[Trinkspruch beim Bankett zu Ehren Goethes im Frankfurter Börsensaal am 22. Oktober 1844]#

Metadaten#

Herausgeber
  1. Madleen Podewski
Fassung
1.1: Korrektur
Letzte Bearbeitung
12.05.2021

Text#

2658 [Trinkspruch beim Bankett zu Ehren Goethes im Frankfurter Börsensaal am 22. Oktober 1844]#

Meine Herren! Ein Fest der Wiedergeburt weckt die Erinnerungen alter Tage, und vor unser Auge tritt der Unsterblichen Ruhm, nicht nur wie er leuchten wird in ewige Zeiten, sondern auch wie er einst hervorbrach aus dem Dunkel der Vergangenheit. Vergegenwärtigen Sie sich Deutschland vor hundert Jahren! Vor achtzig nur, und welche Nebel über den Augen, auf den Geistern welche finstere Nacht! Verwilderter Zeiten Erbtheil, dem Franken nachäffend, des Ungeschmackes lächerlicher Popanz in Leben, Sitte, Kunst und Bildung, lag Deutschland da, der Poesie noch ein unergiebiger, wüster Acker. Die Geister regten sich schon, schon stammelte die kindliche Zunge deutscher Poesie nicht mehr die Alexandriner ihrer französischen Amme, auf Klopstock’s, Lessing’s, Wieland’s 2659 Fittichen hatte der deutsche Genius seine ersten Flüge gewagt; aber das Leben hinkte noch auf lahmem Fuße nach, kein Umschwung der Sitte des Volkes und der Fürsten, keine Umdichtung des geschmacklosen Daseins der Städte und Höfe in freiere, reinere und edlere Formen. Da, meine Herren, fiel der erste Wetterstrahl des luftreinigenden Gewitters, welches die Poesie über Deutschland heraufbeschworen hatte, und zündete – nicht etwa in Wien, wo Kaiser Joseph sich selbst erst vom geistlichen Netzgestrüpp zu befreien hatte, nicht in Berlin, wo ein geistreicher König die Regungen der jungen Zeit spröde von sich wies, nicht an jenen Höfen, wo man noch italienische Sänger und französische Tänzer hielt, sondern in dem seit den Religionskämpfen nicht mehr genannten kleinen sächsischen Weimar! – O wie ist sie dem deutschen Andenken so theuer, diese goldene, ruhmgekrönte weimarsche Epoche! Wie traulich schmiegt sich die Erinnerung an einen Fürsten an, der, wie Karl August als Greis einer der Ersten in Deutschland war, die ihren Landen eine neuzeitige Verfassung gaben, so schon als Jüngling mit klingendem Spiel die Dichter in seine Staaten rief! Um ihn her wie um einen König Artus der Dichtkunst scharten sich die Paladine einer poetischen Tafelrunde, und nicht etwa Abendsonnenstrahlen und welke Ruhmeskränze zierten die Schläfe seiner Genossen und Freunde, sondern die Werdenden drückte er an sein Herz, die Neuernden, die jugendlichen Eroberer im Reiche der Wahrheit und der Schönheit. Gedenket Herder’s, der die Theologie aus ihrem Zunftbanne befreite und der Erste war, der es wagte, in der Bibel nicht blos Dogmen, sondern auch Poesie zu finden! Gedenket des zu allen Zeiten rüstigen Wieland, der mit dem Zauberstabe des Oberon alte poetische Sünden vergessen machte! Gedenket Schiller’s, der mit seiner Feuerseele grade in dem Moment in die weimarschen Kreise trat, als der Enthusiasmus für Formenschönheit eines Inhalts bedurfte, wie er ihm nur aus diesem hochherzigen, für Wahrheit und Freiheit begeisterten Gemüthe konnte zuströmen! Und nun unser Goethe! O wie ist mein Herz bewegt, wenn ich gedenke, wie man streiten kann, ob Goethe groß wurde durch Weimar oder, wie Andere meinen, noch größer geworden wäre ohne Weimar! Lasset sie doch hinwegrauschen über unsere Häupter, die Geschicke der ewigen Mächte! Lasset doch den Zeiten ihre Strömung und dem einmal Verhängten seine heilige Allmacht! Goethe hat Weimars nicht bedurft, aber da, wie der wilde Rheinstrom aus Graubündens Bergen niederstürzt in die liebenden Arme des Bodensees, wie der Rhone seine gletschereisigen Wogen im sonnigen Leman wärmt, es auch Goethe’s Loos war, von Weimar eingefangen und, ungleich jenen Strömen, nicht wieder losgelassen zu werden, so gedenket des Großen nur, das uns dadurch erwuchs, daß Goethe in Weimar seinen Dichterthron aufschlug. Er trug nicht seine Krone, er trug die Krone der deutschen Literatur. Er trug nicht seinen Scepter, er trug den Scepter jener Achtung, jener hohen Verehrung, jener weltgebietenden Stellung, die grade dieser Dichter dem bisher dürftigen, armen und zurückgesetzt gewesenen deutschen Geist erobert hat. Ja, meine Herren, auch der Stern der äußern Würde, auch das steinerne Ninusgrab, in das den greisen Wolfgang auf seines Lebens letzter Neige Weimar verhüllte, und endlich, meine Herren, der elegische Friede, der noch jetzt so heilig und hehr auf den stillen Gründen des thüringischen Musensitzes an den grünen Ufern der trauernd rauschenden Ilm ruht, Alles, Alles, was in Weimar an Goethe erinnert, erinnert an die Pracht und die Herrlichkeit des deutschen Geistes! Zu Weimars Ehre, zu Weimars Gedächtniß denn füllet die Gläser! Ja!

So lange das Vergang’ne noch

Mit heil’gen Schauern uns umwebt,

So lange deutsche Sprache lebt,

So lange lebe Weimar hoch!

Apparat#

Bearbeitung: Madleen Podewski, Berlin#

1. Textüberlieferung#

1.1. Handschriften#
1.1.1. Übersicht#

Es sind keine handschriftlichen Überlieferungsträger bekannt.

1.2. Drucke#

Die „Deutsche Allgemeine Zeitung“ druckte den Trinkspruch in der Rubrik „Wissenschaft und Kunst“ ab. Die Redaktion leitet die Publikation mit den Worten ein: „Von dem bei dem großen Banket zu Ehren Goethe’s auf dem Börsensaale gehaltenen Reden (Nr. 301) sind wir im Stande, die folgende des Dr. Gutzkow hier mitzutheilen“. Der Toast wurde in den kommenden Wochen von zahlreichen Tageszeitungen und Zeitschriften nachgedruckt (vgl. Rasch, Bibliographie Karl Gutzkow, Bd. 1, S. 343-344). Diese Nachdrucke werden hier nicht dokumentiert. Darüber hinaus wurde er aufgenommen in eine großzügig ausgestattete Gedenkpublikation, die die Feierlichkeiten zur Enthüllung des Goethedenkmals und Auszüge aus der Vorgeschichte, zusammen mit einer Abbildung des Denkmals und mit allegorisierenden Darstellungen zu Goethes Leben und Werk, dokumentiert. Die einzige Varianz gegenüber dem Journaldruck besteht darin, dass die abschließenden Verse nicht vom Prosatextblock abgehoben werden.

J1 [Anon.:] Wissenschaft und Kunst. Frankfurt a. M., 24. Oct. In: Deutsche Allgemeine Zeitung. Leipzig. Nr. 302, 28. Oktober 1844, S. 2658-2659. (Rasch 3.44.10.28)
J2 Toast, ausgebracht von Herrn Dr. K[arl] Gutzkow. In: Das Goethe-Denkmal in Frankfurt am Main. Mit drei artist. Beilagen. Frankfurt/M.: Sauerländer, 1844. S. 45-47. (Rasch 4.44.1)

2. Textdarbietung#

2.1. Edierter Text#
J1. Der Text folgt in Orthographie und Interpunktion unverändert dem Erstdruck. Textsperrungen werden übernommen. Silbentrennstriche (=) werden durch - wiedergegeben. Die Seitenzählung wird mit Klammern [ ] an den betreffenden Stellen in den Text eingefügt. Fehlende oder überzählige Spatien im Erstdruck wurden stillschweigend korrigiert.

Die Seiten-/Zeilenangaben im Apparat beziehen sich auf die Druckausgabe des Beitrags im Band: Ueber Göthe im Wendepunkte zweier Jahrhunderte. Mit weiteren Texten Gutzkows zur Goethe-Rezeption im 19. Jahrhundert hg. von Madleen Podewski. Münster: Oktober Verlag, 2019. (= Gutzkows Werke und Briefe. Abt. IV: Schriften zur Literatur und zum Theater, Bd. 3.)

Kommentar#

Der wissenschaftliche Apparat wird hier zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht.