Säkularbilder (1875). Vorwort#

Metadaten#

Herausgeber
  1. Martina Lauster
Fassung
1.0
Letzte Bearbeitung
08.2007

Text#

V Vorwort.#

Unter dem preußischen Ministerium von Rochow hatte vom Jahre 1836 an der Geheimerath Tzschoppe die Lenkseile der Censurmaßregeln so straff angezogen, daß einigen Schriftstellern die Fortsetzung ihrer bisherigen Wirksamkeit, die Uebung ihres Lebensberufes, beinahe unmöglich wurde. Eine Anzahl Autoren wurde so gestellt, daß keine ihrer im preußischen Ausland gedruckten Schriften ohne Recensur auf einem Gebiet zugelassen wurde, das zu umfassend ist, als daß dasselbe von ihnen umgangen werden konnte. Wie diese Recensur beschaffen war, kann man sich nach dem Geiste, der in den letzten Regierungsjahren Friedrich Wilhelm’s III. allein in Preußen verlautbaren durfte, vorstellen. Jeder neue Begriff war verpönt. Das Wort "Zeitgeist" eben so unzulässig und verdächtig, wie die Vorstellung davon. „Man will VI das hier nicht!“ „Man mag das hier nicht!“ So lauteten die Bescheide einer Bureaukratie, die mit wahrhaft übermüthiger Selbstgenüge jedes Symptom neuzeitiger Entwicklung von sich abwies und verfolgte. Wenn jene verpönten Schriftsteller ein auswärts gedrucktes Werk zur Recensur einreichten, so wurde schon für unangemessen gehalten, daß man überhaupt in Stuttgart, Leipzig, Frankfurt oder Hamburg drucken ließ, auf Gebieten, die ein- für allemal als verdächtig und gefährlich angesehen wurden. Fand sich auch nur eine Stelle, die dem Geheimerath Tzschoppe und seinem Unterpersonal mißfiel, so wurde dafür ein ganzes Werk in drei Bänden für unzulässig erklärt und als verboten in den Index der Amtsblätter zur Nachachtung gesetzt.

Der Verfasser trug sich mehre Jahre mit der Idee eines Werkes, das den Versuch machen sollte, ein Gesammtbild unsres Jahrhunderts nach seinen vorzüglichsten Lebensäußerungen und Gedankenrichtungen zu geben. Anfangs 1837 hielt er sich für befähigt, an diese schwere Aufgabe zu gehen. Doch mit seinem Namen begleitet würde eine solche, gerade mit der Zeit und ihren Tendenzen sich beschäftigende Schrift und ohnehin bei seiner ihm zur andern Natur gewordenen liberalen Auffassung in ganz Preußen verboten worden sein, und diejenigen deutschen Regierungen, welche gewohnt waren, alles Preußische nachzuahmen, würden dies Verbot auch für die Kreise der ihnen gehörenden Botmäßigkeit ausgedehnt haben. Unter diesen VII Umständen entschloß sich der Verfasser, dem es um die Grundsätze seines Buches mehr zu thun war, als um seine Person, auf den Titel desselben den Namen Bulwer’s zu setzen. Nachstehendes Buch erschien unter der Firma: Bulwers Zeitgenossen.

Die schützende Devise eines ausländischen Schriftstellers durfte freilich kein bloßes Aushängeschild sein. Die Verfolger würden ein Titelblatt leicht durchschaut haben. Ich mußte daher bedacht sein, dem Buche, das in zwölf Heften erschien, auch eine englische Färbung zu geben, wobei ich mir Bulwer’s „England und die Engländer“ zum Muster nahm. Von dem Vorwurf, daß ich das Publikum hätte täuschen wollen, glaube ich dadurch losgesprochen zu sein, daß die Pseudo-Autorschaft sofort erkannt und von mir nirgends in Abrede gestellt wurde.

In einer neuen Ausgabe, die 1846 von diesem Buche, das ich dann „Säkularbilder“ nannte, erschien, habe ich schon das englische Gewand abzustreifen gesucht. Die Aufgabe war nicht leicht. Ich hatte versucht, für die beispielsweise gegebenen englischen Charaktere, die ich zur Belebung des Raisonnements erfand, deutsche aufzustellen. Doch ließ sich die bevorzugte Anknüpfung der Erörterungen an England nicht durchaus unterdrücken; wodurch ich mich indessen weniger beunruhigt fühle; denn Englands gesellschaftliche und politische Zustände sind der Art, daß Deutschland gut thut, seine eigenen Bestrebungen vorzugsweise mit jener Form, wie sich Aehnliches in England VIII ausnimmt, zu vergleichen. Mein Standpunkt, den ich gleichsam von London aus nahm, wurde ein universaler.

Vom Jahre 1848 an waren die Umgestaltungen der Zeit zu groß, um jeder derselben in diesem letzten Neudruck Rechnung zu tragen. Hier und da weisen Anmerkungen unter dem Text auf die Gegenwart hin. Ich habe das ganze Werk eines Sechsundzwanzigjährigen noch einmal durchgearbeitet und muß mit aller Offenheit gestehen, daß nur die politischen Verfolgungen und - die gleichzeitigen überwiegend abgeschmackten lyrischen Tendenzen unserer damaligen Literatur Schuld daran waren, daß ein so vielseitiges, theils in heitrer Laune, theils, wo die Sache es mit sich brachte, mit schwungvollem Ernst geschriebenes Buch nicht mehr beachtet wurde. Als sich späterhin der Sinn für philosophische und weniger flüchtige Literatur wieder einfand, mußte man leider, um gefördert zu werden, wieder der philosophischen Schule des Tages huldigen. Ich arbeitete mich aber gerade aus Hegel heraus, als man uns die Zumuthung machte, uns erst recht wieder in ihn hineinzuarbeiten.

     Wieblingen bei Heidelberg, Mai 1875.

                                                                                                 Gutzkow.

Apparat#

Bearbeitung: Martina Lauster, Exeter#

1. Textüberlieferung#

1.1. Handschriften#
1.1.1. Übersicht#

Es sind keine handschriftlichen Überlieferungsträger bekannt.

1.2. Drucke#

E. Die Zeitgenossen. Ihre Schicksale, ihre Tendenzen, ihre großen Charaktere. Aus dem Englischen des E.L. Bulwer. Bd. 1-2. Stuttgart: Verlag der Classiker, 1837. (Rasch 2.14)
A1. Säkularbilder. Theil 1-2. In: Gesammelte Werke. Vollständig umgearbeitete Ausgabe. Bd. 9-10. Frankfurt/M.: Literarische Anstalt, 1846. (Rasch 1.2.9-10)
A2. Säkularbilder. Anfänge und Ziele des Jahrhunderts. In: Gesammelte Werke. Erste vollständige Gesammt-Ausgabe. Erste Serie. Zweite vermehrte und verbesserte Auflage. Bd. 8. Jena: Costenoble, [1875]. (Rasch 1.5.8)

2. Textdarbietung#

2.1. Edierter Text#

A2. Der Text folgt in Orthographie und Interpunktion unverändert der dritten Auflage. Textsperrungen werden übernommen. Silbentrennstriche (=) werden durch - wiedergegeben. Die Seitenzählung wird mit Klammern [ ] an den betreffenden Stellen in den Text eingefügt.

2.1.1. Texteingriffe#

Kommentierung#

Bisher ist von  der Auflage der Säkularbilder von 1875 nur das Vorwort erfasst. Mit der Texterfassung dieser Auflage wird auch der wissenschaftliche Apparat als work in progress hier veröffentlicht.