Der Berliner Journalist#

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Herausgeber
  1. Wolfgang Rasch
Fassung
1.1: Stellenkommentar hinzugefuegt
Letzte Bearbeitung
23.11.2021
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Text#

1041 Der Berliner Journalist.#

Man weiß, wie die Redaktoren des Pariser Corsaire essen, trinken, schlafen, wie sie sich kleiden, wie viel Schulden sie haben, wer sie liebt und wer ihre Minus bezahlen kann. Man weiß in Paris, um welche Stunde Armand Carrel, der Redakteur des National, aufsteht, bis wie lange er die Morgenzeitungen excerpirt, daß ihm seine Frau mit der Scheere beisteht und die von ihm mit Röthel angestrichenen Artikel herausschneidet; kurz, die kleinsten Details in dem Leben dieser öffentlichen Charaktere sind beobachtet und verrathen worden. Hören Sie, wie der Hauptredakteur eines Berliner Blattes seinen Tag verlebt.

In der Frühe findet man ihn am Arbeitstisch, damit beschäftigt, alle gestrigen Einfälle leserlich aufs Papier zu bringen, oder fremde Aufsätze zu durchlaufen, oder die mannichfaltig vor ihm aufgethürmten Zeitungsblätter zu excerpiren. Die Manuscripte werden gegen Mittag mit Sorgfalt berechnet, ob sie die Spalten des nächsten Blattes auch füllen werden, ob es nöthig ist, sie mit Lückenbüßern zu unterstützen, oder ob wohl gar noch Reste für die spätere Lieferung übrig bleiben. Verlegenheit tritt hier nie ein; denn zahllos sind bei uns die schriftstellerischen Versuche junger Leute, mit welchen die Zeitungsredaktoren bestürmt werden. Alles will sich gedruckt sehen, und unsere Blätter sind gar nicht streng gegen diese Anfänger. Bald nach eilf Uhr wird es lebhafter bei unserm Mann. Schauspieler, welche auf seine Empfehlung rechnen, lassen sich anmelden, Equilibristen, Taschenspieler wagen, ihn um drei Zeilen Lob zu bitten, Mode- und Galanteriehändler suchen ihm einige gedruckte Worte abzugewinnen, wenn es sich um einen neuen Schmuck, den sie in Kommission haben, oder um einen Apparat, den sie selbst erfunden, handelt. Diese Besuche sind die lästigsten; denn wie wenige Menschen verstehen, bescheiden zu bitten! Vielleicht sind die, welche auf ihre Verdienste pochen, selten; aber allzuhäufig sind jene Zudringlichen, welche bei ihren Bitten in der Tasche klappern, die nach den Gegenständen des Zimmers greifen, und ehe sie ihr Gesuch geendet haben, schon versprechen, hier eine Reparatur, dort ein ganz neues, schöneres Exemplar zu liefern, jene Zudringlichen, welche immer gleich Alles erstatten wollen, und deren erstes und leztes Wort darauf hinauskömmt, daß sie nichts umsonst verlangen. Der Journalist ist froh, wenn der lezte dieser Bittsteller seiner Thür den Rücken wendet.

Es ist zwölf Uhr, und hohe Zeit, sich in die Kleider zu werfen. Was läßt sich von zwölf bis zwei Uhr nicht Alles bestreiten! So wenig aber dem Redakteur jezt seine Hände gebunden sind, so gibt es doch Einiges, das um diese Zeit seiner Erledigung harrt. Man nimmt die neu 1042 aufgestellten optischen Panoramen in Augenschein, man besucht Gropius und macht auf dem Rheine die Fahrt von Mainz bis St. Goar, oder wirft bei Satler einen Blick von der Salzburger Festungswarte über die Stadt und die Salzach in die bayrische Ebene oder ins Gebirge. Unser Journalist hält sich ein Reitpferd, und er reitet die Linden einigemal auf und ab, oder muß er noch zu Fuß gehen, wie ein Arzt, der wenig Praxis hat, so macht er die Promenade auf dem belebten Trottoir, das sich vom Schloß bis zum Hotel des russischen Gesandten hinzieht. Auf alle Fälle besizt er aber eine Freundin, eine ungeduldig harrende, die Adolph nicht glücklicher machen kann, als wenn er noch vor dem Mittagstisch ihrer Toilette und ihrer Liebe einige Aufmerksamkeit schenkt. Er wird zu ihr gehen; es ist nach der Behrenstraße nicht weit. Oder auch nicht; denn ein Redakteur, der sich auf der Straße sehen läßt, wächst wie der Schneeball zur Lawine an. Alle Welt kennt ihn; die Polizei kennt ihn, das ganze Theater kennt ihn, die Schriftstellerwelt kennt ihn, und von den leztern hat er wenigstens ein Drittel zu Freunden. Ein Kranz von Bekannten umgibt ihn; Alles erwartet von ihm Neuigkeiten, und er gibt ihnen die, welche sie selbst ihm erst bringen. Bald ist beim Ballet ein Skandal vorgefallen, oder die Aktionäre des Königstädter Theaters haben mit dem Unternehmer einen Auftritt gehabt, oder die neueste Nummer einer Zeitung ist angekommen, mit Dolchstichen für diesen oder jenen bekannten Namen. Kurz, es fehlt nie an interessanten Nachrichten, und der Redakteur ist froh, endlich zu seinem Traiteur einzutreten, wo er das Wichtigste in seinem Portefeuille anmerken kann. Die Spalten einer täglich erscheinenden Zeitung zwingt ein Einziger nicht, sondern es müssen ihm viele in die Hände arbeiten, ehe er sie füllt. Es ist eine enge Freundschaft zwischen dem Redakteur und seinen Mitarbeitern. Diese waren in den Vormittagsstunden mit ihren eigenen Produktionen überreich beschäftigt; von jezt an leben sie aber nur für den, von dem sie selbst vielleicht leben. In einer sehr eleganten Trattorie besizt die ganze Redaktion ihren eigenen Tisch, dem nahe zu kommen, der eifrigste Wunsch der übrigen Gäste ist. Man weiß, daß von diesem Tische die wohlschmeckendsten Brosamen fallen, denn Witz und Laune ist keinem der Speisenden abzusprechen. Hier reicht sich nun die jeune Allemagne abwechselnd Fricandeaus, Nachtstücke à la Hoffmann, Coteletts, Novelletten, gespickte Ochsenzungen, Beiträge zur Kritik, Leipziger Lerchen, Revuen der Almanache, Krebse, Betrachtungen über den deutschen Buchhandel, Zwischenspeisen und kleine Lückenbüßer über den Tisch. Das ganze Redaktionsgeschäft macht sich hier lachend, essend und trinkend, und man wird darin nur gestört, wenn plötzlich hinter den Stühlen Junker Voland mit der Hahnenfeder, der Buchhändler, welcher das Blatt verlegt, erscheint, und lächelnd dem Hauptredakteur eine Note des Censurkollegiums überreicht, worin sehr nachdrücklich, sehr ernst, sehr väterlich vor den überhandnehmenden Preßausschweifungen gewarnt wird. Dieser läßt sich vielleicht einschüchtern? Nein, mit der ruhigsten Miene fordert er vom Kellner einen Zahnstocher, die Uebrigen lachen, und nur der Verleger schleicht mit bedenklicher Miene, kopfschüttelnd von dannen.

In den Stunden von drei bis vier wird man einen jungen Autor, der in Berlin lebt, nur bei Stehely finden. Das ist schon oft gesagt und eine so unbestrittene Wahrheit, daß ich mich schäme, sie hier zu wiederholen. Aber ich folge dem Tageslaufe eines Journalisten, und muß da seyn, wohin er geht. Bei Stehely ist er mit seinem Anhange nicht so allein, wie kurz vorher, als er zu Mittag aß. Stehely ist das Asyl aller Partheien. Vom Leser der Gazette de France bis zu jenem verdorbenen Genie, das mit Bleistift für den Beobachter an der Spree aus Pappes Lesefrüchten excerpirt, haben alle hier ein gleiches Recht. Die Mittelalterlichen, die Enthusiasten der Düsseldorfer Malerschule, die Freunde des Wadzeckschen Wochenblatts, keinem darf sein marmorner Tisch verweigert werden. Das ist freilich für die Parthei nicht recht bequem, und unser Redakteur beeilt sich daher, die neuesten Blätter zu durchfliegen, sieht nach der Uhr und findet, daß die Stunde der Korrektur des morgenden Blattes geschlagen. Sein Weg geht jezt spornstreichs in die Druckerei. Der Faktor trägt ihm die eingetauchte Feder entgegen. In einer halben Stunde ist die Durchsicht des morgenden Blatts vollendet, mit einigen Worten wird dem Setzer die Anordnung des nächsten verständlich gemacht, und der Journalist findet, daß er noch einige Zeit bis zum Anfang des Theaters zu verwenden hat. Er besucht den Buchladen seines Verlegers. Sind Briefe für mich da? Sind neue Bestellungen eingelaufen? Was brachte das Leipziger Bücherpaket? Neue Taschenbücher? Prospekte neuer Zeitungen? Kein Kuriosum, dem man einige Seiten (der Journalist meint Druckseiten) abgewinnen könnte? Nichts über die rothen Nasen der Damen, oder über die Allheilkraft der Seife? Keine Streitschrift, etwa von Kähne, worin Raupach und Häring als die Endpunkte aller Kunstbildung aus der Weltordnung herauskonstruirt werden? Solche Erscheinungen kommen dem Lacher immer erwünscht. – Um dreiviertel auf sechs Uhr darf man sich in unsern Theatern schon sehen lassen, ohne für einen fremden Kleinstädter zu gelten. Doch die Rezensenten, diese unerläßlichen Theaterrequisite, treten erst mit dem Schlage sechs ein. Vorher kann man einen großen Theil derselben schon im Vestibül wahrnehmen; sie lassen die Besucher die Revue passiren, und namentlich steht unser Redakteur dem Büreau des Kassirers sehr nahe, der sein bester Freund ist, und mit jedem ausgegebenen Billet ihm eine neueste Anekdote aus der Koulissenwelt 1043 verabfolgt. Dieser gute Freund und Kassirer ist noch zu andern Gefälligkeiten bereit. Denn warum stehen sie da so erwartungsvoll, diese jungen Leute, welche heute mit dem Redakteur zu Mittag aßen, seine Mitarbeiter? Sie wollen vielleicht auch den Tempel Thaliens betreten, sind aber mit keinen Freibilletten versehen, und lieben ihre Thaler viel zu sehr, als daß sie sie für Vorstellungen ausgeben sollten, die sie hernach doch schlecht finden. Hier hilft der gute Freund und Kassirer aus. Es läßt sich ja Alles machen. Die jungen Leute finden noch alle ihren Sitz im Parterre. – Im Grunde steht die Berliner Theaterkritik ziemlich tief. Die Kotterie macht schwarz aus weiß; die Rezensenten gehen niemals entschieden übelgelaunt aus dem Theater; denn weil sie Vieles sehen, was in der That gut ist, so verliert sich das scharfe Auge für das mancherlei Schlechte, das sich hinter jenem versteckt. Man sammelt keine Galle und kann ohne Besorgniß an eine reichbesezte Abendtafel gehen, welche unsere sämmtliche Mitarbeiterschaft an einen und denselben Ort wieder zusammenbringt. Hier wird jezt sinnlicher, hingebender, ausschweifender gelebt, als zu Mittag. Man verzehrt nicht so viel, aber nimmt sich zu dem Wenigen mehr Muße und spricht dem belebenden Weine zu. Die Kritik über das Theater wird fast von Allen zu gleicher Zeit gefertigt und braucht morgen früh vom Redakteur nur in fließende Worte gebracht zu werden. Die Ideen zu den Aufsätzen, welche morgen Mittag fertig sind, werden jezt ausgetauscht, gebilligt oder verworfen. Man räsonnirt sich in ein literärisches Gespräch hinein, oder zergliedert novellistische Stoffe, oder sucht ein gegebenes Thema satirisch zu behandeln. Kann man besser meditiren? brauchen die Autoren immer nur Einsamkeit und Gartenstille? Nein, hier werden die artigsten Dinge ersonnen, die ansprechendsten Gemälde entworfen, und dabei klappern die Teller und die Billardkugeln stoßen zusammen, und die Kellner rufen die Speisen aus, und eine mächtige Gasflamme siedet und kocht mit monotonem Gemurmel dazwischen. Der Wächter aber hat schon zweimal angerufen und die Freunde zerstreuen sich.

Apparat#

Bearbeitung: Wolfgang Rasch, Berlin#

1. Textüberlieferung#

1.1. Handschriften#
1.1.1. Übersicht#

Es sind keine handschriftlichen Überlieferungsträger bekannt.

1.2. Drucke#
J [Anon.:] Der Berliner Journalist. In: Morgenblatt für gebildete Stände. Stuttgart u. Tübingen. Nr. 261, 31. Oktober 1833, S. 1041-1043. (Rasch 3.33.10.31)

2. Textdarbietung#

2.1. Edierter Text#

J. Der Text folgt in Orthographie und Interpunktion unverändert dem Erstdruck. Textsperrungen werden übernommen. Silbentrennstriche (=) werden durch - wiedergegeben. Die Seitenzählung wird mit Klammern [ ] an den betreffenden Stellen in den Text eingefügt.

Die Liste der Texteingriffe nennt die von den Herausgebern berichtigten Druckfehler sowie die Emendationen. Fehlende oder überzählige Spatien im Erstdruck wurden stillschweigend korrigiert.

Kommentar#

Der wissenschaftliche Apparat wird hier zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht.

Stellenerläuterungen#