Zur deutschen Rechtschreibung#
Metadaten#
- Herausgeber
- Kurt Jauslin
- Fassung
- 1.1
- Letzte Bearbeitung
- 24.03.2020
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Text#
5391 Zur deutschen Rechtschreibung.#
* Heidelberg, 8 Dec. Man meldet aus Berlin daß daselbst am 4 Januar eine aus vier Mitgliedern bestehende Commission zusammentreten soll, die sich mit Prüfung der inzwischen von Rudolf v. Raumer in Erlangen schon eingelaufenen Vorlagen über die Feststellung einer wenigstens für die Schulen verbindlichen deutschen Orthographie zu beschäftigen haben wird. Allen Freunden deutscher Sprachforschung wird es angenehm sein zu hören daß sich auch der wackere Mecklenburger Daniel Sanders unter diesen vier Männern befindet. Wir verdanken diesem wohlberufenen deutschen Gelehrten nicht nur ein Riesenwerk deutschen Fleißes, das aus drei Quartbänden bestehende „Deutsche Wörterbuch“ (Leipzig, O. Wigand), sondern auch eine reiche Zahl von Anregungen und Vorarbeiten für noch künftige lexiko- und orthographische Zwecke. Den Freunden des von ihm aufgestellten Schreibprincips wird bereits ohne eine Commission und ohne Vorlage das so eben (Leipzig, bei Brockhaus) erschienene und allgemein günstig beurtheilte „Orthographische Wörterbuch“ genuggethan haben. Man findet darin sämmtliche in der deutschen Schriftsprache übliche Wörter in der ihnen gebührenden Schreibweise wieder. Bei Fremdwörtern und oft in den Zeitungen vorkommenden geographischen Namen ist sogar der Accent angegeben. Das Sanders’sche Princip ist bekanntlich nicht das streng puristische, das uns Erscheinungen so mancher Druck-Abnormität seit den Zeiten der Brüder Grimm und schon vor diesen bei Wolke und andern sprachlichen Neuerern gebracht hat. Glauben wirklich die Vertreter der historischen Schule daß wir uns in der Gesammtheit dem Brauche fügen würden die Sätze und Hauptwörter mit kleinen Anfangsbuchstaben zu beginnen? Liegt nicht vielmehr der Stempel des Gesuchten und Affectirten auf allen Büchern die mit einer aparten Schreibweise auftreten, und vorzugsweise mit Weglassung des dehnenden H gedruckt sind? König Ludwig I von Bayern, der „Teutsche“, war der Mann solche Unternehmungen zu pflegen. Sein Schützling Platen brachte in einem Theil der schönen Literatur die ihm wahrscheinlich schon von Erlangen zugekommene Mode auf, den Druckereien Buchstaben zu ersparen. „Tot“ ließ er statt todt und „Mut“ statt Muth drucken. Herwegh, als Verfasser der „Gedichte eines Lebendigen,“ redete den „Verstorbenen“ (Fürst Pückler) mit den Worten an: „Jetzt, toter Ritter, lege deine Lanze ein!“ Die Rose war nur noch „rot.“ Unter den Goldschnittslyrikern schien es ausgemacht: keine Unsterblichkeit mehr ohne „Mut“ und „tot“ und „rot!“ Correspondent schrieb damals:
Macht noch keine Herweghe! Neuerdings ist der mit seltsamem Versteckspiel in Curs gesetzte „Neue Tannhäuser“ des Hrn. Consuls Grisebach auch mit solchem Letternspuk gedruckt. Doch scheint es als wenn die Besonnenheit bedeutender Druckereien, von denen einige, wie Cotta, Brockhaus, Breit-5392kopf und Härtel, Teubner u. a., wissenschaftlich festgestellte „Hausorthographien“ führen, uns immer wieder auf den Weg des guten Geschmacks und der gesunden Vernunft zurückführen wird. Denn die Tradition hat hier ihre heiligen Rechte. Wenn sie die Engländer nicht bestimmen kann die horrible Erscheinung einer durchweg anders gesprochenen als geschriebenen Sprache aufzugeben, was bemängeln wir, die wir so glücklich sind in der Hauptsache zu schreiben wie wir sprechen, unsere alten Gewohnheiten, und beunruhigen uns das Allergegenwärtigste, Wort und Schrift, deren wir immerfort und oft wie unbewußt bedürftig sind? Es ist mit dieser Sucht nach „Sprachreinheit“ und Rechtschreibung als sollten wir erst noch laufen lernen. Der Reichspostminister Stephan scheint mir mit seinen Neuerungen kein besonderes Glück gehabt zu haben. Wenigstens entspricht sein protziges „Einschreiben!“ statt „Recomandirt“ vollkommen jener Gemüthsbeschaffenheit unserer Tage, auf deren Grund im Reichstage die Motivirung der Strafnovelle erfolgt ist. An solchen anschnauzenden Infinitiven ist diese als „brutal,“ Gott sei Dank, jetzt officiell von der Rednerbühne anerkannte Zeit so reich, daß sich die Regierung die Gelegenheit das Volk zu erziehen selbst am Postschalter nicht hätte sollen entgehen lassen. Uebrigens ist Hr. Stephan schon mit Daniel Sanders über Rechtschreibung in öffentliche Discussion getreten. Vielleicht gehört er mit zu den vier Prüfern der Raumer’schen Vorschläge. Möge er da dem im Schriftwesen wie im Volksleben gleich heimischen Strelitzer Schulmann zum Siege des Geistes verhelfen in welchem das „Orthographische Wörterbuch“ abgefaßt ist. Dieser Geist heißt: Bewahre vom Alten was sich irgend vertheidigen läßt und woran unser Auge und Ohr zu sehr gewöhnt sind! Laß dich durch zu viel historisches Wissen über den Entwicklungsgang der deutschen Sprache nicht aufblähen! Denn wir wissen ja vollkommen: Es gibt Sprachregeln die schon bei Ulfilas angelegt waren, aber damals, als Wieland, Lessing, Goethe und Adelung unsere neue Redeweise bildeten, längst vergessen waren! Möglich daß man bei der Descendenzgeschichte mancher Wörter ebenfalls sagen könnte: Hier muß statt Mensch Affe stehen! Aber überlaßt das alles den Noten und Anhängen zu Grimms Grammatik oder den Artikeln des Grimm’schen Wörterbuches! Die Lautlehre ist vollends ein Labyrinth, aus dem man sich nicht wieder herausfindet, zumal wenn man erst von Nord- und Süddeutschland, von den Dialekten zu reden anfängt. Fragt Anton Birlinger über die Augsburger Sprache, ob alle Zeichen die von Typengießern schon für ihn hergestellt worden sind - Zeichen die sich nicht im üblichen deutschen Letternkasten finden - hinreichen, um die eigenthümlichen Schnalzer, Gurgler, Schleifer, diese am Lech und an der Wertach üblichen halb nasalen, halb gutturalen OA’s und AO’s zu bezeichnen! Auf so kraus mit neuen phonetischen Hieroglyphen gedruckte Bücher kommen wir noch hinaus, wenn wir dem historischen Kern und nicht Sanders folgen. Was zuletzt neulich Rümelin in der „Nationalzeitung“ bei einer übrigens empfehlenden Anzeige des Sanders’schen „Orthographischen Wörterbuches“ an der Vorrede desselben rügte, daß diese einen phantastischen Traum enthalte, so scheint mir die übertreibende Schilderung des erweiterten Feldes der Identität zwischen Laut und Schrift (einer Art Pasilalie als Pendant zur Pasigraphie) von Seiten des Verfassers satirisch gemeint zu sein. Er wollte, glaube ich, eine Caricatur des Systems zeigen das er bekämpft.
Apparat#
Bearbeitung: Kurt Jauslin, Altdorf#
1. Textüberlieferung#
1.1. Handschriften#
1.1.1. Übersicht#
Es sind keine handschriftlichen Überlieferungsträger bekannt.
1.2. Drucke#
2. Textdarbietung#
2.1. Edierter Text#
J. Der Text folgt in Orthographie und Interpunktion unverändert dem Erstdruck. Textsperrungen werden übernommen. Silbentrennstriche (=) werden durch - wiedergegeben. Die Seitenzählung wird mit Klammern [ ] an den betreffenden Stellen in den Text eingefügt.
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Kommentar#
Der wissenschaftliche Apparat wird hier zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht.