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Die „realistischen“ Erzähler#

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Herausgeber
  1. Wolfgang Rasch
Fassung
1.1
Letzte Bearbeitung
02.02.2020
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270 Die „realistischen“ Erzähler.#

Es ist eine seltsame Erscheinung, daß die neuere deutsche Literatur vorzugsweise einen Ueberhang zur Erzählung erhalten hat.

Was ist jetzt die Erzählung? Ist sie noch der glorreiche, bunte, abenteuervolle Roman wie „Tristan und Isolde“? Setzt dieser noch immer seinen Hauptwerth in Schilderungen der Leidenschaften, in Kämpfe der Tugend wie Clarisse Harlowe und Werther? Schwelgt er noch in Abendröthen und Mondscheindämmerungen, in unsagbaren Gefühlen, wie Titan und Hesperus?

Er ist mehr - er ist weniger.

Mehr; denn fast ist er das alleinige, breite Schlachtfeld geworden, wo alle Gedanken und Anschauungen der Zeit zusammenstoßen, bekämpft, ausgetauscht werden; in seinen Gestalten drängen sich ganze Generationen, ganze Volksclassen und zugleich Geschmacksrichtungen zusammen. Weniger; denn er hat damit seine Geschlossenheit verloren, er ist „schlußlos“ geworden. Ueber sein Ende hinaus reichen die Fäden, die er gesponnen, weit hinaus in die Zukunft der Zeiten; die Fragen, die er angeregt, bleiben, wie das Räthsel der Sphinx, ungelöst im Geiste des Lesers, weil sie selbst im Gedicht nur eine scheinbare Lösung fanden.

Man hat daher gesagt: Lassen wir die Ideale, die großen Bestrebungen der Zeit, retten wir uns in die Wirklichkeit, die sich mit unsern leiblichen Augen sehen, mit unsern Händen greifen läßt! Setzen wir den ätherischen Gestalten der Theeromantik unsere Bauernmädchen, den träumerischen Handwerkern der Georges Sand unsere Commis entgegen! Es waren, weil allmälig sich heranbildend, keine ursprünglichen Poeten, die so dachten, aber sie besaßen ein scharfes Auge für diese Realität und flüchteten sich in ihre kleinsten Kreise, weil sie dieselben am leichtesten übersehen und in eine gewisse malerische Perspective setzen konnten. Sie gefielen sich in der Schilderung der Alltäglichkeit. Die kritischen Vertheidiger dieser Richtung leugnen die Nothwendigkeit einer phantastischen Welt für ein wahres, kunstgemäßes Gedicht; nur „bei seiner Arbeit“ soll der Roman das Volk aufsuchen, nicht bei seinen Ahnungen, Wünschen, Gefühlen. Als ob nicht gerade in dieser Innerlichkeit der beste, arbeitende Theil seines Wesens läge, als ob sie, in seine Thaten hineingearbeitet, nicht diesen erst Werth und Geltung verliehe!

Die Doctrin allein hätte freilich diesen Umschwung nicht hervorgerufen und die Welt von Goethe, Byron, George Sand unter die Räder ihres Wagens geworfen, wenn ihr nicht die Mode und die Gesellschaft selbst zu Hülfe gekommen wären. Die haben zuerst aus angeborener Lust nach Neuem, aus Blasirtheit, um ihren abgestumpften Nerven einmal stärkere Gerüche als die von Veilchen und Rosen zu bieten, das Genre der Dorfgeschichten, die englischen Novellen von Boz und seiner Nachahmer als die einzige, noch übrige Zuflucht der Poesie gerühmt und aus den Papieren des Pickwick-Clubs einen neuen Musenberg gebildet. Jedem seine Ehre! Diese Darstellungen des Lebens sind oft feine, zierliche holländische Schildereien, mit getreuem, oft seelenvollem Blick der Wirklichkeit abgelauscht - aber sie haben auch nur diese Spiegelbildswahrheit und die Schönheit der genrebildlichen Ausführung für sich; - Kunst im höhern Sinne des Worts, wie sie sich in der Erfassung und poetischen Begeistigung eines umfassenden Plans offenbart, innerliche Verklärung ihrer Gestalten und ein kühnes Formen und Bilden mit des Dichters in „schönem Wahnsinn rollendem Auge“ ist wenig in ihnen.

Der bedeutendste Roman dieser Richtung, den uns das vergangene Jahr brachte, war: „Zwischen Himmel und Erde. Von Otto Ludwig“ (Frankfurt am Main, Meidinger Sohn & Comp, 1856).

Was schwankte hier nicht „zwischen Himmel und Erde?“ Nicht blos das einsame Schiff des Schieferdeckers um den St.-Georgenkirchthurm, sondern jedes darin geschilderte Leben. In diesem gesuchten Titel schon lebt die Metaphysik, die uns auf jeder Seite begegnet und durch spitzfindige, zuweilen tiefe Dialektik uns über die Kleinheit der Handlung und die Armuth der schaffenden Phantasie zu täuschen sucht. So frisch und wahr auch die Nebenumstände, das Haus und die Kirche, worin die Geschichte spielt, die Arbeit des Schieferdeckers daguerreotypirt erscheinen, so sehr die eigentliche Muse dieser ganzen Richtung, die Erinnerung, ihr günstig war, die Erfindung selbst krankt an Unmöglichkeiten. Der alte Nettenmair möchte sich nicht schlecht in spanischer Alcaldentracht mit dem Stab des Richters von Zalamea in Calderon’s Schauspiel ausnehmen oder in der Welt des Don Gutierre als Arzt seiner Ehre; aber in seinem blauen Rock auf dem Kirchthurme ist er eine chinesische Pagode. Hier zeigt es sich, zu welchen Dissonanzen das Uebertragen reinidealer Conflikte der Ehre und der Liebe in Lebensverhältnisse führt, in denen sie wol vorübergehend empfunden, aber schon durch die Noth und die Pflichten jedes Tags verdrängt und betäubt werden. An Lelia sollen wir nicht glauben, wie können wir an Apollonius glauben?

Wie in seinen Dramen, ist Otto Ludwig auch in seinen Erzählungen ein geschickter Anatom der Seele; das ist sein Ruhm, aber auch seine Grenze. Sein symmetrischer Bau macht keinen harmonischen Eindruck. Er arbeitet mühevoll, gebunden an die realistische Theorie, eingefangen und begrenzt von dem Boden der Wirklichkeit, immer suchend und tastend, ob das da so geschehen ist oder so geschehen sein könnte. Seine „Makkabäer“ sind infolge solcher Aengst-271lichkeit fast durchgängig gleichsam in ein- und zweisilbigen Worten geschrieben; das ist nicht der Strom, in dem man einen so bedeutsamen Geist zu sehen wünschen muß.

Frischer, nicht von beständiger Seelenmalerei angekränkelt und reicher an thatsächlichem Inhalt sind die „Dorfgeschichten aus dem Ries. Von Melchior Meyr“ (Berlin, Springer, 1856). Dem Dichter sind Land und Leute wie Keinem bekannt, denn lange hat auch er in diesem Gau, der zwischen Baiern und Württemberg liegt, gelebt. Seine drei Novellen zeichnen sich durch die Klarheit ihrer Darstellung, durch die scharfe Charakterisirung ihrer Gestalten aus. Wahrhaft Schöpferisches und nach irgendeiner Seite hin Originales bringen und geben sie allerdings nicht. Solange wir uns nicht in der Theorie von dem Realismus befreit haben, wird Alles, was in dieser Richtung geschaffen wird, nach kurzem fesselnden Reiz zu bald verklingen.

Mit geringerer künstlerischer Absicht daguerreotypirt Eduard Ziehen Land und Leute der Niederelbe. „Norddeutsches Leben“ (zwei Bände; Frankfurt am Main, Literarische Anstalt, 1856) gibt kleine Geschichten, die der Natur abgelauscht und nachgezeichnet sind und dabei unter dem Einflusse des Gemüths stehen. Das Leben der in der norddeutschen Existenz vielfach vertretenen Pfarrer und Förster ist hier mit jenen verschönernden Farben gemalt, die das Ferne, nach langer Trennung Unerreichte von selbst annimmt. Der Verfasser hat vielleicht Manches von seiner Knabenzeit vergessen und dann in das eigene Herz gegriffen, als er die Stoffe und Farben für seine Bilder wählte. Da mußte er denn wol mancher Situation Gewalt anthun, die sich nicht fügen wollte, mußte Charaktere mitten durchbrechen, die einem befriedigenden Ausgange widerstrebten. Ein Pfarrer jedoch, der am „Stillen Freitag“ Kosacken zur Einquartierung bekommt, ans Klavier genöthigt und endlich im Vierhändigspielen vom Kosackenoffizier unterstützt wird, der von den Noten soviel versteht wie präsumtiv der Pfarrer von Kriegstaktik - ist eine kleine Skizze mit liebenswürdiger Laune gezeichnet und von Wirkung auf die Lachlust.

Gleich im Stoff, nur bedeutsamer in der Ausführung ist Edmund Höfer, der in seiner neuesten Sammlung: „Bewegtes Leben“ (Stuttgart, Krabbe, 1856), wieder die vielen kleinen Geschichten vermehrt hat, die wir schon von ihm besitzen. Ihm ist Pommerland zugefallen bei der großen Theilung unserer Literatur in allerlei Provinzialismen. Land- und Strandleben weiß er in lebhafter Art wiederzugeben, meist mit einem gewissen Ausklang, der etwas Poetisches hat. Nur geht in neuerer Zeit, scheint es, sein Flachs etwas zu Ende. Daher eine gewisse Uebertreibung im Vortrag, ein allzu starker Drucker in manchen Ein- und Durchführungen: „Nun aber jetzt! Jetzt einmal heran! Habt ihr das nicht gehört, habt ihr gar nichts gehört!“ u. s. w. Eine zeitlang gilt Dergleichen als frisch, gesund, naturwüchsig, ursprünglich, bald aber ist es Manier und sieht sich an wie Schattenspiel an der Wand.

Wenn der Zwiespalt, der diesen realistisch-dorfgeschichtlichen Darstellungen eigen ist, sich bei Otto Ludwig am schlagendsten in der Erfindung der Conflicte offenbarte, in die er seine Helden verwickelt, ruht er in den Romanen und Novellen Josef Ranks in dem Misverhältniß zwischen Darstellung und Inhalt. Rank ist ein fleißiger Schriftsteller; im vergangenen Jahre erschien von ihm „Sein Ideal“, „Von Haus zu Haus, kleine Dorfgeschichten“ (Leipzig, Voigt & Günther, 1856) und „Achtspännig“ (Volksroman, Leipzig, Mendelssohn, 1857), in zwei Bänden.

Viel Material, aber wenig Eigenthümliches, wenn man die Manier nicht so nennen will. Die Manier ist hier, das Kleinste und Alltäglichste zu idealen Höhen hinaufzuschrauben und die vorübergehenden Verhältnisse des Lebens mit dem Auge zu betrachten, wie wenn Scipio Karthago verbrennt oder Julia den todten Romeo an ihrem Sarge sieht. Freilich empfindet der Fuhrmann im Kittel Schmerz und Freude so gut wie Hamlet oder Desdemona, aber es ist nicht wahr, daß er sie so äußert wie Jene. Die Liebe eines Bauernmädchens mag reiner, mag natürlicher sein als die Leidenschaft, die in den Versen der Sappho und in den Briefen von Julie Lespinasse lodert, aber warum ist sie schöner? Am wenigsten ist sie es, wenn sie sich mit solchen Blumen schmücken will, wie Julie ihre Liebe zu Romeo schmückt!

„Achtspännig“ ist die Bekehrungsgeschichte - eines Frachtfuhrmanns, der aus einem Todfeind der Eisenbahnen zu ihrem Freunde und Anhänger wird! Es ist eine Allegorie von den Ruinen der Schlösser, aus denen die Bauern der Nachbarschaft Steine zum Bau ihrer neuen Häuser brechen. Die Conflicte, die bei Melchior Meyr Herzensirrungen, Kämpfe zwischen Söhnen und Vätern, in Otto Ludwig’s Novelle einschneidende, allgemeinmenschliche und tragische sind, haben hier einen socialen Hintergrund gewonnen und die Färbung von Principienstreiten angenommen; darum ist ihre Lösung eine zweifelhafte, nur für diesen einen Fuhrmann Weringer eine gültige und bruchlose. Denn nicht jedes „Alte" geht segenwünschend dem „Neuen“ in ihm unter und auf, nicht Jedem löst sich der Kampf seines Lebens so rein und leicht. Poesie, wie wir sie verstehen, Durchdringung und Durcharbeitung des Gegebenen zur Idealität, findet sich in diesem Roman wenig, wol aber Abconterfeiung des Dorfs, seiner Spiele und Feste, seiner Leiden und Stürme, ja sogar seiner Pferdekrankheiten. Es ist wie in der alten dresdener Galerie, wo 50 Bilder Wouwerman’s nebeneinanderhingen. Und dennoch, welche Abwechselungen, welch überraschender Farbenwechsel bei alledem bei diesem Maler! Wie weiß er seine Themata - Reiterschlachten oder Ausritte zur Jagd - beständig durch einzelne kleine Züge neu und frisch zu gestalten! Wie grau, wie eintönig aber und ewig einerlei ist Alles in euern Dorfnovellen!

272 Am anziehendsten sind die kleinen Bilder, die Josef Rank in seinem „Von Haus zu Haus“ entwirft; hier hat ihm in der Landschaftsmalerei Stifter zum Vorbild gedient. Schade, daß dem buntfarbigen Schmetterling dabei sein bester Schmelz von den Flügeln gewischt worden ist! Die Erwartung wird in diesem Buche nicht getäuscht; man findet, was man gehofft: Genrebilder. Die letzte Erzählung: „Klärchen“, leidet mit dem plötzlichen Hineinspielen einer sentimentalen Romantik an dem Zwiespalt, von dem wir oben sprachen. Die Ostades sollten sich keine Rafaele dünken; eine Bemerkung, die indessen nicht dem bescheidenen und immer anspruchslosen Wirken und Dichten Josef Rank’s gelten soll.

Nach Jeremias Gotthelf’s Tode bleibt nächst Rank der Sinnigste und Bedeutsamste auf diesem Gebiete immer Berthold Auerbach. Nach Versuchen, in diese oder jene Sphäre, die eine größere Gestaltungskraft und selbsterfindende Phantasie erfodert, abzuschweifen, kehrt er am glücklichsten immer wieder auf das Gebiet zurück, wo er auf festen, heimatlichen Boden tritt und ihm Wirkungen von seltenem Reiz gelingen.

Indessen hat uns „Barfüßele“ (Stuttgart, Cotta, 1856) nur in seinem letzten Drittel befriedigt. Sogar gefahrvoll erscheint uns die Weise zu sein, der sich der Dichter in dieser Erzählung bis Seite 166 ergeben hat. Es ist der idealisirte Realismus, der, wenn er sich bei seinen Verschönerungen und Vertiefungen die Miene gibt, doch nur die Natur und nichts als die Natur zu wollen, der verwerflichste von allen ist. Ein Mädchen, das auf dem Dorfe nur barfuß geht und die Gänse hütet, wird immerhin verständiger sein können, als ihre platte, gewöhnliche, ja schmuzige Situation zunächst mitsichbringt; aber so hoch hinaus potenzirt, wie es hier geschehen ist, wird die Erscheinung unwahr und theatralisch. In einer unendlichen Monotonie ziehen sich geradlinig fort von diesem Mädchen Charakterzüge, die fast sämmtlich den Stempel der Abstraction tragen. Statt daß wir von ihren nächsten Sorgen, z. B. um die Gänse, unterrichtet würden, entwickelt sie an ihrem Leben eine Reihe von zufälligen Aperçus, die nicht auf ihrem eigenen Anger erblüht sein konnten, sondern nur den Beobachtungen aus dem Leben der Bildung entnommen sind. Ihre Urtheile über Orden, ihr Geldwegwerfen, ihre Betrachtungen über den Wind, ihre Räthsel, ihre Lieder sind künstlich auf sie übertragene Collectaneen des Dichters, der mit seinem eigenen Selbst aus dieser Theaterfigur überall herausschaut.

Die Wirkung ist verfehlt aus einem doppelten Grunde. Ein mal ist diese Ueberreife, sich vordrängende Apartheit und dreinredende Besserweisheit der Gänsehirtin unerquicklich an sich und läßt uns kein weises, nur naseweises Mädchen kennen lernen. Dann aber auch befindet sich der Dichter in dem Grade in Bewußtheit über diese Persönlichkeit, daß er sie bis zum Schönthuenden ausmalt. Nie ist der Autor so weit über die Grenze der Anmuth bis zum Lovely oder dem Albumstil hinausgegangen wie in diesem bunten Aufputz einer Unmöglichkeit. Er legt seiner Heldin Stimmungen, Traumzustände, Naturschauer unter, die nur dem süßlichen, alles Inhaltlose liebenden Geschmack der Zeit an dieser Stelle glaubhaft sein können. Schon die Titelüberschriften seiner Capitel: „Es klopft an“, „Er ist gekommen“, „Thu’ dich auf!“ „Die ferne Seele“ u. s. w., beweisen des Autors Absichtlichkeit, ein objectives Bewußtsein über den pretiösen Zweck und die zu seiner Erreichung gebrauchten Mittel.

Von Seite 166 jedoch an kehrt dem Dichter sein besserer Genius zurück. Nehmen wir die pretiöse „Silbertrab“-Episode, ohnehin Nachahmung einer Gottfried Keller’schen Situation, aus, so wächst von da ab seine alte Kraft und reißt uns, da es zugleich zu Lust und Freude geht, in mächtiger und gesunder Umarmung fort. Worin liegt hier plötzlich der unwiderstehliche Zauber? Darin, daß die Situation wirklich ein untergeordnetes Magdthum seiner Heldin nothwendig mitsichbringt. Stört auch da und dort wieder jenes altkluge und vorwitzige „Hör’ du, das mußt du nicht thun!“ u. s. w. - so verschwinden diese gesuchten Bewußtheiten doch gegen die nun sich nothwendig ergebende Wahrheit der anderweitigen Umstände und trefflichgezeichneten Personen.

Als wir jedoch die Erzählung zu Ende hatten, war es uns bei alledem, wie wir bei dieser ganzen Literatur des Realismus immer empfinden. Die Drehorgel schweigt und die Figuren, die durch den innern Mechanismus des Kastens oben auf seinem Deckel tanzen, stehen plötzlich in schreckhafter Wirklichkeit mit derselben lachenden Miene, dem aufgehobenen Beine, eben ansetzend zum Tanz, eben den Mund öffnend zum Sprechen, stumm und starr vor uns. Es ist uns nur etwas vorgespielt und vorgejodelt worden. Es fehlt der Nachklang der Wahrheit! Die angeregte Phantasie ist übersättigt; sie kann, da sie zu viel, zu Objectives, zu daguerreotypisch Aufgenommenes empfing, nichts weiter ausspinnen und ins Endlose hinaus sich das Leben und künftige Sein dieser Gestalten mit wahrhaftem Glauben selbst ausmalen. Die tiefe Unwahrheit dieser Literatur, die mit diesem unleugbaren Kennzeichen doch gerade wieder eine so lebhafte Provocation an das Geglaubtwerden verbindet, macht sie eben deshalb auch zu einer Förderung der Reaction. Nur zum Gedankenlosen kann es führen, wenn man die Roheit, die Unbildung, die religiöse Verdumpfung, die Sittenlosigkeit der Bauernwelt nicht mit derselben energischen Hand anfaßt, die ihr doch habt, wenn ihr - auf andern Gebieten aufräumt!

Diese Betrachtung auf Malerei, auf Musik, auf Plastik auszudehnen (wo der Realismus es auch noch dahin bringen wird, daß wir uns seine Schöpfungen eher in Dragée als in Marmor ausgeführt denken müssen), liegt nahe. Doch brechen wir sie für heute ab, um sie gelegentlich wieder aufzunehmen.

Apparat#

Bearbeitung: Wolfgang Rasch, Berlin#

1. Textüberlieferung#

1.1. Handschriften#
1.1.1. Übersicht#

Es sind keine handschriftlichen Überlieferungsträger bekannt.

1.2. Drucke#

Die 1857 in den "Unterhaltungen am häuslichen Herd" erschienene Sammelrezension Die "realistischen" Erzähler ist von Gutzkow gemeinsam mit seinem engsten Mitarbeiter am Blatt Karl Frenzel verfasst worden. Welcher Anteil dabei Gutzkow und welcher Frenzel zukommt, lässt sich im Detail nicht mehr ausmachen. Sicher ist, dass Frenzel zunächst einen ausführlichen Entwurf schrieb, den Gutzkow dann ergänzte und überarbeitete. In Buchform erschien diese Arbeit zu Lebzeiten Gutzkows nicht.

J [Karl Gutzkow u. Karl Frenzel:] Die "realistischen" Erzähler. In: Unterhaltungen am häuslichen Herd. Leipzig. N.F. Bd. 2, Nr. 17, [24. Januar] 1857, S. 270-271. (Rasch 3.57.01.24)

2. Textdarbietung#

2.1. Edierter Text#

J. Der Text folgt in Orthographie und Interpunktion unverändert dem Erstdruck. Textsperrungen werden übernommen. Silbentrennstriche (=) werden durch - wiedergegeben. Die Seitenzählung wird mit Klammern [ ] an den betreffenden Stellen in den Text eingefügt.

Die Liste der Texteingriffe nennt die von dem Herausgeber berichtigten Druckfehler sowie die Emendationen. Fehlende oder überzählige Spatien im Erstdruck wurden stillschweigend korrigiert.

2.1.1. Texteingriffe#

6,18 welch welche

Kommentar#

Der wissenschaftliche Apparat wird hier zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht.