Richard Wagner’sche Musik#

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Herausgeber
  1. Wolfgang Rasch
Fassung
1.0
Letzte Bearbeitung
05.2009
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Text#

126 Richard Wagner’sche Musik.#

Alte Zeit:

Im Anfang war das Wort.

R. Wagner:

Im Anfang war die Note.

Richard Wagner, der Componist des „Rienzi“, des „Fliegenden Holländer“, des „Tannhäuser“ und „Lohengrin“, der Verfasser einer reichen Anzahl ästhetischer Schriften, hat bekanntlich den Ausspruch gethan: Eine Stunde Grieche wiege ein ganzes modernes Leben auf! Diese Ueberzeugung, die Wenige theilen werden, entspricht den Anschauungen, die Richard Wagner vom antiken Leben und von der Stellung der damaligen Kunst zum Staate hat. Immer aber, wenn wir Musik von ihm hörten, mußten wir uns sagen: Hätte dieser Maestro wirklich im Alterthum gelebt und damals ebenso componirt wie er jetzt componirt, seine bewunderten Griechen würden ihn zum Tode verurtheilt haben. Ehe wir unsern Ausspruch beweisen, erlaube man uns die Bemerkung, daß ein Mann, der somit zwei mal sein Leben verwirkte, einmal im Alterhum und einmal in dem Jahrhundert, wo er unglücklicherweise nur Kapellmeister eines deutschen Hoftheaters sein mußte, eine außerordentliche und höchst merkwürdige Erscheinung sein muß.

127 Die Alten zählten vierzehn Tonarten auf. Was sie unter Tonarten verstanden, das anzugeben würde hier zu weit führen. Es genüge, daß sie unsere Begriffe von Dur und Moll vollkommen kannten, wenigstens nach der Wirkung derselben auf die Gemüther. Solon sagte: Willst du die Freiheit verbannen, so befördere Musik! Plato schloß von seiner Republik einige weichliche und erschlaffende Tonarten aus und in Athen gab es ein Gesetz, das eine Tonart, ich glaube die hypomixolydische, geradezu mit dem Tode bestrafte. Und wir gestehen, so oft wir Richard Wagner’sche Musik hörten, wurde uns immer, so zu sagen, hypomixolydisch zu Muthe.

Was kann wol anders bei den Alten ein hypomixolydisches Staatsverbrechen gewesen sein, als eine Musik, welche die Seele des Menschen mit Wohllaut überströmt und sie gleichsam mit dem Schönen berauscht bis zur Erschöpfung und Ohnmacht, bis zur Erschlaffung und zum Tode? Die Musik Richard Wagner’s ist etwas ganz Anderes als die gewöhnliche Musik. Wenn man Gluck hört, so hat man auch die Bedeutsamkeit der Absicht, aber einen kräftigen Strich der Geigen, eine in der menschlichen Seele männlich befruchtende Wirkung seiner Tonfiguren. Gluck strebte nach Plastik; er formte Tonsätze, die gleichsam ihre Freude an sich selbst hatten, eine spielende Freude, Kommen und Gehen, Haschen und Necken zuweilen, aber sogleich wieder ein Rückkehren in sich selbst, mit einem Wort Melodie. Beethoven besaß die wunderbare Beherrschung der seither vervollkommneten und bereicherten Instrumente. Er setzte alle Kräfte des Orchesters in Wetteifer. Er lauschte jedem Instrumente seinen schönsten Ton, seine mächtigste Wirkung ab und setzte sie alle in Bewegung in dem großen Concertante seiner innersten Sangnatur. Sangnatur, trällernde, jodelnde, jauchzende, weinende, lachende, trompetende, paukende, flötende Sangnatur ist Beethoven. Man folgt, man ist gefangen, man wächst mit dem Meister. Beethoven zieht uns zu den Himmeln empor und setzt uns zuletzt in Frieden und Ruhe wieder auf unsere Erde herab oder zeigt uns wenigstens den Weg, wo wir zu ihr zurückkommen können. Richard Wagner aber? Auch er ist ein Componist im großen Stil; genial immerhin und das Höchste anstrebend; aber er durchwühlt unser Inneres ohne Befriedigung. Er kennt all’ unsere Schwächen, er ahnt all’ unsere Ahnungen, er löst uns in all’ unserm geheimen Seelenleben auf, er zieht uns in einem Strudel von wonnevoller Musik auf und ab und macht uns zu Sklaven dieser Musik und zu Leibeigenen unserer Sinne. Richard Wagner nennt diese Art Musik „das musikalische Wort“, die eigentliche höhere Musik, die Musik, welche die Metaphysik des Worts ist, die Seele der That, die wahre dramatische Action, wo sich Oper und Schauspiel in einem Dritten vermählen, in einem neuen Kunststil. Er hat die Meinung, daß sich dieser Kunststil geradezu an die Antike anreihe. Allein gestehen müssen wir, daß er bis jetzt auf uns nur den Eindruck gemacht hat, als wenn wir bei ihm vom Bedeutenden ewig zum Peinlichen hin und her geschleudert werden. Wir befinden uns bei ihm auf einer Folter der Lust, auf Montezuma’s glühenden Kohlen, die nach seiner Ansicht auch uns Rosen sein sollen. Aus Rosen können glühende Kohlen werden, wenn man sich auf ihnen auch dann noch strecken soll, wenn man gerade genug hat. Man will auch von Rosen endlich wieder auf, will Mann werden, will freikommen vom Kitzel der Musik, will aufathmen von dieser ewigen Absichtlichkeit der Töne, will eine Objectivität der Musik, die endlich auch außer uns liegt. Da geschieht es aber, daß man bei Richard Wagner um Hülfe rufen muß vor dem raffinirenden Maestro, der uns mit seinen Geigen, Flöten, Harfen, Posaunen, Trompeten von unten bis oben revolutionirt. Es mag ein Gewöhnen auch an solche Musik geben. Dresden und Weimar sind ein Beweis dafür. Aber zum ersten male gehört, macht die Ouverture zum „Tannhäuser“ Brustschmerzen. Es gibt chromatische Läufe in ihr, die krank machen. Die Introduction zum „Lohengrin“, die wir in Weimar hörten, verursachte einigen Freunden die Wirkung, die Shakspeare von jenem Kanon beschreibt, der Leinewebern die Seele aus dem Leibe ziehen kann. Möglich, daß das Gangliensystem moderner Schriftsteller und Alt-Shakspeare’scher Leineweber schlecht beschaffen, aber ich glaube doch, daß selbst die im Freien und im Gehen schaffenden griechischen Geistesarbeiter nicht ertragen hätten, daß ihnen Violinen die Seelenfäden in schmerzendster Endlosigkeit und geradezu krankhaft wie aus dem Tiefinnersten gezogen hätten. Es ist ganz wahr, ein unendliches Entzücken, eine Wonne der Ahnung, ein Zauber von Poesie liegt in dieser unarticulirten Musik, in einer nur vergeistigten Naturlautssprache, aber des Tondichters dämonischer Genius drückt zu viel aus. Er gibt mehr als er geben sollte. Er bringt unsere Sinne in wilden Aufruhr und beansprucht sie ewig. Er kann keine Melodieen schaffen, thut deshalb, als wenn Melodieen alter Zopf wären, fängt etwas an wie Melodie und hört gerade auf, wenn unser Herz nur ganz nach Melodie verlangt; auf Melodie ruht sich das von der dramatischen Musik angeregte Ohr und Herz aus. Bei Wagner gibt es nur dramatische Musik, nur Recitativ, nur Handlung, nur Tonmalerei der Situation. 128 Und so wunderbar schön, so überraschend poetisch die Absichten des Componisten sind (gibt es Reizenderes als die Gegensätze des Venusberges und des thüringischen Idylllebens im ersten Act des „Tannhäuser“?), sein Uebermaß erdrückt, erschlafft, und wir haben Alles bei ihm, nur kein Resultat, das erhebt und erkräftigt.

Richard Wagner ist ein Meister der Dialektik. Seine Musik ist dialektisch. Sie tönt bedeutsam, aber man hat nie etwas, woran man sich mit ganzer Seele bei ihm halten kann. Ebenso spricht und schreibt er immer mit bewunderungswürdiger, aber resultatloser Rhetorik. Vom Verstande geht es bei Naturen, wie die seinige, immer eher zur Phantasie hinüber als zum Herzen; und Verstand und Phantasie sind bei ihm von seltener Größe und innigster Verbindung. Eine Wirkung, die das Herz ergreift (und wir sind so zopfig, sogar von Herzensgüte zu sprechen) findet sich bei ihm selten. Er kitzelt wol auch auf unser Herz los, unendlich süß, oft mit Engelszungen, er gewinnt uns auch; dann aber läßt er uns auch nicht mehr los, macht aus der Ueberredung Betäubung, zuletzt Vernichtung. Frauen von sensueller Complexion haben wir in Richard Wagner’scher Musik wahrhaft schwelgen gesehen und sie glaubten, ihr Herz wär’ es, das von ihr so mächtig ergriffen. Sie wußten es nur nicht, diese Schwärmerinnen. Ihr Herz waren ihre Sinne. In Richard Wagner’s Musik liegt ein tiefgeheimes Gift. Es ist nicht Griechenland, wie er uns in seinen Schriften glauben machen will, in ihm, sondern der Orient. In Ekbatana componirte man so, oder schwimmend auf dem Ganges in Lotosblumen und von Mohnsaft betäubt. In Richard Wagner ist orientalische Wonne, hypomixolydische Wonne, und der Areopag in Athen hätte ihn ohne Gnade zum Tode verurtheilt.

Apparat#

Bearbeitung: Wolfgang Rasch, Berlin#

1. Textüberlieferung#

1.1. Handschriften#
1.1.1. Übersicht#

Es sind keine handschriftlichen Überlieferungsträger bekannt.

1.2. Drucke#

Gutzkows Beitrag Richard Wagner’sche Musik wurde zuerst in den „Unterhaltungen am häuslichen Herd“ veröffentlicht und einige Jahre später ungekürzt, mit kleineren Textänderungen unter dem Titel Zukunftsmusik in die Textsammlung Die kleine Narrenwelt aufgenommen.

J [Anon.:] Richard Wagner’sche Musik. In: Unterhaltungen am häuslichen Herd. Leipzig. Bd. 1, Nr. 8, [18. November] 1852, S. 126-128. (Rasch 3.52.11.18.2)
E Zukunftsmusik. In: Karl Gutzkow: Die kleine Narrenwelt. Bd. 3. Frankfurt/M.: Literarische Anstalt, 1857, S. 261-268. (Rasch 2.33.3.5.8)

2. Textdarbietung#

2.1. Edierter Text#

J. Der Text folgt in Orthographie und Interpunktion unverändert dem Erstdruck. Textsperrungen werden übernommen. Silbentrennstriche (=) werden durch - wiedergegeben. Die Seitenzählung wird mit Klammern [ ] an den betreffenden Stellen in den Text eingefügt.

2.2. Lesarten und Varianten#

Der Buchdruck unterscheidet sich signifikant von der Zeitschriftenfassung durch eine veränderte Absatzgestaltung; sind es im Journaldruck nur vier, so hat der Buchdruck 24 Absätze.

Die auffälligste Varianz zwischen der Journal- und der Buchfassung ist der Beginn des Schlußsatzes:

5,1-2 In Richard Wagner ist orientalische Wonne, Richard Wagner will orientalische Wonne, E

Kommentar#

Der wissenschaftliche Apparat wird hier zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht.