Zwei neue Dramen von Grabbe#

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Herausgeber
  1. Wolfgang Rasch
Fassung
1.1
Letzte Bearbeitung
14.12.2019
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Text#

773 Zwei neue Dramen von Grabbe.#

Grabbe hat seine bürgerlichen Verhältnisse in Detmold aufgegeben, zog nach Frankfurt und lebt gegenwärtig in Düsseldorf. Er selbst gesteht, daß ihn Immermann wieder in das rechte moralische Geleis der Existenz gebracht hat und drückt sich in einem Vorworte zu Hannibal fast so aus, als hätt’ ihn Immermann wieder zu einem Menschen gemacht. Wir müssen hinzufügen, daß wir Grabben dieser Geständnisse wegen bemitleiden. An Immermann war es, das Wiedererscheinen der Grabbe’schen Muse, die er vor längrer Zeit in seinem Reisetagebuche so kühl behandelt hatte, wieder anzukündigen. Er hätte der weichen und gerührten Stimmung Grabbe’s zuvorkommen müssen; denn wenn einmal preisgegebne Menschen sich aufrichten und der Gesellschaft wieder geschenkt werden, so sind sie gemeiniglich so gedemüthigt, daß jedes ihrer Worte zittert und sie alle Welt umarmen möchten. Wär’ es nicht entsetzlich, wenn Grabbe vor dem Publikum noch mehr stammelte, als er schon gestanden hat? Nein, Immermann müßte seinen Schützling ankündigen, Immermann, der es ohne Erröthen hätte thun können, da er selbst die Umkehr von seinen frühern ästhetischen Urtheilen neulich öffentlich ausgesprochen hat.

Um das Werthlosere sogleich abzufertigen, so erreicht Aschenbrödel, ein dramatisches Märchen, durchaus nicht jene Stufe, welche Grabbe’s würdig ist. Hier haben wir weniger, als Platen in seinen gläsernen Pantoffeln geleistet hat. Um ein Märchen dieser Art auszuführen, bedarf es eines Witzes, wie er Tieck zu Gebote stand, und einer Poesie, wie sie Menzel in seinen Märchen, wenigstens durch eine Art poetischer Scholastik zu ersetzen suchte; jedenfalls aber einer saubern und netten Hand, die nicht wie Grabbe alles über den Haufen wirft. Zum Märchen hat Grabbe weder den Beruf des Witzes noch der Lyrik. Seine Versuche im Witze sind hölzern, pritschenhaft, plump; seine Leistungen in der Lyrik sind nur die Bestrebungen jenes Vogelstellers, der auf einem Lindenblatte die Nachtigall lockt. Aber die Nachtigall kömmt nicht.

In der Tragödie Hannibal erst sehen wir den alten Grabbe wieder. Die Situationen sind malerisch schön, die Charakteristik ist rapid und bis auf’s Äußerste pointirt, der Dialog ist ein Muster von Kürze und schlagender Gedrängtheit. Hier stürmt die Sprache und Phantasie die Alpen, und erfriert oben, (wie dies Grabben immer charakterisirt hat) zu einer eisigen Krystallisation. Es sind die alten großartigen Bilder, von denen zwei Drittel immer so originell und das letzte Drittel so steif, irdisch und ungelenk ist.

Hannibal steht vor den Thoren Roms, wir sehen ihn in Capua, zwischen den Bergen, in Afrika, bei Zama, zuletzt bei Prusias, einem Könige, den Grabbe mit zu vieler Ironie zeichnet, da er die Exequien und die poetische Gerechtigkeit des fünften Aktes zu verwalten hat. Zwischendurch Karthago mit seinen Partheien, Rom mit dem schwankenden Senat, Spanien mit Numantias rauchenden Trümmern. An klassischen Details fehlt es hier nirgends, sei es nun, daß Grabbe den Krämergeist Karthago’s zeichnet, oder die innere 774 Hohlheit des Cato Censorinus, oder die gutmüthige Eitelkeit eines Terenz, des Begleiters der Scipionen, oder die kleinliche Größe des Fabius Cunctator: hier ist Grabbe immer originell und überraschend und erhält uns den Glauben an eine Muse, welche ein unsterbliches Recht zu zürnen hat, wenn sich ihr das öffentliche Interesse nicht mit aller Theilnahme hingäbe.

Woher kömmt es nur, daß Grabbe’s Dramen in Rücksicht auf seine Persönlichkeit uns so wohlthun, objektiv aber niemals die Billigung des Kunstrichters erhalten haben? Auch Hannibal mißbehagt, wenn man dies Trauerspiel als ein Ganzes fäßt und auch, wenn man an das Einzelne den ästhetischen Maßstab anlegt. Hannibal ist nichts, als eine Veranschaulichmachung und Dramatisirung der Historie. Es findet sich kein Steigen und Anschwellen des Stoffes; die Begebenheiten selbst stehen über dem Haupte des Dichters und bleiben immer noch groß genug, um sein Werk auf ein Verdienst als bloße Skizze zu verweisen. Grabbe’s Werk ist fest in den Knochen, die Muskeln, Flechsen und Arterien winden sich um das starre Gerippe herum; aber der Rest fehlt, das Fleisch, die schöne Bekleidung der Haut, die blühende Farbe der Natur, des Lebens und der Wahrheit. Man wird uns zutrauen, daß wir nicht nach Schiller’schen Jamben und Reflexionen fragen: aber die Malerei der Motive dürfen wir nicht aufgeben. Die Menschen sind nicht so, wie sie Grabbe schildert, selbst in den verzweifeltsten, äußersten Lagen sind sie anders, sie sind immer noch etwas neben und außer der That. Dieser ganze Bereich fehlt bei Grabbe und wird ihm überall im Wege stehen, wenn es sich darum handelt, sein Studium den Massen zu empfehlen. Während man kaum zeigte, wie kühn er im Sattel des Pegasus sitzt; wird man rufen, daß ihn das Roß schon wieder abgeworfen. Grabbe hat Immermann dafür gedankt, daß er ihm Muße zum Dichten verschafft habe; vielleicht ist es möglich, daß Immermann ihm auch seine Ruhe einflößt.

Apparat#

Bearbeitung: Wolfgang Rasch, Berlin#

1. Textüberlieferung#

1.1. Handschriften#
1.1.1. Übersicht#

Es sind keine handschriftlichen Überlieferungsträger bekannt.

1.2. Drucke#

Gutzkows Rezension von Grabbes "Aschenbrödel. Dramatisches Märchen" (Düsseldorf, 1835) und der Tragödie "Hannibal" (Düsseldorf, 1835) wurde zuerst 1835 im "Phönix" veröffentlicht, genauer gesagt im "Feuilleton zum Phönix", das unter redaktioneller Verantwortung Gutzkows im Hauptblatt der Zeitschrift anstelle der ausgefallenen Nr. 32 des "Literatur-Blatts" erschien. Die Rezension verwendete Gutzkow ein Jahr später in seinen Beiträgen zur Geschichte der neuesten Literatur, wo er den Text ohne Überschrift und in einer überarbeiteten Fassung im Abschnitt Theater einfügte.

J [Anon.:] Zwei neue Dramen von Grabbe. In: Phönix. Frankfurt/M. Nr. 194, 18. August 1835, S. 773-774. (Rasch 3.35.08.18)
E Theater. In: Karl Gutzkow: Beiträge zur Geschichte der neuesten Literatur. Stuttgart: Balz, 1836. Bd. 1, S. 189-195. (Rasch 2.13.1.6)

2. Textdarbietung#

2.1. Edierter Text#

J. Der Text folgt in Orthographie und Interpunktion unverändert dem Erstdruck. Textsperrungen werden übernommen. Silbentrennstriche (=) werden durch - wiedergegeben. Die Seitenzählung wird mit Klammern [ ] an den betreffenden Stellen in den Text eingefügt.

Kommentar#

Der wissenschaftliche Apparat wird hier zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht.