Schriften in bunter Reihe. Herausgegeben von Theodor Mundt#
Metadaten#
- Herausgeber
- Wolfgang Rasch
- Fassung
- 1.1
- Letzte Bearbeitung
- 14.07.2021
- Druckansicht des Textes
- Haupttext als PDF
Text#
46 2) Schriften in bunter Reihe. Herausgegeben von Theodor Mundt. Erstes Heft. Leipzig, Reichenbach, 1834. *)#
Möge der Herausgeber dieser Aufsätze von verschiedenen Verfassern und verschiedenem Werthe in der vorangehenden Auseinandersetzung auch den Grund einer Erscheinung finden, welche er recht glücklich hervor-47gehoben hat. Th. Mundt behauptet nämlich, daß der Charakter unserer gegenwärtigen Literaturperiode in einer so glänzenden Prosa liegt, wie man sie bisher in Deutschland nicht gekannt hat. Dies ist eine so gewisse Thatsache, daß wir nur gewünscht hätten, Mundt hätte für seinen Satz glücklichere Exempel angeführt. Heine, dessen Meisterschaft er in dieser Rücksicht bestreiten will, bleibt der unübertroffene Matador dieser neuen Stylschöpfungen, während die von Mundt genannten Namen, bei aller Achtung, welche sie verdienen, doch noch jener verschollenen Manier langer, schmachtender Perioden und jenem Style angehören, welchen man vorzugsweis den Hochwohlgebornen nennen könnte. Selbst die Kunst der Antithese ist nicht der Vorzug dieser neuen Prosa. Die Antithese ist so oft der Tyrann des Gedankens.
Die alte Prosa war nur Ausdruck; sie nahm die Sprache als das nächste Hülfsmittel, in der rohen überlieferten Form, wie sie die gebildete Wendung des Gesprächs oder der stereotype Ausdruck der Schrift obenhin ausgeprägt hatte. Sie stand nicht auf der Stufe, welches die erste der neuen Prosa ist, auf der poetischen Intuition. Die Intuition weist die Sprache weit von sich, weil ihre hergebrachten, ordinären Ausdrücke die Keuschheit des Gedankens stören, weil sie für gewöhnlich neuen Anschauungen nichts zum Vehikel reichen kann, als abgetragene, alte Kleider, diesen Sprachplunder, welcher oft nur zuviel von der Poesie gestohlen hat, im Grunde aber zu nichts dient, als die alltägliche Blöße der Nichtverständigung zu decken. Die poetische Intuition emanzipirt sich zuerst völlig von der Herrschaft der Perioden, von den gothischen Verschlingungen, von den Regeln der alten Rhetorik, vom Numerus, Wortfall und allen diesen vereinzelten Vorschriften, welche ihre richtige Seite haben, aber niemals absolut hätten vorgeschrieben werden sollen. Die Sprache geht auf den Naturzustand zurück, und sie folgt in größter Decenz und Bescheidenheit nur dem Gedanken und der Anschauung, welche sich vorwärts in dem Bereich der Finsterniß, des Erhabenen und der Dummheit Schritt vor Schritt seinen Weg bahnt. Flüsternd schleicht der Ton der Rede dem sich fortwühlenden Maulwurf des Gedankens nach, nirgends üppig, nirgends vorschnell, sondern am Gängelbande der Intuition, wie ein Kind. Dies ist der unbeschreibliche Zauber unserer neuen Prosa. Denn was die größte Kunst scheint, ist hier nichts, als Natur; Natur in ihrer Feierstunde, in der Stunde, wo sie sich selbst erzeugt, wo sie im ewigen Fluß, in der Wollust des Schaffens dahinströmt.
Die zweite Stufe erhebt sich unmittelbar über die erste. Die Intuition ist keine todte, sondern sie ist nur Energie und produzirt. Poetische Produktion waltet durch jene arabeskenartigen Gewinde unserer modernen Prosa, die so sonderbar und so verlockend sind, Produktion, welche dem Genius der Sprache zu Gute kommt. Ich sehe noch das Entzücken eines geistreichen Franzosen, dem ich sagte, daß der Charakter der Deutschen etwas einsylbig wäre. Uns scheint dies gewöhnlich, aber der Franzose, dem die Einsylbigkeit nur im alphabetischen Sinne geläufig war, schwelgte in der Übertragung des Figürlichen auf das Geistige, und konnte die Zeit nicht erwarten, wo er öffentlich in Paris, im Angesicht der Akademie, der Autorität des Diktionärs und des Ministeriums zum Trotz sagen wollte: Mr. Guizot est un ministre monosyllabe! Diese Figürlichkeiten sind freilich in Deutschland schon zum großen Theile verwischt, aber sie lassen sich alle wieder ausschraffiren zu einer neuen stylistischen Schöpfung. Ich möchte mich nicht ausdrücken, als handelte es sich in dieser Hinsicht um eine Bereicherung des Sprachschatzes; nein, es sind nichts, als dreiste und glückliche Griffe aus seiner unversiegbaren Quelle.
Wie schön, daß wir wieder eine Zeit erleben, wo der Gedanke für die Literatur interessant wird! Unsre sehr kleinen, und sehr naseweisen Vorgänger von gestern hatten den Gedanken ziemlich aus der Literatur hinausgeschrieben; es sollte alles Poesie sein, das heißt, Verwaschung, Wasserfarbe, Pastell, Schmetterlingsstaub, und Empfindung. Es ist so viel genascht und gescherzt und geschäkert worden, daß der Gedanke sich noch recht mühselig und schwerfällig bewegt, und daß es Schriftsteller gibt, welchen zuzusehen bei ihren Operationen des Nachdenkens, oft Mitleid erregt. Th. Mundt gehört zu ihnen. Wie mühselig und beladen spricht er oft! Allein das Prinzip ist vortrefflich und nur Geduld, die Grazie bleibt zuletzt nicht aus! Wer so von der Schule geknechtet worden ist, wie dieser junge Landsmann von mir, wem die Hegelschen Sätze und die Metrik so viel Schweiß gekostet haben, wer um das Ewige, das Wahre, die Idee des Schönen, die klassischen Studien so viele Thränen vergossen hat; und doch den Zauberruf der Muse nicht von sich wies, und für das Große und Erhabene für die Zeit und ihre Interessen ein so empfindungsvolles Herz bewahren konnte; dem wendet Euch mit Liebe und Achtung hin und sprecht ihm Muth zu, wenn auch noch nicht Alles bei ihm klappen und klingen will! Vor einem Jahre schrieb ich über diesen ringenden Geist in mein Portefeuille:
Dieser Spruch ist jetzt nicht mehr wahr. In jedem neuen Buche wird Th. Mundt heller, dreister: er streift immer mehr Hüllen von sich ab: und macht wie ein ächter Philosoph einen Durchgang durch die Negation, aus welchem er immer liebenswürdiger und schöner hervortritt.
Apparat#
Bearbeitung: Wolfgang Rasch, Berlin#
1. Textüberlieferung#
1.1. Handschriften#
1.1.1. Übersicht#
Es sind keine handschriftlichen Überlieferungsträger bekannt.
1.2. Drucke#
Gutzkows Rezension von Mundts "Schriften in bunter Reihe" wurde zuerst 1835 im "Phönix" veröffentlicht. Die Rezension verwendete Gutzkow ein Jahr später in seinen Beiträgen zur Geschichte der neuesten Literatur, wo er den Text ohne Überschrift, gekürzt und überarbeitet im Abschnitt Kritik einfügte.
2. Textdarbietung#
2.1. Edierter Text#
J. Der Text folgt in Orthographie und Interpunktion unverändert dem Erstdruck. Textsperrungen werden übernommen. Silbentrennstriche (=) werden durch - wiedergegeben. Die Seitenzählung wird mit Klammern [ ] an den betreffenden Stellen in den Text eingefügt.
Kommentar#
Der wissenschaftliche Apparat wird hier zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht.