Literarischer Augiasstall#
Metadaten#
- Herausgeber
- Christine Haug
- Ute Schneider
- Fassung
- 1.0
- Letzte Bearbeitung
- 02.2001
Text#
733 Literarischer Augiasstall.#
No. 1.#
Der Schriftsetzer J. Mendelsson in Hamburg.#
Die Setzer des Telegraphen werden mir bezeugen, daß ich ein großer Verehrer der sogenannten "schwarzen Kunst" bin. Stundenlang kann ich vor dem Setzerkasten in meiner Druckerei stehen und den regen Fleiß eines gediegenen Satzkünstlers bewundern. Wie emsig sie die Hände rühren, die braven Verkörperer unserer Ideen! Wie treu und fleißig sie sich abmühen, unsere Irrthümer, unsere Grillen, unsere Leidenschaften in Etwas zu verwandeln, was wenigstens auf dem bedruckten Papiere eine Weile den Schein der Wirklichkeit und Wahrheit hat! Während wir selbst noch an unsern Gedanken zweifeln, der Setzer setzt sie in die Welt mit bleiernem Glauben. Ehre, dreifach Ehre den wackern Söhnen Gutenbergs! Ich mußte diese Verwahrung vorausschicken, weil ich einen Schriftsetzer zu beurtheilen habe, von dem ich ausnahmsweise sehr geringschätzig denke.
Seit einigen Jahren liest man in den deutschen Zeitschriften Gedichte und Aufsätze von dem Drechslermeister Hirtz in Straßburg, dem Bäckermeister Vorholz in Carlsruhe, dem Schriftsetzer Mendelsson in Braunschweig, Paris und Hamburg. Man merke wohl, ich werfe diesen Herren nicht ihren Stand, ihr Gewerbe, ihre Kunst vor, sondern citire sie so, wie sie ihre respectiven Leistungen selbst zu unterzeichnen pflegen. Diese Herren unterschrieben bisher jeden ihrer poetischen und raisonnirenden Versuche nicht nur mit ihrem vollen Namen, sondern auch mit ihrer vollständigen bürgerlichen Firma und wollten gleichsam der Welt sagen: Seht, ich drechsle nur hölzerne Teller, backe nur Semmeln und Rundstücke, setze nur Druckfehler und bin darum doch ein so großes Genie, daß ich über meinen Stand hinaus mir eine erträgliche Bildung und ein kümmerliches Reproduktions-Vermögen erworben habe! Alle diese Herren kokettiren gleichsam mit ihrem bürgerlichen Gewerbe. Drei Jahre hindurch lasen wir in den Zeitschriften keinen Artikel, z. B. von Mendelsson, der nicht unterschrieben gewesen wäre: J. Mendelsson, Schriftsetzer.
Meine Freunde werden sich verwundern, wie ich darauf komme, von dem Schriftsetzer Mendelsson zu sprechen. Alle haben sich von der vielschreibenden Geschäftigkeit, dem dreisten Urtheile und der lästigen Zudringlichkeit dieser Firma längst ennuyirt gefühlt, wie komm' ich darauf, endlich einmal diesen unberufenen Gast aus der Literatur hinauszuweisen? Zur Antwort bitt' ich meine Leser, auf die Überschrift dieses Artikels zu sehen. Es ist endlich einmal Zeit, in unserer Literatur aufzuräumen. Der Schmutz, die jämmerlichste Handwerkerei, die Arroganz der Stümper nimmt zu sehr überhand. Man muß in der That sich nicht mehr selber lieben, man muß auch endlich einmal anfangen, wieder dem Publikum zu dienen. Lieben Freunde in Apollo, wirklich, wir schonen uns zu sehr! Wir vergessen aus Rücksicht auf unsere Bequemlichkeit die Rücksicht, die wir der Nation schuldig sind. Die Nation darf verlangen, daß wir sie von dem Ungeziefer des Schriftwesens befreien, von arroganten Eindringlingen, vielschreibenden und wenigdenkenden Räsonnirern, von dem Hexensabbath des übermüthig gewordenen Dilettantenpöbels. Sind wir nicht Thoren, uns, die wir einander ebenbürtig sind, selbst zu befehden und den Bastarden das Feld zu räumen?
734 Ich spreche von dem Schriftsetzer Mendelsson, um einen Beweis zu geben, wie weit sich Eigendünkel und die oberflächlichste Routine schon erlauben darf, das Publikum zu behelligen. Vor drei Jahren gab ein Setzerlehrling aus der Vieweg'schen Buchdruckerei in Braunschweig einen von Herrn von Strombeck aus Mitleid und wohlwollender gütiger Schonung durchgesehenen und verbesserten Band: Blüthen, heraus. Wäre der junge Autodidakt schon damals bescheiden gewesen, so hätte er seine Sammlung Blätter genannt. Er gab sie für Blüthen! Er wagte es, auf die mattesten Gedichte, die fadesten Erzählungen, auf gestohlene Reime, gestohlene Bilder hin, sich in die Literatur einzudrängen, nach Paris zu reisen und mit der trivialsten Umständlichkeit von dort aus, immer mit seinem Schriftsetzerthum kokettirend, uns belehren zu wollen über das, was sich in der großen Welthauptstadt ereignete. Er excerpirte die Feuilletons der Pariser Journale, las sich in irgend einem Cabinet de Lecture übervoll und verdaute den aufgenommenen rohen Stoff in einer Anzahl deutscher Zeitschriften, die jedem Gebildeten durch das breite Gewäsch dieses neuen Mitarbeiters unausstehlich wurden. Immerhin! diese Calamität soll nur Schuld der Redaktoren seyn. Sie mögen es vor ihren Lesern verantworten, daß sie in einer Zeit, wo E. Kolloff, H. Heine und A. Weill so glänzend geschriebene und scharfe Beobachtungen aus Paris in die deutschen Blätter sandten, es für möglich hielten, daß ihre Leser sich mit dem Mendelsson'schen Spülicht befriedigen würden!
Doch bis hierher konnte die Existenz eines schriftstellernden Schriftsetzers Mendelsson dem Freunde höherer Literaturinteressen völlig gleichgültig seyn. Man brauchte die trivialen Knittelverse, die schaalen Räsonnements des Novizen nicht zu lesen, überschlug sie und dachte: Es kann in der Literatur nicht alles Etage seyn, es muß auch Dachstuben und Keller geben. Plötzlich aber hat das Ding eine andere Gestalt angenommen. Dieser J. Mendelsson, früher so kokett mit seinem Lehrbrief als Schriftsetzer, ist nicht mehr Dilettant, nicht mehr Versmacher zum Vergnügen seiner guten Bekannten, nicht mehr harmloser Autor aus dem verzeihlichen Kitzel, sich einmal auch selbst setzen und drucken zu können, sondern sein Eigendünkel ist so gewachsen, daß er nun sogar daran denkt, dem deutschen Publikum eine - neue Zeitschrift zu offeriren.
Eine neue Zeitschrift! Lieber Gott, warum soll der Schriftsetzer Mendelsson nicht auch eine neue Zeitschrift herausgeben? Er kann ein Journal begründen, in dem er Räthsel und Charaden aufgiebt, ein Blatt für die untern oder mittlern Volksklassen, einen Zuschauer, ein Sonntagsblatt, eine Wochenschrift. Warum nicht auch einen Theater-Courier, einen Theaterspiegel? Kurz etwas, was sich auf lokalem Gebiete bewegt. Aber nein! diese Sphäre ist für den selbstpromovirten Schriftsetzer viel zu niedrig. Man staune! Er eröffnet ein Panorama der Gegenwart, ein periodisches Rundschaugemälde seiner Zeitgenossen, ladet die geachtetsten Schriftsteller ein, sich ihm, dem Schriftsetzer, anzuschließen und wagt es, vom gestohlenen kritischen Dreifuß herab, über die bedeutendsten Erscheinungen in der Literatur, über Autoren, deren Manuscripte er früher hat setzen müssen, in hochtönenden Phrasen abzuurtheilen. Dies ist eine Anarchie der Presse, eine Saturnalie, die kein besserer Schriftsteller dulden darf.
Ich weiß, es giebt Leute, die das Motiv zu meiner Entrüstung über den Schriftsetzer Mendelsson in irgend einem egoistischen Interesse suchen werden. Mein heilig Wort, daß sich diese irren würden. Mich empört diese Anarchie unserer Presse. Mich empört diese Dreistigkeit der vermessensten Selbstüberhebung. Im preußischen Staate muß Jeder, der ein Journal herausgeben will, entweder den rite erworbenen Doctorgrad aufweisen, oder sich über eine diesem Grade entsprechende Bildung von einer wissenschaftlichen Commission prüfen lassen. Und hier wagt es ein Individuum, das noch vor wenigen Monaten in allen Zeitschriften mit seinem Prädikat: Schriftsetzer kokettirte, ein großes kritisches Tribunal zu eröffnen und dem gebildeten Publikum seine schulknabenhaften, schlecht stylisirten, unlogisch durchdachten kritischen Abstimmungen aufzudrängen! Das seichteste Feuilletongeschwätz, eine Bildung, zusammengesetzt aus dem Abhub der Journallektüre, geistlose Compilation und eine ekelhafte Nüchternheit des Styles wagt es, sich zum verantwortlichen Mittelpunkt einer Zeitschrift zu machen, deren Prospektus mit den für den Bildungsgrad eines Schriftsetzers anmaßendsten Versprechungen überladen ist? Nimmermehr! Die gesunde Natur des Publikums wird sich von diesem Unternehmen zurückgestoßen fühlen. Die Schriftsteller von Geschmack und Renommée, die durch irgend welche eitle Versprechungen von dem ihnen unbekannten dreisten jungen Herrn sich haben zu einer zögernden Zusage verstehen lassen, werden eilen, ihre Namen von einem solchen Journale loszutrennen. Ich fordere jeden deutschen Autor, der in dem Prospekt des Schriftsetzers genannt ist, auf, ihm die Mitarbeiterschaft an einem Blatte aufzukündigen, in welchem ein trivialer Kopf, ein unwissenschaftlicher Neuling, 735 ein Schriftsetzer sich anmaßt, Kritiken zu schreiben über die Literatur der Gegenwart! Jeder geachtete Autor kann sich durch die Theilnahme an einer solchen Erwerbspekulation nur entwürdigen. Wir haben im Telegraphen nacheinander empfohlen die neuentstehenden Blätter von Dingelstedt, von Jung, von Kuranda, von Creizenach, von Prof. Biedermann; aber von dem mit kritischer Anmaßung auftretenden journalistischen Unternehmen eines Schriftsetzers ford'r' ich denn doch alle Dichter und Publizisten Deutschlands auf, zur Wahrung der Ehre und Würde unserer Literatur ihre geachteten Namen zurückzuziehen!
Apparat#
Bearbeitung: Christine Haug, München; Ute Schneider, Mainz#
1. Textüberlieferung#
1.1. Handschriften#
Es sind keine handschriftlichen Überlieferungsträger bekannt.
1.2. Drucke#
2. Textdarbietung#
2.1. Edierter Text#
J. Der Text folgt in Orthographie und Interpunktion unverändert der Vorlage. Textsperrungen werden übernommen. Silbentrennstriche (=) werden durch - wiedergegeben. Die Seitenzählung wird mit Klammern [ ] an den betreffenden Stellen in den Text eingefügt.
Die Liste der Texteinriffe nennt die von dem Herausgeber berichtigten Druckfehler sowie die Emendationen. Fehlende oder überzählige Spatien im Erstdruck wurden stillschweigend korrigiert.
3. Quellen, Folien, Anspielungshorizonte#
3.1. Quellen#
1. Georg Daniel Hirtz: Gedichte. Mit einem Vorworte von Eduard Reuß. Straßburg: Dannbach, 1838.
2. Eduard Kolloff (→ Lexikon): Schilderungen aus Paris. Hamburg: Hoffmann und Campe, 1839.
3. Joseph Mendelssohn: Blüthen, Gedichte und Novellen eines Schriftsetzers. Braunschweig: Vieweg/Selbstverlag, 1839.
4. Joseph Mendelssohn: Pariser Briefe. 3 Bde, Leipzig: J. J. Weber, 1841.
5. Christoph Vorholz: Lyraklänge, ernste und heitere aus dem Leben eines Handwerksmannes. Karlsruhe: Vorholz, 1840.
5. Rezeption#
5.1. Dokumente zur Rezeptionsgeschichte#
1. [Adolf] R[u]t[enber]g: Dr. Karl Gutzkow ist kürzlich als moralischer Herkules [...]. In: Athenäum. Berlin. Nr 47, 27. November 1841, S. 750. (Rasch 9/2.41.11.27.1)
2. [Anon.; Theodor Fontane?:] Herkules - Gutzkow. [Gedicht.] In: Die Eisenbahn. Leipzig. Nr 64, 27. November 1841, S. 253-254. (Rasch 9/2.41.11.27.2)
3. [Anon.:] Gutzkows Bannstrahl. In: Die Eisenbahn. Leipzig. Nr 64, 27. November 1841, S. 255-256. (Rasch 9/2.41.11.27.3)
Nachgedruckt in: Frankfurter Konversationsblatt. Frankfurt/M. Nr 324, 4. Dezember 1841, S. 1335. Ferner in: Der Humorist. Wien. Nr 246, 10. Dezember 1841, S. 1008.
4. W. L.: Aus Hamburg. In: Zeitung für die elegante Welt. Leipzig. Nr 233, 27. November 1841, S. 931-932. (Rasch 9/2.41.11.27.4)
5. [Anon.:] Man liest in den Rosen [...] [Gutzkow, Saphir, Mendelssohn.]. In: Frankfurter Konversationsblatt. Nr 338, 8. Dezember 1841, S. 1372. (Rasch 9/2.41.12.08)
6. Der "Schriftsetzer" Joseph Mendelssohn: Aufrichtige Danksagung an Herrn Dr. Karl Gutzkow in Hamburg gerichtet. In: Panorama der Gegenwart. Hamburg. Nr 4, 8. Januar 1842, Sp. 25-31. (Rasch 9/2.42.01.08)
Kommentierung#
Der wissenschaftliche Apparat wird hier zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht.