Berthold Auerbach’s neueste Dorfgeschichten#

Metadaten#

Herausgeber
  1. Wolfgang Rasch
Fassung
1.1
Letzte Bearbeitung
30.11.2019
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Text#

160 Berthold Auerbach’s neueste Dorfgeschichten.#

Nach mancherlei, nicht ganz vom gewohnten Erfolge begleitet gewesenen Ausflügen theils auf das Gebiet des Dramas, theils auf das Gebiet des Entwickelungsromans kehrt B. Auerbach jetzt auf diejenige Form poetischer Darstellung zurück, in der er Meister ist.

Im soeben erschienenen dritten Bande seiner „Dorfgeschichten“ findet man zwei neue Erzählungen, von denen die erste: „Diethelm von Buchenberg“, ein hohes und durchweg spannendes Interesse einflößt. Es ist die Geschichte eines Brandstifters, der sich unter eigenthümlichen Umständen bei einem öffentlichen Schwurgerichte als Verbrecher selbst eingesteht, obgleich er dem Gerichte nur als Geschworener beiwohnt. Der ganze schauerliche Reiz eines Criminalfalls verbindet sich in dieser Erzählung mit einer bis in die kleinsten Einzelheiten gehenden bewunderungswürdigen Analyse. Die Verlegenheiten, aus denen der Gedanke der Brandstiftung bei einem für reich geltenden, doch nur prahlerischen und verschwenderischen Bauern hervorgeht, sind ebenso lebenstreu dargestellt wie die dem dämonischen Gedanken folgenden Momente der Vorbereitung zur That, ihrer Ausführung selbst und ihrer Folgen. Nirgends wird auch nur eine Spanne Zeit in der aufgerollten Chronik übersprungen, überall Factum, treu aus dem Studium nicht etwa blos der Verbrecherannalen, sondern der Geheimnisse der menschlichen Seele entnommen. Nirgends Abstraction, überall fester Grund und Boden bis zur Eröffnung des Zuchthauses. Man könnte einwenden, daß dieser große Aufwand poetischer und psychologischer Analyse zuletzt an einen unwürdigen Gegenstand verschwendet ist; man könnte ferner die Frage aufwerfen, ob nicht nach dem scheußlichen Morde, den Diethelm an dem Schäfer Medard begeht, sein Anrecht an eine zu liebevolle und jedenfalls mit unverdienten poetischen Lichtern ausstattende Darstellung verwirkt war; indessen verschwinden solche und ähnliche Bedenken, die ohnehin nur bei einer Erörterung über das Endergebniß der ganzen Erzählung in Frage kommen könnten, gegen das nicht hoch genug anzuschlagende Verdienst der trefflichsten Detailmalerei und eines bis in die kleinsten Dinge gehenden treufleißigen Ausführens seiner Motive, wie diese Vorzüge auch nur bei einer solchen innern Befriedigung durch seine Gegenstände, wie sie bei B. Auerbach immer anzutreffen ist, möglich werden.

Von der zweiten Erzählung: „Brosi und Moni“, müssen wir leider eingestehen, nicht in gleichem Maße befriedigt zu sein. Sie enthält nicht minder eine Fülle der trefflichsten Charakterzüge aus dem ländlichen Idyllleben, bewegt sich gleichfalls zwischen einigen, dem Leben entnommenen Figuren mit einer fast lichtbildnerischen Wahrheit, die uns immer auf factischem Boden erhält; indessen scheinen uns diesmal die Figuren zu niedrig gegriffen. Die Beschränktheit derselben erzeugt auf die Länge das Gefühl einer unendlichen Leere. Für solche Fälle, wo die Dorfgeschichte absolut Unzurechnungsfähiges schildert, hat Jeremias Gotthelf das vortreffliche Auskunftsmittel, trotz seines völligen Heimischseins im Leben dieser Menschen, doch über ihnen zu stehen entweder als Strafredner oder als Ironiker. Wir sind sowol gegen Didaktik wie gegen Ironik, wo es sich um Stoffe handelt, die der Poesie Stand halten sollen; aber unerläßlich wird irgend eine Form von beiden da, wo die Seele vor der drückenden Schwere der geschilderten Kleinwelt kaum aufathmen kann. Hätte der Verfasser das Leben Severin’s entwickelt und dazu die beschränkten Aeltern als Hintergrund benutzt, so hätte das ohne Zweifel jene bei Auerbach immer vorhandene Erhebung und Kräftigung des Geistes gegeben, die wir bei „Brosi und Moni“ entbehren, so sehr sich auch der Dichter in sein Haldenbrunner Philemon und Baucis-Paar gemüthlich und innig vertieft hat.

Apparat#

Bearbeitung: Wolfgang Rasch, Berlin#

1. Textüberlieferung#

1.1. Handschriften#
1.1.1. Übersicht#

Es sind keine handschriftlichen Überlieferungsträger bekannt.

1.2. Drucke#
J [Anon.:] Berthold Auerbach's neueste Dorfgeschichten. In: Unterhaltungen am häuslichen Herd. Leipzig. Bd. 1, Nr. 10, [3. Dezember] 1852, S. 160. (Rasch 3.52.12.03.4)

2. Textdarbietung#

2.1. Edierter Text#

J. Der Text folgt in Orthographie und Interpunktion unverändert dem Erstdruck. Textsperrungen werden übernommen. Silbentrennstriche (=) werden durch - wiedergegeben. Die Seitenzählung wird mit Klammern [ ] an den betreffenden Stellen in den Text eingefügt.

Kommentar#

Der wissenschaftliche Apparat wird hier zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht.