den Erträgnissen der theatralischen Aufführung ein gesetzliches Procent ohne weiteres dem ursprünglichen Autor zuweist.
Bei uns hat es Auerbach darin versehen daß er, aus leicht begreiflicher Scham, von der finanziellen Seite seines „Handels“ nicht sprechen mochte, und sich nur empfindlich zeigte daß man seine hübsche Novelle: „die Frau Professorin“, ohne sein Wissen und Wollen auf die Bühne brachte. Darin ist nun nichts zu ändern! Unter den Scheffel soll kein Licht gestellt werden! Was als Wasser da ist, kann in den Kessel kommen und als Dampf weiter wirken! Was Geist ist, das muß lehren und predigen, und sey’s von der Kanzel oder von der Bühne! 459 Madame Birch war im vollsten Recht daß sie diese Novelle in ein Stück verwandelte. Auerbach hätte freilich selbst gern das Schwarzwälder Dorfgenre auf die Bühne gebracht, aber da hätt’ er sich tummeln sollen. Heutiges Tages schießt jedes Saatkorn rasch empor, und wenn kein Hauch des Genius drüberwehen und es pflegen will, so kommt ein Miethling und behandelt es nach seiner Weise. Verdorben ist ihm nun einmal der Plan aus dieser Richtung her etwas für die Bühne zu thun, und es ist gut so daß es so kam; denn diese ganze Natur wird auf der Bühne, wo sie sich als bewußt gibt, recht herzlich unnatürlich, und nach vielem Schwäbischen wird man sich ohne Zweifel wieder sehr nach Hochdeutschem sehnen. Die Erklärung Auerbachs hätte also nur in aller Aufrichtigkeit folgende Sachen sagen sollen.
Erstens. Ist es nicht traurig daß die beiden Berliner Hauptzeitungen von jenem Stück, als es zum erstenmal gegeben wurde, sprachen wie von einer Schöpfung dieser Frau, die doch in der That wörtlich meine Novelle auf die Bühne gebracht hat! Jeder dieser Berichterstatter, und unter ihnen ein Rötscher, begann: „Wir kennen die Auerbach’sche Novelle nicht“, und fuhr dann fort zu Lob und Preis jenes glücklichen „Wurfes“ der Bearbeiterin zu sprechen. So werden die Interessen der Litteratur von der Litteratur selbst verwaltet.
Zweitens ist es unverantwortlich daß eine solche Scenirung meiner Novelle von Hrn. v. Küstner für tantièmenfähig erklärt werden konnte. Ausdrücklich erkennt das Tantièmengesetz nur Originalwerken die Auszeichnung zu von jeder Vorstellung einen Antheil der Einnahme zu haben; aber Hr. v. Küstner interpretirt diese Bestimmung zu Gunsten der Madame Birch so daß der Gegensatz eines Originalwerkes nur die Uebersetzung wäre. Dieß ist eine öffentliche Gesetzwidrigkeit, welche die Rüge des über Hrn. v. Küstner gesetzten Ministeriums verdient. Das Tantièmengesetz wurde zur Ermuthigung jener Dichter gegeben die in Madame Birch die Verfasserin der Marquise v. Villette, des Billets u. s. w. sehr zu schätzen wissen, mit ihr aber als Verfasserin von Mutter und Sohn, Thomas Thyrnau, Anna von Oesterreich, Stadt und Dorf nicht zu rangiren wünschen. Ein Originaldichter ist ohne Zweifel derjenige der sich entweder seinen Stoff selbst erfindet, oder ihn von der Geschichte und Anekdote so übernimmt daß er auf keine bereits vorhandene künstlerische Formirung derselben fortarbeitet. Die Staatscasse wollte den Dichter belohnen der das Repertoire der deutschen Nationalbühne aus seinen eigenen Combinationen zu bereichern versuchte, nicht den, der, nur für Darstellungsstoff sorgend, schon vorhandene Romane in den Rahmen eines Bühnenabends bringt.
Drittens ist die ästhetische Frivolität unverantwortlich, mit der man von Berlin aus die Quellenbenützung für Dramen zu beschönigen sucht. Ganz achtbare Gelehrte in Berlin, als kämen sie berauscht von einem kostbaren Mittagsmahl unter schönen Schauspielerinnen, den Colleginnen der Madame Birch, sprechen in Berliner Blättern über diesen Punkt Dinge die im höchsten Grade unwürdig sind und ihr weißes Haar verunehren. Man stellt Vergleiche sogar mit Shakspeare an, und sagt: dieser habe auch nach Novellen gearbeitet, und sey ohne Zweifel doch Originaldichter und in Berlin tantièmenfähig! Dieß ist geradezu eine ästhetische Blasphemie. Man kennt doch wahrlich jene Novellen nach denen Shakspeare arbeitete. Es sind Anekdoten die in Verlauf von fünf Minuten erzählt sind, und mit wenig Ausnahmen nirgendwo eine andere bereits dichterische Behandlung verrathen als die des erzählenden Volksmundes. Wenn die Berliner Kritik ihrer Würde bewußt war, so hätte sie Hrn. v. Küstner längst zur Rede stellen müssen, wie er es vor seiner Amtspflicht verantworten kann dramatisirte Novellen und Romane für Originalwerke zu erklären, und jener Verfasserin Belohnungen zuzuweisen die ihr nicht gebühren. Denn Originalwerk ist, um es noch einmal zu wiederholen, nur die Dichtung die nach einem rohen Stoff, nicht aber nach einem solchen bearbeitet ist an welchem schon eine andere Dichterhand schöpferisch gestaltend thätig war.
Viertens konnte Auerbach fortfahren: Wie ist dieß nur? Für jeden Abend bekommt Madame Birch von meinem Werk eine Einnahme? Jeden Abend soll der Originalautor zusehen daß seine Dichtung einem andern Vortheile bringt? Geld ist Chimäre, für mich, für dich, für Robert den Teufel, für Meyerbeer; aber der Staat, die Garantie unserer gesitteten Zustände, wird das Geld nie für eine Chimäre erklären, wird der schönen Unschuld und verschämten Zaghaftigkeit auch des Dichters entgegenkommen müssen und ihm sagen: jeder Arbeit ist in meinem Bankbuch ein Conto eröffnet; ich nehme für dich, und erstatte dir in der Stille was du öffentlich nicht nehmen, wenigstens nicht fordern willst! Die Tantième ist ein Fortschritt auf der Bahn unserer Geistesgesetzgebung. Wo man einmal bis zu ihr gediehen ist, da tritt auch der Fall ein daß der Originaldichter aufs empfindlichste gekränkt wird, wenn er sehen muß wie ein Pächter, ein Verwalter seines Geistes täglich mit seinem Eigenthum Vortheile erntet die er ganz allein für sich behält. Früher, als keine Tantième existirte, früher mochte das Honorar welches Madame Birch für ihre Benützung der Romane eines Storch, eines Döring und anderer von allen Bühnen Deutschlands empfing, ein Entgelt für ihre Mühewaltung der Dramatisirung scheinen; jetzt aber treten diese Summen so evident ans Tageslicht daß sie das Billigkeitsgefühl aufregen und uns mit Schmerz z. B. an jene Ungleichheit erinnern wie der Liedercomponist Schubert für dieselben göttlichen Lieder, für deren Transcription Liszt Hunderte von Louisd’oren empfing, kaum ebensoviel Zwanziger bekam! Hier ist der Punkt wo die Frage vom geistigen Eigenthum sich an die Gesetzgeber richtet, und wo die preußischen Juristen, wenn auch noch kein Gesetz zu entdecken ist nach dem allenfalls Auerbach Recht bekäme, darauf antragen sollten daß eines gegeben wird.
Es ist vorauszusehen daß Auerbach von den Gerichten abgewiesen wird. Auf einem Umwege sucht man dort, wie man hört, zu einer gerichtlich nur möglichen Procedur zu kommen: man spielt die Frage auf das Gebiet des Nachdrucks und will aus den gedruckten Büchern, welche die Bearbeiterin der Novelle an die Bühnen sandte, einen vielleicht unerlaubten Grad von Nachdruck eruiren; der Erfolg wird schwerlich ein günstiger seyn. Diese Wirkung aber sollte jene Frage haben daß wir bald in allen deutschen Gesetzgebungen folgende Bestimmung fänden: „Jedes im Druck vorhandene Dichtwerk kann für die Bühne benutzt werden. Der Verfasser dieser Benutzung hat sich jedoch vorher mit dem noch lebenden Autor oder dessen Erben abzufinden. Unterläßt er diese Abfindung, so fällt, auf gerichtliche Anzeige, die Hälfte der von jenem Stück erzielten Einnahme dem ursprünglichen Verfasser anheim.“ Hat jener Proceß diese Bestimmung zur Folge, so wollen wir Mad. Birch für die Bearbeitung der „Frau Professorin“ doppelten Dank wissen und uns eine Zeitlang die schwäbelnde Naivetät, auch eine vorübergehende Coketterie und Mode des Tages, auf der Bühne mit Freuden gefallen lassen.
Apparat#
Bearbeitung: Christine Haug, München; Ute Schneider, Mainz#
1. Textüberlieferung#
1.1. Handschriften#
1.1.1. Übersicht#
Es sind keine handschriftlichen Überlieferungsträger bekannt.
1.2. Drucke#
(Nachgedruckt in: Frankfurter Konversationsblatt. Nr. 34, 3. Februar 1848, S. 134-135; Nr. 35, 4. Februar 1848, S. 138-139.)
2. Textdarbietung#
2.1. Edierter Text#
J. Der Text folgt in Orthographie und Interpunktion unverändert dem Erstdruck. Textsperrungen werden übernommen. Silbentrennstriche (=) werden durch - wiedergegeben. Die Seitenzählung wird mit Klammern [ ] an den betreffenden Stellen in den Text eingefügt.
Die Liste der Texteingriffe nennt die von den Herausgebern berichtigten Druckfehler sowie die Emendationen. Fehlende oder überzählige Spatien im Erstdruck wurden stillschweigend korrigiert.
Die Seiten-/Zeilenangaben im Apparat beziehen sich auf die Druckausgabe des Beitrags im Band: Schriften zum Buchhandel und zur literarischen Praxis. Hg. von Christine Haug u. Ute Schneider. Münster: Oktober Verlag, 2013. (= Gutzkows Werke und Briefe. Abt. IV: Schriften zur Literatur und zum Theater, Bd. 7.)
Errata#
Zur Buchausgabe (GWB IV, Bd. 7) ist folgende Textkorrektur zu vermerken:
24,32 Hochdeutschen lies: Hochdeutschem
Kommentar#
Der wissenschaftliche Apparat wird hier zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht.