H. Brockhaus, P. Lyser und die kritischen Zahlen um Leipzig.#

Metadaten#

Herausgeber
  1. Christine Haug
  2. Ute Schneider
Fassung
1.0
Letzte Bearbeitung
08.2020

Text#

213 H. Brockhaus, P. Lyser und die kritischen Zahlen um Leipzig.#

Seitdem sich zu den Blättern für literarische Unterhaltung eine persönliche Redaktion bekennt, hat der Kampf gegen sie eine neue Wendung genommen. Ich würde zu dem Angriffe J. P. Lyser’s geschwiegen haben, wenn er sich blos in der Sphäre des Buchhandels hielte; denn eine Fehde mit Buchhändlern ist bekanntlich ohne Freude. Jetzt ist hier aber nicht mehr von Versendzetteln, von Disponenden und Remittenden, von Condition und Rabatt die Rede, sondern von einem bisher unbekannten Autor, der das Risiko fremder Urtheile übernimmt, der sich dem deutschen Publikum gegenüberstellt, wie der selige Nicolai. Man muß von den Blättern für lit. Unterh. sprechen, wie von der allgemeinen deutschen Bibliothek.

Wenn man bisher diesem Institute den Vorwurf machte, daß es nur dazu dienen sollte, die Schriften zu empfehlen, welche jährlich unter der Firma F. A. Brockhaus erscheinen; so hätte man daraus kein so großes Verbrechen machen sollen. Denn war es die genannte Firma nicht selbst, welche nur gleichsam in langen, künstlich verschlungenen Buchhändleranzeigen zu Euch sprach? Konnte man ihr verdenken, daß sie einen Raum auf diese Art benutzte, wo sie keine Insertionsgebühren zu bezahlen hatte? Auf diesem natürlichen Wege ist Raumer ein großer Geschichtsforscher geworden, Krug ein großer Philosoph, Neigebaur ein großer Geograph, Wachsmuth ein großer Stylist, mein Huber ein klarer Kopf, und Sigismund Wiese eine vielversprechende Hoffnung. Das Publikum wußte, woran es war. Es nahm diese Artikel lächelnd auf und belustigte sich an den verschlagenen Wendungen des Lobes und an der Kunst der hieroglyphischen Zahlen, welche hier das Interesse eines spekulirenden Verlegers vertreten sollten.

Weit mehr versteckt hinter der Redaktion sahen später H. Laube und Gustav Schlesier. Jener hatte selbst an den Blättern gearbeitet und wußte, wie es die Handlung einzurichten pflegte. Man stellte den Interessenten nämlich die Bücher zu, mit gewissen vorläufigen Andeutungen, welche den Wunsch der Redaktion ausdrückten, das Buch so oder so zu behandeln. Dies war also doch eine Einheit, welche in die Masse dieses Journals hinein kam; aber sie hatte etwas Gehässiges, da sie über die neuen Erscheinungen nur nach einer Art von Instinkt, nach Sympathien urtheilte; denn die Bücher kamen an die Recensenten unaufgeschnitten. H. Laube glaubte damit so viel entdeckt zu haben, daß er es für nöthig hielt, dem Publikum davon öffentliche Anzeige zu machen. Er ging mit einem Manifest um, das von der ganzen betheiligten Literatur unterschrieben werden, mit einer Riesenadresse, welche der Wahrheit übergeben werden sollte. Doch im Augenblicke hatte er nur die in den Straßen Leipzigs ambulante Literatur, die Kintschyschen Schöngeister, zur 214 Hand: bis die entfernteren Facsimilia einliefen, war er wieder mit dem betheiligten Handlungshause in jungeuropäische Beziehungen gekommen: man fand die Blässe seines Angesichts interessant, die Cravatte reizend, sein Auftreten verführerisch. Heinrich Brockhaus reiste nach Italien, und der junge Löwe wurde mild und versöhnlich.

Der Angriff G. Schlesiers führte näher zum Ziele. Er hatte ein System in diesen Blättern entdeckt, das in der Stellung der Partheien seit der Julirevolution näher zu bezeichnen von Werth war. Die abscheuliche Entgegnung der Buchhandlung auf diesen Angriff, hinderte ihn, darin fortzufahren. Auch kann sich ein Mann, der mehr zu thun hat, als die Anmaßung einer Winkelkotterie an’s Licht zu stellen, wohl nicht auf etwas anders in solchen Dingen einlassen, als mit einer kurzen und scharfen Rede das Wespennest aufzusuchen. Ich werde auch nie wieder auf diese Frage zurückkommen, und mich damit begnügen, das ganze System der Brockhausischen Unterhaltungsblätter zu charakterisiren.

Es sind von J. P. Lyser ganz richtig drei Colonnen angenommen, welche in jenem Institute vorzurücken pflegen, nur müßten sie genauer bezeichnet werden. Den Hauptphalanx bilden die purifizirten Demagogen, das zweite Treffen die Doktrinäre, Dilettanten und Kliquenmacher von Berlin; die Arrièregarde endlich die Maschinen der Herren Brockhaus und Heinrich selbst, der neue Autor.

Jene ersten sind eine Verlassenschaft des alten Brockhaus; es sind die Mitarbeiter des Conversationslexikons, ehemalige Revolutionäre, die auf der Wartburg gewesen waren, dann ein Jahr gesessen hatten, purifizirt und angestellt wurden. Alles, was in den Unterhaltungsblättern freisinnig und ächt klingt, geht von dieser als Pfarrer oder Advokat fungirenden sistirten Revolution aus, von diesen wunderlichen Menschen, welche sich darüber ärgern, daß man seit den Julitagen noch dreister gesprochen hat als sie. – Es ist die alte Opposition, welche gleichsam Casimir Perier anführte, und die nun in’s Centrum gerückt ist. Es sind jene monarchistischen Deutschthümler, welche sich nach 1822 auf die Theologie warfen und aus dem Kampfe des Rationalismus und Supernaturalismus einen Skandal machten, in welchem alle Geheimnisse profanirt wurden. Die Kanzeln und Richterstühle in den sächsischen Herzogthümern und im Königreich sind von dieser alten, podagristischen Rebellion bevölkert, und wie sie es ehemals gewohnt waren, ziehen sie noch jetzt alle Dinge vor ihr Forum. Sie sprechen über Kunst, Literatur, Geschichte mit; denn für Alles haben sie gewisse alte Formeln, welche unter uns jetzt keinen Cours mehr besitzen. Die Einen sind mit Krug stehen geblieben. Die Andern gingen mit einigen Behauptungen der kritischen Schule weiter, wenn sie auch nicht Alles, was Menzel that, vertraten. Diese ganze, in Dörfern und kleinen Städten vegetirende Rechthaberei ist im ursprünglichen Besitze sämmtlicher Brockhausischer Institute. Man kann sie kurzweg mit dem Namen Altenburger Liberalismus bezeichnen. Namen nennen sich nicht: sie bilden unter sich eine eigne Art von Obscurantismus. Sie werden nur numerirt, und treiben die Kritik als Nebenhandwerk, das zu ihren Accidentien und Sporteln gehört, unter lärmenden Kindern, in kleinen Hütten auf dem Lande, in der ganzen Abhängigkeit von der Gutsherrschaft, von den summenden Fliegenschwärmen, welche an die kleinen schmutzigen Fensterscheiben prasseln, und in dem Dufte rationeller Landwirthschaft. Man wird sie bei jeder Recension sogleich erkennen; denn sie fangen immer von Allgemeinheiten an, von Vorbegriffen, mit der Phrase: „Wenn es schon im Allgemeinen – “. Es liegt darin viel Ängstlichkeit; denn sie fürchten immer, bis dahin, wo der Bote aus der Stadt kömmt, könnten sich die wissenschaftlichen Standpunkte schon wieder verändert haben. Ihnen sendet auch die Handlung immer die Bücher des eignen Verlages; dann jubeln sie, was das wieder für eine neue Erscheinung wäre; sie lesen mit Muße, und machen es sich bequem dabei; denn über diese Sendung können sie nicht zu viel sagen; je anfänglicher, desto besser; Einleitungen von der Wiege des Menschengeschlechts her, von den allgemeinsten Begriffen des Vorstellungsvermögens, von dem Ursprung der Sprache, von Erfindung der Buchdruckerkunst, von den ersten Spuren des Buchhandels, kurz sie dürfen über ein Buch von drei Bogen sechs Artikel schreiben. – „Wenn es schon im Allgemeinen“ –.

Die Charakteristik dieser ersten Classe schien mir wichtiger, als die der zweiten. Diese letztere ist leicht erkenntlich; denn sie besitzt theils die Eitelkeit, sich zu nennen, theils stirbt sie aus. Ein großes Glück, daß der Intendanturrath Neumann auf diese Weise zum Schweigen gekommen ist. Dieser Mann mußte rezensiren aus Gründen, welche Hitzig in dem Nekrolog der Preuß. St. Z. nicht verschwiegen hat. Aber es war nicht blos, daß er leben wollte; nein, ihn drückte der Mangel an eigner Originalität, das Gefühl einer guten Bildung und mannichfacher verlorner Kenntnisse, und der Ärger, mit vielen Notabilitäten verkehrt zu haben, ohne es ihnen gleich zu thun durch eigne Produkte. Solche Leute werfen sich dann auf die Kritik und verfahren schonungslos aus Neid und andern hämischen Gefühlen, die ich ungern in den Mund nehme. Raumer kritisirt nur die Crelinger, er arbeitet nicht an den Blättern. W. Alexis ist so gutmüthiger Natur, daß er sich gleich zu erkennen gibt, wenn er tadelt. Die jungen Doktrinäre und revolutionären Henriquinquisten von Berlin haben sich jetzt zu einem Thierkreis vereinigt. Sie lieferten die besten Sachen, und wo sie schlecht waren, schadeten sie nicht, da sie sich nannten. Ich denke immer, ein offenes Visier soll man passiren lassen, wenn sich der Kerl im Sattel auch schlottericht ausnimmt.

215 Das letzte Treffen rückt an: die Correktoren, Geschäftsführer und schriftstellerischen Maschinen der Firma: F. A. Brockhaus, Menschen, welche in Bausch und Bogen bezahlt werden, und mit ihrer Firma einen kleinen Privatgottesdienst treiben. Die Diener machen es immer ärger, als die Herren. Um sich wohlgefällig zu beweisen, übertreiben sie, und führen Alles, was die Herren nur andeuten, in’s Extrem hinüber. Das Gefühl, Maschinen zu sein, schürt den Ärger an. Diese Magister, welche die Register machen zum Conversat. Lex., welche die Übersetzungen liefern und die Supplemente besorgen und zuletzt die Correktur lesen, sind voll von Scandalosen der Literatur, Antipathien, Partheigeschwätz, Details, die sie sich zutragen und womit sie ihren Herrn bedienen, wider seinen Willen vielleicht. Sie haben für Alles Stichwörter, und sammeln nur Galle in sich. – Man muß den Einfluß des Sächsischen Charakters auf die Gallenblase kennen, diese leider oft so geschmeidigen Charaktere, welche äußerlich lachen können und innerlich vor Bosheit zittern. So geht es denn auch mit der Kritik. Das ist der wieder – heißt es; ja, ja, das ist der: der ist das, und siehe, das ist ja wieder der – O diese Galläpfel! Hier werden diese kleinen Erinnerungsscheden an die Mitarbeiter auf dem Lande abgefertigt: hier werden die widerlichsten Dinge in die Literatur hineingezogen, das Buchhändlertreiben, die Abrechnungen, die prompten Zahlungen, das Rivalisiren, der klassische fremde Verlag, kurz wir gerathen in eine Sphäre, die so abscheulich ist, daß wir hier abbrechen.

Ob es ein großes Unglück ist, von diesen drei Klassen gemißhandelt zu werden? Für manche Autoren wahrlich nicht! Wer davon so überzeugt ist, wie ich, daß das Bessermachen immer besser ist, als selbst die beste Kritik, gibt wahrlich auf die schlechte nichts! Nur das ist traurig, daß Schriftsteller, wie Ortlepp, Herloßsohn, Lyser u. s. f., welche weniger durch das sich namhaft machen, was sie liefern, als durch das, was sie vorstellen, nur in Rücksicht auf jenes in den Blättern für l. U. gefaßt werden. Ganz davon abgesehen, daß sich die Leute des Herrn Brockhaus in den Straßen von Leipzig an diesen sansculotten Autoren und Festordnern des Tunnel reiben, ganz abgesehen von dieser abscheulichen Stadtklätscherei, die jenen Autoren in den Augen der Brockhausischen Kritik schaden mag, kommen sie immer zu kurz, wo sie nicht von Leuten in Schutz genommen werden, welche verwandte politische und literarhistorische Parolen haben. Denn Ortlepp wurde Dichter aus Gottes Zorn, Herloßsohn vernachläßigt sich, und Lyser ist ein Poet mehr durch seine Erscheinung als durch seine Produkte. Was sie an Brockhaus aussetzen, ist gewiß richtig. Beziehen sie es aber auf sich, so muß man schweigen und sie nur bedauern, daß sie bei ihm nicht die Sympathie antreffen, welche Menzel und Andere bestimmt, ihnen etwas durchgehen zu lassen.

Überhaupt thun diese gerupften Opfer, denen Lyser das Wort redet, sehr Unrecht daran, einen gewissen legitimen Nimbus um sich zu verbreiten, von Heine’s Übertreibungen und von Laube’s Unzulänglichkeit zu sprechen; denn was sie diesen abbrechen, kommt ihnen wahrlich nicht zu Gute! Ernste und prüde Mienen stehen dissoluten Charakteren ganz schlecht. Glauben sie denn, daß ihr Treiben irgend etwas Solides ausdrückt, und das, wenn man es an und für sich betrachtet, für etwas gelten kann? Sie glauben es zu ihrem großen Nachtheile. Sie denken, etwas Außerordentliches zu leisten, wenn sie im Kometen Dom Miguel henken und dem Papst in die Füße beißen. Dazu lacht der Abonnent in Lübben oder in Prag; aber im Grunde ist das Alles zweckloses Treiben und dient mehr dazu, die Wahrheit in schlechten Credit zu bringen, als ihr vorzuarbeiten. – Versteht Ihr Euer Interesse, Ihr lieben Leute, so geht in unser Hintertreffen, sonst gerathet Ihr zwischen zwei Feuer! Ich liebe dich recht sehr, J. P. Lyser, tauber, in deinem Auftreten mährchenhaft anziehender Junge; aber sei artig gegen die, welche es gut mit dir meinen! –

Apparat#

Bearbeitung: Christine Haug, München; Ute Schneider, Mainz#

1. Textüberlieferung#

1.1. Handschriften#
1.1.1. Übersicht#

Es sind keine handschriftlichen Überlieferungsträger bekannt.

1.2. Drucke#
J [Anon.:] H. Brockhaus, P. Lyser und die kritischen Zahlen um Leipzig. Phönix. Literatur-Blatt. Frankfurt/M. Nr. 9, 4. März 1835, S. 213–215. (Rasch 3.35.03.04.1)

2. Textdarbietung#

2.1. Edierter Text#

J. Der Text folgt in Orthographie und Interpunktion unverändert dem Erstdruck. Textsperrungen werden übernommen. Silbentrennstriche (=) werden durch - wiedergegeben. Die Seitenzählung wird mit Klammern [ ] an den betreffenden Stellen in den Text eingefügt. Fehlende oder überzählige Spatien im Erstdruck wurden stillschweigend korrigiert.

Die Seiten-/Zeilenangaben im Apparat beziehen sich auf die Druckausgabe des Beitrags im Band: Schriften zum Buchhandel und zur literarischen Praxis. Hg. von Christine Haug u. Ute Schneider. Münster: Oktober Verlag, 2013. (= Gutzkows Werke und Briefe. Abt. IV: Schriften zur Literatur und zum Theater, Bd. 7.)

Kommentierung#

Der wissenschaftliche Apparat wird hier zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht.