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Tagebuch aus Berlin. I.-XIX.#

Metadaten#

Herausgeber
  1. Wolfgang Rasch
Fassung
1.0
Letzte Bearbeitung
22.10.2021
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369 Tagebuch aus Berlin. #

I.#

– – – Die geistige Stimmung Berlins fand ich sehr verändert. Sollten die kirchlichen Ereignisse wohl dazu beigetragen haben, daß das Urtheil klarer, das Auge fernsichtiger wurde? Ich erstaunte, daß man in der Vorstellung des Schauspiels: „die Modernen,“ weder gehässige Bezeichnungen für neuere Tendenzen, noch im Faust diejenigen Stellen beklatschte, wo Goethe den Dichter dem Geheimenrathe opferte. Der Pietismus sogar wird auf der Bühne persiflirt; Berlin scheint sich wieder in seiner historischen Stellung zu fühlen und hat durch den Kampf, den es gegen einen Theil Deutschlands und Rom zu bestehen hatte, viel an Energie und begründetem Selbstbewußtseyn gewonnen.

– – – Von Friedrich von Heyden, der in die Urania zuweilen eine Novelle liefert, gab man ein mehr zum Lust- als Schauspiel neigendes Drama: die Modernen. Man kann es nur billigen, wenn sich der Theaterdichter der Tendenzen des Tages bemächtigt und von der Bühne herab auf die richtige Lösung derselben zu wirken sucht. Dann muß aber auch der Standpunkt des Dichters ein freierer seyn, als auf welchem wir den Vf. dieses Dramas antrafen. Nicht bloß die Anklage mußte mit sichtbarer Vorliebe ausgemalt werden, sondern ebenso auch die Vertheidigung. Es ist nichts widerwärtiger, als die Bühne in eine Polizeistube verwandelt zu sehen, wo meist nur eine Parthei Recht hat. Der Dichter würdigt sich zum Büttel herab, wenn er so wie hier blind in den Tag hinein dem Modernen zwar im Allgemeinen ein Recht, da zu seyn, einräumt, im Einzelnen aber jede Manifestation desselben lächerlich, ja gefährlich findet. Da ist auch nicht ein einziger Repräsentant in dem ganzen Drama, der würdig für das Moderne aufträte und jene Berechtigung, die der Autor dem Modernen doch im Allgemeinen einräumt, anschaulich machte. Ehe nicht ein Dramendichter kommt, der, begabt mit der feinsten Dialektik und allen Vortheilen einer reichen psychologischen Erfahrung, die modernen Tendenzen aus dem Seelischen im Menschen zu entwickeln versteht, ehe nicht ein Dichter diese Fragen aus höherm Gesichtspunkt ableitet und in seinen modernen Figuren die mannichfach schattirten Coëfficienten eines Begriffs hinstellt, wird auch die Darstellung des Modernen auf der Bühne immer langweilig, karrikirt und sogar anstößig und verletzend wirken.

Das Drama: die Modernen, ist außer einer Beleidigung der Tendenz auch eine Beleidigung des Geschmacks und der gesunden Vernunft. Ein junges emanzipationssüchtiges Mädchen wird in diesem Stücke, um nebenbei den Bewerbungen eines ihr verhaßten Freiers zu entgehen, – man rathe: Nätherin? Köchin? Courtisane? Nein, sie wird Jokey, sie zieht Inexpressibles an, putzt Stiefeln und führt Nachmittags, wenn die Sonne scheint, die jungen Hunde ihres Gebieters spazieren. Die Hauptideen des Victor Hugo’schen Ruy Blas sind in diesem Drama lustspielartig benutzt. Dieser weibliche Ruy Blas findet seinen Don Sallust, der ihn zu einer Rache benutzt, die zuletzt in eine Heirath ausläuft. Das Fabelhafte in der Struktur dieses Lustspiels ist mir am meisten aufgefallen, oder richtiger gesagt, die leichte Art, mit der das Publikum darüber 370 hinwegging. An dem Grundgedanken, daß ein gebildetes zartfühlendes Mädchen aus irre geleiteten Ideen – Bedienter wird, würde z. B. in Hamburg dies Drama unfehlbar scheitern. Man scheint also in Berlin der Erfindungsfreiheit mehr einzuräumen, als anderswo; man scheint für die erste Bedingung des vorzugsweis modernen Dramas: Wahrscheinlichkeit, wenig Sinn zu haben. Mit bester Laune gab man sich der Combination des Dichters hin und wurde erst da verstimmt, als die Intrigue nachließ und statt einer motivirten Katastrophe die gewöhnlichen Roman- und Drameningredienzien, fehlende 3000 Thaler, Wechselarrest, versetzte Juwelen u. s. w. eintraten. Um fehlende 3000 Thaler ein Drama! Wie oft wollt’ ich da Gegenstand einer zu Thränen rührenden Tragödie seyn!

Gespielt wurde mit einer für mich überraschenden Präzision. Wer in Hamburg beobachtet hat, mit welch fieberhafter Erregtheit dem strengsten aller dramatischen Richterstühle, dem Hamburger Publikum, Novitäten von den Schauspielern vorgeführt werden, der muß Künstler glücklich preisen, die so wie hier von dem Bewußtseyn getragen werden, daß die eigentliche Kritik über das Stück sie selbst und die Räume des Theaters wenig betrifft, sondern in den Blättern ausgefochten wird. Dies Gefühl giebt dem Spiele eine behaglichere Sicherheit, als man sie in Hamburg antrifft, wo der Schauspieler bei einem neuen Stück wie auf Tod und Leben von den Mienen und den Hand-, Fuß- und Mundbewegungen des versammelten strengen Auditoriums abhängig ist.

Charlotte von Hagn spielte den emancipirten androgynen Jokey mit der sinnigsten Berechnung. Man hat an dieser Künstlerin noch nie das Correkte ihrer Zeichnungen genug hervorgehoben. Das Genre, in welchem sie am gefeiertsten ist, fordert sonst sehr stark zum Irrlichteliren auf; Charlotte von Hagn ist dagegen grade in ihrem Aplomb ausgezeichnet. Jedes Schrittes auf der Bühne ist sie sich, ohne Gezwungenheit, bewußt; alle ihre Bewegungen von einer Seite der Bühne zur andern sind von dem feinsten Gefühl für Symmetrie eingegeben; sie berechnet Distancen, sie ist in ihren aufgeregtesten Stellungen sicher und nach ächter Künstlerweise prämeditirt. Daß man in solchen Berechnungen auch zu weit gehen kann, bewies Herr Rott als Graf Santarelli (eine Art Posert). Hier war, wenn nicht zuviel Nüance, doch zuviel Nachdruck auf jede einzelne. Herr Rott konnte mir den Tag zuvor als alter Dessauer in „vor hundert Jahren“ nicht genügen, denn er gab diesen Perückenhelden beinahe wie einen Wallenstein; aber den Santarelli hatte er sich gut zurechtgelegt, die Appretur war sehr gelungen, selbst bis auf’s Ensemble, das über der Unmasse von Einzelheiten nicht verloren ging. Der Fehler lag nur in dem zu grellen Hervorheben der Einzelheiten, in der allzudeutlichen Absicht, auf Effekt zu spielen. Herr Rott ließ ordentlich Lücken für den Applaus offen, und wenn dieser ausbleibt, so geht gewöhnlich durchs Theater, wie durch eine plötzlich still werdende große Gesellschaft ein Engel, wie man zu sagen pflegt, aber in unserm Falle ein Engel mit umgekehrter Fackel, ein trauernder Engel. Indessen hoff’ ich, diesen soviel besprochenen Schauspieler, dessen Mittel in der deutschen Schauspielerwelt fast sprichwörtlich geworden sind, noch öfter während meines Hierseyns studieren zu können.

II.#

– – – Sie wissen, welchen großen Werth ich immer auf Seydelmann’s Mephistopheles lege. Ich sah seit sechs Jahren mehre Teufel auf der Bühne, aber der Seydelmann’sche behielt bei mir den Vorrang. Man gab hier gestern im Opernhause Goethe’s Faust und ich drängte mich durch die strömende Menschenmasse mit dem banglichen Gefühle, daß ich vielleicht den ersten Eindruck des Mephisto auf der Bühne dem ersten Darsteller desselben, den ich sah, hätte zu Gute kommen lassen, und daß die Nicht-Genüge, die ich an andern Darstellern fand, vielleicht eine Ungerechtigkeit gegen sie war; denn auch an Teufel kann man sich gewöhnen (die Ehe beweist es): nur der Erste flößt Furcht und Schrecken ein. Indessen meine Besorgniß bestätigte sich nicht. Ich will nicht leugnen, daß meine reifere dramaturgische Erfahrung mir vieles zeigte, was ich jetzt nicht mehr an diesem Seydelmann’schen Mephisto billigen würde, allein die Consequenz der Auffassung und das Grundwesentliche in ihr verdient doch noch immer alle Achtung. Ich fand, daß Seydelmann diese Aufgabe jetzt mit mehr Virtuosität löste, als vor sieben Jahren, wo ihm die Rolle selbst noch neu war. Er hatte sie jetzt in der Tasche und spielte sie, während er sie früher schuf. Die Übergänge haben sich abgeschliffen, die ganze Behandlung des Charakters ist leichter und behender geworden. Ich kann allerdings nicht sagen, daß diese Veränderung eine durchgängig vortheilhafte ist. Das Materielle, das mir sonst an dem Seydelmann’schen Mephisto gefiel, war ausgestoßen und nur jenes Blasen und Athmen war geblieben, das die Feuerseele und die Gebundenheit an das 371 heiße Element so schön bezeichnet. Da diese Nüance aber etwas isolirt steht, so hat sie auch die organische Nothwendigkeit verloren und wird in dem Augenblick, wo Mephisto das Zimmer Gretchens mit Qualm vollbläst, nur eine Comödianterei; denn dies Blasen soll kein mechanisches, sondern ein organisches Beiwerk an ihm seyn. Gretchen muß die Luft im Zimmer schon dadurch, daß Mephisto überhaupt d’rin war, schwül finden; Schwüle hineinzublasen, das ist eine Inconsequenz in der Auffassung, die ich nur deßhalb rüge, weil sie mir sonst, als Inconsequenz, ziemlich allein zu stehen schien.

373 Sollte sich Seydelmann ferner von dem Interesse, welches der Gedankeninhalt seiner Rolle einflößt, nicht fortreißen lassen und dem Ironisch-Satyrischen des Dialogs das dramatische Totalbild zum Theil geopfert haben? Wenigstens schien es mir, als hätte sein Mephisto etwas vom Diabolischen eingebüßt und dafür mehr vom Professor angenommen. Daß Mephisto mit Faust wie die Katze mit der Maus spielt, ist nicht unwahr; aber wenn Teufel spielen, muß es doch für uns Menschen immer ein höllischer Ernst seyn. Auch geht bei dem bloßen Spielen und Bonmotisiren das Dramatische verloren: die Fäden, die den Charakter als solchen zusammenhalten, lassen nach; da der Aufwand der Kräfte, den Mephisto zu einem Zwecke macht, gering scheint, so verliert die endlich erreichte Absicht von ihrer colossalen Wirkung und das Ganze bekommt den Eindruck eines sehr geistreich ausgefüllten dramatischen Leseabends, nicht mehr den Eindruck der Bühne mit ihrem Blick in das Welt- und Menschengetriebe, in Hohes und Niedriges, in Zeitliches und Ewiges. Um es mit einem Worte zu sagen: Seydelmann sollte auf seinen etwas abgespielten Mephisto als Motto setzen:

Bin des trocknen Tons nun herzlich satt,
Will wieder ganz den Teufel spielen!

Er muß auffrischen, er muß auf das etwas verblaßte Colorit neue Farbe legen.

Ich weiß wohl, daß der treffliche Künstler mit seinem Mephisto einen schweren Stand in Berlin hatte. In einer Residenz, wo der verstorbene Herzog Karl von Mecklenburg den Teufel bei einem dramatischen Privatvergnügen des Hofes im Claque, schwarzen Frack und seidenen Strümpfen spielte, war es schwer, die „Spottgeburt aus Dreck und Feuer“ geltend zu machen. Man will, glaub’ ich, hier den Teufel so civilisirt wie möglich haben, mehr den Junker Voland mit der Hahnenfeder, den „Herrn Baron,“ als den furchtbaren Elementargeist, der nicht bloß der Teufel, sondern auch die Hölle ist. Allein die Consequenz eines so geistreichen Künstlers, wie Seydelmann ist, muß zuletzt jeder Anfeindung imponiren. Man würde bald zu der Überzeugung kommen, daß der Mephisto der Göschel’schen Commentare und der Hothoschen Vorlesungen nicht der der Bühne, der einem Drama eingerahmte Mephisto seyn kann; man würde endlich, wenn Seydelmann von seinen elastischen Druckfedern etwas nachgäbe, sich bald eingestehen, daß man etwas vermißt; wie ich denn schon eingestehe, etwas an diesem Bilde vermißt zu haben. Jedoch einem Künstler, wie Seydelmann, wird es leicht werden, sich aus dem bloß rhetorischen Theile seiner Rolle aufzuraffen und aus einem satanischen Bonmotisten wieder ein „ganzer Teufel“ zu werden.

Für die Lösung der schweren, vor Jahren in Berlin unmöglich scheinenden Aufgabe, den Faust auf die königl. Bühne zu bringen, verdient Seydelmann den lebhaftesten Dank. Radziwill hieß der Paß, unter dem man ein an sozialen Anspielungen so reiches Gedicht einschwärzte. In den lyrischen Stellen wird die Composition dieses Fürsten zu Hülfe genommen; nur hätte auch hierin mit mehr Takt verfahren seyn sollen, als sich z. B. im ersten Auftreten des Erdgeistes zeigte. Während bisher alles gesprochen wurde, fängt dieser plötzlich zu singen an, 374 wofür man keinen Grund sieht. Dieser plötzliche Übergang aus dem Schauspiel in die Oper mußte melodramatisch vermittelt werden. Die Scenerie bei dieser Vorstellung verdient alle Anerkennung; mehre Prospekte sind neu und selbst die alten (mit Ausnahme einer Wiesengegend, die so prosaisch ist, daß sie hinter Pankow und Schönhausen aufgenommen scheint,) waren passend ausgewählt. Daß in Fausts chemischem Laboratorium Instrumente standen, die vor drei hundert Jahren noch nicht existirten, schien selbst den Teufel zu verwundern, der ein Frauenhofersches Fernglas mit zweifelnder Ironie betrachtete. Die Glockenzüge bei der Verwandlung klingelten gar zu laut. Man glaubte regelmäßig in einer katholischen Kirche zu seyn und die Klingel des Ministranten zu hören, die zur Kniebeugung auffordert. Sonst bemerkte man in Costüme und Comparserie durchaus jene wohlthuende Disposition über große Massen: nirgend etwas Knappes, nirgend eine ungefähre Andeutung, der die Phantasie des Zuschauers zu Hülfe kommen muß. Die Hexenküche war trefflich arrangirt: wenn auch Herr Wiehl als Hexe einen zu gewagten Anblick bot und in seiner Verkleidung für den Ernst der Scene eine komische Klippe zu werden drohte. Wahrscheinlich wollen die Damen des Personals sich nicht dazu hergeben, Hexen zu spielen? Die Intendanz müßte loosen, oder die Rolle in der Reihe herum spielen lassen.

Über die persönlichen Leistungen der Darsteller ließe sich viel sagen: ich erwähne nur Herrn Grua als Faust und Charlotte von Hagn als Gretchen. Für die lyrische Wehmuth des Faust ist Herr Grua mehr geschaffen, als für die dämonisch imponirenden Regungen dieses Titanen. Das Organ des Herrn Grua ist weich, beinahe weichlich; nur in Affektstellen erhebt sich die Intensität seiner Stimme zu einem schönen und kräftigen Metalltone. Da Herr Grua meist in Erfassung seiner Rollen weich ist, so konnte auch der Contrast des plötzlich jung und verliebt werdenden finstern Stubenhockers nicht grell genug hervortreten. Vollends Wunder nahm es mich, daß ein so besonnener Künstler, wie Herr Grua, in dem Augenblick, als aus dem Pudel der höllische Kern hervorspringt, nicht mehr Betroffenheit, nicht mehr Entsetzen zeigte. Man sieht nicht alle Tage aus einem Pudel einen Menschen springen: nicht alle Tage kündigen sich menschliche Gestalten geradezu als die Boten der Hölle an. Hier mußte Herr Grua auf Miene, Wort und Haltung die Färbung eines haarsträubenden Entsetzens legen. Mephisto selbst, so kühl aufgenommen, verliert gleich bei seinem ersten Auftreten alles Schreckhafte, das er für die Phantasie während des ganzen Gedichtes behalten muß.

Das Gretchen der Hagn ist eine kecke, resolute Zeichnung. Während sich manche Schauspielerinnen darin gefallen, in Gretchen einen Himmel von Unschuld und eine durch Zufall Schuldige zu geben, giebt uns die Hagn weit mehr von dem, wofür sie von ihrem sterbenden Bruder gescholten wird. Und mit Recht. Gretchen soll diesen naiven Übergang aus der Unschuld in die Sünde darstellen: sie ist keine Betrogene, keine Verführte, sondern sie kam auf halbem Wege der Verführung schon entgegen: sie ist das weibliche Laster, dargestellt mit jener wehmüthigen Entschuldigung, die wir den Verirrungen eines schwachen Geschlechts müssen angedeihen lassen. Gretchen ist verbuhlt. Ihre Phantasieen im Kerker bezeugen dies. Sie hat sich von der Sünde nicht bloß die Erinnerung der Reue, sondern auch noch die Erinnerung der Lust erhalten. So dachte sie Goethe; so stellte sie die Hagn in den Übergängen und Steigerungen der Parthie mit vieler Virtuosität dar.

Die ersten Scenen gleich mit dem Schmucke, dem Besuche bei der Nachbarin, waren vortrefflich der weiblichen Natur abgelauscht. Die nachlässige Art, wie Gretchen den König in Thule singt, (andere Darstellerinnen verfallen hier leicht in den Fehler, dies Lied so pretentiös zu singen, wie Preziosa ihr „Einsam bin ich nicht alleine!“) die Gartenscene – alles sehr durchdacht und wahr. Die Frage: „Sag’ Heinrich, wie hältst Du’s mit der Religion?“ mußte wohl ein wenig ängstlicher herauskommen. Die Ohnmacht und das Knieen an der Leiche des Bruders waren nicht gut arrangirt. Der Geist, als das bösgewordene bessere Selbst Gretchens, war in einer Kutte sehr unpassend costümirt. Gretchens besseres Selbst, selbst wenn es gefallen ist, trägt nicht grauen Flanell. Warum läßt man aber nicht den Geist (wie in Raupachs Tasso) aus Gretchen selbst reden? Die Schauspielerin bekäme dabei eine schöne Gelegenheit, ihr Talent zu zeigen, und die Schlußohnmacht: „Nachbarin, ihr Fläschchen!“ käme mehr aus der physischen Erschöpfung einer Ekstatischen und machte die Scene abgerundeter. Für den letzten Akt besaß Fräulein von Hagn mehr geniale Inspiration, als erklügelte Berechnung. Sie löste die außerordentlich schwere Wahnsinnsscene mit blendenden Einzelheiten; doch fiel mir am meisten auf, daß eine auf ästhetische Schönheit alles gebende Künstlerin, wie Fräulein von Hagn, nicht die Scala ihrer Stimme mehr berechnete, als sie that. Entsetzenslaute, die man auf der Bühne 375 ausstößt, dürfen doch niemals über das natürliche Register in der Stimme des Darstellers hinausgehen. Wenn die junge Künstlerin für Situationen so peinlicher Art in der Höhe keine Töne hat, die für das Ohr angenehm klingen, so müßte sie auf ein Surrogat denken. Ein Schauspieler, der bei gewissen Momenten das Überspringen seines Tons zu fürchten hat, muß Vorkehrungen treffen, um nicht in die gefährliche Tonlage, wo seine Stimme nicht ausreicht, zu kommen, und eher in der Tiefe suchen, was ihm die Stimme in der Höhe versagt. Die frappanteste Wahrheit verfehlt auf der Bühne ihre Wirkung, wenn sie nicht auch von den Gesetzen der Schönheit gemodelt ist.

378 III.#

– – – – Raupach scheint jetzt Berlin gegenüber einen schweren Stand zu haben. Selbst seine Freunde fühlen sich in der Theilnahme, die sie ihm sonst zu schenken pflegten, erschöpft. Und doch find’ ich, daß seine neuern Sachen nicht schlechter sind, als die früheren, daß sie denselben Zuschnitt haben und dieselbe Kenntniß der Bühneneffekte verrathen. Sollte vielleicht die sehr glückliche Stellung dieses Mannes beneidet werden? Raupach hat von der königl. Bühne einen jährlichen Gehalt von 600 Thalern und bezieht für jeden Akt seiner Dramen außerdem noch 50 Thaler. Seine Dramen müssen zwar nicht angenommen werden, aber sie werden es fast immer, jedenfalls wird jedes angenommene Stück außerordentlich begünstigt und kann auf schnellste Erledigung rechnen. Wie schöne Kräfte könnten nicht für die Bühne gewonnen werden, wenn man andern dramatischen Talenten nur einen Theil dieser Begünstigungen zuwendete! Denn nur aus einem intimen Anschließen an eine Bühne, die willfährig selbst schwächere Versuche darstellte, kann Lust und Kraft für’s Theater gezeitigt werden. Wird man seiner Fehler nicht ansichtig, so lernt man niemals, sie vermeiden. Daß Raupachs Stellung für die in der dramatischen Literatur aufkeimende Bewegung hemmend ist, liegt auf der Hand. Seine weitbauschigen Dramen werden an der hiesigen Bühne nach alten eingegangenen Verpflichtungen bevorzugt und jährlich nur vier solcher Dramen – und den Andern ist die Hälfte der Theater-Abende und Memorial-Vormittage entzogen.

Eine Frage ist auch die: Was treibt Raupach, Dramen zu schreiben? Der Ehrgeiz, sich als Theater-Dichter zu bewähren? Nein, er ist dafür anerkannt. Eine innere Nothwendigkeit, ein Drang des Nichtlassenkönnen? Das schon eher: ich glaube sogar, daß Raupach nach dem Maaß seiner Kräfte von seinen Stoffen begeistert ist. Nun wird man ihm doch gewiß noch 10 Jahre gönnen müssen: auf jedes Jahr 4 Dramen: macht die Aussicht, aus seinem unverwüstlichen Schaffenstrieb noch 40 Dramen zu erhalten! Sollt’ es nicht da eine Grenze geben? Besäße Raupach die Vielseitigkeit eines Kotzebue, dann wäre die Aussicht minder abschreckend. Allein immer derselbe Stelzengang Schillerscher Geschichtsauffassung, immer dieselben den Schauspielern desselben Theaters auf den Leib zugeschnittenen Charaktere – man muß das Publikum bedauern, weil es bei aller Mannichfaltigkeit doch im Grunde nichts Neues sieht, und die Schauspieler, weil sie die Kraft ihres Gedächtnisses an das nur allzuleicht Vergängliche verschwenden.

Von der innern Structur des Boris Godunow können Anfänger lernen, wie gewöhnlich und weniger als mittelmäßig auch sonst dieses Drama ist. Um einen rohen naturschlächtigen russischen Czaar der dramatischen Behandlung würdiger zu machen, erhebt ihn Raupach zu einem Philosophen, wenn man Atheismus Philosophie nennen kann. Er läßt diesen Russen, der vielleicht nicht 379 lesen und schreiben konnte, als Prototyp einer Idee aufstehen, in der allerdings eine, keinesweges von dem loyalen Herrn Professor ausgeführte Ironie liegt auf das russische Czaarenthum. Ich regiere die Welt! So lautet ungefähr die Idee, mit der Boris sie sich unterthan macht und mit der er von der Erde scheidet, da er erkennen muß, daß es einen Gott giebt. Ich gestehe, es trivial zu finden, daß man um einer solchen Idee wegen: es giebt einen Gott! ein Trauerspiel schreibt. Aber Boris ist auch inconsequent. Er ist abergläubisch und Atheist zu gleicher Zeit. Er glaubt an Wunder und Ahnungen, ohne an Gott zu glauben. Wie läßt sich das in einem Menschen zusammenreimen? Boris ist eine Art Wallenstein, wenigstens hat er in seinem Arzt Fiedler eine Art Seni um sich, seine Tochter Xenia (von Clara Stich gar lieb und hold dargestellt) ist eine mattherzige Copie der Thekla (sie sagt sogar wörtlich mit Thekla übereinstimmend: so ist also das Schöne auf der Erde bestimmt, zu sterben!) Der Prinz, ihr Verlobter, ist nichts als Max Piccolomini; er lebt, wie Max, er stirbt, wie Max, er wird beweint, wie Max.

In die Geschichte des Boris ist die des falschen Demetrius verwebt. Man hat sehr wahr darauf aufmerksam gemacht, daß dieser dadurch von Raupach als ganz gemeiner Betrüger hingestellt ist, daß er ihn mit dem Bewußtseyn seiner Unächtheit sogleich auftreten läßt. Ein Prätendent dieser Art ist nur dramatisch, wenn die Aufklärung später kommt, als seine Geschichte. Er mußte, im äußersten Falle wenigstens einige Akte hindurch, das scheinen, was er seyn will, vielleicht selbst glauben, was er zu seyn vorgiebt. Es ist kaum denkbar, wie einem so geschickten Bühnenpraktikanten, wie Raupach, diese Bemerkung entgehen konnte. Fast wird man versucht, anzunehmen, daß er lediglich nur auf den Effekt spekulirte, den es machen würde, wenn Marfa, die Mutter des ächten Demetrius, nun plötzlich den unächten, aus halbwahnsinniger Mutterliebe und Rache adoptirt. Es ist wahr, der Effekt hat schon bei Schiller eine ergreifende Wirkung (zumal wenn er so schön benutzt wird, als es von Mad. Crelinger geschieht); aber seine Faktoren sind widerwärtig. Im Übrigen trägt das ganze Stück den Charakter einer Staats-Aktion. Personen gehen und kommen, laufen und rennen und keine von ihnen ist zu sonst etwas nütze, als dreien Figuren zur Staffage zu dienen.

Seydelmann spielt den Boris mit jener verhaltenen Kraft, jener Verschlossenheit und dämonischen Haltung, die Raupach jedenfalls in diesen Charakter gelegt wissen wollte. Es gehört zu der würdigen Lösung dieser Aufgabe mehr physischer als geistiger Aufwand. Die hohen Töne, die Seydelmann in Affektstellen eigen sind und an die sich das Ohr wie an Alles, was mehr charakteristisch als schön ist, gewöhnen muß, eignen sich in dieser Rolle recht als Ausdruck einer noch an die Natur gebundenen, ursprünglichen Existenz, wie man sie dem Boris trotz seiner Philosopheme zuschreiben muß. In der auch scenisch sehr gut arrangirten Situation vor der Czaarenburg (im fünften Akt) verfehlte Seydelmann die rhetorische Wirkung nicht; auch seine letzten Momente blieben nicht ohne erschütternden Nachhall. Dann und wann würden wir diesem Zweifler im Tone ein wenig mehr Bitterkeit gewünscht haben.

Als ich das Haus verließ, machte ich zwei Bemerkungen. Erst mußte ich über die Äußerung eines Galleriebillets nachdenken, das zu einem Andern sagte: „Aber ik bitte Dir um Jottes willen, des Stick hat ja jar keinen Schluß nich!“ Ehrliches Galleriebillet, Du hast Recht! Warte jedoch vorläufig auf die noch kommenden zwei andern Tragödien dieser russischen Trilogie! Und doch – auch so hast Du Recht! Dies kräftige Abgehen eines Mannes, der so eben einen Becher voll Gift getrunken hat, dies ruhige Nachsehen eines Arztes, der sich nicht beeilt, schnell ein Vomitiv zu verschreiben, die Möglichkeit, daß das Gift nicht Arsenik, sondern doch vielleicht nur gestoßener Zucker war, oder daß Boris Godunow einen à la Mithridates gegen Gift ausgepichten Magen hätte – nein, es ist schrecklich, für sieben und einen halben Silbergroschen, welche ein Galleriebillet kostet, darüber keine Aufklärung zu bekommen. Jedenfalls hätten wir von dem Gift ein wenig Schweiß auf der Stirne als Wirkung sehen, oder Boris hätte sich in ein uns sichtbares Zelt, dessen Vorhänge seinen Tod bedeckten, zurückziehen müssen: kurz irgend etwas Anders hätte der sonderbaren Ungereimtheit abhelfen müssen, daß wir einen Mann, der sich die ganze Blase voll Gift getrunken hat, kecklichen Muthes zwischen den Coulissen abgehen und darauf den Vorhang fallen sehen. Die Bühne soll uns zu rathen, aber nie Räthsel aufgeben.

Die zweite Bemerkung verdankte ich einem Offizier, der mit einem Gefolge von dreißig Cadettenknaben vor mir aus dem Theater herging. Ich lernte daraus, wie man in Berlin dritte Vorstellungen Raupachischer Tragik besucht macht. Wo das Publikum ausbleibt, da gehen dreißig Cadetten in’s Theater und sie geben in einem so 380 kleinen Hause schon einen ansehnlichen Stamm. Es lebe – auch im Interesse der Kunst – das Cadettencorps!

IV.#

– – – – Wissen Sie wohl noch, sagte die Frau vom Hause, eine liebenswürdige junge Mutter, zu dem Componisten des Paulus, der ihr zur Seite saß, wissen Sie wohl noch, wie Sie mir in frühern Jahren einmal abschlugen, einige Takte in einer alten Musik zu ändern?

Jetzt würde ich ändern, soviel Sie wollen, antwortete Mendelssohn. Die Jugend ist so hartnäckig in ihrem Enthusiasmus, damals war ich Rigorist genug, Ihnen mit Empfindlichkeit das Blatt zurückzuschicken. In ältern Jahren wird man gegen so Vieles tolerant, was man in jüngern für ein Sakrilegium gehalten hätte.

Felix Mendelssohn wurzelt in fast allen Städten Deutschlands, besonders aber in Leipzig und Frankfurt fester, als in Berlin, dem ersten Schauplatz seiner Jugend. Felix Mendelssohn gehört zu den wenigen Wunderkindern (als solches wird er auch von Goethe erwähnt), die für ihre Frühreife keinen Nachwinter erlebten, sondern als Mann die Versprechungen des Knaben Wort hielten. Seine Stellung als Direktor der Gewandhausconzerte hat ihn mit moderner Musik befreundeter gemacht, als jener eben erwähnte Kunstrigorismus der Jugend zu gestatten schien. Von Lißzt sprach er mit lebhaftestem Interesse.

– – Ich flog auf der Eisenbahn nach Potsdam. Schade, daß die Berliner nun schon an diese Bereicherung ihres Daseyns gewöhnt sind; es muß komisch gewesen seyn, die ersten Fahrten zu beobachten und die Berliner über diese neue Probe ihres Muthes reden zu hören. Daß der Berliner ein wenig kleinstädtisch ist, leidet keinen Zweifel. Woher soll er großstädtisch seyn? Von einem großen, massenhaften, bewußten Volksleben? Das fehlt ihm. Von dem Wohlstande seiner Bürger? Er ist nur sehr partiell. Vom Adel, dem Hofe? Er ist abgeschlossen von der Masse. Von den Beamten? Die Zahl derer, die nicht über 800 Thaler jährlich zu verzehren haben, ist Legion. Von einer Rivalität mit andern Städten? Berlin hat auf 20 Meilen im Umkreis keine große Stadt. Von Reisen, die die Berliner machen? Eben weil sich eine Reise erst der Mühe verlohnt, wenn man 20 Meilen uninteressanter Wüsteneien hinter sich, d. h. wenn man nach Leipzig oder Magdeburg gekommen ist, so können verhältnißmäßig nur sehr wenig Berliner auf Reisen gehen. Wenn die Eisenbahn nach Leipzig fertig ist, wird Berlin großstädtischer werden. Bis jetzt sind seine Bewohner nur eines beschränkten Sehkreises und müssen durch Naivetät, Neugier und den Schein von Anmaßung (ich sage den Schein; denn meine guten Landsleute sind besser als ihr Ruf) ersetzen, was ihnen an faktischem, großstädtischem Bewußtseyn abgeht.

381 Ich sah einige Akte von Ed. Devrient’s Verirrungen. Da ich an ein markanteres Spiel von Hamburg aus gewöhnt bin, so kam mir wohl nur daher die ganze Auffassung und Wiedergabe dieses Dramas etwas matt vor. Baison als Relling, Lenz als alter Pachter und Brüning als dessen Sohn werden auf der königl. Bühne nicht durchaus erreicht. Herr Devrient selbst, der Verfasser des Stücks, gab sich als Assessor Born durch einen Backenbart und sein ohnehin schmales Gesicht ein Alter, das auf die Phantasie des Zuschauers für diese Rolle nicht angenehm wirkt. Er sagte mir: er wolle absichtlich den Assessor streng, pedantisch und beinahe unliebenswürdig hinstellen. Doch wer würde dann Marianen, auf deren Verirrung das Stück gebaut ist, so Unrecht geben, daß sie ihm die Verbindung aufkündigt? Es ist ein erstes Gesetz für den dramatischen Autor, den Zuschauer nur im Unwesentlichen etwas errathen zu lassen. Im Wesentlichen etwas der eignen Combination des Publikums anheim geben, wird immer mißlich seyn; wer wird glauben, daß der Verfasser der Verirrungen wollte, auch Assessor Born wäre im Unrecht? Damit man dies glaubt, mußte es gesagt werden. Weiß als Kammerrath wirkte durch seine Ruhe und ängstliche Gelassenheit oft recht komisch. Schade, daß die Kränklichkeit dieses in Hamburg noch im besten Andenken stehenden Künstlers ihn verhindert, so oft aufzutreten, als das Publikum ihn zu sehen wünscht. An Ed. Devrient lernte ich übrigens einen eben so unterrichteten, wie vielseitigen Künstler kennen. Ohne durch Gestalt oder Organ besonders begünstigt zu seyn, weiß er sich durch den Ernst, mit dem er seine Charaktere erfaßt, doch eine Achtung gebietende Stellung zu sichern. Vielleicht mag das wissenschaftliche Bewußtseyn, welches er sich über jede seiner Rollen erhält, der thatsächlichen Ausführung etwas vom Schmelz der naiven Ursprünglichkeit nehmen und jenen Instinkt lähmen, mit welchem sein Bruder Emil so wunderbar und groß immer das Richtige und Schöne trifft; allein an einer Kunstanstalt, wie die königliche, ist es wohl zulässig, einen Schauspieler an ihr wirken zu sehen, der auf die nur zu leicht in Naturalismus ausartenden Bestrebungen mancher seiner Collegen durch die Hemmkraft der Reflexion heilsam wirkt und das Theoretische der Schauspielkunst würdig vertritt. Wie sehr Ed. Devrient von seinem Pariser Aufenthalte Vortheil gezogen, sah ich recht in der Oper: Maurer und Schlosser, wo er die Manieren eines Pariser Epiciers mit einem sehr glücklichen Humor treu und täuschend wiederzugeben wußte.

V.#

– – – Ich bin Ihnen noch einen Bericht über eine Vorstellung Nathans des Weisen schuldig. Da Lessing für dieses Gedicht auf dramatische Darstellung verzichtete, und dem Schauspieler keine Winke gab, so ist es schwer, über eine richtige Auffassung des Nathan zu schreiben. Seitdem dieses herrliche, an Gemüths- und Verstandesleben so reiche Werk auf der deutschen Bühne heimisch ist, gefällt man sich darin, den idealen Charakter Nathans hervorzuheben und seine Realität als Jude, seine Nationalität fallen zu lassen. Einige Darsteller entschlossen sich, ihm wenigstens annäherungsweise eine ungefähre orientalische Färbung (in matterem Licht jedoch) zu geben: 382 nur einen sah ich, der ganz Jude war, Th. Döring in Stuttgart.

Seydelmann, der sich rein an die ideale Bedeutung des Nathan, als eines weisen Mannes, hält, und das Jüdische nur in einer gewissen Gedrücktheit verräth, berief sich, als ich ihn um Aufklärung bat, auf die Tradition. Ich kann mir diese Tradition nur daraus erklären, daß die Juden den Helden ihres Lieblingsdramas, recht im Gegensatz gegen den abscheulichen Shylock, auch dadurch geehrt wissen wollen, daß sie die jüdische Färbung hier getilgt wünschen. Dem Juden ist der Jude auf der Bühne eben so unangenehm, wie dem Pietisten Tartüffe, dem Advokaten der schlechte Advokat, dem Literaten ein Journalist, der sich auf der Bühne bestechen läßt. Die Juden mögen den Nathan nicht jüdeln hören und fragen: Sprechen die Juden denn auch im Orient so das Arabische, wie die polnischen Juden das Deutsche? Die Juden haben, bei ihrem wirklichen Interesse für Kunst, heut zu Tage in Kunstfragen eine große Macht. Es ist für Künstler und Dichter immer mit Unannehmlichkeiten verknüpft, wenn sie noch wagen, auf den Brettern und in Büchern Juden zu schildern, wie sie sind.

Nun kommt aber das eigentlich für die Juden Schmeichelhafte gar nicht heraus, wenn Nathan nur im Allgemeinen ein weiser Mann ist. Die Tendenz des Lessing’schen Werkes war im Allgemeinen, den Werth und die Indifferenz dreier Religionen zu zeichnen, im Besondern aber für eine bessere Anerkennung und Beurtheilung des Judenthums zu wirken. Diesen Zweck wird die Darstellung nie in dem Vollgrade erreichen, wenn sie in Nathan, diesem Weisen und Gefühlvollen, diesem ächt menschlich denkenden Menschen, nicht eben auch wirklich den Juden giebt. Alle die sanften Regungen seines Herzens, seine Wohlthätigkeit und Ehrlichkeit legen nur dann das gewünschte Zeugniß für seine Nation ab, wenn Nathan auch als Vertreter derselben auftritt.

Müßte nicht ferner schon die bekannte Thatsache, daß Lessing im Nathan seinen weisen, wohlthätigen und toleranten Freund Mendelssohn (bis auf das Schachspiel treu) schildern wollte, für die jüdische Färbung sprechen, so sollte doch ohne Weiteres dieser Umstand entscheiden: Der Schauspieler ist ohne den Juden Nathan auch nicht im Stande, die Weisheit des Nathan so zu treffen, wie eben Nathan weise ist. Man lese doch genau, was Lessing seinen Helden sprechen läßt. Wird man nicht durchgängig jene den Juden eigenthümliche Dialektik finden? Bilder, Gleichnisse, Schlüsse, wie sie nur dem Juden eigen sind? Man merkt es in den ersten Zeilen, die Nathan zu sprechen hat, daß er in der talmudischen Denk- und Schlußweise erzogen ist. Nathan ist auch Humorist. Er hat witzige Einfälle. Er kann (bei der Stelle: Kurz und gut – wo ist denn hier das Gut?) selbst in Augenblicken der höchsten Besorgniß nicht unterlassen, seine Befürchtungen in einen Witz zu kleiden. Dies Alles ist so ächt jüdisch, daß es, vom Schauspieler nicht hervorgehoben, für das Ganze wesentlich verloren geht. Die bloß rhetorische Wiedergabe dieses Charakters läßt ihn nie aus einem fahlen Grau heraustreten, so daß selbst eine so im Übrigen durchdachte und würdige Leistung, wie der Nathan Seydelmanns, doch zuletzt eine Monotonie ist.

Der Recha der Dem. Bertha Stich kann man liebliche äußere Erscheinung und jungfräuliche Sittigkeit nicht absprechen. Der liebenswürdig-wunderliche Charakter des Alhafi, der unter der Last der an ihn gemachten Anforderungen in jedem Augenblick zu erliegen droht und für welchen Lessing sicher an einem seiner Schachgenossen ein Original hatte, wurde ganz vergriffen. Herr Gern spielte den Klosterbruder. Dieser Schauspieler wirkt auf mich so komisch, daß ich schon lachen muß, wenn er sich nur zum Reden anschickt; da es Vielen ebenso geht, war es um so unpassender, ihm die Darstellung einer Rolle zu überlassen, in welcher Lessing die rührende, kindlich-einfache Naivetät des Christenglaubens schildern wollte. Alle zarten Tinten des Lessing’schen Gemäldes gingen bei dem grobkomischen Pinsel des Herrn Gern natürlich verloren. Weit mehr würde schon Rüthling hier am Platze gewesen seyn. Ich höre, daß die beiden wackern Komiker in der Rolle alterniren.

385 VI.#

Man fragte mich: Haben Sie die Kritik Ihres Savage in den Hallischen Jahrbüchern gelesen?

Über meine Dramen les’ ich nur Lob und den Tadel durchflieg’ ich obenhin.

Man belachte diese Antwort, die ich jedoch zu erklären suchte: Warum soll ich Tadel lesen, der mich entmuthigen könnte, für die Bühne zu arbeiten? Ich lese den Tadel nicht deßhalb, weil ich mir einbildete, ihn nicht zu verdienen; nein, ich kenne die Fehler, die ich heute mache, morgen selbst nur zu gut; aber ich weiß, daß meine Arbeiten der Bühne dienlich seyn werden; warum soll ich mir die Absicht, für das deutsche Theater zu wirken, durch Menschen verleiden lassen, die vielleicht sehr geistreiche Kritiker und in ihren eigenen Compositionen Stümper sind! Was läßt sich nicht alles gegen ein Stück vorbringen! Wenn ein Drama den Weltlauf schildert, tausend Menschen würden den Weltlauf tausendmal anders haben wollen, so auch ein Drama. Lessing würde sämmtliche Dramen Shakespeare’s so überzeugend haben tadeln können, daß von jedem Einzelnen nichts als ein Skelett von Unwahrscheinlichkeit und Willkür übrig geblieben wäre. Leute, die keine Lessinge sind, können sehr leicht dasselbe thun mit Leuten, die keine Shakespeare sind.

Es entspann sich ein Gespräch über Ruge und die Hallischen Jahrbücher. Die Wörter: Bewußtseyn, Begriff, In sich aufgenommen haben u. s. w. flogen wie Fangbälle hinüber und herüber. Am meisten sagte mir ein Erguß zu, der ungefähr so lautete:

Dieser Ruge ist doch im Grunde nichts, als der selige Nicolai. Hetzt er den Begriff des Protestantismus nicht so zu Tode, wie dieser einst den der Aufklärung? Es ist leicht gesagt: Unsre Hegel’sche Vernunft hat Romantik und dergleichen in sich aufgenommen und auf eine höhere Stufe verklärt! Glauben Sie’s nicht! Es ist eitel Ruhmrednerei. Vorn wollen sie ein Utopien voll lachender Real-Ideal-Durchdringung geben und hinten ist’s doch nur Hinterpommern mit seinen Mehlklößen. Man sieht’s dem Gesindel doch an, daß es die Poesie aus Kartoffeln erst herausschälen muß und daß sie keine Berge gesehen haben. Sehen Sie, Backobst wird, noch so gut auf Hegel’scher Darre gedörrt, niemals so wohlschmeckend, wie die reife Frucht, wenn sie am Baume hängt. Sagen Sie mir, wo in der Polemik dieses Ruge gegen Leo, Tieck, Schlegel und die Romantiker das Wahre aufhört und das Unverschämte anfängt! Die Deutschen sind romantisch und werden’s ihrer Lebtage bleiben. Das Helldunkel bleibt ihnen in der Poesie lieber, als eine Gasflamme, die einen stinkenden Geruch verbreitet. Und das müssen Sie doch sagen, daß Ruge’s Artikel gegen Tieck und die Romantiker Stänkereien sind. Sehen Sie, dieser Ruge hat Manches recht schön wiederholt, was Andere schon vor ihm gesagt hatten und wo man sich nur freuen konnte, daß die Akademieen endlich verriethen, sie wären an so Vielem, was sie äußerlich zu ignoriren schienen, nicht unbetheiligt geblieben. Nun wurden aber gleich die, die schon vor den Hallischen Jahrbüchern die gesunde Vernunft gelehrt hatten, bei Seite gestellt, weil sie’s nur so dilettantisch, so in’s Blaue 386 hinein mit ihrer gesunden Vernunft getrieben hätten, nicht wissenschaftlich! Ich muß lachen über dieses: Wissenschaftlich! Wissen Sie, warum ich hier keinen Maitrank trinke? Weil man ihn flaschenweise verkauft. Am Rhein sammelt man selbst die Kräuter, schüttet auf den duftigen Waldmeister im groß-mächtigen Rundglase den feurigen Vierunddreißiger und schlürft behaglich das duftige Gemisch. Hier les’ ich im Intelligenzblatt: „Bei mir ist Maitrank, die Flasche zu zwölf und einen halben Silbergroschen, zu haben.“ Pfui, wer kann diese Decocte für Maitrank nehmen. Es ist wahr, das ursprüngliche, würzige Getränk am Rhein muß sich zuweilen nachsagen lassen, daß in dem Waldkraute ein kleines Käferchen nicht verlesen war und uns in den Mund schwimmt, wenn wir das Glas ansetzen; aber selbst dies Käferchen der freien, ursprünglichen – dilettantischen Natur ist mir lieber, als die durchgesiebte dickliche Klarheit in den Apothekerflaschen der Wissenschaftlichkeit.

Der Redner gab hier einige Erläuterungen über den am Rhein üblichen Maitrank und einige Refrains, die man bei seinem Genuß zu singen pflegt. Als er die einzelnen Kräuter nannte und bei dem Namen Waldmeister sagte: Sehen Sie, diese Halloren wollen auch den Wald meistern – rief Jemand: Gießen Sie uns noch Etwas Ruge und Echtermeyer auf! Mit Vergnügen, antwortete der Redner und fuhr fort: Ein ganz gescheutes Völkchen haben die beiden Leute um sich versammelt. Es sind meistentheils junge außerordentliche Professoren, die das wissenschaftliche Bewußtseyn der Gegenwart in Auditorien vortragen, welche von kaum drei Zuhörern besucht sind. Ihr Debüt machten sie in den Jahrbüchern gewöhnlich durch die klatschhaftesten Berichte über die innere Organisation derjenigen Universität, an welcher sie bis jetzt vergebens auf Beförderung rechneten. Todtengräber Carové arbeitet mit; Prutz, selbst ein Lyriker, setzt andere Lyriker herab, Doctor Laube wird mit seinem Berliner Gefrornen, seinem Zuständlichen und Bezüglichen für eintrittsfähig gehalten. Es stehen auch wirklich viel geistvolle, meist immer vom Ei anfangende Berichte in diesem unstreitig sehr splendid gedruckten Journale. Aber ist wohl die Renommisterei dieses Ruge zu ertragen? Würde sein stolzes Selbstvertrauen lieber auf tüchtige Werke, als auf seine „Pfanne“ in Halle, lieber auf attisches, als Kochsalz begründet, so hörte man diesem Übermaaß von Lob und diesem Übermaaß von Verdammung wohl noch mit Ergebung in das einmal hergebrachte Schicksal unserer Literatur zu; aber was hat dieser Mann geleistet! Ein Trauerspiel von ihm: Schills Tod, wurde nie erwähnt, seine Novelle: der Novellist, ist trotz dem, daß sie aus einigen Dutzenden „Denkzetteln“ bestand, schon im Keim vergessen. Niemanden regte dieses aphoristische Gemengsel von Provinzialerlebnissen, die nicht einmal den Werth einer Erfindung hatten, an; nur einige an den Jahrbüchern interessirte Mitläufer nahmen Notiz davon. Haben Sie das nicht auch bemerkt?

Ich sagte: Durch nichts wird die Kritik duldsamer, als durch eigene Erfahrungen, wenn sie sich einmal einfallen läßt, produktiv zu werden. Die Geißelriemen für Andre werden dünner, wenn man sie aus dem Leder der eignen Haut schneiden muß. Ein System zur Richtschnur für die Beurtheilung eines Menschen zu machen, ist immer ungerecht; denn selbst der Meister des Systems, erlebten wir ja an Hegel, hatte nicht feinfühlenden Takt genug, immer das Triviale vom Bedeutenden zu unterscheiden, wenn es auf eine praktische Anwendung seiner Theorieen ankam. Nun gar diese Schüler! Die erste Aufgabe aller Kritik nannten weiche Seelen, wie z. B. Franz Horn, Liebe; richtiger ausgedrückt ist das Erste, was Pflicht der Kritik ist, Reproduction. An dieser fehlt es den Hallischen Herren gänzlich! Sie lesen den Titel und verfolgen ohngefähr die Tendenz eines Buches – dann wissen sie gleich, wie es hätte gemacht werden müssen, und wo der Fehler liegen muß, noch ehe sie’s gelesen haben. Den Kopf voll überreifer Abstraktionen und unreifer Produktion, halb Encyklopädisten, halb Belletristen, vom Hundertsten in’s Tausendste angeregt, überschreiten sie immer die bescheidene Linie des Kritikers bei ihren Kritiken: statt zu reconstruiren, was der Autor geben wollte, bauen sie gleich ein Nebengebäude mit einer eignen Perspektive der behandelten Frage, wie sie sie längst scizzenhaft im Kopf trugen. Die ächte, zunächst reproduktive und dann urtheilende Kritik ist schon durch diese ihre Methode bescheiden, eine Eigenschaft, die in dem erwähnten Journale nicht gefunden wird. Irgend eine Individualität an sich herankommen lassen, sie in dem prüfen, was sie zunächst selbst nur seyn will, dieses freie Recht der Persönlichkeit zu gestatten, davon ist bei den Herren keine Rede. Es ist ihnen um ihre geistreiche, construktive Kritik mehr zu thun, als um ihr ehrliches Gewissen. Dabei fehlt ihnen jenes Gentlemanlike, welches dem herbsten Tadel für den, der ihn erleiden muß, immer noch die Versüßung der unangenehmen Thatsache giebt. Der Ton ist oft roh, zuweilen unverschämt, immer aber ohne jene innere Gediegenheit 387 des Gemüths, die selbst bei dem tadelndsten Ausspruche eine gewisse Humanität nicht verläugnen kann. Die französische Kritik ist darin ausgezeichnet. Der Franzose hat kein Wort für Gemüth, aber oft von der Sache mehr, wie der Deutsche.

Es war nun angenehm, zu sehen, wie sich in dem Freundeskreis allmälig die Empfindungen lösten. Vor der Polizei und Kritikern haben die Deutschen große Furcht. Was haben, hieß es, die so pomphaft angekündigten Hallischen Jahrbücher nun wohl geleistet? Sie bestehen fast drei Jahre und werden in ihrer Außenwirkung immer unbedeutender. Man konnte ihrem Prospectus zufolge Positives von ihnen erwarten, und nichts Positives haben sie durchgesetzt, als was innerhalb der Hegelschen Schule schon längst als solches an- und ausgesprochen gewesen. Haben sie eine bedeutende philosophische oder poetische Fähigkeit an’s Licht gezogen? Nein. Wir wüßten keinen Autor, dem sie eine umfassendere Anerkennung erobert hätten. Einigen ungelesenen Hegelianern haben sie ihr Bedauern ausgedrückt, daß sie keine Verleger finden könnten, z. B. dem längst als ebenso geistvoll wie confus anerkannten Feuerbach. Nur einige Schwaben benutzten dies Organ zu reellerem Vortheil und brachten einige heimische Landpfarrer mit ihren Gedichten zu erweiterter Anerkennung. Das ist Alles. Sonst kam jedes Lob nur der Schule, der Innung zu Gute oder denen, die man sich schmeichelte, für sie zu gewinnen. Den Glanz manches Namens hätte man so gern als Verbrämung auf die Toga der isolirten Zunft gehabt. Da segnete man denn, da sprach man einige Male heilig. Das war Alles. Und wie wenig ist dies in einer Zeit, wo so manche falsche Größe die Entwickelung der wahren, aber verborgenen überwuchert, wo ein Organ, das die Indifferenz der Masse in den Pol einer regeren Antheilnahme zwingen sollte, recht ein Bedürfniß war: wo es so viele Individuen zu retten, Tendenzen zu sichten und zu beleuchten gab, wo ein der Kritik gewidmetes so umfangreiches neues Institut mit einem Zauberschlage das Wahre vom Falschen, das Genie von der Anmaßung, die Zukunft von einer verworrenen Gegenwart hätte sondern können. Daß natürlich zur Lösung einer solchen Aufgabe eine ganz andere Behandlungsweise gehörte, als schon in der rüpelhaften, ultrasubjektiven Sprache dieses Ruge liegt, versteht sich von selbst.

Man fuhr fort: Wie für die Personen in den Hallischen Jahrbüchern (wozu dieser Name, den sich die Hallische Universität verbitten sollte?) nichts geschah, eben so wenig geschah für die Sachen. Was hat sich denn nun wohl eigentlich aus diesem bis zum Ekel ausgesponnenen Kampf gegen Leo als Endresultat herausgestellt? Es ist wahr, Leo ist unterlegen; aber doch mehr dem Skandal, als der wissenschaftlichen Diskussion. Ruge ließ Persönlichkeiten in seinem Blatte über die Hallische Universität abdrucken, die Leo, einen an eine andre Art der Polemik gewöhnten Mann stutzig machen mußten. Und würde Leo nicht auch von den vielen andern Stimmen, die ihn in seinen wunderlichen Sympathieen widerlegten, überwunden seyn? Darum brauchten diese unausstehlichen, endlosen Artikel über Preußen, Protestantismus, Romantik u. s. w. nicht die Lektüre des aufkeimenden Blattes so langweilig zu machen. Aus der outrirten Ausdehnung dieses Kampfes ist als Tendenz der Hallischen Jahrbücher ein förmlicher Illuminatismus zurückgeblieben, so daß wir nächstens in ihnen eine Apologie Biester’s und Gedike’s und den Vorschlag zu einer neuen Auflage der Berliner Monatsschrift lesen werden. Ja, es war etwas Gutes in dieser alten Richtung. Unfehlbar. Aber daraus ein so capricirtes Zugeständniß zu machen, wie dies in jenem Blatt geschieht, das wird Einem unversehends unter der Hand zur Karrikatur. Wie Sie schon vorhin sagten: Wir kommen immer wieder zurück auf Pommern und auf die Mehlklöße.

Man lachte und eilte zum Schluß. Ein geistvoller bekannter Jurist sagte: Als sich diese Jahrbücher ankündigten, durfte man der Hoffnung leben, eine Instanz in der literarischen Verwirrung des Tages zu erhalten. Aber ich sehe, es ist daraus eine Commission geworden, die eine Masse von Separatgutachten abgiebt, willkürliche Ergebnisse der einzelnen Lebensrichtungen und Studien, Blicke, begränzt von der tragenden Kraft des Auges. Auf einen Areopag „weiser und gerechter Richter“ müssen wir also noch immer warten.

Und doch, bemerkte man, hat selbst von den Jüngeren Niemand den Muth, gegen dieses Institut aufzutreten.

Ich habe den Muth, sagte ich mit meinem gewöhnlichen, aber hier verzeihlichen Vorwitz. Zum Zeichen, daß ich ihn habe, druck’ ich unser Gespräch ab. Gott sey jetzt meinen armen Schriften gnädig!

389 VII.#

– – In dem Lese-Cabinet von Stéhély hört’ ich zwei Offiziere sich über Tasso und Dante streiten. Die Verse, die sie zitirten, wußten sie in der Ursprache! Die lange Friedenszeit hat aus einem großen Theil des preußischen Offiziercorps tiefsinnige Gelehrte gemacht.

– – Am ersten Abend, wo ich im Theater war, hört’ ich gleich zwei junge Mädchen vor mir einander fragen: Hast Du schon Godwin Castle gelesen? Nach späteren Erfahrungen merkt’ ich, daß die schreibenden Frauen hier jetzt mehr en vogue sind, als die schreibenden Männer. Gräfin Hahn-Hahn wird oft genannt, A. P. ist noch immer das Räthsel des Tages. Man vermuthete, da man hier geneigt ist, alles Mysteriöse in der Literatur dem königlichen Hause zuzuschreiben, die Prinzessin Wilhelm (Tochter des Großherzogs von Weimar) wäre die Verfasserin von „Noch ist es Zeit.“ Allein dem wurde bestimmt widersprochen, seitdem die Mutter dieser Dame, die Schwester des russischen Kaisers, ihrer Tochter schrieb: „Es ist nicht Recht von Dir, daß Du dies Gerücht aufkommen lässest, weil Du dadurch der wahren Verfasserin ihren Ruhm beeinträchtigst.“ Tyll Rüthling weiß um das Geheimniß; aber er will nicht damit herausrücken.*)

– – Ein Mittagsconzert im Schauspielhause bot außer dem ohrzerreißenden Genuß einer auf vier Flügeln gespielten sechszehnhändigen Ouvertüre wenig Bemerkenswerthes. Ich vermißte elegante Gesellschaft, obgleich der Saal ziemlich gefüllt war. Der in ganz Deutschland durch Saphirs Wiener Academieen eingerissenen Sitte, gereimte Trivialitäten für humoristische Unterhaltung hinzunehmen, auch hier gefröhnt zu sehen, schmerzte mich. Wenn unser Zeitalter, wie bekanntlich, der allgemeinen Verflachung immer mehr entgegengeht, so sollte doch an Berlin erst ganz zuletzt die Reihe kommen. Wir werden bald soweit seyn, daß je geistloser etwas ist, es für desto humoristischer gehalten wird. Es ist traurig, wenn man sieht, wie der Masse das Denken, Empfinden, Urtheilen, das Weinen und Lachen gar so leicht gemacht wird!

Am zweiten Ostertage war das Opernhaus überfüllt. Der winkelige Bau der Logen zwingt, an einem solchen Abend mit Plätzen vorlieb zu nehmen, die den Zuschauer von der Vorstellung nur ein fernes Sausen und Brausen hören lassen. Ich wurde in eine Loge verwiesen, wo mich dichte Finsterniß umgab. Wär’ ich nur von dem neckenden Dämon einer andern Unbequemlichkeit unverschont geblieben! Wie störend ist doch jenes Lärmen auf den Logengängen, das mir bis jetzt nirgend in einem Theater so auffallend vorgekommen ist, wie in dem königlichen in Berlin. Überall, wo das Theater ein Institut „zum Vergnügen der Einwohner“ ist, hat man Vorkehrungen getroffen, daß in den Logengängen kein 390 Schritt vernehmbar ist. Wo sich nur irgend eine geschwätzige Schließerin hörbar macht, öffnet der Logenbesitzer, befiehlt Ruhe und von der Vorstellung geht nichts verloren. Hier aber rufen sich mitten im Akt die Logenschließer ihre Parole zu, von acht Logen herüber kann man im Gange hören: Müller, haste nich ’ne Prise? von den Treppen springen die Zuschauer der obern Ränge herunter, trapp, trapp, geht es den ganzen Abend – so daß ich mir oft dachte: aha, da kommt die Compagnie Soldaten, die eben auf der Bühne als Spanier oder Mexikaner mitgewirkt hat! Wenigstens bemerkte ich in der Gleichmäßigkeit der Bewegungen auf den Logengängen ordentlich etwas wie von einem Commando.

Trotz all dieser Mühseligkeiten hat mir das Ballet Don Quixote doch eine große Freude gemacht. Gern auf der Rozinante war kostbar. Seine bei der Stille des Ballets zuweilen ausgestoßenen unartikulirten Schimpfwörter mußten den größten Hypochonder zum Lachen bringen. Dabei dieser Reichthum im Costüme, in der Scenerie und an Comparsen! Diese Präzision des Spiels und der Arrangements! Und welche liebliche Erscheinung dieser weibliche Chor mit seinen Koryphäen und wirklich reizenden Hauptfigurantinnen! Dem. Polin, eine kleine Französin mit brennenden Augen, tanzte mit einem Aplomb, wie ich ihn nur bei den berühmtesten Tänzerinnen bewundert hatte. Sie entwickelte in ihrer großen Fußzehe eine erstaunenswürdige Kraft. Dabei muß man an dem ganzen Balletcorps eine sichtliche Decenz rühmen. Man sieht, daß hier die Tanzkunst nicht auf den verführerischen Gazeüberwurf der Sinnlichkeit berechnet ist, sondern daß sie aus einem wirklichen Interesse an höherer plastischer Schönheit so königlich begünstigt wird.

VIII.#

– – Ich las während dieser Tage in den alten Schröderschen Lustspielen, an die man, obgleich sie größtentheils Übersetzungen sind, doch wohl anknüpfen muß, wenn man für die komische Muse des Theaters wirken wollte. Was an diesen Stücken am meisten zu bewundern und zu beneiden ist, bleibt die Harmlosigkeit der Zeit, welche sie aufnahm. Früher war der Scherz eine Erholung nach dem Ernst, jetzt ist das Witzeln so an der Tagesordnung, daß man nur mit den außerordentlichsten Reizmitteln noch auf die Lachmuskeln der Menge wirken kann. Man verlangt auch vom Witz jetzt immer eine höhere Bedeutung und vergißt, daß das, was schon Frucht seyn soll, nicht mehr duftige Blüthe seyn kann.

Ich will nicht sagen, daß jetzt ein harmlos witziger, an gesunden Einfällen reicher Lustspieldichter nicht mehr seine Lacher fände. Aber mit dem Scherz wird auch meist immer gleich die Wirkung verpuffen und das Gefühl einer so öden Leere sich der Zuschauer bemächtigen, wie z. B. gestern im Schauspielhause, wo eine kleine drollige Pieçe: der Verstorbene, (nach dem Französischen) erst in jeder Scene belacht und dann mit Zischen entlassen wurde. Wir sind unausstehliche Kostverächter geworden und haben durch unsre Dickhäutigkeit schon mehr als einem Autor die Lust verleidet, für die Bretter zu schreiben.

Wenn ich diese alten Dramen da vor mir durchfliege – wie sind sie belacht und genossen worden! Und doch würden nur wenige, wenn sie jetzt zum Erstenmale über die Bretter gingen, die Probe des Parterres aushalten; man pfiffe sie schon im zweiten Akte aus. Der alte Hanswurst ist aus ihnen noch immer nicht ausgetrieben und das Publikum freute sich, ihn aus den Landjunkern und dummen Dorfteufeln, die uns vorgeführt werden, heraus zu finden. Scheint es doch, als wenn damals die Scheidewand, die den Schauspieler von der übrigen bürgerlichen Gesellschaft trennte, auch zugleich der letztern es als unwürdig erscheinen ließ, mehr als possenhafte Zumuthungen an den Histrionen zu machen. Jetzt, da beide Theile so nahe an einander gerückt sind, daß z. B. aus Hofschauspielern förmlich Beamte geworden sind, jetzt verlangt man von der Komödie nur das, woran man sich selbst betheiligen würde, eine Wahrscheinlichkeit und Consequenz der Erfindung, die dem wirklichen Leben nicht bloß täuschend ähnlich sieht, sondern ihm selbst entnommen ist: man kennt die Schauspieler als Menschen mehr, wie als Künstler, und sieht ihnen an, daß sie uns Stücke vorführen, die sie nur einstudirt haben, während man früher, wo der Schauspieler von einem neuen Stück seine Gage garantirt sah, auf Tod und Leben Komödie spielte.

Wenn es nicht anmaßend klingt, möcht’ ich hier in Betreff meiner ein Geständniß machen. Wär’ ich ein Autor, über den kein Vorurtheil herrschte und der erst ganz neu aus dem Ei geschält käme, so würd’ ich diese Kälte des Publikums blind verachten und so für’s Theater schreiben, wie mir der Schnabel gewachsen ist. An meinen Dramenstoffen würd’ ich nicht lange mäkeln und den Erfolg erwägen, sondern ihnen die mir mögliche Ausführung geben und hinaus damit! Jetzt quält mich bei jeder dramatischen Idee das Vor und 391 Nach. Würde diese Idee zu meiner Vergangenheit stimmen, würde jene ein sichres Capital für die Zukunft seyn? Reflexionen dieser Art, die zum größten Theil aus dem ungeheuer schweren Stand fließen, den in unsrer illusionsarmen Zeit die Erfindung hat, sind lähmend für die Produktion: man verwirft ein Dutzend Stoffe, ehe man den Muth hat, einen einzigen festzuhalten.

Aber ich würde Niemanden, der in einer ähnlichen Lage wäre, rathen, sich dadurch irren zu lassen. Als Theaterdichter muß man außer für Vieles auch dafür den Muth haben, daß man seinen Eingebungen traut und sie hinausflattern läßt, gleichviel, ob sich in ihnen die ganze oder nur ein Theil der Welt bespiegelt. Der Spruch, mit dem Merk Goethe’n veranlaßte, den von ihm für schlecht erklärten Clavigo doch hinauszuschicken: „Frisch auf die Zäun’, dann trocknen sie bald,“ sollte die Devise jedes Dramatikers seyn, der entweder aus Embarras des richesses oder Embarras des égards nicht an’s Einzelne und zum Entschlusse kommen kann. Wenn ich noch länger in den Schröderschen Dramen lese, werd’ ich anfangen, aufzuathmen und geben Sie Acht, zum Herbst ist ein Lustspiel fertig.

Über Rüthling und Gern mußte ich herzlich lachen. Man wollte mir weiß machen: Rüthling hätte durch den von E. Devrient gestifteten dramatischen Verein und das viele Theoretisiren, Vorlesen und Reden in demselben von der Ursprünglichkeit seines Humors eingebüßt. Es ist kein wahres Wort daran. Gern und Rüthling sind noch immer zwei Komiker, deren Zusammenspiel darum so wirksam ist, weil sich ihr Genre so vollkommen ergänzt. Gern Räsonneur, zutäppisch, mit der Thür in’s Haus fallend, unverschämt, immer außer Athem, Poltron; Rüthling bedächtig, kein Wasser betrübend und es doch hinter den Ohren habend, immer, wie man hier sagt, aus dem Muus kommend, Topfkiecker, Hemkengrieper, dabei Philister, sich nie exponirend, die Menschen verhetzend und hernach sie wieder beschwichtigend – beide ergänzen sich so entschieden, daß man sagen muß, Raupach hatte leichte Arbeit, wenn er den komischen Theil seiner Dramen ihnen beiden auf den Leib schnitt.

Eine plötzliche Erkrankung der liebenswürdigen Charlotte von Hagn brachte mich um die Erziehungs-Resultate, von Blum, die ich nun erst später sehen werde. Wenn in der Komödie Dokumente genannt werden, so denkt man unwillkürlich, sie sind falsch: wenn eine Schauspielerin sich krank melden läßt, so wird es wenig Theaterdirektoren geben, die nicht eine Intrigue witterten. Unsere deutsche Dejazet lag aber, als ich sie besuchte, wie eine geknickte Rose auf ihrem Canapée; todtenblaß, fiebernd, aufgelöst. Ich kann als Zeuge auftreten, wenn über diese Erkrankung ein Protokoll aufgenommen werden soll. Ich finde, daß die Berliner Schauspieler sehr stark in Anspruch genommen werden und mehr, als irgendwo anders, beschäftigt sind. Die Oper kann länger feiern. Ich bin vierzehn Tage hier, und hörte Sophie Löwe erst einmal im Conzert „das Waldvögelein“ singen.

393 IX.#

– – Von meiner Wohnung aus ist mir ein Blick auf die Umgebungen des Schlosses gewährt, auf eine Überfülle von großen Gebäuden, die die Gegend von dem Anfang der Linden bis zum Dom zu einem der merkwürdigsten Plätze Europas machen. Störten mich nur nicht am Dom die beiden Zwillingsableger des großen Thurms! Neben einer großen Kuppel, die schon an sich unwesentlich ist, da sie für das Innere der Kirche gar keinen Werth hat, sondern nur als bloße architektonische Verzierung dient, haben sich noch zwei kleine Schwalbennester, wie zwei Major-Epauletts niedergelassen. Man hatte dabei wahrscheinlich die Isaakskirche in Petersburg vor Augen; aber dort gehören diese kleinen Thürme zum Cultus, indem sie auf einzelne Kapellen Licht fallen lassen, sie sind so zahlreich bei den russischen Kirchen angebracht, daß sie schon dadurch etwas für die dortige heilige Architektur Wesentliches vorstellen. Hier in Berlin, wo man so vieles Russische in der Politik und den Militäruniformen nachahmte, wollte man auch der Hauptkirche der Stadt eine russische Perspektive geben und Schinkel war schwach genug, die beiden kleinen Vogelbauer neben den größern Thurm der Kirche zwecklos und unschön hinzustellen. Überhaupt würden die Gebäude der Residenz mehr künstlerischen Werth haben, wenn Schinkel, ein so reicher, erfinderischer, sinniger Kopf, jenen ächten Künstlerstolz besäße, der ihn verhindert hätte, Änderungen seiner ursprünglichen Baupläne hinzunehmen. Eine höhere Hand, deren Munifizenz allerdings ruhmvoll anerkannt werden muß, strich ihm bei vielen seiner vorgelegten Baupläne meist immer das Charakteristische und Kecke weg. Alles Hohe, Hinausspringende, Hinausragende (z. B. dreist aufschießende Thürme an den Kirchen) wird von einem an sich ganz achtbaren, aber in Kunstsachen unbequemen Sinn für das Bequeme, Bescheidene, Zurückhaltende weggewünscht. Es ist nicht rühmlich für Schinkel, daß er bei seinen zahlreichen Baugrundrissen dem Künstlerstolz so viel vergeben hat.

Schinkel hat in seinen geistvoll geschriebenen Erläuterungen zu seinen Bauten auch alle die Umstände angeführt, die ihn bewogen, dem Schauspielhause seine jetzige Gestalt zu geben. Wenn an einem öffentlichen Gebäude die Façade nicht einmal als Ein- und Ausgang benutzt wird, wenn man auf einer großen Freitreppe Gras wachsen sieht, so regt sich unwillkührlich das Gefühl, das Unbenutzte auch für eine Überladung zu halten. Doch mögen die Kenner über den äußern architektonischen Werth des Schauspielhauses entscheiden! Das Innere dieses Theaters, wiederum nicht ausgehend von der speziellen Ansicht Schinkels, hat ganz jenen gedrückten Miniatur- und Privatcharakter, den ein Haus, das früher Nationaltheater hieß, nicht haben sollte. Es wäre vielleicht nicht nöthig gewesen, dies Theater größer, als für 1200 Menschen zu bauen; aber warum dieser wunderliche Charakter der Isolirung in der Anlage des Ganzen? Ein Rang ist dem andern unsichtbar. Das Parterre und die Parketlogen sehen nichts von den Rängen. Man weiß an einer Stelle dieses Hauses nicht, ob es an der andern besetzt ist. Eine Übersicht des Ganzen ist nur auf dem Proscenium und Podium möglich, so daß man, um zu wissen, ob das Haus besetzt war, die Schauspieler 394 fragen muß. Jedenfalls geht durch dieses Privatliche, das dem Hause aufgedrückt ist, zweierlei verloren. Einmal eine größere gesellschaftliche Annehmlichkeit. Da sich das ganze Publikum nicht beisammen sieht, da der Eine dem Auge des Andern entzogen ist, so fällt der Charakter einer geselligen Zusammenkunft, der so oft für eine schlechte Vorstellung Ersatz geben könnte, in diesem Theater gänzlich weg. Man kann Bruder und Schwester im Theater haben und sieht sie nicht. Das zweite Unangenehme dieser winkeligen Bauart ist, daß sich das Publikum nicht als solches bildet. Publikum heißt eine Masse, die sich ihrer Kraft ansichtig ist und das Bewußtseyn einer Corporation dem Spiel gegenüber zu behaupten weiß. Wo man im Parterre nicht sehen kann, welche Mienen der zweite Rang macht, wo ein Besucher des Theaters nur immer auf den Rücken des Andern angewiesen ist, da kann auch keine Totalität des Urtheils stattfinden; Jeder ist auf sich angewiesen und der Schauspieler bleibt ohne die richtige Würdigung seiner Leistung. Mir haben viele Schauspieler gesagt, daß Berlin kein Publikum mehr hat. Der Grund liegt darin, daß die Lokalität dieses Publikum verhindert, sich als solches kennen zu lernen und auszubilden.

– – Ich hätte so gern die vielbesprochene Amazonengruppe des Bildhauers Kiß gesehen. Doch das große Modell nimmt er jetzt schon zur Abformung auseinander und das kleinere soll nur einen unvollkommenen und sogar nachtheiligen Begriff von der Großartigkeit des Entwurfes geben. Man sagt, das durch Beiträge von Kunstfreunden gefertigte Werk soll als öffentliches Standbild in dem Dreieck zwischen der Schloßbrücke und der Bauakademie zu stehen kommen. Dieser Plan findet Gegner. Man findet die Anknüpfung eines solchen idealen Standbildes an die Volksvorstellungen ungenügend und hätte gewünscht, der geniale Künstler wäre in derselben Weise Verkörperer einer vaterländischen oder einer sonst unsern Begriffen naheliegenden Idee gewesen. Wer die Streitigkeiten verfolgt, ob Friedrich II. zopficht oder ideal darzustellen sey, der wird den Künstler glücklich schätzen, daß er Ausdauer genug besaß, einer reinen Schönheitsidee, wie dieser Kampf der Amazonen ist, die glühendste Begeisterung seiner ersten Kraft zu widmen. Wenn man den Platz vor der Bauakademie für einen vaterländischen Helden aufbewahrt, so nehme man einen schattigen Platz des Thiergartens und baue einen Tempel, in den man das Standbild verpflanze! Ein Wachtposten halte die Zerstörungswuth der Berliner Gamins zurück! So würde man, wie im Wiener Augarten einen Theseustempel, so hier einen Amazonentempel haben. So wie Theseus in Wien, könnte die Amazonengruppe dann auch ein Stelldichein für Liebende seyn. Dort im Thiergarten bliebe dem Kunstwerke seine ideale Bedeutung. Vor der Bauakademie würde die Volksdeutung aus der Amazone bald Borussia, aus dem Tiger Napoleon machen; ja wer weiß, ob man nicht das Symbol der preußischen allgemeinen Landesbewaffnung darin wiederfände, daß selbst im äußersten Falle, wenn der Feind schon bei Schöneberg und Pankow wäre, die Frauen sich entschließen müßten, unter die Cavallerie zu gehen! An solchen und ähnlichen Vermittelungen der alten Welt mit der Gegenwart würd’ es der Berliner Volkswitz schon nicht fehlen lassen.

– – Mancherlei kleines Bruchstückwerk von Theater-Erlebnissen hätt’ ich noch nachträglich zu verzeichnen. Sophie Löwe als Gesandtin muß ich zu vergessen suchen. Es ist doch wahrlich ein zu unbedeutendes, unschönes Genre, in welchem die mir so liebe und werthe Künstlerin hier brillirt! Diese häßlichen Rouladen und endlosen Triller, nach welchen man immer befürchten muß, der Sängerin bleibt die Stimme aus, – nein, ich werde Sophie Löwe noch in einer würdigeren Parthie sehen. Hier ist ja der Ton in lauter Spitzen- und Klöppelwerk zerbrochen, kein fester, durchgehender Faden mehr, nichts als aufgekräuseltes Tongeklingel und Conditorgebackenes. Bader wurde schon in meiner Kindheit genannt. Ich hätte nicht geglaubt, daß sein graziös-decentes Spiel und der immer zärtliche und weiche Tonansatz seiner Stimme noch so lebhaft auf mich wirken könnten.

„Noch ist es Zeit!“ ist wie überall, so auch hier ein Lieblingsstück des Tages. Kleide sich nur Einer in den Reiz des Mysteriösen! Manche Stellen traten sehr artig hervor, besonders zog mich die gediegene Würde und Haltung im Spiel der Mad. Wolff an, einer von mir hochverehrten Künstlerin, die ich leider mehr gealtert fand, als für die Illusion mancher Rolle wohlthut. Die abgeschmackte Rolle der Frau von Saaren mußte mir, als ich in den Prosceniumslogen den König und einige Prinzen sah, noch lächerlicher vorkommen. Wie kann man einer Residenz wollen glauben machen, daß es an einem Hofe in Europa, und wär’ es der Reuß-Schleizische, eine Hofdame gäbe, die nicht weiß, was Mythologie ist! Wenn irgend etwas dafür spräche, daß dies Stück eine hohe Verfasserin zum Verfasser hat, so wär’ es, daß es fast den Anschein hat, als hätte 395 eine junge Prinzessin sich in der Frau von Saaren über eine ihr langweilige Oberhofmeisterin oder ein solches „Thier bei Hofe“ mokiren wollen.

– – Kleiner Familienball beim Banquier ..... Viel ächte Bildung, weniger Geschick, sie geltend zu machen. Das Urtheil reif, aber nicht selbstständig. Viel Herzensgüte, wenn man dreist die Straße betritt, die über das Conventionelle in das Innere der Menschen führt. Bei den jungen Damen viel Natürlichkeit, ohne die rechte Ahnung vom Leben. Die Moquerie nur Waffe, um innere Verlegenheit zu verbergen. Mehr Gutmüthigkeit und Schwärmerei, als verrathen wird oder Fremde geneigt sind, dem Berlinischen Charakter zuzumuthen. Sehr gutes Eis und der reiche, wohlwollende Wirth harmlos genug, zu erklären, es käme – von Kranzler. Er ist ein geborner Hamburger und hat mich ausdrücklich autorisirt, diesen Verstoß als ein Zeichen zu erwähnen, wie sehr der Fremde sich berlinisiren könne. Wenn man diese Stelle also benutzen will, um zu beweisen, daß ich auch zu den auteurs voyageurs gehöre, die à la Fürst Pückler sich erst an den Tafeln der Reichen satt essen und hernach hingehen, die Gesellschaft zu recensiren, so wasch’ ich meine Hände in Unschuld.

Noch eine Bemerkung will ich hier machen. Von meinem Gasthofe führt eine Brücke auf den Schloßplatz. Diese Passage ist nur für ein kleines Brückengeld gestattet, welches von einer Gesellschaft, die diese Verbindung auf eigne Kosten anlegte, erhoben wird. Jeder Bürgerliche zahlt am Ende der Brücke eine Kleinigkeit. Das Militair ist frei. Warum? Ich denke, weil die gemeinen Soldaten in Berlin herumzuschlendern pflegen und von der Bedeutung dieses Brückengeldes schwerlich eine Vorstellung haben. Es würde ein ewiges Zurückweisen seyn, Händel geben und deshalb läßt man Soldaten frei passiren. Wie aber nun die Offiziere? Wird man nicht annehmen, daß diese eine so kleine Vergünstigung verschmähen und mit ächtem point d’honneur da nicht frei vorübergehen werden, wo eben eine arme alte Frau oder ein Handwerker seinen Sechser bezahlt? Nein, ein General geht mit einem Bürgerlichen hinüber: der Bürgerliche bezahlt, der General nicht. Ich denke nun jeden Morgen und Abend nach, wie ein so achtbarer, auf das Feinste seines Ehrgefühls wahrender Stand, das preußische Garde-Offizier-Corps, sich daran gewöhnen kann, von einer winzigen Steuer, die ihm allerdings erlassen ist, sich so loszusagen, daß er in der That von jener Vergünstigung Gebrauch macht. Wär’ ich Offizier, ich würde es für beleidigend halten, wollte man mir zumuthen, von einer Steuer dieser Art, die den Ärmsten trifft, mich zu befreien.

Ich schließe daraus, wie wenig das, was wir Ehre nennen, doch als etwas Ursprüngliches im Menschen ausgebildet ist; denn sehen wir hier nicht, daß eine in diesem Punkte sehr zartfühlende Menschenklasse dennoch in einer Ehrensache ganz von der Sitte und der Gewöhnung abhängen kann und wie leicht wir über etwas, das sich der Einzelne nicht gestatten würde, hinweggehen, wenn es von Allen angenommen wird?

Indessen erklär’ ich, daß mein obengenannter Banquier nicht zu den Aktionären der „Sechserbrücke“ gehört.

397 X.#

– – Was rennt das Volk? Was strömt es durch die Gassen? Alles eilt hinaus in die Gegend des lieblichen Stralow: in die Blumenausstellung, nach dem Hyacinthen-Flor. Eine halbe Stunde mußt’ ich mit meinem Wagen Queue machen, eh’ ich vor dem Eingang zu Faust und Moewes aussteigen konnte. Schon aus weiter Entfernung, mehre Straßen vorher, riecht man die von Hyacinthen parfümirte Luft. Tausende von Menschen drängen sich in großen, feldähnlichen Gärten und bewundern ungeheure Anlagen von Hyacinthenbeeten, die auf den Effekt hingepflanzt sind, sich in den buntesten Schattirungen ablösen, ja sogar große, riesige Figuren bilden, z. B. einen Floratempel, ein „eisernes Kreuz“ und dergleichen Zusammenstellungen. In Harlem können nicht größere Blumenmassen beisammenstehen. Indessen grade dies Holländische ist abstoßend. Man wird gegen den Reiz der Blumen unempfindlich, wenn man sie in Massen versammelt sieht. Nun gar zur Bildung von allerhand Symbolen mißbraucht, hat die Blume nur noch den Werth der Farbe, und das Freie, Selbstständige, das Duftige derselben geht mit dieser Bestimmung verloren.

Hier sind meine Berliner recht in ihrem Element. Eine Anlage ohne Schatten schreckt sie bei der glühendsten Hitze nicht ab. Ein dumpfes Musikgedudel nennen sie musikalische Unterhaltung. Vorn an der Casse zieht man ein Loos, zahlt dafür 5 Silbergroschen und gewinnt gewöhnlich nur einen Strauß, den man auf dem Gensd’armenmarkt für 4 Pfennige kauft. Was ließe sich unter dem Titel: die Blumenverloosung, nicht für eine hübsche Lokalposse schreiben! Hier laufen in Berlin soviel „volkswitzige“ Schriftsteller herum, warum erfinden diese Leute nicht dergleichen Späße für die Königsstädter Bühne? Herr Glaßbrenner schreibt kleine Brochüren, worin er Berliner sogenannte Volkscharaktere sich im geschraubtesten und gemeinsten Berliner Jargon über das Hundertste und Tausendste unterhalten läßt; nein; auf der Bühne, im sinnigen Arrangement solcher Lokalscherze bewährt sich der Beruf zum Volksschriftsteller. Beckmann z. B. ist ein so willkommnes Menschengerüst, auf welches man die drolligsten Erfindungen hängen kann. In der Blumenverloosung denk’ ich mir ihn mit der grünen Gärtnerschürze am Eingang eines Treibhauses und die Gewinnste austheilend. Er entfaltet die Nummer: „Sie erhalten, Madame, einen kleinen Ableger einer neuerfundenen Pflanze, die erst kürzlich auf der Pfaueninsel entdeckt und aus Amerika hier eingeführt wurde.“ Die Dame sagt: Mein Gott, das ist ja nichts als eine Maiblume mit einem Salatblatt. Darauf müßte Beckmann repliziren und seine botanischen Kenntnisse entwickeln. Zum Schluß könnte durch die Blume noch eine Heirath zu Stande kommen. Warum schreibt Herr Cerf keine Concurrenzpreise aus?

– – Im Theater machte mir Seydelmann als Cromwell viele Freude. Sein Richard Brandom in Rellstabs Eugen Aram hatte mir wenig behagt, er hatte hieraus keinen lüderlich gewordenen, ehemaligen Studiencumpan Arams, sondern einen stupiden, fast cretinartigen Bösewicht gemacht, der in einer dem Ohre wehthuenden Monotonie Worte sprach, wo auf ein halb Dutzend unverständlicher nur ein deutliches kam. Wie können doch tüchtige Künstler in der Sucht nach Charakteristik und Originalität sich 398 oft vergreifen! Ein Schauspieler des Faches, welches Seydelmann spielt, sollte bei Durchlesung einer neuen Rolle immer von dem Gesichtspunkt ausgehen, daß grade in seiner Art, in seiner primitiven Individualität schon genug der exclusiven Färbung für jeden der ihm zugewiesenen Charaktere liegt. Warum nun immer aus sich heraustreten und in einem Fremden, Ausgeheckten, Unnatürlichen das suchen, was beim Charakterspieler schon in seiner Übung und seiner durch diese erlangten Wesenheit liegt. Wozu das Organ verrenken, eine künstliche Sprache annehmen und dergleichen Hülfsmittel, wo ein freies Wiedergeben der eignen Persönlichkeit, wie dies immer bei Ludwig Devrient gewesen seyn soll, schon hinreichend ist, um auf der Bühne im Ensemble der Personen die Charaktere derselben auseinanderzuhalten! Auch Graf Santarelli (in den „Modernen“), den Seydelmann kürzlich statt Rotts spielte, war eine Abstraktion, die den Boden der eignen Persönlichkeit ganz verließ und in einem Fremden, Angeeigneten suchte, was der seiner Person trauende Charakterspieler mit einer leichten Modifikation schon in dieser seiner Person hätte finden sollen. Rott hatte natürlich nicht die Rücksicht, etwas von einem Vorgänger Abweichendes zu geben, und darum gelang ihm auch vieles weit freier und natürlicher, als Seydelmann.

Der Cromwell jedoch, den Seydelmann in dem schlechten Raupachschen Rettungs-Drama: die Royalisten, hinstellte, war gut. Äußere Kraft und inneres Seelenleben wirkten in grellen Schattirungen ineinander. Bekanntlich hat Raupach die Dreistigkeit gehabt, aus Cromwell einen betrügerischen Heuchler zu machen. Seydelmann spielte ihm dieses historische Falsum mit der ganzen Virtuosität nach, die diesem Künstler für tartüffeartige Charaktere eigen ist. Ja man kann sagen, Raupach hat aus diesem Cromwell einen Comödianten, Seydelmann wieder einen Menschen gemacht. Herr Weiß traf als Weber Habakuk den pietistischen Ton sehr gut, besonders auch jene widerwärtige Dummdreistigkeit, welche die Herren Pietisten für christlichen Freimuth auszugeben pflegen.

XI.#

– – Nun sah ich doch noch die Kiß’sche Amazone. Ein schönes Weib auf einem kraftschäumenden Pferde wirft den Speer auf einen Leopard, der sich vorn in die Brust des Pferdes eingekrallt hat. Das Leben, das in diesem Bilde waltet, ist sprechend; jede Bewegung, jede schwellende Muskel athmet Wahrheit. Die schönste Formengebung, die sich die Natur in Momenten unbewußter Leidenschaft und höchster Aufregung nur gestattet, ist vom Künstler in einem endlos das Auge fesselnden Ensemble wiedergegeben. Noch ausdrucksvoller als die etwas passive Geberde der Kriegerin ist die Todesangst im Kopfe des Pferdes. Die Besorgniß der Amazone ist durch das Bewußtseyn geistiger Übermacht göttlich gemildert, aber den Kopf des Pferdes möchte man ächt menschlich nennen. Gegen die hoheitsvolle Ruhe der Amazone und die in allen Sehnen zitternde Angst des gebäumten Rosses sticht die wilde, fletschende Gier des Leoparden sehr charakteristisch ab; man möchte den Leoparden für den Repräsentanten des rein Physischen, das Roß für das bangliche Gemüth, die Amazone für die imponirende Kraft des Geistes halten.

– – Der Kunstverein hat in der Akademie die von ihm angekauften und zur Verloosung bestimmten Bilder ausgestellt. Es sind meist nur Arbeiten aus Berlinischen Schulen. Wer kein Gemälde gewinnt, erhält einen wunderbar schön gezeichneten und in Kupfer gestochenen Abdruck der Loreley von Begas*). Ich gestehe, daß von den Gemälden mich wenig angezogen hat. Einige Landschaften und architektonische Gemälde werden den, der sie besitzt, erfreuen: noch mehr ein weibliches Brustbild den, der das Urbild besitzen könnte. Ein verwundeter Ritter gewährte einen Spitalanblick, eine Einfuhr verwundeter Krieger in ein Landstädtchen ebenfalls, obgleich etwas sehr Rührendes über diesem letzten Gemälde ausgebreitet liegt. Auf einem Gemälde, zwei Hände hoch, hat Kopisch einen Vesuvausbruch gemalt, eine Pinselei, die sehr stark an die illuminirten Kupfer in Kinderbüchern erinnert; etwas gelb, etwas roth, schwarz darüber, hinten blauer Nachthimmel, ein paar fliegende Steine in der Luft; wahrlich, solche Vesuvausbrüche kann man aus der Phantasie in den vier Wänden seines Zimmers auch malen und dabei ein loderndes Küchenfeuer zum Modell nehmen. Mehr als alles gefiel mir von Drake ein kleines Standbild: die Winzerin. Die schalkhafte, graziöse Erfindungsgabe dieses Künstlers war mir schon an seiner Schmetterlingsfängerin so erfreulich erschienen: diese Winzerin reiht sich ihrer Vorgängerin würdig an. In der Bewegung, welche sie mit der rechten Hand an ihrem Schuh vornimmt, spricht sich eine so negligeante, graziöse Sinnlichkeit, ein so artiges Belau-399schen des Volkslebens aus, daß ich mich von der kleinen Statue nicht trennen konnte. In dem Bronzeabguß tritt der eigenthümliche Reiz dieser Erfindung weit weniger ansprechend hervor, als in der fast durchscheinenden Weichheit des Marmors.

Elisabeth Farnese von Raupach spinnt einen ganz artigen Lustspielstoff ab, nur durfte er nicht auf drei Akte ausgedehnt werden. – –

– Der französische Componist Adam, grade von Petersburg rückkehrend, erklärte Berlin für eine Zwischenstation zwischen Paris und Petersburg. Er sagte: „Ich will beim musikalischen Berlin meine Visitenkarte abgeben,“ und componirte auf Befehl des Königs ein mit Oper untermischtes Ballet, dessen Text ein gleichfalls grade hier anwesender Franzose, Colombey, geschrieben hat. Diese Mixtur ging unter dem Namen: die Hamadryaden, mit einem seltenen Aufwand glänzendster Scenerie hier über die Bretter; sprach aber nicht an. Man war mit der festen Absicht in’s Theater gekommen, Herrn Adam durch Hervorruf zu ehren und den Parisern zu zeigen, daß die Deutschen noch immer nicht aufgehört haben, die Affen der Franzosen zu seyn. Man war sehr verstimmt, als sich zu dieser neuen Probe unsrer nationellen Selbstständigkeit keine Gelegenheit zeigen wollte. Es hätte mich geschmerzt, wenn man die höchst triviale Musik eines Componisten, der Berlin für eine Zwischenstation zwischen Paris und Petersburg hielt, in Gegenwart Mendelssohn’s und Meyerbeer’s applaudirt hätte. Mendelssohn saß in meiner Nähe und äußerte sich mit jener Heiterkeit (die an ihm, wie überhaupt am Genie das ächte Zeichen höhern Ursprungs ist) über den äußerlich sehr glänzenden Theaterabend mit liebenswürdiger Unbefangenheit. Meyerbeer, der gegenübersaß, würde einen zu lebhaften Applaus schon empfindlicher gefühlt haben, denn noch immer verweigert man seinen Hugenotten hartnäckig den Eingang auf die königl. Bühne. Was aber das Publikum versäumte, holte die Kritik nach. Die Blätter überschütteten Herrn Adam und Mr. de Colombey mit Lob. Man sah, wie einige dieser Herren sich durch die „Visitenkarten“ der beiden Franzosen geschmeichelt gefühlt hatten. Rellstab, der strenge musikalische Aristarch, Rellstab, der Vertheidiger des vierundzwanzigpfündigen klassischen Calibers, Rellstab, der Vergötterer Gluck’s, Mozart’s, Piccini’s, Paesiello’s, Händel’s, Beethoven’s, Weber’s, – Rellstab, der einen Spontini nicht tief genug herabzusetzen weiß, lobte diesen Adam! Ich ward irre an der Würde seiner so viel gerühmten unpartheiischen Kritik und entschloß mich, in der Achtung, die ich immer vor seinen musikalischen Referaten gehabt, mich künftig doch sehr zu mäßigen.

401 XII.#

– – Erziehungsresultate! Endlich hab’ ich sie gesehen, diese liebenswürdige kleine Bagatelle, in der Charlotte von Hagn wie eine Fee, so märchenhaft bestrickend spielt. Das Stück an sich trägt fast den Charakter der Improvisation und fällt ohne das Spiel der Hagn in sich zusammen; doch bewährte Carl Blum in dem, was er dem Wesen dieser Künstlerin für sein Stück ablauschte, einen feinen psychologischen Blick. Er hat die drolligsten, flatterhaftesten Übergänge in ihrem Wesen ergründet und wenn man diese Übergänge auch für das Leben fürchten müßte, falls man Gatte, Geliebter, Vater, Bruder oder sonst Etwas bei Charlotte von Hagn vorstellte, für die Bühne sind sie voll Unterhaltung und schalkhaften Anreiz.

Ch. von Hagn hört es gern, wenn man ihr sagt, sie solle nicht mehr Rollen in diesem Genre spielen und sie selbst ruft zuweilen aus: „Mein Gott, was der Blum noch Alles aus mir macht!“ Charlotte von Hagn hat einen Hang zur Schwärmerei, über welchen man nie ins Klare kommen würde, wenn man darüber die Meinungen der Welt hören wollte. Die Einen lachen und sagen: Werden Sie, als vernünftiger Mensch, sich düpiren lassen? Andere stimmen bei und wissen lächerliche Gründe anzugeben. Ich glaube, die Karten, mit welchen man vor und hinter den Coulissen spielt, aus Erfahrung zu kennen und muß gestehen, daß Charlotte von Hagn ein Wesen ist, über welches die Welt um so unrichtiger urtheilen muß, als es selbst tiefer Blickenden verschlossen seyn dürfte. Es liegt in ihrem Innern eine Fülle der interessantesten Gegensätze, denen allerdings die höhere gemüthliche Ausgleichung so lange fehlen wird, als ihr Beruf zur Schauspielerin mit jedem Tage neue Eindrücke, mit jeder Stunde neue Einwirkungen auf ihre menschlicheren Seiten bringt. Die Stellung, in der sie ist, zwingt sie, oft gegen ihre innersten Neigungen zu verfahren und der schöne Fond von Resignation, der in ihr liegt, muß natürlich so oft zurücktreten, als die mannichfachen Chancen ihrer Stellung auch ihre Leidenschaft, ihren Ehrgeiz, ihre weibliche Erregtheit und leichte Verletzbarkeit in Anspruch nehmen. Wär’ es mit den Gesetzen der Discretion verträglich, so würd’ ich mich anheischig machen, den innersten Kern dieses weiblichen Phänomens zu enthülsen; (auch im Geistigen giebt es ein Gelüst nach Experimenten, wie es hier Dieffenbach im Chirurgischen haben soll) ich begnüge mich nur zu bemerken, daß Charlotte von Hagn sich im nähern Umgang durch die sinnigste Reflexion und durch ein seltenes Talent, fremde Gedankenentwickelungen, wenn sie ihr auch im Übrigen fern liegen, zu verfolgen, auszeichnet. In der Masse von vornehmen geselligen Beziehungen, denen sie besonders auf Urlaubsreisen sich hingeben muß und wo man nur geneigt ist, grade auf den Geist der Rollen hin, in denen sie vorzugsweise glänzt, sie im Umgang zu nehmen, hat sie sich einen schönen, fast männlichen Ernst, einen überwiegenden Hang zum Natürlichen, Offnen und Wahren erhalten. Sie spricht nicht viel, aber gewählt. Oft bricht aus ihrer versteckten und schlummernden Schalkhaftigkeit wie im Traum ein witziger Einfall heraus, den man herzlich belachen muß. Sie ist der faden Schmeichelei fremd, sowohl derer, mit welcher Schauspielerinnen von ihrem Genie 402 überhäuft werden, als derer, mit welcher manche sich besonders gegen Männer von Geist und Einfluß benehmen zu müssen glauben. Oft ist über ihre Art, sich zu geben, ein rührendes Dämmerlicht hingehaucht, das beinahe aus einem tiefen und beklommenen Gefühl der Vereinsamung zu kommen scheint. In ihren Briefen ist sie gewandt und reich an sinnigen Wendungen, die eine geübte Feder verrathen. Ich sagte ihr im Scherz: „Liebe Hagn, es ist jetzt hier Sitte, daß man seine Briefe, noch ehe man todt ist, vom Hofrath Dorow herausgeben läßt. Schreiben Sie doch auch einen geistreichen Brief über den Verfall der Kunst und lassen ihn im Druck erscheinen. Das würde Ihnen viel Relief geben.“ Sie antwortete in ihrer schalkhaften Weise und süddeutschen Mundart: „O bitte, bitte, schreiben Sie mir einen solchen Brief! Ich setze meinen Namen drunter und bilde mir was darauf ein.“ Wahrlich, sie hätte dies nicht nöthig, denn ihre Briefe sind voll klarer Anschauungen und im geübtesten Style geschrieben. Wenn sie in dem Tagebuch, das sie seit Jahren führt, aufrichtig ist, so würden Psychologen und Novellisten, wenn sie es zu lesen bekämen, großen Nutzen davon ziehen.

Von dem Zwiespalt zwischen Charlotte von Hagn und der Stich-Crelingerschen Familie mag die Intendanz und Regie manche Unannehmlichkeit haben, aber das Publikum hat Vortheil davon. Es spornt beide Partheien zu erregterer Thätigkeit. Eine setzt den Erfolg der Einen auf den der Andern. Hatte Charlotte einen Triumph, so muß ihn Bertha auch haben. Eine Mutter mit zwei Töchtern gegen zwei Schwestern – der Streit ist oft komisch; aber er giebt ein pikantes Ensemble und vermehrt das Repertoir.

Diejenige, die am meisten bei dieser Rivalität leidet, ist Madame Crelinger. Diese berühmte Schauspielerin hat sich eine Frische und Jugendlichkeit erhalten, die ihr wohl noch erlaubte, namentlich im Lustspiel, in jüngeren Rollen mitzuwirken. Eine glühende Liebe aber zu ihren Kindern, in deren Wohl und Wehe sie ihre ganze Jugend noch einmal mit durchlebt, treibt sie, wenigstens diesen zuzuwenden, was nur irgend dem Fleiß und der Stellung des Fräuleins von Hagn abzuringen ist. Madame Crelinger ist mit ihrem ausgezeichneten Talent in einer schwierigen Lage. Die ältern Characterrollen sind im Besitz der Mad. Wolff, auch die Damen Werner, Valentini und Schröckh wollen beschäftigt seyn: so bleiben ihr nur noch die Orsina, die Milford, Phädra, Iphigenie, einige Reste aus ihrer Liebhaberinepoche, Donna Diana, Eboli und jene Kaiserinnen-Mütter in den Raupachschen Hohenstaufen, die nicht mehr gegeben werden. Alte Ifflandsche Sachen sind nicht mehr auf dem Repertoir. Neue Rollen, die sie oft noch spielen könnte, fallen der Hagn oder ihrer Tochter Bertha zu, der sich die Mutter mit leidenschaftlicher Zärtlichkeit zu opfern scheint. Es that mir fast leid, daß Madame Crelinger die schneidend kalte Lady Macclesfield spielen sollte. Einer Frau, die in ihrer Kehle einen so vollen schönen Glockenton des Muttergefühls hat, mußt’ es gewiß schwer werden, sich in die Stimmung dieser Rolle hineinzuversetzen. Groß dächt’ ich mir die Crelinger in einem Stücke, wo sie eine Mutter spielte, der wie einer gereizten Löwin ihre Jungen geraubt werden. Ihr Herren Meyen, Mügge, Glaßbrenner, Mundt, schreibt der Crelinger ein solches Stück!

405 Bertha Stich hat seit zwei Jahren bedeutende Fortschritte gemacht. Ihre Gestalt hat sich zu völliger Reife ausgebildet: der zarte Schnitt ihres Gesichtes, ein angenehmes Lächeln, schöne Augen, ein schlanker Wuchs und eine üppige dunkle Lockenfülle geben ihr ein äußeres Interesse, das ihren noch nicht ganz sichern künstlerischen Leistungen zu Hülfe kommen muß. Bescheidenen Sinnes und von gutmüthigster, von einer fast spielenden Heiterkeit beseelt arbeitet sie an ihrer allmäligen Vollendung und nimmt jeden Wink an, der sie auf ihre kleinen Mängel aufmerksam macht. In dem, was sie bis jetzt leistet, sieht man, was Fleiß, gute Schule, liebliche äußere Gestalt und ein innerer Drang nach dem Guten, geschürt von einem wirklichen Begeisterungsfeuer, vermögen. Da in der That etwas Excentrisches in der Spielweise des jungen Mädchens liegt, so hat die Mutter wohl Recht, wenn sie sagt: „Lieber zu viel, als zu wenig.“ Aber Bertha Stich wird sich dennoch mäßigen müssen. Die Pforte, aus der ihr Ton kommt, scheint schmal zu seyn und so ist ihre Rede oft sehr ungleichmäßig anschwellend, oft verschwindet der Ton, oft tritt er zu grell heraus, allzulange Absatzpausen stören den rhetorischen Genuß, den man an ihrem Vortrage haben möchte. Um es mit einem Worte zu sagen, es liegt zuweilen etwas Krampfhaftes in der schauspielerischen Weise des interessanten Mädchens. Ob Lustspielrollen, in denen sie schon viel Beweglichkeit und sogar Humor (wenn auch allzusehr mit Berliner Tinten) entwickelt, grade diesen Fehler beseitigen werden, bezweifle ich. Getragene Rollen, bei denen natürlich jede kalte Declamation ausgeschlossen seyn müßte, würden eher zu dem Ziele führen, daß Bertha Stich eine größere Gleichmäßigkeit des Vortrages und eine immer volltönende Beherrschung ihres Organs erreicht. Das Gerücht, als studiere Mad. Crelinger ihren Töchtern die Rollen mechanisch ein, ist böswillig, weil gänzlich ungegründet.

Clara Stich fand ich nur wenig beschäftigt. Wo sollen auch all die Rollen herkommen? Wenn es den beiden Schwestern Ernst um ihre Kunst ist, so müßte sich eine entschließen, an eine andre Bühne zu gehen. An diesen sparsamen Brocken, die aus Verlegenheit heute dieser, morgen jener zugeworfen werden (auch Hulda Erck, Pauline Werner und Auguste von Hagn wollen beschäftigt seyn), kann sich kein Talent bilden. Dazu kommt, daß Clara Stich für das Sentimentale zu viel Kindlichkeit hat und die naiven Rollen – wie selten werden diese in einer Zeit, wo im Lustspiel das Element der Koketterie überwiegend vorherrscht! Das Vaudeville ist vom königl. Theater ausgeschlossen. Was bleibt nun noch übrig? Clara Stich mit ihrem zarten, lieblichen Tone, mit der sinnigen Unschuld ihres Wesens, mit einem unverkennbaren Ehrgeiz, der in ihrer öfters gereizt scheinenden Art schlummert, muß unter den jetzigen Verhältnissen in Berlin verkommen und kann der Bühne nur erhalten werden, wenn sie ein Engagement nach auswärts annimmt. Um auch Clara Stich neben so viel Gutem, was man ihrer Begabung nachsagen muß, auf etwas, das sie ablegen soll, aufmerksam zu machen, so hüthe sie sich vor einem allzuzarten Tonansatz. Ihre Stimme verliert sich da zuletzt immer in die Empfindung, diese wird monoton und man hat Mühe, aus dem Schmerze 406 die Worte, die ihn ausdrücken sollen, deutlich herauszuhören.

Dies sind die Elemente des großen Zwiespalts, der das königliche Theater in zwei feindliche Lager theilt. Als ich Charlotten von Hagn sagte, Madame Crelinger hätte geäußert: „Manchmal muß ich das Mädchen als Schauspielerin bewundern!“ traten ihr Thränen in die Augen. Zweifler werden sagen: O der Comödianterei! und doch liegt dabei vielleicht etwas Tieferes und Edles zum Grunde.

XIII.#

– – Franz Adam Löffler, ein alter Schulcamerad, besuchte mich. Ich hatte in Brans Minerva 1837*) sein Buch über die Gesetzgebung der Presse beurtheilt und meine abweichenden Ansichten so schroff, wie es der Wichtigkeit des Gegenstandes angemessen ist, ausgesprochen. Er gab mir das Zeugniß, daß ich sein Buch wenigstens gelesen hätte. Es ist weit mit der Kritik gekommen, wenn Autoren sich glücklich fühlen, daß ihre Rezensenten wenigstens das Buch, das sie verurtheilen, gelesen haben! Dem Dr. Menzel passirte es kürzlich, daß er einen pietistischen Roman für sittenlos erklärte, weil er nur eine Stelle darin, die schlüpfrig war, gelesen hatte und nicht wußte, daß sie ein Citat seyn sollte, welches der Vf. bekämpfte! Noch lächerlicher machte sich der Verleger des Buches, Herr Anton in Halle, der auf Dr. Menzels unsinnige und gewissenlose Verketzerung hin das Buch vernichten zu wollen erklärt und anzeigt, er hätte es gekauft, ohne den sittenlosen Inhalt desselben zu kennen. Sollte man eine solche Kette von Dummheiten im literarischen Verkehr für möglich halten!

Löfflers politische Ansichten neigen sehr stark nach jenem Systeme hin, für welches noch vor Kurzem der nun katholisch gewordene Joel Jacoby sich in Flugblättern und Zeitschriften als Narr und Don Quixote gebehrdete. Seinem Buch über die Gesetzgebung der Presse, welches Altenstein sehr begünstigt haben soll, fehlt noch der zweite Band. Ich glaube nicht, daß die schwierige Aufgabe, zwischen der Presse und der Oberaufsicht des Staates ein geregeltes Verhältniß herbeizuführen, durch diese Schrift ihrer Lösung besonders nahe gebracht wird. Die Grundbedingung vorurtheilsfreier Lehren über Censur und Preßfreiheit ist Liebe zur Presse, und diese fehlt Herrn Löffler gänzlich. Er hat ein wüstes Bild von der Presse; ihre Ausnahmen macht er zur Regel. Er sieht in den Schreibenden zuviel „Gesindel,“ um mit enthaltsamer Ruhe über eine der wichtigsten Lebensfragen, wo durch das Schicksal, das den Schlechten trifft, auch der Bessere verletzt werden kann, zu urtheilen. Untersuchungen über die deutsche Preßverfassung hätten sich weniger über Preßfreiheit und Censur zu ergehen, als über einige andere Mißstände im Preßwesen, die weit drückender sind, als die letztere. Soll einmal die Presse zum Ressort der Polizei gehören, so dürfte sie darum doch nicht von höhern Gesichtspunkten außer Acht gelassen werden. Immer im Einzelnen hemmen und im Einzelnen beschränken ist weit nachtheiliger, als einen Theil der Preßfreiheit vielleicht ganz aufheben. Das Schädlichste und beinahe Gewissenlose ist die Behinderung der Presse vor ihrer Wirksamkeit. Ich höre, daß es in Berlin fast ganz unmöglich seyn soll, die Erlaubniß zur Herausgabe politischer oder literärischer Zeitschriften zu erwirken. Die Gründe, welche die Behörden dafür anführen, sind vielleicht nicht unwesentlich, aber schwerlich stärker, als das Recht der freien Geistesthätigkeit, das einem wissenschaftlich gebildeten Literaten um so weniger zu verkümmern ist, als vielleicht für ihn die freie Benutzung desselben zur Existenzfrage wurde. Dem Staate steht das Recht der Bestrafung für Unbill und Verletzungen positiver Vorschriften zu: allein jedes Vorgreifen, jedes Behindern der Literatur, noch ehe sie da ist, wird eine Grausamkeit, die hundert Menschenrechte verletzt, ohne es vielleicht zu wollen und in dieser schmerzhaften Wirkung zu ahnen. Was in Frankfurt, Hamburg, Leipzig, Stuttgart, Wien möglich ist, nämlich: Journale zu stiften, warum soll es in Berlin verboten seyn? Wir wollen das hier nicht! Warum denn nicht? Wir wollen’s nicht! Dann freilich muß man schweigen.

Man sagte mir und ich find’ es in hiesigen Blättern bestätigt, daß die Censur gegenwärtig mit viel Milde ausgeübt wird. O es ist nicht Milde, was man am meisten von der Censur wünschen muß! Einsicht, Einsicht – wie wenig einsichtige Censoren giebt es! Wie wenig Männer, die nicht vor jedem lebhafteren Colorit eines Artikels, vor jeder grelleren Ausmalung einer Thatsache erschrecken! Ein milder Censor kann immer noch ein ängstlicher seyn und nichts ist empörender, als ein Censor, der aus Furcht vor einem Verweise seines Vorgesetzten in zweifelhaften Fällen lieber das Sichere für das Ungewisse nimmt und sich aus allen Schwierigkeiten durch einen einzigen langen Federstrich hilft! Ich habe seit den neun Jahren, wo ich mich für Eignes und 407 Fremdes in der Literatur mit näherer Betheiligung interessire, entsetzliche Beispiele dieser Willkür ängstlicher und besorgter Männer erlebt. Verletzungen der Art mögen für jeden Andern, der im bürgerlichen Leben auch ohne literarische Thätigkeit seine feste Einwurzelung hat, minder drückend seyn; für Buchhändler, Schriftsteller ex professo, (oder will man im Jahre 1840 noch läugnen, daß es auch Schriftsteller ex professo geben dürfe?) sind es immer Schläge, die fast an’s Leben gehen. Censoren müssen einsichtsvolle Beamte seyn, ohne Vorurtheile, heitere, lebensfrohe Menschen, die keine unruhige Träume haben, Leute ohne hypochondrische Anlage, Censoren müssen Beamte seyn, die die Censur als onus treiben, deren Beförderung ganz unabhängig von ihren rothen und blauen Federstrichen ist und denen, wenn sie den Anforderungen des Censurcollegiums nicht entsprechen, durch ihre sonstigen Talente und Ansprüche die Rückkehr in ihre frühere juristische oder administrative Carrière unbenommen und die Beförderung in ihr ungeschmälert bleibt.

Bei all der Intoleranz und dem Haß, den Löffler gegen die „Schreiberei“ hegt, enthält sein Werk doch manchen Wink, der, in’s Leben gerufen, der Presse außerordentlich heilsam wäre. Um diese ganze Materie zu prüfen und Preßgesetze zu entwerfen, bedarf es eines Mannes, der mit der weitumfassenden wissenschaftlichen Totalübersicht eines Alexanders von Humboldt die technische Kenntniß des Buchhandels und des äußern Schriftwesens, wie Hitzig sie besitzt, verbände, eines Mannes, der, wenn doch einmal das staatliche Interesse mit einseitiger Rücksicht dabei im Auge behalten werden sollte, der Literatur nicht mehr vergäbe, als z. B. Herr von Rehfues thun würde, der sich als Staatsmann doch noch immer das individuelle Interesse des Schriftstellers, wenigstens als etwas, das er durchfühlen und mitempfinden kann, so schön zu erhalten wußte. Bureaumenschen jedoch und gelehrten Kleinkrämern dürfte der Entwurf und die Berathung eines Preßgesetzes am allerwenigsten überlassen werden.

Bei Hitzig traf ich wirklich eine seltene Kenntniß des Buchwesens in seinen äußern Bedingungen und Lebensfragen an. Er ist eine wahre Spezialität in diesem Fache. Er überraschte mich durch einige buchhändlerische Dilemmen, die er mit vielem Scharfsinn löste und bestätigte mir durch Anführung einiger juristischen Erlasse über Verlagrechtsfragen auf’s Neue, daß den gewöhnlichen Juristen nichts so verschlossen ist, als das Feld des geistigen Eigenthums, auf welchem sie mit einer Oberflächlichkeit sich bewegen, die unverantwortlich ist. Hitzig bildet mit einigen unterrichteten Buchhändlern (Duncker, Dümmler, Dr. Veit, Parthey u. s. w.) einen Sachverständigen-Verein, dem die Behörden sehr oft zweifelhafte Preßpolizeifälle zur Begutachtung vorlegen. Mögte ihm doch auch die Frage vorgelegt werden, ob es nicht endlich Zeit sey, einen nun schon in’s fünfte Jahr über fünf deutsche Schriftsteller dauernden preußischen Censurbann zurückzunehmen, einen Bann, der diese Schriftsteller um jede freie Bewegung ihrer Thätigkeit und um die Hälfte des Ertrages ihrer geistigen Arbeit gebracht hat und der in seiner gleichsam pädagogischen Wirkung, die er auf die Unternehmungen dieser Schriftsteller haben sollte, längst erreicht und bei den Herren Mundt und Laube in seiner zähmenden und zügelnden Kraft wohl beinahe übertroffen ist?

409 XIV.#

– – Freund D……ff hatte einige Künstler eingeladen. Drake zeigte uns sein Basrelief: Goethe, wie er im Arm eines römischen Mädchens Hexameter scandirt. Er zeigte uns seine erste und spätere Auffassung. Jene war sinnlicher gedacht, der Knabe zur Linken zündete eben die Fackel der Liebe an, noch hielt das schöne Weib den Dichter umschlungen. Für die Plastik machte sich an dieser ersten Auffassung Einiges schöner; für die Idee und die Würde des Dichters ist aber die zweite erhabener. Hier ist der sinnliche Moment vorüber. Aus der überwachten Situation mit dem eingeschlummerten Mädchen, aus dem Tribut an die irdische Natur hebt sich der Dichter mit geistiger Weihe, das Auge aus der stillen Umgebung des genossenen Momentes hinüber sendend in das Land der Dichtung und das schöne weiche Fleisch nur noch als fast gedankenlose Anregung zur Formengebung seiner Begeisterung benutzend. Es zog mich an Drake an, daß er sich, wie jeder wahre Künstler, ein fast naives Bewußtseyn über sein sinniges Bild erhalten und fast instinktmäßig alles das in seine Schöpfung hineingelegt zu haben schien, was der Genießende daraus mit soviel Anregung der ergänzenden Verstandeskräfte herausnehmen konnte.

– – Ein Herr Ernst, „Direktor der Theaterschule“ hat an mich geschrieben. Eine Theaterschule, selbst wenn sie das nicht wäre, was ich mir darunter denke, interessirt mich. Ich werde Herrn Ernst besuchen.

– – Er erkannte Ihren Freund sogleich wieder, der gute, alte Geheimrath F. Ich traf ihn in seinem Garten, wo eben der Hollunder die grünen Gänge zierte und aus jedem Strauch, aus jedem Beete die grünen Keime mit Frühlingssehnsucht hervorbrachen. Ich kam voll von weltlichen Erfahrungen und mattgeredet von politischen Räsonnements, die ich bei R.s anhören mußte, ganz in der vollen Strömung der Ereignisse und hoffte, hier über Kirche und Staat, Rhein und Posen, Ein- und Ausfuhr recht in ein Arsenal von Thatsachen und Aufklärungen zu treten. Statt dessen, sah’ ich, hat F. in seinem Gartenpavillon einen kleinen Tauchnitz’schen Horaz in der Hand, Schellers Lexikon neben sich und liest Beatus ille, qui procul negotiis! Es lag etwas Rührendes in diesem Contrast dessen, was ich erwartete, und dessen, was ich traf. Ein bedeutender Staatsmann, vor dessen Hause eben der Aktenwagen hielt, ein Beamter, den man gewohnt ist, über die complizirtesten Fragen der innern Gesetzgebung reden zu hören und dessen Kenntnisse über Jedes, was im Lande nur irgend sich besteuern läßt, außerordentlich gesucht sind – ich treff’ ihn, wie er eben eine Ode des Horaz liest und für jedes ihm entschwundne Wort in seinem alten Scheller Hülfe sucht! Wohl ihm, der sich eine solche Jünglingsfrische für sein Alter zu bewahren weiß und dem noch das Herz jubelt, wenn es ihm gelingt, schnell in einem alten sinnigen Dichterspruche auszudrücken, wofür man in gewöhnlicher Diktion eine Masse leerer Bezeichnungen verbraucht. Es ist so schön, wenn man sich im Gewühl der Alltäglichkeit das Menschliche bewahren kann.

– – Als König Philipp im Schiller’schen Don Carlos war Seydelmann sehr tüchtig. Er hatte das Karrikirte, welches in Schiller’s ursprünglicher Zeichnung zu liegen scheint, sehr gemildert und einen Guß in den Charakter 410 gebracht, der ihm eine größere Einheit in der Darstellung giebt, als ihn Philipp auf dem Papiere hat. Das häufige Überspringen der Gefühlsstimmungen in dieser Rolle gelang dem Künstler besser, als ich es sonst in einer Rolle desselben (mit Ausnahme des Steele in meinem Savage) gefunden habe. So oft der König nur auftrat, war er siegreich. Der Monolog in der Nacht war sehr gut ausgearbeitet und nur in der Scene mit Alba und Domingo hätt’ ich bei der Stelle, wo Alba sich anheischig macht, die Untreue der Königin zu beweisen, einen ganz neuen, excentrischen Impuls in der Gemüthsstimmung gewünscht, die den König durchfiebert. Es ist keine Frage, daß Philipp eine von Seydelmanns besten Rollen ist und ihm überall Bewunderer erwerben muß. – Herr Grua hat für Don Carlos nicht mehr Jugendlichkeit genug; Herr Devrient besitzt die Gestalt und die sonore Organsfülle nicht, die ich mir mit dem Posa verbunden denke. Mad. Crelinger war als Eboli sehr durchdacht und in ihrer Wirkung an den Glanzstellen der Rolle zuweilen hinreißend. Die ganze Vorstellung hatte etwas Imponirendes, obgleich die Besetzung einiger Rollen, die nicht zu den Nebenrollen gehörten, manches zu wünschen übrig ließ.

Ich kann nicht umhin, hier auf einen Mißstand aufmerksam zu machen, dem sich vielleicht in Zukunft zum Vortheil des rezitirenden Dramas in Berlin abhelfen ließe. Wenn im königl. Schauspielhause der Vorhang fällt, so währt es eine Weile, bis die Musik spielt. Endlich beginnt sie, spielt einen Conzertsatz (meist allerdings mit mehr Präzision, als auf andern Bühnen, wo die Zwischenaktsmusiken ganz erbärmlich ausgeführt werden), hört aber mit der Schlußfigur auf und läßt bis zum Beginn eines neuen Aktes nicht selten außerordentlich lange Pausen offen. Man kann aber überzeugt seyn, daß ein solches Verfahren dem Autor und Schauspieler gleich schädlich ist. Die Musik in den Zwischenakten soll nicht zur bloßen Unterhaltung da seyn, sondern sie soll die Illusion des vorgeführten Dramas vermehren helfen. Jeder Theaterdirektor weiß, daß man ein neues Stück bei seiner ersten Aufführung durch allzulange Zwischenakte scheitern machen kann. Die lange Pause zerstreut das Publikum, reißt es aus der Illusion, fordert zum allzulebhaften Austausch kritischer Urtheile heraus. Wie manches Stück ist das Opfer des allzulangen Umkleidens der ersten Liebhaberin geworden! Um nun die üble Wirkung solcher Mißstände und überhaupt Möglichkeiten dieser Art ganz zu umgehen, giebt es nur das eine Mittel, daß die Musik den ganzen Zwischenakt ausfüllt. Sie muß mit dem Fallen des Vorhanges beginnen und erst wieder aufhören, wenn er zum neuen Akte in die Höhe geht. Ich erkundigte mich, ob es denn nicht möglich wäre, diese Veranstaltung zu treffen? Man sagte: Nein! Warum nicht? Weil Spontini über jeden Geigenstrich im Theater zu gebieten hat und es nicht möglich wäre, ihn zu einer Änderung dieser bisherigen Unsitte zu bewegen. Hat er Gründe? Ja. Erstens bekämen die Instrumentisten eine so geringe Gage, daß man ihnen nicht zu viel zumuthen dürfe; zweitens wollen sie ihre Musikstücke im Zusammenhang spielen und sich nicht durch die Klingel des Souffleurs unterbrechen lassen. Der erste Grund ist leer; denn da die Herren einmal im Theater sind, so wird’s ihnen wenig verschlagen, ob sie fleißig spielen oder sich in Gesprächen unterhalten, um so mehr, da meistens junge Remplacanten für die eigentlich engagirten Kammermusiker zu spielen pflegen. Der zweite ist noch leerer, denn im Schauspiel kommt es nur auf das Drama, nicht auf die Musik als solche an. Sie muß sich jenem unterordnen und auf eigene Geltung verzichten. Auf fast allen Theatern ist es Sitte, daß mit der Klingel des Souffleurs der Vorgeiger abbricht, und, wär’ es auch mitten in einer Cadenz, mit dem Bogen ein Zeichen giebt. Man halte diese Bitte um Abhülfe nicht für kleinlich! Wer für das Theater schreibt, (Blum, E. Devrient, Raupach müssen es bestätigen) weiß, wie schädlich den Stücken die gedrückte Stille der Zwischenakte ist und wie vortheilhaft es für die heitere Stimmung und Erregtheit der Zuschauer wirkt, wenn die ganze Zeit zwischen dem Fallen und Aufgehen des Vorhangs mit einer anregenden, heiterbelebenden Musik ausgefüllt wird. Des Verdeckens einer widerwärtig langen Umkleidung gar nicht zu gedenken! Sollte sich Maestro Spontini, le grand maitre de la Chapelle, nicht erweichen lassen?

XV.#

– – Von dem großen Diner bei Schlesinger hat man schon in allen Blättern gelesen. Solche Massen von Ruhm kann man nur in Paris, London und Berlin zusammenhaben. Man wird sich in Cirkeln dieser Art nicht einander vorgestellt, sondern kann Gefahr laufen, sich über eine wissenschaftliche Richtung mißfällig zu äußern, deren vorzüglichster Repräsentant Einem grade gegenüber sitzt. Man sah hier bei Schlesinger den Componisten des Postillons von Lonjumeau, Herrn Adam, 411 der ein beinahe deutsches Gesicht hat und wenig von dem blitzend Interessanten eines Franzosen verrieth. Ein belgischer Arzt, Dr. Philipp, hatte soeben vom König die goldene Medaille für sein Werk über Dieffenbach’s Chirurgie erhalten. Hofrath M. vom statistischen Büreau führte mich in alte Sprachreinigungsstudien zurück: er bewies mir, daß allein in der deutschen Kriegssprache ein noch unerschöpfter Born neuer Wortbereicherungen für uns läge. Tapfer und altdeutsch in seinem Wesen, stieß er nur auf Gutes und Braves an. Vom Assessor W. erwartet man eine politische Brochüre. Carl Blum erzählte von einem neuen Lustspiele, nach einer englischen Anekdote, worin Seydelmann eine Glanzrolle haben sollte. Von seinem Doctor Reckum sagte er, dieser wäre ihm über den Kopf gewachsen. Man hätte, durch den Namen verführt, mehr in dem Charakter gesucht, als er hineinzulegen dachte und wäre ohnedies von Rücksichten gebunden gewesen, die ihm eine gründlichere Erschöpfung des Muckerthums für seine „Schwärmerei nach der Mode“ verboten hätten. Felix Mendelssohn und Meyerbeer – beide so verschieden in ihrer musikalischen Art – saßen zusammen und erinnerten sich aus alter Zeit, wie gern sie beide in London Mehlspeisen gegessen hätten! Von Musik sprachen sie nicht, sondern von Mehlspeisen. Mendelssohn sucht einen Operntext, Meyerbeer ein besseres Klima für seine Gesundheit. Von seinen Tantiemen in Frankreich machte mir Meyerbeer tantalische Schilderungen. Ein armer deutscher Autor, der für ein überall gegebenes Stück doch noch keine 1000 Thaler binnen zwei Jahren erntet, hört mit gesperrtem Munde, daß Scribe, ohne neue Dramen zu schreiben, lediglich vom Ertrage der alten jährlich eine Rente von 40,000 Franken bezieht! Damen, die sich an den Liedern von Truhn, Kücken und Banck ergötzen, würd’ ich manches über die äußere Art dieser Männer erzählen, wenn nicht die Porträtmalerei in der Literatur jetzt zu verrufen wäre. Der berühmte Maler Begas ist ein Rheinländer, mit der ganzen Agilität seiner Landsleute begabt, ein Redner, der nie ruht und den ein inneres Feuer zu verzehren droht. Er spricht mit Geist über seine Kunst und ist kein Diplomat, wenn man ihn über die Leistungen Anderer befrägt. Er ist jetzt mit einem großen kirchlichen Gemälde beschäftigt.

– Auf die stereotype Frage: Warum bleiben Sie nicht bei uns? bracht’ ich mit der Zeit wohl einige Dutzend Antworten heraus. Und doch muß man gestehen, bietet Berlin demjenigen sehr viel Fesselndes dar, der sich einer sichern Anknüpfung an öffentliche Thatsachen daselbst zu erfreuen hat. Ohne Zweck und Ziel kann man in Berlin vor Langerweile vergehen. Wer aber entweder einen Wirkungskreis ausfüllt oder sonst einen Plan verfolgt, dem werden die angenehmen Seiten des hiesigen Aufenthalts sehr lockend entgegentreten. Das helle Äußere Berlins zeichnet die Stadt vor vielen andern aus. Die freien, geräumigen, sonnenhellen Straßen, die bequem gelegenen Häuser mit den freundlichsten Wohnungen sind schon ein Vorsprung, den andere Städte nicht so leicht nachholen. Für die Geselligkeit ist ein Bedürfniß vorhanden, das z. B. in Hamburg und Frankfurt, wo sich die Familien im wechselseitigen Abschluß doch ganz behaglich fühlen, fehlt. Man ist in Berlin auf Umgang angewiesen und trachtet nach Annäherungen. Durch wechselseitiges Überbieten in Gastereien werden diese nicht erschwert. Man verschmäht die lächerliche Eitelkeit, bei einer jährlichen Abfütterung sein Silber und Gold zu zeigen. Der materielle Mensch macht weniger Ansprüche, als irgendwo und wo kann dem geistigen wohl eine reichere Kost geboten werden? Das Streben nach Bildung ist allgemein, Verdienst in irgend einem geistigen Bereiche wird hochgeehrt und man geizt nach dem Umgange mit dem, was irgend nur über das allgemeine Niveau hervorragt. Das ganze gesellige Leben Berlins ist auf Mittelstand gebaut, denn er ist der überwiegend vorherrschende. Das Durchschnittliche der Tagesordnung erleichtert sehr die Anknüpfungen, denn man kann es fast überall voraussetzen. Man lebt nicht abgeschlossen in seinem Hause, sondern verläßt es ohne Besorgniß, durch einen flüchtigen Besuch eines anständigen Vergnügungsortes etwas von seiner Würde zu verlieren. Für dasselbe Geld, womit man in Hamburg, Frankfurt, Leipzig und andern reichen Städten doch immer nur ein gedrückter Mensch ist, kann man sich in Berlin ein ganz angenehmes Daseyn schaffen und sich in aller Unschuld auf seine Art, das Leben zu genießen, ordentlich etwas einbilden. Freilich einige Störungen giebt es, die den Horizont trüben; doch sind sie dem Berliner, der in ihnen auferzogen ist, weniger lästig, als dem Ausländer, der sich schwer an sie gewöhnt.

– – Noch immer war ich nicht im Königstädter Theater. Das Repertoir und der Ruf dieser Bühne ist so uninteressant, daß ich mich nicht entschließen kann, ihr meist leeres Haus zu besuchen. Warum mußte diese Bühne so ganz ihre Bestimmung verfehlen?

413 XVI.#

– – Warum wollen Sie durchaus etwas von der Berliner Literatur hören? Lassen Sie diesen Kelch an mir vorübergehen! Sie wissen, daß in Berlin Alles, was dort die Feder führt, mir mehr oder weniger Feind ist; Sie wissen, daß ich längst, um einen Trost zu haben, mit Carlos im Clavigo denke: „Und wirst du nicht beneidet, so bist du auch nicht glücklich.“ Die gereizte Stimmung wird gegen mich nicht aufhören, eh’ ich nicht von der Journalistik abtrete. In der Literatur giebt es kein Urtheil mehr, sondern nur noch Repressalie. „Wie Du mir, so ich Dir!“ ist die Devise aller Tagesschriftsteller. Die Beispiele, wo Jemand seinem Feind Gerechtigkeit widerfahren läßt, wird man aus der Geschichte des jetzigen Schriftwesens nicht vermehren können.

Es scheint die Absicht der Behörden gewesen zu seyn, in Berlin mit der Zeit der Journalistik ein nur ganz beschränktes Bett zu lassen. Man hatte Recht, wenn man erwog, wie unwürdig das Treiben war, welches seit Saphir und Öttinger in Berlin für Literatur ausgegeben wurde. Das Amusante in Saphirs Schreibweise ließ eine Weile den nachtheiligen Einfluß vergessen, der aus einem Naturalismus so wuchernder Art für das Schriftwesen entstehen mußte. Als Saphir Berlin verließ, suchte ihn die fadeste Gemeinheit zu ersetzen: die literarische Thätigkeit eines Glaßbrenner war ebenso kindisch, wie in den Eckensteherwitzen unanständig. Die consequente Weigerung der Behörden, dem Glaßbrenner und seinem schülerhaften Anhange von witzelnden Commis und humoristischen Ladendienern die Herausgabe einer Zeitschrift zu gestatten, verdient, wenn sie aus dem Mangel an Vertrauen, welches die geistigen Fähigkeiten solcher von aller Schulbildung und wissenschaftlichen Vorbereitung verlassenen Stegreifschriftsteller einflößen können, nur den Dank jedes um die Würde Berlins besorgten Literaturfreundes. Eine Menge bei dem frühern Treiben halbreif gewordener sogenannter Literaten laufen hier herrenlos umher und müssen sich auf Anlage von Weinstuben, Lesezimmern, lobpreisende Anzeigen von Fabrikaten u. dergl. verlegen, um nur leben zu können. Hitzig hatte mit seiner Warnung in vieler Hinsicht sehr Recht und an manchen Erscheinungen kann man deutlich sehen, wie gut sie gewirkt hat.

Der Beruf, die Feder zu führen, kann nur aus einer unverkennbaren geistigen Anlage hergeleitet werden, nicht aber aus dem Talent, eine grobe Theaterkritik zu schreiben oder Dialoge zwischen einer Obst- und einer Fischhökerin zu erfinden, die mit weit mehr Witz ausgestattet oft im „Beobachter an der Spree“ zu lesen sind, als in den Heftchen jener ekelhaften Sittenmaler, die die untere Volksklasse Berlins zu dem Ruf der rüpelhaftesten Gemeinheit gebracht haben. Und doch zeichnet sich die untere Volksklasse Berlins, mit wenigen lüderlichen Ausnahmen, grade durch die treueste Gutmüthigkeit, harmloseste Neigung zu unschuldigen Vergnügungen, durch Sittlichkeit und, wie die vollen Kirchen beweisen, eine tüchtige Religiosität aus! Herr Glaßbrenner hat die Frechheit gehabt, die unteren Volksklassen Berlins als im Zustand eines ewigen Betrunkenseyns befindlich darzustellen: er hat die ganze Atmosphäre Berlins vor Deutschland in jenen Aquavitgeruch gebracht, der alle seine sogenannten Volksschilde-414rungen durchduftet. Es ist empörend, daß eine so niedrige Incarnation literarischer Fähigkeit, wie sie in diesem bedauernswürdigen Manne sich vorfindet, allmälig durch einen arrogirten Pli von Anstand und literarischer Würde dazu kommen konnte, in artistischen Fragen seine Vaterstadt bevormunden zu dürfen. Köpfe dieser Art dürfen nie über das Erdgeschoß in der Literatur hervorragen und wenn man aus diesem Grunde Herrn Glaßbrenner Journalstiftungen untersagt, so kann man den Behörden dafür nur Dank wissen.

Ich sehe, mein Freund, Sie erschrecken über die unumwundene Sprache, die ich hier über Menschen führe, welche mir für diese Bemerkung mit tausend giftigen Repressalien danken werden. Sie können gewiß seyn, daß dafür in Leipziger und Berliner Blättern bald zu lesen seyn wird: „Richard Savage ist ein mittelmäßiges Produkt;“ „Gutzkow kam hieher, um sich herausrufen zu lassen;“ „Gutzkow ist nichts, als kalter Verstandesmensch, wo ist ein Funke Gemüth in ihm?“ „Gutzkows Richard Savage ist kein Held, sondern ein Narr;“ „man sagt, Gutzkow hat ein neues Drama geschrieben, welches ihm sehr gefallen hat;“ „von Gutzkows Blasedow sind im Ganzen 70 Exemplare verkauft;“ „Gutzkow hat seinen Savage aus Michel Masson’s Couronne d’epines genommen;“ „kein Schriftsteller hatte je so viel Lobhudler in seinem Solde, als Gutzkow“ u. s. w. u. s. w. Sie wissen, lieber Freund, wie ich seit Jahren Polemik dieser Art aufnehme und mich gewöhnt habe, mein ganzes Daseyn als einmal dazu bestimmt zu denken, von solchem Fliegenschmutz wohl nie ganz rein zu werden. Ich bin in meinen ersten Anfängen als Autor sehr schroff aufgetreten, bin nie ein Mann der Coterie gewesen, sondern habe mir darin gefallen und gefalle mir noch darin, meine Überzeugung unter keinerlei Umständen zu verschweigen. Ich weiß, daß man mir die Nothwendigkeit, in meiner Lage als Journalist wahr und gerecht seyn zu müssen, als Zanksucht, Eitelkeit und lächerliche Einbildung auslegt und daß viele Menschen, selbst ohne bösen Willen, durch diese unaufhörlichen Entstellungen meines Wesens einen carrikirten Begriff von mir haben. Ich weiß, daß meine Produktionen darunter leiden. Wär’ ich ein harmloser Autor, wie Herr von Sternberg, der Novellen schreibt und von den Bildern seiner Gegner sich höchstens Fidibus macht, um sie an der Cigarre in seinen vier Wänden zu verbrennen, wohnt’ ich in einer stillen Klause im Krainerischen, wo Herr von Auersperg lebt, wär’ ich Landpfarrer auf der Insel Rügen oder wohnte auf einem kleinen Vorgebirge im Meerbusen von Sorrent – ich würde mich längst einer milderen Hinnahme meiner Produktionen und eines verbreiteteren Genusses derselben zu erfreuen haben. So aber muß ich Journalist seyn, muß nach Kräften strafen, belohnen, angreifen, vertheidigen, Eitle kränken, Jesuiten entlarven, Narren ignoriren – was bleibt mir da übrig, als daß spätre Zeiten billiger denken und jetzt schon Einsichtsvolle dem über mich gedruckten Buchstaben ansehen werden, ob er aus dem Geist der Liebe oder des Hasses kommt? Ich gestehe, daß ein Nebenzweck, warum ich mich dem Drama zuwandte, auch der ist, daß ich hier die vermittelnde Kritik in unsern allgemeinen Organen überspringe und hoffen darf, von den oft geistvollen und an den Literaturwirren jedenfalls unbetheiligteren Herausgebern kleinerer Lokalblätter*) und dem unpartheiisch genießenden großen Publikum unbefangen und nur nach der vorgeführten Sache gewürdigt zu werden. Hier in Berlin erfuhr ich am 2. Mai, daß sich zwischen Gallerie und Parterre mehr Freundlichkeit und nachsichtige, still prüfende Theilnahme findet, als sich die Schulweisheit gewisser literarischer Herren träumen ließ.

Das Unglücklichste aber am Menschen ist der Wahn. Denn der Wahn läßt sich nicht bekämpfen, ja er erscheint nicht selten in dem Glanzlicht heiliger Überzeugung, wo er doch nur eine innere optische Täuschung des Geistes ist. So werden hier in Berlin manche der besten Köpfe von einem Wahne geblendet. Sie glauben sich des Guten bewußt und ahnen nicht, daß sie nur von eingebildeten Phantomen umgeben sind. Wenn ich sie sehe, so fäßt mich ein tiefes Mitleid und ich kann ihnen, selbst bei ihrem Hasse, nicht gram seyn. Ich fühle dann, wie glücklich der ist, der die Tugend der Selbstentäußerung kennt. Fühlten sie nur einen Augenblick, daß wir mit allen unsern Einbildungen arm und schwach sind, sie würden neue Menschen werden.

Die Sprödigkeit der Regierung, selbst studirten und talentvollen Köpfen die Begründung von Zeitschriften zu gestatten, hat das Übel nach sich gezogen, daß viele der hiesigen Schriftsteller sich auf meistens sehr geschwätzige Berichte in auswärtige Blätter verlegten. Dinge, die 415 man in hiesigen Organen, mit weit mehr Mäßigung besprechen würde, kann man in Leipziger Blättern immer gewiß seyn, sehr gehässig dargestellt zu finden. Durch dieses Anpochen bei fremden Zeitschriften vergiebt sich der hiesige Literat viel von der Anhänglichkeit, die er unter allen Umständen gegen das Heimathliche haben würde und verfällt in Moquerie bei Veranlassungen, wo kaum ein Grund dafür vorhanden scheint. Würdevolle Gediegenheit, mit welcher man früher in Berlin Ansichten und Zustände erörterte, geht verloren und ein malkontentes gehässiges Wesen wird in Köpfen genährt, die von Natur geboren scheinen, kein Wasser zu trüben.

– Daß Dr. Mundt einen kleinen Kreis um sich zieht, entspricht dem unverwüstlichen Partheienstiftungstriebe dieses bekannten Schriftstellers. Man klagte indessen allgemein über die beiden Zeitschriften, die Dr. Mundt herausgiebt. Man begreift nicht, wozu sie existiren. Unterhaltungsmagazine zu stiften, diese Tendenz wäre eine zu oberflächliche. Sich durch Mitarbeiter von Namen und Bedeutung ein Relief zu geben? Viele wollten dies für den leitenden Gedanken des „Freihafens“ halten. Wozu aber dann der „Pilot“? Man kann nicht anders, als Denen beistimmen, die die Sucht des Dr. Mundt, Journale zu stiften, unter seinen eigenthümlichen Verhältnissen für etwas Frivoles halten. Ich weiß, daß ich hier wieder ein Wespennest aufstöbre; aber warum soll es ungesagt bleiben, daß Dr. Mundt von seinem Namen als Journalfirma einen höchst gedankenlosen Gebrauch macht? Wir bedürfen Journale, in denen kritische Köpfe (und für einen solchen kann Dr. Mundt doch nur gelten) sich in rüstigster Thätigkeit, ordnend, tadelnd, anerkennend, sichtend, richtend bewähren. Unterhaltungsspeicher, ohne Tendenz und literarisches Eingreifen, können ja auch Buchhändler stiften. Der Freihafen spricht vom Hundertsten in’s Tausendste und giebt russische Novellen, werthlose Briefwechsel und dergleichen. Wozu das? Es ist dergleichen überall am Orte; nicht aber da, wo ein zur Kritik einmal geschaffener Literat, wie Dr. Mundt, ein Gelehrter, der nie das Einzelne und Ganze in den geistigen Richtungen Deutschlands aus dem Auge lassen sollte, am Ruder sitzt. Sonst war das dritte Wort, das Dr. Mundt sprach, ein Urtheil, eine Parallele, eine Kritik; woher nun dieses vornehme Ignoriren der Produktionen, während man an der Spitze zweier Zeitschriften steht! Wahrlich es kommt weit mit unsrer Literatur. Die Herren schaffen sich Journale, ignoriren, was nicht zu ihrer Coterie gehört, vermeiden sogar die Polemik, als etwas ihrer hohen Würde nicht mehr Angemessenes. Da sind geistvolle, gelungene, da sind Hoffnung erregende Werke, da sind hundert Thorheiten, die gerügt seyn wollen – warum für dies Alles kein Wort, keine Ermunterung, keine Strafe? Willst Du Journale herausgeben, so sollen sie nicht dazu da seyn, Dir durch einige achtbare Mitarbeiter ein Relief zu geben, sondern im Schweiße Deines Angesichts mußt Du das Neue lesen, an Deine Leser vermitteln, beobachten, suchen, was verborgen ist, zurücksetzen, was sich allzulaut vordrängt! Nein, ich muß gestehen, daß diese Art des Dr. Mundt, Journale zu redigiren, sehr gefährlich ist. Er absorbirt mit zwei Unternehmungen der Art die Leselust des Publikums und braucht die beiden Institute nur dazu, sich in einen Vordergrund zu stellen. Haben aber Redaktoren nicht Verpflichtungen? Dürfen Zeitschriften zu dem Zweck begründet werden, um dem auf dem Titel genannten Herausgeber eine äußere Autorität zu verleihen? Ich weiß recht gut, daß Dr. Mundt alle Ursache hat, Polemik zu vermeiden, aber dann ist er auch zur Herausgabe von Zeitschriften nicht mehr befugt. Die Herren, die früher so keck auftraten, die Herren Laube, Kühne, Mundt, die von Kritik und Besprechung überflossen, sind jetzt ganz stumm geworden, haben sich als gemachte Namen abgerundet und denken: Ich ignorire, was um mich vorgeht, wenn es nicht in direkter Beziehung zu mir steht! Wahrlich, da sind wir weit gekommen und können, wenn wir noch Dr. Menzels Indolenz und willkührliches Ignoriren, die technologisch-agronomische Tendenz der Cottaischen Quartalschrift, die philosophisch-exclusive Einseitigkeit der Hallischen Jahrbücher, die endlosen Novellen der Zeitung für die elegante Welt hinzunehmen, wohl sagen, daß wir im Kritischen jetzt ganz in der Irre und im Dunkeln gehen.

Sie wissen, lieber Freund, daß ich hier nicht in Beziehung auf mich spreche. Ich bedanke mich für die Ehre, von einem dieser so vornehm gewordenen Herren getadelt oder für die noch mißlichere Chance, von ihnen gelobt zu werden. Aber um die, welche nicht Parthei machen wollen, thut es mir leid. Wer jetzt ein Buch schreibt und diesen Herren nicht hofirt, kommt nicht dazu, besprochen zu werden. Dieser Dr. Mundt hat zwei großmächtige Journale. Wer ihm nicht die Visite macht, kommt nicht dazu, in seinem menschlichen Daseyn auch nur einmal erwähnt zu werden. Eine Aristokratie sehr gefährlicher Art hat sich hier ausgebildet. Wer hätte diese von Schriftstellern erwartet, die früher so heftig gegen ältere 416 Aristokratieen in unsrer Literatur eiferten und Alles umstürzen wollten, was eine vornehme Miene machte?

418 XVII.#

– – Es ist erstaunlich, wie wenig Zeit Alexander von Humboldt braucht, um etwas Geistvolles zu sagen; noch erstaunlicher, wie leicht er von einigen Aperçüs über die kaukasische Menschenraçe zu einigen Winken über das Princip des Aristoteles von der Tragödie übergeht. Er klagte, daß bei den Berliner Gelehrten universelle Bildung und allgemeine Humanität (im Herder’schen Sinne) immer seltener würden; man hätte außerordentlich gründliche Forscher, aber wenige verstünden, über ihr Gebiet hinaus, sich für Andres auch nur einmal empfänglich zu zeigen. Er nannte meinen alten Lehrer, den wackern A. Boeckh, als eine der wenigen rühmlichen Ausnahmen.

Man konnte bei Beers überhaupt wieder sehr viel Notabilitäten sehen. Ein sonst in dem gastfreien Hause immer heimischer Gast, Eduard Gans, war seit einem Jahre todt! Freunde hatten eben an seinem Sterbetage das Grab des allzufrüh Geschiedenen bekränzt. Der Astronom Beer hatte die Entführung seines wissenschaftlichen alter Ego’s, des Professors Mädler, nach Dorpat zu beklagen. Heinrich Beer ist der Dritte in dem Bruderbunde, ein Enthusiast, allem Interessanten mit Feuer sich hingebend, ein wahres Genie geistiger Genußsucht, einer Leidenschaft, die aber gewiß zu den edelsten gehört. Man sahe Graefe, Streckfuß, angesehene Beamte, Offiziere, Gelehrte, wie Zumpt, dessen lateinische Grammatik einmal in der Zahl der Auflagen mit der Bibel und Luthers Katechismus zusammen genannt werden wird. Marx, bekannt durch seine Tonsatzlehre, ist ein sinnreicher Kopf, mit viel klarem Urtheil und einer gemüthlichen Empfänglichkeit, die dem, dessen Schöpfungen sie trifft, außerordentlich wohl thun muß. Förster, den ich von seiner amtlichen Stellung her nur als oft witzigen Erklärer der Raritäten des Kunstcabinettes kannte, (einer königl. Sammlung, deren barocken Bestandtheilen wohl ein humoristischer Commentar zu wünschen wäre) urtheilte über historische Fragen mit viel Sach- und Detailkenntniß. Sein Mißbehagen an Seydelmanns Mephisto kommt wohl daher, daß er zu denen gehört, die den Herzog Karl von Mecklenburg in dieser Rolle mit Claque und im schwarzen Frack mit seidenen Strümpfen gesehen hatten. Förster wünscht den Teufel liebenswürdiger, als ihn Seydelmann giebt. Was bleibt aber den guten Engeln und Gott dem Vater, wenn wir vom Teufel voraussetzen, daß er liebenswürdig ist? Es ist erstaunlich, was wir Menschen ein Gelüst haben, uns die Hölle so interessant, als möglich auszumalen.

– Die Ernst’sche Theaterschule! Ich besuchte Herrn Ernst, der früher selbst Schauspieler war und dessen Töchter schon auf einigen österreichischen und ost- und westpreußischen Bühnen gastirt hatten. Im Sommer reist er mit seiner kleinen Gesellschaft durch Pommern, im Winter spielt er in Potsdam. Er behauptete, daß der Ertrag dieser Vorstellungen seinen bedeutenden Kostenaufwand decken müsse, denn die meisten seiner Eleven wären zu unbemittelt, um den Lehrcursus ganz oder überhaupt zu bezahlen. Er zeigte mir einen Lehrplan, in welchem ich französischen und italienischen Sprachunterricht, Gesang, Deklamationslehre, Mimik und Plastik, Ästhetik und praktische Übungen angesetzt fand. Er zeigte mir ein Repertoir für den laufenden Monat, wo ich fand, daß man Lustspiele, Schau- und Trauerspiele z. B. die Griseldis studierte und im Zimmer aufführte. Im Nebenzimmer war das ganze Personal versammelt. Ich überraschte die jungen Kunsteleven in einer Pause, die ihnen eben gestattet war. Am Fenster überhörten sich einige ihre Rollen, andere übten eine Stellung vor dem Spiegel, Vereinzelte lernten aus dem Soufleurbuche, andre hatten Sopha und Stühle in Beschlag genommen. Die Herren und Damen beten hier die Kunst in einem Simultangottesdienste an: sie sind nicht getrennt. Niemand von den Eleven schien das neunzehnte Lebensjahr überschritten zu haben.

Zwei Tage später führte mir Herr Ernst seine Zöglinge in zwei Stücken vor, die ich zu diesem Behuf aus dem Repertoir gewählt hatte: Hahn und Hektor und Kunst und Natur. Der Darsteller des Wilken hatte schon einige Gewandheit im Spiele, mangelhafter waren die Übrigen. In Kunst und Natur zeigte Dem. Ernst als Polyxena eine ganz artige Routine und die Art und Weise, wie ein junger Breslauer den Husarenwachtmeister aufgefaßt hatte, war sogar talentvoll zu nennen. Schade, daß der junge Mann, der Älteste in der Gesellschaft, an Figur der Kleinste war. Scenische Illusion und Arrangement fand vorläufig nicht Statt; denn Herr Ernst hat im Hause keine Bühne. Die Vorstellung geschah auf der glatten Diele des Lehrzimmers. Memorirt war recht brav; die Betonung natürlich oft noch widersinnig, das Organ noch ohne rechte Fülle und der Dialekt, namentlich bei den jungen Mädchen, entsetzlich berlinisch, besonders in dem Diphthongen ei, an dessen 419 Aussprache man fast immer sogleich den Berliner erkennen kann.

Die Anstalt hat mich weniger in dem, was sie leistet, als was sie leisten könnte, viel beschäftigt. Eduard Devrient kam mit mir darin überein, daß es unverantwortlich ist, die Selbst-Rekrutirung des deutschen Schauspiels ferner noch dem blinden Ungefähr zu überlassen und in einer Zeit, wo der tüchtigen Kräfte, die die Bühne heben und halten könnten, immer weniger werden, nicht endlich auf Erziehung und systematische Bildung von Schauspielern bedacht zu seyn. Frankreich hat seine theatralische Akademie. In England ist der Unterricht, in Italien der Volksgeist auf rhetorische Vorbildung gebaut. Nur bei uns, die wir zum Schauspieler in unserm Nationalcharakter so gut, wie gar keine Prädestination haben, nur bei uns überläßt man es dem Zufall, daß Schauspieler gezeitigt werden. Unsre Schulen haben nicht einen Unterrichtszweig, der einem künftigen Schauspieler eine Vorbildung geben könnte; denn das, was man in unsern Schulen Deklamationsübung nennt, wird man doch wohl nicht dafür halten? Unsre jetzigen Schauspieler gehörten früher meist dem Handelsstande an, wenige erhielten eine bis in höhere Klassen hinaufgeführte Schulbildung. Ein hübsches Bein, eine schlanke Taille, gute Brust und die Theatersucht pflegen meist den Beruf des Anfängers zu erhärten. Ist das Glück gut, so spielt sich der Anfänger herauf, kommt von kleinen Bühnen zu größern, bleibt aber nur Routinier und kann als solcher zuletzt eine lebenslängliche Anstellung an einem Hoftheater als Ziel seiner Wünsche wohl erreichen. Ist nun aber das Glück nicht günstig – wie dann? Wie, wenn man endlich so weit gekommen ist, wie wir es jetzt in der That sind, daß wir hundert erträgliche Schauspieler sehen, ohne ein einziges Talent zu entdecken! Man möchte oft seinen Augen nicht trauen, wenn man jetzt liest, daß Schauspieler, die vor drei Jahren in Husum ausgelacht wurden, am Hoftheater in Buxtehude angestellt sind. Sie sind dieselben geblieben, haben allerdings mehr Routine bekommen, aber was sie allein engagirte, ist der schreckliche Mangel an Schauspielern, die nur einigermaaßen mit Armen und Beinen, Brust und Stimme etwas vorstellen. Ebenso ist es mit den Weibern. Junge Mädchen mit etwas Larve laufen auf die Bühne, ohne Geschriebenes recht lesen zu können und wenn sie auch etwas französisch parlirten, so fehlt ihnen doch in einem entsetzlichen Grade wieder das innere quecksilberne Prinzip, die Unruhe des Talents, der unwiderstehliche Drang nach etwas Reellerem, als der leere Beifall. Applaus wollen sie alle, aber wenige wissen sich Rechenschaft zu geben, wodurch sie ihn verdienen, noch weniger, wie er ihnen nie entgehen könnte. Dann kommt die Kabale, die käufliche nichtswürdige Journalistik, das Lügenwesen der Theatercorrespondenzen und wir sehen Individuen für Künstler gelten, die nicht einmal das Handwerksmäßige in ihrem Beruf erlernt haben. Und da es mit den Aussichten für unsre Bühne immer schlechter, da immer frecher und gewissenloser in den Blättern gelogen wird, so ist es wahrlich Zeit, daß man daran denkt, der drohenden Sündfluth einen Damm zu bauen. Dieser müßte die Begründung einer Theaterakademie im größten Style seyn und Ed. Devrient hat Recht, wenn er Berlin für den passendsten Ort dazu erklärt.

Die Schauspielkunst gehört den bildenden Künsten an und noch ist kein Maler da gewesen, der nicht Zeichnen gelernt hätte. Correggio besuchte allerdings keine Akademie, aber er hatte, ehe er Bilder malte, Töpfe gemalt. Unsre Schauspieler bilden sich ein, ihr Genie würde sie über Alles, was gemeine Menschen zu ihrer Ausbildung thun müssen, hinwegheben. Sie werden sich gegen eine Theaterschule immer mit der Bemerkung wappnen, daß sie sagen: Schauspielertalent kann man sich nie durch Unterricht geben. Wer sagt, daß in eine Anstalt der Art junge Männer und Mädchen aufgenommen werden sollen, die nicht schon eine erste Talentprobe zu bestehen hatten? In einer Anstalt dieser Art müßt’ es so streng genommen werden, wie im hiesigen königl. Gewerbinstitut. Wer nicht von Jahr zu Jahr glänzende Fortschritte macht, wird epurirt. Fleiß, sittsames Betragen, achtbare Mittelmäßigkeit werden nicht anerkannt; man will nur Außerordentliches und bringt es dann auch wirklich dazu, daß aus der ersten Klasse des Gewerbinstitutes nur die ausgezeichnetsten Köpfe in’s praktische Leben treten.

Vielleicht fühlt sich Ed. Devrient, der gewiß großen Beruf dazu hätte, veranlaßt, über die Begründung einer Theater-Akademie eine Brochüre herauszugeben. – –

– – W. Alexis soll einen neuen Roman geschrieben haben. Einige jüngere Autoren stellen Gaudy’s Nachlaß zusammen. Ein geistvoller Literat ist Dr. Friedrich, von dem sich ein satyrisches Gedicht: Tyll Eulenspiegel, schon seit länger als zwei Jahren unter der Presse befindet, ohne daß man die Gründe anzugeben wüßte, warum es nicht endlich erscheint. Zu den gewissenhafteren Correspondenten gehören Truhn, der Componist, und G. Eichler. Matzerath war nur auf kurze Zeit hier und hielt sich nur zu seinen 420 rheinischen Freunden, unter denen besonders C. W. Müller sich durch lyrische Gaben schon einen Namen gemacht hat.

422 XVIII.#

– – Leider war ich verhindert, dem von Spontini und Gubitz veranstalteten Concert für G. N. beizuwohnen. Als man Gubitz sagte: „Für den Mann veranstalten Sie ein Conzert? Er trinkt täglich Champagner!“ hört’ ich von ihm die brave Antwort: „Aber seine armen sieben Kinder trinken keinen!“

– – Ich komme noch einmal auf die Theaterschule zurück; denn auch Seydelmann wurde in einem Gespräche sehr lebhaft davon angeregt. In Stuttgart hatte er die Übungen einer Deklamationsschule zu leiten, die für das dortige Theater die Anfänger weiter heranbilden sollte. Seydelmann sagte: „Eine Theater-Akademie wäre vorzugsweis in Berlin an ihrem Platze, doch könnte auch in Wien eine bestehen. Der Zudrang junger Leute zum Theater ist hier in Berlin außerordentlich und nicht immer sind sie talentlos. Eine strenge Prüfung müßte über die Aufnahme entscheiden. Die Lehranstalt müßte eine Dependenz des Hoftheaters seyn und durch ein eignes, ihr gewidmetes königliches Gebäude schon eine äußere Geltung ansprechen. Die praktischen Übungen könnten von einigen Hofschauspielern geleitet werden, doch müßten sie immer auf einem eigens dazu eingerichteten kleinen Theater Statt finden, damit früh das Bewußtseyn der Nähe eines Publikums ausgebildet und schon ein Theil vom Lampenfieber überwunden wird.“

Im Allgemeinen wird die Hauptsache bei einer solchen Anstalt weder durch Sprachunterricht, noch durch Mimik und Plastik, noch durch praktische Übungen in der Art, daß man kleine Stücke aufführt, vollkommen erreicht. Es kann diese Methode, selbst wenn hübsche Mittel und Gelehrigkeit hinzukämen, doch noch immer keine bedeutenden Resultate abwerfen. Es müßte zur richtigen Lösung der Aufgabe noch Mancherlei hinzukommen, dessen Erörterung ich mir vorbehalten will, wenn Ed. Devrient die Frage öffentlich anregt. Dieser sprach vorläufig sehr wahr über eine veränderte Methode in der Anleitung zum Deklamiren und Seydelmann über den Vortrag der Geschichte mit besonderen Winken für den Schauspieler, der sich aus ihr noch etwas Anderes entlehnen muß, als der Gelehrte.

– – In einem Mittagsconzert, das durch ein lärmendes Militärorchester in der Singakademie veranstaltet wurde, sang der Komiker Schneider ein märkisches Volkslied aus alter Zeit, das sich noch bis jetzt im Munde der Ammen, Kinderwärterinnen und guten Mütter erhalten hat. Das Seelenvolle dieses schmucklosen mehr komischen als ernsten Liedes rührte zu Thränen. Welche Schätze birgt das Gemüth des deutschen Volkes! Ganze Colonnen Donizettischer Notensätze wiegen mir nicht einen einzigen Takt aus den rührenden Klängen dieses Volksliedes auf.

– – Altenstein gestorben! – Wenn eine Todeskunde mit solcher Bestürzung aufgenommen wird, wie man sie über diese auf allen Mienen abgeprägt findet, so ist es ein Zeichen, daß man mit dem Tode des Menschen auch den Tod einer Thatsache fürchtet. Wenn man so begierig über den Nachfolger forscht, wie es in diesem Fall geschieht, so sieht man wohl, daß man einen Gedanken in Gefahr glaubt und sich weniger um eine Individualität als um die Ideen Kummer macht.

An Altenstein hatte man immer das günstige Vorurtheil, daß seine Bildungsperiode zum Staatsmann einer Zeit angehört, wo der wissenschaftliche Gedanke eine höhere Geltung besaß, als die gleichzeitigen politischen und historischen Zustände. Damals, als dem preußischen Staate und dem deutschen Volke im Zustande ihrer tiefsten Erniedrigung nur noch die letzliche Hoffnung blieb, daß das Unglück nur vielleicht den alten Sauerteig des vorigen Jahrhunderts dürfte ausgefegt haben und eine geistige und sittliche Wiedergeburt des Vaterlandes wohl die Willkür und den Übermuth der Fremdherrschaft brechen könnte, damals hatte sich der Staatsmänner ein ideeller Aufschwung bemächtigt, der sie weit über das gewöhnliche Niveau der sonstigen politischen Alltagsbildung emportrug. Altenstein war einer von den Männern, die dem Gedanken ein ursprüngliches Recht einräumten und eher geneigt sind, 423 das öffentliche Gesetz unter die Herrschaft der Ideen, als diese unter die Herrschaft des erstern zu bringen. Diesen Muth verdankte Altenstein der Zeit, wo er zum ersten Male mit öffentlichen Aufträgen betraut wurde.

Wie sind unsre Staatsmänner von heute so anders geworden! Ihre Jugend fiel meist in jene Zeiten der Verstimmung und politischen Unbehaglichkeit, wo man nach dem Sturze Napoleons von der Schwärmerei der Jugend und dem Fanatismus einiger ihrer Lehrer die Existenz der Staaten bedroht glaubte. Die ersten politischen Eindrücke, die sie empfingen, waren für die Ausbildung einer freien, unumwölkten Beurtheilung der Menschen und Dinge höchst unvortheilhaft. Die jungen Adligen (denn solche sind es meist) sahen auf der Universität, wo sie studierten, einem phantastischen Treiben der damaligen Jugend zu, standen, wenn sie sich Landsmannschaften anschlossen, in einem feindseligen Gegensatze gegen die überwiegende Mehrzahl der Commilitonen und trafen bei ihrem Eintritt in die Staatscarrière nicht selten sogleich die Verpflichtung an, richterlich und polizeilich gegen eine Bewegung zu verfahren, die allerdings die Staatsgewalt mit Besorgnissen erfüllen mußte. Ein großer Theil von Staatsmännern, die ihre erste politische Bildung aus jener unglücklichen Zeit herschreiben, haben den dualistischen Gesichtspunkt, aus welchem sie das ganze Staatsgebiet überschauen, nicht wieder loswerden können. Sie sehen nur Gehorchende und Aufsätzige, sie sehen nur Stabilität und Revolution. An jeder Neuerung, mag sie in sittlichen, wissenschaftlichen, erwerblichen oder sonstigen Bereichen vorkommen, springt ihnen zuerst das Polizeiliche entgegen, und der allerdings immer fortgährende Geist der Unruhe, der aber so alt, wie die Welt ist, giebt ihnen unaufhörlich neue Handhaben für ihren politischen Standpunkt, dessen Stütze eine nicht mehr in ihnen auszurottende fixe Idee geworden ist.

Altenstein hat sicher während seiner ministeriellen Wirksamkeit das Störende des Neuerungsfiebers genugsam empfunden. Denn der schöne methodische Aufbau seiner Schöpfungen ward ihm fortwährend von den Einflüssen und Folgen desselben gestört. Er hätte sicher den Universitäten eine andre Reform gegeben, als ihm die polizeilichen Ansprüche, die andre Staatsgewalten auf die Hochschulen machten, gestatteten. Er mußte sich allgemeinen Verfügungen, die in Berlin und Wien entworfen und von Frankfurt a. M. aus datirt wurden, unterordnen und konnte aus der Unbehaglichkeit, in welche ihn oft diese Nothwendigkeit versetzte, sich nicht anders helfen, als daß er dafür den Universitäten Unterstützungen und Vermehrungen ihrer Studienfonds und ihrer Lehrmittel zuwandte, soviel die Munifizenz des Königs nur möglich machte. Ein Staatsmann aus der Periode, in welcher Altenstein politisch fühlen, denken und handeln lernte, konnte nie in dem Neuerungstriebe des Zeitgeistes etwas absolut Verderbliches, für sich, isolirt Thätiges und isolirt zu Bekämpfendes sehen. Ihm mußten offen vor Augen liegen die Verbindungssehnen, welche die Extremität des Bösen noch immer an den Rumpf des Guten gefesselt halten und wie es im sittlichen Leben der Völker Übergänge gebe, wo eine einseitige Wirkung nach dem Einen hin auch das bessere Andere in Verwirrung bringen muß. Staatsmänner, die aus unserer rein administrativen Periode herstammen, können nicht wissen, daß das, was heute die Miene der Revolution annehmen muß, morgen leicht die loyale Ordnung des Tages werden kann, wie dies in der Zeit der Fall war, wo Friedrich Wilhelm III. vor Napoleon Bewegungen desavouiren mußte, denen zuletzt Deutschland und Preußen ihre Befreiung verdankten. Erst mit dem Jahre 1830 und seinen Folgen wurde manchem dieser jüngern Staatsmänner der politische Horizont aufgeklärt, oder sie lernten es, sich stillschweigend in politische Dinge schicken, die, so bedenklich sie waren, doch von keiner menschlichen Gewalt geändert werden konnten.

Die soviel bewunderte preußische Schulverfassung ist Altensteins Werk. Er begann seine Reformen erst mit der breiten Unterlage des allgemeinen Volksunterrichts. Er vermehrte die Zahl der Schulen und machte da, wo die Mittel des Staates nicht mehr ausreichten, den Ehrgeiz der Communen für das Unterrichtswesen verantwortlich. Die Zahl der Schulen, der Schüler und Lehrer stieg in bewunderungswürdigem Fortschritt. Dieser Institution gab er einen Unterbau an der Errichtung neuer und Verbesserung der alten Seminarien. Es wurden Lehrer erzogen, denen man zugleich eine bessere pekuniäre Stellung gab, um sie nicht zu zwingen, neben dem Bakel noch immer wie früher die Nähnadel zu führen. Auch in das Volksschullehrerwesen kam viel Schwindelei und Theorieensucht. Altenstein griff aber dem oft an’s Lächerliche streifenden Wesen der Volkspädagogen nicht vor, sondern ließ dem entfesselten Fiebergeiste Zeit, sich auszutoben. Hat es mich doch gefreut, den bekannten Diesterweg, einen tüchtigen und wackern, aber über deutsches Universitäts- und höheres Unterrichtswesen gewiß sehr befangenen Mann in einer ganz bedeutenden amtlichen Wirksamkeit hier ungestört 424 walten zu sehen! Den Gymnasien gab Altenstein eine gleichmäßige Form. Er nahm ihnen, was überflüssig, er gab, was ihnen fehlte. Dem Vorwurf, daß sie zu ausschließlich auf den Gelehrtenstand berechnet wären, begegnete er durch die Einrichtung, daß der Unterricht bis in Tertia in einer Allgemeinheit gehalten wird, daß er auch künftigen Geschäftsmännern als Vorbereitung dienen kann. Unerschrocken trotzte er den albernen Zumuthungen der Realisten, die dem Gymnasialunterricht die Firma: Alles für Alle! geben wollten und Naturwissenschaften, neuere Sprachen, das Rechnungswesen in einer Ausdehnung behandelt wünschten, daß auch gleich ein fertiger Kaufmann und Technologe von ihnen abgehen könne. Für diese Anforderungen wurden Gewerbschulen errichtet. Namentlich steuerte man in Berlin mit Recht dem schlechten Klipp- und Winkelschulwesen, errichtete Stadt- und Communalschulen, die von geprüften Lehrern geleitet werden und erzieht in ihnen bis zu allen jenen Kenntnissen hin, die der Realismus, unvernünftig genug, in den Kreis der Gymnasialbildung gezogen wünscht. Daß die Universitätsverfassung nicht Altensteins freies Werk ist, wurde schon gesagt und wir fügen hinzu, daß ihm auch nicht Alles anzurechnen ist, was im Kirchlichen als Zwangsvorschrift auftrat. Pietistischer Einflüsse durfte er sich nicht immer erwehren; ja die Strenge, mit der man in Preußen das gewiß löbliche Unternehmen der Union und die Einführung der Agende durchsetzte, ist sicher nicht aus seinem Sinne gekommen. Wie sehr Altenstein bedacht war, in Collisionsfällen wenigstens die Lehrfreiheit vor den Verketzerungen des Pietismus zu retten, beweist das taktfeste Benehmen in der zweimaligen Hallischen Streitfrage 1829 und 1839.

425 Daß es in einzelnen Branchen zu bessern gäbe, ist keine Frage. Namentlich sollte in der Verfassung der Universitäten, wenn einmal die polizeiliche Furcht vor dem Verbindungswesen nachgelassen hätte, viel und durchgreifend geändert werden. Die hiesige Universität z. B. überläßt die Bildung ihrer Zöglinge sehr dem Zufalle. Die Professoren sind von der Größe und den Abwechselungen der Residenz zerstreut, die Hörer sind es nicht minder. Eine Beziehung des Schülers zum Lehrer findet mit wenigen Ausnahmen nirgends Statt, und selbst bei diesen Ausnahmen wird sie vom Schüler gesucht, nicht vom Lehrer angeboten oder vorausgesetzt. Es fehlt dem ganzen Körper dieser Akademie an Einheit, an Mittelpunkt. Die Professoren erfüllen neben ihrem Beruf als Lehrer noch eine Menge anderer, als Ärzte, Räthe, Prediger, Schulprofessoren, sie erzielen meist von einem in’s Weite getriebenen Ämtercumulus Einnahmen, wo die Universität nur mit den geringsten Posten verzeichnet steht, so daß sie dem Katheder nur zum kleineren Theil angehören und in einem noch geringeren dem Studenten, für den sie weder menschlich gesellig, noch wissenschaftlich beaufsichtigend und controlirend vorhanden sind.

Noch einer größern Umgestaltung bedarf die pädagogische Bildung der sogenannten Oberlehrer. Ich kenne die pädagogische Anleitung nicht, die der Philolog in den sogenannten pädagogischen Seminarien erhält, aber ich kenne einige ihrer Vorsteher und weiß, daß es diesen, die selbst bei aller Gelehrsamkeit nur sehr unbeholfene Lehrer sind, unmöglich seyn muß, eine Anleitung zur richtigen Mittheilung gelehrter Kenntnisse zu geben. Ich kenne die Unterrichtsmethode auf unsern Gymnasien, und weiß, daß ihre Resultate von einer oft totalen pädagogischen Unfähigkeit der Lehrer schmählich verkümmert werden. Die Prüfungen der Lehrer sind überwiegend philologisch. Man sagt z. B. eine sogenannte Probelection des Examinanden an und rechnet darauf, daß er eine Stelle des Horaz in Prima sicher in lateinischer Sprache erklären werde. Der Gebrauch der lateinischen Sprache auf den Gymnasien ist aber, wenigstens für die Exegese, ein ganz verderblicher. Die lateinische Sprache erlaubt eine Menge von Umschreibungen und Redefloskeln, die mehr als eine Stunde lang beim Lehrer wie beim Schüler die eigentlich gediegenen Kenntnisse, ob sie da sind, ganz verschleiern. Was im Deutschen sich sogleich als fade zu erkennen giebt, kann im Lateinischen oft geistreich herauskommen, wenn es nur mit einigem Color latinus gefärbt ist. Ein gewandter Lateinredner hält während einer Stunde den Mund nicht still und weder die Idee des vorliegenden Gedichts, noch irgend etwas im Einzelnen wird dabei klar. Will man das Lateinreden befördern, so sollt’ es wenigstens da nicht angebracht werden, wo man einigen koketten Phrasen aus der Syntaxis ornata das gründliche Verständniß des zu erklärenden Autors zum Opfer bringt. Und selbst wenn diese Herren Oberlehrer nun deutsch reden! Fast Alle denken sie an ihre philologischen Kleinkrämereien, Wenige an die Jugend, an das, was sie braucht, an das, wonach sie dürstet. Wenn man den Plato liest, so zittert der Schüler vor jedem Optativ, vor jedem Conditionalsatze, weil es da immer Fragen und Erörterungen giebt, die der Herr Interpret weit mehr zur Hauptsache macht, als den Bau des 426 Kunstwerks, den scharfen Umriß des Gedankenganges, den Umriß jedes einzelnen vorliegenden Satzes. Und nun muß man die Freude sehen, wie die Scholaren horchen, wenn sie einen Lehrer haben, der ihnen bei den alten Autoren mehr erschließt, als das Verständniß von Buttmann’s und Matthiä’s Paragraphen, der ihnen Blicke in die Zeit und antike Denkungsart, der ihnen Antiquarisches zur Erläuterung erzählt und auf den vorliegenden Fall so lange anwendet, bis dieser in sonnenheller Klarheit vor Aller Augen steht und ein sicherer Bildungsmoment für die ganze Lebenszeit geworden ist! An antiquarischen Realien sind die meisten Gymnasiallehrer sehr arm oder wissen sie nicht für den Unterricht der Jugend zweckmäßig zu benutzen. Den schlechten Vortrag der Geschichte, den mangelhaften Unterricht in deutscher Sprache gar nicht zu erwähnen!

Diesen Übelständen, die freilich auch sehr von der oft unmenschlichen Geistlosigkeit und Bornirtheit der Lehrer herkommen, einigermaaßen zu begegnen, sollte an allen Universitäten ein Lehrcursus für die höhere, gelehrte Pädagogik eröffnet werden. Die Oberlehrer sollten im Examen nicht bloß beweisen, daß sie sich die Wissenschaften aneigneten, sondern sie auch mittheilen und verarbeiten lernten. Ächtes pädagogisches Genie läßt sich nicht erlernen, wohl aber eine gewisse Unterrichtsvirtuosität, die jenes ersetzen müßte. In Großtertia muß der Schüler in dem grammatikalischen Gefuge der alten Sprachen heimisch, in Secunda muß er zur cursorischen Lektüre angehalten werden. In Prima muß wenig gelesen, dafür aber desto gründlicher erklärt werden. Hier muß der Schüler begreifen, festhalten, schließen, wiedergeben lernen. Welcher der Herren Philologen das nicht kann und hier noch cursorisch liest oder statarisch nur mit Rücksicht auf Herrmann ad Vigerum, mit Rücksicht auf Porson ad Euripidem, mit Rücksicht auf den ganzen Krimskram gelehrter Haarspaltungen über die Partikeln und Redetheile der Sprachen, den nenn’ ich einen Seelenverderber. Solche Pädagogen, die ihren Primanern in die Feder dictiren: Schreiben Sie sich auf: Conf. Plat. Prot. 314 B. Thucyd. VII. 9. Siehe auch Reisigs Conjectan. in Aristoph. II. S. 56; solche alberne Gesellen sind nicht werth, daß sie die Erde trägt.

Altensteins Nachfolger wird ein Mann seyn müssen, der sich trotz Geburt und Rang doch ein lebhaftes Interesse an allem Geistigen, das allein den wahren Adel giebt, erhalten hat, der, keiner wissenschaftlichen und politischen Schule zugethan, das Geistbelebende und Geisttödtende aus jeder Richtung im kirchlichen und wissenschaftlichen Leben herauszuerkennen versteht. Vor allen Dingen muß ihm persönliche Vorliebe für eine Tendenz des Tages fremd seyn, am fremdesten aber eine rein büreaukratische Ansicht seiner Wirksamkeit, die etwa in seinem neuen Departement nichts als eine Beaufsichtigung der Vorbildung des künftigen Beamtenstandes sähe. Fremd muß ihm jede leidenschaftliche Hinneigung zu einem bloß praktischen Zweck, den er in seiner Verwaltung fände, bleiben; denn wie leicht könnte dann das wissenschaftliche Bewußtseyn, das Altenstein zum leitenden ersten Gedanken seines Ministeriums gewählt hatte, in einen laxen Schlendrian ausarten, wo etwa Theorieen alter Staatsmänner, die sich z. B. ärgern, daß sie in ihrer Jugend vom Griechischen gequält wurden, überwögen und man in praktisch seynsollende Observanzen geriethe, die eines Staates, wie der preußische, nicht würdig wären! Eichhorn, von Stägemann, von Rehfues, und ähnliche Namen, welche bei ihrer administrativen Stellung auch ein wissenschaftliches Lüstre haben, selbst geistvolle Militairs, die in Preußen sehr zahlreich vorhanden sind, wie von Müffling, Rühle von Lilienstern, würden Viele als Candidaten des Unterrichtsministeriums lieber designirt sehen, als rein adliges oder administratives Vollblut. Sollte die Wahl nicht in diesem Sinne glücklich ausfallen, so läßt doch die Anwesenheit sehr geistvoller Ministerialräthe nicht jede Hoffnung sinken. Für die Rettung des humanistischen Prinzips auf den Gymnasien bürgt wohl Johannes Schulze.

429 XIX.#

Reiseerlebnisse drucken zu lassen, ist in Verruf gekommen. Geschwätzige Touristen haben soviel von unsern Privatverhältnissen verrathen, daß man unsre Zeit einst in der Literaturgeschichte als die Periode der Indiscretionen bezeichnen wird. Man wird meinen Mittheilungen nicht nachsagen dürfen, daß sie ein geschenktes Vertrauen verletzt hätten. Ich habe nicht gesagt, wann ich bei einem Diner fasten mußte, oder ob eine meiner Wirthinnen eine schlechte französische Aussprache hatte. Ich bin mir bewußt, keine bürgerliche, stillbescheidene Tugend auf den Markt der Öffentlichkeit gezerrt, oder an berühmten Persönlichkeiten verrathen zu haben, wenn ihr Auge einer Dieffenbachschen Hülfe bedürftig war. Wozu das? Nicht mehr hab’ ich von meinen persönlichen Erlebnissen verrathen wollen, als was grade hinreicht, um Menschen und Zuständen einmal einen Spiegel vorzuhalten und ihnen den Schatten zu zeigen, den sie in dem Lichte unbefangener Beurtheilung werfen. Wie selten kommen wir dazu, uns zu sehen, wie wir uns von der Seite ausnehmen! Fixirt uns einmal ein Anderer, so erspart er uns eine Mühe, die wir uns im Gewühl unsrer Berufsgeschäfte nicht immer selbst nehmen können. So mögen sich die Namen, die ich nannte, in meinen kleinen Bleistiftskizzen wiederfinden und selbst der Rüge sich freuen, da es eines freien Geistes würdig ist, lieber es zu haben, daß man, auch in seinem stillen Wirken, geprüft, als gänzlich unbeachtet bleibe.

Indem ich an diese auch in der Form anspruchslosen kleinen Umrisse die letzte Hand lege, kommt die Trauerkunde vom Tode Friedrich Wilhelms III. Diese Botschaft mußte mich, da ich in Berlin den Volksglauben, der König müsse in diesem Jahre sterben, allgemein verbreitet fand, doppelt erschüttern. Die häusliche Zurückgezogenheit, in der der Verstorbene lebte, hatte es unmöglich gemacht, seit Jahren über seinen Gesundheitszustand etwas Gewisses zu erfahren: zeigte er sich öffentlich, so erschrak man zwar über die in letzter Zeit außerordentlich gealterten Züge, aber die Haltung des Königs war von jeher so grad und ritterlich gewesen, daß ihn diese auch in der letzten Zeit nicht verließ und man an eine noch ausgedehntere Lebensdauer glauben durfte. Um so betroffener mußte man über den Volksglauben seyn. Man machte geltend, daß in jedem Jahrhundert das vierzigste Jahr den Preußen einen Thronwechsel oder irgend ein wichtiges Ereigniß bringe, man sprach von den nächtlichen Umgängen der weißen Ahnfrau des Hohenzollerschen Hauses. Noch oft erschien der König hinter dem rothen Vorhange seiner Prosceniumloge im Theater. Nur die ängstliche Einführung Schönleins in die innern Gemächer des ab und zu als kränkelnd Gemeldeten verrieth ein tiefer gewurzeltes Leiden, dem der Monarch denn am ersten Pfingsttage wirklich erlegen ist.

Läßt sich eine ergreifendere Situation denken, als ein sterbender König und ein neuer, der ihm folgt, in dem Augenblick, als der Donner des Geschützes die Grundsteinlegung zu einem Denkmal Friedrichs des Großen verkündete? Wie drängen sich hier in eine kurze Spanne Raum und Zeit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammen! Wünsche und Hoffnungen müssen lebendig werden, Besorgnisse sterben, andre können erwachen, Gedanken aus den entgegengesetztesten Richtungen müssen sich durchkreuzen. 430 Wer hat den Schlüssel, um zu errathen, was der jetzt Todte dachte, das Volk glaubte, der neue Herrscher ahnte? Wie kommt es, daß grade die Erinnerung an den Begründer der preußischen Monarchie in ihrer Stellung zu Europa die letzte öffentliche Thatsache im Leben Friedrich Wilhelms III. seyn mußte? Ist dies eine Sühne der Vergangenheit oder ein Fingerzeig für die Zukunft? Den Rathschluß des Weltgeistes umhüllen noch tiefe Nebel und erst die Geschichtschreibung ferner Zeiten wird die Sonne seyn, die sie erhellt.

Bei den Ägyptern sprach man über die todten Könige Gericht. Man wird in öffentlichen langen Reden und in kurzen Inschriften viel Unwahres über Friedrich Wilhelm III. sagen, man wird seinem Geiste das zuschreiben, dessen sein Herz, man wird dem Herzen zuschreiben, dessen sein Verstand sich rühmen durfte. Man wird in Dem seine Demuth finden, was vielleicht sein Stolz war und wird ihn vielleicht für das loben, wofür er sich selbst getadelt hat. Könige sind wie die Phänomene der Luft. Sie werden von Tausenden ihres Volkes für dasselbe verwünscht, wofür sie andern Tausenden die Heißersehnten sind. Ein Gewitter raubt der Mutter ihr Kind, das der Blitz erschlägt und tränkt die dürstende Erde, die nach ihm schmachtete.

Mag man nun mit Montaigne glauben, daß herrschen le plus aspre et difficile mestier ist, oder mit einem italienischen Sprichworte, (von Oxenstierna einst ironisch angewandt) daß zum Herrschen grade das wenigste Hirn gehört (der Leipziger Professor Adam Rechenberg hat es übrigens schon 1676 in einem eignen Werke widerlegt), mag man auch von dem, was über den Verstorbenen gesagt werden wird, abziehen, was der rührende Moment oder persönliches Interesse überflüssig hinzufügt, so viel wird selbst die Nachwelt nicht umstoßen können, daß der innige Zusammenhang der Schicksale, die die preußische Monarchie trafen, mit der Person Friedrich Wilhelms III. ein in der Erinnerung nie erlöschendes Licht auf ihn geworfen hat. Eine freudenlose, umflorte Jugend machte ihn schon früh für eine stillere Ergebung in das Unglück reif. Die Mäßigung, die ihn in seinen Leidenschaften und Gefühlen beherrschte, lehrte ihn auch, das spätere Glück ohne Überhebung ertragen. Er nahm die Gaben des Geschicks mit einem Gefühl an, das ihn auf Alles gefaßt machte, wenn es nur nicht überraschend und ohne Voraussicht kam. Heftigere Aufregungen vermeidend, beängstigte ihn jede leidenschaftliche Anmuthung und so erhielt auch seine letzte Regierungsperiode jenen Charakter bescheidener Selbstbeschränkung, den Preußen, ein innerlich so kraftvoller und nach Außen hin nicht ungedeckter Staat wohl aufgeben durfte, ohne für seine Erhaltung besorgt zu seyn. Friedrich Wilhelm III. war durch sein Temperament vor übereilten Entschließungen geschützt und diese Thatsache war vielleicht die glücklichste Erfahrung für das Wohl des Staates in einer Zeit, wo der Zeitgeist so viel leidenschaftliche Faktoren in Bewegung setzte und es Staatsmänner gab, die so gern neue Manifeste des Herzogs von Braunschweig in die Welt gestreut hätten und dem Weltlauf mit kecker Hand in die Zügel gefallen wären. Friedrich Wilhelm III. war nicht so groß in dem, was er that, als in dem, was er vermied.

Daß man sich in Preußen, da die Zeit des Zuwartens vielleicht vorüber ist und den Horizont keine Kriegswolken trüben, nach positiven Schöpfungen sehnt und das Feld für einen großartigern Anlauf zur Staatenlenkung nun geöffnet sieht, beweist die ängstliche Spannung Preußens, Deutschlands, Europas auf den Geist, in welchem Friedrich Wilhelm IV. regieren werde. Der neue Regierungsantritt hat das vor andern Thronwechseln voraus, daß wir hier nicht einen Jüngling auftreten sehen, dessen politische Ideen noch von dem Unterricht seiner Lehrer befangen sind, sondern einen gereiften Mann, der Jahrelang den Zeitlauf und das Terrain der ihm nun anvertrauten Regierung gründlich beobachten konnte. Das neue Herrscheramt wird ihm wie ein bekanntes Buch seyn, bei dessen Lektüre er sich Stellen unterstrich und hier und dort Merkzeichen einlegte. Und daß es solcher Stellen und Merkzeichen viele geben müsse, beweist der allgemein selbst in Berlin verbreitete Glaube an ein neues, durchdachtes, längst angelegtes und bald hervortretendes System.

Man erschöpft sich in Vermuthungen über das politische Glaubensbekenntniß des neuen Königs. Man nennt ihn aristokratisch; aber verdanken nicht grade einige talentvolle Bürgerliche ihre Berufung zum Ministerium der Empfehlung des ehemaligen Kronprinzen? Verwechselt man nicht die vornehmimponirende und doch gefällige Haltung des neuen Herrschers mit Sympathieen, die durch nichts bewiesen sind? Man nennt ihn einen Freund der Richtungen, in welchen Steffens und ähnliche reaktionäre Geister geschrieben haben. Aber wenn der ehemalige Kronprinz Steffens persönlich kannte, so wird er bald gefunden haben, daß die naive Lebensunsicherheit dieses geistvollen, aber unpraktischen Mischdenkers am wenigsten zu seinen politischen Phantasmen und Träumereien Vertrauen einflößen kann. Wie würde auch die 431 große Vorliebe, die der ehemalige Kronprinz für seinen ruhmgekrönten Ahn, Friedrich II., empfinden soll, mit der Hinneigung zu politischen Theorieen stimmen, deren Vertreter, wie Haller, Leo, Steffens und ihnen Ähnliche in Friedrich dem Großen nur einen gekrönten Jakobiner sehen?

Man rühmte von jeher den Geist des neuen Herrschers. Man schreibt ihm Verstandesschärfe und Witz zu. Er ist kein Freund des Kamaschendienstes und hat mehr Sinn für das Civile, als Militairische. Er liebt den Umgang mit Gelehrten und Künstlern, von denen viele sich seiner nähern Bekanntschaft erfreuen. Wie harmlos er gewohnt ist, sich dem Talente hinzugeben, bezeugt der gemüthvolle, anspruchslose Brief, den er an Chamisso schrieb. (Siehe Hitzigs Leben Chamisso’s B. 2, S. 93.) Der ehemalige Kronprinz ist ein talentvoller Zeichner und daß ihm selbst der schriftstellerische Ausdruck nicht fremd seyn dürfte, beweist der Umstand, daß man ihn oft zum Verfasser anonymer Flugschriften machen wollte! Von sogenannten noblen Passionen, die man Großen eher nachzusehen pflegt, als Kleinen, weiß man nichts. Seine Sittlichkeit wird gerühmt. Er besucht die Kirchen anerkannt pietistischer Geistlichen; ob aus Neigung für ihr theologisches System, oder aus Achtung vor ihrer oft ausgezeichneten Rednergabe, weiß ich nicht. Jedenfalls würde eine religiöse Stimmung dieser Art bei ihm nicht aus einem Minus, sondern einem Plus der Bildung entstehen; d. h. es ist möglich, daß sie die Frucht einer entweder gemüthlichen oder philosophischen Abneigung gegen einseitige Verstandesreligiosität wäre. Es ist kein Zweifel, daß der neue Herrscher historische Thatsachen den Abstraktionen vorzieht, aber ist es wahr, daß ihm die Hegel’sche Philosophie nicht unbekannt geblieben, so wird ihm das Progressive in der Geschichte nichts Befremdendes und der Einfluß des Verstandes auf die Gestaltung der neuen Zeit nichts Feindseliges seyn. Friedrich Wilhelm IV. wird keinen Schritt in’s Ungewisse thun. Ein Ziel hat er gewiß im Auge, wenn auch die Zeit erst lehren muß, wo es liegt. Für gedankenlos halte man keine seiner Unternehmungen. Rathgeber wird er hören, ihnen aber nicht immer folgen. Reue wird ihm, trotz seines christlichen Sinnes, für öffentliche Schritte fremd seyn. Er wird vielleicht bei einem Unternehmen seine Richtung ändern, nie aber einen Schritt wieder zurückthun. Es lodert viel Feuer in ihm und sein Geist wird oft in den schönen Fall kommen, heftigere Regungen des Gemüths zu zügeln. Der göttlichste Triumph, den uns der Himmel schenkte, Beherrscher unsrer Leidenschaften zu seyn, kann ihn oft beglücken. So urtheilt die Sage und urtheilt vielleicht falsch. Man kann darnach den Versuch machen, ein Porträt zu zeichnen und muß sich zuletzt doch eingestehen, daß der – Versuch eine Pfuscherei ist.

Es haben sich, von Herrn Varnhagen von Ense ausgebrütet, so viel kleine Gentze jetzt aus dem Ei gepickt, daß ich wohl begierig wäre, was einer von ihnen, dem Beispiel des ehemaligen Kriegsraths Gentz folgend, (der eine Adresse an Friedrich Wilhelm III. bei seiner Thronbesteigung herausgab) dem neuen Herrscher an’s Herz legen würde. Mit guten Lehren aus dem frommen Telemach, der ad usum Delphini geschrieben ward, würde es wohl eben so wenig gethan seyn, wie mit dem Macchiavell. Ein Fürst soll keinem Schmeichler trauen, sagt Mentor alle Augenblicke; bändige eine Regierungsgewalt durch die andre, sagt der Florentiner; aber wir leben nicht in Versailles und nicht in Florenz. O der guten Lehren, die man Königen gegeben hat! Sie werden fast alle lächerlich, wenn man sie auf bestimmte Fälle anwendet, oder sie setzen an Fürsten dasjenige als lobenswerth voraus, was sich an einem civilisirten Menschen des neunzehnten Jahrhunderts wahrhaftig von selbst versteht. Weit schwieriger sind Rathschläge, die einen schwebenden Statusquo betreffen. Was würde wohl mit der katholischen Frage, was mit der commerziellen Stellung Preußens zu Rußland; was mit dem Wunsch nach einer Verfassung zu beginnen seyn? Dem neuen Herrscher rathen wollen? Er hat seit einer langen Reihe von Jahren den Geschäftsgang in der Regierung seines Vaters beobachtet: er wird sich längst auf seinen eignen Antritt des Regimentes vorbereitet haben. Wer die Entwürfe kennte, die schon alle im Pulte harren! Es ist leicht möglich, daß Friedrich Wilhelm IV. für Europa einige Überraschungen im Sinne hat.

Man spricht jetzt soviel über Friedrich II. Was ist es, das an ihm so außerordentlich grade jetzt in die Augen spränge? Will man einen schlesischen Krieg? Will man eine straffgezogene Regierungssouverainität? Nein. Es ist das Persönliche, das an Friedrich II. grade jetzt so bewundert wird. Preuß und Andere haben so herrliche Züge von der freien, unabhängigen, entschlossenen Denkungsart dieses Königs mitgetheilt. Man hat in Friedrichs Schriften Ansichten gefunden, die jetzt würden für staatsgefährlich erklärt werden. Es ist kein Zweifel, daß man mit dieser Vergötterung Friedrichs des Großen einen Wunsch für seine Nachfolger aussprechen will; denn das Lob der Vergangenheit ist immer eine Polemik gegen die Gegenwart.

432 Was könnte wohl ein heutiger Monarch an Friedrich dem Großen lernen? Vieles für die Personen, weniger für die Sachen. Nicht Alles würde jetzt so am besten geschlichtet, wie es Friedrich II. geschlichtet haben würde. Wohl aber würde man für die Mittel und für die Rathgeber lernen können. Theoretiker am Staatsruder würde er mit Recht für Schwindler erklären und das Nächste würde ihm lieber, als das Entfernte seyn. Was Friedrich über die Religion dachte, war nicht gut für die Schule, besser schon für die Kirche, vortrefflich für die Wissenschaft. Der Voltaire’sche Verstand, der ihn beseelte, war schlecht für den Aufbau des Neuen, aber gut zum Niederreißen des Veralteten. Man darf diesen endlichen, witzelnden Verstand nie zum Feldzugsplan erheben, kann ihn aber gut als Waffe benutzen. Das klare, unbestochene, vorurtheilsfreie Wesen ist an Friedrich II. bewundrungswürdig. Man fühlt, wenn man seine Antworten und Resolutionen liest, daß man für jedes Leiden bei seinem Gemüth wohl eben keinen Trost, bei seinem Verstande aber Abhülfe würde gefunden haben. Seine Phantasie und sein Geschäftseifer machten ihm das Verständniß jedes ihm vorgelegten Falles sogleich klar und man hatte nicht nöthig, wenn man einen Minister verklagte, zu fürchten, daß man an eben diesen Minister würde verwiesen werden.

Die Erwartungen auf Friedrich Wilhelm IV. sind gespannt. Die erste Zeit seiner Regierung gebührt der Trauer. In dem dunklen melancholischen Grün des Fichtenhains, der die sterblichen Überreste seines Vaters und seiner Mutter beschattet, wird man ihn noch zu oft sehen, als daß man aus seinem Auge etwas Andres errathen könnte, als Thränen. Er wird nicht damit beginnen, Schöpfungen seines Vaters umzustürzen, er wird Niemanden, der des Seligen Vertrauen besaß, aus seiner Nähe entfernen. Aber die Aufforderung zu Thaten wird nicht ausbleiben. Die Besetzung der bekannten erledigten Ministerstelle dürfte vielleicht das erste Symptom des Kommenden seyn. Klio spitzt ihren Griffel, sinnend lehnt sie den Arm auf das neue Blatt im Buche der Geschichte und lauscht mit lächelndernster, mit bangfroher Erwartung.

Apparat#

Bearbeitung: Wolfgang Rasch, Berlin#

1. Textüberlieferung #

1.1. Handschriften#
1.1.1. Übersicht#

Es sind keine handschriftlichen Überlieferungsträger bekannt.

1.2. Drucke#

Anfang April 1840 reiste Gutzkow von Hamburg nach Berlin, wo er den Proben und der Aufführung seines Richard Savage beiwohnen wollte. Während seiner Abwesenheit wurde er als Redakteur des „Telegraph für Deutschland“ von Ludwig Wihl vertreten. Mitte Mai verließ Gutzkow Berlin und kehrte Ende des Monats nach Hamburg zurück, wo er mit der Nr. 93 des „Telegraph“ und dem Abdruck der ersten Folge des Tagebuchs aus Berlin seine Redaktionsarbeit wieder aufnahm. Das Tagebuch aus Berlin erschien in den folgenden Nummern sukzessive bis Anfang Juli 1840.

Zwei Jahre nach dem Journalerstdruck nahm Gutzkow den Text in seine Sammlung Öffentliches Leben in Deutschland. 1838-1842, dem ersten Band seiner Vermischten Schriften, auf. Für diesen Druck nahm er erhebliche Kürzungen vor. Insgesamt hat Gutzkow annähernd ein Drittel des ursprünglichen Textes gestrichen. Hat der Zeitschriftenerstdruck 19 Folgen, so bringt es die Buchfassung auf 16. Gutzkow ließ 1842 nicht nur eine Reihe aktueller Mitteilungen oder kleiner lokalspezifischer Beobachtungen weg, die er offenbar als belanglos für ein breiteres Buchpublikum empfand. Die gesamte Folge X. (in der ersten Hälfte Schilderung einer Berliner Blumenausstellung) fiel dem Rotstift zum Opfer. Diese Reduzierungen resultieren zum Teil aber auch auf persön-liche Rücksichtnahmen. Ganz gestrichen wurde 1842 etwa die Folge VI. des Journalerstdrucks, die kritisch-polemische Auseinandersetzung mit Arnold Ruge und den „Hallischen Jahrbüchern“, da sich Ruge mit Gutzkow zwischenzeitlich versöhnt hatte. Eine Wiederholung dieser Angriffe dürften dem Autor nunmehr ungelegen gekommen sein. Auch die Spitzen gegen Glassbrenner (etwa 57,22-34) und die Attacke auf Mundt (60,16-62,20) erneuerte er 1842 nicht. Und jenen längeren Passus des Tagebuchs, in dem sich Gutzkow larmoyant als Opfer der Presse geriert (56,12-59,18), ließ er 1842 ebenso fallen.

Gutzkow entnahm 1845 einige Textstellen aus den beiden letzten Folgen des Tagebuchs aus Berlin, die er aus Anlass des Todes von Altenstein und Friedrich Wilhelms III. geschrieben hatte. Leicht überarbeitet und zum Teil ergänzt erschienen sie zuerst 1845 unter dem Titel Friedrich Wilhelm III. und Altenstein in der Neuausgabe der Öffentlichen Charaktere innerhalb der Gesammelten Werke (Rasch 1.2.2.16 und 1.2.2.17), sowie 1875 in der zweiten Ausgabe der Gesammelten Werke (Rasch 1.5.9.15 und 1.5.9.16). Diese Derivate des Tagebuchs aus Berlin – aus Folge XVIII. entnahm Gutzkow Seite 68,29 bis 75,25 (Altenstein), aus Folge XIX. Seite 77,20 bis 79,12 (Friedrich Wilhelm III.) – werden in der Liste der Drucke nicht eigens dokumentiert.

Von einem Neudruck des Tagebuchs aus Berlin, den Gutzkow bei der Konzeption seiner zweiten Ausgabe der Gesammelten Werke 1873 ins Auge gefasst hatte, nahm er wieder Abstand, vermutlich, weil er den Text 1874/75 zum Teil für die Abfassung seiner Rückblicke auf mein Leben benutzte.

Die Buchausgabe des Textes 1842 stellt angesichts der Auslassungen, Änderungen und Einfügungen eine eigenständige neue Fassung dar und wird gemäß der Editionsrichtlinien der Ausgabe separat ediert.

J K[arl] G[utzkow]: Tagebuch aus Berlin. I.-XIX. In: Telegraph für Deutschland. Hamburg. Nr. 93, [8.] Juni 1840, S. 369-371; Nr. 94, [10.] Juni 1840, S. 373-375; Nr. 95, [12.] Juni 1840, S. 378-380; Nr. 96, [13.] Juni 1840, S. 381-382; Nr. 97, [15.] Juni 1840, S. 385-387; Nr. 98, [17.] Juni 1840, S. 389-391; Nr. 99, [19.] Juni 1840, S. 393-395; Nr. 100, [20.] Juni 1840, S. 397-399; Nr. 101, [22.] Juni 1840, S. 401-402; Nr. 102, [24.] Juni 1840, S. 405-407; Nr. 103, [26.] Juni 1840, S. 409-411; Nr. 104, [27.] Juni 1840, S. 413-416; Nr. 105, [1.] Juli 1840, S. 418-420; Nr. 106, [3.] Juli 1840, S. 422-424; Nr. 107, [4.] Juli 1840, S. 425-426; Nr. 108, [6.] Juli 1840, S. 429-432. (Rasch 3.40.06.08)
E Tagebuch aus Berlin. In: Karl Gutzkow: Öffentliches Leben in Deutschland. 1838-1842. (Vermischte Schriften. Bd. 1.) Leipzig: Weber 1842. S. 152-239. (Rasch 2.23.1.10)

2. Textdarbietung#

2.1. Edierter Text#

J. Der Text folgt in Orthographie und Interpunktion unverändert dem Erstdruck. Textsperrungen werden übernommen. Silbentrennstriche (=) werden durch - wiedergegeben. Die Seitenzählung wird mit Klammern [ ] an den betreffenden Stellen in den Text eingefügt.

Die Liste der Texteingriffe nennt die von den Herausgebern berichtigten Druckfehler sowie die Emendationen. Fehlende oder überzählige Spatien im Erstdruck wurden stillschweigend korrigiert.

2.1.1 Texteingriffe#

5,10 Inconsequenz Ioconsequenz

6,23 königl. königl Letter ausgefallen am Zeilenende

6,28 verfahren verfahreu

14,20 verlohnt vorlohnt

19,29 und uud

33,30 von ven

40,21 Hugenotten Hugonotten

48,33 im in’s

52,9 werden), werden)

63,30 – Die Der Zeilenanfang ist im Journaldruck versehentlich eingerückt.

82,5 sey seyn

82,10 einige Überraschungen einigeÜberraschungen

2.2. Lesarten und Varianten#

Verglichen wird der Erstdruck (J) mit dem Buchdruck (E). Dokumentiert werden hier alle umfangreicheren Kürzungen, die Gutzkow in der Buchfassung 1842 vornahm, sowie eine Auswahl signifikanter Varianten:

1,21 Anklage ] Anklage unserer Zeit E

2,33-34 ich da Gegenstand einer zu Thränen rührenden Tragödie seyn!

ich Gegenstand einer rührenden Tragödie sein!
E

2,27 Wahrscheinlichkeit, wenig Sinn zu haben

Wahrscheinlichkeit, nicht den ängstlichen Sinn zu haben
E

6,11 wie Seydelmann ist

wie Seydelmann einer ist
E

9,18-19 nicht auch von

nicht von
E

9,27-10,29 Raupach hat von […] Vergängliche verschwenden] Fehlt in E.

12,21-13,16 Als ich das Haus […] das Cadettencorps!] Fehlt in E.

14,30-16,2 Ich sah einige Akte […] wiederzugeben wußte.] Fehlt in E.

18,1-18,16 Der Recha der Dem. […] Rolle alterniren.] Fehlt in E.

18,17-24,23 VI. Man fragte mich […] Schriften gnädig!] Der gesamte Abschnitt fehlt in E.

24,24 VII.

VI.
E

25,10-11 Tyll Rüthling […] herausrücken.*)] Fehlt in E.

25,25-26,20 Am zweiten Ostertage […] einem Commando.] Fehlt in E.

26,21-22 Trotz all dieser […] große Freude gemacht.] Das Ballet Don Quixote. E

27,4 VIII.

VII.
E

29,5-29,8 Wenn ich noch […] Lustspiel fertig.] Fehlt in E.

29,25-30,4 Eine plötzliche Erkrankung […] „das Waldvögelein“ singen.] Fehlt in E.

30,5 IX.

VIII.
E

33,24-34,5 „Noch ist es Zeit!“ […] mokiren wollen.] Fehlt in E.

34,14-35,20 und der reiche […] der „Sechserbrücke“ gehört.] Fehlt in E.

34,14 Sehr gutes Eis und der

Sehr gutes Eis. – – Nun sah ich
[…] E

35,21-38,9 X. – – Was rennt das Volk […] auszugeben pflegen.] Fehlt in E.

38,10 XI. Ziffer fehlt in E. Der fortlaufende Text wird in E unter VIII. integriert.

39,26-39,28 Elisabeth […] werden. – – ] Fehlt in E.

40,31-40,34 Ich ward irre […] zu mäßigen.] Fehlt in E.

41,1 XII.

IX.
E

44,3-44,7 Groß dächt’ ich […] ein solches Stück.] Fehlt in E.

46,1 XIII.

X.
E

49,18-49,28 Mögte ihm doch […] übertroffen ist?] Fehlt in E.

49,29 XIV.

XI.
E

50,18-50,21 – – Ein Herr Ernst […] Herrn Ernst besuchen.] Fehlt in E.

53,19 XV.

XII.
E

56,2-56,5 – – Noch immer war […] Bestimmung verfehlen?] Fehlt in E.

56,6 XVI.

XIII.
E

56,12-59,18 Die gereizte Stimmung […] Herren träumen ließ.] Fehlt in E.

59,19 Unglücklichste aber am

Unglücklichste am
E

60,16-62,20 – Daß Dr. Mundt einen […] Miene machte?] Fehlt in E.

62,21 XVII.

XIV.
E

63,1-63,29 Man konnte bei […] möglich auszumalen.] Fehlt in E.

63,30-64,34 Ich besuchte Herrn […] erkennen kann.] Fehlt in E.

67,3-67,15 Vielleicht fühlt sich […] Namen gemacht hat.] Fehlt in E.

67,16 XVIII.

XV.
E

67,17-67,21 – – Leider war ich […] trinken keinen!“] Fehlt in E.

76,5 XIX.

XVI.
E

Kommentar#

Der wissenschaftliche Apparat wird hier zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht.

Stellenerläuterungen#