Eine männliche Gräfin Hahn-Hahn#
Metadaten#
- Herausgeber
- Wolfgang Rasch
- Fassung
- 1.1
- Letzte Bearbeitung
- 22.11.2019
Text#
1 Eine männliche Gräfin Hahn-Hahn.#
Es war im Winter von 1846 auf 47, zur Zeit des Karneval und in Dresden.
In einem stattlichen Hause, gelegen an einer der freundlichen Alleen, die sich durch Elbflorenz ziehen, in unmittelbarer Nähe der Kreuzkirche, befand sich eine artistisch-literarisch-dilettantisch zusammengesetzte Gesellschaft bei Gräfin Ida Hahn-Hahn, die zwar schon damals den ihr von Fanny Lewald mit der „Diogena“ versetzten polemischen Streich empfindlich in ihrer Geltung nachfühlte, doch für den ihrer Geistesrichtung verwandten Theil der „exclusiven Welt“, „innerhalb der Gesellschaft“ noch wie sonst in voller Geltung bestand.
Die Elemente des geselligen Kreises gehörten fast alle dem Adel an. Die Gräfin hatte damals eine schwere Lebensaufgabe zu erfüllen. Sie behütete in den hintern Zimmern ihrer Wohnung den dort hausenden Freund, den Deutsch-Russen Baron v. Bystram, einen liebenswürdigen, wie ein Buch unterrichteten Mann. Der Unglückliche war krank, sehr krank, ein Sterbender. Doch hatte er noch alle letzten so höchst beschwerlichen Reisen der berühmten „Reisendin“ mitmachen müssen, da er ihr das Mitnehmen des Konversationslexikons ersparte.
Es gab da die lebensfrohsten, übermüthigsten Baroninnen und die ausgelassensten Gräfinnen. Freilich jung waren sie nicht. Aber wehe dem, der sie daran erinnert hätte. Es gab lange Debatten, Debatten über die neuesten Werke der Georges Sand, die ich damals erst vor wenigen Jahren ebenfalls so umschwebt von einem geisterhaften Schatten, dem im Sterben begriffenen, doch, wie die Hektik mit sich bringt, bis zum letzten Athemzuge wohlgemuth unter den Lebenden verweilenden Franz Chopin gesehen hatte, über Richard Wagner’s neueste Differenzen mit seinem Chef, dem Dresdener Intendanten, über das zurückgezogene Schmollen des Maestro in der Friedrichsstädter Vorstadt - die damalige Mäcenatin desselben, eine Frau v. K. (sie lebt jetzt, katholisch geworden, dicht in der Nähe des Papstes in Rom), war zugegen.
Plötzlich kam die heroinenhaft gebaute, noch über die Taille der Ziegler hinausgehende Gräfin L., die Schwester eines der liebenswürdigsten Sterblichen aus der Schule Epikurs, der je gelebt, des Fürsten L., auf den Einfall, die Gesellschaft sollte sich, wie sie da eben war, in Salontoilette, Herren und Damen gepaart, ins Hotel de Pologne begeben, wo so eben der dritte oder vierte der üblichen Maskenbälle im Gange war. Domino’s und Masken bekäme man vorn am Eingang beim Garderobenbewahrer. Auch könnte man sie sich von den Bedienten holen lassen. Eben schlug es vom Kreuzthurm elf.
Alles jubelte. Der Geist der Richard Wagner’schen Musik, die Extase, die sinnlich schwärmende Anregung machte sich geltend. Die Bande des Gewöhnlichen lösten sich. Die Welt wird durch Wagner zum Märchen und das Abenteuer, das sich nicht finden will, wird gesucht. Die Gräfinnen, die Baroninnen waren aufgesprungen; der sanfte, hagere, im Sterben begriffene Bystram hatte sich schon nach seiner zweiten Tasse Thee zurückgezogen. Verkleidet, unerkannt auf dem Hotel de Pologne-Ball! Auf einer Art Mittelding zwischen - Kroll und „Stolt’s Damenkränzchen“ in der Potsdamer Straße, wo „um zehn Uhr die Damen die Herren auffordern“. Offiziere in Civil - „man neckt sich, man intriguirt“ - man wispert die Namen derer, die man zu erkennen glaubt! An Hohenthals, Boses, Beusts, an wenigstens einigen der vielen Namen auf -itz und -witz, die im sächsischen Adelslexikon die Mehrzahl bilden, wird es nicht fehlen -! Kurz, man versprach sich etwas wie aus dem Venusberg des Tannhäuser.
Schon waren die Stimmen dafür gewonnen, sich in Mäntel und Pelze zu hüllen, den nahen Weg zu Fuß zu machen und die Kostümirung im Hotel selbst, wo man ja besondere Zimmer für sich allein bekommen konnte, vorzunehmen, als sich vollkommen unerwartet eine einzige Stimme gegen die wildgewordenen Adepten der excentrischen Ideen des Jahrhunderts erhob. Es war die der Meisterin dieser Schule selbst.
Unvergeßlich ist mir die Art geblieben, wie die schmächtig gebaute, schon damals durch die mißlungene Operation an ihrem Auge entstellte Wirthin dem übermüthigen Beginnen, das zumeist von Gräfin L. betrieben wurde, die Spitze abbrach. Nicht, daß sie etwa den Andern ihren Spaß moralisch widerrathen oder ihr eigenes Mitthun etwa darum abgesagt hätte, weil sie eine Erinnerung an den leidenden Freund beschlich, dessen Schlummer vielleicht schon mit den Hammerschlägen seines tödtlichen Hustens im Kampfe lag. Nein, sie begriff den ganzen Vorschlag nicht. Sie hatte kein Geschick, keinen Schwung dafür, ihn auszuführen. Ihr verlegenes, hinundhertrippelndes Benehmen erinnerte an die bekannte Fabel Andersens vom ausgebrüteten Schwanenei, nur so, daß man sich in diesem Falle eine Henne denken mußte, die plötzlich die ihr untergelegten Enteneier Leben gewinnen, in’s Wasser laufen und schwimmen sieht. Sie stand dem Aufschwung der Andern nicht mißbilligend, sondern nur durch ihre Natur an einer solchen kecken Herausforderung des Zufalls, an einer solchen Bravour des Uebermuths verhindert, gegenüber.
Ich gestehe, daß ich darüber Theilnahme für sie empfand. „Tugend“ war es nicht, was sie bestimmt hatte, „vornehme Prüderie“ noch weniger, nur Ungeschick. Spätere Beobachtung bestärkte mich darin, daß diese Frau in der Regel falsch beurtheilt wird. Weit entfernt zu jenen leidenschaftlichen Naturen zu gehören, die mit sinnlichen Traumvorstellungen von Illusion zu Illusion fliegen, besitzt sie nur eine einzige wahrhafte Gluth, die sie ganz ergreifen kann, die des Rechthabens und des Streitens. Ihre Sinne scheinen kalt zu sein. Nur die Vorstellung erhitzt sie. Das mit dem Verstande hervorkalkulirte Phantasiegebilde reizt sie und schreibt ihrem zähen Eigensinn Gesetze für die Erreichung desselben vor, wo sie sich dann vielleicht mit der gesunden Vernunft überwirft. Streiten konnte die Gräfin im Salon über einen Gegenstand, bis sie damit alles „zu Tod ennyuirte“. Der Salon hatte vielleicht Unrecht. Denn die Gräfin wollte die Wahrheit herausbringen, „Wahrheit“, grade so wie sie Nathan „baare Münze“ nennt. Ueber Schuleinrichtungen hat sie mit mir gestritten, als wenn sie den Gegenstand unmittelbar für das Berliner Provinzialschulkollegium reif machen wollte. Die Grazie ist es, welche die Wahrheit mit der Schönheit vermittelt. Die Grazie lehrt: Jeder Streit habe eine Grenze in seiner Schallwirkung für das Ohr der Hörer! Oder - er habe seine Grenze in der Erkenntniß seiner totalen Ueberflüssigkeit, da die beiden Streitenden nicht in der Lage sind, das gewonnene Resultat z. B. über die Vorzüge der Stallfütterung praktisch zu verwerthen! Gräfin Hahn, wie man sie sich denkt, wie man sie geschildert bekommt, ist nichts weniger als die praktische Anwendung jener Lelien und Indianen der Georges Sand. Sie ist nie unmittelbar von ihren Sinnen beherrscht gewesen. Sie ist nie deshalb, weil Erschöpfung der Empfänglichkeit oder Uebersättigung eintrat, wie bei den Tannhäuserinnen, in die katholische Kirche geflüchtet. Sie ist eine verstandeskühle, prüfende, mathematisch konstruirte, zum Pedantischen geneigte Natur. Höchstens, daß sie, wenn sie vom Streit erschöpft gewesen, sich dann ausruhen mochte und eine stärkere Natur suchte oder vermißte, an die sie sich anlehnen wollte, und hierüber dann ins romantische Fach sprang. Das Jahr 1848 empörte sie ihres aristokratischen Sinnes wegen. Als die Reaktion eintrat und der Hof von Sanssouci in geistigen Dingen noch ausschließlicher als sonst maßgebend wurde, als ihre Werke noch mit weniger Theilnahme als sonst von dorther gewürdigt wurden, zuletzt als in ihrer Heimath Mecklenburg die vornehme Frömmelei ihre Arbeiten ganz aus den aristokratischen Kreisen verbannte, vertiefte sie sich, beobachtend und nachahmend, wie sie sich von je allem gegenüber verhielt, was ihr imponirte, in die eigenthümliche Welt, in der sich eine zufällig gefundene Freundin, Miß Atcherly, eine katholische Irländerin, bewegte. Sie fand da Freiheit im Zwang, viel Heiterkeit im Ernst, überraschend viel Herrschaft beim Schein des Dienens. Und siehe da! Alle die, die vor Kurzem über „Diogena“ gelacht hatten, alle die, die ihr langes Streiten im Salon für eine Verletzung der Grazien gehalten, die ihre Werke aus Grundsätzen der Moral in Potsdam und Ludwigslust zu lesen widerrathen bekamen, konnten, so mochte sie kalkulirt haben, gründlichst geärgert werden, wenn eine norddeutsche Adlige katholisch wurde. Jene Anlehnung, wo die Erschöpfung selbst der verstandeskühlsten Natur sich vor einer Jupiters Kraft beugt, fand sich dann in dem gewaltigen Bischof von Mainz.
Es wird dies erzählt, weil der Katholizismus in diesem Augenblick, wo sich das deutsche Volk nur seiner Kriegs- und Siegserfolge rühmen und erfreuen sollte, eine solche Fülle säuerlicher Gährung, soviel abgestandene, schaale Ernüchterung heraustreten läßt, daß wir am geistigen Doppelleben unserer Nation schier verzweifeln möchten. Wir wollten nur an einigen Beispielen zeigen, wie diesem nicht endenden Verwirren und Verhetzen des Geistes, diesem Rühren und Rütteln an den Grundvesten unseres wichtigsten Bestandes, der Einigkeit unseres brüderlichen Gesammtbewußtseins und der Autonomie durch die Ergebnisse unseres eigenen germanischen Geistes, doch so das absolut Leere, Nichtige und rein nur Persönliche zum Grunde liegt.
Von allerdings minderer Bedeutung ist vor Kurzem ein Konvertit gestorben, August Lewald, ein leiblicher Vetter der Verfasserin der „Diogena“. Nennen wir ihn wie die Ueberschrift dieser Zeilen sagt, „eine männliche Gräfin Hahn-Hahn“, so 2 soll damit nicht die gleiche Bedeutung desselben als eine hervorragende tonangebende Persönlichkeit zugestanden sein, sondern nur manches eigenthümlich Verwandte. Beide stammten aus dem deutschen Norden, beide hatten Beziehungen zur praktischen deutschen Bühne (die Gräfin durch ihren Vater und ihre ersten eigenen Lebensschicksale), beide schriftstellerten im romantischen Fache und setzten, als sie katholisch geworden, nach einer kurzen, rein nur apologetisch oder ascetisch gewesenen Uebergangs-Thätigkeit, mit ungeschwächten Fonds ihre frühere belletristische Beschäftigung, nur mit anderer Tendenz fort. Wie die Gräfin auch noch aus der Wiedergeburt heraus Romane schrieb, so auch August Lewald.
Ist die Gräfin katholisch geworden sozusagen par dépit, („aus Bosheit“, wie Dr. von Schweitzer im Reichstag, ich glaube nicht ganz richtig, das Wort übersetzte), hat sie durch das Nehmen noch sogar des Schleiers ihre haltlose, zweifelsüchtige, in der That wirklich unverstandene und Wahrheit suchende Natur aus den Berührungen mit dieser „so undankbaren“, „charakterlosen“ „Gesellschaft“, besonders um Potsdam und Ludwigslust herum, retten und die ihr so aufsässigen Elemente derselben gründlich ärgern wollen, so wurde August Lewald katholisch aus Charakterschwäche und träger Nachgiebigkeit gegen die äußern Umstände des Lebens.
Ein gewisser Selbstbetrug kam hinzu. Der im Jahre 1792 zu Königsberg Geborene, behauptete, einen Zusammenhang zu haben mit der Rolle, die seine hyperboräische Heimath in der alten romantischen Epoche spielte. Es war eigentlich zum Lachen, wenn Lewald geradezu Hamann, den Magus des Nordens, und in gewissem Sinne darauf auch die „Mucker“ für sich citirte. August Lewald, ursprünglich von jüdischen Eltern, war früh zum Schauspielerstand übergegangen, dann Protestant geworden, Theaterunternehmer, Schriftsteller. Wenn man ihm sagte: Am Ende Ihrer Tage wurden Sie katholisch, weil Ihre „Kathi“ (seine brave, aber ultrakatholische Gattin) Ihnen keine Ruhe ließ! Weil die Regentin Würtembergs, Fräulein Stubenrauch, Ihnen den Fortbezug einer temporären Pension zusicherte! Endlich weil Sie überhaupt auf diese Art eine Menge von hübschen Absatzquellen für Ihre Feder gewannen, die bei den Buchhändlern N. N. bereits versiegt waren -! (Referent durfte schon so mit ihm sprechen), so pflegte er sich mit einem ihm angenehm stehenden, jovial sardonischen Lächeln, das zu einem Drittel angeborne Natur, zu einem andern Drittel vom Buchhändler Julius Campe in Hamburg und zum dritten Drittel von Heinrich Heine in Paris, dem er lange Jahre befreundet gewesen, entlehnt war, so auszudrücken: „O nein, alter Freund! Schon von Könisgberg her habe ich meinen Katholizismus mitgebracht! Das steckt in der dortigen Luft. Zacharias Werner ist mein Landsmann und wie habe ich den immer geliebt! Er war schmutzig, dieser Werner, was ich nicht leiden kann, aber wie oft habe ich „die Söhne des Thals“ in Scene gesetzt! Sie sollten meinen katholischen Duft auf der Bühne gesehen haben, Hollunderhecke in Käthchen von Heilbronn - ich bin einmal für das Schwärmerische! Meine ersten „Sonette“ behandelten ja berühmte Namen und ich gab sie unter dem Titel: „Meine Heiligen“ heraus! Verstehen Sie? Rafael Bock, jedem Königsberger von Bildung bekannt, wurde katholisch! Ignaz Jeitteles, ein Jude wie ich, und Veith, auch ein Jude, waren Freunde und bewunderte Gönner von mir! Sehen Sie, Sie lachen über mich! Jetzt, Sie Ungläubiger, gehe ich eben auf die Post und werfe einen Brief in die Boite an eine Frau Baronin in Paris, der ich meinen Dank ausspreche, daß sie während meiner letzten Krankheit für mich in der Kathedrale von Notre Dame gebetet hat! Sehen Sie, zwei Seelen - wie zwei Kerzen - grade wie im Calderon - und in meinen Mises-en-Scenen! Es ist die Romantik, die ich mein Lebtag geliebt habe!“
Ihn an meinen „Zauberer von Rom“ zu erinnern, wo solche Stimmungen geschildert sind, wäre erfolglos gewesen. Lewald las nichts. Was nicht mit seinem nächsten eigenen Vortheil zusammenhing, interessirte ihn nicht. Gourmand und Egoist aus offen und frei bekanntem System, echauffirte er sich nur für die Zwecke, die seine Selbsterhaltung verfolgte. Aber ich hatte gerade in jenen Tagen eine kleine Arbeit geschrieben: „Warum Rousseau seine Kinder aussetzte.“ Lebhaft stand mir bei dieser Wiederbegegnung des alten Freundes meine Vermuthung vor Augen, daß Rousseau, als er seine letzten Aufzeichnungen, seine berühmten „Geständnisse“ schrieb, nur deshalb jene Therese Levasseur, die sich an ihn gekettet hatte, so gegen alles Verdienst lobte, weil er befürchtete, sie würde ihm, wenn sie ihr wahres Bild gelesen hätte, seine letzten Lebensaugenblicke zur Hölle machen. Kathi war die beste Seele von der Welt, aber „sie fürchtet“, sagte er, „daß wir im Himmel getrennt werden.“ Er wollte nicht wider den Stachel löken.
Dreißig Jahre früher bildete August Lewald einen Mittelpunkt für junge hoffnungsvolle Talente. Es war die Zeit, wo die großen Geister, die Tieck, die Steffens, zwar die vornehme Kritik Berlins für sich hatten, Platen, Immermann, Heine durch ihre Fehden alle Leser, die Lyriker Schwab, Pfizer, Chamisso, Rückert die Hingebung und Theilnahme der Gebildeten für sich allein zu gewinnen suchten, doch schon wagten sich allerlei anders geartete junge Nestlinge hervor. Um den Tisch, wo Lewald in Baden-Baden am Kursaal präsidirte, saß selbst Lenau noch als ein Beginnender. Man konnte von dem alten Major a. D., wofür man den immer wohlgekleideten Stammgast, seines Aeußern wegen, nehmen durfte, vielerlei lernen. Lewald’s schon damals grauer Schnurrbart unter der eigenthümlich gebogenen scharfen Nase, seine kluglauernden Augen, das immer hochrothe Antlitz gab ihm etwas Auffallendes. Er hatte die Welt nicht blos auf den Brettern, auch im Leben kennen lernen. Paris war auch ihm ein Mekka der Civilisation gewesen. Meyerbeer, Heine, hundert Namen bis zu den Spielpächtern von Baden waren ihm in allem, was an ihnen menschlich, bis in die Details bekannt. Er hatte die ersten Erscheinungen der Zeit, von Napoleon und Metternich an, in der Nähe gesehen, mit berühmten Personen gesprochen, mit manchen in allerlei Aufträgen verkehrt. Er war in romantische Liebesaffairen verwickelt gewesen. Er behauptete, für einen österreichischen Grafen Riesch vier Bände Theaterstücke geschrieben zu haben, die dieser in seinem eigenen Namen herausgegeben hätte. Er war geschaffen für die Zeit Cagliostro’s und würde am Hofe einer Lichtenau am Platze gewesen sein. In mancher Figur in Goethe’s Romanen, desselben Goethe, den er wohl, bei schlechter Laune, wie manchen andern Unsterblichen, „einen ganz dummen Kerl“ nennen konnte, hätte er Modell gesessen haben können. Er gab vortreffliche Anleitungen zum richtigen Essen und Trinken, zum Sichkleiden, Gehen und Stehen. „Wer korpulent ist, wähle niemals helle Westen, sie machen nur noch dicker!“ Solche Sätze kamen wie Orakelsprüche. Er hatte glänzende pekuniäre Erfolge durch bloße Angabe von Titeln zu Journalen, durch Prospekte, Ankündigungen. Er trieb in Stuttgart dasselbe Geschäft, das später die Vérons, die Girardins, die auch nur literarische Faiseurs waren, auf die Politik und die Börse übertrugen. In München beherrschte ihn 1833 noch ganz das Interesse für die Bühne, vor allem der Begriff „Mise-en-Scene“. Jeder Schauspieler, der ihm nicht eine gewisse Rücksicht und Aufmerksamkeit erwies, selbst Eßlair und Vespermann nicht ausgenommen, war ein Stümper. Erst Seydelmann hat er unbedingt bewundert und fast zu sehr für Seydelmanns Vortheil. Doch konnte es Lewald auch sonst in manchen Fällen, wo Fleiß, Eingehen auf seine Vorschläge von ihm bemerkt wurde, bis zu warmer Anerkennung bringen. Stuttgart bot die reichern Mittel zur Ausbeutung des Buchhandels. Nach Lewalds Abzug nach Baden, wo er sich eine Villa im Rococostil, ganz im Charakter der Pompadourzeit und wie geschaffen zum Morgenbesuch für hin- und hertrippelnde kleine Porzellanmenschen erbaut hatte, brach dann freilich am Neesenbach ein Bankerutt nach dem andern aus. Und Omnes una manet nox. Auch ihn selbst, den großen Schöpfer der „Europa“, der damaligen „Gartenlaube“, erreichte sein Geschick. Die Villa entschwand seinem Besitz und eine böse Zeit für Belletristen brach ohnehin mit dem Jahre 1848 an. Zu seinem Glück durften sich um den König von Würtemberg allerlei seltsame mißgestimmte Spötter und Karrikaturisten des Zeitgeistes sammeln. Lewald gehörte zwar nicht zu den sattelfesten polemischen Kämpen, aber er durfte dem „Kronenwirth“ in Stuttgart als besoldeter königlicher Privatkorrespondent Späße und Anekdoten aus der Paulskirche und Umgegend schreiben. Als Deutschlands Hexensabbath, wozu ein Tag der glorreichsten Auferstehung von ruchlosen Kobolden gemacht wurde, ausgetobt war, huschte und duckte sich da und dorthin alles Eulenvolk, das am Spuk mitgeholfen hatte. Die meisten hatten sich leidlich geborgen, manche sogar mit Kreuzen und Sternen. Lewald suchte nur ein Mauerritzchen, um unterzuschlüpfen. Er wurde nomineller Regisseur der Oper von Stuttgart. In Wahrheit aber wurde er Mitarbeiter an allerlei kleinen Blättchen im All- und Hegäu, im Mümmlingthal und der Hornisgründe, überall, wo es etwas gegen die Vorfechter des Fortschritts an ein Blättchen zu berichten gab, das nur vom dummen pfaffengeleiteten Pöbel gelesen wurde. Auch die Konvertiten Buchhandlung Hurter in Schaffhausen ermunterte ihn zu religiösen Romanen im Stil der Hahn-Hahn und des Conrad von Bolanden. Er war endlich offen katholisch geworden.
Seine Abneigung gegen das „preußische Wesen“ hatte sich bis zu förmlichem Haß gesteigert. Es mögen ihm doch in jener Zeit, als er noch harmlos schrieb und namentlich 3 seine außerordentlich bedeutende Erfahrung im Bühnenwesen Anerkennung verlangte, Ablehnungen aus Berlin zugekommen sein, die ihn erbitterten. Wenn er einen Mann wie den Hofrath Küstner, der ihm von München her in ganzer Person bekannt war, mit einem seiner Kraftausdrücke bezeichnete, wer konnte ihm widersprechen? Wenn er eine Birchpfeiffer, für die er nur eine einzige nicht wieder zu gebende Stereotype im Munde zu führen pflegte, aus der „Königsstadt“, wo sie bisher mit Hinko geherrscht hatte, durch Küstner auf die königliche Bühne überführt und zur Regentin derselben, die alle übrige Literatur verdrängte, erhoben sah, so hörte für ihn die Vermittelung irgend einer Empfehlung seiner Wünsche nach oben hin auf. Keine Anstellung, keine von Friedrich Wilhelm IV. befohlene huldvolle Entgegennahme seiner „Sämmtliche Schriften“ (12 Bände, bei Brockhaus), Schriften, in denen sehr oft der preußische Ruhm, Erinnerungen an die Zeit der Königin Luise, Schill und Blücher, Iffland und Brühl vorkamen, nichts von dorther that seinem Ehrgefühl wohl. Auf diese Art - da nach Seneca nur magni viri rebus adversis gaudent - verfiel er - dem Wunsche seiner Kathi, mit ihr, die ihn pflegte, einst in gleicher „geweihter“ Erde zu ruhen. In seines Freundes Heinrich Heine letzten Lebensaugenblicken spielt Mathilde ja auch eine nicht unähnliche Rolle.
Die ruhiger Denkenden unter den Katholiken wissen es selbst, daß unser neures, immer leidenschaftlicher werdendes Vorgehen der ultramontanen Wortführer im Wesentlichen von den Konvertiten ausgeht. Diese beunruhigt ihr Gewissen. Diese reizt es, ihren neuen Genossen stetig zu beweisen, was sie in ihnen gewonnen haben. Aber was sollen all die Proteste, die Adressen, die ewigen Broschüren -? „Propst Döllinger wird dem Erzbischof mit einer Broschüre antworten“ - meldet der Telegraph. Schlage Einer 95 Thesen an die Münchener Frauenkirche und eröffne in einem der vielen kirchenweiten Säle Münchens einen Gottesdienst auf den Glauben an eine einzige apostolische Kirche mit Allem, was nun eben Eurem Herzen einmal am katholischen Wesen wohlthut, doch ohne Bischöfe und ohne Papst -! dann erst kann die Gewalt der geistigen Herrschsucht, die Verbindung derselben mit so viel - Thorheit und Lüge, wie wir im Obigen schilderten, gebrochen werden.
Apparat#
Bearbeitung: Wolfgang Rasch, Berlin#
1. Textüberlieferung#
1.1. Handschriften#
1.1.1. Übersicht#
Es sind keine handschriftlichen Überlieferungsträger bekannt.
1.2. Drucke#
Die Erinnerungen an August Lewald wurden einige Wochen nach dem am 10. März 1871 erfolgten Tod Lewalds in der Berliner "National-Zeitung" veröffentlicht. Gutzkow übernahm die Arbeit ohne wesentliche Modifikationen vier Jahre später in die erweiterte Neuausgabe seiner Oeffentlichen Charaktere innerhalb der Edition Gesammelter Werke. Dabei änderte er den Titel in August Lewald, fügte die Jahresangabe der Erstpublikation 1871 hinzu, fasste den ersten und zweiten Absatz zusammen und schrieb den Namen des Fürsten L. (190,6 unserer Ausgabe) mit des Fürsten Lynar aus.
2. Textdarbietung#
2.1. Edierter Text#
J. Der Text folgt in Orthographie und Interpunktion unverändert dem Erstdruck. Textsperrungen werden übernommen. Silbentrennstriche (=) werden durch - wiedergegeben. Die Seitenzählung wird mit Klammern [ ] an den betreffenden Stellen in den Text eingefügt.
Die Liste der Texteingriffe nennt die von den Herausgebern berichtigten Druckfehler sowie die Emendationen. Fehlende oder überzählige Spatien im Erstdruck wurden stillschweigend korrigiert.
Die Seiten-/Zeilenangaben im Apparat beziehen sich auf die Druckausgabe des Beitrags im Band: Kleine autobiographische Schriften und Memorabilien. Hg. von Wolfgang Rasch. Münster: Oktober Verlag, 2018. (= Gutzkows Werke und Briefe. Abt. VII: Autobiographische Schriften, Bd. 3.)
2.1.1. Texteingriffe#
193,19 Persönliche] Persöniche
Kommentar#
Der wissenschaftliche Apparat wird hier zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht.