Börne gegen Heine#

Metadaten#

Herausgeber
  1. Wolfgang Rasch
Fassung
1.1
Letzte Bearbeitung
10.02.2020
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Text#

597 Börne gegen Heine.#

Börne hat Heine im Feuilleton des Reformateur bei mehr, als der bloßen Parthei angeklagt. Er appellirte an alle diejenigen, welche sich ein Urtheil zutrauen, und hat deshalb in der Verdammung Heine’s einen auffallenden Anklang gefunden, selbst bei denen, welche Börne sonst gar keines Grußes würdigt. Das Resultat ist jedenfalls ein solches, was Börnen nur zufällig zu Gunsten kommt; wir müssen das Gleichgewicht wieder herstellen und den Ankläger innerhalb seiner Parthei zurückdrängen. Ich kann nicht dafür, wenn dies Verfahren wie eine Rechtfertigung Heine’s aussehen wird. Mich dauert des armen Kindes, wie man ihm seine Blumenkränze zerreißt und an seine liebenswürdige Thorheit mit so massiven Zurechnungen geht.

O glaubt mir, Beide leidet ihr an derselben Krankheit! Beide macht euch die Geliebte eures Herzens wahnwitzig! Beide schmachten nach der Freiheit; aber Börne wird aus Sehnsucht ein Verzweifelter, Heine aus Sehnsucht ein Übermüthiger. Börne rettet das Übrige, während er Eines aufgeben muß: Heine wirft Alles hin, er krankt an demselben Schmerze. Börne hält sich an Gott und gibt die Menschen auf. Heine klammert sich an die Menschen und scheidet sich von Gott. Börne will die moralische und religiöse Weltordnung kultiviren, bis wir in bessern sozialen Verhältnissen sind. Heine will alles preisgeben, ehe wir nicht zum politischen Ziele sind. Wer hat Recht? Thörichte Frage! Fragen soll man nur: wer ist mäßiger? Auch das nicht: Wer ist muthiger? Noch weniger dies: wer ist unglücklicher? Sie sind es beide in gleichem Grade; nur darin unterscheiden sie sich, daß der Eine seiner Sache nützlicher ist, als der Andre.

Börne, dem der deutsche Adler an der Leber frißt, ist kein Prometheus: Heine ist es; denn Heine flucht den Göttern, wie Prometheus. Börne glaubt früher zu seinem Ziele kommen zu können, wie Heine; denn Börne läßt der Welt, was sie hat, nur will er ihren politischen Zustand verändern. Heine will ihr noch den Glauben nehmen. Das ist der Unterschied: Börne hat nur Einen, Heine hat sie Alle gegen sich.

Börne leidet an einer Einseitigkeit; Heine an einer Ungerechtigkeit. Börne glaubt, die einzige Frage der Zeit wäre die der Könige. Heine rächt sich an den Gärten, Besitzungen, an dem ehrlichen Namen des Mannes, der ihm seine Tochter nicht geben will. Wenn Börne an seinem Ziele wäre, so würde er die Sitten und sozialen Meinungen angreifen. Wenn Heine es wäre, so würde er gegen Börne’s Frivolität schreiben und eingestehen, daß er früher die Erde und den Himmel nur verwüstet habe, um gleichsam zu sagen: Wenn ihr uns das Eine vorenthaltet, nun, so werde euch auch das Andre benommen!

Börne klagt Heine der Frivolität an; aber ist es nicht der größte Leichtsinn, das Jahrhundert auf Nichts 598 zu reduziren, als die constitutionelle Frage? Indem Börne die theologischen Debatten in die Vergangenheit verweis’t und von den Angriffen auf das Christenthum wie von einer antiquirten und verbrauchten Maxime spricht, schneidet er für unsre Zeit die Spekulation ab. Indem er geringschätzig redet von den Bestrebungen, über die Schönheit, neue Bestimmungen festzusetzen, tödtet er die Keime künstlerischer Ausbildung, mit deren Blüthe die nächste Zukunft unsres Vaterlandes bedacht zu sein scheint. Wir können nicht glauben, daß Börne eines solchen Despotismus fähig wäre, und die Zeit so wenig übersähe. Eine solche Vollendung, wie die seinige, eine Vergangenheit, die so abgerundet vor uns steht, wie die Autorschaft Börne’s, braucht freilich die Gegenwart nicht. Aber die deutsche Jugend, welche die Feder führt, wird sich hüten, eine Einseitigkeit der Grundsätze zu verfolgen, welche die Tendenz des Jahrhunderts eben so sehr wie die Literatur zu vernichten droht. Sie auf nichts anweisen, als jene isolirte politische Thätigkeit, d. h. auf die Bretter, welche zu einem Sarg hinreichend sind, ist eine Grausamkeit, die die Jugend hochherzig genug wäre, wahr zu machen, die aber Niemanden nützen würde, am wenigsten dem Vaterlande. Je nothwendiger es scheint, sich mit den bestehenden Verhältnissen abzufinden, desto eher solltet ihr darauf bedacht sein, uns in den Studien zu unterstützen, welche der Zukunft gewidmet sind!

Wir haben es immer ausgesprochen, daß Heine’s ganz unentwickelte Charakterbildung, vor allen Dingen aber die große Leere, welche selbst in genialen Köpfen entsteht, wenn sie in einer so vollen, konkreten und überhäuften Zeit nichts thun, als von ihrem ursprünglichen subjektiven Kapitale leben, diesen Autor zum Kampfe der Zeit im großen, tragischen Style ganz ungeschickt macht. Möge jedes Wort, was Börne in dieser Rücksicht gesagt hat, auf ein gutes Feld fallen und in Heinen nicht Groll, sondern Entschlüsse hervorrufen! Im Übrigen aber müssen wir uns entschieden gegen Börne’s Prinzipien, so weit sie in jenen Aufsätzen zum Vorschein kommen, erklären, wie gegen alle Insinuationen, die von der rein bürgerlichen Auffassung der Ereignisse herkommen oder mit einer Meinungsschattirung des Tiersparti, es sei, welche es wolle, irgend im Zusammenhange stehen.

Apparat#

Bearbeitung: Wolfgang Rasch, Berlin#

1. Textüberlieferung#

1.1. Handschriften#
1.1.1. Übersicht#

Es sind keine handschriftlichen Überlieferungsträger bekannt.

1.2. Drucke#

Gutzkows Beitrag wurde zuerst 1835 im "Literatur-Blatt" zum "Phönix" veröffentlicht. Die Arbeit verwendete er ein Jahr später in seinen Beiträgen zur Geschichte der neuesten Literatur, wo der Text einen Teil des Kapitels H. Heine bildet. Für die Buchausgabe wurde der Zeitschriftenartikel gekürzt und überarbeitet; ihm geht im Buch die ebenfalls im "Literatur-Blatt" zum "Phönix" veröffentlichte Rezension Der Salon von H. Heine. Zweiter Theil unmittelbar voraus.

J [Anon.:] Börne gegen Heine. In: Phönix. Literatur-Blatt. Frankfurt/M. Nr. 25, 27. Juni 1835, S. 597-598. (Rasch 3.35.06.27.1)
E H. Heine. In: Karl Gutzkow: Beiträge zur Geschichte der neuesten Literatur. Stuttgart: Balz, 1836. Bd. 1, S. 89-94. (Rasch 2.13.1.4.5)

2. Textdarbietung#

2.1. Edierter Text#

J. Der Text folgt in Orthographie und Interpunktion unverändert dem Erstdruck. Textsperrungen werden übernommen. Silbentrennstriche (=) werden durch - wiedergegeben. Die Seitenzählung wird mit Klammern [ ] an den betreffenden Stellen in den Text eingefügt.

Kommentar#

Der wissenschaftliche Apparat wird hier zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht.