Eine Quarantäne im Irrenhause, von F. G. Kühne#

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Herausgeber
  1. Wolfgang Rasch
Fassung
1.1
Letzte Bearbeitung
14.12.2019
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765 Eine Quarantäne im Irrenhause, von F. G. Kühne.#

Welch ein sonderbarer Zugwind weht von Berlin herüber? Die zerrissene Philosophie der Rahel, Bettinen’s poetische Unmittelbarkeit, der Stieglitz tragisches Ende, Mundt’s mänadenhaftes Renegatenthum, Alexis’ düstre Verwirrung in seinem jüngsten Buche, und nun dies neue wehmüthige Chaos, in welches uns Kühne blicken läßt - wie charakteristisch ist dies Alles für ein Terrain, auf welchem man sich so fest glaubte, wo man vorn und hinten sich in seiner geträumten Vollendung anschauen ließ und alles Auswärtige mit so viel vornehmer Verachtung von sich wies! Also genügte Göthe und Hegel, genügte die Sonntag und Blücher doch nicht? Der Pietismus, der Beamtengeist, die Militärherrschaft, die Liedertafeln, die Humanitätsgesellschaften, die Schachklubbs, die Kunstausstellung, - waren diese Grundsäulen des Berliner Lebens doch zu schwach, um das große Gebäude der Zeit mit seinen unsichtbaren Granitideen zu tragen? Dies ist eine Thatsache, welche zu den auffallendsten Erscheinungen in unserm jüngsten öffentlichen Leben gehört.

Mundt und Kühne sind bis jetzt die ausgewachsensten Blumen, welche aus der allmähligen Verwesung des Berliner Lebens hervorkeimen. Es sind Todtenblumen, beide, sie haben keinen erquickenden Duft und sind in ihren Blüthensternen mit ängstlicher Symmetrie abgemessen. Mundt und Kühne werden sich dagegen stemmen, daß sie an die Zukunft noch größere Conzessionen machen, daß sie immer noch mehr von ihren Antezedentien abschütteln sollen; aber sie werden es. Diese Unentschiedenheit, welche sie verrathen, kann niemals Prinzip werden. Ist der Gott, der sie bis jetzt treibt, nicht weit eher der Dämon des bösen Gewissens, als Phöbus Apollo? Sie werden aber die Ohnmacht jener Rachegeister, die sie verfolgen, bald erkennen, und an jenem blumigen Ziele, welchem sie zuzusteuern scheinen, das qualmige Elend, welches hinter ihnen liegt, bemitleiden lernen.

Die soeben unter obigem Titel erschienene Novelle von Kühne entwickelt sich in einem Narrenhause. Fast Alles, was in der Erfindung die Bewegungsangel dieser Erzählung ist, läßt den schlummernden Poeten errathen, aber den wachen noch nicht; denn ich wüßte nichts, was in dieser Novelle, besonders neu, schön und originell erfunden wäre. Die Novelle ist als solche voller Fehler gegen Poesie und Leben. Z. B. ist die interessanteste Figur des Buches, die polnische Sängerin, ein Unding in dem Sinne, wie man von hölzernem Eisen spricht. Eine Polin kann im guten Romane 766 nie eine Sängerin sein, weil sie als Polin poetischen Nimbus schon genug hat und den als Sängerin nicht mehr haben darf, ohne daß sich beide Faktoren hier aufheben. Diese doppelte Folie hebt die Wirkung auf und läßt kalt. Eine Polin, die die ganze neue Revolution in ihrem Gefolge hat, die mit Peter Wisozki verwandt ist, darf nach jenen angebornen Dichterregeln, die in keinem Compendium stehen, sondern die man in den Nerven der Fingerspitzen haben muß, keine Opernsängerin sein und uns zugleich für Don Juan enthusiasmiren wollen. Auch am Schlusse ist Victorinens Freidenkerei ganz unnatürlich. Im Vorhergehenden ist nichts dagewesen, was uns hätte veranlassen können, von Victorinens Philosophie eine besondre Meinung zu haben. Nach einer im Handeln so energischen Erschöpfung mußte ferner eine Nachgiebigkeit eintreten, welche wahrlich nicht freidenkerischer Natur ist. Ja zuletzt als Polin mußte Victorine beichten! In solchen kleinen und großen Zügen (groß, weil sie den Rahmen des Buches bilden) mangelt es hie und da beim Verfasser, und läßt bei weitem nicht auf jene poetische Kraft schließen, welche seinem Freunde Mundt zu Gebote steht. Nur die Hauslehrersituation ist hübsch; wahrscheinlich, weil sie der Verfasser selbst erlebt hat.

Unendlich höher steht der spekulative Werth dieser Dichtung, obschon Thatsachen und Resultate euch nirgends geboten werden. Nicht einmal an objektiven, formell und als Sentenz sich abrundenden Gedanken ist diese Dialektik reich. Nichts als Kieselsteine, wie sie in ausgetrockneten Flußbeeten liegen, und zwar weiße, bleiche, knochenähnliche. Wo einmal ein Quaderstein liegt, weiß es der Verfasser auch sogleich. Er setzt sich dann mit der größten Selbstgenügsamkeit darauf, und leuchtet mit der Laterne des Stolzes allen Leuten in’s Gesicht, damit sie ihn auf diesem einen Gedanken thronen sehen. Das ist kleinlich und läßt den Anfänger herausgucken. Der Verfasser knöpft dann seinen Rock auf, prustet, und macht es sich in seiner Person bequem und bedient sich dann gewisser fataler Redensarten: z. B. Man kann hierüber sagen - Ich hatte einmal den Plan - Schon früher hab’ ich einmal in einer Rezension - Ich verglich diesen Mann einstmals mit - und dann kömmt etwas, was gewöhnlich recht hübsch ist, vom Verfasser selbst aber dafür nicht ausgegeben werden sollte.

Dagegen gelingt Kühnen alles, was kritisch und literarhistorisch ist; und da er überhaupt Jemand ist, der nicht drei Schritte gehen kann, ohne daß ihm ein Buch zwischen die Beine kömmt, so finden sich der kritischen Schönheiten viele. Wie trefflich sind des Verfassers Urtheile über Göthe, Shelley, Hegel, namentlich über letzteren, dem Kühne mit einem Enthusiasmus ergeben ist, daß er alles, was ihn betrifft, apotheosirt! Überhaupt ist sein Buch das letzte Zucken eines Hegelianers, der wahrscheinlich die Hegel’sche Lehre aufgegeben hat, zugleich aber so unglücklich ist, noch immer mit Hegel’schen Kategorien denken zu müssen. Kühne’s Schmerz ist, Hegel aufgegeben zu haben, und doch nicht ohne die Encyclopädie sein und leben zu können. Das Erste gesteht der Verfasser ein; aber das Letzte wird er bestreiten. Er wird uns groß darauf ansehen; doch ist ihm so. Die wahrhaft anziehende, rührende Empfindung, welche in diesem Romane herrscht, scheint uns keinen andern Grund zu haben. Es ist die Resignation auf eine Geliebte, welche man nicht ehelicht, der man aber ewig treu zu bleiben gelobt.

Ich habe in Betreff Hegel’s fast alles verlebt, wie Kühne. Über so viel Berlinische Züge bin ich bei der Lektüre seines Buches oft zu wehmüthigem Lächeln gestimmt worden. Nun weiß ich aber nicht, ob es Kühne für erlösend hält, sich auch von der Schule frei zu machen, und dafür dem Leben und der Geschichte hinzugeben. Das Leben und die Geschichte haben eben so viel Klippen, wie das System. Es sind dieselben Räthsel, welche hier wie dort wiederkehren. Aber die freie Luft bekömmt der Lunge besser, die Augen blicken freudiger und es sind Massen, welche man durch den Gebrauch seines Talentes erquicken kann. Es ist mir, als säh’ ich Kühne auf diesem Abschiede des Lebens von der Schule. Seine Apotheose Hegel’s ist eine Übertreibung, die mir nicht kritischen, sondern psychologischen Ursprungs scheint. Er glaubt, den ganzen Himmel aufgeben zu müssen, alle seine Träume und Ahnungen faßt er im Namen Hegel zusammen, Gott, Freiheit, Unsterblichkeit, Tugend, Alles sieht er rückwärts gewandt und auf ewig verloren - natürlich, dies ist nichts Absolutes, sondern nur eine augenblickliche Stimmung. Überall ist der Himmel, überall ist die Ahnung der Unsterblichkeit. Unter jene säuselnde Linde setze dich, und blicke hinüber in das grünende Thal, den schwellenden Saatfeldern wende dein Auge zu, oder des Nachts zu dem bestirnten Teppich des Himmels, und deine Seele wird mit Adlerflügeln rauschen, dein Geist wird Worte der Erhabenheit und Schönheit sprechen! Nur von einem solchen Standpunkte kann man seine Nation erleuchten und das Leben wecken, welches die Systeme der Schule eingesargt haben.

Die Manier, mit welcher Kühne an Hegel geglaubt hat und wie er sie in seinem Buche beschreibt, ist jedenfalls nur durch die Jugend zu entschuldigen. Die Jugend verwechselte hier ein System mit der Philosophie selbst, Hegel mit Pallas Athene. Auch ist es unwahr, daß Kühne behauptet, im Hegel’schen Cursus hätten die Dinge der Welt hin- und hergeschwankt, Alles wäre beanstandet worden, Staat, Kirche, Wissenschaft hätten die alten Sitze verwechselt und ein wirrer Taumel hätte sich der jugendlichen Auffassung bemächtigt. Kühne urgirt das Aufhebende in Hegel’s Philosophie und würde besser gethan haben, wenn er von dem Zu Grunde gehen gesprochen 767 hätte. Das Zugrundegehen mit allem etymologischen Witze, den die Herren daran verschwendeten, war der rechte Hegel’sche Terminus; aber im zu Grunde gehen lag eben nichts, als das Fixiren, das Anketten der Dinge an ihr Fundament, ja leider! das Anketten der Dinge an ihr Vorurtheil, an die positive Wirklichkeit. Indem Hegel zeigen wollte, daß die Wahrheit weder vor noch hinter den Dingen läge, sondern in ihnen, indem er in seiner Art nachwies, daß nichts daran wahr sei, als der Begriff; fixirte er die Dinge und veranlaßte eine Philosophie, die an dem Bestehenden so viel wissenschaftlich serviles und besoldetes Genüge hatte.

Bis jetzt ist Kühne noch immer im Bereich der Schule. Er malträtirt das Leben in seinem Buche, und eine Kritik, wie die unsre, muß ihm deßhalb in den Weg treten. Das Frankfurter Attentat steht wie ein schwarzbehangener Sarkophag in der Halle unsrer neuesten Geschichte und hier kömmt ein Schüler, der sein Collegienheft noch unter’m Arm trägt, und spricht von Frankfurter Trivialitäten! Den Ausbruch der von Kühne so sehr gebilligten und zu seiner prekären Poesie benutzten polnischen Revolution nennt er ein dummes Fähnrichskomplott! Diese Bezeichnungen sind ganz elend. Nur darum handelt es sich, gleichviel, ob man die Ereignisse billigt oder verabscheut, sie in der Geschichte zu placiren mit ihren Ursachen und Veranlassungen, nicht mit abgeschmackten Ausdrücken zu bezeichnen. Hier hört Herrn Kühne’s Gemeinschaft mit unsrer Tendenz auf. Ihr schwatzt von Bewegung und macht das Mundt’sche Trarara! zu Euerm Motto, Ihr lamentirt über das Jahrhundert und die neue, große, revolutionäre Zeit, und wo Ihr auf Wirklichkeiten stoßt, da brüstet Ihr Euch vornehm und wißt über unglückliche Menschen sehr altkluge Urtheile zu geben. Geht weg, ihr seid Kinder!

Apparat#

Bearbeitung: Wolfgang Rasch, Berlin#

1. Textüberlieferung#

1.1. Handschriften#
1.1.1. Übersicht#

Es sind keine handschriftlichen Überlieferungsträger bekannt.

1.2. Drucke#

Gutzkows Rezension von Kühnes "Eine Quarantäne im Irrenhause" wurde zuerst 1835 im "Phönix" veröffentlicht, genauer gesagt im "Feuilleton zum Phönix", das unter redaktioneller Verantwortung Gutzkows im Hauptblatt der Zeitschrift anstelle der ausgefallenen Nr. 32 des "Literatur-Blatts" erschien. Die Rezension verwendete Gutzkow ein Jahr später in seinen Beiträgen zur Geschichte der neuesten Literatur, wo er den Text ohne Überschrift, gekürzt und überarbeitet in den Abschnitt Roman einfügte.

J [Anon.:] Eine Quarantäne im Irrenhause, von F. G. Kühne. In: Phönix. Frankfurt/M. Nr. 192, 15. August 1835, S. 765-767. (Rasch 3.35.08.15)
E Roman. In: Karl Gutzkow: Beiträge zur Geschichte der neuesten Literatur. Stuttgart: Balz, 1836. Bd. 1, S. 353-359. (Rasch 2.13.1.7)

2. Textdarbietung#

2.1. Edierter Text#

J. Der Text folgt in Orthographie und Interpunktion unverändert dem Erstdruck. Textsperrungen werden übernommen. Silbentrennstriche (=) werden durch - wiedergegeben. Die Seitenzählung wird mit Klammern [ ] an den betreffenden Stellen in den Text eingefügt.

Kommentar#

Der wissenschaftliche Apparat wird hier zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht.