Der Zauberer von Rom. Siebentes Buch#
Metadaten#
- Herausgeber
- Kurt Jauslin
- Stephan Landshuter
- Wolfgang Rasch
- Fassung
- 1.2: TEI-Auszeichnung
- Letzte Bearbeitung
- 30.09.2021
Text#
Siebentes Buch.#
3 1.#
Jenseits der Tiber, hoch auf dem Janiculus, liegt in Rom das Kloster San-Pietro in Montorio …
Eine der schönsten Aussichten über die Siebenhügelstadt genießt man dort auf dem Platz vor einer Kirche, deren erste Anlage zu den urältesten gehört. In ihrer spätern Erneuerung verräth sie nicht ganz jenen mehr prächtigen, als schönen Geschmack, in welchem fast alle Kirchen Roms gebaut sind …
Pinien und Cypressen bezeichnen die Stätte, von wo das Auge die im Abendroth verschwimmenden violetten Contouren des Horizonts bis zu den Sabiner- und Albanergebirgen verfolgen kann. In nächster Nähe schwimmt, von Abendnebeln durchzogen, das unermeßliche Häusermeer, durchschnitten von den Krümmungen der Tiber. Zahllose Kirchen ragen auf, zahllose Paläste, das Capitol mit seinen Trümmern aus der eisernen Römerzeit, die Engelsburg mit ihrem sein Schwert senkenden Sanct-Michael auf der Zinne … Ein Bild, groß und herrlich wie die Vision einer Verheißung …
Der erste Gedanke jedes Pilgers, der in Rom an-4kommt, ist die welthistorische Macht der christlichen Idee … Die Schauer der Erinnerung an die blutige Märtyrerzeit begleiten ihn schon vom Fuß der Alpen … In Rom angekommen, sieht er die Triumphe des Kreuzes … Kein Tiber, kein Nero, kein Domitian beherrschen mehr das Universum … Die Vexillen und blutigen Fasces der Imperatoren, unter denen der christliche Bekenner verspottet, gefoltert, den wilden Thieren vorgeworfen wurde, sind zerrissen und zerbrochen … Der capitolinische Jupiter stürzte selbst vom tarpejischen Felsen; den Rand seines zurückgebliebenen Sessels ziert das Kreuz … Das Kreuz triumphirt über Cicero, Cato, August, Seneca … Es triumphirt ohne Rache … Sanct-Michael auf der Engelsburg hält sein Schwert nicht drohend empor, sondern senkt es versöhnt zur Erde …
So kann man fühlen, wenn Hunderte von Glocken nach San-Pietro in Montorio hinauf das Angelus tragen … Der nächste Gruß kommt links aus San-Onofrio, von Tasso’s Eiche herüber; zur Rechten von Santa-Cecilia über die botanischen Gärten aus Trastevere … Hier oben bei den reformirten Franciscanern wird es später Nacht, als im Thal da unten, wo schon Hunderte von Lichtern aufblitzen … Die Mönche sitzen soeben im Refectorium – essen Polenta – köstlichen jungen Salat aus ihrem eignen Garten … Salz und Pfeffer, nicht Asche darauf gestreut, wie Petrus von Alcantara, der Stifter dieser – „Reformation“ – mit seinem Salat es zu halten pflegte …
Der fromme Pater Vincente, für den Bonaventura 5 jetzt in Robillante Bischof ist, fehlt heute unter den Brüdern der braunen Kutte …
Er liegt in seiner Zelle und erbittet sich von Gott Kraft und Sammlung zu dem harten Weg, für den gerade ihn heute ein Loos getroffen …
Alle Klöster der von Almosen lebenden Orden sind eingeladen, heute in der Nacht auf Villa Rucca zu erscheinen, um dort die Gaben des jungen, heute vermählten fürstlichen Paars, die Abfälle der köstlichen Tafel zu empfangen …
Der alte Fürst Rucca, Generalpächter der Steuern an der Nordküste des Kirchenstaats, will zeigen, daß das Sprüchwort falsch ist: „Unrecht Gut gedeiht nicht!“ – Was kann gedeihlicher sein, als Almosen an Klöster und Bettler …
Guardian und Brüder wußten, daß Pater Vincente einst um einen „Kuß in der Beichte“, den sein Gewissen und seine Phantasie ihm nur vorgespiegelt hatten, hier oben Jahre lang hatte büßen wollen … Büßen zu dem Stachelgürtel, den Barfüßen und den aus drei Brettern bestehenden Betten, die hier Regel sind, noch hinzu! … Ein Trost der Brüder war, daß doch noch nicht ganz gelebt werden mußte, wie der Freund der heiligen Therese, der Beichtvater des Einsiedlers von Sanct-Just (Karl V.), Petrus von Alcantara lebte, in einer Zelle, die kürzer war, als seine Leibeslänge! Ging man über den Hof hinweg, so fand man von Bramante eine Kapelle just über der Stätte erbaut, wo der Apostel Petrus einst mit dem Kopf nach unten gekreuzigt werden wollte – Sanct-Peter wollte nicht die Ehre haben, 6 zu sterben, wie sein Herr und Meister … Der Janiculus ist das zweite Golgatha. Was sagten, solchen Leiden gegenüber, drüben die dunklen Zellen mit eisernen Gittern, in deren einer der selige Bartolomäus von Saluzzo zehn Jahre hinbrachte, ein Priester, der die Dreistigkeit hatte, schon dem Rom seiner Zeit, Päpsten und Cardinälen, zu sagen: Nicht einer unter euch ist ein wahrer Priester! …
Pater Vincente schien kein so wilder Feuerkopf. Ein Schwärmer aus dem Thal von Castellungo, gehörte er ohne Zweifel zu jener dritten Art der Heiligen, den Geschlechtlosen, von denen damals der Onkel Dechant gesprochen … Im Süden sind vollkommen schöne Jungfrauen nicht so häufig, wie diese rein vegetativen, willenlosen, zuweilen bildschönen Jünglinge … Ein Mönch lebte gefangen auf San-Pietro in Montorio, der den Pater Vincente nur einmal sah und sich sagte: „Nun begreif’ ich Horaz und Alcibiades, Plato und – Platen“ …
Wer konnte wol hier oben in Rom vom deutschen Dichter Platen sprechen? – – …
Pater Vincente hatte das Loos gezogen, der Hochzeit seines bösen Beichtkindes beizuwohnen … Er sollte die Speisen in Empfang nehmen, die man ihm in seinen Quersack schütten würde, den jedoch ein stärkerer Laienbruder tragen sollte … Dieser Laienbruder war krank … Das Fieber springt in Rom von einem Berg zum andern … Im Monat Mai hockt der unheimliche Dämon auf dem Janiculus … So hatte man beschlossen, einen der beiden deutschen Gefangenen, die hier in Rom auf der Höhe des freien Vogelflugs in 7 strenger Haft saßen, ihm zur Begleitung mitzugeben … Der eine, den die Mönche „den Todtenkopf“ nannten, war so stark, daß er im ersten Anfall seiner Ungeduld die verrosteten Eisenstäbe seines Kerkers verbog und fast zerbrach … Jetzt war Bruder Hubertus schon lange ruhiger geworden … Er ließ nach dem letzten Vierteljahr, das er und Pater Sebastus noch für ihre Flucht aus dem Kloster Himmelpfort in Deutschland hier zu büßen hatten, ein nützliches Mitglied der Alcantarinergemeinde erwarten, falls Pater Campistrano, der General der Franciscaner, und der Cardinal-Großpönitentiar ihm und dem nur noch schattenhaft am Leben hängenden Doctor Klingsohr die Bestätigung gaben, daß ihre Absicht, zu den „Reformirten“ ihres Ordens überzutreten, auf einem wirklichen Bedürfniß der Seele beruhte …
Als Pater Vincente gehört, er müßte auf das ganz Rom in Bewegung setzende Hochzeitsfest der Gräfin Olympia Maldachini mit dem Sohn des reichsten aller Römer nächst dem Fürsten Torlonia gehen und unter den hundert Bettlern auch für San-Pietro in Montorio seine zarte, weiche, frauenzimmerliche Hand offen halten, die einen Bischofsstab hätte tragen dürfen, wäre er nicht voll Demuth gewesen, war er in seine Zelle gegangen, fastete und betete … Dem „Bruder Todtenkopf“ hatte man den Vorschlag gemacht, den voraussichtlich heute überfüllten Zwerchsack zu tragen … Bruder Hubertus sang seit einiger Zeit so viel heitere Lieder, daß man den Versuch glaubte wagen zu dürfen, ihn ins Freie zu lassen, hinaus in eine allerdings fieberschwangere Mainacht … Hubertus hatte erwidert:
8 Wohlan! Laßt mir aber den Pater Sebastus mit … Es ist zu grausam, in Rom angekommen zu sein und neun Monate lang nichts davon gesehen zu haben, als eine Zelle von zehn Fuß Länge und zehn Fuß Breite … Beim Kreuz des heiligen Petrus drüben, laßt ihn ohne Furcht mit mir gehen! … Schon deshalb, weil er vielleicht ein Fieber mitbringt und ich dann Gelegenheit habe, euch zu zeigen, wie ich in Java das Fieber curiren lernte … Der nimmt die Arznei, vor der ihr euch so fürchtet …
Die Mönche lachten über diese Worte aus zwei Ursachen … Einmal weil sie aus einem Kauderwälsch von allerlei Sprachen bestanden … Holländisch, Deutsch, etwas Meßlatein und so viel Italienisch, als man auf einer Wanderung durch Italien bis hieher und in dem beschränktesten Verkehr mit der Welt erlernen konnte … Dann, als man zum Uebersetzen den Pater Sebastus herbeigerufen, lachte man wieder über die Methode des Fiebercurirens, die nach Hubertus hauptsächlich in einer sonst nicht normalen Anwendung von Theer und Kuhmist bestehen sollte …
Die Stimmung wurde dem Mitgehen des Paters Sebastus günstig … Der Herbeigerufene trat in das Refectorium ein … Er sah schon aus wie ein echter Nacheiferer des heiligen Petrus von Alcantara … Hätte ihn sein General gesehen, er würde gesagt haben: Auch du, mein einst so wilder Kriegsmann, wirst mit der Zeit reif, die Wonne der heiligen Therese zu werden! So mochte einst der edle Ritter Don Quixote de la Mancha ausgesehen haben! So fleischlos hingen auch die Arme des Don Pedro von Alcantara, so voll 9 Schwielen waren seine Kniee! So sah er aus, als er in der schauerlichen Einöde zu Estremadura seinen furchtbaren Tractat über den „Seelenfrieden“ schrieb! …
Armes Jammerbild des Wahns! … Aber „doch noch ein Glück dabei!“ sagt der gute Bruder Lorenzo in „Romeo und Julia“ … Dinte und Papier hatte man dem Pater Sebastus gelassen. Man hatte ihm Bücher gegeben, um sich in der italienischen Sprache zu vervollkommnen. Man hatte gefunden, daß er besser Latein verstand, als der Pater Guardian, der seit diesem deutschen Pflegbefohlenen seine Sprachschnitzer nicht mehr so oft vom General unten im Kloster Santa-Maria corrigirt bekam … Der Gefangene tilgte sie zuvor …
Pater Sebastus, fahl und bleich, mit übergebeugter, hohler Brust, hüstelnd, unsichern Ganges, flößte dem Guardian keine Besorgniß mehr ein, daß er entfliehen und sich dem wahrscheinlich doch nur noch kurzen Rest seiner Strafzeit entziehen könnte … Der Guardian betrachtete seine Collegen, wie der heilige Vater im Consistorium die Cardinäle … Quid vobis videtur? Worauf ein einmüthiges Stillschweigen die jahrtausendalte Regel ist … Zustimmung schien auch hier aus Jedes Auge zu leuchten … Bei dem „Bruder Todtenkopf“ versah man sich ja, daß er keinen Schinken, keinen Büffelkäse als zu viel ablehnen, sondern den Sack so vollstopfen würde wie nur möglich – eben um seine Kraft zu zeigen, über die er etwas ruhmredig und plauderhaft war, der alte Polterer … Man beschloß, den Pater Sebastus mitgehen zu lassen und unterrichtete nur noch beide, wie sie es anstellen müßten, um von Koch, Kellner, Haushofmeister des 10 Fürsten Rucca mehr, als alle andern Klöster, besonders die nicht blöden Kapuziner von Ara Coeli, zu bekommen … Das Hauptmittel, begriff schon Hubertus, war auch hier die Faust … Wenn um Mitternacht die große Tafel, die der alte Fürst Rucca seinem Sohn und der „Nichte“ des Cardinals Ceccone ausrichtete, zu Ende war, begann die Austheilung … Brachen die Mönche um die zehnte Stunde auf, so kamen sie gerade recht … Wogte es dann schon die ganze Nacht in jenen Straßen, die zur Villa Rucca führten, so ging für sie der Weg durch entlegenere Gegenden, wo sich rascher dahinschreiten ließ …
Die Frate waren, in Hoffnung auf die große Beute, so nachsichtig, daß sie sogar in dem Verlangen des Pater Sebastus nach Siegelwachs heute nichts Sträfliches fanden und ihm die Mittel einer unerlaubten Correspondenz an die Hand gaben; – es sollte alles, was die beiden deutschen Mönche auf die Post gaben, erst hinunter an den General kommen … Heute ging in den Würsten, Schinken, Käsen, den feinern Tafelresten, die man erhoffte, ein Brief unbemerkt hin, den Pater Sebastus fast sichtbarlich seinem Leidensgefährten Hubertus zusteckte, daß er ihn vorher läse und mit unterschriebe … Er wollte noch eine Weile sich ruhen, den Brief dann siegeln, mitnehmen und irgendwie suchen „der Post beizukommen“, – das flüsterte er auf deutsch dem Leidensgefährten …
Klingsohr hatte Rom, sein ewiges, hochheiliges Rom, bisher nur erst aus der Ferne gesehen … Er kannte nur seit drei Vierteljahren diesen magischen Anblick zuweilen vom Fenster des Refectoriums … Nun sollte er 11 im Mondschein zum ersten mal den heiligen Boden betreten … Die Sonne sank in ihrer goldensten Pracht … Diesen Anblick hatte er zuweilen an Festtagen gehabt, durch die Olivenbäume des sich vom Fenster des Refectoriums abdachenden Bergabhangs hindurch … Heute verweilte er länger bei ihm … Sein dumpf gewordener Geist belebte sich … Aus den matten Augen glitt ein Schimmer der Erwartung … An den Bischof von Robillante hatte er geschrieben … Robillante lag ja da, da, wo die Sonne ebenso schön unterging … Er wußte, Bonaventura von Asselyn war jener Bischof dort geworden, der hier oben Pater Vincente hätte sein können, wenn er gewollt … Vincente’s Geschichte war das große Wunder, das man auf San-Pietro jedem erzählte, der etwas länger blieb, als nöthig, um die Bilder Sebastian’s de Piombo in der Klosterkirche und die alten paolischen Wasserleitungen zu sehen …
Unbeschreiblich ist die Schönheit des letzten Blicks der scheidenden Sonne Italiens, wenn ihre Strahlen sich zuletzt nur noch leise durch die grünen Zweige der Bäume stehlen … Ein Olivenwald vollends ist an sich schon zauberisch … Seine Schatten sind so licht, das Laub ist so seltsam graugrün blitzend … Und wenn seine Stämme hundertjährig sind, so sind die Gestalten der Zweige und über dem Boden herausragenden Wurzeln so phantastisch, daß sie sich im purpurnen Dämmerlicht der Sonne zu bewegen scheinen wie die Bäume in den „Metamorphosen“ Ovid’s … Ein magischer Sommernachttraum gaukelt durch einen solchen uralten Olivenhain … Sieben, acht Stämme sind zu Einem zusammengewunden … 12 Wie Polypen von Holz sind sie aufgeschnitten, das Mark ist heraus und nur die Rinde noch zurückgeblieben, aber die trägt die graugrünen Blätterkronen mit den blauen kleinen Pflaumen der Frucht ganz so, als wäre Herz und Seele noch drinnen … Diese groteske Welt, voll Fratzen, als hätte sie Höllen-Breughel geschaffen, schwimmt nun im Lichte und wird zu purem Golde; die untergegangene Sonne läßt am Horizont einen riesigen Baldachin der glänzendsten Stickerei zurück … Flimmernde Goldfranzen hängen in Himmelsbreite an violetten und rosa Wölkchen … Während nach der östlichen Seite hin schon die Nacht urschnell und tiefblau, mit sofort sichtbaren Sternen aufleuchtet, steht noch im Westen diese Phantasmagorie der Farbenmischungen eine wunderbare Weile … Endlich wird auch sie röther und röther; die goldnen Franzen, die Stickereien von Millionen von Goldperlen erbleichen; dann wird der westliche Himmel dunkelblauroth … Nun schwimmt der Olivenwald wie in einem Meer von aufgelöstem Ultramarin … Die Nacht im Osten ist schon tiefschwarz … Alles das lehrt – Ewigkeit des Schönen …
In seiner dunkeln Zelle hatte Hubertus heute eine zinnerne Oellampe … Sie war an sich armselig, aber sie konnte doch in Pompeji gestanden haben … Der Docht brennt in der Mitte gleichsam eines Tulpenkelches aus vier Oeffnungen …
Er las jenen Brief, den er mit Pater Sebastus verabredet, um durch Bonaventura’s Vermittelung vielleicht für sie beide ein besseres Loos zu erzielen, als das ihrer durch den Spruch aus Santa-Maria da unten 13 harrte und selbst für den Fall harrte, daß sie sich diesem römischen oder sonst einem Kloster der Alcantariner einreihen durften …
Der Brief mußte so geschrieben sein, daß er im äußersten Fall auch in die Hand des Generals gerathen und sie nicht aufs neue compromittiren, nicht zur Fortsetzung ihrer Leiden Anlaß geben durfte …
So hatte denn Dr. Heinrich Klingsohr, weiland göttinger Privatdocent, ganz im gebührenden Ton, wie etwa Pater Vincente gethan haben würde, wörtlich an Bonaventura geschrieben*):
„Vivat Jesus! Vivat Maria! Halleluja! Friede sei mit Ihnen, hochwürdigster Herr und hochgnädigster Herr Bischof! Hat unser Ohr recht gehört, so ist ein Wunder geschehen! Hochgeehrtester Herr, Sie verweilen nicht mehr auf deutscher Erde, wo das Salz dumm geworden ist, Sie führen den apostolischen Stab im Lande der Verheißung! … Hochgnädigster Herr und Bischof! Wir sind die beiden Flüchtlinge aus dem Kloster Himmelpfort, die wir schon einmal Schutz gefunden durch Ihre gnädigste Frau Mutter, als wir lieber unter den Thieren des Waldes und in einer Hütte von Baumzweigen wohnen wollten, als länger in der üppigen Völlerei der entarteten Minderbrüder des heiligen Franciscus. Lieblosigkeit, Zank, Mangel an gottseliger Gesinnung haben uns von einer Stätte getrieben, wo unser allerheiligster Herr Jesus von seinen eigenen Jüngern täglich noch gekreuzigt wird! In dem großen Feldzug, den die Kirche gegen 14 den Belial der Aufklärung gerade in unserm Vaterland zu bestehen hat, sind diese Klöster, in denen sich nichts als der Schein der alten Regeln erhalten hat, nur zu Verschanzungen des bösen Feindes nütze. Provinzial Maurus hat an unsern General eine Liste unserer Verbrechen geschickt und so müssen wir denn, da man uns ohne Richterspruch verurtheilte, unser sehnsüchtiges Verlangen nach der reformirten Regel der Minderbrüder durch eine Gefangenschaft büßen, die hier auf San-Pietro in Montorio bereits drei Vierteljahre dauert; freilich schmachten wir in der Nähe des Kerkers, den der selige Bartolomäus von Saluzzo zehn Jahre lang innehatte … Aber die Krone des Himmels zu gewinnen wird, ach! zu mühselig für die schwache Kraft unsrer Sterblichkeit … Hochgnädigster Herr Bischof! Wir schöpfen wol Muth aus dem Vorbild der Märtyrer und heiligsten Apostel, aber unsere Kräfte schwinden, unsere Hoffnungen auf die Macht der Wahrheit erlöschen, zu schwer für menschliche Schultern ist, was wir seither erlitten! … Von dem unterzeichneten Pater Sebastus, hochgnädigster Herr Bischof, wissen Sie aus einer denkwürdigen Stunde mit dem gefangenen Kirchenfürsten, daß er die Rettung seiner Seele dem «Bruder Abtödter» verdankt, der im Gegentheil im Lebendigmachen sich auch hier schon mannichfach bewährt hat. O daß ich in einem einfachen, schlichten Menschen mehr fand, als in meinen weiland Genossen, Hochgebildeten, die mich durch die sophistische Moral der heidnischen „glänzenden Laster“ zum Tödten eines Mitmenschen, Ihres Verwandten, reizen konnten! Hubertus hat mich oft meilenweit Nachts auf seinen Greisesarmen getragen, 15 wenn wir auf unserer Flucht mit nackten Füßen den Häschern zu entrinnen suchten. Vom Düsternbrook, von der verhängnißvollen blitzzerschlagenen Eiche an bis zu den trauernden Cypressen dieses heiligen Sanct-Peter-Kreuzes-Hügels verfolgte uns das Concil von Trident, nach dem «ein entsprungener Mönch seinem Kloster zurückzuführen ist» … Wir lebten von Wurzeln und Beeren, suchten die einsamsten Straßen des Rhöngebirges, des Schwarzwaldes und der Alpen auf … Nie legten wir unser hären Gewand ab, unsers heiligsten Franciscus Ehrenkleid, das ich einst, Sie wissen es, im schnöden Rückfall um jene Lucinde verleugnen konnte … Nie gönnten wir uns eine andere Erquickung, als unsern blutenden Füßen die kühlende Welle des Waldbachs … Auf der Schweizergrenze ergriffen uns die durch Steckbriefe aufgewiegelten Häscher … Nur der Kraft des Bruders Hubertus, die er indessen seinem Gebet zuzuschreiben bittet, gelang es, daß wir aus einer Polizeiwache auf dem Transport entsprangen und uns drei Tage und drei Nächte, dem Verhungern nahe, unter dem Heu einer Scheune verbargen … Zu unserm Uebergang über die Alpen wählten wir die einsamste Straße, die des Großen St.-Bernhard … So verschmachtet und verkommen waren wir, daß wir den Gerippen glichen, die dort von verschütteten Wegwanderern aufbewahrt werden“ … (Sebastus ahnte nicht, wie gerade diese Worte auf Bonaventura wirken mußten, wenn er den Brief empfing!) … „Nur die Hoffnung auf Rom belebte uns … Rom! Rom! rief es in unsern Herzen und gestärkt erhoben wir uns, wie verschmachtete Kreuzfahrer einst mit dem Feldruf: 16 Jerusalem! … Aber auch in diesen heißersehnten Gefilden verfolgte uns die Hand des Paters Maurus. Jedes Kloster unsers Ordens drohte zum Gefängniß für uns zu werden. In den Reisfeldern Pavias, wo wir uns in giftigen Sümpfen verstecken mußten, ergriff mich das Fieber. In der Nähe jener prachtvollen Certosa, einer architektonischen Wunderblume deutscher Baukunst in einer Oede voll Trauer, trauriger als die Fieberkrankheit, glaubte ich zu sterben. Mein zweiter Vater rettete mich und der innere Stern des Morgenlandes schimmerte wieder am Wege … Rom! rief es von unsichtbaren Geistern, in die zuletzt wirkliche Stimmen, die Stimmen der Pilger einfielen, denen wir uns anschlossen … Alle meine Gräber öffneten sich in meiner öden Tannhäuserbrust … Leiche auf Leiche erhob sich … Die Wissenschaft, die Kunst, die Philosophie, die seraphische Liebe – alles wachte auf in dieser Sehnsucht nach Rom! … Ich fühlte unendliches Leben in meinen Adern … Wir kamen ein kahl Gebirge, die Apenninen, hinauf und sahen das Meer – Zum zweiten male sah ich’s und mein Führer kannte es von Indien … Was blieb da noch die Ostsee! Nußschaale gegen einen Bethesdateich! – Dort, dort lagen Afrika, Asien – Hannibal stieg mit uns nieder, Scipio kam von Karthago – Hinan! Hinan! … So wanden wir uns drei Wochen durch Etrurien hindurch nach dem Sanctum-Patrimonium … Mit den Pilgern, mit manchen Verbrechern, mit denen uns die Nachtwanderung vereinigte, hofften wir: Rom ist die Stadt der Gnade! … Ein Pilger rief: Rom ist mit Ablässen gepflastert! Ich verzieh einem Mund, der dem natür-17lichen Jubel des frommen Entzückens erwiderte: Noch mehr, denk’ ich, dein eigen Herz! – Diese Denkerphrase – deutsch gesprochen! Ich verzieh dem Sprecher, weil er ein Greis war“ …
Hubertus hielt hier einen Augenblick inne … Dieses greisen deutschen Pilgers hatte er oft gedacht … Auch ihm und Klingsohr war er streng gewesen; aber eine verklärte und wieder andere verklärende Natur bei alledem … Wo mochte wol dieser Reisegefährte weilen! …
Dann fuhr Hubertus zu lesen fort:
„Wir mußten mit den andern oft in den Felsen schlafen, vermieden die großen Städte, deren Zinnen und Domthürme ich nur fernher aufragen sah, wie die Märchenerinnerungen meiner Jugend … Parma! Florenz! Siena! Welche Klänge! … Aber in Höhlen, oft zu Räubern, mußten wir flüchten, bis wir endlich in diesem öden Kesselthal ankamen, das Euch die «wüste» Campagna heißt – Die wüste! Ihr leipziger Nationalökonomen, ein Hirtenland mußt’ es ja sein, wo wieder die Krippe des Heiles steht! Hier darfst du ja, verlorene Welt, nur Schafhürden und Ställe suchen! Hier sollst du ja nur der Hirten Lobgesang hören wollen, der dich doch in Correggio’s «Nacht» entzückt, warum nicht in Wirklichkeit? … Endlich eines Morgens ging die Sonne auf und wir sahen – die Stadt der Städte! Im Kern einer großen Muschel liegt, nächst Jerusalem, die köstlichste Perle! … Das Auge unterschied die Peterskuppel … Schon hörte das Ohr die Glocken der versunkenen Kirche, die in meiner Brust schon seit dreißig Jahren «Rom» läuten; ich hörte sie – nun von sichtbaren Thürmen nieder-18hallen – Hosiannah! rief alles um uns her … La capitale du pardon! jauchzte ein Franzose … Da umringen uns wieder die Häscher des Paters Maurus. Die in der Knabenlectüre vielbelachten – «Sbirren» – häßliche Dreimaster von Wachsleinen auf dem Kopf – … Sie wissen, wer wir sind. Sie wissen, woher wir kommen … Sie führen uns über die Tiber zurück, die wir schon hinter uns hatten! … In der Abenddämmerung geleiten sie uns einen jener riesigen Aquäducte entlang, die man nicht sehen kann ohne an Roms ewige Größe, an die fruchtlosen Belagerungen durch Attila, die Hohenstaufen und Beelzebub zu denken, führen uns durch ein entlegen Thor auf einen hohen Berg und hier in ein Gefängniß, das wir seit dieser Stunde nur zuweilen im Umkreis einiger hundert Schritte verlassen haben! … Vor unserm Kloster stürzen sich die Wasser jenes Aquäductes, dem wir folgten, in ein Becken und gleiten nach Rom hinunter, das, sagt man, vom Geriesel der Brunnen und Cascaden wie ein einziger Quell des Lebens rauschen soll! – – Wir hier oben aber verschmachten! Wir müssen uns der Gewalt des Pater Maurus, die bis hieher reicht, ergeben! – … Wohlan, die Ordnung herrsche in der Welt, selbst in den Händen unwürdiger Gotteswerkzeuge! Wir wollen unser Joch-Jahr dulden. Aber die Zukunft! Soll sie denn nur, nur den Tod bergen? … Wenn Ihre große Güte, hochgnädigster Bischof, es übernähme, ein Wort des Zeugnisses für uns beim General zu sprechen! Wenn Sie Ihren Nachbar, den Erzbischof von Coni, Cardinal Fefelotti, der, wie man sagt, die Stelle des Großpönitentiars der Christenheit erhalten wird, für uns gewännen! Das Elend meines Lebens 19 kennen Sie! Sie wissen, was ich dem Kreuz des Erlösers schon alles von Menschenschuld aufgebürdet habe! Sie kennen Klingsohr’s Sünden – auch seine verwelkten Rosen – Sie wissen, welche Hand den Lebensfrühling mir zerriß … Ueber Trümmern aber ist das Kreuz erstanden! Ich will meine Fahne nicht mehr lassen, die Fahne des geopferten Lammes! Lassen Sie mich nicht streiten unter sinnlosen Führern! Das ist das Schrecklichste, unter Mitknechten stehen, die nicht wissen, wessen Harnisch sie angethan haben! Müßten wir nach Deutschland zurück, zurück nach Witoborns öden Gassen, zu den dumpfen Wänden Himmelpforts, so würde der letzte Funke unsers Lebenslichtes erloschen sein! Lieber das Grab in Rom, als ein Leben im Leichentuch Deutschlands! Sie, Sie sind glücklich! Sie dürfen reden, hochwürdigster Herr und Bischof! Legen Sie Zeugniß für uns ab! Ein Wort von Ihnen zu unserm General, ein Wort zu Cardinal Fefelotti, und man wirft uns nicht mehr mit denen zusammen, die wie der Tag kommen und gehen. Auch mein guter Führer und Lehrer stürbe so gern in der Stadt der Katakomben. Er hat noch auf dem Amt in Witoborn eine Summe Geldes liegen, ungerecht Gut, das er der Sache der Gerechtigkeit schenken möchte. Er hoffte in Rom einen Erben zu finden, einen Krieger im Heer Seiner Heiligkeit, den zu erkundschaften ihm noch keine Muße geboten ward. Fände er diesen nicht, so würde er das Vermögen dem General seines Ordens anweisen … Laßt ihn eine Weile suchen! Laßt uns doch noch irgend eine schaffende Thätigkeit! Der Trieb zu helfen ist Gradmesser noch vorhandener Lebenslust. Mit dieser 20 neuen schönen Sonne, die wir Gefangenen nur zu spärlich sahen, ist er in uns zurückgekehrt. Ich jage nicht mehr dem Spuk der nordischen Phantome nach. Dieser blaue Himmel, diese göttliche Luft, diese immer gleiche Stimmung der Natur selbst im Blättergrün, das im Winter nicht entschwindet, ach! sie gießen einen so vollen Glanz der Schönheit selbst über unsre bescheidensten Wünsche, daß ich mir vorkomme, als hätte meine seitherige Vergangenheit nur unter meiner unrichtigen Geburt im Norden gelitten. Meine Zweifel schwinden. In einem römischen Sonnenuntergang glaub’ ich an das Labarum des Constantin, das ihm in den Wolken erschien! Ich sehe das Tabernakel des Hochamts in jeder bunten Wolke dieses italienischen Himmels! Halleluja! Die Kreuzesfahne voran! In diesem Zeichen Sieg und Hoffnung! Retten Sie uns! Retten Sie uns! Heinrich Klingsohr, genannt Pater Sebastus a Cruce. San-Pietro in Montorio, im Mai 18**.“
Zu diesem Namen schrieb Bruder Hubertus:
„Eines hochgnädigsten Herrn und Bischofs gehorsamster Kreuzesträger und apostolischer Pilger Frater Hubertus.“
Diesen Brief ganz flüssig zu lesen und dann zu unterschreiben kostete dem „Todtenkopf“ einige Mühe … Seine knöcherne Hand kritzelte lange an den wenigen Worten … An der Stelle, wo von seinem Geld die Rede war, hielt er besorgt inne … Er gedachte mismuthig jenes Wenzel von Terschka auf Westerhof, von dem er schon lange ahnte, daß er dessen Versicherungen, er wäre nicht jener Soldat, der einst im römischen Heer gestanden, zu leichtgläubig hingenommen, von dessen Verbleiben aber, 21 Ursprung, späterer Flucht, Uebertritt, gegenwärtigem Aufenthalt in London die Eremiten im winterlichen Walde, die Flüchtlinge durch Deutschland und Italien, die Gefangenen von Rom nichts erfahren hatten. Klingsohr kannte diesen Terschka nicht einmal dem Namen nach … War die Erwähnung seines Geldes praktisch? … Wie würde diese Stelle auf den General wirken, wenn er sie läse? … Vielleicht ganz förderlich! dachte endlich Hubertus mit einiger Pfiffigkeit …
Gegen zehn Uhr erhob er sich von seinem Maisstroh … Aufgeschreckter denn je … Dachte er an Terschka, Picard, sein Geld, so erschienen ihm Eulen und Fledermäuse und Brigitte von Gülpen rang unter ihnen die Hände und Hammaker’s blutigen Kopf sah er und Picard hing am brennenden Dachbalken und den Pater Fulgentius, den er „richtete“, indem er ihn ruhig sich selber tödten ließ, sah er am Seile schweben … Der Riegel seines Kerkers wurde klirrend zurückgeschoben …
Der fieberkranke Laienbruder war es selbst, der, sich schüttelnd, den mächtigen Sack brachte … Er geleitete Hubertus an Sebastus’ Zelle …
Auch hier fiel die eiserne Klammer … Sebastus stand in erregter Spannung … Rom und die langen Leiden hatten seinem sonst so vornehm verächtlich, so hochmüthig geringschätzend in die Welt und auf andere Menschen blickenden Wesen seit einiger Zeit eine vortheilhafte Veränderung gegeben … Er ergriff den heimlich dargereichten Brief, siegelte ihn, während Hubertus dem Laienbruder, um diesen zu zerstreuen, seine Pillen rühmte und zu größerer Deutlichkeit das Ver-22schwinden des Fiebers mit der Leere des mächtigen Sackes verglich … Dann steckte Sebastus unter der braunen Kutte den Brief zu sich und folgte dem Laienbruder, der beide auf die Terrasse zu den rauschenden Wassern führte …
Hier harrte ihrer Pater Vincente …
Benedictus Jesus Christus! …
In aeternum, Amen! …
Die drei Mönche schritten den Hügel San-Pietro nieder in jene kleinen gespenstischen Schatten der Bäume und Häuser, die ein helles Mondlicht wirft …
Alle drei schritten sie nach Rom hinunter in den gleichen Kutten … Die Kapuze über den Kopf gezogen, um den Leib des heiligen Franz von Assisi fliegende weißwollene Schnur … Die beiden Deutschen noch nach ihrer alten Regel in Sandalen … Pater Vincente mit entblößten Füßen.
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Pater Vincente war wol schon dreißig Jahre alt; doch hatte er noch alles von der weichen Jünglingsschönheit des Antinous …
Seine Augen waren sanft braun … Die Farbe seines Antlitzes, und nicht ganz vom Widerschein der Strahlen des orangegelb über dem Albanergebirge herausgetretenen Mondes, war fast gelblich … Das kurzgeschnittene und die so schöngeformten kleinen Ohren grell freilassende Haar dunkelschwarz … Der braune, jetzt von der Kapuze bedeckte Nacken schweifte sich sanftgebogen … Sein Mund war etwas aufgeworfen und wie zum Genuß des Lebens bestimmt … Die hohle Wange stand in Verbindung mit sanften Erhöhungen an den Winkeln und Lippen … Seine Gestalt hatte etwas Aetherisches; sie schien, wie dies einst dem heiligen Franciscus in Wirklichkeit geschehen sein soll, in den Lüften zu schweben … Viele, die ihn kannten, prophezeiten auf sein Haupt – noch einst die dreifache Krone – wie man in der katholischen Christenheit jedem Leviten thut, der sich durch gottseligen Sinn auszeichnet …
24 Die beiden Deutschen gingen hinter dem Italiener, wie seine Diener … Doch wollte dieser nur ihr Führer sein … Hubertus ließ sich auch nichts von seinem bestimmten, festen, muntern Naturell nehmen … Was ihm durch den Sinn kam, plauderte er aus … Die Bäume am Wege nannte er alte Bekannte aus Indien; die Düfte, die von den botanischen Gärten herüberkamen, analysirte er nach den Pflanzen, denen sie angehörten … Den schmetternden Nachtigallen paßte er stillstehend auf; dem Mond drohte er, ihn, wenn er noch größer und ganz wie in Java würde, vor Freude in den Sack zu stecken … Alles das, sagte er, ist darum so prächtig hier, weil es ohne die Schlangen und die Tiger ist! …
Die Heiterkeit des wunderlichen Alten hatte seinen Leidensgefährten schon seit Jahren aufgerichtet … Sebastus nannte ihn schon im Kloster Himmelpfort den zweiten Philippus Neri … Philippus Neri war jener „kurzangebundene, humoristische“, römische Heilige, von dem Goethe in seiner italienischen Reise erzählt … Könnte ich Ihnen den Schamanen und indischen Gaukler austreiben, sagte Sebastus schon oft, Ihre Wunderkraft und Heiligsprechung wäre verbürgt! Philippus Neri legte sich auf das Studium, den Menschen manchmal so unausstehlich zu werden wie möglich. So auch Sie! Es gelang freilich Ihrem heiligen Vorbilde nicht immer so ganz, wie Ihnen! Je mehr Philippus verletzte, desto mehr liebte man ihn. Ja sogar die Thiere liefen ihm nach. Hunde zu tragen – war sonst eine Strafe der Verbrecher; Philippus trug sich immer 25 mit Hunden und duldete den Spott der römischen Jugend. In die Kirchen ging er und unterbrach die römischen Fénélons und Bourdaloues seiner Zeit gerade an ihren blumenreichsten Stellen. Da wollte er ihre Demuth prüfen, ob auch wol die geistreichen Rhetoriker nun ebenso gelassen blieben, wie sie ihren Zuhörern anempfahlen. Erschien ihm die allerseligste Jungfrau, so spie er sie an, und siehe da! es war eine Teufelslarve. Er sagte: Ihm müßte dergleichen viel herrlicher erscheinen! … Die „Vernunft“ in unserer Heiligengeschichte ist noch gar nicht genug geschildert worden …
So sprach Klingsohr in Himmelpfort – Fast hätte er sich auch in Rom veranlaßt fühlen dürfen, wieder an diese alten Vergleichungen zu erinnern … Hubertus sprach den ganzen Weg bis zum Ponte Sisto, der die Wanderer über die Tiber führte, vor Aufregung alles bunt über Eck durcheinander … Ja er wagte sich an den Pater Vincente mit der italienischen Frage, nicht etwa wo das Capitol oder das Coliseum oder die übrigen Klöster des heiligen Franciscus lägen, sondern wo er die päpstliche Reiterkaserne finden könnte …
Pater Vincente zeigte weit weg über die Tiber zur Peterskuppel hin und sprach von einer dort befindlichen Porta Cavallaggieri …
Nun ereiferte sich Hubertus über den Mangel an Briefkästen … Und daß auch die Hauptpost nicht einmal des Nachts einen Briefkasten offen hielt, wie ihm Pater Vincente versicherte, rügte er ebenso, wie der heilige Philippus Neri mit den Institutionen von fünfzehn Päpsten, die er erlebt hatte, in stetem demokratischen Hader 26 lag und noch wenige Jahre vor seinem Tode und schon im Geruch der Heiligkeit nahe daran war, statt als „heiliger Diogenes in der Tonne“ in allerlei römischen Winkeln zu leben, als Staatsgefangener auf die Engelsburg zu ziehen …
Als Hubertus die Unmöglichkeit, den Brief abzugeben, in deutscher Sprache beklagte, mußte er erleben, daß Pater Vincente sich umwandte und mit gebrochenem Deutsch einfiel:
Wisset Ihr denn nicht, daß Ihr keinen Briefwechsel führen dürft? Laßt mich doch nicht zum Beschützer einer unerlaubten Handlung werden! …
Die betroffenen Mönche erfuhren zum ersten mal, daß Pater Vincente soviel Kenntnisse in den Sprachen besaß … Sie mußten ihren Unterhaltungen einen Dämpfer auflegen … Hubertus murmelte, verdrießlich über soviel Loyalität:
Sind wir wirklich im Lande der Mörder und Räuber? …
So kam er in die andächtig und feierlich gehobene Stimmung Klingsohr’s, um den jetzt nur noch bald die Volksstürme der Gracchen rauschten, bald die ersten feierlichen Gesänge der Katakombenkirchen …
Die Wanderer hatten die innere Stadt betreten, die in ihren lebhaftesten Theilen jeder andern südlichen gleicht und außer den an den Häusern zahlreich angebrachten Balconen nichts Auffallendes hat. Die „ewige Stadt“ zeichnet sich auch sonst am Tage durch ihre Schweigsamkeit aus, die gar nicht mit der lärmenden Weise Südeuropas stimmt. Die Herrschaft der Priester bedingt 27 den Ton der Ehrfurcht und Zurückhaltung. Beim ersten Betreten macht Rom einen Eindruck, wie Venedig auf den Lagunen – lautlos gleiten die Gondeln über die dunkle Flut … Jetzt war nun noch die Nacht hereingebrochen und vollends still lagen die hier so engen, den erwerbenden Klassen angehörenden Straßen und kleinen Plätze. Dunkle Schatten hüllten die verschlossenen Häuser ein. Nur da und dort brach der goldene Strahl des Mondes hervor und gab den schmutzigen Eckgiebeln, den verschwärzten Balconen, hochragenden Schornsteinen eine verklärende Beleuchtung. Die vielen Fontainen Roms belebten die Stille. Fiel der Mond auf die Strahlen und die Bassins, in die jene niederglitten, so glaubte man Büschel von Gold- und Silberperlen zu sehen. Oeffnete sich ein größerer Platz und zeigte eines der hohen Staatsgebäude, eine der Kirchen oder einen der in dieser Gegend seltenern Paläste, so sah man die Giebel, Thürme und Kuppeln in um so magischerem Lichte, als die Dunkelheit der Schatten daneben den Glanz derselben erhöhte. Dazwischen durfte das Auge dann und wann glauben, Schneeflocken auf den Höhen zu sehen. Das war dann weißer Marmor, ahnungerweckend aufblitzend …
Klingsohr sah wie zum zweiten mal geboren um sich … Die Erinnerungen umkrallten ihn riesig, als Pater Vincente, der sein hartes Wort wieder gut machen zu wollen schien, Erläuterungen zu geben begann … Da sagte der sanfte Führer auch unter anderm auf ein wüstes Gewirr von Häusern zur Linken zeigend:
Il Ghetto! …
28 Der Ghetto der Juden! … Die „Rumpelgasse“ Roms! … Ob auch hier, wo eine Nachtigall so mächtig schlug, wo die Fontana Tartarughe so traulich plätscherte, wo am Mauerwerk wie verstohlen eine schwarze Cypresse hervorlugte, ein Veilchen Igelsheimer leben mochte? … Ob auch hier die nächtliche Vertauschung einer Mönchskutte möglich war gegen einen Ueberrock, mit dem ein toller Mönch in die Theater Roms lief? … Lucinde huschte für Klingsohr schon lange, lange am Wege … Da gab es schon so manchen schönen Kopf mit aufgelöstem Haar an einem Fenster, ein Mädchen, das eben schelmisch noch einmal den Mond anguckte und dann erst zu Bett gehen wollte … Da tönte eine Guitarre … Da scholl aus einer Schenke ein Jauchzen – das Schreien beim Morraspiel … Jesus, mein Feldherr! mußte schon der ewige Fahnenflüchtling rufen … Lucindens Gestalt begleitete den so tief Verkommenen in jeder schönen Situation, ihn, den wie der Brief zeigte, den er in seiner Kutte trug, die trübste Lebenserfahrung schon so tief gedemüthigt, ja zu der ihm sonst nicht eigenen Verstellung gebracht hatte … Wie oft hatte nicht Lucinde, wenn Jérôme von Wittekind sie im Latein unterrichtete, von Rom gesprochen und ihm was sie gelernt wiedererzählt bei ihren Stelldicheins hinterm Pavillon unter den alten Ulmen auf Schloß Neuhof und noch in Kiel … Im Profeßhause der Jesuiten hatte sie dem Gefangenen Bilder einer größern Wirksamkeit vorgegaukelt, deren Fernsichten bis nach Rom gingen … Wo mochte sie wol jetzt weilen, sie, die in ihren auch im Kloster Himmelpfort später bekannt gewordenen, von der Regierung veröffentlichten Briefen an Beda Hunnius ihr 29 Lebenssymbol nicht selten wiederholt hatte: An der Schwelle der Peterskirche möcht’ ich sterben! … Was alles mit ihr Hubertus in Witoborn vorgehabt, hatte Sebastus von diesem nicht ganz erfahren können …
Pater Vincente blieb freundlich und milde … Ging doch auch er mit der mächtigsten, gewiß auch ihm aufwachenden Poesie im Herzen dahin … Klingsohr hatte das Erlebniß von dem Kuß in der Beichte gehört … Er selbst kannte diese Schemen, die den heiligen Antonius peinigten, nur zu gut … Und diese Luftspiegelung der erregten Sinne, für die der schöne Jüngling und Mann dort hatte fünf Jahre büßen wollen, vermählte sich heute! … Er bettelte nun an ihrer Thür! … Da war ja die Welt Heinrich Heine’s, die ihn einst so umfangen gehalten …
Jesus hilf! rief es in Klingsohr’s Seele …
Pater Vincente deutete auf eine rechts sich noch einmal öffnende Durchsicht über die Tiber und auf einen jenseits in den blauen Lüften schwebenden fernen Punkt und sprach:
Das da ist das Asyl der Pilger! Eine fromme Stiftung des heiligen Philippus Neri! …
Hubertus lachte und drückte spähend seine schwarzen funkelnden Augen zu und hob die Kapuze in die Höhe und sah die so achtbaren Erinnerungen an einen Mann, mit dem er Aehnlichkeit haben sollte … Und ganz im Neri’schen Geist sprach er in seinem holländischen Deutsch durcheinander, rasch, als wenn Pater Vincente folgen könnte:
30 Das Haus sieht groß genug aus, um den Seckel der Wirthe zu füllen! Ja – wer Gott liebt, dem müssen alle Dinge zum Besten dienen – namentlich die Wohlthaten, die er spendet! Pater, wo wir in Italien auch hingehört haben, bringen die Bettler, die Armen, die Pilger, die Wallfahrer den Stiftern erst recht das Geld ein. Wie so? Wir sind mit Wallern gezogen, klopften an alle Pilgerasyle und bekamen ein Essen, so schlecht – um sich davon abzuwenden! Aber wir sahen die Oberalmoseniere und Spitalprioren in Kutschen an uns vorüberfahren. Im Walde gab es besseres Laub zum Schlafen, als in solchen Pilgerbetten … In Turin und in Parma flohen die Wallfahrer vor allen heiligen Asylen, weil sie, eben todtmüde angekommen, erst eine Procession durch die Stadt machen sollen, ehe sie zu essen kriegen … Herrgott, wer vollends, wie wir, die Sehnsucht hat, ’nmal eine hübsche Stadt näher zu betrachten, eine Stadt, die man endlich mit müden Füßen erreicht hat, dem schließen sie die Pforte vor der Nase, wenn er sich auch nur fünf Minuten an einem gnadenreichen Altar verspätete – Campirt draußen! heißt’s … Da lernten wir den deutschen Pilger kennen – Woher kam er doch? Von Castellungo! Der alte Naseweis und Ketzer, aber ein redlicher Mann … Der sagte uns: Es steht geschrieben: Nächst dem Gebet eines Heiligen ist nichts vor Gott wirksamer, als das Gebet eines Wallfahrers … Freilich, das war Spott … Ein andrer Pilger war bereits dreißig Jahre auf dem Wege nach Jerusalem und immer – bei Montefiascone kehrte er um, da, wo der gute Wein wächst – Est! Est! sagte der deutsche 31 Pilger. Sie, Pater Sebastus, wußten gleich ein deutsches Lied darauf, das der andre auch gekannt. Widrige Winde machten nach Jerusalem die Schiffahrt gefährlich! sagte der dicke Pilger nach Montefiascone seit dreißig Jahren. Der Schelm lebte von Hühnern und Gänsen – die man dem ewigen Kreuzfahrer nach dem heiligen Est! Est! nicht freiwillig gab … Was zu schwer zum Forttragen war, half ihm ein dritter frommer Bruder verzehren, der eine Kette an den Füßen durch Spanien, Frankreich und Italien schleppte … Nicht daß er von den Galeren kam – wenigstens sagte er’s nicht – er kam aus Marokko, wo er der Sklaverei entronnen sein wollte, und das Stück Kette trug er jetzt ordentlich wie seinen – Orden … Heiland, das Italien ist buntes Land! Haben die Leute nicht falsche Briefe mit großen Siegeln, wie nur echte Siegel aussehen können! Und wußten sie nicht alle Gebete, die den Seelen der frommen Stifter von Pilgerasylen im Himmel zugute kommen! … Dort drüben also auch? … Wird’s besser da hergehen? … Der heilige Philippus hat glücklicherweise das Gebet solcher verdächtigen Kreuzfahrer und erlösten Christensklaven nicht nöthig … Manchmal muß ich dem deutschen Ketzer in seinen Zweifeln an allem von Herzen Recht geben … Wo mag der Alte im Bart wol hingekommen sein? … Ich ziehe in die Katakomben! sagte er immer … Es klang wie Kyrie Eleyson …
Der „heilige Mynheer“, wie Hubertus zuweilen von Sebastus genannt wurde, setzte beim Pater Vincente eine zu große Vollkommenheit in der Sprache voraus, die er ohnehin selbst nur mit vielen Freiheiten sprach 32 … Sein ganzer Ausfall auf die Wohlthätigkeitsanstalten der Kirche, die in den Schriften so vieler von Rom Verzauberten prunkend verzeichnet stehen, auf die mangelhafte Polizeiverwaltung, auf das ungeregelte Paßwesen bei Vagabunden – die ehrlichen Leute werden genug damit geplagt – erntete aus dem Munde des der Hochzeit Olympia’s wehmüthig gedenkend dahinschreitenden Priesters nur die einzige Erwiderung:
Si! Si! Si! … Quest' un' theatro antico … Il theatro di Marcello! …
Selbst die Erwähnung Castellungo’s schien der Pater Vincente überhört und von dem Pilger nichts verstanden zu haben … Und doch war es wol nur Frâ Federigo, sein Lehrer, ein Deutscher, jener Mächtige, vor dessen Lehren er einst geflohen war und der fast schon den Bruder Hubertus zu seinen Anschauungen hinübergezogen zu haben schien …
Sebastus hörte nichts von alledem … Der starrte nur den im Schatten liegenden antiken Trümmerbau an …
Hier aber war es lebhafter geworden … Einzelne vergoldete Kutschen mit prächtigen Livreen jagten vorüber, die Pferde aufgeputzt mit hängenden rothen Troddeln am Ohr und mit bunten Geschirren … An die Rennbahn der Alten ließ sich denken … Sebastus dachte, da er vom Marcellustheater hörte – an die alten Tage von Göttingen – Seltsame Ideenverbindung! An den auch von Doctor Püttmeyer verherrlichten „Quincunx“ – das Schenkenzeichen! … Denn die „Goethe-Kneipe“ mußte ja hier in der Nähe liegen, Goethe’s Campanella, jetzt nur noch berühmt durch ihr Frem-33denbuch und ihren schlechten Wein … Die Trümmer des Marcellustheaters waren in Hütten und Paläste verbaut … Dicht in der Nähe lag der Palast der Beatrice Cenci … Auf alles das besann sich Klingsohr aus seiner alten „klassischen Zeit“ …
Aber auch die „romantische“ wirkte mächtig … Schon begegnete man im sich mehrenden Straßenleben andern Mönchen, die mit Körben und Säcken gleichfalls zur Porta Laterana liefen … Kapuzinern in langen Bärten, Franciscanern aller Grade, Augustinern, Karmelitern; selbst die vornehmen Dominicaner erinnerten sich, daß sie das Gelübde der Armuth abgelegt hatten; auch sie schickten ihre „Brüder“ auf die Hochzeit der Nichte des Cardinals … Kein Trupp stand dem andern Rede … Kein Lächeln hatten sie oder nur eines, das nicht im mindesten die phantastischen Gestalten als in einer tollen Mummerei begriffen und sich (Augur augurem!) erkennend darstellte … Nur der Gewinnsucht galt es und dem Vorsprung, den ein Kloster vor dem andern suchte … Die beiden Deutschen sahen ihre Mitstreiter im römischen Lager … Welche Welt! … Und hier nun doch noch so spät ein Leben und Bewegen? … Da noch wird gekocht und geschmort auf offener Straße? … Da noch werden Melonen ausgeschrieen? … Noch Citronenwasser? … Frische Kirschen? … Klingen nicht sogar Geigentöne? … Lacht nicht ein Policinell im Kasten? … Das alles heute in der Hochzeitnacht Olympiens! … Roms Saturnalien! …
Noch haftete Sebastus’ Phantasie, wie das in Rom so geht, bald an Goethe, bald an Winckelmann, bald an 34 Ovid, bald an Horaz, die den Marcellus besungen haben, den Neffen des Kaisers Augustus, dem dies Theater da gewidmet … Da erscholl plötzlich ein fernes Klagegeheul und ein hundertstimmiges Miserere …
Es kam, wie Pater Vincente erläuterte, von der „Bruderschaft des Todes“, den Begleitern der Leichen, die in Rom bei Nacht begraben werden …
In wilder Hast, als wenn der Todte die Pest verbreitete oder als wenn Christen einen eben gerichteten Märtyrer in die vor den Thoren gelegenen heimlichen Begräbnißstätten flüchteten, trugen Männer in langen, schwarzen oder weißen, über den Kopf gezogenen Kutten, die nur den Augen zwei kleine Lücken ließen, wie Gespenster einen Sarg dahin … Andere dazu schwangen Fackeln … Neben den Fackeln liefen Bursche und sammelten in Schalen das tröpfelnde Wachs, das sich wieder brauchen ließ … Schnuphase hätte sich niedergeworfen wie alle – er schon vor solcher heiligen Sparsamkeit … Mönche und Bruderschaften, einen Priester mit seinem Akoluthen und Meßknaben umringend, sangen: Miserere! in nicht endender Litanei … Vor dem klingelbegleiteten Sanctissimum, das der Priester hoch in den Fackelqualm emporhielt, warf sich alles nieder … Aber immer weiter, weiter, wie auf rasender Flucht, ging der Zug dahin … Pater Vincente sagte – um die Leiche in eine Kirche jenseits der Tiber zu stellen, von wo sie erst der gewöhnliche Leichenwagen abholt … Der Todtenkopf des „Bruder Abtödter“ war Leben gegen die Vorstellung, daß unter allen diesen weißen und schwarzen Kutten und Kapuzen Skelette wandeln müßten … Aus 35 den kleinen Oeffnungen vor den Augen dieser Männer glühte es wie leuchtende Kohlen …
Nehmen wir den Weg über das Capitol! sagte Pater Vincente, als sich die Mönche mit den andern wieder erhoben hatten und der wilde Zug vorüber war … Ihn schien er nicht erschüttert, nicht so zur Eile gedrängt zu haben, wie den Pater Sebastus … Zur Eile! … Musterte eben die „Braut von Rom“, wie ein Schmeichler die junge Fürstin heute besungen, oder der Cardinal oder die Herzogin von Amarillas die Reihen der Mendicanten, die an der Pforte der Villa Rucca standen – er war ja dessen gewiß, daß San-Pietro in Montorio vor allen andern Klöstern bedacht werden würde … Olympia zeichnete reuevoll sein Kloster aus … Ihn bedrohte, das sagte man seit einiger Zeit, in der That der Hut des Cardinalats …
Bei Klingsohr – wie war da nun freilich die Erinnerung dahin – an Goethe’s Campanella –! … Dieser schreckhafte Leichenzug – und jene Römerin, auf deren Rücken der Dichter des Faust hier einst Hexameter getrommelt zu haben vorgab, die Goethe, Klingsohr wußte es, erst in Weimar auf dem Rücken der „Dame Vulpius“ trommelte, paßten nicht zusammen … Memento mori! … Auch Goethe hat es erfahren! sagte sich Klingsohr sinnend zum Capitol aufsteigend … Hier, wo er den Becher der Lebenslust, kurz vor dem Scheiden der männlichen Kraft, in seinen vierziger Jahren noch einmal wie ein Sohn der Griechen getrunken hat, hier mußte er ja dem einzigen Sohn, dem Sohn jener in römische Reminiscenzen maskirten Thüringerin, an der Pyramide 36 des Cästius, dem Begräbnißplatz der Protestanten, eine wahrere Grabesinschrift setzen … Hier starb Goethe’s einziger Sohn … Flüchtig zog und fast schon von ihm in Rhythmen gebracht der Gedanke durch seine Seele:
Ein tiefes, tiefes Schweigen folgte nun … Glocken hallten von den Thürmen … Man erstieg einen Calvarienberg – das sind die Stufen zum Capitol …
Zur Linken wohnt – der heimatliche Gesandte, auf dessen Autorität vor drei Vierteljahren drei Gensdarmen am Ponte Molle auf die deutschen Flüchtlinge gewartet hatten! … Zur Rechten – der tarpejische Felsen, der jetzt derselben Krone gehört … Wie schüttelte Sebastus all diesen „Staub“ von seinen Füßen! … Wie hatte er für ewig dieser „ghibellinischen“ Welt entsagt! … Das Capitol! rief er und über seinen Sandalen schmerzte ihm der Fuß, so trotzig stampfte er vor dem Wappen seines Landesherrn auf …
Da lag ein mittelalterlich Haus vor ihm, die Stätte des gebrochenen Capitols … Einige Brunnenstatuen vor ihm und ein kleiner Platz, auf dem, vom Mond beleuchtet, Marc Aurel zu Pferde sitzt – Ein Gelehrter, der 37 über dem Studium der Philosophie seine alten Schlachten vergaß! sagte Klingsohr mit Hindeutung auf die ihm nicht kriegerisch erscheinende Haltung des Reiters und auf – „Euern Friedrich, den sogenannten Großen –!“
Jetzt schlug es elf …
Bergab ging es auf die Trümmerstätte des alten Forums …
Ein Leichenfeld! sprach Pater Vincente …
In seinen Erläuterungen ging er nicht über Petrus und Paulus hinaus … Die Gracchen – Cicero! … Das mußte sich Klingsohr selber sprechen … Sein Blick starrte dem Untergang der Erhabenheit …
Hubertus kannte von den alten Zeiten nur so viel, als nöthig war um zu begreifen, daß hier die begrabene Macht eines alten Volkes lag, das einst die Welt beherrschte … Zertrümmerte Portale, einsame Säulen, Triumphbögen mit zerbrochenen Statuen … Am Tag ein wüst erschütternder Anblick, den jetzt das Zauberlicht des Monds verklärte … Dort oben auf dem Palatin wohnten die weltgebietenden Cäsaren … Ein magisches Goldnetz hält die grünen Hügel und die Steine umwoben … Wären diese vom Corso herüberrasselnden Wagen, diese lachenden Menschen nicht gewesen, die zu spät zu kommen fürchteten zu der auf Mitternacht angesetzten Hochzeits-Girandola, die durch die Fenster eines am milchblauen Himmel auftauchenden dunklen Gebäudes schon zu beginnen schien, wenn ein Knabe rief: Eine Leuchtkugel! – Der Knabe meinte einen Stern, der so plötzlich durch die Oeffnungen des Coliseums blinkte …
Das Coliseum! … Sebastus hätte wünschen mö-38gen, Niemand hier zu sehen und zu hören und nur allein zu wandeln … Allein mit Livius und Niebuhr … Da ein Tempel, dort eine Basilika … Wie mag es hier einst gesummt haben, als die Comitien des Volks versammelt waren und die Consuln Roms gewählt wurden! … Wohin entläßt uns dies Thor? flüsterte er … Ist es nicht der Triumphbogen des Titus, als er Jerusalem zerstört hatte? … Sein „Credat Judaeus Apella“ fiel ihm ein … Doch der „Virtuose im Glauben“ – hier hatte er keinen Zweifel zu hegen nöthig. Da an der Wand des Thors sah er den siebenarmigen Leuchter, den Tisch, die Schaubrote, die Jubeljahrposaunen, die Bundeslade … Die erhabene Stelle war’s, wo sich Jupiter und Jehova so nahe berührten! … Aber – kein Jude geht gern unter diesem Bogen hinweg, kein Jude blickt gern auf jenes Riesengebäude, das dreißigtausend gefangene Juden gebaut haben sollen …
Was Vincente so und ähnlich erläuterte, wußte Klingsohr alles …
Aber kaum gedachte er Löb Seligmann’s, dessen physische Kraft zum Streichen der Ziegel für diesen Riesenbau in keinem Verhältniß gestanden haben würde – als er Veilchens gedenken mußte … Veilchens, die ihm einst bei seinen Besuchen in der Rumpelgasse gesagt hatte: „Sie sind ein Mensch der Selbstqual, der Reue, des Gewissens – ewig wird’s Ihnen gehen, wie’s dem Kaiser Titus ging, als er Jerusalem zerstört hatte! Da ist Titus zu Wasser gegangen mit seiner siegreichen Armee und ein Sturm zog herauf und die gefangenen Juden triumphirten, weil sie dachten, Gott hätte seine Rache auf das 39 Meer aufgespart. Und Titus bekam Angst, spottete und sprach: Zu Land ist Adonai schwach, aber zu Wasser – da kommt er, scheint es doch, dem Neptunus gleich! Wahrlich, spottete er, Adonai hat die Sündflut befohlen, er hat die Aegypter im Rothen Meer ersäuft, er hat den Sissera am Strom Kischon geschlagen, er wird auch für Jerusalem seine Rache nehmen auf dem Mittelländischen Meer! … Da aber ist gekommen eine Stimme aus dem Himmel und hat dem Spötter gerufen: Titus, Titus ich habe Jerusalem untergehen lassen wegen seiner Gottlosigkeit! Weil du aber meiner Langmuth spottest, so sollst auch du meine Macht kennen lernen, aber – zu Lande! Das Meer ward da stille und Titus betrat unter dem Jauchzen des Volks das feste Land. Wie er recht von Herzen über den Judengott lachte, flog ihm in die Nase eine Mücke, wie sie nur auf dem Lande vorkommt, und bohrte sich tief in sein Gehirn. Sieben Jahre hat Titus davon die schrecklichsten Schmerzen im Kopf gehabt, denn die Mücke starb nicht, sondern sie wurde immer größer und sie summte bei Tag und bei Nacht. Einst ging er bei einem Schmied vorüber. Bei den Amboßschlägen hörte die Mücke zu summen auf. Da stellte sich Titus dreißig Tage an den Amboß und die Mücke schwieg. Am einunddreißigsten aber fing sie wieder zu summen an; sie hatte sich an den Hammerschlag gewöhnt und Titus mußte sterben. Als sie sein Gehirn aufmachten, kam ein Thier zum Vorschein, so groß wie ein Vogel. Der Mund war von Kupfer und die Füße waren von Eisen – –“ Nun schloß die Spinozistin: „Daß Sie sind katholisch und ein 40 Mönch geworden, Herr Pater, das ist bei Ihnen die Schmiede gewesen und die Mücke ist nun auch vielleicht dreißig Tage still … Aber ich will nicht wünschen, daß sie am einunddreißigsten wieder lebendig wird!“ …
Wie wurde sie aber schon so oft so lebendig! … Schon damals wurde sie’s beim Schweigen, das der Kirchenfürst dem Pater als Buße auferlegt hatte, beim Begegnen Lucindens in der Kathedrale … Nun all dies Große und Majestätische Roms! … Und wenn auch Klingsohr damals zu Veilchen sagte: „Jehova rächte sich allerdings an den Römern zu Wasser – durch die Taufe!“ – wie summte ihm doch die Mücke jetzt und wisperte: Ist Golgatha die Welt? Haben die alten Götter keine Rechte mehr? …
Klingsohr schritt dahin, fast wie einst in Göttingen, wenn er die Titel der hundert Bücher auf den Lippen führte, „die er schreiben wollte“ …
Pater Vincente, in dessen Seele es still und ruhig schien, lenkte zum Coliseum ein … Er betrat es, den fremden armen Gefangenen zu Liebe …
Wäre die Nacht nicht so hell und belebt gewesen, so würde dies mächtige Rund den Eindruck eines Schlupfwinkels für Räuber gemacht haben … Es liegt so einsam – umwuchert von wildwachsenden Büschen, die oben aus den Fenstern herausbrechen; die Vegetation hat seit tausend Jahren in allen Stockwerken bis zur obersten Galerie Platz gegriffen … Die Bogengewölbe, die geborstenen Säulen, die zertrümmerten Rundmauern waren im Mondlicht wie die Erscheinung eines Traums … Von Luft und Licht gewoben schien dies Bild eine 41 märchenhafte Täuschung … Aber sicher, fest und natürlich widerhallte Schritt und Gespräch unter der Bogenwölbung des Eingangs; nur zu deutlich sah man drinnen die Sitze, von denen herab Tausende auf Menschenkämpfe einst blickten mit jenen Thieren der Wüste, die hinter den eisernen Gittern da geborgen und durch Hunger zur Wuth gereizt wurden … In der Mitte steht zur Entsühnung solcher Erinnerungen an den tiefsten Verfall der Menschheit ein kleines Kreuz … Rundum ziehen sich die Bilder eines Stationswegs … Eine Heiligung, die edler gedacht als ausgeführt ist! … Das sagte selbst Pater Vincente, der niederkniete und einen mit einem Kreuz bezeichneten Stein küßte, auf dem Hubertus mühsam las: „Wer – dies Kreuz – küßt, hat auf ein Jahr und 40 Tage – Ablaß.“ …
Hubertus folgte dem Beispiel des frommen Paters … Natürlich mußte es auch der Mönch Sebastus thun, so wenig die Hoffnung, vierhundert Tage im Fegfeuer Linderung zu gewinnen, in diesem Augenblick seiner Stimmung entsprach … Die Mücke des Titus schwieg nicht mehr. Er stand nicht mehr an seiner Schmiede … Es ergriffen ihn die Schauer der Vergangenheit … Wenn er auch nur des heiligen Augustin gedachte, der seinen Freund Alypius von seiner Leidenschaft für Gladiatorenkämpfe hier im Coliseum durch einen plötzlichen Schauer vorm strömenden Blut der sich Mordenden geheilt sah, so mußten ihm wol seine hohlen großen Augen rollen und Gedanken kommen, wie der, den er aussprach:
Hier dies kleine armselige Kreuz! Hier hätte Michel Angelo einen seiner Giganten herstellen sollen! So groß, 42 so hoch, wie der Koloß von Rhodus! Bis an die obersten Sitze hätte der Blick eines Daniel reichen müssen, zu dessen Füßen die besänftigten Löwen sich schmiegten! Niederbohren mußte der Prophet mit dem Busch seiner Augenbrauen die wilden Thiere auf dem blutigen Sande um sich her und – die Thiere in den Herzen dieser Zuschauer! … Marcus der Evangelist, der die Bibel emporhält, hätte wie ein Geisterbeschwörer stehen müssen, sein aufhorchender Löwe neben ihm, auch gebändigt, auch in die Falten seines Gewandes scheu sich schmiegend! Was soll dies kleine Kreuz! …
Hier möcht’ ich im Chor singen! sagte Hubertus … Er übte seine Stimme so laut, daß es weit dahinschallte …
Pater Vincente verstand sein deutsch gesprochenes Wort, nickte und entgegnete, das geschähe hier alle Freitage – von den Kapuzinern … Zeigte er dabei auf die Fenster hinauf mit dem vom Nachtwind leise bewegten wildwuchernden Gebüsch, auf den Mond, der hinter den Oeffnungen bald hervorblitzte, bald sich versteckte – und dann sie selbst in der Mitte des riesigen Baues beleuchtete, wovon sie Schatten warfen wie – „kleine bucklige Gnomen“, so war dieser Vergleich aus Sebastus’ Munde die von ihrem Führer wol kaum verstandene – ironische Antwort …
Die Wanderer wandten sich der Eingangswölbung zu … Klingsohr fand sich allmählich zurück in seine Gegenwart; sie näherten sich heiligen Stätten … Sie bestiegen einen aufwärts gehenden Weg und kamen in eine Art Vorstadt, an deren äußerstem Ende einer der drei Paläste der Stellvertreter Christi liegt, der Lateran. 43 In alten Zeiten als Burg der dreifachen Krone hervorragend vor Quirinal und Vatican, erhält sich der Lateran jetzt nur noch in seiner Autorität durch die Gerechtsame, die nebenan auf der ältesten Pfarrkirche Roms, Sanct-Johannes, ruhen, auf dem Heiligthum des größten der von Thiebold de Jonge einst so kritisch beurtheilten Kreuzessplitter, auf der Platte, auf der einst das Abendmahl eingesetzt wurde, auf dem Heiligthum jener hier aufgestellten „Heiligen Treppe“, an deren Fuß Petrus den Herrn verleugnete … Sonst ist hier alles am Tag so still und öde, wie ein Sonntagsnachmittag in einer kleinen Stadt – in dieser Nacht rauschte ein buntes, bewegtes Leben …
Alles drängte dem Thor zu, vorüber am Obelisken des Constantin und zur Straße, die hinaus nach Albano führt … Militär sprengte dahin, um die Ordnung zu erhalten … Wagen in grotesker Vergoldung, mit Bedienten, die hier dem neuesten englischen Geschmack, dort der Rococozeit angehörten, folgten sich einander – jetzt schon in langsamerer Fahrt … Auf den Trottoirs und die langen Mauern der Vorstadtgärten entlang drängten die Bürger in ihren kurzen Jacken und Manchesterhosen, die kurzen Mäntel übergeworfen, weiße Hüte oder bunte Mützen auf den unrasirten braunen Köpfen … Die Frauen selten noch in der Tracht der alten Zeit … Englands Baumwolle hat die bunten Nationaltrachten schon aus Sicilien und Griechenland verjagt; die gelben Mädchen der Hindus gehen in Kattunröcken unsres Schnitts … Nur der Kopf bleibt noch zuweilen national; hier war das dunkelschwarze Haar der Röme-44rinnen schön geflochten, geziert vom bunten Kamm, vom silbernen Pfeil; selbst der Matrone wirres und weißes Haar blieb nicht ohne Schmuck … Würde und Selbstbewußtsein liegt im festen Gang aller dieser dicken Krämer und Wurststopfer … Von den ausgelassenen Späßen, mit denen sich bei solchem Anlaß jenseits der Berge die Volksmassen geneckt haben würden, fand sich wenig Spur … Kein Anschluß; Jeder für sich … Die Erwartung galt der „Girandola“, dem Anblick der geputzten Herrschaften, den ausgeworfenen Zuckerspenden und Schaumünzen … Höflich bog man dem schwarzen Rock des Augustiners aus, der braunen Kapuzinerkutte, der weißen Schnur des Franciscaners, dem grauen Rock des Karmeliters, dem weißen des Dominicaners … Alle diese kamen mit Körben und Säcken, mit riesigen Kannen sogar, ohne die mindeste Rücksicht auf lächerliche Störung ihres malerischen Effects … Italien hat seine eigne Aesthetik … Es besitzt Raphael – aber ein Offizier mit einem Regenschirm – ein Dorfpfarrer auf einem Esel – und zwei Reiter zugleich auf Einem Pferde erscheinen ihm nicht im mindesten lächerlich …
Die herrlichen Gärten dann … Leider nur mit hohen Mauern verschlossen, wie überall in Italien … Hängen die Jasminkronen auch nicht herüber, so erfüllen sie mit ihrem Duft die Straßen um so ahnungerweckender … Da und dort zeigt sich denn auch wol in den neidischen Mauern ein kleiner eiserner Ausbruch, durchzogen von blühenden Rosenranken oder purpurrothen Asklepiadeen … Jenseits des Thors schweift der freie 45 ungehinderte Blick auf die im blauen Licht schimmernde Campagna, auf die Gebirge; nun zur Rechten liegen Villen und Gärten, die sich an die des Lateran anlehnen … Die fünfte oder sechste darunter ist die heut an einer bunten Illumination weithin schon kenntliche, vom Volk umwogte Villa Rucca …
Vier mit blauen, rothen, gelben, violetten Lampen geschmückte Obelisken bilden die Eckpfeiler am heute geöffneten Eingangsgitter … Die hohe Gartenmauer ist mit einer flimmernden Guirlande von Hunderten kleiner Flammen geziert … Im Garten vor der beleuchteten Villa brennt eine riesige Sonne, rings umgeben von den kostbarsten Südpflanzen … Perspectivisch berechnet, am Ende einer schimmernden Ahornallee glänzt ein sichelförmig niedergleitender Wasserfall, hinter dessen krystallnen durchsichtigen Fluten geschäftige Hände die Künste der Sanct-Peterskuppel-Beleuchtung nachahmen, die beweglichen Lampenständer auf- und niederschwenkend … Musik hallt aus den beleuchteten Sälen der illuminirten Villa … Dann und wann schießt in die magisch blaue, unendlich weiche, milde Luft schon eine Leuchtkugel, ein mit dem Mondlicht wetteifernder Vorbote des Feuerwerks … Das ihm aufjauchzende Volk drängt bis an die große Sonne … Von da ab werden nur noch die Mönche und die Träger von privilegirten Büchsen hindurchgelassen … Todtenbrüder in ihren unheimlichen Hemden fehlen nicht … Man hatte ausgesprengt, der Cardinal Ceccone spendete heute Gaben im Werth von dreitausend Scudi und die Aeltern des Prinzen Rucca die nämliche Summe … Das Gerücht schien sich an-46nähernd zu bestätigen … Ein Harlekin ergötzte das Volk über das Gitter hinweg durch Würfe von Münzen … Diese waren freilich nur noch von gebackenem Zucker, aber eine Tombola war im Gange, bei der einige silberne Uhren ausgespielt werden sollten, ohne daß man den Einsatz bezahlte – die Loose wurden über die Häupter hinweggeworfen … Nächst Madonna Maria ist Fortuna die größte Heilige in Rom …
Pater Vincente, Pater Sebastus, Bruder Hubertus wurden durch die Chaine gelassen, die die Soldaten und Gensdarmen zogen … Man wies sie an ein Seitengebäude, wo vor einer noch geschlossnen Pforte eine förmliche Kirchenversammlung gehalten wurde … Am heiligen Grab in Jerusalem mag es zur Osterzeit so aussehen, wenn sich die Mönche aller Orden der Christenheit zusammenfinden und je nach Umständen beten, Tauschhandel treiben oder – sich prügeln … Die Türken sollen den christlichen „Caricaturen des Heiligsten“ mit stillem Lächeln zusehen und abwechselnd bald zum Pfeifenrohr, bald zur Peitsche greifen …
Klingsohr fühlte heute ähnliche Anwandelungen aus Goethe’s „west-östlichem Divan“ … Er drängte vorwärts und staunte der Wiederkehr seiner alten göttinger Burschenkraft … Hubertus warf schon hier einen Kapuziner, dort einen Karmeliter aus dem Wege … Als die übrigen Franciscaner den heiligen Pater Vincente sahen, fielen sie ehrfurchtsvoll in den Ruf einiger Stimmen ein:
Platz dem Sack von San-Pietro in Montorio! …
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Contessina Olympia Maldachini hatte zwar immer die Villa Rucca nach dem runden und geschweiften Rococostyl ihrer Bauart eine „altbackene Brezel“ genannt und damit die empfindlichste Seite der Ruccas, ihren – von einem Bäcker herstammenden Ursprung berührt …
Aber die geöffneten Räume der altmodischen marmornen Kommode, das große Oval des Saales mit den kleinen Seitenpavillons und den nach hinten hinausgehenden Terrassen, die fast noch eine Ausdehnung des Saales schienen, boten doch darum einen glänzenden Anblick …
Ein solches Fest, wo das Auge unter Lichtern, Blumen, Statuen nicht mehr herausfindet, ob der Fuß innerhalb oder außerhalb eines Saales, in geschlossenen Räumen oder auf Veranden und Altanen verweilt, kann man nur im Süden feiern … Die Gunst des Himmels muß eine sichere sein; kein Wölkchen darf das Vertrauen auf die Mitwirkung der Natur zur Lust der Menschen stören …
In dem Saal, in den Nebenzimmern, auf den mit blendend weißen, silber- und krystallstarrenden Tafeln ge-48schmückten Terrassen wogten einige Hundert der vornehmsten Gäste mit glänzender Dienerschaft … Männer und Frauen in den reichsten Toiletten … Die Römerinnen der hohen Aristokratie hie und da imposant; aber bei weitem die Mehrzahl doch nur zierliche, kleine, ja nicht selten verkommenere Gestalten, als die majestätischen, die unsre Phantasie in Römerinnen erwartet … Auch die Männer sind nicht das, was wir von den Nachkommen der Scipionen erwarten … Der junge Principe Rucca, in seiner rothen, goldgestickten päpstlichen Kämmerlingsuniform, der glückliche Bräutigam, der wirklich, wie ein Pasquill sie nannte, die „Katze Olympia“ leidenschaftlich liebte, braucht dabei nicht mitzuzählen; noch weniger sein Vater, der immer wie ein alter schäbiger, heute einmal ordentlich gewaschener und lächerlich bunt ausgeputzter Bewohner des Ghetto aussieht … Aber selbst Principe Massimo, der Nachkomme des Quintus Fabius Maximus Cunctator, der auf Napoleon’s ironische Frage: Stammen Sie wirklich von diesem glücklichen Gegner des Hannibal her? stolz erwiderte: Das weiß ich nicht, Sire, aber man glaubt es von unserm Geschlecht bereits seit eintausendzweihundert Jahren! (eine Antwort, die nach Klingsohr’s Auffassung der „Heiligen Treppe“, vor der alles Volk im Vorübergehen knixte, Rom und der römische Glaube auf alle Zweifel an seine Reliquien geben darf – „Sind diese Knochen nicht echt“, schrieb Klingsohr schon zur Zeit des Kirchenstreites, „so ist doch durch sein hohes Alter der Glaube an ihre Echtheit ehrwürdig“) – – Principe Massimo ist ein kleiner, feiner 49 diplomatischer Herr, der mehr der Sphäre der Abbés, als der Imperatoren anzugehören scheint … Da wandeln die Borghese, die Aldobrandini … Gegen frühere Geltung sind es herabgekommene Namen, wenn auch immer noch so stolze, daß sie hier vielleicht nicht anwesend wären, schwebte nicht der Alter Ego des Stellvertreters Christi, Cardinal Don Tiburzio Ceccone, wie ein Apoll von sechzig Jahren durch die Reihen, lächelte bald hier, bald dort, stellte, als wäre er der Wirth, neue Mitglieder des diplomatischen Corps den Damen vor, begrüßte junge Prälaten, die sich eben erst in die Carrière mit einigen Tausend Scudi eingekauft haben, neckte die Damen … Diamanten und Bonmots blitzen … Die seidenen Gewänder streifen sich und die Galanterieen … Das die Gemahlin des Fürsten Doria, eine Engländerin, hoch und stolz, sogar mit einem Orden geschmückt … Dort die Fürstin Chigi, deren Urahnen unter dem wilden Papst Julius II. ihren Gästen bei solchen Gelegenheiten Ragouts von Papagaienzungen vorsetzten und die gebrauchten Silbergeschirre in die Tiber werfen ließen – „Jetzt würden sie vorsichtiger sein“, spottete schon oft Ceccone … Napoleoniden fehlen nicht … Ceccone gibt ihnen mit lächelnder Grazie Andeutungen, wie ihre demokratischen Bestrebungen ihm in Wien Gegenstand empfindlichster Vorwürfe für das Cabinet der gekreuzten Schlüssel gewesen wären … Neulich hatten Räuber den Prinzen von Canino (Lucian Bonaparte) in seiner Villa Rufinella aufheben wollen … Der Cardinal scherzt eben darüber mit ihm und sagt: Wenn man eine Million Lösegeld verlangt hätte, würden Eure Hoheit vielleicht nicht den „Congreß der 50 Naturforscher“ in Pisa begründet haben, der ja wol den Anfang der „Einheit Italiens“ bilden soll! … Ein scharfes Wort, harmlos vorgetragen, und doch so drohend, daß der Prinz hinter dem Mann im rothen Käppchen und in rothseidnen Strümpfen eine bedenklich ernste Miene macht …
Saht ihr diese Miene? Ihr Piombino, Ludovisi, Odescalchi, Ruspigliosi –? … Alle diese Namen, die freilich in den Listen des „jungen Italien“ fehlten, fehlten doch nicht bei dem Widerspruch, den das Priesterregiment Roms seit tausend Jahren bei den Adelsgeschlechtern findet … Den Gesprächen zufolge hätte niemand an die Stadt der sieben Hügel denken sollen … Sie betrafen Theater, Concerte, Moden – aber doch auch Räuber, die nächsten Segnungen des heiligen Vaters, die reservirten Plätze bei den großen Kirchenfesten …
Die lebhafteste Conversation führten die Offiziere und die Geistlichen … Letztere, Roth- und Violettstrümpfe, sind gegen die Damen fast noch zuvorkommender, als die erstern, die vorzugsweise der Nobelgarde Sr. Heiligkeit angehören – schlanke hohe Gestalten, jüngere Söhne der Aristokratie; nur ihrer achtzig; aber Schooskinder der römischen Gesellschaft, Tonangeber aller offenen Freiheiten, die sich noch unter dem Priesterregiment gestatten lassen – der geheimen gibt es genug – die Begleiter Sr. Heiligkeit auf Reisen, die Anführer seiner öffentlichen Aufzüge – ein Graf Agostino Sarzana darunter – in goldstrotzender zinnoberrother Uniform mit blauem Kragen, weißen Beinkleidern, den schönen Römerhelm, mit schwarzen hängenden Roß-51haaren und dem kleinen weißen Seitenbüschel daneben, schon in der Hand … Das Souper war zu Ende … Alles drängte dem Garten und dem Feuerwerk zu …
Graf Agostino Sarzana war es, der eine Dame verfolgte, die sich nach dem Ausspruch Sr. Eminenz des regierenden Cardinals heute ausnahm wie eine „Tochter der Luna“ … Die Dame verschwamm im blauen Aetherlicht wie ein Gedanke voll Ahnung … Sie tauchte auf, da und dort – und verschwand wieder in den dunkelgrünen und blauen Schatten wie die Luft … Ihre Toilette war der Anlaß dieser Vergleichung des Cardinals, der sie gleichfalls mit Feueraugen verfolgte, wenn er sie auch nicht vor den vielen andern anwesenden, die seinem Herzen und – Beutel theuer waren, allein auszeichnete …
Die Tochter der Luna, der Keuschen, deren heidnischen Ruf Ceccone als Priester der Christenheit nicht zu schonen brauchte, indem er ihr eine Tochter gab, trug ein blaßblaues Kleid von Donna-Maria-Gaze, einem durchsichtigen, damals neu erfundenen Seidenstoff, übersäet mit kleinen silbernen Sternchen … Das Kleid war nicht ausgeschnitten; es verhüllte, der keuschen Luna schon entsprechend, Formen, die sich dennoch verriethen … Als einziger Schmuck blinkte im dunklen Haar ein einfaches Diadem von blankem Silber, in Gestalt eines Halbmonds … Es war ein Kopf, der sich mit seinem glattliegenden Scheitel und dem kräftig gewundenen Knoten im Nacken wie eine lebendig gewordene Statue aus den ägyptischen Sälen des Vatican ausnahm … Um 52 die dunkeln Augen lag eine gewisse erhitzte Röthe, wie sie bei leidenschaftlichen Naturen vorkommt … Die Stirn war schmal; die Wange ebenso etwas zusammengehend, aber sanft zum spitzen Kinn niedergleitend; die untere Lippe trat mit Muth und Trotz hervor … Es gibt plastische Gesichtsformen, die nicht altern … Das Schönste war die Länge der Gestalt … Die Dame war pinienhaft schlank …
Graf Sarzana will unserer „Creolin“ Unterricht im Italienischen geben? scherzte der Cardinal so laut, daß es alle Umstehenden hörten … Die „Creolin“ war wieder ein neues Stichwort für die „Tochter der Luna“ und diesmal kam es vom Monsignore Bischof Camuzzi, dem ersten Secretär des Cardinals, der als Missionar Westindien bereist hatte …
Eminenz, sagte Graf Sarzana, der schlanke junge Mann mit athletisch breiten Schultern, auf denen bei jeder seiner Bewegungen die goldenen Epaulettes hin- und herflogen, und strich sich den martialisch gezogenen Schnurrbart, Eminenz haben die Absicht, die ganze Welt zu reformiren! Auch die Garde Sr. Heiligkeit! Wenn ich noch länger in diesen Fesseln schmachte und nicht erhört werde, geh’ ich nach San-Pietro in Montorio, nach dem die Dame mich soeben gefragt hat …
Auf diese scharf betonte Lokalität und überhaupt auffallend grell gesprochenen Worte des Ritters Sr. Heiligkeit fistulirte ein Stimmchen nebenan:
Ja, in der That! Pater Vincente ist ja da! …
Dies Stimmchen gehörte dem Bräutigam, der den Namen des bezeichneten Klosters gehört hatte und eben von der 53 Pforte kam, wo er den seiner Person so schmeichelhaften Volksjubel und die Ausspielung der silbernen Uhren hatte controliren wollen …
Wir werden das meiner Frau sagen müssen! fuhr er, vom Champagner erhitzt mit Lebhaftigkeit fort … Erführe sie die Anwesenheit des Paters und dieser ginge, wie er gekommen, so wäre sie im Stande, mir die erste Gardinenscene zu machen …
Die Abbés und Prälaten lachten über die Wonne, mit der jeder junge Ehemann von zwölf Stunden fortwährend den Begriff: „Meine Frau“ im Munde führt …
Inzwischen stiegen immer mehr Leuchtkugeln auf und das Feuerwerk schien seiner Entfaltung nahe zu sein … Draußen riefen Tausende von Stimmen und klatschten bereits im voraus Beifall und die Musik fiel mit schmetterndem Tuschblasen ein …
Der alte Rucca und die Fürstin Rucca Mutter – die jedoch noch keineswegs Matrone sein wollte und ihren Cavaliere servente aufsuchte, um ihm eine Strafrede für Vernachlässigung zu halten – schossen hin und her, sahen nach der Ordnung, sahen nach dem Aufbewahren der Speisereste – „für die Armen“ – Der Schwiegervater Olympiens war bis zum Exceß ökonomisch … Der kleine Mann mit einer orientalischen Habichtnase und dem Band des Gregoriusordens über der Brust klagte allen Prälaten über seine Domäne, die Zölle der adriatischen Küste … Man nannte ihn gewöhnlich den „Blutsauger“ … Dies war ein Titel, der ihm gerade vor andern, die ihn ebenso verdienten, keinen Vorzug gab … Nie aber hätte sich allerdings gerade der alte Fürst Rucca auf der 54 Küste von Comacchio bis Ferrara sehen lassen können, ohne Gefahr zu laufen, von den Schmugglern und seinen eigenen Zollbedienten todt geschlagen zu werden …
Aber auch dieser alte Herr horchte mit dem schalkhaftesten Lächeln seines Nußknackerkopfes sowol nach der Erwähnung des Pater Vincente wie nach dem Unterricht der „Creolin“ hin – er wußte ja, daß es eine Deutsche war … Seinem Sohn rief er gelegentlich ein heimliches: Asino! nach dem andern ins Ohr, besonders wenn dieser die Monsignori vom Steuerwesen, den Finanzminister Roms, den Cardinal Camerlengo, nicht genug zu honoriren schien … „Maulesel“ nannte er ihn sogar, wenn er zu wild um Olympien her „trampelte“ … Klagte nun der junge Ehemann über die „schlimme Laune“ seiner Frau, so schrieb der Alte das mit eigenthümlichem Meckern auf Rechnung aller Bräute am Hochzeitstag … Dies Meckern machte, daß seine Nase und sein Kinn sich küßten und die Mundwinkel zurückgingen fast in die Ohren … Der Cardinal Camerlengo, düster brütend wie Judas Ischarioth, der auch zuweilen nicht wissen mochte, wie er den Seckel für den ersten Kirchenstaat von dreizehn Personen füllen sollte, scherzte jetzt: Sie sind so guter Laune, Fürst? Im nächsten Jahr verlang’ ich eine Million mehr! Die Zeiten werden schlechter und schlechter! Wir müssen aufschlagen, Hoheit Generalpächter! …
Der alte Fürst drückte sein „Wie kommen Sie mir vor?“ mit einer charakteristischen Geberde aus, die zwar stumm war, aber das ganze anwesende geistliche Ober-Finanz-Personal des Kirchenstaates lachen machte …
55 Der Vielseitigkeit seines Geistes entsprach sein Sohn keineswegs … Ercolano Rucca war von Wien beschränkter als je zurückgekommen … Er konnte überhaupt immer nur Einen Gegenstand im Kopf haben … War dieser erledigt, erst dann kam er auf den zweiten … Oft aber dauert es bekanntlich Tage und Wochen, bis in dieser sublunaren Welt unter hundert Sachen Eine gründlich durchgesetzt ist … Principe Ercolano sprach dann tage- und wochenlang nur von dieser Einen Sache, z. B. von der Kunst, Handschuhe zu verfertigen aus Rattenleder, was eine Idee war, die der Verwaltung des Steuerwesens Muth geben sollte, die nördliche Generalpacht im Hause der Rucca’s erblich zu lassen … Jetzt suchte er nur noch nach der Herzogin von Amarillas, die wegen Pater Vincente um Rath gefragt werden sollte … Graf Sarzana hatte soeben noch mit der Herzogin gesprochen … Auch die alte Fürstin suchte die Herzogin – wie deren Cavaliere servente, Herzog Pumpeo, versicherte – Dieser Herzog Pumpeo wollte in gerader Linie von Pompejus abstammen; auch er war ein armer Nobelgardist, aber ein Crösus an guter Laune und für Se. Heiligkeit selbst ein Spaßmacher, wenn gerade an ihn der Dienst im Vorzimmer oder bei der kleinen Garçontafel des Stellvertreters Christi kam … Se. Heiligkeit ließ übrigens damals den Cardinal Ceccone schalten und walten – und um nichts zu verschweigen, sagen wir es offen und aufrichtig: Der „Zauberer von Rom“ war bitter krank … Der „Träger der Himmelsschlüssel“, der „Patriarch der Welt“, der „Vater der Väter“, der „Erbe der Apostel“, der „Hirt 56 der Heerde“, war ein armer Mensch; er fürchtete den Gesichtskrebs zu bekommen*) …
Heda, Kamerad! ruft bei alledem champagnerberauscht Herzog Pumpeo dem Grafen Sarzana zu. Ich sehe die blaue Eidechse da, wo die Schwärmer prasseln! … Hu, wie sie erschrickt! …Dort huscht sie zu den Mönchen hinüber, von denen sie einer vielleicht in seinen Sack steckt und nach Santa-Maria trägt … Sie ist eine „Beate“ (Frömmlerin) … Alle Eure Mühe, sie zu bekehren, scheint mir vergebens, Bruder – oder soll’s vielleicht heißen:
Weiter kam diese Lästerung auf Ceccone nicht … Nun war die „Tochter der Luna“ und die „Creolin“ auch die „blaue Eidechse“ und sogar eine „Frömmlerin“ …
Der Graf und der Herzog wandten sich armverschränkt beide dem linken Flügel der „Brezel“ zu, wo erstens die Champagnerströme reichlicher flossen, zweitens die alte Fürstin Rucca, zornig mit den Augen runzelnd, auf Pumpeo, ihren Ritter, wartete und drittens eine wahre Batterie von Schwärmern losplatzte … Das gab ein Angstgeschrei, bei dem die muthgebenden Soldaten nicht fehlen durften …
Der Bräutigam kam inzwischen mit einer Dame zurück, die heute nicht zu den freudestrahlenden gehörte … 57 Auch die Toilette der Herzogin von Amarillas verrieth ihre Trauer … Die Veilchen sind eine Blume, vor der bekanntlich jede Römerin, obgleich an Blumenduft gewöhnt, eine bis zur Ohnmacht gehende Abneigung hat; dennoch war das schwarzseidene Kleid der Herzogin ganz von blauen Veilchen durchwirkt; schwarze Spitzen saßen am Leibchen und am Rock … Auch die grauen Haare waren in schwarze Spitzen eingehüllt … Und nur um den Cardinal nicht zu sehr zu einem jener Blicke zu reizen, die ihm zuweilen bis zum Tod verwundend zu Gebote standen – seit einiger Zeit war er in dieser Art gegen sie wie ein Skorpion – hatte sie dem Anlaß der Freude, die zur Schau getragen werden sollte, das Opfer gebracht, Hals und Arme mit dunkelrothen Korallen und die Spitzen, die das graue Haar verhüllten, mit frischen Granatenblüten zu schmücken … Warum soll sie erfahren, sagte sie in ihrem bei alledem stolzen und festen Tone, daß Pater Vincente zugegen ist? …
Sie ist so verdrießlich … fiel der besorgte junge Ehegatte ein … Wir müssen es ihr auf alle Fälle sagen … Durchaus …
Die Herzogin erwiderte nicht minder mismuthig:
Sie kennen die Bescheidenheit des heiligen Mannes … Olympia wäre fähig, ihn in die Gesellschaft zu rufen und mit ihm – zu kokettiren! … Das letzte Wort unterdrückte sie freilich …
Sie will ihn zum Cardinal machen … Ehe es Fefelotti ohnehin thut … Wir müssen ihn aufsuchen …
Thun Sie das nicht! sagte die Herzogin. Ich werde es ihr selbst sagen und dann hören, was sie etwa wünscht … 58 Die Ernennung zum „Cardinal“ überraschte sie nicht … Sie kannte die Maxime der ehrgeizigen Cardinäle, für die Papstwahl entweder sich selbst in Bereitschaft zu halten oder, falls sie unterliegen sollten, irgendeine unschädliche, ihnen verpflichtete Puppe … Pater Vincente’s Geschichte war dem Klerus ganz Italiens bekannt …
Das Feuerwerk entfaltete sich noch nicht in seinem vollen Glanze … Die Bravis erschollen von nah und fern nur noch wie Ironie über die Verzögerung … Das Gewühl des Volks wurde größer und größer … Dabei gingen die abgetragenen Schüsseln bei den Mönchen und Repräsentanten der Spitäler und Bettlerherbergen um … Schon begannen unter knallenden Champagnerkorken die Austheilungen … Manche der devoten Frauen, der „Beaten“, betheiligten sich selbst an der Uebermittelung der Gaben … Ihre goldbetreßten Diener standen dann zur Seite und überwachten die glänzenden Schmuckgegenstände, die sie trugen …
Olympia, die „Braut von Rom“, besaß entweder die Reizbarkeit aller kleinen Gestalten, im Gewirr vieler Menschen nicht mit den ihnen gebührenden Ansprüchen hervortreten zu können, oder ihre Stimmung war in der That voll äußersten Verdrusses … Sie lief nach rechts und nach links, redete mit diesem und mit jenem und trug auf der Stirn den ersichtlichsten Ausdruck einer leidenschaftlichen Nichtbefriedigung … Ganz so mürrisch, wie sie heute in der Frühe in der Kirche Apostoli den Ceremonien der Trauung beigewohnt hatte, sah sie jetzt das „Bouquet“ des Festes, das Feuerwerk herannahen … 59 Schon mahnten die Schwiegerältern, daß es passend wäre, sie führe ganz in der Stille während des Feuerwerks mit ihrem Gatten in das Palais der Stadt, das sie in der Nähe des Pasquino bewohnten – jenes alten Steinbildes, an dessen Fuß seit urältesten Zeiten die Satiren Roms angeklebt werden und von dessen Sockel die Polizei seit einigen Tagen jeden Morgen in erster Frühe Spottverse abgerissen hatte, die den Cardinal ernstlich an die Zeiten mahnen ließen, wo Sixtus der Fünfte solchen Pasquinospöttern die Zunge ausreißen ließ … Gerade vor diesem Augenblick der Abfahrt schien aber Olympia Furcht wie zum Entfliehenmüssen zu haben … Sie stand niemand Rede … Dem Gatten nicht … Dem triumphirenden – „Onkel“ nicht …
Ceccone weidete sich an seinem Liebling, dessen Bewegungen und Erscheinen sich wenigstens durch das Rauschen des schweren Seidentaffetkleides ankündigten, das sie unter ihrer Brautrobe von Spitzen trug … Noch wehte ihr wie bei der Trauung und der ersten Messe, die das junge Paar anhören mußte, wie bei den conventionellen Andachten, die den Tag über an gewissen großen Altären und bei dem Besuch Sr. Heiligkeit, um den Segen des armen mit Tüchern umwundenen Mannes zu bekommen, gemacht werden mußten, der kostbare Spitzenschleier im Haar – statt der Myrte war er jetzt von einem Kranz von Orangenblüten umgeben … Schon welkte dieser; schon welkten die gleichen Bouquets, die auf dem Kleide in gewissen Zwischenräumen zur Seite saßen; die Hitze des innern Saals, wo Olympia gesessen, war zu groß gewesen; sie riß auch und zerrte an allem, 60 was sie hinderte … Den bronzenen Hals schmückte ein Collier von Diamanten … „Sie ist schön, wenn sie liebt“ – hatte im vorigen Jahre die Herzogin gesagt … Olympia liebte heute nicht …
Ein kurzer Augenblick – hinter einer großen von Hortensien gefüllten Marmorvase – und Ceccone konnte Olympien an sich ziehen und sie voll väterlicher Bestürzung fragen:
Aber was hast du denn nur, mein geliebtes Kind? Was ist dir nur heute? …
Jettatore anche voi! zischte Olympia mit rauher Stimme, stampfte den Fuß auf und stieß die weichen Hände des Priesters zurück … Alle Welt will, daß ich sterben soll! setzte sie fast weinend hinzu …
Ein solches Wort – dem „Onkel“! …
Olympia hatte gesagt, Ceccone wäre gleichfalls ein mit dem „bösen Blick“ für sie Behafteter, ein Jettatore, „wie alle Welt!“ … Das der Dank, daß er der öffentlichen Meinung trotzte und ungeachtet aller vom Pasquino abgerissenen Satiren auf die „Donna Holofernia“, auf die Vermählung derselben mit dem jungen „Judas Ischarioth Seckelträger junior“, und ähnlicher Anspielungen scheinbar heute so sorglos und unbefangen sein Haupt erhob …
Auch er hatte ja der Sorgen genug! Aber ihm genügte im Augenblick vollkommen der lärmende Antheil der ewigen Stadt an seiner Person; ihm genügte die unabsehbare Wagenreihe der hohen Aristokratie und Prälatur, die bis in die dunkelsten Schatten der Landstraße hin sichtbar blieb … Und nun ein Ausbruch solcher Nichtgenüge 61 bei dem geliebten Kinde, das sich zuweilen auch gegen ihn zu empören anfing … Er flüsterte:
Täubchen! Liebchen! … Papagallo! … Fiore di luce! …
Suche dir die „Tochter der Luna“! … erwiderte sie höhnisch und huschte fort …
Der Onkel lachte über die „Eifersucht“ seiner Nichte …
Da wandte sie sich noch einmal …
Onkel, sagte sie zornig, lache nicht! Ich möchte in diesem Augenblick sterben! … Ich wünschte, du hättest nur wegen meiner an Pasqualetto geschrieben – nach Porto d’Ascoli – …
Jesu! flüsterte der Cardinal, wurde kreidebleich und sah sich besorgt um … Welchen Namen nennst du da? … Pasqualetto – St! unterbrach er aufs strengste Olympiens Gegenrede …
Der alte Rucca ging eben vorüber, spitzte die Ohren, grinzte seltsam und sagte für sich: Eh! Eh! Eh! …
Vieldeutige Laute … Olympia hatte einen Namen genannt, den er gehört zu haben schien … Er wandte sich halb und halb zum Zuhören und liebäugelte einer Schwiegertochter, deren Hochzeit – mit seinem verlängerten Pachtcontracte zusammenhing – …
Ceccone winkte ihm mit graziöser Handbewegung zu gehen … Noch ist sie mein! sprach er süß und vor allen näher herantretenden Zeugen … Dann legte er die zarten weichen Hände auf das Haupt der kleinen Meduse, zog sie wieder an die Hortensienvase und flüsterte:
62 Wie kannst du von Pasqualetto reden? … Was soll er? …
Mich stehlen und in die Berge schleppen! … erwiderte Olympia …
Ich beschwöre dich, mein süßer Papagai! fuhr der besorgte Vater fort und wollte Olympia noch weiter ins Dunkel mit sich ziehen, um sie herzinniger zu küssen, vielleicht sie an den Wagen zu führen, den der junge Gatte zu jeder Minute bereit zu halten versprochen hatte … Schon rief er nach dem Mohren, der nach seiner Taufe den frommen Namen Chrysostomo führte …
Statt des Chrysostomo kam aber der ganze Schwarm der Gäste … Die Leuchtkugeln erhellten gerade die Vase mit den Hortensien und wo die Braut war, mußten doch alle sein … Niemand erzürnte gern die wilde Olympia … Es klang ihr jetzt ganz zu Sinn, daß ihr Gatte verspottet wurde über die Verzögerung des Feuerwerks … Die Raketen haben den Schnupfen! hieß es … In die Cascatellen ist Wasser gekommen! … Die „Feuerräder“ haben die Achse gebrochen! … Man fürchtet, die „Frösche“ werden hüpfen wie die Flöhe! … Flöhe … Wer solche Italienerworte hätte in dieser Sphäre für unziemlich halten wollen, mußte eine deutsche oder französische Bildung haben … Der Südländer kennt keine Scheu der offenen Namengebung dessen, was natürlich ist …
Die Herzogin von Amarillas machte inzwischen einen Versuch, sich Olympien zu nähern … Aber Olympia entzog sich gerade ihr … So beschloß denn die Herzogin, die Nachricht über den Pater Vincente für sich zu behalten … Auch sie floh vor dem endlich beginnenden Feuerwerk 63 … All dies Knistern und Knattern, all diese Bravis und Ausrufungen waren der Mutter Julio Cäsares nicht zu Sinn … Sie suchte den Garten, den Park, der zwar nicht unbelebt, aber dunkler war und an seiner äußersten Grenze Einsamkeit versprach … In diesem Verlangen nach dem Pater Vincente, das die Braut ausgesprochen, lag für sie ein ihr wohlbekannter Ausdruck des Zorns über Benno’s Nichtanwesenheit, über sein gänzliches Verschwundensein nach den beiden Märchenwonnentagen von Wien, lag der Ausdruck der Reue über die allzu schnelle Ernennung Bonaventura’s zum Bischof von Robillante … Benno hatte sich im vorigen Jahr nach Rom begeben und war dort nicht länger geblieben, als bis – die Mutter und Olympia ankamen … Da war er nach dem Süden entflohen … Er hatte sich aufs Meer begeben, war über Sicilien, Malta, Genua, Nizza nach Robillante gereist, wo er in diesem Augenblick bei Bonaventura verweilte; er stand mit der Mutter im Briefwechsel, er schrieb ihr unter fremden Adressen – sie hatte die ganze Bürgschaft seiner Liebe und Zärtlichkeit für sich; – aber vor einem Zusammenleben mit Olympien erfüllte ihn ein ahnungsvolles Grauen … Aus dieser Misachtung der ihm so offen in Wien ausgesprochenen Liebe Olympiens war eine Gefahr für die Herzogin selbst, für Benno, für alle seine Beziehungen entstanden … Die Theilnahme, die die Mutter für ihn nicht verleugnen konnte, wurde ihr von Olympien aufs heftigste verdacht … Nun mußte auch noch die Herzogin in Wien ein junges Mädchen gefunden haben, das, der italienischen Sprache 64 vollkommen mächtig, anfangs nur die Vermittelung mit den deutschen Verhältnissen erleichtern sollte … Eine wohlberufene Convertitin, die von einer glühenden Sehnsucht nach Rom verzehrt wurde … Die Herzogin hatte den Auftrag erhalten, die Würdigkeit dieser Empfehlung zu prüfen … Sie sah sie, war von einer auffallenden Aehnlichkeit derselben mit ihrem Kinde Angiolina gerührt – es fehlte nur noch die Bekanntschaft dieses Mädchens mit Benno und Bonaventura, um sie nicht wieder freizulassen … Es war nun aber Lucinde Schwarz selbst, die ihrer Stellung gefährlich zu werden drohte …
Lucinde liebte nicht, ungefragt von ihrer Vergangenheit zu sprechen. Sie war nie in der Stimmung, gern von Schloß Neuhof, vom Kronsyndikus, Jérôme von Wittekind zu berichten … Aber die Erwähnung fand sich zufällig und da stand sie schon in Wien Rede … Die Herzogin horchte voll Erstaunen … Auf die Länge war sie von Lucinden seltsam abgestoßen und wieder angezogen … Man nahm sie mit nach Italien … Erst später zeigte sich die Gefahr dieser „Eroberung“, wie Ceccone, überrascht von Lucindens Geist, sie genannt. Lucinde gewann Einfluß über alle ihre neuen Umgebungen, über den jungen Principe, über Olympien, den Cardinal sogar … Jetzt war sogar schon Olympia eifersüchtig auf „die Tochter der Luna“ … Rom hatte Lucinden verjüngt …
Das Boskett, das dicht an die zur Verlängerung des Speisesaals umgewandelte Terrasse stieß, bestand aus einer Pflanzung von Nuß- und Kastanienbäumen … Aus seinem mäßigen Umfang heraus führten Gänge von beschnittenen Buchsbaum- und Cypressenwänden auf kleine 65 Rotunden, in deren Mitte aus Farrenkräutern und Vergißmeinnicht Springbrunnen plätscherten oder Marmorstatuen glänzten, am Fuß von blühenden Cactus, von feurigen Schwertlilien umgeben … Nun kamen die rechts zu den Gärten des Lateran sich ziehenden Beete … Sie folgten sich in Abdachungen, die zu Cascatellen benutzt, von Grotten, von Muschel-, von Marmorverzierungen unterbrochen wurden … Zur Linken, jenseits der großen Platanenallee und des flimmernden Wassersturzes führten riesige Taxuswände zu einer Altane, von welcher sich ein weites Feld von Weinstöcken wie ein einziges grünes Dach auf die Landstraße erstreckte … Dorthinauf, wo sich unter wilden Lorberblättern ausruhen ließ, zog es die von den schmerzlichsten Ahnungen erfüllte Herzogin …
Eine Weile noch wurde sie auf ihrem Wege von einem Naturspiel aufgehalten … Das Licht des Mondes und der Widerschein des Feuerwerks wurden in ihren magischen Wirkungen noch übertroffen von zahllosen Glühwürmern, die bald grün, bald roth aufblitzend die Luft durchschwammen, auf den Sträuchern und Blumen wie Edelsteine funkelten, unwillkürlich die Hand lockten, die Luft zu durchstreifen und nach eitel Funken und Licht zu haschen …
In diesem Augenblick glaubte die Herzogin die „Tochter der Luna“ zu sehen, die am äußersten Ende eines der in den Ziergarten einmündenden Heckenwege – von zwei Mönchen verfolgt wurde …
Sie staunte des auffallenden Anblicks … Sollten von den Bettlern an der Pforte zwei so verwegen gewesen sein, sich hierher zu wagen? … Oder konnte sich 66 in falscher Verhüllung Räubervolk eingeschlichen haben? … Eben waren die Mönche und die fliehende Donna Lucinda verschwunden …
Oder hatte sie sich getäuscht? … Hatte das mondlichtfarbene Kleid der Gesellschafterin sie irre geführt? …
Da hörte sie das Lachen des Herzogs Pumpeo … Offiziere kamen und junge Prälaten, die der Champagnerrausch von den alten Damen zu den jungen vertrieb … Einige der schönsten hüpften an ihrem Arm – gleichsam nur auf der Flucht vor den gefährlichen Feuerfröschen …
Die Herzogin blieb stehen … Fast wurde sie umgerannt von dem aus einem andern der Gänge ihr eilend entgegentretenden Conte Sarzana …
Sahen Sie die beiden Mönche, Graf? fragte die Herzogin ängstlich …
Die der Donna Lucinda folgten? antwortete Sarzana mit Theilnahme … Wo sind sie? … Ich habe ihre Spur verloren …
Beide durchkreuzten den Gang, den die übrige Gesellschaft heraufkam, und eilten der dunklern Gegend jenseits der Platanenallee zu … Der am Ende derselben funkelnde Wasserfall gab einen Schein von Belebung des Gartens, der sich indessen nicht bestätigte … Alles blieb einsam und gefahrvoll … Jetzt rief der Graf:
Ich sehe sie … Dort beim Aufgang auf die Altane … Was wollen die Frechen? …
Conte Agostino lief mit seinen hohen Reiterstiefeln die nothwendigen fünfzig Schritte voraus und rief schon auf halbem Wege dem nächsten der Mönche ein donnerndes:
67 Que commande? …
Als er näher gekommen, fand er Donna Lucinda mit geisterhafter Blässe im Gespräch mit den beiden Mönchen, die unausgesetzt wie Eindringlinge von ihm angerufen und für verkappte Gauner erklärt wurden … Ging doch auch durch die Stadt das Gerücht, man hätte heute in einer Herberge am Tiberstrand den berüchtigten Räuber Pasquale Grizzifalcone aus der Mark Ancona gesehen, das Haupt aller Räuber- und Schmugglerbanden der adriatischen Meeresküste … Es konnten seine Genossen sein …
Die lange schlanke Deutsche hielt einen Brief in der Hand und sagte mit zitternder Stimme und im besten Italienisch:
Vergebung, Herr Graf! Es sind – zwei Landsleute von mir … Sie ersuchen mich, eine Bittschrift zu übernehmen … Ich werde sie besorgen, ihr – frommen – Väter –! Lassen Sie sie in Güte ziehen, Herr Graf! … Willkommen in Rom, Pater – Sebastus und Frater – Hubertus! … Wir sehen uns noch … Gewiß! Gewiß! … Felicissima notte! …
Die beiden Mönche standen lichtgeblendet – wie Saulus am Wege von Damascus … Sie konnten sich nicht trennen …
Inzwischen war die Herzogin näher gekommen … Sie erschrak bei dem Anblick Lucindens, die tieferschüttert schien … Noch mehr entsetzte sie sich vor dem Anblick eines dieser Mönche, der mit seinem kahlen und wie fleischlosen Kopf aus seiner niedergefallenen Kapuze geradezu ein Bote des Todes erschien …
68 Auch die Begleiter des Duca Pumpeo kamen, jetzt ohne die Damen, näher, nahmen die Mönche in die Mitte und geleiteten sie aus dem Garten … Graf Agostino erhielt von Lucinden die Bitte und, als er darum noch immer nicht ging, fast den Befehl, sie zu verlassen …
Die Herzogin sah Lucinden noch wie betäubt an den Sockel einer Statue sich lehnen, von welcher aus man auf die Plateforme jener Altane schreiten konnte … Es war hier ringsum dunkel … Die dichtbelaubten Bäume warfen düstere Schatten … Die Herzogin widerstand nicht, Lucinden zu folgen … Diese drängte auf die Altane hinauf, als fürchtete sie hier unten zu ersticken oder den Mönchen aufs neue zu begegnen …
Sie sind ja auf den Tod entsetzt, mein Kind! sprach sie theilnehmend … Erholen Sie sich … Diese zudringlichen Bettler in Rom! … Die Bittschrift war nur ein Vorwand! …
Lucinde schlich nur langsam die Erhöhung hinauf …
Oben angekommen, sagte sie:
Nein, nein! … Ich kannte sie beide … Ich wußte längst, daß sie in Rom sind – ich hätte sie aber lieber, das ist wahr, vermieden; ich – mag nichts mehr hören von Deutschland … Die Bittschrift ist – an den Bischof – von Robillante … Ich will sie besorgen …
An den Freund meines Cäsar! … staunte die Mutter und hätte nun gewünscht, die Mönche wären nicht vertrieben worden …
Beide Frauen blieben auf der einsamen Altane, auf der sie sich auf Sesseln von Baumzweigen niederließen, 69 unter einem Dach von künstlich gezogenem Lorber … Vor ihnen lag vom Mond beschienen das große stille Meer der Weinstockblätter … In der Ferne Feuerwerk und das lärmende Volk, das jeder Rakete ein Evviva! rief …
Obgleich sich Lucinde allmählich zu fassen schien, kam die Herzogin doch nicht mehr auf die Mönche zurück … Gerade diese durch Benno bedingten Wallungen des Interesses zu verbergen, besaß sie eine volle Gewandtheit … Sie pries die erquickende Erlösung von dem rauschenden Gewühl, das sich nicht verziehen wollte … Sie saßen so, daß sie durch die Büsche zugleich die Künste des Feuerwerks und über die Weingärten hinweg den stiller gebliebenen Theil der Gegend beobachten konnten …
O, hier sind wir sicher vor dieser bunten Posse! sagte die Herzogin. Wenn die Lüge in der Welt so rauschend auftritt, wie sollte erst die Wahrheit sich ankündigen dürfen! …
Die Wahrheit feiert ihre Triumphe in der Stille! entgegnete Lucinde, noch immer athemlos. Diese Triumphe sind die Glühkäfer des Geistes, die uns nur auf einsamen Wegen umschwirren! … Wie heißt denn die Pflanze da, auf der ich vorzugsweise die Thierchen wie die Lichter auf unsern nordischen Weihnachtsbäumen antreffe? …
Lucinde rang nach dem Ton der Gleichgültigkeit …
Die rothen Disteln? Das sind Artischocken! sagte die Herzogin …
Wächst so dummes Gemüse hier so wild und schön! … Carciofoli! Ganz recht! …
Eine kurze Pause trat ein … Beide bewegten ihre Fächer und wehten sich Kühlung zu … Mancher scherz-70hafte Vorfall des Tages, manche Neckerei an der Tafel, mancher Schmuck, manche überladene Toilette ließen sich besprechen …
Das Gespräch stockte jedoch bald … Es zeigte sich – diese beiden Frauen mußten anfangen eine sich für ein Hinderniß der andern zu halten … Die Herzogin hatte sich längst gesagt: Hier ist meine Zeit um! Olympia ist meiner Führung entwachsen! Selbst den Cardinal, ihren Vater, lehnt sie für ihre neue Einrichtung als täglichen Gast ab – Schon hat sie’s ihm angekündigt … Ceccone sucht – eine neue Häuslichkeit! Diese Lucinde – lockt, reizt ihn – Ich sah es heute, er schien ganz außer sich … Lucinde sollte, wie sich gebührt, zu Olympia ziehen … Diese lehnt aber auch sie ab … Soll also ich jetzt –? Ich? … Ich ahne, was Ceccone aus ihr und – mir gestalten will … Um sie „mit Anstand“ zur Nachfolgerin – der Herzogin von Fossembrona, der Marchesina Vitellozzo zu machen, soll ich – als Deckmantel? – … Nimmermehr! … Das zu verweigern bin ich – Benno schuldig … Aber Graf Sarzana! … Diese Abenteurerin – wie sie in seinen Briefen Benno schildert – und Sarzana! … Diese armen Teufel freilich – die – Sarzanas! …
So empfand die Herzogin … Klug aber und verstellungssicher, wie sie war, nahm sie das Gespräch nach einer Weile auf …
Es ist wahr, sagte sie, das Leben bringt es mit sich, daß nur zuweilen die Stacheln der Disteln, das sind ja Artischocken, jenen nordischen Weihnachtsbäumen, die ich kenne, gleichen! Die Illumination der Lüge muß 71 uns ermuthigen, an diese kleinen Glühkäfer in der Nacht der Wahrheit, an das hellste Licht, das Aetherlicht des Schmerzes, zu glauben …
Lucinde konnte noch nicht geläufig erwidern …
Eine Bittschrift an den Bischof von Robillante, sagten Sie? … fuhr die Herzogin fort, als Lucinde den Brief träumerisch betrachtete und ihn seufzend in ihrem Busen barg … Ist es wahr, daß dieser Priester eine Gräfin liebte, die seit einigen Monaten die Gattin des Grafen Hugo von Salem-Camphausen geworden ist? …
Lucinde fixirte die Herzogin mit scheuen unheimlichen Augen … Jetzt erst recht antwortete sie nicht … Jetzt erst fiel ihr ein, daß sie ja mit einer Frau zusammensaß, gegen die sie seit einiger Zeit sich hatte entschließen wollen, einem Serlo’schen Gedanken Gehör zu geben … In Serlo’s Denkwürdigkeiten stand: „Wenn ihr doch nur nicht ewig von Pflichten der Dankbarkeit bei Diensten reden wolltet, die Euch gar kein Opfer gekostet haben!“ …
Die Herzogin sprach sorglos, der bittern Stimmung ihres Herzens folgend:
Graf Hugo liebte – hört’ ich und sah ich in Wien – ein junges Mädchen, das sich aus Verzweiflung – um ihr Schicksal den – Tod gab … Ich sah – ihre – Leiche, ich sah seine Trauer … Er schloß mit dem Leben ab und doch – doch – wie mögen auch bei dieser Vermählung die Raketen gestiegen sein! … Ha, erinnern Sie sich in Wien der schönen Altane, von der wir Abschied nahmen am Tag vor unserer Abreise? … Es lag tiefer Schnee auf den düstern Tannen ringsumher …
Ich erinnere mich … antwortete jetzt Lucinde, die 72 sich von Klingsohr und Hubertus allmählich zurückfand. Sie betonte scharf. Sie hatte der Herzogin heute schon wieder Zurücksetzungen nachzutragen, die sie ihr in Mienen und Worten an der Tafel hatte widerfahren lassen …
Ob wol das junge Paar an derselben Stelle wohnt, wo – die – arme – Geliebte – mit zerschmettertem Haupte lag? … fuhr die Mutter Angiolinens, nichts ahnend fort …
Das – junge – Paar wohnt – in der Stadt … berichtete Lucinde – – von dem wirklich geschlossenen Bunde Paula’s und des Grafen Hugo …
Eine lange Pause trat ein … Ein leiser weicher Windhauch kam vom Südmeer … Im Weinberg zitterten die Blätter …
Es ist doch gut, daß wir den Gespensterglauben haben! sagte die Herzogin feierlich … Wir fürchten uns doch noch zuweilen ein wenig vor den Gräbern … Die Alten verbrannten ihre Todten, glaubten aber doch auch an eine strafende Wiederkehr; der Geist des ermordeten Cäsar erschien den Mördern in der Schlacht bei Philippi … Die Christen wollten von den Todten so wiedererstehen, wie sie in ihrer schönsten Lebenszeit aussahen … Angiolina hieß – sie? … Sahen Sie schon die Katakomben drüben? … unterbrach sich die Erinnerungsverlorene … Dort blitzt eine goldene Spitze im Mondlicht auf … Das ist Santa-Agnese … Dort steigen Sie einmal nieder mit einem guten Führer … Philipp Neri, der Heilige, hat da unten wochenlang gewohnt … Die Erde hier ringsum ist durchhöhlt … Christen- und Römergräber in Eins … Ein 73 Leichenfeld! … Das Leben ist’s … Wer war der eine dieser Mönche? Er sah ja wie der Tod …
Wie die Auferstehung! hauchte Lucinde für sich … Aber der erste Schrecken war bei ihr nun vorüber … Sie hatte sich wieder in ihre gegenwärtige Lage zurückgefunden … Ihr Auge fixirte die Herzogin immer unheimlicher …
Diese erschrak über die fast schielenden Blicke des Mädchens … Und beim Suchen nach einem gleichgültigen Gespräche schilderte Lucinde die Unzufriedenheit der jungen Fürstin Rucca … Da betonte sie sehr scharf den Namen Benno’s …
Lucinde that das seit einiger Zeit in Gegenwart der Herzogin öfters …
Lucinde hatte allerdings bemerkt, daß die Herzogin von Amarillas in einer geheimen Beziehung zu Benno stand … Sie hatte schon in Wien das Interesse beobachtet, das diese Frau an ihrem frühern Aufenthalt in Deutschland, an Witoborn, an Schloß Neuhof nahm … Sie wußte, daß sie eine Sängerin gewesen und – in Leo Perl’s Bekenntnissen war ja von einem gewissen Betruge die Rede, den er an einer – nicht genannten Sängerin hatte ausführen helfen … Sie war auf den Gedanken gekommen, ob nicht jene „zweite Frau“ des Kronsyndikus, die der vom Wein Aufgeregte und schon an Wahnanfällen Leidende damals in jener Nacht in Kiel mit dem Degen von sich abwehren wollte, diese jetzige Herzogin von Amarillas sein könnte … Ihrer wühlerischen Combination entging nichts von dem, was sich aus auffallenden Daten solcher Art irgendwie verknüpfen ließ … Sie hatte auch schon Benno’s ihr hinlänglich bekannte 74 im Familienkreise der Asselyns und der Dorstes oft besprochene „dunkle Herkunft“ in den Kreis ihrer Combinationen gezogen und staunte schon lange über Benno’s Aehnlichkeit mit dem Kronsyndikus und mit der Herzogin … Sie verfolgte diese Gedanken stets und stets seit dem Augenblick, wo sie bemerkt zu haben glaubte, daß die Herzogin gern über sie lächelte, sie gering behandelte und zurücksetzte … Heute war Graf Sarzana, als er ihr den Arm geboten hatte, von der Herzogin auf eine andere Dame verwiesen worden … Diese Kränkung hatte sie nur vergessen, weil sie später genug von Huldigungen überschüttet wurde … Solche Geringschätzungen konnten sich aber wiederholen … Daher sagte sie mit scharfspähendem Blick und sich aller der Vortheile erinnernd, die sie über die Asselyns hatte:
Der Todtenkopf? Nach dem Sie fragten! Ich lernte ihn in Witoborn kennen, in dessen Nähe ein Kloster liegt … Es ist das Familienbegräbniß jener Wittekind-Neuhof, nach denen Eure Hoheit mich schon so oft gefragt haben … Der vor länger als einem Jahr verstorbene Stammherr, der Kronsyndikus genannt, hat den Vater des andern, des zweiten Mönches, den Sie sahen, in einem Wortwechsel erstochen … Dieser Unglückliche hieß Klingsohr und war des Freiherrn Pächter … Der Todtenkopf aber war des Freiherrn Jäger und hieß Franz Bosbeck … Aus Holland stammt er, war in Java, gewann auf dem Schloß Neuhof eine Stellung durch die Liebe einer bösen Frau, die dort regierte, Brigitte von Gülpen … Da sein Herz an einem andern Wesen hing, rächte sich diese Frau und veranlaßte den Entschluß ihres Verlobten, der seine wahre Liebe durch den Tod 75 verlor, sich in ein Kloster zu flüchten … In Indien soll er von den Gauklern Künste der Abhärtung gelernt haben, weshalb er sich trotz Entbehrungen und Strapazen so rüstig erhält … Der eine der beiden Mönche hatte eine Sehnsucht nach Rom, die der andre aus mir unbekannten Gründen theilte … Beide entflohen, saßen bisher auf San-Pietro in Gefangenschaft und richten nun, wie sie mir sagten, in diesem Schreiben an den Bischof die Bitte, sich zu ihren Gunsten zu verwenden … Sie fürchten sich, wie jeder, der einmal in Rom war, nach Deutschland zurückzukehren – …
Lucinde hielt inne, weil sie die Wirkung ihres Berichtes beobachten wollte …
Die Herzogin folgte mit der höchsten Spannung …
Doch hatte Lucinde in der Kunst der Beherrschung ihre Meisterin gefunden …
Nach dem ersten leisen Zucken der Mienen bei den Worten: „Familienbegräbniß der Wittekind-Neuhof“, trat trotz der aufs äußerste erregten Spannung und der sie blitzschnell durchzuckenden Vorstellung: Diese Schlange kennt dein ganzes Leben! eine Todtenkälte in die geisterhaft vom Mond beschienenen Züge der Herzogin und sie sagte nichts als:
Kommt der Nachtwind so vom Meere? Wovon bewegt sich das Laub in den Weinbergen? … Sehen Sie nur, als wenn eine einzige große Schlange dahinkröche … So hebt es sich hier und dort und sinkt wieder zusammen …
Lucinde hatte nur ihr Auge nach innen gerichtet …
Beide Frauen waren zu tief in ihre Erinnerungen, zu tief in die Rüstung des zunehmenden Hasses gegen-76einander verloren, um einer Beobachtung über den Nachtwind längern Spielraum zu lassen …
Die Herzogin ging nach Lucindens Mittheilungen in die Worte über:
Ich würde vorschlagen, lieber die Bitte dem Cardinal, bei dem Sie ja allmächtig zu werden anfangen, mitzutheilen, wenn nicht – allerdings Olympiens Laune zu schwankend wäre … In der That schon oft sprach sie ihre Reue aus, einem Fremdling, wie jenem Bischof, so schnell den Fuß auf italienischem Boden gegönnt zu haben … In ihren Lobpreisungen des Pater Vincente, der jetzt am Thor unter den Bettlern sein soll, erkenn’ ich die Gedanken, die in ihrem Innern Gestalt gewinnen wollen …
Lucinde beobachtete, ob wol die Herzogin ihr ganzes Interesse für Bonaventura kannte …
Diese fuhr fort:
Auch ist der Bischof von Robillante in der That nicht vorsichtig … Er hat dem Erzbischof von Coni mehr die Spitze geboten, als einem so ganz den Vätern Jesu angehörenden, jetzt als Großpönitentiar nach Rom zurückkehrenden Prälaten gegenüber gutgeheißen werden kann … Sein Eindringen in San-Ignazio und die Trinita zu San-Onofrio hat die Dominicaner gegen ihn aufgebracht … Die Dominicaner sind in gewissen Dingen mächtiger, als die Jesuiten … Dieser Orden beruft sich auf die Privilegien der Inquisition … Der Bischof ging an die weltlichen Gerichte … Das war ein Beweis von Muth, aber auch eine große Unbesonnenheit … Neun Waldenser, sieben Proselyten, die die Waldenser unerlaubterweise aufgenommen hatten, mußten von den Do-77minicanern, die sie einzogen, herausgegeben werden … Um Einen, der fehlt, kämpft nun der Bischof noch immer … Wie aber nur möglich, sich und andere um einen ketzerischen Fremden so aufzuregen! … Allerdings einen Deutschen – aber in seiner Stellung gebührte sich gerade gegen seine Landsleute die Vermeidung aller Parteilichkeit – …
Lucinde horchte mit gespanntem Antheil … Sie kannte diese Gefahren Bonaventura’s nur aus flüchtigen Andeutungen Ceccone’s …
Schreiben Sie ihm doch alles das, wenn Sie den Brief couvertiren sollten … sagte die Herzogin …
„Schreiben Sie ihm doch alles das –“ … Das hatte die Herzogin mit einem seltsamen Ton gesagt … Es war der Ton, der etwa sagte: Ich weiß es ja, Sie sind die verschmähte Liebe dieses Bischofs! …
Lucinde sagte, demüthig ihr Haupt senkend und nur im Blick die Fühlfäden verrathend, die sie ausstreckte:
Der Bischof rechnet, denk’ ich – auf den Beistand der Gönner, die ihm – hier in Rom ihre alte Neigung – sofort wiederschenken würden, wenn – Herr Benno von Asselyn, sein – Vetter zurückkehrt und – nicht länger eine Furcht verräth, die – für einen Mann doch – kindisch ist …
Welche Furcht? …
Das Muttergefühl wallte auf …
Aus Besorgniß, sich durch Vertheidigung des Sohnes zu verrathen, sagte die Herzogin gezwungen lächelnd:
Dürfen Sie am Hochzeitstag der Fürstin Rucca von der Furcht eines Mannes sprechen, der nicht der beglückte Gegenstand ihrer Liebe zu werden wünscht? …
Alle Umgebungen der Herzogin und Lucindens wuß-78ten, wie das Bild der kurzen wiener Bekanntschaft von Schönbrunn und vom Prater immer noch vor Olympiens Seele stand …
Lucinde sah sich in diesem Augenblick um … Es war um sie her ein Geräusch hörbar geworden … Ueber den Fußboden eilte eine jener kleinen Schlangen, deren Augen einen phosphorescirenden Glanz von sich geben … Lucinde zog erschreckt den Fuß zurück, sah die künstliche Ruhe der an südliche Eindrücke gewöhnten und der Schlange nicht achtenden Herzogin und erwiderte nach einiger Sammlung:
Benno von Asselyn fürchtet, an die bestrickende Olympia ein Herz zu verlieren, das – ich will es Ihnen verrathen – einem jungen jetzt in London lebenden Mädchen gehört … Sagen Sie aber nichts davon der Fürstin! …
Die Züge der Mutter konnten sich nicht beherrschen … Sie verklärten sich … In ihrem brieflichen Verkehr hatte sie nie auf eine Frage nach Benno’s Herzen deutliche Antwort erhalten …
Wen liebt – Signore – Benno? fragte sie mit einer sich bekämpfenden Theilnahme, deren leidenschaftlichen Ausdruck jedoch ihr ganzes Antlitz verrieth …
Er liebt unglücklich … sagte Lucinde immer forschender und schon mit triumphirenden Blitzen aus ihren dunkeln Augen hervorlugend … Sein bester Freund nächst dem Bischof und dem Dechanten Franz von Asselyn – Die Herzogin schlug ihre Augen nieder – ist ein junger reicher Kaufherr, Thiebold de Jonge … Beide wurden, ohne es zu wissen, zu gleicher Zeit von einer Liebe zu einem Mäd-79chen ergriffen, das damals noch halb ein Kind war … Armgart von Hülleshoven ist ihr Name …
Armgart von –? …
Lucinde mußte den Namen wiederholen … Der Mutter klopfte das Herz …
Armgart von Hülleshoven … sagte die Listige, die sich rüstete, der Herzogin ein für allemal das Geringschätzen ihrer Person zu verderben … Sie ist, hauchte sie, die zärtlichste Freundin jener Gräfin Paula, die die Gattin des Grafen Hugo geworden … Schon einmal geriethen beide Freunde um diese Neigung in Streit … Einer entsagte zu Gunsten des andern … Darüber fand Armgart Zeit, erst eine Jungfrau zu werden, die überhaupt an Liebe denken darf … Ein wunderliches Aelternpaar hat sie aus Witoborn nach England geschickt, wo sie im Hause einer Lady Elliot lebt und ihre Zärtlichkeit für zwei Liebhaber zugleich an dem Widerstand gegen einen dritten prüfen kann … Dieser hat das glücklichere Loos getroffen, jetzt in ihrer Nähe leben zu dürfen … Es ist dies jener Wenzel von Terschka, der, wie man sagt, nur um ihretwillen Priestergelübde und Religion und was nicht alles aufgab – …
Pater Stanislaus? sagte hocherstaunt und sich ganz vergessend die Herzogin …
In der Ferne donnerten Böller und schmetterten rauschende Fanfaren …
Sollten Sie in Ihrem Briefwechsel mit Herrn von Asselyn – … wagte sich jetzt Lucinde ganz keck heraus …
Ich? … Mit wem? … fuhr die Herzogin auf …
80 Ja Sie, Hoheit, Sie allerdings – mit Benno von Asselyn – … lächelte Lucinde …
Die Herzogin war aufgesprungen … Die Bewegung ihres Schreckens, die der Furcht zunächst vor Olympien galt, war erklärlich … Der Schrecken konnte aber auch von etwas anderm kommen … Die Zweige hatten in nächster Nähe gerauscht, wie unter Berührung eines leise Dahinschleichenden …
Man ist doch sicher hier … konnte noch die Herzogin ihren Schreck maskirend, fragen …
Da deutete sie aber schon mit einem Aufschrei auf die grüne Decke des Weinlaubs, aus der sich spitze Hüte und Männerköpfe erhoben …
Lucinde wollte im selben Augenblick entfliehen … Vergebens … Schon hatten sie von hinten zwei Arme ergriffen …
Eine wilde Physiognomie, die nur die eines Räubers sein konnte, grinste sie an … Ein widerwärtiger, dem gemeinen Italiener eigner, vom Genuß der Zwiebel und des Lauchs kommender Athem nahm ihr die Besinnung … Sie konnte nicht von der Stelle …
Die Herzogin war an den Aufgang der Altane gestürzt und rief:
Räuber! Räuber! Räuber! …
Sie rief diese Worte – sie wußte selbst nicht, ob im Schrecken über den Ueberfall oder in dem über Lucindens Voraussetzung eines Briefwechsels zwischen ihr und Benno … Sie wiederholte sie muthig, trotzdem daß unter dem Weinlaub alles lebendig wurde, wilde Männer in abenteuerlichen Trachten den Rand der Altane erkletterten, Pistolen und Dolche blitzten, Lucinde in die Arme eines Ath-81leten geworfen wurde, der die Mauer schon erklettert hatte, während der erste, der bereits oben war und die im stillen Gespräch Verlorene von hinten überfallen hatte, Miene machte, nun auch die Herzogin zu ergreifen … Die Räuber trugen die Tracht der Hirten, kurze Beinkleider, Strümpfe, Jacken, offene blaue Brusthemden; die Gesichtszüge waren von Bart und künstlichen Farben entstellt; die braunen sehnigen Hände eines dritten, der dem zweiten nachkletterte, stopften Lucinden, die vor Schrecken nicht einen Laut mehr von sich geben konnte, ein buntes Tuch in den Mund …
Während die Herzogin, halb auf der Flucht, halb muthig wieder innehaltend, ihre Hülferufe fortsetzte, sah sich Lucinde schon in den Armen des Riesen, der sich, auf den Rücken zweier andern sich stützend, an die Wand feststemmte und die Beute herunterzog mit den der Situation völlig widersprechenden Beschwichtigungsworten:
Haben Sie doch keine Furcht, schönste Altezza! … Ei, Eure Excellenza sollen so gut schlafen, wie in Ihrem eigenen Schlosse … Es ist nur ein Spaß, Signora Excellenza … Tausend Zechinen … Ei, das wird eine so schöne Dame ihren Freunden schon werth sein …
Da Lucinde den Muth einer Frau sah, die doch von ihr soeben so scharf verwundet worden, ergriff sie Beschämung … Sie hielt sich an einem großen Oleanderstamm, der von draußen her an der Mauer aufwuchs, wühlte sich in dessen schwanke Zweige, die sie nicht lassen wollte, und widerstand um so mehr dem Räuber, als sie hinter sich ein wildes Geschrei hörte, das halb aus deutschen, halb aus italienischen Lauten bestand …
Da ließ der Riese loser und loser … Lucinde 82 hielt sich mit allen Kräften … Hinter sich hörte sie ein Ringen, ein Kämpfen … Eine Ahnung erfüllte sie … Sie krallte sich fester und fester … Da ein Schmerzensschrei wie von einem Verwundeten in der Nähe … Nun ein Pistolenschuß … Jetzt stürzte sie selbst von der Mauer … Der Rauch um sie her, ihr Sturz, die Angst, die Hoffnung – sie verlor die Besinnung …
Als sie wieder zu sich gekommen, lag sie noch auf dem Boden des Weinbergs … Eben ließ man von oben Leitern herab … Die Terrasse oben stand voller Menschen … Waffen klirrten noch immer … Graf Agostino, seiner schweren Reiterstiefeln nicht achtend, stieg von oben hernieder … Neben ihr lag in seinem Blut der gewaltige Riese, den ein Pistolenschuß getroffen hatte von der Hand eines Mönches. Der Muthige kniete neben einem andern Mönche, der verwundet am Boden lag … Da hüllte sich ihr wieder alles in Nacht …
Als sie aufs neue erwachte, befand sie sich in dem großen Saale der Villa …
Wüst durcheinander standen die Tische und Sessel. Das Fest war zu Ende. Die Kronleuchter brannten nur noch dunkel. Die Zahl von Menschen um sie her war geringer geworden … Düsterblickend stand Graf Sarzana … Sein Auge hatte eine Macht, vor dem sie das noch so schwache ihrige niederschlug … Sie hörte Ausbrüche des Erstaunens … Wer hätte sich auch denken können, daß an einem so lebhaften Abend, unter so vielen Tausenden von Menschen Räuber es wagen würden, ihren gewöhnlichen Anschlag – Gefangennehmung von Personen, die sich durch Lösegeld loskaufen mußten – 83 in Ausführung zu bringen … Die Räuber waren unter dem dichten Weinlaubdach hinweggeschlichen, hatten sich der einsamsten Stelle des Gartens genähert und würden ihren Raub wenigstens mit Lucinden ausgeführt haben, wenn nicht die beiden Mönche, freilich auch ihrerseits in unerklärlicher Absicht, den gleichen Weg genommen und so ihr die Freiheit erhalten hätten … Der Mönch mit dem Todtenkopf entriß einem der Banditen ein Pistol und schoß es auf die gewaltige Gestalt ab, die Lucinden schon davontrug … Ihn selbst hatte dann ein leichter Messerstich verwundet … Der jüngere Mönch aber, Pater Sebastus, war lebensgefährlich von einem Stilet verwundet worden … Lucinde blieb unversehrt … Sogar der Brief an Bonaventura war nicht aus ihrer Brust geglitten …
Das gehört zu Italien! sprach eine Stimme … Kommen Sie, wenn Sie können – Ihr Wagen wartet schon … Die Fürstin ist schon lange fort … Graf, Sie begleiten doch die Signora – …
Lucinde sah die Herzogin von Amarillas nicht … Sie hörte aus diesen Worten nur: Diese Signora – die die Tochter eines Schulmeisters vom Lande, eine Abenteurerin ist – die ehemalige Braut des einen dieser Mönche – die Genossin des andern bei gewissen, unenthüllbaren, heimlichen Dingen! – Lassen Sie lieber dies Geschöpf! …
Durch die geöffneten Fenster schimmerten die Sterne … Hätte sich allerdings Lucinde je einen solchen mit Klingsohr noch zu erlebenden Abend träumen lassen können, als sie in ihrem Pavillon auf Schloß Neuhof 84 unter den Ulmen wohnte und H. Heine’s Liederbuch las, das ihr Klingsohr geschenkt … Klingsohr – um ihretwillen jetzt vielleicht todt! …
Der Graf erbot sich voll Zuvorkommenheit zur Begleitung … Die Mönche bleiben hier, sagte er … Der eine ist zu schwer verwundet, der andere leichter … Aber Pater Vincente bewacht und pflegt sie beide … Auch ist schon ein Arzt bei ihnen … Sie liegen drüben beim Haushofmeister … Die Villa bleibt die Nacht über bewacht … Der Bargello läßt zehn Mann Wache zurück … Sie werden, denk’ ich, ausreichen …
In der That war nun auch alles schon zerstoben und verflogen … Der alte Fürst Rucca war so rasch entflohen, als wenn er sich wirklich an der adriatischen Küste befunden hätte …
Von dem getödteten Räuber versicherte man, es wäre der berüchtigte Pasquale Grizzifalcone selbst gewesen … Cardinal Ceccone hatte sich nach dieser Recognition sofort von Lucindens Ohnmacht losgerissen, war in den Garten geeilt, wo die Leiche lag, und hatte sich jeden Gegenstand verabfolgen lassen, der sich in den Taschen des Gefallenen vorfand … Dann war er eilends in seine glänzende Carrosse gestiegen und mit seinen beiden „Caudatarien“ (Schleppträgern) in seine Wohnung gefahren, die mit der Sr. Heiligkeit unter einem Dache lag, nach dem Vatican …
Graf Sarzana lächelte spöttisch bei diesem Bericht und bot Lucinden den Arm … Sie schwankte … Tief erschöpft schritt sie an den Wagen …
Beide fuhren nach dem Palazzo Rucca am Pasquino.
85 4.#
Ganz Rom war von der gestrigen Begebenheit erfüllt. Der Schrecken des Kirchenstaats, Grizzifalcone, war getödtet worden von einem deutschen Franciscanermönche! …
Der Messerstich, unter dem der Genosse des Mönchs zusammengesunken war, hätte besser diesem gebührt! hieß es bei den Meisten … Grizzifalcone wurde bemitleidet! … – „Der Aermste starb ohne Beichte –!“ sagten selbst die, die ihm vielleicht den längst verwirkten Tod gönnten … Noch mehr! In der Sphäre der Prälatur, des Adels, des gebildeten Gelehrtenstandes gingen seltsame Versionen … Da war Grizzifalcone nicht zufällig, sondern aus geheimen Absichten „ermordet“ worden … Man sah die Kutsche des Cardinals hin und her fahren … „Was man solchen Staatsmännern alles aufbürdet! Man beschuldigt sie, selbst ihre besten Freunde nicht zu schonen!“ … So lautete ein bittres Wort, das aus der Sphäre der „Verschwörungen“, wir wissen nicht, ob des jungen oder des alten Italien kam …
Die Aerzte, die der Cardinal in die fürstlich Rucca’sche Villa geschickt hatte, erklärten, daß die Wunde, die 86 der deutsche Mönch und Gefangene von San-Pietro in Montorio empfangen, so besorgnißerregend wäre, daß sie einen Transport desselben auf die Tiberinsel San-Bartolomeo zu den Benfratellen für unerläßlich hielten …
Der Laienbruder Hubertus kam mit einem leichten Verband davon … Er ließ sich diesen nach seinen ihm eigenthümlich angehörenden chirurgischen Kenntnissen anlegen und bedauerte nur, nicht gleichfalls zu den Benfratellen kommen zu können, wofür nach Pater Vincente’s Aeußerung keine Hoffnung war … Wenn der Tragkorb den Pater Sebastus abholte, wollten sie ihm das Geleit geben und dann in ihre luftige Höhe nach San-Pietro zurückkehren … Der Sack des Klosters war gestern über und über gefüllt gewesen; aber im Tumult des Ueberfalls, des Schießens, der allgemeinen Auflösung des Festes war er von irgend einer vorsorglichen Seele aufbewahrt, d. h. gestohlen worden …
Der Stiletstich war dem verwundeten Pater Sebastus in die Rippen gedrungen … Er hatte die Besinnung, athmete aber schwer und durfte nicht sprechen … Was in seiner Seele lebte, mühte sich Hubertus statt seiner zu sagen … Er traf nicht alles … Pater Vincente, der neben den beiden auf Maisstrohbetten ruhenden Verwundeten und mit dem Luxus einer auf der Erde ausgebreiteten Matratze geschlafen hatte, berührte das Unsagbare schon näher, wenn er sprach: „So ist es mit all unsrer Sehnsucht! Ich kann mir denken, daß ihr beide euer Leben lang nach dem Anblick Roms geschmachtet habt, und die erste Nacht, wo euch vergönnt war, euch am Ziel eurer Wünsche zu fühlen, mußte 87 so verderblich enden! Im Coliseum priesen wir die menschlichere Zeit, die uns nicht mehr den wilden Thieren vorwirft! Raub und Mord sind darum von diesem Boden nicht gewichen! …“ „Man kann Italien nicht verwünschen, das neben Räubern auch einen Pater Vincente hervorbringt …“ dachte Hubertus … Das sah er wol, Klingsohr’s Bewegungen kamen nicht von den Phantasieen des Wundfiebers allein her … Lucinde in Rom! … Lucinde in so glänzenden Verhältnissen! …
Hubertus hatte die Landsmännin bei ihrer Annäherung an die Bettlerschaaren zuerst erkannt und Klingsohr auf sie aufmerksam gemacht … Diesem war sie anfangs eine Täuschung der Sinne, eine Luftspiegelung gewesen … Soll diese erste römische Nacht mich toll machen! rief er … Bald aber sah er, daß auch Lucinde sie erkannte, von dem Offizier, der sie begleitete, fortzukommen suchte und ängstlich ihren Anblick vermied … Nun wagte er dem muthigern Bruder Hubertus zu folgen … Sie umgingen den Stand des Feuerwerks, schlichen sich in den Park, in den Garten, sahen, wie Lucinde sich von ihrer Gesellschaft frei machte und entfloh … Dennoch schnitten sie ihr den Weg ab … Nun schien sie ihnen wirklich Gehör geben zu wollen und schon hatte Hubertus manchem Fragenden den Brief und die Landsmannschaft als einen äußern Grund bezeichnet, den ihr Verlangen haben durfte, jene Dame zu sprechen … Endlich riefen sie ihr zu, redeten sie an – nun war sie gezwungen, sich ihnen zu stellen … Hubertus wußte, was sie Klingsohr gewesen … Dieser sah, wie Lucinde, Rom 88 schon längst als das Höchste auf Erden an, als das Paradies der Seligen schon hienieden … Beim ersten Wort, beim ersten Gruß erging er sich in jenem Entzücken seines geknickten Geistes, das ihm in so beglückender Situation, wie in den besten Zeiten seiner Vergangenheit, wiederkehren mußte … Selbst die Eifersucht loderte auf, als Lucinde nach den Offizieren spähte, dann die Aufschrift des Briefes im Dunkeln zu erkennen suchte … Zerreiße den Brief! rief er. Wir wollen ihn nie, nie geschrieben haben! Bist du hier nicht mächtiger, als ein Bischof! Wer feiert eine Hochzeit – als mit dir! Sieh diese Fackeln, diese Feuerflammen – wie Nero möcht’ ich Rom anzünden, um deine Epithalamien zu singen! … Jesus hilf, sprach diesmal voll Bangen Hubertus statt seiner … Dazwischen kam die Herzogin und bald der Trupp der Offiziere und der jungen Prälaten … Die beiden Bettler wurden verwiesen, hart bezeichnet mit den ihrer Keckheit gebührenden Worten … Aber die Ungeduld, die Freude, die Spannung auf Verständigung nach so langer Trennung hatte sie beide wie im Wirbel ergriffen … Diese wilde festliche Nacht konnte so nicht enden; sie schien alles zu erlauben … Sie ließen den Pater Vincente beim Sack des Klosters, den die Köche, Diener und vornehmen Damen füllten … Sie streiften zum Garten hinaus, erkannten die Möglichkeit, ihm von der Landstraße, vielleicht vom Feld her beizukommen … Nur ein Wort noch Lucinden, nur noch eine Bitte um Wiedersehen, um die Begegnung in einer Kirche, etwa wie im Münster zu Witoborn zu den Füßen des heiligen Ansgarius … So sahen sie jene 89 schleichenden Räuber, wurden Zeugen des Ueberfalls, Lucindens Retter … Klingsohr’s Erinnerung an die Zeit der Mensur stählte seinen entnervten Arm; ohne Waffe erhob er ihn, rang gegen das geschwungene Stilet des Banditen, riß diesen nieder und erlag im Stürzen nur einer größern Gewandtheit und der gereizten Wuth der Entfliehenden, die den Garten sich beleben sahen, während Hubertus schon den Riesen zugleich mit Lucinden niederzog aus den Zweigen des Oleanders, in denen sie sich festhalten wollte … Hubertus drückte das eroberte Pistol los – ohne Scheu, wie einem Jäger geläufig war, der schon manchen Wilddieb niedergeschossen hatte …
Pater Vincente erfuhr, daß die gerettete Dame den beiden Deutschen werth und näher bekannt war … Wieder offenbarte er die Vertrautheit mit einigen deutschen Worten … Ueber sich selbst sprach Pater Vincente wenig … Selbst die Neigung des gesprächsamen Hubertus, sich, wo er nur konnte, in der Sprache des Landes der Schönheit und der Banditen zu vervollkommnen, ergriff er nicht als Anlaß weltlicher Unterhaltung, sondern erinnerte ernst an jene Bitten, die für Kranke zu sprechen die vorgeschriebene Regel des kirchlichen Lebens ist … Dann – ohne den Sack mit Lebensmitteln ins Kloster zurückzukehren –! Eine Aussicht war das auch auf einen Dorn zur Märtyrerkrone mehr …
Um elf Uhr sollte der Tragkorb jener Benfratellen kommen, die einst auch Wenzel von Terschka so wohl verpflegt hatten … Wäre Klingsohr nicht Mönch und bereits dem römischen Glauben gewonnen gewesen, so hätte man ihn jetzt in eine Anstalt gebracht, wo in Rom 90 „Neuzubekehrende“ (Katechumeni und Convertendi) in solchen Fällen leibliche und geistliche Pflege zu gleicher Zeit erhalten … Das Geringste doch, womit sie dann für die Genesung beim Scheiden danken können, ist ein Uebertritt …
Um zehn Uhr schon kam die junge Signora vorgefahren, die gestern hatte von Räubern entführt werden sollen und heute der Gegenstand des Gesprächs und der Aufmerksamkeit für ganz Rom war … Man nannte sie, wie solche Verwechselungen vorkommen, bald eine Fürstin, bald eine „spanische Herzogin“ … Das „Diario di Roma“, die Staatszeitung Sr. Heiligkeit, war noch nicht mit dem aufklärenden Bericht erschienen, wenn die schweigsamste aller Zeitungen überhaupt von dem ärgerlichen Vorfall Act nahm …
In Italien ist noch bei Hochzeiten die Sitte des „Lendemain“ üblich … Der Palazzo Rucca am Pasquino wurde von Wägen und den Abgeordneten der fünftausend privilegirten Bettler Roms (der „Clientela“ der alten Römerzeit) den ganzen Tag nicht frei … Auch nach dem Befinden der Donna Lucinda mußte gefragt werden … Sie selbst hatte ein Dankopfer darzubringen für ihre Rettung … Der nächsten Madonna gebührte der Sitte gemäß diese Huldigung … So hörte sie die Messe in San-Giovanni di Laterano, dem der Rettung nächstgelegenen Gottestempel … Graf Sarzana hatte sie auf diese Sitten beim Nachhausefahren aufmerksam gemacht … Er war im Wagen zurückhaltender gewesen, als in der Gesellschaft … Am Pasquino war er ausgestiegen … Vom Wein, von den Abenteuern 91 und dem Rendezvous bei der Messe – so ließen sich denn doch wol auch seine Andeutungen verstehen – erregt, declamirte er Verse an die Säule des Hadrian, an die Obelisken des Venetianerplatzes, an denen sie vorüberfuhren, misbrauchte aber nicht die Vortheile des Alleinseins mit dem offenbar zum Tod erschöpften Mädchen … Als sie heute den Pasquinostein mit Gensdarmen besetzt fanden, sagte er: Ist diese Wache nicht selbst schon eine Satire? …
Die Messe war wie immer in dem „stiefmütterlich“ behandelten und gegen die Sanct-Peterskirche zurückgesetzten Gottestempel am Lateran einsam und der große, wie fast alle römischen Kirchen einem Concertsaal ähnliche Raum lag ganz in jenem Schweigen, das die Sammlung unterstützen konnte … Lucinde kniete und träumte … Graf Sarzana fehlte … Er hatte sich in aller Frühe schon wegen seines Ausbleibens entschuldigen lassen – Im Duft des Weihrauchs sammelte sie sich … Secreta – Canon – „Wandlung“ – sie unterließ kein Kreuzeszeichen und dachte an die noch schlummernden jungen Ehegatten – an die Morgengeschenke, die Ceccone schon in aller Frühe für das junge Paar geschickt hatte – auch für sie lag eine kostbare Broche, Venetianer Arbeit, dabei – An Graf Sarzana’s Schnurrbart und unheimliche Augen – An die schlaflose Nacht ihrer Feindin, der Herzogin von Amarillas – An Hubertus und seine Vertrautheit mit der ältesten Geschichte des Kronsyndikus – An Klingsohr’s möglichen Tod – An Bonaventura … Dann sang der Priester: Ite Missa est! …
92 Mit gestärkter Kraft schritt Lucinde über die bunte Marmormosaik des Fußbodens dahin … Sie trat aus den Reihen der großen Porphyrsäulen hinaus auf den Platz der „heiligen Treppe“ und ließ sich von ihrem Bedienten in den Wagen helfen …
Der Bediente erzählte, der ganze Weg bis zu Castel Gandolfo, wohin Se. Heiligkeit heute frühe hinausgefahren, wäre des Räuberüberfalls von gestern wegen mit Carabiniers besetzt und würde eben noch von einzelnen Trupps der Leibwache bestrichen, unter denen sich auch Graf Sarzana befunden hätte … Deshalb hatte er bei der Messe fehlen müssen … Lucinde konnte erwarten, daß Se. Heiligkeit selbst sie nächstens beriefen und ihr persönlich seinen Glückwunsch abstatteten … Daß die Regierung hier über den Tod Grizzifalcone’s anders dachte, als jeder gewöhnliche Freund der Ordnung, wußte sie schon … Besonders sollte der alte Fürst Rucca daran auf verdrießliche Art betheiligt gewesen sein … Er hatte ihr kaum einen guten Morgen! gewünscht, als er ihr auf der Marmortreppe seines Palazzo bei ihrer Ausfahrt begegnete und murmelnd in die Bureaux seines Parterre schlich …
Die Fahrt zur Villa Rucca dauerte nur wenige Minuten … Aber der Ueberblick einer Welt konnte sich für ein Wesen wie Lucinde in sie zusammendrängen … Das Nächste: Sollte Klingsohr die Nacht über gestorben sein? war schon abgethan … Vor einigen Jahren hätte Lucinde darin eine Gunst des Zufalls gefunden … Auf ihrer jetzigen Höhe war ihr ein in Clausur eines strengen Klosters lebender ehemaliger Verlobter kein zu 93 gefährliches Schreckbild mehr … Sie hätte ja lieber mit Klingsohr und Hubertus mehr verhandelt … Sie mußte es auf alle Fälle … Der Herzogin von Amarillas wegen, die sie „unschädlich“ machen wollte …
Wie stand sie überhaupt jetzt zu dieser „Posse des Lebens?“ …
Sie lehnte in ihrem offnen Wagen, die Hände ineinandergeschlagen und auf ihren weißseidnen Polstern ausgestreckt, wie eine Fürstin … Das also bot ihr denn doch in der That Rom! … Sehet her, so lohnte sich jener Gang zu dem Bischof, bei dem sie einst ihre „hessische Dorfreligion“, das Lutherthum, abgeschworen hatte … Der „Augenblick“, der goldene „Augenblick“, wie er jetzt dem auf dem goldenen Kreuz über der Kapelle „zur heiligen Treppe“ blitzenden Sonnenschein glich, gehörte ihr, ihr, der „vom Leben Erzogenen“, mit „Thränen Getauften“ – – wie sie im Beichtstuhl zu Maria Schnee in Wien, anzüglich genug für – den ungetauften Bonaventura, gesprochen hatte. Sie wollte diesen Augenblick ihr Eigenthum nennen; sie wollte ihn sobald nicht wieder fahren lassen … Sie wußte, daß sie hinuntersteigen würde … O, das kannte sie schon als ihr altes Lebensloos … Aber bei einem Sturz kommt es auf die Höhe an, von wo herab! … Die Bedingungen des künftigen Elends, das sie vollkommen voraussah, richteten sich nach der Lage, die sie verließ … So dachte sie: Jetzt oder nie! …
Was ist das mit dem Grafen Sarzana? … Warum will mich die Herzogin von Amarillas nicht bei sich behalten? … Warum flüstert der Cardinal so lächelnd 94 mit dem interessanten, geistvollen Offizier, der mir offenbar den Hof macht und doch – … Warum lächelten beide so zweideutig? … Seitdem Lucinde damals vor Nück zu Veilchen Igelsheimer entflohen war, hatte sie für die Verwickelungen des Lebens Gigantenmuth bekommen … Sie hatte auch den Muth, vor nichts mehr – zu erröthen … Sie ahnte, was zwischen Ceccone und dem Grafen Sarzana vor sich ging … Daß sie nicht um Kleines zu erobern war, hatte sie wol schon gezeigt … Ja – haßte sie nicht eher die Männer überhaupt? …
In „Maria Schnee“ hatte sie nicht Zeit gefunden, Folgendes zu beichten:
Sie hatte das Kattendyk’sche Haus um den Thiebold’schen Streit über die Kreuzessplitter verlassen … Sie war zur Frau Oberprocurator Nück gezogen, die sich schon längst ihre wärmste Freundin und Bewundrerin nannte … „Jede kluge Frau“ – stand in Serlo’s Denkwürdigkeiten – „macht die zu ihrer Freundin, die ihrem Platz bei ihrem Manne gefährlich zu werden droht. Kühlt sich durch eine nähere Bekanntschaft dann nicht an sich schon die Glut des Interesses beim einen oder andern ab, so hat die Frau den Vortheil, der Welt die böse Nachrede zu verderben …“ So dachte freilich die Oberprocuratorin nicht, aber die Wirkung blieb dieselbe … Lucinde war bei den täglichen, mit Frau Dr. Nück gepflogenen Erörterungen über Kleiderstoffe, Farbenzusammenstellungen und die Echauffements ihres Gesichts nirgends vor ihrem Mann sicherer, als in seinem eignen Hause … Dennoch verließ sie es, als sie eine grauenhafte Sage, die über Nück im Munde 95 des Volkes ging, bestätigt fand. Er selbst hatte es ihr einst gesagt, daß sich ihm zuweilen eine Binde vor die Augen legte, die ihn verhinderte zu wissen, was er thäte. … Dann müßte er Hand an sich selbst legen … Es waren wirkliche Thränen – „der Nervenschwäche“, die ihm flossen, als er sagte, in solcher Lage würd’ er einmal sterben, wenn nicht ein Wesen um ihn wäre, das ihn vor Wahnsinn bewahrte … Was halfen die „Davidsteine“ aus seiner Beichte bei Bonaventura –! Was half die Erkenntniß, daß jeder, jeder Geist untergehen muß, der anders spricht und handelt, als er denkt – … Am achten Tag nach Lucindens Einzug in sein Haus wollte sie ihm in seine Zimmer einen spätangekommenen Brief tragen und fand ihn hängend unterm Kronleuchter. Das Sopha darunter, das auf Rollen ging, war zurückgeglitten … Der Anblick war furchtbar … In Momenten der Gefahr bewährte sich Lucinde nicht. Sie sah Hammaker den schwebenden Körper hin- und herschaukeln; sie hörte die „Frau Hauptmännin“ ein Wiegenlied auf ihrer Guitarre dazu klimpern; die Blätter in Serlo’s Erzählungen vom Pater Fulgentius und Hubertus flogen auf … Sie floh vor dem grauenhaften Anblick, ohne den Muth zu haben Lärm zu machen … Ja sie fühlte mit grausigem Gelüst der That des Hubertus nach – ihn ruhig hängen zu lassen – den lebensmüden, gewissenszerrütteten Mann – der sie in so entsetzliche Verwickelungen des Lebens geführt, der so viel Verleumdungen und Zweifel über sie in Bonaventura’s Urtheil verpflanzt hatte … Aber nun vor sich selbst als dann einer Mörderin erbebend, konnte sie nichts thun als die Flucht ergreifen … Sie raffte 96 ihre wichtigsten Sachen zusammen, klingelte und lief wie von bösen Geistern verfolgt zu Veilchen Igelsheimer in die Rumpelgasse … Die Nacht über mußte sie annehmen, daß der Oberprocurator – durch ihre Schuld! – todt war … Sie blieb einige Tage versteckt, sie, die Mörderin des Verhaßten … Allmählich erfuhr sie, daß Nück noch lebte und nur heftig erkrankt war … Ueber diese Annäherungen ihres Lebens an Brand und Mord verließ sie die Residenz des Kirchenfürsten. Sie folgte Bonaventura nach Wien … Gefeit gegen alles, zog sie Männertracht an und lebte wie ein Mann … Sie hatte seitdem nichts mehr von Nück gehört, als daß er, zurückgezogen von den Geschäften, auf dem Lande wohnte …
So war sie reif für Rom! … Ihrem Auge hatte sich die sittliche Welt aller Hüllen entkleidet, wie nur einem katholischen Priester, der, um den Himmel lehren zu können, in den Vorkommnissen der Hölle unterrichtet wird … Sie haßte und verachtete, was sie sah – und im Grunde nichts mehr, als die Männer … Für diese hohen Würdenträger der Kirche, für diese Tausende von ehelosen Geistlichen, die Rom zählt, war ihr jeder Begriff von Tugend zur Täuschung geworden. Ist Rom „mit Ablässen gepflastert“, wie jener Pilger zu Bruder Federigo gesagt hatte, so sind die Sünden dort wie Straßenstaub … Die Beichtstühle der katholischen Welt scheinen in Rom mit den Geheimnissen der Menschen seit zwei Jahrtausenden umgestürzt und ausgeschüttet worden zu sein … Ja sogar der Heiligste der Menschen, der Bischof von Castellungo, war – „ungetauft“! … Sein Rival, 97 Pater Vincente, hatte für einen geträumten „Kuß in der Beichte“ gebüßt! … Lucinde nahm nichts mehr, wie es sich gab; sie zweifelte an Allem …
Dem „ungetauften Heiligen“ hatte Lucinde in Wien Dinge gebeichtet, die bei diesem allerdings ihren Besitz der Urkunde Leo Perl’s in Schach halten konnten …
Bonaventura durfte nach diesen Geständnissen ruhiger werden …
Sie hatte in der That begonnen von ihrer Bonaventura schon bekannten Begegnung mit Räubern … Sie hatte erzählen müssen vom Eindruck, den auf eine nicht von ihr genannte, aber leicht zu erkennende Person (Bonaventura ergänzte sich: „Nück!“) die Mittheilung gemacht hätte, daß jener Hammaker seinem frühern Gönner eine tödliche Verlegenheit hinterlassen wollte durch eine ins Archiv von Westerhof einzuschwärzende falsche Urkunde … Sie hatte Nück’s Betheiligung als eine nur passive dargestellt, ihren eigenen Zusammenhang sowol mit dem Brand wie mit dem Fund des Falsificats nur als die äußerste Anstrengung, das Verbrechen zu hindern … Dennoch – sie gestand es, war es ausgeführt worden …
Ein kurzer Schauder Bonaventura’s – ein Seufzen – „Was muß ein katholischer Priester alles in der Beichte hören und verschweigen!“ …
Dann fuhr sie fort und berichtete vollständig, Jean Picard hätte sogar für seine Rettung und Flucht den Beistand eines Mannes gefunden, der zufällig in ihm denjenigen erkannte, für dessen Wohl er noch die letzten Anstrengungen seines Lebens hätte machen wollen … 98 (Bonaventura sagte sich: „Hubertus!“ …) Was aus dem Brandstifter geworden, wußte sie nicht … Nück hätte das Geschehene nicht ohne die größte Gefahr für seine Ehre aufdecken können, wäre auch durch nichts dazu gedrängt worden, da sowol ein Ankläger fehlte wie die anfangs von ihm so gefürchteten Gelderpressungen des Brandstifters, der sich von seinem Unternehmen mit gutem Grund die stete Beunruhigung und Ausschröpfung Nück’s hätte versprechen dürfen … Picard war in einem Grade verschollen, daß man selbst seinen Tod – wer weiß, ob nicht von den Händen seines ungenannten, von Bonaventura errathenen Retters – annehmen durfte …
Alle diese Vorgänge beichtete Lucinde in ihrer vollen Wahrheit, gedrängt von den Drohungen des Grafen Hugo … Sie warf ihre Sorge auf die heilige römische, alleinseligmachende Kirche, auf die nahe Beziehung derselben zu Gott, auf den Schatz der guten Werke, der die reichste Vergebung aller der Sünden gestattete, die die weltliche Welt, die Welt des Gesetzes, die Welt der Fürsten, ihrer Helfer und Helfershelfer nicht zu wissen braucht – – …
Das war die Lehre der Kirche, die ihr immer so wohlgethan … Die gab ihr jenen Muth und jenes Talent, eine „Beate“ scheinen zu können … Was auch an Angst über diese Verbrechen in ihrer Seele lebte, sie warf alles auf Bonaventura … Seiner Vermittelung der grauenhaften und für ihren Ruf, ihre Freiheit so gefährlichen Vorgänge vertraute sie – seiner „vielleicht noch für sie erwachenden“ Liebe – seiner Furcht auch vor ihrem zweiten „Geheimniß“ – über ihn selbst … Zu 99 Enthüllungen über die Ursachen der Flucht Lucindens aus dem Nück’schen Hause blieb die Zeit nicht gegeben …
Den Ton der tiefsten Entfremdung gegen sie, einen Ton aus dem Urgrund der Seele, den Bonaventura nicht überwinden konnte, milderten die priesterlichen Formen … Da erklang der sanfte Ton der Güte, da das stille Murmeln des Gebetes, da die ernste Ermahnung … Furcht über ihre Mitwissenschaft an seinem eigenen tiefen Lebensunglück beherrschte ihn nicht … Schon beim ersten Nennen Bickert’s unterbrach er sie mit den Worten: Jener Verbrecher, dessen Reue Sie immer noch unvollständig machen durch das Zurückbehalten seines Raubes! Warum erhielt ich nie, was Sie von ihm besitzen? Ist Ihr Bedürfniß, sich an mir zu rächen, noch so lebhaft? Warum sagen Sie mir nicht, was ich aus dem beraubten Sarge von Ihnen zu fürchten habe? … Alle diese Fragen ließ Lucinde ohne Antwort und ihn selbst verhinderte sein Stolz, verhinderte sein Schmerz um seines Vaters so schwer bedrohtes Schicksal anzudeuten, daß er den Inhalt der Leo Perl’schen Schrift kannte … Vollends mahnte die nächste Gefahr, die vom Grafen Hugo mit Erneuerung des Processes drohte, zu dringend … Zu dringend sogar die Möglichkeit, daß Lucinde ihrer Freiheit beraubt werden und die Beschlagnahme ihrer Papiere gewärtigen konnte …
Nachdem Lucinde in Bonaventura’s Ohr geflüstert hatte, was sie vom Brand in Westerhof und aus Nück’s Mittheilungen über Hammaker’s Vorhaben wußte, verlebte sie Stunden der höchsten Angst … Sie durfte irgend eine Unternehmung, irgend eine Berührung 100 mit dem Grafen Hugo erwarten … Es wurden aber Tage daraus – zuletzt Wochen … Niemand mehr erkundigte sich nach ihr … Weder der Graf, noch Bonaventura … Hatte dieser den Grafen so vollständig beruhigt, so ganz die von ihr eingestandene Fälschung der Urkunde verschleiert? … Sie hörte Bonaventura’s italienische Predigt; sie theilte die Bewunderung der Hörer sowol über den Inhalt, wie über die Form; sie frischte selbst ihre alte Kenntniß des Italienischen auf und nahm Unterricht darin … Kein Wort aber kam vom Grafen, kein Lebenszeichen von Bonaventura, der inzwischen nach Italien abgereist war – ohne von ihr irgend einen Abschied genommen zu haben …
Anfangs sandte sie ihm einen zornigen Fluch nach, dann erstickte der Schmerz in Schadenfreude … Graf Hugo war denn also wirklich nach Schloß Westerhof gereist und alle Welt erklärte die Heirath zwischen dem Grafen und Comtesse Paula für so gut wie geschlossen … Paula vermählte sich! … Es war das Gespräch der ganzen Stadt …
Inzwischen fing sie an bittre Noth zu leiden … Ihre Geldmittel waren erschöpft … Was sollte sie beginnen? Welchen Weg einschlagen, um sich in dieser so schwierigen Stellung eines alleinwohnenden Mädchens zu behaupten? … Durfte sie es ein Glück nennen, wenn sie hier plötzlich – Madame Serlo und ihren Töchtern wieder begegnete? … Wol durfte die theaterlustige Stadt beide alte Gegnerinnen zusammenführen. Serlo’s Kinder waren schnell herangewachsen und gefällige Tänzerinnen geworden. Sie protegirten Lucinden, 101 die sie herabgekommen, eingeschüchtert, in schon schwindender Jugend sahen. Sie boten ihr nicht nur ihren eigenen Beistand, sondern auch den – ihrer Beschützer. Die Kinder waren leichtsinnig. Die Mutter „genoß“ nun, wie sie sagte, ihr Leben nach langer Entbehrung; sie genoß es auch im Behagen, prahlen zu können; ja – „Herz“ zeigen zu können, gewährte ihr, ganz nach Serlo’s Theorie, eine eigene Genugthuung … Frau Serlo – das war ein elektrischer Leiter für die ganze begrabene Vergangenheit Lucindens … Sie erzählte jedem, was sie von Lucinden und Klingsohr, von Jérôme von Wittekind, vom Kronsyndikus wußte … Daß Dr. Klingsohr in Rom gefangen saß, war allgemein bekannt; oft genug wurde Lucinde in die Lage gebracht, über diese Beziehungen Rede zu stehen …
Sie wohnte in der ärmlichsten Vorstadt … Empfehlungen von Beda Hunnius und Joseph Niggl öffneten ihr wol manches fromme Haus; die Gewohnheiten einer Convertitin behielt sie bei; sie blieb eine der eifrigsten Besucherinnen der Kirchen und Andachten; aber ihre Lage wollte sich nicht dadurch bessern … Von Nück wollte sie nichts begehren … In ihrer steigenden Noth dachte sie: Du schreibst an den Dechanten, wie ihr damals Bonaventura durch Veilchen hatte rathen lassen … Sie unterließ es … „Wenn es nicht die Asselyns wären!“ … Nun suchte sie selbst Stunden zu geben … Ihre Musik suchte sie hervor … Sie versuchte sich sogar in dem ihr gänzlich versagten Gesange … Dies Letztere, um zugleich in der italienischen Sprache sich zu vervollkommnen und sich rüsten zu können zu ihrer 102 letzten „Pilgerfahrt nach Rom“ – „vor’m Zusammenbrechen“ …
Sie nahm Singstunden bei Professor Luigi Biancchi … Sie waren bei diesem gesuchten Maestro theuer … Aber für jede Stunde, die sie in der Currentgasse nahm, gab sie eine in der Weihburggasse, wo Serlo’s Kinder wohnten … Diese wollten den Cavalieren gegenüber, die die Tänzerinnen des Kärnthnerthors auszeichneten, ihre vernachlässigte Bildung nachholen … Eine Weile ging das alles leidlich … Aber wie viel Stunden ließen die undankbaren Mädchen, die sie einst auf ihrem Schoose geschaukelt und so oft auf ihrem Arm getragen hatte, absagen und rechneten sie nicht an! … Zum Glück – bei ihrer Manie für die Ausbildung im Italienischen konnte sie so wol sagen – wurden eines Morgens die beiden alten Männer Biancchi und Dalschefski – verhaftet! … Der Italiener, der Pole verschwanden auf dem Spielberg bei Brünn, wo die „schwarze Commission“ über die Revolutionen tagte …
Das Aufsehen, das dieser Vorfall in ganz Wien machte, der Schrecken, den darüber vorzugsweise Resi Kuchelmeister und Jenny Zickeles empfinden mußten, führte Lucinden diesen beiden Damen näher … Vielleicht würde sie ganz in das Zickeles’sche Haus eingedrungen sein, wenn ihr nicht die noch bei Madame Bettina Fuld verweilende Angelika Müller, „die diese Abenteurerin schon seit Hamburg kannte“, mit mehr als drei Kreuzen entgegengetreten wäre …
Kurz nach Weihnachten hatte Lucinde Tage der Verzweiflung … Sie sprach italienisch, wie eine ge-103borene Italienerin, aber sie hatte Schulden – Schulden – bis zum Ausgewiesenwerden aus Wien …
Schulden machen den Menschen erfinderisch … Sie wecken Genie bei Dem, der dergleichen nicht zu besitzen glaubt … Die Resultate des Nachdenkens jedoch über die Mittel, sich zu helfen, sind nicht immer unserer moralischen Vollkommenheit günstig … Lucinde war nie „gut“; Mittel und Wege, entschieden „schlecht“ zu werden, boten sich ihr genug … Das wohlfeilste darunter, sich unter die Protection irgend eines Mannes, der sie zu lieben vorgab, zu begeben, vermied sie – … Aus zunehmender Abneigung gegen die Männer überhaupt? … Wozu hatte sie so gut Italienisch gelernt! – … „Freund der Seele, ich komme, um meinen Spuk mit dem Fund aus dem Sarge zu entkräften! Ich will ihn in deine Hände zurückgeben! Ich will mit dir die Frage erörtern: Was ist diese Welt, was Glaube, was unsere ganze dies- und jenseitige Seligkeit? …“ Das blieb ihr denn doch noch immer übrig, noch einmal nach Robillante und Castellungo schreiben zu können … Jetzt vollends, wo sich Paula in der That – dem Verbrechen der Fälschung? – hatte opfern müssen – …
Lucinde rechnete und wühlte … Serlo’s Kinder waren hübsch, aber ohne Geist. Ihre Lehrerin brauchte nur bessere Kleider anzuziehen, als sie sich erborgen konnte, und sie hätte schon die Aufmerksamkeit dauernder gefesselt … Wie sonst, so auch jetzt … Lucinde konnte verschwinden und auffallen; sie konnte als Magd und als Königin erscheinen; die Devotion war die Maske für beides … Blinzelte sie nur einmal mit der vollen 104 Macht ihrer kohlschwarzen Augen, gab sie sich mit dem ganzen Vollgefühl ihres übermüthigen Geistes, so erstaunten Grafen und Fürsten, die, mit Serlo’s Töchtern und Madame Serlo plaudernd, die schlanke schwarze Lehrerin im einfachen Merinokleide nicht beachtet hatten … Nach einem solchen Lächeln war ihr Mancher schon nachgesprungen, wenn die schlanke Kopfhängerin mit ihren französischen, von den Jesuiten de la Société de Marie herausgegebenen Geschichtsbüchern sich empfahl … Madame Serlo hatte sie dann beim Wiederbesuch mit einem Hohngelächter empfangen … Wäre Lucinde sentimental gewesen, sie hätte über dies ganze Familienleben ausrufen müssen: O wärst du noch zugegen, du abgeschiedener Geist des armen Vaters dieser Kinder! Sähe dein erbittertes Gemüth eingetroffen, was du schon alles ahntest, als du auf dem Sopha lagst – und ich die Uhr zog, die ich vom Kronsyndikus damals noch hatte, um nach der Stunde zu sehen, wo du die Arznei nehmen mußtest! … Wie oft hatte Serlo gesagt: Und gesetzt, ich würde alt und erlebte, was ich voraussehe, ich kann mir denken, daß ich das Gnadenbrot bei den Meinigen annehme! Nicht wie den alten Lear hinausjagen würden sie mich; nein, ich bekäme die Reste von den Orgien, die sie feiern; ich würde lachen wie ein Lustigmacher, würde leuchten bis zur Treppe und die Trinkgelder nehmen, die dem Papa in die Hand gesteckt werden … „Hunger – thut weh“! konnte Serlo dann wimmern, wie Edgar im Lear …
An Menschenhaß und Weltverachtung nahm Lucinde immer mehr zu … Sie hatte schon im Spätherbst 105 bei einem Besuch des Praters die Entdeckung gemacht, daß die aufgeputzte Besitzerin jener Menagerie von einem jungen Mann begleitet war, über den die alte Holländerin mit ängstlicher Eifersucht wachte … Lucinde wagte nicht ihn schärfer zu betrachten, seitdem sie entdeckte: Das war Oskar Binder, der entlassene Sträfling, der spätere Spieler unter dem Namen „Herr von Binnenthal“! … Und von einem aufgehobenen Spielclub hatte sie gehört, den ein Herr „Baron“ von Guthmann hielt … Die Entdeckung war bei einer polizeilichen Recherche erfolgt, von der die ganze Stadt sprach … Frau Bettina Fuld wünschte bei ihrer Abreise Andenken zu hinterlassen und kaufte zu dem Ende allerlei Schmucksachen. Sie wollte ihre Kasse nicht zu sehr in Contribution setzen und wandte sich auf den Rath der praktischen „Frau von Zickeles“, ihrer Mutter, an eine Auction im Versatzhause … Wie erstaunte sie, dort jenes Armband verkäuflich zu finden, das ihr vor einem Jahr in ihrer Villa zu Drusenheim abhanden gekommen! … Das verfallene Versatzstück war auf den Namen einer Frau von Guthmann eingetragen, derselben, die damals bei ihr so gastlich aufgenommen gewesen! … Die Anzeige, die Arrestation erfolgte … Lucinde las in den Zeitungen die nähern Angaben … Wie versetzte die Hellauflachende das alles in ihre erste Jugendzeit … Vom Lauscheraugenblick, als jene Frau vor ihrem spätern Mann auf den Knieen lag, fing ja ihr ganzes dunkles Leben an …
Lucinde würde zur Verzweiflung gekommen sein, hätte ihr jenes Bild der Jugend nicht auch Treudchen Ley 106 als freundlichere Erinnerung vorgeführt … Durch diese beschloß sie sich zu helfen … Sie schrieb an „Madame Piter Kattendyk“ nach Paris, erzählte, daß sie in der größten Noth wäre, und bat um Hülfe … Da kam ein unorthographischer, liebevoller Brief, der einen Wechsel auf hundert Dukaten einschloß … „Das Glück liegt irgendwo, sagte sich Lucinde – wer es nur fände!“ …
In einem kurzen Sonnenschein des Glücks suchen wir die zuerst auf, denen wir gefallen möchten … So eilte Lucinde zu Resi Kuchelmeister, deren gesunder Ton ihr in freundlicher Erinnerung geblieben war … Sie fand diese in ausdauernder schmerzlichster Trauer über das Schicksal der beiden alten Männer aus der Currentgasse … Resi war an sich so loyal, daß sie jedes dem Kaiserhause und ihrem großen schönen Vaterlande bedrohliche Unternehmen für eine Ausgeburt absoluter Nichtswürdigkeit erklärte; seitdem sich aber Dalschefski und Biancchi auf geheimen Umtrieben hatten betreten lassen, anerkannte sie wenigstens psychologische Möglichkeiten solcher Verirrungen – Frauen beurtheilen alles aus dem Herzen … Biancchi war denn nur geizig gewesen zum besten der Conspirationen! … Ein weitverzweigtes Netz von London über Paris, nach Italien, Ungarn, Polen hatte sich auch um ihn geschlungen! … Und Dalschefski lächelte nur deshalb so ironisch, weil ein Greis mit Jugendmuth in den schmerzlichen Nachklängen des Finis Poloniae lebte … Emissäre hatte „das arme Lamm“ nach Krakau und Galizien befördert, Flüchtlinge, Mitverbundene – Spione … Dem „elenden Pötzl“ schrieb Resi, vielleicht mit Unrecht, das Unglück der 107 beiden alten Männer zu, die mit ihren verwöhnten Bedürfnissen, mit ihren großen edlen Fähigkeiten jetzt in grauen Kitteln zwischen den Wällen des Spielbergs leben mußten … Resi’s Unmuth war ebenso groß, wie ihre Erbitterung über die Gesinnungslosigkeit der Zickeles, wo Jenny plötzlich that, als erinnerte sie sich kaum des „Schöpfers ihrer Stimme“ – sie hatte inzwischen einen neuen Maestro gefunden, der die Methode des vorigen verwarf, wunderbare Enthüllungen machte über den falschen Gang ihrer bisherigen Tonbildung und ihres Stimmansatzes – „eine dilettantische Sängerin ist zu allem fähig!“ sagte Resi … Aber auch die Bühne gab sie inzwischen jetzt selbst auf …
Wer kann den unglücklichen Männern helfen! … dachte Resi … Sie hatte so vielfache Beziehungen – die einflußreichste, Graf Hugo, war nicht anwesend … Da fiel ihr ein: Die Herzogin von Amarillas hatte so treu ausgeharrt bei Angiolinens Seelenmetten …
Zu dieser ging sie in den Palatinus … Olympia, die sie immer noch die Mörderin Angiolinens nannte, war glücklicherweise nicht anwesend …
Als die Herzogin die Bitte vernommen, die darauf hinausging, daß sie sich für einen Landsmann beim Cardinal, dieser aber beim Staatskanzler verwenden möchte, sagte sie voll Staunen: Luigi Biancchi! … Sie hörte allem, was Resi in leidlichem Italienisch von einem ihr so wohlbekannten Namen erzählte, mit größtem Interesse und versprach auch das Möglichste zu thun …
Die Herzogin konnte nichts thun … Zu Olympien durfte kaum der Name Biancchi ausgesprochen werden, 108 ebenso wenig wie zu Ceccone … Resi vergab ihr den Nichterfolg um des Antheils willen, den die weiche Seele um Angiolinen zeigte … Resi erzählte das Leben ihrer Freundin, soweit es ihr bekannt war … Die Herzogin war über jede ihrer Mittheilungen zu Thränen gerührt …
Resi’s leidliche Gewandtheit im Italienischen bestimmte die Herzogin, von einem Verlangen der Gräfin zu sprechen, eine Deutsche als Gesellschafterin zu engagiren und sie vielleicht mit nach Rom zu nehmen … Olympia glühte noch ganz für Benno und Bonaventura … Die Herzogin trug ihr diese Stellung an … Resi ergriff anfangs den Vorschlag und schien nicht abgeneigt … Zuletzt legte sich die Anhänglichkeit der Wienerin an ihre Vaterstadt verhindernd dazwischen und so brachte sie „eine Schülerin Biancchi’s“, ein Fräulein Lucinde Schwarz für diese Stellung in Vorschlag …
Diese bewarb sich und reussirte … Das System, sich anspruchslos, unbedeutend, vorzugsweise nur an den Uebungen der Religion betheiligt zu stellen, stand Lucinden bei allen Anfängen ihrer Unternehmungen bei … So sehr es aufregt, stets in einer fremden Sprache reden zu müssen; so mächtig Phantasie und Herz von den Zaubern Italiens ergriffen wurden, sie beherrschte sich; sie suchte weder Mistrauen noch Eifersucht zu erregen … Der Cardinal reiste erst später nach in Begleitung des jungen Fürsten Rucca … Olympia, die Herzogin und Lucinde gingen voraus …
Lucinde erkannte bald die Natur der Gräfin, die man flüsternd die Tochter des Cardinals nannte … Sie er-109staunte über die Leidenschaft, die sie für Benno von Asselyn zur Schau trug … Jetzt erst erfuhr sie den eigentlichen Zusammenhang, wie Bonaventura zu einem Bisthum in Italien hatte kommen können … Benno wurde in Rom erwartet; die Gräfin sprach von ihm, als sollte ihre Vermählung nicht mit Ercolano Rucca, sondern mit Benno stattfinden … Nun – war er aber wieder entflohen … Jetzt wurde sein Name mit Verwünschungen genannt … Sie hütete sich wol, von ihrer Bekanntschaft mit Benno zu viel zu verrathen … Bald war ihr der junge Principe Rucca eine Art Piter Kattendyk; der alte Rucca ein Stück Kronsyndikus; die Fürstin Mutter eine der vielen alternden Koketten, die sie in ihrem Leben schon kennen gelernt hatte … Der allmächtige Cardinal hatte geistig alles von Nück; nur in seinen Manieren war das Streben nach Glanz und Anmuth vorherrschend … Sie hatte einigemal scharfe Urtheile gefällt, Ansichten über die Zeit, die Verhältnisse Deutschlands ausgesprochen; bei einigen Festen ging sie in gewählter Toilette; da merkte sie – Ceccone warf verstohlene, glühende Blicke auf sie … Es ließ sich ganz so an, als wenn sie eines Tages seine Beute werden sollte – … Sie dachte über die Bedingungen eines so außerordentlichen Sieges nach … Hätte sie sich je dergleichen von Rom träumen lassen! … Nur die Herzogin von Amarillas wurde ihr mit einem jeweiligen sonderbaren Lächeln bedenklich …
Den Lebensbeziehungen Bonaventura’s war sie wieder in einem Grade nahe, der ihr die glänzendste Genugthuung werden mußte … Sie sah, daß er sein 110 Amt mit einem auffallenden Streit gegen den Erzbischof von Coni begonnen hatte … Der Gegenstand desselben gehörte den Gerechtsamen der Inquisition an, die zwar nicht mehr mit Scheiterhaufen, aber immer noch mit Einkerkerungen strafen kann … Die Dominicaner sind die Wächter des Glaubens; sie halten auf ihre Vorrechte um so eifriger, als die Jesuiten sie im übrigen überflügelt haben … Der gestürzte, von Bonaventura befehdete Fefelotti war nicht im mindesten in dem Grade unterlegen, wie Ceccone gewünscht hatte … Gegen einen unruhigen Bischof seiner Diöcese konnte ihn Rom vollends nicht fallen lassen … Noch mehr; Fefelotti kam in die unmittelbarste Nähe des Vaticans zurück. Er wurde der erste geistliche Minister Sr. Heiligkeit, während Ceccone der weltliche war … Jetzt wurde Bonaventura’s Lage vollends schwierig – … Noch ein anderer Schlag gegen ihn war in Vorbereitung, die Verurtheilung der dem apostolischen Stuhl aus Witoborn vorgelegten Frage über den Magnetismus – „ob sich ein Priester nicht durch magnetisches Handauflegen verunreinige“*)? …
Mitten im Gewirr dieser sich durchkreuzenden Gerüchte und leider nur halbverbürgten Nachrichten, hörte Lucinde, daß Paula’s Bund mit dem Grafen Hugo wirklich im Frühjahr war geschlossen worden … Resi Kuchelmeister schrieb ihr authentisch diese Nachricht … Resi schilderte, was sie gehört von der in der Libori-Kapelle bei Westerhof stattgefundenen Trauung … Sie schilderte Paula’s erstes Auftreten – in Wien – wie die geisterbleiche, 111 mehr dem Himmel, als der Erde angehörende Gräfin ein Aufsehen sondergleichen mache, wie sie alle Schichten der Gesellschaft in Bewegung setze … Lucinde befand sich im Glück; das machte ihr Urtheil milder … Bonaventura hatte Paula aufgeben müssen; das ließ eine Weile ihre Eifersucht schweigen … Auf der Höhe des Verständnisses dieser unglücklichen Liebe stand sie ohnehin und wohl empfand sie, was in Paula’s Seele vorgehen mußte … Graf Hugo hatte ihr einmal eine schreckhafte Stunde des Lebens bereitet, er hatte zornig und drohend mit ihr gesprochen und so schrieb sie denn an Resi: „Das ist unser Frauenloos! Die Lilie vom See in einen Stall verpflanzt! Veilchenkränze vom Bachesufer in ein mit Tabacksqualm durchzogenes Zimmer! Hände, weich und weiß wie Schwanenflaum, blätternd jetzt in einem abgegriffenen Lebensbuch! Aber gewiß! Der Graf wird sie schonen! All die Künste der «Egards», mit denen die Männer sich zu verstellen wissen, wird er entfalten … Er wird sich auf den Ton der Tugend und Achtung vor dem Schönen stimmen! Wie wird er um sie her einen Tempel aus bunten Lügen-Wolken bauen, einen Tempel mit schönen Säulen und Vorhängen, die undurchsichtig sind, um – den Stall, die Cigarre, den Wein, die Untreue zu verbergen! … Aber manchmal verwickelt sich denn doch der Sporn des plumpen Fußes in die zarten Teppiche, die auf dem Boden gebreitet sind; manchmal reißt er die Herrlichkeit der Lüge zusammen. Da stürzen die alabasternen Vasen, zerbrechen die kleinen Hausgötter des Friedens, der erlogene Seladon wird zum schnurrbärtigen Barbaren, wie ich sie alle gefunden habe, diese Erlauchts, diese 112 Excellenzen, diese Durchlauchts … Dann kommen Dinge zu Tage, die für uns Frauen wie Offenbarungen aus der Welt des Mondes sind! Seit dem Anfang der Welt belügen so die Männer die Frauen, misbrauchen mit ungroßmüthiger Kraft unsere urewige Schwäche, die immer wieder die Füße küßt, die uns getreten … Vielleicht führt der Graf seine Rolle wenigstens durch bis zum stillen Verlöschen des Lichts, das ihm der Himmel zu hüten beschieden hat. Vielleicht besitzt er, da sie ihn gutmüthig nennen, wenigstens die Geduld des Ausharrens bis zum Ende … Ich kann mir den Glauben der Aerzte nicht geben, die diese Paula wie eine welk gewordene Blume an solchen Küssen und Umarmungen aufleben sehen und eine gesunde Mutter mit sechs pausbackigen Jungen in Perspective dieser Ehe erblicken. Zieht der Graf nach Schloß Salem, so fällt aus der dortigen Luft allein schon ein Mehlthau auf die zarte Pflanze; selbst wenn sie nie erfährt, wer die andre arme Seele war, die einst dort in den kleinen Entresols des Casinos gehaust hat“ … Resi Kuchelmeister nahm diesen Brief sehr übel und antwortete nicht mehr …
Es war eben in der Welt nur Ein Mann, der Lucinden liebenswerth erschien … Hochthronender denn je unter allem Elend und aller Schwäche dieser Erde lebte er in seinem einsamen Alpenthale … Wie gern hätte sie ihn in seinem jetzigen Glanz erblickt! In seiner langen weißen Dalmatica, mit seinem silbernen Bischofsstab, unter seiner spitzen Bischofskrone, die ein Haar bedeckte, das schon, wie sie bei ihrer Beichte zu Maria-Schnee gesehen, zu ergrauen anfing! 113 … Wie gegenwärtig war ihr alles, was Bonaventura über diesen Bund Paula’s empfinden mußte … Sie ängstigte sich um die Gefahren, die ihn bedrohten … Hätte sie nur mehr davon erfahren … Sollte sie sich an den Cardinal wenden? … Ceccone hatte den Kopf mit dem „Jungen Italien“ und den Vorwürfen des Staatskanzlers voll und Olympia sprach nur selten noch anders, als mit Hohn über den von ihr zum „Heiligsten der Christen“ und zum Bischof ernannten Deutschen … Die Herzogin schien ihr eher eine Bundsgenossin; doch mußte sie mit dieser – „erst einen Vertrag abschließen“ …
Eines Tages hatte sich Lucinde, als Olympia nicht anwesend war, nach einem kleinen Diner bei der Herzogin, dem der Cardinal, einige Prälaten und Offiziere beiwohnten, den Scherz erlaubt, den großen rothen Cardinalshut des erstern aufzusetzen und damit vor den Spiegel zu treten … Das Gespräch war so lebhaft, das Lachen so natürlich gewesen, daß Lucinde sich diesen kleinen Rückfall in ihre alten „Hessenmädchen“-Naivetäten glaubte beikommen lassen zu dürfen …
Una porporata! rief Ceccone mit glühenden Augen und beifallklatschend …
Der große rothe Sammthut mit den hängenden Troddeln von gleicher Farbe stand dem schwarzen Kopfe in der That allerliebst …
„Die Päpstin Johanna!“ sagte ein Offizier, der Lucinden zu Tisch geführt hatte … Er schien sich gut mit ihr unterhalten zu haben … Man nannte ihn den Grafen Sarzana … Er stand bei der Nobelgarde und war noch nicht lange von Reisen zurück …
114 Der Cardinal drohte ihm für sein Wort schelmisch mit dem Finger, sagte, wie zur Strafe: „Nein! Die Gräfin Sarzana!“ … Damit setzte er Lucinden den schönen Helm des Offiziers auf …
Eine Purpurglut überfloß sie … Ihre verunglückte Johanna d’Arc auf der Bühne stand wieder vor ihr … Sie hatte keine Kraft, ein Wort zu sprechen, keine Kraft, den Helm wieder abzunehmen, bis es Herzog Pumpeo that … Der Cardinal hatte den seinigen ergriffen …
Seit dieser Zeit wurde sie mit „Gräfin Sarzana“ geneckt und von niemand mehr als von Ceccone … Der Graf, der sie nach dieser Scene anfangs auffallend gemieden hatte, fing plötzlich sogar selbst an, den Scherz wahrmachen zu wollen … Er zeichnete sie aus …
Lucinde wußte, daß Don Agostino ein Graf „ohne Baldachin“ war, d. h. ohne Stellung zum hohen römischen Adel. Ein Marchese ist mehr als ein römischer Graf. Sie wußte, daß Graf Sarzana arm war und unter Cavalieren nach dem Schlag des alten Husarenrittmeisters von Enckefuß lebte. Galanterie und die Kunst, mit 1500 Scudi für sich und ihre Diener auszukommen, erfüllte das Leben dieser „armen Ritter“ – unter denen sich Frangipanis und Colonnas befinden …
Wie sich aber die Neckereien mit der „Gräfin Sarzana“ mehrten, trat ihr die Vergleichung des alten Enckefuß mit diesen römischen Rittern noch in einer andern Beziehung entgegen … Der alte Husarenrittmeister hatte Ehrgeiz, Ritterlichkeit, Treue, Aufopferung für gute Freunde, Tugenden, die die Fehler seines Leichtsinns vergessen ließen … Seltsam aber, sagte sie sich, diese romanische Art 115 besitzt von alledem wenig oder gar nichts und regiert doch die Welt! … Die anständigsten Menschen hatte Lucinde hier gewinnsüchtig und schmutzig geizig gefunden; ein gewisser Adel der Auffassungen, der ihr selbst noch in der äußersten Entartung des heimischen Junkerthums, im Kronsyndikus, bei ernsten Krisen erinnerlich war, fehlte hier … Sie sah anständig gekleidete Männer Abends in die Kaffeehäuser zu den Gästen treten, die Achsel zucken und den Hut hinhalten – um einen Bajocco zu erhalten … Selbst die Herzogin von Amarillas fand in solchen Vorkommnissen nichts als die allgemeine Consequenz des südlichen Lebens … Mit dem äußern Schein der Demuth verband sich, wo Lucinde hinblickte, eine Gewöhnlichkeit der Anschauungen, die selbst ihre leichte Art zu denken und zu urtheilen noch überschritt … Im Theater, das sie wegen Olympiens Koketterie besuchen mußte, sah sie zwanzig Tage hintereinander dieselbe Oper oder Farce … An manchen Stellen, wo Rührung hervorgebracht werden sollte, zitterten wol die Stimmen der Sänger, der Schauspieler; die Taschentücher wurden gezogen; aber meist waren es Ausbrüche von Klagen, die ihr weit eher lächerlich vorkamen … Anderes wieder, das selbst für sie roh und herzlos erschien, ging bejubelt oder als „großartig“ vorüber … Maßstab aller Beurtheilungen war die Klugheit oder Dummheit, die man bewiesen. Eine geschickt ausgeführte List erntete Bewunderung … Und nicht anders im täglichen Leben. Der alte Rucca war, wie alle sagten, ein Gauner. Er stand im besten Einvernehmen mit den Cardinälen … Sein Sohn hatte die 116 Eitelkeit eines Affen. Seine Kameraden waren ebenso. Anmaßung, Unwissenheit überall … Einige der römischen Junker trieben Politik und hielten sich zur „nationalen“ Partei. Ihre Unzufriedenheit bestand darin – daß im Sanct-Peter bei großen Festlichkeiten „die Gesandten und die Fremden die Plätze erhielten, die ihnen gebührten“! … Oder sie fanden, daß der Kirchenstaat zu sehr von Paris, Neapel und Wien beherrscht wurde; sie wollten die Herrschaft der alten Geschlechter wiederherstellen. Selten, daß sich einmal bei der Herzogin eine unterrichtete Persönlichkeit einfand. Die „Prälaten“ besaßen Kenntnisse, mehr noch, angeborenen Geist; aber eine Einbildung verband sich damit, die jedes Maß überschritt. Nach ihnen war jede Wissenschaft zuerst in Italien entdeckt worden … Wenn Cardinal Ceccone „auf sein Alter Neuerungen liebte“, so bestanden diese nur in dem eifrigsten Verlangen, den Einfluß der fremden Cabinette zu beseitigen … Seitdem hatte freilich der Staatskanzler auch ihm von dem „Salz“ gesprochen, das auf das dem Erdboden gleichzumachende Mailand gesäet werden müßte … Doch ging alles so keck, so sicher, so maßgebend her! … Diese elende Verwaltung! … Die Zölle befanden sich in den Händen von Pächtern, die so rücksichtslos verfuhren, daß Zahlungsunfähige wider Willen zu Flüchtlingen, Räubern und Mördern wurden … Auf Anlaß des gestern von Hubertus niedergeschossenen Pasqualetto wußte Lucinde zwei Thatsachen. Einmal daß sämmtliche fremde Weine, die Ceccone trank und seinen Gästen vorsetzte, unversteuerte waren. Zweitens daß Graf Sarzana gesagt hatte: Diese Kugel hat den Pas-117qualetto für seinen letzten Räuberspaß zu früh gestraft! Er wollte ja von morgen an ehrlich werden! Er war nur hier, um nach Porto d’Ascoli mit einer Pension zurückzukehren! …
Die scharfen und freisinnigen Urtheile des Grafen kamen nur in vereinzelten Augenblicken … Sie schienen einer Stimmung des Hasses gegen den Cardinal zu entsprechen, des persönlichen Hasses; denn die sämmtlichen Sarzanas waren Creaturen des Cardinals und ihm auf Tod und Leben verpflichtet … Don Agostino hatte Verwandte, die nicht gerade des Abends in den Kaffeehäusern achselnzuckend bettelten, aber für jede Gefälligkeit eine Bezahlung verlangten … Die Schwester des Grafen war eine Geliebte Ceccone’s gewesen – alt geworden hütete sie seine Landökonomieen … Ein Bruder von ihm verwaltete des Cardinals Oelmühlen – … Als er sich zu viel Privatvortheil aus ihnen gepreßt hatte, ließ ihm der Cardinal die Wahl zwischen dem Tribunal del Governo oder der Heirath einer seiner vielen Nichten, die er nicht alle so auszeichnen und unterbringen konnte wie Olympia … Ceccone trieb, das entdeckte ganz aus sich selbst Lucinde, die Ostentation mit dieser Nichte nur deshalb, weil so der Schein gewonnen wurde, als hätte er überhaupt nur Eine dergleichen zu versorgen! … Der Cardinal lachte überlaut, als ihm Lucinde zwei Tage nach dem aufgesetzten Purpurhut diese Andeutung mit einem verschämten Blinzeln durch die Finger ihrer vors Gesicht gehaltenen linken Hand gab … Ein dritter Verwandter des Grafen war durch Verheirathung mit einer andern Geliebten des Cardinals Aufseher aller Häfen geworden … Und Don Agostino? … Pah, dachte Lu-118cinde, sieht Ceccone ein, daß du nicht, wie hier Sitte ist, durch eine Verheirathung mit seinem Majorduomo oder seinem Koch zu erobern bist? … Sollst du deßhalb, deßhalb die Gräfin Sarzana werden –? … In diesen Grübeleien lebte sie jetzt … Es gab Entschlüsse zu fassen fürs Leben … Es standen Erwägungen bevor, die die außerordentlichste Anstrengung des Verstandes, der List, der Berechnung, vielleicht – des Herzens kosteten …
Sie hatte noch keinen klaren Entschluß gefaßt – … Aber das stand fest: Benno von Asselyn urtheilt gering über dich und seine Mutter infolge dessen lächelt und zuckt dir die Achseln! … Das soll nicht mehr sein! Dies Lächeln der Herzogin von Amarillas soll ihr ein für allemal verdorben werden! …
Lucinde wollte auf Villa Rucca den beiden ihr so nahe stehenden Mönchen die Theilnahme alter Freundschaft und Dankbarkeit nicht versagen, sich aber im übrigen durch sie vergewissern, ob die Herzogin jene Betrogene von Altenkirchen, jene Römerin war, von der auf Schloß Neuhof soviel Sagen gingen, die Hubertus doch wol wissen mußte …
Einen fatalen Eindruck machte es ihr jetzt beim Anfahren, daß sie die Villa Rucca keinesweges in der Stille antraf, die sie zur Ausführung ihrer entschlossenen Absichten bedurft hätte … Nicht nur wurden eben von einer Menge Arbeiter die Spuren des gestrigen Festes entfernt, sondern auch eine Gerichtscommission war zugegen, die die gestrigen Vorfälle aufnahm und der nun gerade ihr Erscheinen zu statten kam, um von ihr noch einige an sie gerichtete Fragen beantworten zu lassen … Der Cardinal sogar und der alte Fürst Rucca 119 waren zugegen … Sie hörte schon, daß beide am Ort des gestrigen Ueberfalls mit den Mönchen Hubertus und Vincente im Gespräch verweilten … Ueber Sebastus erfuhr sie, daß es mit seiner Wunde nicht gut stand und die Benfratellen jeden Augenblick erwartet wurden, ihn abzuholen …
Auch dem Cardinal und dem Fürsten war sie im höchsten Grade und als Dolmetscherin willkommen … Beide suchten mit dem drolligen Laienbruder, dessen Aeußeres vom Dienertroß belacht wurde, eine Verständigung, die Pater Vincente nur mühsam vermittelte … Lucinde wurde sofort gerufen, in den Garten zu kommen …
An der Stelle des gestrigen Erlebnisses harrten ihrer die drei geistlichen Herren und der alte Rucca im lebhaftesten Gespräch …
Hubertus grüßte sie mit aufrichtigster Freude und drückte nur mit Trauer Befürchtungen wegen seines Freundes Sebastus aus … Seine Augen sagten: Sei dankbar! Es geschah alles um dich! Bleibe uns ein guter Engel! Entsende den Brief – wenn er noch nöthig ist – Deinen Verbindungen gegenüber! Du weißt, was wir beide seit Witoborn gemeinschaftlich zu tragen haben! …
Lucinde beglückte und beruhigte ihn durch einen ihrer gütigsten Blicke …
Pater Vincente und der Cardinal erhielten von ihr die Ehren, die der kirchlichen Stellung derselben gebührten … Pater Vincente – „der Rival Ihres Bonaventura um die nächste vacante Heiligenkrone“ –! wie neulich Olympia zur Herzogin gespöttelt hatte – Ceccone das Bild des Ver-120suchers, der mit einiger Reserve über alle Schätze der Erde gebietet … Lächelnd stand er und schien Lucinden mit geheimnißvollen Zeichen begrüßen zu wollen … Aber sie blieb voll Demuth …
Der alte Fürst war wie ein luftschnappender Hecht, der sich nicht in seinem Elemente befindet … Vor dem heiligen Pater Vincente mußte er Ehrfurcht bezeugen und ärgerte sich doch, daß dieser nicht geläufiger deutsch verstand … Mit gemachtem süßsauern Lächeln verwies er Lucinden auf den von Pater Vincente vorgetragenen Stand einer Verhandlung, der zufolge sie erfuhr, daß der Räuberhauptmann Pasquale Grizzifalcone in der That nach Rom gekommen war auf Veranlassung – zunächst des Fürsten Rucca …
Sie traute ihrem Ohre nicht … Der Fürst versicherte jedoch ungeduldig: Ebbêne! und wendete sich zu Vincente mit einem drängenden Parla dunque! nach dem andern …
Lucinde hörte, daß der berüchtigte Verbrecher, der schon vielfach sein Leben verwirkt hatte, hier auf dieser Villa erwartet worden war zu einem friedlichen Gespräch, das der Fürst mit ihm unter vier Augen hatte halten wollen …
Pasqualetto, wie er im Munde des Volkes hieß, hatte die Bürgschaft der Sicherheit verlangt … Diese hatte er erhalten auf das dem Fürsten gegebene Ehrenwort – des Cardinals …
Dieser nickte ein Ja! und setzte sich jetzt …
Zur Summe, die der Räuber als Bedingung seines Erscheinens verlangte, hatte dieser „dumme Kerl“, wie der Fürst sagte, noch eine „buona manchia“ extra 121 verdienen wollen; eine Summe von einer der „Prinzessinnen“, die sich vielleicht im Garten zu sicher dünkten … Vielleicht auch – eine Geisel für seine Sicherheit zu denen, die er schon in den Schluchten der Mark Ancona besaß … Dies setzte der Fürst mit einem seltsamen Streiflicht auf das „Ehrenwort“ des Cardinals hinzu …
Sie hätten nun gestern beinahe noch zwei solcher Geiseln gefunden, aber Pasqualetto hätte leider dran glauben müssen … Leider! betonte der alte Fürst in allem Ernst und corrigirte sich nur pro forma: Der Bluthund! … Dabei sah er über die Mauer, wo noch die Spuren der gestrigen Verwüstung nicht getilgt waren …
Der Nimmersatt! ergänzte Ceccone ironisch und ließ zweifelhaft, wen er meinte …
Lucinde orientirte sich allmählich …
Der Fürst erging sich in der heftigsten Anklage eines Menschen, der hier den Staatsbehörden völlig in der Eigenschaft einer gleichberechtigten Macht gegenüberstand … Dabei richtete er seine Vorwürfe geradezu wie die öffentliche Meinung gegen Hubertus …
Dieser Arme verstand sie nicht und suchte nur mit seinen glühenden Augen, die im Knochenschädel hin- und herfunkelten, zu deuten, was seine Ohren nicht begreifen konnten … So viel merkte er allmählich, daß er den hohen Herren wol gar keinen Gefallen mit seiner raschen Anwendung des Pistols gethan hatte …
Der Cardinal wiegte sich im Sessel, brach über sich Lorberblätter, die er in seiner flachen Hand zerklopfte, und beobachtete nur scharf fixirend Lucinden … Daß 122 diese die Mönche Hubertus und Sebastus kannte, schien ihm darum von Interesse, weil sich die kleinen pikanten Episoden der gewöhnlichen Devotion und amazonenhaften Kälte dieses fremden Mädchens immer zahlreicher einzufinden begannen …
Durch diesen Tod, krächzte der alte Fürst offen zu Hubertus heraus, haben Sie die heilige Kirche um eine große Gelegenheit gebracht, Gerechtigkeit zu üben! … Sie hätten sich getrost von hier sollen entführen lassen, schöne Signora! scherzte er, sich mäßigend … Ich würde mit Vergnügen das Lösegeld gezahlt haben – Der Cardinal da hätte den Rest hinzugefügt – setzte er mit sardonischem Lächeln und seine Aufregung zügelnd hinzu …
Senza il supplimento! … Ohne das Agio! erwiderte der Cardinal ebenso trocken ironisch … Er streckte seine rothen Strümpfe vor sich auf die unteren Sprossen eines Sessels aus … Sein Bein war noch untadelhaft … Kopfnickend bestätigte er alles Erzählte, nur mit einer gewissen ironischen Bitterkeit …
Sie können alles wieder gut machen, fuhr der alte Fürst zu Hubertus fort, wenn Sie sich die Gnade des Pater Campistrano erwerben und wirklich diese Reise nach Porto d’Ascoli unternehmen wollen …
Nach Porto d’Ascoli? fragte jetzt Lucinde staunend über die Anrede, die sie übersetzt hatte …
Beim Namen des Pater Campistrano blickte Pater Vincente besonders ehrfurchtsvoll – …
Hubertus stand unbeweglich, dem alten knorrigen Myrtenstamm nicht unähnlich, an den er sich lehnte … Er 123 hatte schon vorhin von einer Reise nach der Küste gesprochen – das war richtig – er verstand nur noch zu dunkel den Zweck und sah auf Lucinden als Hülfe …
Diese wollte sich erst vollständiger zurecht finden, wollte auch die Interessen des Cardinals erst sondiren, ehe sie vermittelnd eingriff … Wie den Cardinal diese Klugheit entzückte, die er vollkommen übersah! … Ceccone schien gleichgültig, spielte mit seinem Augenglase, fixirte bald Lucindens Toilette, bald das Curiosum der Gesichtszüge und Gestalt des deutsch-holländischen Laienbruders, das er belachte …
Hubertus hatte allerlei Dinge von einem Pilger, von einem Deutschen gesprochen, die ihrerseits Lucinde nicht verstand …
Erst allmählich lüftete sich ihr folgender, größtentheils von Pater Vincente vermittelter Zusammenhang …
Der Räuber Pasqualetto war, wie im Musterstaat der Christenheit, im Eldorado der katholischen Sehnsucht, üblich, unter dem Versprechen der Sicherheit nach Rom entboten worden, um für eine bedeutende Summe dem Fürsten Rucca Mittheilungen über die Lage seiner Interessen an der adriatischen Küste zu machen …
Der Gewinn, den der gefürchtete Räuber von seinen Unternehmungen zog, mußte sonst mit seinen Gefährten getheilt werden; diesmal wollte er die Frucht langer Verhandlungen, eine lebenslängliche Pension ganz für sich allein, wollte seine Wohnung inskünftige in der frommen Stadt Ascoli nehmen und sein bisheriges Leben der Nachsicht der Behörden empfehlen … Solche letzte Friedensschlüsse der Regierungen mit den Fra Diavolos 124 der Landstraßen sind in Italien nichts Seltenes und für Jedermann daselbst das Erwünschtere, weil Sicherste … Wenn auch zugestanden werden muß, daß sich Ceccone und das Tribunal gegen diese Uebereinkunft sträubten, so wußte doch Fürst Rucca seinen Wünschen Nachdruck zu geben und nicht blos im Scherz sagte er zu den höchsten Richtern: Fürchtet ihr, daß eure Namen auch auf der Liste derer stehen werden, die mir die Füllung des Schatzes des Heiligen Vaters mit der Zeit unmöglich machen? … Besonders sah wol gar Ceccone den Enthüllungen des Pasqualetto mit unheimlicher Spannung entgegen … Der Fürst hatte heute ganz den übeln Humor, der jeden Gastgeber am Morgen nach einem Feste, wenn es auch noch so schön ausfiel, zu erfüllen pflegt … Er äußerte ihn in aller Offenheit mit den Worten: Ich glaube, diesen Mord des armen Pasqualetto hat jemand auf dem Gewissen, der sich fürchtete, auf zehn Jahre zurück seinen Champagner versteuern zu müssen! …
Der Cardinal zog verächtlich die Lippen … Lucinde sah, daß, wenn der Cardinal hier etwas fürchtete, mehr im Spiele sein mußte als sein unversteuerter Champagner … Doch auch schon diese Beschuldigung durfte den Cardinal mit Recht reizen … Er verwünschte alle die, die der Kirche und ihren Cardinälen Uebles nachsagten …
Hubertus horchte nur …
Der Räuber war, erfuhren er und Lucinde, am Tiberstrand mit einigen alten Kameraden aus San-Martino, einem bekannten Räubernest im Albanergebirg, in Berührung gekommen und hatte bloß den Spaß am 125 Feste seines versöhnten Feindes noch als „Zugabe zum Fleisch“ ausführen wollen … Die Verständigung zwischen dem Fürsten Rucca und Pasqualetto war auf brieflichem Wege vor sich gegangen – wenn auch mit der größten Schwierigkeit … Der Schmuggler- und Räuberhauptmann konnte natürlich selbst weder lesen noch schreiben … Für sein Vorhaben, die Hehler unter den Kaufleuten und die mit ihnen und den Schmugglern unter einer Decke wirkenden Zollbedienten anzugeben, mußte er sich eines verschwiegenen Beistandes, der schreiben und lesen konnte, bedienen. Für solche Fälle gibt es in Italien die Mönche, falls sie – schreiben können … Aber selbst diesen hatte Pasqualetto nicht getraut. In Ascoli wollte er seine Tage in Ruhe beschließen; er war wol auch gerüstet, die Rache der von ihm Verrathenen zeitlebens gewärtigen zu müssen, hatte sich auch deshalb für die Schlimmsten unter den Defraudatoren die Verzeihung erbeten; aber er vertraute sich sogar den Mönchen nicht gern an. Wo fand sich auch bei ihnen der Muth, Vermittler eines so eine ganze Provinz in Furcht und Schrecken versetzenden Strafgerichts zu werden! Die Mönche mehrerer Klöster, bei denen er anklopfte, baten ihn himmelhoch, keine dergleichen Thorheit zu begehen und in solcher Form reuig werden zu wollen! Wendet Euch doch an uns und die Madonna! sagten sogar die Aebte … In der Kathedrale von Macerata gab es ein wunderthätiges Marienbild, das alles vergab … Kurz Pasqualetto war loyaler, als die ehrwürdigen Väter und vollends als die einsam wohnenden Landpfarrer, die sich mit einer solchen Provocation der Rache der Betheiligten am wenigsten 126 einlassen wollten … Wie sehnte sich der riesige Pasqualetto, der eiserne Pfosten aus Brettern ausbrechen, nur nicht schreiben konnte, nach einem Dolmetscher seiner Wünsche! … Kaum daß er einige Mönche so weit brachte, für die Verständigung mit dem Generalpächter der Steuern die ersten Einleitungen zu treffen …
Hier wollte der Fürst wieder selbst erzählen … Pater Vincente trug ihm alle diese Geschichten mit einem zu elegisch eintönigen Klange und wie von der Sündhaftigkeit dieser Welt wenig erbaut vor …
Man hörte indessen doch aus des Priesters Munde:
Seine Hoheit waren seit lange in ihren Einnahmen nicht so verkürzt gewesen, wie in den letzten Jahren. Während die statistischen Ausweise aller Staaten eine Zunahme der Zollerträgnisse erwiesen, sanken in schreckenerregender Weise die des Kirchenstaats. Ein Gewebe von Defraudationen hatte sich gebildet, das neben dem geregelten Steuerwesen des Staats und der Pächter ein zweites der Schmuggler, der treulosen Zollbedienten und Consumenten bildete. Fürst Rucca schwur, daß er im vorigen Jahr den Ausfall einer halben Million gehabt und in diesem Jahr würde das Uebel noch ärger werden. Er wollte ein Gericht mit Schrecken halten. Wozu war Ceccone’s Nichte seine Schwiegertochter geworden …
Pater Vincente sprach letzteres nicht alles … Lucinde ahnte es … Der Pater senkte die langen schwarzen Augenwimpern … Wie sah er so heilig aus … Ceccone fing an, ihn schärfer zu beobachten … Er dachte: Fefelotti will Dich zum Cardinal machen? … Das ist von meinem Gegner theils Koketterie mit der Mode 127 der Frömmigkeit, theils eine erneute Schaustellung der Lebensweise Olympiens und eine Verurtheilung meines Systems … Die geistliche Intrigue ergreift jedes weltliche Mittel … Ceccone versank in brütendes Nachsinnen …
Hubertus aber und Lucinde erfuhren:
Pasqualetto wollte sich durchaus noch immer nicht nach Rom begeben, aber auch seine Liste von Kaufleuten, reichen Grundbesitzern, vielen vornehmen Männern in Rom, vorzugsweise von Zollbedienten und Helfershelfern der Schmuggler blieb ungeschrieben … Das Geschäft rückte nicht vorwärts … Endlich begab sich Pasqualetto mit seinen nächsten Vertrauten in die Gegend von Loretto … Dort wollte er nächtlich einen Pfarrer überfallen und ihn mit geladener Flinte zwingen, niederzuschreiben, was ihm „unter dem Siegel der Beichte“ dictirt werden würde … Da fiel ihm vor Loretto ein Haufe Pilger in die Hände. Diese, so arm sie waren, plünderte man aus und entdeckte, daß einer derselben, der der ärmste von allen schien, nur eine Bibel (ein verbotenes und allen Steuerbeamten als zu confisciren bezeichnetes Buch) und ein Taschenschreibzeug besaß … Diesen glücklichen Fund hielt man fest … Ein Gefangener, der schreiben konnte! … Ein Bettler, der sich, wenn es sein mußte, aus der Welt schaffen ließ, ohne daß viel Nachfrage danach war … Diesen Unglücklichen schleppten die Räuber mit sich und hielten ihn seit Monden gefangen. Es war ein Greis, krank, hinfällig; er kam von den Alpen her, hatte nach dem südlichen Italien gewollt – er nun war der Vertraute einer hochwichtigen Staatsaffaire geworden …
128 Und hier eben war es, wo schon bei der früheren Erörterung dieser Dinge Hubertus in seiner regsten Theilnahme aufgewallt war …
Ingleichen gab auch Vincente jetzt wie vorhin über diesen gefangenen, dem Verderben preisgegebenen Pilger Zeichen eines gesteigerten Interesses …
Den Pilger zwangen die Räuber, Nachts über die wildesten und schroffsten Felsenwände zu klettern und mit ihnen in einsamen Höhlen zu campiren … In einer verlassenen Zollwächterhütte am Meeresstrand fand sich nach drei Tagen das nothwendige Papier und nun begann die Correspondenz mit Rom … Das war ein Verkehr wie zwischen zwei Cabinetten … Grizzifalcone ging vorsichtig zu Werke … Die Actenstücke seines Verrathes mehrten sich … Der Pilger mußte Namen und Orte, alle Waaren, die seit Jahren nicht versteuert gewesen zu sein sich die Schmuggler entsannen, alle Hehler, auch die Schlupfwinkel niederschreiben, wo die Waaren geborgen wurden, Fischerhütten bei San-Benedetto, Leuchtthürme am Fosso Bagnolo, Felsenschluchten bei Grottamare, Zollwächterhäuser beim Hafen von Monte d’Ardizza – nichts blieb ungenannt … Der unglückliche Pilger hatte Bogen vollgeschrieben mit Geständnissen, die dem Fürsten Rucca Gelegenheit zu einem Strafgericht geben sollten … War nun dies Convolut mit Pasqualetto mitgekommen? … Wo befand es sich? … Es fehlte …
Hier fragte Lucinde, warum sich der Fürst diese Papiere nicht schon früher hätte zuschicken lassen …
Er erwiderte, er mistrauete der Post …
129 Wer kann sich auf Eure Post verlassen! sagte er bitter und zornig …
Der Fürst, entgegnete Ceccone sich bekämpfend, wollte nur noch mehr vom Pasqualetto erfahren, als was dieser wagen würde niederschreiben zu lassen …
Lucinde sah, daß es den alten Fürsten mächtig gereizt hatte, gerade die Würdenträger der Kirche, die festesten Säulen der Prälatur, einer Aristokratie, die noch immer in ihm den Nachkommen eines Bäckers sah, wenn nicht zu compromittiren, doch necken und in Schach halten zu können … Er glaubte nicht, daß der Räuber schriftlich diese und ähnliche Namen angeben würde … Deshalb wünschte er das persönliche Erscheinen …
Vincente’s Stimme erhöhte sich jetzt seltsam … War es deshalb, weil sich die Zahl der Unglücklichen, die in den Händen der Räuber lebten, mehrte und es dem Frevel galt, daß sogar das gesalbte Haupt eines Bischofs in diese blutigen Dinge verwickelt wurde? …
Lucinde hörte, daß Grizzifalcone endlich hatte kommen wollen … Doch ließ er vorher noch den Bischof von Macerata verschwinden … Vom Besuch eines Weinbergs, zwischen den Bergen dahinreitend, war der hohe Prälat nicht wieder nach Hause gekommen. Pasqualetto hatte sich seiner als einer Geisel versichert … Im „Diario di Roma“ wurde die Schuld dieses Ueberfalls allerdings nur dem Pasqualetto zugeschrieben; aber wie sehr man versicherte, daß die bewaffnete Macht ausgezogen sei, den gefangenen Prälaten zu befreien, man konnte seiner nicht habhaft werden und wollte es auch nicht – das sagte 130 sich Lucinde … In der officiellen Zeitung stand nichts von diesem geheimen Zusammenhang eines so betrübenden Vorfalls mit einem großen Staatsact der dreifachen Krone …
Nun endlich erscheint Pasqualetto. Vielleicht, um sich noch sicherer zu stellen, raubt er vom Hochzeitsfest des Fürsten Rucca noch einen der Gäste … Da unterliegt er selbst! Alle Hoffnungen sind dahin! Die Verhandlungen eines Jahres vereitelt! …
Der Stand der ganzen Frage beruhte jetzt auf dem Leben und der Freiheit zweier Gefangenen, von denen der eine ein hoher kirchlicher Würdenträger war, der andre die Kenntniß der Liste hatte …
Wäre nur diese Liste gerettet! seufzte der Fürst … Die Gerichtspersonen hatten ausgesagt, daß sich, als man die Kleider des Erschossenen untersuchte, in den Taschen Amulete, Muttergottesbilder, geweihte Schaumünzen genug vorfanden, auch sämmtliche Briefe eines Kochs des Fürsten, der die Correspondenz geführt hatte; aber weder in den Taschen, noch in der Spelunke, wo Pasqualetto abgestiegen war, noch bei gefangenen Complicen fand sich die Liste, auf die die ganze Sehnsucht des Fürsten brannte … Nun bereuete er, den schriftlichen Verkehr durch die Post nicht vorgezogen zu haben. Nun bereuete er seine gestrige Angst, die ihn bestimmte, so eilends zu entfliehen … Wie bitter deutete er dem Cardinal an, daß dieser die Liste wahrscheinlich gestern sogleich aus der Tasche des Ermordeten selbst zu sich gesteckt hätte …
Es waren freilich nur Blicke und Flüsterworte, die 131 die in Demuth fern Stehenden nicht hörten … Lucinde verstand sie aber …
Der Cardinal nannte in allem Ernst den Zischelnden jetzt einen Hanswursten und verlangte von ihm – ja von Ihnen, Altezza! – den Bischof von Macerata heraus …
Pater Vincente hatte vom Schicksal des Bischofs mit bebendem Ton gesprochen …
Pasqualetto ist todt! rief Ceccone. Wo finden wir das gesalbte Haupt eines der frommsten Priester der Christenheit wieder! …
Und wo – wo find’ ich – die von dem Pilger geschriebene Liste! fiel der ergrimmte Fürst ein …
Der Koller des Zorns ergriff den kleinen Mann zum Schlagtreffen. Wenn er den fremden Franciscanerbruder nicht um seine vorschnelle Art, hier in Rom auf Spitzbuben Pistolen abzuschießen, persönlich mishandelte, wenn er sich durch die Ankunft der Donna Lucinde hindern ließ, die Worte, die er vorhin gesprochen, zu wiederholen: „Ihr hättet eine Zofe wie diese, und wäre es auch Eure spanische Herzogin selbst gewesen, zehnmal sollen zum Teufel fahren lassen –! Wo in aller Welt ergreifen hier Mönche die Waffen!“ so war es, weil er wiederholt von Hubertus verlangte, daß dieser seine Uebereilung durch eine That voll Muth, Entschlossenheit und Discretion wieder gut machen sollte …
Hubertus stand erwartungsvoll und im höchsten Grade bereit dazu …
„Wie soll ich es?“ fragte nur über die näheren Einzelheiten statt seiner Lucinde …
132 Sie hörte jetzt noch mehr von jenem Pilger … Hubertus hatte erklärt, diesen Pilger zu kennen … Unfehlbar müsse es derselbe gewesen sein, mit dem er über die Apenninen geklettert und zuerst beim Besuch der „heiligen Orte“ des Sanct-Franciscus auf der Penna della Vernia zusammengetroffen war … Das Leben dieses Pilgers hing ohne Zweifel von einem Haar ab, falls er noch unter den Räubern geblieben war und unter den Zollbedienten die Kunde seiner Beihülfe zum Verrath sich verbreitete, die Kunde seines vielleicht abschriftlichen Besitzes der Liste … Hubertus hatte schon so viel von diesem Pilger erzählt, daß Lucinde begreifen konnte, warum auch Pater Vincente lebhaft für ihn eingenommen schien und einmal über das andere das Schicksal des armen Gefangenen beklagte …
Lucinde hörte das Gepolter des Fürsten … Sie hörte, was sie übersetzen sollte … Die Schilderung der unzugänglichen Schluchten am Meer, wo Pasqualetto zu hausen pflegte … Die Schilderung der List und Verschlagenheit, mit der man allein sich diesen eigenthümlich organisirten Banden zu nähern vermochte … Die Schilderung der Ehren und Auszeichnungen, die den Pilger hier in Rom erwarten sollten, wenn ihn Hubertus glücklich auffände und über die Gebirge brächte … Sie übersetzte eine wiederholte Aufforderung des Fürsten an Hubertus … Reiset nach der Gegend von Porto d’Ascoli! Sucht, da Ihr muthig und unerschrocken seid, das Gefängniß des Bischofs von Macerata und des Pilgers von Loretto! Alle Briefe, die Pasqualetto seit Monaten schon mit mir wechselt, sind von diesem frommen 133 Mann geschrieben, den die Räuber zu diesem Behuf gewiß in den unwegsamsten Höhlen verborgen halten …
Ceccone ergänzte:
Der Bischof von Macerata ist ein Greis – …
Der Bischof von Macerata ist ein Greis, sagen Seine Eminenz – fuhr Lucinde fort … Aber mit allen Fähigkeiten der Jugend ausgestattet, setzen Seine Hoheit, den Pilger meinend, hinzu … Seine Briefe – der Cardinal meinen die Klagen des armen Bischofs – sind gewandt und in jeder Beziehung vollkommen, meinen Seine Hoheit – Beide sprechen zu Euch: Kann eine fromme Seele dulden, daß die Mittel, die den Stellvertreter Christi auf Erden in seiner nothwendigen Würde erhalten sollen, durch Schurken, ungetreue Haushalter, Judasse verkürzt werden? … O hätt’ ich das Verzeichniß, spricht der Fürst, das dieser Mann unter den Flinten der Räuber schreiben mußte! Oder könnte den Pilger, wenn Ihr ihn findet, Eure Entschlossenheit überreden, Euch die vorzüglichsten Namen zu nennen, die auf diesem Papier zur Schande der Christenheit glänzten! Die Namen von Herzögen und Excellenzen behält man doch wol –! … Ich will ihm hier in Rom die glänzendste Wohnung einrichten, will ihn schadlos für alles halten, was er erduldete! … Suchtet Ihr den Pilger und – den Bischof, sagen der Cardinal, so würdet Ihr eine Krone mehr im Himmel gewinnen! Ich fahre sofort, sagen Seine Hoheit, nach Santa-Maria und werfe mich dem Pater Campistrano zu Füßen, um Eure Verzeihung, Eure Freiheit zu gewinnen, damit Ihr einen Zweck voll-134führt, der Euch in jeder Beziehung den Dank der Christenheit erwerben wird! …
Hubertus übersah jetzt in voller Klarheit das an ihn gestellte schwierige, lebensgefährliche Begehren …
Aber seine Bereitwilligkeit, einer so ehrenvollen, wenn auch den Tod – und nicht allein von Räuberhand – drohenden Aufgabe sich zu unterziehen, gab sich mit der ihm eigenen Liebe zu Abenteuern um so mehr kund, als ihm die Ueberzeugung innewohnte von einer Identität des Pilgers mit jenem Deutschen, den er trotz seiner Ketzerei auf der Reise nach Rom liebgewonnen … Zuletzt konnte er hoffen, durch solche Dienste, die er dem Heiligen Vater leistete, auch für seine Wünsche über die Person Wenzel’s von Terschka ins Reine zu kommen … Hatte er bei seinem General die Freiheit gewonnen, so wollte er unerschrocken seine desfallsigen Wünsche vortragen, ehe er die Reise antrat … Das Vertrauen, heil und gesund nach Rom zurückzukehren, besaß er vollauf …
Jetzt ergänzte mit verklärten Augen Pater Vincente seine Mittheilungen … Alles, was Hubertus erzählt und Lucinde übersetzt hatte, traf auf die Erinnerungen zu, die Pater Vincente vom Bruder Federigo zu Castellungo hatte … Auch Lucinde kannte ja diesen Deutschen, bei dem Porzia Biancchi sich die Fähigkeit erworben, sich als Müllerin Hedemann in Witoborn mit ihren deutschen Mägden verständlich zu machen … Endlich sprach sogar zu ihrem höchsten Erstaunen der Cardinal:
Gelobt sei unsere gute Mutter Kirche! Diesem Pasqualetto verdanken wir, wie es scheint, mehr als einen 135 großen Gewinn! Nicht daß ich Hoffnung habe, Eure Hoheit in den Stand gesetzt zu sehen, Ihre Klagen über die Diener der Gerechtigkeit und unsere Subalternen bestätigt zu erhalten – ich würde nur auf die Aussagen eines Räubers am Fuß des Schaffots, nicht auf die Lügen eines Bösewichts etwas geben, der sich mit lächerlichen Hoffnungen schmeichelte, ja noch als Bürgermeister von Ascoli ein Leben der Achtung führen zu können wähnte –; aber darin hat er uns einen großen Gewinn verschafft, daß er den edeln Söhnen des heiligen Dominicus Gelegenheit gibt, die Milde zu beweisen, die sie gegen Ketzer schon zu lange ausüben! … Signora, Sie fragten mich vor kurzem nach den Streitigkeiten des Bischofs von Robillante? … Hören Sie, was eintreffen muß! … Wenn der apostolische Eifer des Herrn von Asselyn sein neues Vaterland beschuldigt, daß Ungläubige hier spurlos in den Kerkern der Inquisition verschwinden können – so erleben wir die glänzendste Genugthuung! Frommer Bruder, rettet den Bischof von Macerata! Wagt Euch in die Klüfte, wo diese Räuber hausen! Rettet aber auch diesen Pilger! Gebt den Beweis, daß dieser Flüchtling, den von uns die sardinische Regierung reclamirt, den die Gesandtschaften Englands, Schwedens, der Niederlande, Preußens in den Händen der Dominicaner vermuthen, in keinem heiligen Inquisitionsofficium, weder sonstwo, noch hier in Rom, festgehalten wird! Er ist gefangen! Ja! Aber von Räubern! Er muß, auf den Tod bedroht, diesen die Beförderung der öffentlichen Wohlfahrt erleichtern, wodurch ihm Verzeihung werden könnte für die viele Mühe und Sorge, die uns bereits 136 die Nachfragen nach dem Verschollenen nicht blos von Castellungo und Robillante aus, sondern von Turin, London, Berlin und Wien gemacht haben! Fefelotti wird mir, so wenig er es sonst um mich verdient hat, dankbar sein, wenn ich ihm den Beweis an die Hand liefere, daß nichts mehr im Wege steht, sich mit seinem feuerköpfigen Nachbar zu versöhnen! Guter Bruder! Ihr seid von einem Blut, das Euch zu leicht in Euern schönen Kopf steigt! Wandert getrost, wandert immerhin! Leiht dem Vorschlag eines Eurer drolligen Ohren! Laßt für Euch in Santa-Maria Seine Hoheit jenen Fußfall thun! Euch wird es Segen bringen und einem so vornehmen Mann, wie ihm, nichts schaden! …
Ceccone hatte sich lächelnd erhoben und schüttelte Hubertus, dessen Augen vom Feuer seines Unternehmungseifers blitzten, die Hand … Dieser küßte die seinige voll Demuth … Pater Vincente stand aufhorchend und feierlich … Lucinde staunte des Zusammenhangs aller dieser seltsamen Unternehmungen … Nur der alte Rucca zweifelte – Ceccone schien ihm auf alle Fälle eine doppelte, ihm wahrscheinlich nur feindliche Rolle zu spielen …
In diesem Augenblick hörte man in der Ferne das Läuten einer kleinen Handglocke …
Das Glöcklein der Benfratellen! sagte der Cardinal. Sie kommen mit der Tragbahre, den zweiten unsrer tapfern deutschen Lanzknechte des Heilands abzuholen! … Frater Hubertus, gebt ihm vorläufig das Geleite; grüßt Euern Guardian in San-Pietro und dann – ans Werk! Ihr seid, bei Sanct-Peter, der rechte Mann für diese Aufgabe, die ich Niemand in Rom so gut wie Euch anzu-137vertrauen wüßte … Ihr aber, Pater Vincente, wandte sich Ceccone ehrerbietig zu diesem; – die junge Fürstin Rucca hatte gestern das dringendste Verlangen nach Euerm Segen … Ich hoffe, Euer Kloster wird mit dem Thier nicht unzufrieden sein, das, statt Eines Sackes, Euch jetzt zwei zu tragen draußen empfangen soll! … Die Zeiten müssen wiederkehren, wo unsere rothen Hüte auf die Stirn von Priestern gedrückt werden, die dem Volk das Schauspiel der Demuth geben … Laßt mir die Ehre, den rothen Zaum von einem meiner Rosse zu nehmen und den Esel zu schmücken, den Eure Hand durch die Straßen Roms führen wird! …
Dies war keine jener südländischen Artigkeiten, nach denen der Spanier sein eigenes Haus demjenigen anbietet, der dessen Lage reizend findet; es versteht sich von selbst, daß das Anerbieten abgelehnt wird … Bei Pater Vincente lag in der That eine Bezüglichkeit des Ernstes nahe. Er durfte voll Erröthen und mit Nachdruck die angebotene Auszeichnung ablehnen …
Grüßen Sie die junge Fürstin, sprach er leise zum Cardinal, und sagen Sie ihr, daß ich oft für das Heil ihres neuen Bundes beten werde …
Er faltete die Hände … Das Glöcklein der Benfratellen erklang düster und traurig … Vincente’s Auge erhob sich, wie von einem sanften Liebesstrahl entzündet … Die beiden so weltlichgesinnten Männer mußten erleben, daß Pater Vincente sie zum Beten zwang … Ecce, Domine, sprach er mit dem Psalmisten in einer eigenthümlich erhöhten Stimmung, tu cognovisti omnia, novissima et antiqua! Quo ibo a Spiritu tuo? Et quo 138 a facie tua fugiam? Si ascendero in coelum, tu illic es! Si descendero in infernum, ades! Vide, si via iniquitatis in me est et deduc me in viam aeternam! Amen! …
Es war ein Gebet wie die Sühne für die sündhafte Weltlichkeit aller dieser Verhandlungen …
Vincente’s Augen blieben gehoben wie mit der Bitte, ein Strafgericht des Himmels abzuwenden … Der Geist Bartolomeo’s von Saluzzo, der Geist des Philippo Neri schien über ihn gekommen … Sein schöner, weicher Mund betonte scharf die Worte: „Via iniquitatis!“ … Er richtete damit die Falschheit und Unreinheit dieser Welt und schüttelte fast den Staub von seinen Füßen, als er dann Hubertus’ Hand ergriff und ihn fast fortführte, als würde ihm eine Seele abwendig gemacht, die ihm anvertraut war …
Bei alledem blieb es entschieden, daß der Fürst zum General der Franciscaner fuhr und diesen unternehmenden Mönch sich auserbat, der den Grizzifalcone getödtet hatte und nichtsdestoweniger den Muth besaß, noch den Bischof von Macerata und den Pilger von Loretto retten zu wollen … In dem Muth, der zu einer solchen Unternehmung gehörte, lag allein schon die Bürgschaft des Erfolgs … Dem Italiener imponirt jede Kühnheit … Bald mußten über den „Bruder Todtenkopf in der braunen Kutte“ Sagen hinausgehen – märchenhaft und wie ein entwaffnender Schrecken …
Ceccone starrte mehr noch dem Pater Vincente … Ist das Papst Sixtus V., der sich als Cardinal solange unbedeutend stellte, bis er als Papst die Maske 139 abwarf? dachte er … Nun sah er sogar den alten Heuchler, den Fürsten Rucca, beim Abschied an der Villa den Strick des Paters ergreifen, diesen küssen, dann sogar niederknieen, Hubertus und Lucinden gleichfalls, alle um den Segen des begeisterten Sprechers zu empfangen …
Diesen Segen ertheilte Pater Vincente mit dem verzückten Liebesblick des Sanct-Franciscus …
Die Jesuiten haben ihren Popanz für den Stuhl der Apostel gefunden! sagte sich Ceccone … Er blickte staunend den beiden Mönchen nach, die sich jetzt empfahlen, begleitet von dem alten, gleich einem Aal sich bis in die Villa windenden Fürsten Rucca …
Das Glöcklein der Benfratellen tönte draußen fort und fort …
Miracolo! rief Ceccone Lucinden zu und pries galant die Dienste, die sie geleistet …
Lucinde stand gedankenverloren … Sie sah nun die Gefahren, die den Bischof von Castellungo umgaben …
Der Cardinal konnte jetzt sich nicht weiter aussprechen … Die „Caudatarien“, die ihn an eine Sitzung im Vatican und die Anwesenheit seines Secretärs zu erinnern hatten, standen harrend in der Nähe …
Ceccone plauderte, wie gleichgültig, von der heutigen Speisestunde im Palazzo Rucca und seufzte über seine Sorgen … Eine „Hochzeitsreise“ hatte Olympia abgelehnt. Sie feierte ihren „Lendemain“ nach italischer Sitte … Vor hunderttausend Zeugen … Heute Abend sollten zwei Musikchöre die halbe Nacht hindurch am „Pasquino“ 140 spielen … Große Feuerbecken beleuchteten dann den Platz … Fässer, mit Reisholz gefüllt, Pechkränze wurden abgebrannt … Der Volksjubel sollte nicht enden …
Der Fürst war in der That schon nach Santa-Maria zum General der Franciscaner gefahren …
Die Benfratellen befanden sich im Nebenbau, um den Pater Sebastus zu holen …
Pater Vincente leitete das bequemere Heraustragen …
Hubertus suchte noch einen Moment Lucinden beizukommen, der sich eben Bischof Camuzzi genähert hatte …
Lucinde verbeugte sich ausweichend dem Priester, der sie gestern eine „Creolin“ genannt, und versicherte Hubertus, soweit es in der Eile ging, daß er sich aus seiner Haft als entlassen betrachten dürfte. Den Brief an Bonaventura gab sie darum nicht zurück … Eine Gelegenheit, sich dem Bischof in Erinnerung zu bringen, behielt sie fest … Und konnte sie ihm doch auch jetzt Aufklärungen und Warnungen über den Bruder Federigo schreiben … Sie forderte Hubertus auf, sie erst noch im Palazzo Rucca zu besuchen, wenn er wirklich den Bischof von Macerata und den Pilger entdecken und befreien gehen wollte … Ihr unternehmt das Kühnste und doch thut ihr, als rieth ich in Witoborn gut, als ich damals sagte: Flieht in einen hohlen Baumstamm? fragte sie lächelnd …
Hubertus, der unruhige Waldbruder, hätte die endlich errungene Freiheit des Wanderns und des Lebens wieder in freier Luft laut ausjubeln mögen … Ohne die 141 mindeste Furcht bejahte er und zeigte nur traurig auf den verdeckten Tragkorb, den eben die schwarzen Söhne des heiligen „Johannes von Gott“ aus dem Hause brachten …
Lucinde zuckte bedauerlich die Achseln und neigte sich auch diesen Mönchen …
Der Cardinal sprengte in seinem Wagen mit den weißen, purpurgeschirrten Rossen zur Porta Laterana hin … Die „Caudatarien“ fuhren in einem zweiten Wagen … In einem dritten mußte Monsignore Camuzzi, Bischof in partibus, der erste Secretär des Cardinals, folgen …
Lucinde wartete, bis das Glöcklein der Benfratellen verklungen war … Hinter dem verdeckten Korbe, der ebenso eilends dahingetragen wurde, wie Klingsohr in letzter Nacht die Leiche hatte tragen sehen, trottete der vorher erwähnte, von Ceccone’s Majorduomo besorgte Esel mit den zwei mächtig gefüllten Säcken … Pater Vincente schritt mit demüthig gesenktem Haupt und hielt den Esel an einem einfachen Zügel … Hubertus hatte einen Jasminblütenzweig am Portal der Villa gebrochen und wehrte damit, gedankenvoll in sich selbst verloren, dem Thier die Fliegen ab …
Nun setzte Lucinde sich in ihren Wagen und fuhr mit blitzschneller Eile an dem unheimlichen Tragkorb und dem Esel vorüber …
Unter dem weißen ausgespannten Leintuch des Korbes lag Klingsohr –! …
Sie schauderte – als sie im Vorüberfahren wie auf ein Leichentuch blinzelte …
142 Der Wagen fuhr am Coliseum vorüber, durch den Bogen des Titus, die Basilika entlang … Der Kutscher ließ das Capitol links und lenkte zur Säule des Trajan …
Lucinde lebte innenwärts … Sie merkte nicht, daß sie schon an Piazza Sciarra, dicht in der Nähe des „Schatzes der guten Werke“ war …
Hier hielt der Wagen …
Der Kutscher blickte sich fragend um, ob sie nicht zur Herzogin von Amarillas wollte, die hier wohnte …
Sie winkte: Weiter! Weiter! …
Sie mußte zu Olympien …
Die höchste Zeit war es, diese nach ihrer Brautnacht zu begrüßen …
Sie durfte nicht fehlen zur Chocolade, die heute das junge Paar allen Gästen, die ihre Aufwartung machten und die Neuverbundenen mit lächelnder Zweideutigkeit nach ihrem Befinden fragten, in goldenen und silbernen Tassen mit eigner Hand zu credenzen hatte.
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In dieser „Stadt der Wunder“ bewohnte die Herzogin von Amarillas einen dem Cardinal gehörenden, äußerlich dunkeln und ganz unansehnlichen Palast in einer der den Corso durchschneidenden Straßen zwischen Piazza Sciarra und der Gegend um Fontana Trevi …
Mit seiner verschwärzten Außenseite stand aber das heitere und bequeme Innere in Widerspruch …
War der Thorweg geöffnet, so sah man wol erst einen kleinen düstern Hof, umgeben von einem hier und da von Marmorkaryatiden geschmückten viereckten Arcadengang von Travertingestein, sah in der Mitte ein kleines blumengeschmücktes Bassin, das ein wasserspritzender Triton aus Bronze dürftig belebte, sah Remise und Stallung kaum von den Arcaden bedeckt; aber die hinteren Fenster des einen Flügels gingen in einen hier ungeahnten kleinen Hausgarten von Rosen, Myrten und Orangen hinaus. Sie hatten ein volles, schönes Licht und gewährten im geräuschvollsten Theil der Stadt ein friedlich beschauliches Daheim. Zudem war in der Einrichtung dieser hohen und geräumigen Zimmer nichts 144 gespart. Es war eine Wohnung, die verlassen zu müssen Schmerz verursachen durfte …
Und doch konnte die Herzogin dies Ende voraussehen … Der Cardinal behauptete seit einiger Zeit, ihre Augen nicht mehr ertragen zu können. Was Olympia von ihm gesagt, das sagte er von der Herzogin … Ihre Augen hätten für ihn die Wirkung des „Malocchio“ … Der Italiener hat vor dem „bösen Blick“ eine selbst von Aufgeklärten nicht überwundene Furcht …
Diese üble Wirkung ihrer Augen, von der sie hörte, erläuterte die Herzogin nur aus Ceccone’s Gewissen. Wol müssen meine Augen einen giftigen Eindruck auf ihn machen, sagte sie ihrem alten Diener Marco, der schon früher im Unglück bei ihr gewesen und nur des Alters wegen nicht damals mit nach Wien gefolgt war … Meine Augen nennen ihn undankbar …
Keineswegs wollte die Herzogin sagen, daß der „böse Blick“ eine Fabel ist. Als echte Italienerin glaubte auch sie an Menschen, die „Jettatore“ heißen. Diese können Krankheit und Tod „anblicken“ … Sie hatte ihre alte Freundin und Gesellschafterin Marietta Zurboni schon lange begraben, aber die Fabel- und Traumbücher derselben waren ihr und dem alten Marco geblieben … Konnte sie doch zittern vor Angst, als eines Tages Olympia, die ebenso dachte wie sie, sagte: „Seh’ ich im Leben diesen Signore d’Asselyno wieder und er verräth, daß ich Wahnwitzige ihm in zwei Tagen meine ganze Seele zum Geschenk gegeben, so laß’ ich die Erde aus der Stelle ausschneiden, die sein Fuß berührte, und hänge sie – in den Schornstein! …“ Um Jesu willen! hatte 145 die Herzogin erwidert, du wirst solche Sünden unterlassen! … Sie wußte, daß ein solcher Zauber einen Abwesenden langsam zum Tod dahinsiechen läßt …
Olympia war nach dem ersten Rausch der Flitterwochen und den vorauszusehenden Zankscenen mit ihren Schwiegerältern ins Sabinergebirg gezogen … Dort und im Albanergebirg besaßen die Ruccas und Ceccone prächtige Villen … Der welt- und menschenkluge Cardinal hatte zur Zähmung des wilden Charakters der jungen Fürstin angerathen, sie zu beschäftigen … Er hatte (schon von der ihm immer vertrauter werdenden Lucinde) einige anonyme Briefe an sie schreiben lassen, in denen von Unterschleifen in der Verwaltung dieser Güter die Rede war … Das wurde dann ein Feld für die erste unruhige Thatenlust der jungen Ehefrau … Einige Wochen hindurch, vielleicht einige Monate konnte man Hoffnung hegen, daß sie sich auf diese Art in ihrer neuen Stellung als Fürstin und Gattin gefallen würde … Bis dahin hatte sie ohne Zweifel mit den Aeltern vollständig gebrochen, hatte das Personal in der Rucca’schen Verwaltung umgewandelt, hatte soviel Scenen des Zanks, soviel angedrohte Dolchstöße, auch Fußfälle und Handküsse erlebt, daß sie vollauf damit beschäftigt war … Lucinde und der Cardinal stimmten ganz in dem Serlo’schen Wort überein: „Die Seele des Menschen will gefüttert werden, wie der Magen“ …
Die Herzogin erzürnte den Cardinal immer mehr durch ihre Festigkeit, Lucinden als Mitbewohnerin ihrer Behausung abzulehnen … Lucindens neuliches Wort von ihrem „Briefwechsel mit Benno“ war beim Begeg-146nen nicht wiederholt worden … Der Schrecken über den gleichzeitigen Ueberfall durch die Räuber konnte ein Misverständniß veranlaßt haben … Das sagte sie sich zu ihrer Beruhigung … Die „Abenteurerin“, wie sie in der That Benno mehrmals genannt hatte, wurde auch auf Villa Torresani, einem Erbgut der alten Fürstin Rucca, wo die junge Fürstin wohnte, abgelehnt … Lucinde wohnte mit der alten Fürstin beim Wasserfall von Tivoli, in einer andern Rucca’schen Villa, Villa Tibur … Niemand kam nun noch zur Herzogin, da der Cardinal nicht kam … Seltener und seltener kam sie auch selbst aus ihrem Palast heraus, in dem es gespenstisch öde und einsam wurde … Wie mußte sie bereuen, ein Wesen von so gefährlicher Schmiegsamkeit in die Kreise ihres bisherigen Einflusses gezogen zu haben! … Lucinde wurde immer mehr die Seele in dem alten und dem jungen Rucca’schen Kreise … Und wenn sie sich geirrt hätte! Wenn Lucinde wirklich von einem Briefwechsel zwischen ihr und Benno gesprochen! … Dann fehlte nur noch das eine Wort: Benno von Asselyn ist ja dein Sohn! und ihre Niederlage war entschieden … Olympia würde, erfuhr sie das von Lucinden, gesagt haben: Nun versteh’ ich alles! Du, du warst es, die den Angebeteten von mir entfernt gehalten hat …
Daß den Cardinal, von dem sich die junge Fürstin nicht minder wie von ihr zu befreien suchte, eine Leidenschaft für die fremde Abenteurerin ergriffen hatte, wurde immer mehr ein öffentliches Geheimniß … Und bei alledem konnte niemand die Huldigung des Grafen Sarzana begreifen … Hätte es sich um eine Scheinehe gehandelt, die die Schulden eines leichtsinnigen Ca-147valiers decken sollte, so würde man in Rom, in der Stadt der Heiligung des Priestercölibats, dies Benehmen Don Agostino’s begriffen haben; denn diese Arrangements kamen hier zu oft vor, um aufzufallen – wenn auch die Contracte nicht in die Archive der Curie niedergelegt wurden … Don Agostino war aber keiner der Leichtsinnigsten unter den „Achtzig“ … Da er Kenntnisse besaß und sie zu vermehren liebte, galt er seinen Kameraden für einen Pedanten … Die Wartung seiner Uniform, seines Pferdes, noch mehr seiner kleinen Häuslichkeit war bis in die minutiösesten Dinge sauber und zierlich … Seine Familie war verwildert, das wußten alle, die Umstände hatten die Creaturen geistlicher Würdenträger aus ihr gemacht, deren Unregelmäßigkeiten sie decken mußte … Graf Sarzana würde die Hand keiner Dame auch nur zweiten oder dritten Ranges in Rom haben ansprechen können … Aber eine Geliebte des Cardinals zu nehmen zwang ihn nichts … Noch weniger begriff man seine Leidenschaft, wenn sie eine aufrichtige war. Lucinde konnte die Capricen des ermüdeten Alters reizen, sie konnte die Vorstellung einer Vernunftehe durch eine darum noch nicht ausgeschlossene Möglichkeit jugendlicher Reminiscenzen mildern; was war sie aber einem jungen, noch in Lebensfrische befindlichen Krieger? … Sie besaß freilich Geist, Belesenheit, Koketterie … Fesselte ihn das? … Seine Kameraden pflegten ihn mit seinem Einsiedlerleben, das der Lectüre gewidmet war, zu necken und sein wärmster Freund sogar, der Herzog von Pumpeo, hatte ihm den Beinamen des „Küsters vom Regiment“ gegeben …
148 Bei alledem ließ es sich immer mehr dazu an, daß die Herzogin den Palast würde zu verlassen und – dem jungen Ehepaar Sarzana einzuräumen haben …
Ihrem Julio Cäsare schrieb die Mutter von allen diesen ihren Leiden und Befürchtungen nichts – nichts von den Gefahren, die ihr durch Lucinden drohten … Einestheils wollte sie Benno’s bei solcher Mittheilung leicht vorauszusehende Absicht ihr zu helfen nicht früher hervorrufen, als nöthig war; anderntheils vermochte es ihr Stolz nicht, Befürchtungen auszusprechen, die sie mit dem größten Zorn erfüllten, so oft sie nur an sie dachte … Benno hatte ihr die Versicherung gegeben, daß der einzige Vertraute ihres Briefwechsels nur Bonaventura war …
Die Herzogin lag eines Morgens noch in ihren Hauskleidern auf einer Ottomane und blätterte in den französischen Zeitungen, die in Rom verboten sind, vom Cardinal aber gehalten und nach alter Gewohnheit, wenn sie benutzt waren, noch an sie abgeliefert wurden …
Sie las um so lieber in ihnen, als die einheimischen Blätter fast von nichts als von Festen und großen Ceremonieen berichteten, zu denen sie nicht mehr geladen wurde … Auch bei einem großen Ereigniß, das vier Wochen nach Olympiens Hochzeit statthatte, bei der wirklich erfolgten Einkleidung des Paters Vincente – zum Cardinal hatte sie gefehlt … Sie hatte gefehlt bei einem Fest, das wiederum Rom in Bewegung setzte … Bei einem Fest, wo Olympia und Lucinde die üblichen Honneurs des ersten Cardinalempfanges machten … Bei einem Feste, das eine Woche dauerte und alle 149 Zeitungen erfüllte … Der neue Cardinal Vincente Ambrosi fand sich voll Demuth, aber ganz gewandt in seine neue Würde …
Unmuthig warf die Herzogin die einheimischen Blätter fort; wieder auch war im Gebirg eine große Kirchenfestlichkeit gewesen, bei der die junge Fürstin Rucca als erster Stern am Himmel der Gnade und Wohlthätigkeit geglänzt haben sollte …
Schon ergriff sie die Feder und wollte dem Cardinal schreiben, sie bedürfte Unterhaltung … Sie bäte, wollte sie sich in ihrer Bitterkeit ausdrücken, um einige Einlaßkarten für den Tag, wo die Räuber guillotinirt werden würden, deren man als Complicen Grizzifalcone’s allmählich viele aufgegriffen hatte – Die Mission des Bruders Hubertus war ihr durch die vorläufig erfolgte Befreiung des Bischofs von Macerata bekannt geworden … Sie wollte ihrem Schreiben hinzufügen, der Cardinal vergäße seine Weine, die in ihrem Keller lagerten; es waren unversteuerte … Sie grübelte Ceccone’s Intriguen nach … Benno’s letzter Brief lag vor ihr, in dem dieser auf Anlaß des von Lucinden an Bonaventura eingesandten Briefs der beiden deutschen Flüchtlinge und eines inhaltreichen Couverts, das sie hinzugefügt, geschrieben: „O fände sich doch dieser Wanderer nach Loretto! Wäre es der, den mein Freund seit fast dreiviertel Jahren sucht! Er wird es nicht sein … Die Dominicaner haben ihre anderen Gefangenen herausgeben müssen – diesen schickten sie nach Rom, wo ihre Gefängnisse unzugänglicher sind, als hier … Ceccone verweigerte bis-150jetzt die Genehmigung, die Kerker des heiligen Officiums untersuchen und den Dominicanern einen Beweis von Mistrauen geben zu lassen … Fra Federigo schmachtet in ihren Händen wie Galiläi, Bruno, Pignata und so viele andere Opfer der Unduldsamkeit!“ … Daß schreckenvolle Dinge in Rom möglich waren, wußte die Herzogin … Sie wußte, daß Ceccone mit dem Meisten, was er that, eine andere Absicht verband, als die man voraussetzte … Zwischen dem alten Rucca und dem Cardinal war es zu einer andauernden Spannung gekommen, seitdem Hubertus zwar durch eine List den Bischof ans Tageslicht gebracht hatte, aber von einer Entdeckung des Pilgers nichts hören und sehen ließ, ja seit einiger Zeit von sich selbst nichts mehr … Schon war das Gerücht verbreitet, daß die Carabinieri der Grenzwache vorgezogen hätten, statt den römischen Abgesandten in seinen Bemühungen zu unterstützen, ihn – todt zu schlagen …
Sie sah überall Gewalt und Intrigue … Sie kannte Ceccone’s Ansichten über die Zeit und die Menschen … Menschenleben kümmerte ihn wenig, wo durchgreifende Zwecke auf dem Spiele standen … Durch einen der Verwandten Sarzana’s, eine der von ihm beförderten Creaturen, hatte Ceccone alle Häfen auch der Nordküste in seiner Obhut … Wer konnte wissen, was aus dem Rucca’schen Sendboten geworden war … Jenseits der Apenninen, am Fuß des Monte Sasso, an der Grenze der Abruzzen war jede Controle abgeschnitten … Dorthin hatten sich in der That die letzten Wege des kühnen deutschen Mönches spurlos verloren …
151 Die Zeitungen waren „mit ihren Lügen“, wie die Herzogin vor sich hin sprach, durchflogen … Es war gegen Mittag … Sie konnte an den Besuch einer Messe denken …
Da bemerkte sie, daß im Hause laut gesprochen wurde …
Sie wollte klingeln … Marco war beim Pantheon auf den Gemüse- und Fleischmarkt, um ein Mittagsessen einzukaufen; die Dienerinnen waren an der Arbeit …
Schon hörte sie Schritte … Schon unterschied sie die Stimme Olympiens … Dann war wieder alles still …
Die Herzogin glaubte sich getäuscht zu haben … Schon öfter war ihr geschehen, daß ihre aufgeregte Phantasie Menschen nicht nur hörte, sondern deutlich vor sich sah, Menschen, die mit ihr sprachen … Sie brauchte nur ihren geheimen Schrank aufzuschließen, brauchte nur Angiolinens blutiges Haar aus einem großen Pastell-Medaillon des Herzogs von Amarillas zu nehmen, dies Haar nur eine Weile vor sich hinzulegen – und sie sah Angiolinen sich langsam an ihren Tisch begeben und hörte sie laut mit ihr sprechen. Benno trat in dieser Art jeden Abend in ihr Zimmer … Sie hatte nach ihm die Sehnsucht einer Braut – eine Sehnsucht voll Eifersucht … Aber kein Madonnenbild mehr konnte sie sehen in dieser madonnenreichen Stadt, ohne voll Zärtlichkeit an Armgart von Hülleshoven zu denken, die ihr Lucinde als ihres Cesare Ideal bezeichnet hatte …
Die Stimmen kamen wieder näher … Diesmal rief wirklich Olympia:
152 Da nicht! Nein, nein! … Dort geht der Kamin entlang! … Die Hitze ist für ein Bett unerträglich …
Was will – die Mörderin meiner Tochter? fuhr die Herzogin auf … Weiß sie wirklich noch, wo ich wohne? … Will sie wol wieder zu mir ziehen oder was soll – das Bett – von dem sie spricht? …
Man rückte nebenan die Möbel … An einer andern Stelle des Hauses hörte man ein so starkes Hämmern, als sollten Mauern eingeschlagen werden …
Indem öffnete sich die Thür und aus dem Empfangssalon trat die kleine Fürstin, in glänzend outrirter Toilette; Lucinde, nicht minder gewählt gekleidet; die Schwiegermutter, eine noch immer anziehende, jedenfalls gefallsüchtige Frau; Herzog Pumpeo, der für ihren Liebhaber galt; hinter ihnen zwei junge elegante, wohlfrisirte Prälaten; zuletzt auch Graf Sarzana …
Alle schienen überrascht zu sein, die Herzogin zu finden … Sie wollten sogleich, Olympia ausgenommen, wieder zurück … Sie hatten die Herzogin nicht anwesend vermuthet oder thaten wenigstens so … Olympia hielt sie jedoch fest, schritt weiter, achtete nicht im mindesten auf die am Tisch beim Sopha erstaunt Verharrende, sondern rief, das Zimmer durchschreitend:
Hierher würd’ ich rathen, von jetzt an das Eßzimmer zu verlegen … Oeffnen wir diesen Balcon, so hat man das beste, was dieser alberne Garten bieten kann, etwas Kühle … Chrysostomo! Wir nehmen hier ein Frühstück! Setzen Sie sich, Lucinde! … Graf, Sie werden hungrig sein! Kommen Sie doch! Wir sind ja, denk’ ich, bei uns! …
153 Mit Widerstreben und in offenbar ungekünstelter Verlegenheit war Graf Sarzana gefolgt, hatte sich stumm der Herzogin, die hier nicht mehr wohnhaft geglaubt wurde, verbeugt und trat in das Balconzimmer zu den übrigen, die unterdrückt kicherten – Lucinde ausgenommen, die von einem der Prälaten geführt wurde und scheu zur Erde blickte …
Die junge Fürstin, die kaum bis zum Thürdrücker, einem schönen bronzenen Greifen-Flügel, reichte, warf zornig die Thür zu …
Im ersten Augenblick hätte die Herzogin ihr nachspringen und sie zerreißen können … Viper, Schlange, Basilisk! zitterte es auf ihren Lippen … Die Worte erstickten … Sie hatte in diesem Augenblick keine andere Waffe, als ein lautes, gellendes Lachen … Hahahaha! schallte es nebenan zur Antwort … Olympia erwiderte in gleichem Tone …
Dabei klirrten Gläser, Messer, Gabeln … Olympia hatte hieher ein Frühstück beordert … Der Mohr Chrysostomo wollte ihr durch eine andre Thür folgen … Schon trug er ein Plateau voll Gläser und silberner Gefäße … Die Herzogin ergriff wenigstens diesen und warf ihn zur Thür hinaus … Dann schloß sie sämmtliche Thüren so hastig, als fürchtete sie, ermordet zu werden …
Nebenan lachte und sprach Olympia mit gellender Stimme fast immer allein … Sie that wie jemand, der hier noch zu Hause war … Demnach wurde die Herzogin, da sie nicht von selbst ging, zum Hause hinausgeworfen … Hatte Olympia vielleicht erfahren, wer 154 Benno war? … Verdankte die Herzogin diese Demüthigung Lucinden? … War diese wirklich in ihr Leben eingedrungen oder woher dieser plötzliche Angriff, diese Scene ohne jede Vorbereitung? …
Die Herzogin besann sich, daß Olympia dergleichen Stücke auch ohne alle Veranlassung auszuführen liebte … Es konnte ein momentaner Einfall sein … Sie hatte sich wahrscheinlich für einige Tage mit ihrer Schwiegermutter ausgesöhnt, hatte von dieser vielleicht eine Anerkennung für einen neuen pariser Kleiderstoff gefunden; daher ein gemeinschaftlicher „Carnevalsspaß“ auf Kosten einer Person, „die der Lächerlichkeit zu verfallen“ anfing …
Die Herzogin weinte … Sie dachte an die Jahre, die sie an dies Wesen dahingegeben, an die sorgenvollen Stunden, wenn Olympia krank gewesen … Sie hätte, da sie deren Natur entschuldigen und Ceccone dafür verantwortlich machen mußte, diesem an den Hals fahren und ihn erwürgen können … Sogar Lucindens Haß auf sie ließ sie gelten; denn sie hatte abgelehnt, der Deckmantel eines Verhältnisses zum Cardinal zu sein … Aber auch Lucinde wieder versöhnt mit Olympia? … Olympia hatte damals diese Erklärung der Herzogin gebilligt. Die Herzogin hatte geglaubt, von Olympiens Eifersucht auf Lucinden Vortheil ziehen zu können … Nun sah sie das Leben dieser Menschen des Müßiggangs und des Glücks, diese Zerwürfnisse, diese Versöhnungen um nichts … Um irgend ein auf der Villa Torresani gesprochenes Schmeichelwort Lucindens war Olympia im Stande zu sagen: Was ist das nur mit der Herzogin? Ihr Palast soll jetzt bald nur Ihnen und Sarzana ge-155hören! Machen wir doch kurzen Proceß! … Oder etwas dem Aehnliches war vorgefallen … Männer waren zugegen, Priester … Graf Sarzana sogar, der sie zwar immer kalt, aber doch höflich behandelt hatte …
Sich aus diesem Zimmer entfernen konnte die Herzogin nicht, da das ganze Haus sich belebt hatte … Von den Köchen der jungen Fürstin war ein Frühstück überbracht worden … Ein Troß von Dienerschaft schien aufgeboten … Dabei arbeitete man im Nebenzimmer zur Linken, klopfte, hämmerte – Es waren Schreiner und Tapezierer … Die Gardinen wurden abgenommen, die Tapeten abgerissen … Das Ganze war eine Unterhaltung des Uebermuths … Wer konnte so schnell hier einziehen wollen? … Die Declaration des Grafen Sarzana war doch wol noch in einiger Entfernung …
Vernichtet sank die mit Gewalt Verjagte auf ihr Kanapee … Ihre Brust hob sich in hörbaren Athemzügen … Sollte sie rufen: Megäre, lade noch deine Mutter zu deinem Gelage, die tolle Nonne drüben aus den Gräbern der „Lebendigbegrabenen“! … Was half das alles! … Sie hatte nicht einmal den Muth, dem alten Marco zu erwidern, der ihr am Schlüsselloch wisperte … Sarzana, Sarzana! sprach sie wiederholt vor sich hin … Auch Er läßt die Mishandlung einer Frau zu und ißt und trinkt und stößt mit dem Teufel in Menschengestalt an! … Sie malte sich das alles wenigstens so aus …
Mit doppelt starker Stimme, damit die Herzogin nebenan nichts davon verlor, rief beim Mahle Olympia und fast immer allein sprechend:
156 Wie viel Lösegeld würde wol damals Don Pasquale für Sie gefordert haben, Signora Lucinda? …
Wie sagen Sie, Graf? …
Zum Gelde würde es gar nicht gekommen sein? …
Sie hätten sie mit Ihrem Säbel herausgehauen? …
Haha! Ich weiß noch ein anderes Mittel, falls die Herzogin mit gefangen gewesen wäre; ein Mittel, wodurch sie alles in die Flucht geschlagen hätte! … Durch eine ihrer alten Arien …
Schallendes Gelächter …
Gewiß hatte sie auf meiner Hochzeit die Hoffnung, zum Singen aufgefordert zu werden … Darüber vergaß sie den Auftrag meines Mannes, mir die Anwesenheit des Cardinals Ambrosi anzuzeigen …
Jetzt blieb alles still …
Das war der Grund dieses plötzlichen grausamen Einfalls? … Nimmermehr! sagte sich die Herzogin … Oder doch –? … Die Erhebung des Paters Vincente war auffallend genug … Man schrieb sie der Absicht zu, dem neuen Großpönitentiar, Fefelotti, zuvorzukommen, der diesen Mönch zur nächsten Cardinalswahl empfohlen hatte … Ceccone hatte sich rasch des neuen Cardinals selbst bemächtigt … Olympia hatte die Honneurs seiner Ernennung im dazu hergeliehenen Palazzo Rucca gemacht; alle Welt war verliebt in den schönen jungen Cardinal Ambrosi, der wie ein Ganymed, ein David im Purpur aussah; gar nicht unmöglich, daß Olympia ihre erste Untreue als Frau zu einer geistigen machte und wieder in leidenschaftlicher Andacht für einen Prie-157ster schwärmte, den sie schon einmal so unglücklich gemacht hatte …
In der That – die Herzogin konnte hören:
Zieht sonst niemand hier ein, den der Onkel lieb hat, so ist das kleine Haus ganz geeignet, von einem so bescheidenen Priester bewohnt zu werden … Ich mache dem Cardinal Ambrosi seine ganze Einrichtung …
Cardinal Ambrosi soll hier wohnen! … Benno’s Nachfolger in deinem oberflächlichen Herzen! …
In der That wurde das Gespräch rücksichtsvoller geführt … Die Herzogin verstand nichts mehr …
Herzog Pumpeo machte den Wirth und schenkte ein …
Trinken Sie, Graf Sarzana! rief er … Oder haben Sie noch immer Ihre geringe Meinung über den Champagner, den Sie damals auf unserer Landpartie nach Subiaco – vor drei Jahren – das „Bier der Franzosen“ nannten? …
Graf Sarzana, Sie sind überhaupt inconsequent! fiel Olympia ein … Wie konnten Sie je die Deutschen und die Franzosen so hassen! Jetzt lieben Sie – ein deutsches –
Halt, Principessa! unterbrach einer der Prälaten … Wir lieben in diesem Augenblick nichts als die Heiligen … Die Signorina hier kennt alle Gebräuche der Beatification vom Tu es Petrus an bis zur Rede des Advocatus Diaboli …
Wenn nächstens die Seele der Eusebia Recanati heilig gesprochen wird, fiel der andere der Prälaten ein, wer wird da wol die Rolle des Advocaten der Hölle übernehmen? …
158 Schweigen Sie! Keine Lästerungen, Monsignore! unterbrach Olympia mit energischem Ruf …
Die Herzogin lachte bitter auf und sprach für sich:
Fürchtest du diese „heilige“ Eusebia, weil sie dich – an deine Mutter erinnert? … Oder ängstigen dich die Ansprüche, die der Teufel selbst an die Heiligen macht – wie vielmehr an deinesgleichen! …
Graf Sarzana’s Stimme, ein voller wohlklingender Baryton, wurde mit den Worten vernehmbar:
Cardinal Ambrosi lebt noch vierzig Jahre … Also erst in 140 Jahren ist es möglich, auf seine Kanonisation anzutragen … Auch bei ihm wird jemand den Auftrag bekommen, geltend zu machen, welche Rechte auf ihn der Teufel hat … Abbate Predari! … Gesetzt, Sie bekämen diese Aufgabe! Wie würden Sie Ihr Thema anfassen? … Halten Sie eine Rede gegen den Cardinal zum Besten der Hölle! … Vergessen Sie dabei nicht diesen schönen Palast! …
Und die nichtswürdige Art, wie er eingeweiht wurde! ergänzte die Herzogin …
Und die zerbrochenen Beine, als die Tribüne einstürzte, auf der die Menschen bei seiner ersten Messe im Sanct-Peter standen! … bemerkte die alte Fürstin …
Die schlechten Plätze, die gewöhnlich der römische Adel bekommt! ergänzte der zweite der Prälaten, ein jüngerer Chigi …
Lassen Sie mich! rief sich räuspernd Abbate Predari … Die Rede halte ich! … Ich kann von Ambrosi’s erster Jugend anfangen, von seinen ersten Ketzereien bei den Waldensern … Ich war sein Schulkamerad in Robillante …
159 Dann wird nur zu sehr die Stimme des Neides aus Ihnen sprechen! unterbrach ihn Olympia, die befürchten mußte, in dieser Rede selbst eine Rolle zu spielen … Genug! Genug! unterbrach sie aufs neue die Ermunterungen zu einer Rede, die durchaus Abbate Predari halten wollte … Gewiß würde er sie nicht so gewandt haben, als Advocat des Teufels zu sagen: Siehe, ich sandte dir einst eine meiner Botinnen in den Beichtstuhl! … Olympia wollte aber nichts von allen diesen „Blasphemieen“ hören und erklärte, jetzt denjenigen strafen zu wollen, der dies Thema aufgebracht hätte, den Grafen Sarzana – …
Wissen Sie, Lucinde, wandte sie sich zu dieser, daß ich früher eine Neigung für den Grafen hatte? … Ich will es Ihnen nur gestehen! … In meiner kurzen Geschichte mit Don Pallante, die Sie kennen, machte dieser Herr da den Vermittler und die Vermittler wissen oft die Thränen so gut zu trocknen, daß sie selbst an die Stelle der Ungetreuen treten … Ich liebte Don Agostino, den Boten Pallante’s – aber beruhigen Sie sich! – nur drei Tage lang … O mir war er zu gelehrt, zu pedantisch, zu spöttisch, zu eingebildet – er las zu viel … Viel lesen, das beweist, daß man wenig eigenen Geist hat … Graf! Ich rathe Ihnen, sich bei der Entzifferung der Obelisken und Pyramiden anstellen zu lassen … Wenn Sie nicht im nächsten Carneval tanzen, geb’ ich Sie zu unsern gelehrten Eminenzen oben am Braccio nuovo im Vatican in die Lehre, zu Angelo Mai und Giuseppe Mezzofanti! …
Die Männer lachten dieser Spöttereien … Die 160 Schwiegermutter rief sogar: Auf das Wohl des Küsters vom Regimente! … Ihr Herzog Pumpeo hatte diesen Witz gemacht … Pumpeo bat um Frieden und brachte das Wohl aller schönen Spötterinnen aus, denen sein Freund bereits vergeben hätte …
Die Empfindungen der völlig ignorirten Herzogin, die zuletzt nur noch das Klappern der Schüsseln und Klingen der Gläser und ein Durcheinander von Witzen und Anekdoten, in denen Pumpeo und die beiden Prälaten excellirten, hörte, lösten sich wieder in Thränen auf … Nur die Stille des präsumtiven Sarzana’schen Ehepaars versöhnte sie …
Als das Frühstück beendet, die Gesellschaft entfernt, die Dienerschaft mit den Resten der Mahlzeit gefolgt war, nahm die Herzogin die Unschuldsbetheuerungen der ihr noch gebliebenen Dienerschaft entgegen, vor allen die Versicherungen des fast weinend eintretenden alten Marco, und suchte noch am selbigen Tage eine andere Wohnung. Sie wollte zu einem Miethbureau und dann in der Runde zur Besichtigung von Wohnungen fahren …
Als sie den Wagen bestellt hatte, erfuhr sie, daß auch Wagen und Pferde auf Befehl der jungen Fürstin Rucca fortgeführt wären …
Auf diese Nachricht sank sie in Ohnmacht … Der „Intendente“ des Hauses, der bisher alles für sie bezahlt hatte, zuckte die Achseln; es war ein von Ceccone eingesetzter Koch … Er gestand, daß er schon lange vom Cardinal nur mit Widerstreben die Zahlungen für die Bedürfnisse des Hauses erhalten hatte, packte dann seine Sachen und zog nach Villa Torresani ins Gebirge, wo es 161 hoch und herrlich herging … Die Erklärung hinterließ er, daß sich hier wahrscheinlich das ganze Hauswesen zur Bedienung des Cardinals Ambrosi neugestalten würde …
Marco machte Vorschläge von Wohnungen, die der Bedachtsame schon lange für diesen voraussichtlichen Fall in Augenschein genommen … Noch an demselben Abend und bis in die Mitternacht zog die Herzogin um … Sie nahm ein Stockwerk von mehreren gesund gelegenen und schön möblirten Zimmern auf der Höhe des Monte Pincio … Die dortigen luftreinern Straßen konnte sie als Vorwand der Veränderung nehmen … Um sich nicht als zu tief gefallen darzustellen, setzte sie alle ihre Ersparnisse daran …
Zu alledem läuteten nun die Glocken der dreihundertfünfundsechzig Kirchen Roms – brausten die Orgeln – schmetterte die Janitscharenmusik der Hochämter – wandelten unter Pfauenfederwedeln und Baldachinen die wohlgenährten Pairs der Kirche – rannten die Engländer nach den Katakomben und convertirten – schwärmten die Deutschen von den Bildern des Fiesole – knieten die Franzosen in Trinita di Monti drüben und küßten die Hände einer Gräfin-Aebtissin der hier eingepfarrten „Soeurs grises“ aus den ersten Geschlechtern Frankreichs … Rom spielt seine äußere heilige Rolle mit Glanz … Wer kennt das Innere …! …
An Benno schrieb die vernichtete Frau auch noch jetzt nicht alles, was ihr begegnet war … Sie erschien sich zu tief gedemüthigt … Zu lange Jahre hatte sie auch die den Umgang verscheuchende und die Menschen vereinsamende Wirkung des Unglücks kennen ge-162lernt … Dann beredete sie sich, sie wollte lieber erst die Antwort auf einen Brief an Ceccone abwarten, in dem sie von ihren Empfindungen nichts zurückgehalten hatte … Schließlich hatte Benno selbst seit Wochen nicht geschrieben … Sie fing für die Sicherheit ihres Briefwechsels immer mehr zu fürchten an …
Am vierten oder fünften Tage weckte sie aus einem Zustand der Erstarrung, den das fortgesetzte Nichteintreffen eines Lebenszeichens von Benno mehrte, der erste Besuch, den sie in ihrer neuen Wohnung empfing …
Eine glänzende Equipage stand am Hause … Sie kam aus Villa Tibur und brachte Lucinden …
Mit kalter Ruhe und Sammlung führte sich diese bei ihr mit den Worten ein, der Cardinal hätte sie beauftragt, der Herzogin einen Jahrgehalt anzubieten, den er ihr mit Dank für die geleisteten Dienste ausgesetzt hätte … Er bedauerte, fügte sie hinzu, den Einfall der jungen Fürstin, an dem er schuldlos wäre – wie wir alle – sagte sie … Olympia schwärme für den Cardinal Ambrosi und – wollte wol auch alle diejenigen strafen, die dem Bischof von Robillante den Ruf des ersten Priesters der Christenheit gegeben hätten – setzte sie lächelnd hinzu … Cardinal Ceccone, schloß sie, würde selbst gekommen sein – …
Wenn er nicht meine bösen Augen fürchtete! unterbrach die Herzogin und in der That konnte ihr Blick den Tod androhen … Der ausgesetzte Jahrgehalt reichte kaum für die Wohnung und die für Italiens Sitten so nothwendige Equipage aus …
Lucinde zuckte die Achseln …
Zu allzu vielen Erörterungen schien sie nicht aufge-163legt … Sie hatte Eile, käme überhaupt selten in die Stadt – ihr ganzes Wesen war voll Unruhe, gemachter Vornehmheit, Uebermuth …
Unter andern war sie eben bei Klingsohr gewesen …
Sie kam von Santa-Maria, dem Mutterkloster der Franciscaner …
Dort hatte sie den glücklich geheilten und zu Gunst und Gnaden angenommenen Pater Sebastus am Sprachgitter gesprochen …
Sie hatte ernste Dinge mit dem vor Schwäche noch an den Händen Zitternden, aber in ihrem Anblick Ueberglücklichen verhandelt …
Nach dem, was sie schon von Hubertus, als dieser von ihr Abschied genommen, über die zweite Gemahlin des Kronsyndikus in Palazzo Rucca erfahren, ließen die jetzt endlich möglichen Mittheilungen Klingsohr’s keinen Zweifel, daß diese zweite Gemahlin allerdings eine ehemalige kasseler Sängerin Fulvia Maldachini, dann also die – Herzogin von Amarillas gewesen sein mußte … In dem lateinischen Bekenntniß Leo Perl’s hatten die Namen gefehlt und auch noch jetzt bei Verständigung mit Klingsohr hütete sie sich, die Fingerzeige allzu grell zu geben … Sie mußte dann auch den kaum Genesenen schonen … Gab ihm das Wiedersehen einen erhöhten Ausdruck der Spannung und Kraft, so forderte sein todblasses Aussehen, seine gekrümmte Haltung, die der eines Greises glich, zur Schonung auf … Von Benno sprach sie zu Klingsohr nicht, da auch Hubertus nichts von Kindern dieser zweiten Ehe gewußt hatte … Noch war sie schreckhaft erregt von Klings-164ohr’s Hosiannah des Dankes für ihren Beistand, vom Triumphgesang seiner Hoffnungen für eine neue Zukunft in Rom, wo „selbst der Tod mit leichterer Hand abgewehrt würde, als anderswo“ … Er hatte ihre ihm durchs Sprachgitter dargereichte Hand krampfhaft festgehalten und sie mit Versen begrüßt, die schon bereit gehalten schienen, wenn er sie wiedersehen würde … Er gab Minerva, die Weisheit, Maria, den Glauben, hin – Sie, sie, die Botin Aphrodite’s, gäb’ ihm allein die volle Lebenskraft …
Sie sagte dem Wahnbethörten, fieberhaft Blickenden, von Reflexionen Umgewirbelten lächelnd, daß ihn der Cardinal bei der Congregazione del’ Indice für die Beaufsichtigung deutscher Kunst und Wissenschaft verwen-165den wollte*) … Von Hubertus wußte man auch in Santa-Maria noch nichts … Klingsohr versicherte, die Entschlossenheit seines tapfern Freundes würde sich in jeder Lage zu helfen wissen …
Sie wohnen hier sehr hübsch? … fuhr Lucinde, sich im Empfangzimmer der Herzogin umsehend und von ihrer Erschöpfung durch die empfangenen Eindrücke sammelnd, fort …
Hundert Fuß vom Erdendunst entfernter, als an Piazza Sciarra … lautete die Antwort …
Lucinde drückte der Herzogin wiederholt ihr Bedauern über die neuliche Scene mit Olympien aus und versicherte, ihrerseits angenommen zu haben, daß die Herzogin bereits ausgezogen wäre …
Der Cardinal hatte, denk’ ich, die Absicht, dies Palais – Ihnen als Aussteuer anzubieten? sagte die Herzogin …
Immer hörte Lucinde von dieser Frau nur gewisse höhnische Betonungen … Immer nur gewisse Zweifel der Ironie …
Graf Sarzana wird den Dienst bei Seiner Heiligkeit nicht aufgeben? fuhr die Herzogin fort … Sie hoffen ein stilles und glückliches Leben führen zu können? … Vergessen Sie nicht, wenn der Cardinal Ambrosi die Wohnung zu beziehen ausschlagen sollte, einige Verbesserungen – des Küchenherdes im Palais vorzunehmen … Sonst ist alles gut im Stande …
Schwach sind die Frauen wahrlich nicht, wenn sie ihre Empfindungen aussprechen … Lucinde kannte auch 166 darauf hin
ihre Mitschwestern … Aber der „Küchenherd“ schien ihr denn doch eine Anspielung geradezu auf die Zeit, wo sie eine Magd war …
Sie sehen mehr, als ich, Hoheit! sagte sie, sich ergrimmt auf die Lippen beißend …
Sind die Verhältnisse noch nicht so weit? … fuhr die Herzogin fort …
Die Verhältnisse! … Welche Verhältnisse? … Eure Hoheit haben mich in diese Verhältnisse empfohlen …
Sie sind auch dankbar dafür … lächelte die Herzogin ironisch …
Sie aber sind nicht großmüthig, Hoheit! sagte Lucinde. Ich höre, daß Sie diese mögliche Zukunft zu verhindern suchen und mich nicht für würdig halten, eine Gräfin zu werden. Ich bin allerdings keine geborene Marchesina von Montalto, wie Sie! Ich bin eine einfache deutsche Bäuerin – das ist wahr! Oder hat man Ihnen aus Robillante anders geschrieben? …
Aus Robillante –? Mir? … So hört’ ich – also neulich am Hochzeitstage – doch recht? … Wie kommen – Sie denn – …
Sie stehen im Briefwechsel mit Robillante … unterbrach Lucinde schnell und entschieden …
Mit – Ihrem Bischof –? … entgegnete die Herzogin, noch mit einer gewagten Sicherheit, aber schon erzitternd …
Mit Ihrem Sohne Benno von Wittekind-Neuhof, mein’ ich … warf Lucinde wie einen den Sieg verbürgenden Trumpf aus …
Die Herzogin wollte erst auflachen … Dann deu-167tete sie auf Lucindens Stirn, als wenn ihr Verstand nicht in Ordnung wäre …
Lucinde erhielt sich in unbeweglicher Ruhe und wiederholte langsam, was sie soeben gesprochen hatte …
Die Herzogin ergriff Lucindens Arm, starrte sie mit aufgerissenen Augen an und schwankte an die Thüren, um wenigstens diese fester anzuziehen …
Sie litt nicht für sich – was hatte sie zu fürchten! … Sie litt für Benno, der seines zweideutigen Ursprungs nicht froh zu werden schien …
Sie – sind – wirklich – ein Teufel! … hauchte sie, sich halb ohnmächtig niedersetzend …
An diesem „Wirklich“, sagte Lucinde, erkenn’ ich die mich betreffenden Stellen Ihres Briefwechsels … Jenseits der Alpen ist man noch immer nicht im Reinen, für welchen Ofen der Dante’schen Hölle ich passe … Aber Ihr Sohn ignorirte mich doch mit einer gewissen mitleidigen Toleranz … Ein vortrefflicher Mensch, nur mit dem Einen Fehler, daß er zu den Männern gehört, die Verstand bei Frauen für Anmaßung halten …
Eine lange Pause des Triumphes trat ein … Die Herzogin raffte sich allmählich empor und suchte, um Luft zu schöpfen, das Fenster …
Ich spreche eine Vermuthung aus, die ich beweisen kann! … fuhr Lucinde ihr nachblickend fort … Leo Perl hieß der Geistliche, der Sie traute … Ein Jude war es und es geschah auf dem Schloß Altenkirchen … Ich kenne viele Folgen dieses abscheulichen Betruges, arme Frau! … Benno von Asselyn ist die beste davon … 168 Ein trefflicher Mensch, sagt’ ich, ob er gleich dem Kronsyndikus ähnelt und – Ihnen … Madame, Sie wissen, daß ich nur wenig Freunde im Leben gefunden habe … Lassen Sie mir die, die ich hier gewinne … Ich verspreche Ihnen, Sie werden von mir unbehelligt bleiben … Ich weiß vom Cardinal, daß hier nur die Jesuiten und der General der Franciscaner Ihr vergangenes Leben kennen, Olympia im Allgemeinen … Arme Frau! Aber da die erste Hochzeit falsch war, konnte man Sie nicht der Bigamie anschuldigen, was Ihre und Ceccone’s Feinde thun wollten … Sie wurden glorreich gerechtfertigt … Ihr Geheimniß dann mit Benno – das weiß niemand außer mir … Ich werde es zu bewahren wissen, nur – bitt’ ich von jetzt an und befehl’ es Ihnen, lächeln Sie nicht mehr, wenn mein Name genannt wird – genannt, ob nun in Verbindung mit dem Cardinal oder mit dem Grafen … Lassen Sie sich von Ihrem Sohn nichts über mich erzählen, was Sie veranlassen könnte, etwaigen Hoffnungen, die ich habe, welche es auch sein mögen, schaden zu wollen … Das ist es, was ich Ihnen schon am Hochzeitsfest zu sagen hatte und nur verschob, weil die Räuber uns hinderten und wir im Gebirge kaum zur Besinnung kommen … Noch Eins und in aller Aufrichtigkeit … Erneuern Sie die Warnungen für den Bischof von Robillante! … Schreiben Sie Ihrem Sohn davon! … Man erwartet Fefelotti … Dieser bringt die Einleitung eines Processes auf Absetzung des Bischofs … Das wäre entsetzlich, wenn sich Bischof Bonaventura um eine ketzerische Persönlichkeit so fortreißen, von Gräfin Erdmuthe auf 169 Castellungo so bestimmen ließe … Der Cardinal meinte es aufrichtig, als wir den Pilger zu entdecken suchten … Es ist nicht seine Schuld, daß Hubertus so räthselhaft an der Grenze der Abruzzen verschwunden ist … Hören Sie aus alledem, daß ich der Meinung bin: Wir sind Freunde, Verbundene, Herzogin! … Waffenstillstand, Friede zwischen uns! … Kein Wort an Olympien! Nimmermehr! Verlassen Sie sich auf mich! Das versprech’ ich Ihnen … Aber jetzt muß ich auf Villa Tibur zurück … Der Weg ist weit … Achthundert Scudi nur, Herzogin; ich find’ es erbärmlich! … Aber – was kann ich thun! … Sagen Sie das Ihrem Sohne – Benno … Sie sind glücklich, einen solchen Sohn zu besitzen! … Wo fanden Sie ihn? Wie erkannten Sie sich? … Sie haben recht; für die Fürstin war er zu gut … Nie, nie darf sie davon erfahren … Ihre Rache würde keine Grenzen kennen … Regen wir uns nicht auf! … Sie kennen jetzt meine Wünsche – meine Befehle! … Auf Wiedersehn! …
Lucinde war verschwunden, wie sie gekommen … Sie hatte, um die Bedienung in Bereitschaft zu halten, selbst geklingelt …
Die Herzogin blieb zurück, erstarrt – gebunden an Händen und Füßen … Sie fühlte ganz die Wirkung, die Lucinde beabsichtigt hatte … Mußte sie „diese Schlange an ihrem Busen erwärmt“ – sie selbst nach Rom geführt haben! … Unter diesem Damoklesschwert sollte sie nun leben! … Was thun? Was um Benno’s willen unterlassen? … Ihre Correspondenz 170 schien ihr nicht mehr sicher, trotz der Adressen, die an die geringsten Leute hier und in Robillante gingen … Diese Sprache, diese kurze Eröffnung, diese Schonungslosigkeit! … Benno ihr Sohn! … Von Angiolinen, der Lucinde selbst so ähnelte, hatte sie geschwiegen … Wußte sie nichts von ihr? … Sie wußte genug, um sie in ewige Fesseln zu werfen …
Alles das mußte die vereinsamte Frau nun in sich selbst verwinden … Trotz des Vorwands mit der „bessern Luft des Monte Pincio“ verließen sie alle ihre Bekannte … Sie hatte ohnehin nie die erste Rolle spielen dürfen, solange sie mit Ceccone und Olympia lebte … Was war sie der Welt! … Jetzt bereuete sie zu klug gewesen zu sein und sagte: Wie viel haben bei alledem die Menschen voraus, die sich allein den Ausbrüchen ihres Temperaments hingeben! Sie erleben immer noch etwas mehr Unglück und Demüthigung, als wir andern, die wir so klug sein wollen, das ist wahr; aber ihre Personen fesseln und lassen ihre Verhältnisse vergessen … Nicht einmal ein paar alte Prälaten hatten das Bedürfniß, bei ihr zu speisen … Von Benno keine Andeutung, wie sie sich verhalten sollte … Seine Briefe blieben aus … Sie war in Verzweiflung …
Ihr Geist hatte seit einem Jahr ganz in dem geliebten Sohn gelebt … Seine Briefe waren wie an ein Ideal gerichtet. Nur einen einzigen Tag hatte er die Mutter gesehen und gesprochen und gerade darum war ihm alles an ihr neu und reizvoll geblieben … Die ganze, seit so lange von ihm beklagte 171 Heimatlosigkeit seines Daseins fand in ihr Ruhe und Sammlung … Und auch sie lebte nur in seinen Mittheilungen und bildete sich aus ihnen, so fragmentarisch sie waren, jetzt ihre Welt … Sie las zitternd alle seine letzten Briefe … Sie waren der einzige beglückende Eindruck, der ihr noch geblieben … Da lag die schöne Alpengegend Piemonts … Da lagen die Thäler, die schattenreichen Kastanien- und Nußbaumwälder, in denen sich der Geliebte mit Bonaventura erging … Da schilderte Benno das rege Leben der Bewohner und die blühendste Seidenzucht … Ort reihte sich an Ort – erkennbar war jeder Weiler an den viereckigen Kirchthürmen mit heitern Glockenspielen … Schlösser standen auf höchster Höhe, gebrochene Zeugen der Wildheit des Mittelalters, tiefer abwärts von diesen Trümmerstätten lagen wohnliche neue Sitze des Adels, darunter Castellungo, erkennbar schon in weiter Ferne am wehenden Banner der Dorstes … Wie oft hatte der Kronsyndikus sie vor Jahren versichert, daß gerade um dieser Dorstes willen seine zweite Ehe noch geheim bleiben mußte … Sie sah Benno hinüber- und herüberreiten zwischen Robillante, einem freundlichen Städtchen, und Castellungo … Die alte Gräfin Erdmuthe bediente sich seiner als Vermittlers zwischen ihr und dem Bischof, den sie seltner sah, obgleich er ganz in ihrem Sinne wirkte und Benno nicht genug von Bonaventura’s Muth schreiben konnte, der jenen von der Gräfin beschützten Waldensern ihre Gerechtsame wahrte … Sie sah die Eichen von Castellungo, die verlassene Einsiedlerhütte, die Processionen zur Kapelle der „besten 172 Maria“ … Seltsam durchschauerte sie etwas von Geheimnissen, die auf allen diesen Beziehungen liegen mochten … Sie wußte schon so viel, daß dem Bischof jene Gräfin Paula werth gewesen, die inzwischen die Nachfolgerin ihres Kindes geworden … Sie fühlte die Dämmerungsschleier so vieles Zarten und Ahnungsvollen, das auf jenen Gegenden lag, und die sich schon ihr selbst auf Auge und Herz zu legen anfingen … Selbst die Anstrengungen Bonaventura’s, jenen Eremiten den Händen der Inquisition zu entreißen, machten ihr einen eigenthümlich persönlichen Eindruck … Wie ein stilles Abendläuten war alles, was von dort herüberklang … Nun sollte sie an Benno die unheimliche Nachricht schreiben: Dein Geheimniß ist in den Händen dieser Lucinde, die mich entwaffnet, versteinert hat – ich konnte ihr nicht widerreden – konnte dich nicht verleugnen! Schien sie doch voll Antheil für unser aller Schicksal! … Die Nachricht, jene düstern Gemäuer von Coni, die erzbischöfliche Residenz würde ihren Souverän, den grimmen Fefelotti entsenden und dieser würde neue Schalen angesammelten Zornes bringen, um sie über die ihr so werthen Menschen auszugießen, war wie das Anrollen eines Gewitters, das – „doch wol auch Benno selbst hören mußte“ … Sie wußte nicht, was beginnen … Wenn er nur endlich, endlich selbst schriebe! …
Zunächst mußte die Kraft ihres stillen Liebescultus für den Sohn und die Erinnerung ihr helfen … Sie legte sich schon lange auf, die Plätze zu besuchen, von denen sie wußte, daß Benno bei seinem Aufenthalt in Rom vorzugsweise von ihnen gefesselt worden. Benno 173 hatte an der Ripetta gewohnt, mit der Aussicht auf die Peterskirche. Er hatte seine Betrachtungen an so manches geknüpft, was sie bisher verhindert gewesen, wieder in Augenschein zu nehmen und nach Benno’s Weise auf sich wirken zu lassen. Sie staunte nun, alles so zu finden, wie Er ihr geschrieben – in Briefen, die ihr ein Heiligthum wurden und die sie in ihren einsamen Stunden wieder und wieder las. Jetzt sagte sie: Ja, er hat Recht: Die Peterskirche macht keinen gewaltigen Eindruck! Die gelbangestrichenen Säulenarcaden drücken sie zum Gewöhnlichen herab! … Sie sagte: Er hat Recht: Das Innere der Peterskirche ist kalt; man athmet hier nur in der Sphäre des Stolzes und der Vermessenheit der Päpste! … Er hat Recht: Die Engelsburg ist wie ein Reitercircus! … Er hat Recht, wenn er schreibt: Als ich nach Rom kam, erschien mir der Engel auf ihrer Spitze wie ein Lobgesang auf die Idee des Christenthums, jetzt nur noch wie eine Satyre! … Er hat Recht: Die Kirchen sind Concertsäle; nicht eine hat die Erhabenheit eines deutschen Domes! … Er hat Recht, wenn er schreibt: Unter den Bildsäulen der Museen verweilt’ ich lieber, als unter den Bildern; sie lehren Vergänglichkeit und Trauer und das Museum auf dem Capitol ist geradezu die heiligste Kirche Roms; nur dort hab’ ich Thränen geweint, unter den gespenstischen Marmorgöttern, den Niobiden, den sterbenden Fechtern, den gefangenen Barbarenkönigen! … Er hat Recht: Kein christlicher Sarkophag hat mich so gerührt, wie im Lateran die heidnischen Aschensärge mit den zärtlichsten Inschriften: „Gattin dem Gatten!“ … Er hat Recht: 174 Nichts hass’ ich wie das Coliseum! Ich kann es nicht mehr sehen … Er hat Recht: Wie wenig kann ich mich mit Michel Angelo befreunden! So oft ich von ihm ein Werk erblicke, hab’ ich das Gefühl, er hätte etwas geben wollen, worauf die gewöhnlichen Vorstellungen vom Schönen nicht passen – Raphael hat allein das Einfache und Richtige! Was ein Ding sein muß, das ist es bei Raphael; bei Michel Angelo ist’s immer etwas anderes, als das natürliche Gefühl erwartet … Raphael’s Bilder betrachtete sie nun stundenlang – die Madonnen waren dann Armgart – süßer heiliger Friede senkte sich auf Augenblicke in ihre Brust – Dann fuhr sie wieder auf und ängstigte sich um die Ahnung, daß sie Benno nicht wiedersehen würde … Nun fehlte ein Brief schon seit Wochen von ihm … Und ihr Herz, ihre ganze Seele war so voll – so übervoll –! …
Es war die Zeit, wo in Rom jeder, der nur irgend kann, auf dem Lande lebt … Die Herzogin mußte sich diesen Schutz gegen die Wirkungen der „Malaria“ versagen … Neulich war sie in ihrem vom Schrecken des Gemüths gehetzten „Wiederaufsuchen Roms nach Benno’s Anschauungen“ beim Kloster der „Lebendigbegrabenen“ angekommen … Sie fand da einen schönen, luftreinen Garten … Oefters schon war sie hinübergegangen zu diesen Schwestern der „reformirten“ Franciscaner; sie wohnten an Piazza Navona, nahe der Tiber … Sie, die Mitwisserin eines schweren Geheimnisses, blieb dort gut aufgenommen, aber um achthundert Scudi jährlich kauften die Andern ihr Schweigen ab … Sie, sie war es nun, die 175 diesem Kloster die Last Olympiens abgenommen … Nicht alle Gründe hatte sie Benno erzählt, die die fromme Genossenschaft damals bestimmten, eine so gewagte Handlung zu begehen wie die, eine Nonne einzukleiden, die ihnen eine geheime Commission des peinlichen Tribunals als eines Attentats auf den Inquisitor Ceccone verdächtig überwiesen hatte und die schon allein deshalb abzuweisen war, weil sie möglicherweise niederkommen konnte. Nichts seltenes, daß Verbrecher den Klöstern zur Aufbewahrung übergeben werden; aber eine Braut des Himmels, die gesegneten Leibes war – von einem Monsignore, der einen Mordanfall unter Umständen von ihr erlitten hatte, die keine nähere Untersuchung des Frevels wünschen ließen … Das Kind blieb am Leben und wurde nicht aus dem geräumigen Kloster entfernt. Man hatte Gründe für diese Zurückbehaltung. Vorzugsweise fürchtete man, solange man ein pflegbefohlenes Kind lieber selbst hütete, weniger für den Ruf des Klosters, das leicht seine gegenwärtige Auszeichnung, die Pallien weben zu dürfen, verlieren konnte und sie an andere abtreten mußte, die auf diese Ehre und den Gewinn eifersüchtig waren … Außerdem hatte dies Kloster noch eine Ehrenaufgabe, auf welche die jungen Prälaten neulich anspielten … In der zu ihm gehörigen Kirche befand sich eine „Mumie“ … Dies war der Leichnam der Stifterin des Klosters, einer Franciscanerin, die im Jahr 1676 die strengere Regel Peter’s von Alcantara angenommen hatte. Bei zufälliger Oeffnung ihres Sarges im Beginn dieses Jahrhunderts fand man die Schwester Eusebia Recanati nicht verwest. Der Leichnam hatte sich in sei-176ner ursprünglichen Gestalt erhalten, während die Gewänder, der braune Rock, der schwarze Schleier, das weiße Kopf- und Halstuch zusammenfielen. Ohne Zweifel ein Wunder. Seit dreißig Jahren petitionirte das Kloster um die Heiligsprechung der Eusebia Recanati, die in einer Kapelle der Kirche, in einem verschlossenen Schrank, unter Verglasung, in sitzender Stellung an gewissen Tagen dem Volk gezeigt wurde. Seit dreißig Jahren bestand eine Commission zur Prüfung der Ansprüche, die Eusebia Recanati auf den Schmuck des Heiligenscheines hatte. Dem Kloster wäre die wirklich erfolgte Heiligsprechung und ein unversehrter Heiligenleib zur Quelle des größten Gewinns geworden. Aber die Orden regten sich voll Eifersucht – die schwarzen Oblaten und Ursulinerinnen, die weißen Camaldulenserinnen und Karthäuserinnen, die hellbraunen Olivetanerinnen, die schwarzweißen Philippinen, die schwarzbraunen Augustinerinnen, die weißschwarzen Dominicanerinnen, die braunen Karmeliterinnen und Kapuzinerinnen, die blauen Annunciaden, die rothen Sakramentsanbeterinnen und hinter ihnen die entsprechenden Mönchsorden mit allen ihren Generalen. Die geringere bloße „Seligsprechung“ der Mumie genügte den „Lebendigbegrabenen“ nicht, sie wollten der Christenheit eine heilige Eusebia geben, die in der That dem Kalender noch fehlte. Sie bewiesen, daß diese schrecklich anzusehende, verschrumpfte, braunem Leder gleichkommende Eusebia Recanati, ein Grauenbild, geschmückt mit den glänzendsten Kleidern und mit goldenen Spangen befestigt, Wunder verrichtete, Lahme gesund 177 machte, Blinde sehend. Die Opposition blieb aber zu stark … Dreißig Jahre schmachteten die Nonnen schon nach Entscheidung der Cardinäle! Als einen vorläufigen Ersatz erhielten sie das Pallienweben, in dem sie sich, dreißig an der Zahl, auszeichneten wie Penelope auf Ithaka; Ceccone war es, der sie so in ihren Hoffnungen auf die Heiligsprechung der Mumie, die sie nicht aufgaben, ermunterte. Auch wären sie gewiß schon durchgedrungen, seitdem sie das Meisterstück ihres guten Willens, die Verheimlichung eines Prälatenkindes, durchführten; wenn nur nicht auch Fefelotti und die Jesuiten ihre Feinde geworden wären. Diese beschützten die neuen vornehmen Orden, die Salesianerinnen, die Annunciaden, die Sakramentsanbeterinnen, vorzugsweise die Damen vom Herzen Jesu. Die Jesuiten ließen mit jenem Schein „wahrer Aufklärung“, der ihnen überall an geeigneter Stelle so geläufig ist, alle Wunder, die die Mumie vollzogen haben sollte, ärztlich untersuchen und erklärten sie für null und nichtig. Die Professoren der Jesuiten lehrten auf der „Sapienza“ (der Universität Roms) die Heilkunde und Naturwissenschaften. Die Gutachten, die ihre Commission für die Heiligsprechung der Eusebia Recanati übergab, waren von einer Freimüthigkeit, als hätte sie Humboldt verfaßt. Die Waffen der Wissenschaft, die in den Händen der Jesuiten glänzen, senken sie nur dann, wo es gilt höhere Zwecke zu salutiren …
In solchen Klöstern, wo ein Industriezweig getrieben wird, z. B. Blumenmachen, sieht es wie in einer 178 Fabrik aus. Man läßt anderwärts Zöglinge und Kinder zur Mithülfe zu; die „Lebendigbegrabenen“ repräsentirten ihr kleines „Manchester“ für sich … Ihr Fleiß hielt gleichen Schritt mit der Sterblichkeit unter den Bischöfen von 131 Millionen Seelen. Sie schoren und spannen und webten und die Herzogin von Amarillas konnte einige Uralte unter ihnen nicht anders betrachten, als unter dem Bild der Parzen Clotho, Lachesis und Atropos. Auch Lucrezia Biancchi spann und spann … Dazu sang sie alte Lieder – Freiheitslieder, die sie von ihren Brüdern gelernt hatte, weniger von Napoleone, als von Marco und Luigi … Für einen kleinen Schwestersohn von ihr, den die „schöne Wäscherin“ vom Tiberstrand erzog, als sie die neue Judith zu spielen begann, hatte der liebevolle Ceccone großmüthigst gesorgt … Dieser war, als seine Oheime Luigi und Napoleone nur durch die Flucht von den Galeeren freikamen, als Marco sogar zum Tode verurtheilt, dann zu den Galeeren begnadigt, endlich verbannt wurde, erst sieben Jahre alt. Ceccone ließ den kleinen Achille Speroni verschneiden und zum Sopransänger der Sixtina machen …
Die Herzogin besuchte am Abend nach der Schreckensscene mit Lucinden den Garten dieses Klosters … Da saß die Mutter Olympia’s, die Mutter eines Kindes, dem ihre Seele fluchte, als sie es empfing, die irrsinnige, magere, hohläugige Lucrezia und spann wie immer … Selbst aufgeschreckt wie ein verfolgtes Wild, erzählte sie ihr von ihres Bruders Luigi Gefangenschaft … Die Spinnerin hielt einen Augenblick inne und zeigte auf die Wolle am Rocken und auf den langen Faden, den sie 179 aufgewickelt hatte … Das ist recht! Er muß Geduld haben! … sagte sie und feuchtete den Faden an …
Ja, sagte die Herzogin, du meinst die Zeit! Schwester Josepha – so war sie beim Einkleiden getauft worden –, der lange Faden ist die Zeit! Auf den müssen wir viel, viel aufreihen! …
Die drei Parzen in der Nähe lächelten und nickten Beifall …
Die Herzogin beneidete fast die Schwester Josepha …
Dies arme Wesen, das einst auf einen Mann, in dessen Arm sie ruhete, ein Messer zücken konnte, wußte nichts von ihrem Kinde, das eine Fürstenkrone trug und Menschen tyrannisirte … Sie hatte die fixe Idee von ausbleibenden Briefen – Briefen, die Gott, Jesus, St.-Johannes, die Heiligen an sie schrieben – es waren die Briefe ihrer verbannten Brüder … Ihrer Brüder, die in den Gefängnissen Roms, unter den Torturen gesessen hatten, die vom Rechtswesen des Mittelalters gerade im Kirchenstaat noch am längsten zurückgeblieben sind …
Als die Herzogin aus dem Klostergarten, von den kleinen Lämmern, von den Webstühlen zurückkam, war sie über ausbleibende Briefe so trostlos wie Schwester Josepha … Nun mußte sie auf alle Fälle Benno den Vorfall mit Lucinden, überhaupt alles berichten, was ihr seit fünf Tagen widerfahren war … Seit Benno’s letztem Brief waren Wochen verflossen … Täglich fragte sie bei einem Lotteriecollecteur, der eine große Correspondenz unverfänglich führen durfte, ob nichts für sie 180 angekommen wäre … Endlich, endlich durfte doch wol ein Brief – morgen eintreffen …
Er kam aber auch morgen nicht … Auch nicht am nächsten Tage … Schon fragte die Verzweifelnde und wie auf der Flucht vor sich selbst Dahinwankende das Orakel der Karten, das sie stundenlang vor sich ausgebreitet hatte und bei verschlossenen Thüren durchforschte … Sie nahm eines jener schöngeformten eisernen Gestelle, in die man in Italien die Waschschüssel stellt, und stand wie Pythia am Dreifuß, um an den Wellenschwingungen, die ins Wasser geworfene Kiesel hervorbringen, zu erkennen, ob die Ringe, große oder kleine, Glück oder Unglück bedeutende wären … Sie nahm Asche vom Feuer des Herdes, streute sie Nachts auf den Sims eines vom Wind bestrichenen Fensters und schrieb mit zitterndem Finger die Frage, ob Benno gesund wäre … „Sano?“ …
Am Morgen dann las sie mit banger Erwartung, was der prophetische Wind aus den Buchstaben gemacht haben würde … Das Orakel antwortete: Santo …
Wie, dachte sie den Tag über – er ist doch nicht auch in ein Kloster gegangen? … Auch er will uns ein Priester werden? …
Damit quälte sie sich einen Tag … Kein Brief kam … Am Abend schrieb sie wieder: Sano? …
Am Morgen las sie in dem verwehten Aschenstaube: Cane …
Himmel, dachte sie jetzt und raufte sich wie wahnsinnig das Haar, ein toller Hund hat ihn gebissen! …
Am dritten Tage las sie: Caro …
Das machte sie ein wenig ruhiger … So war er 181 vielleicht nur verliebt und vergaß sie um – wessentwillen? … Armgart’s? …
Am vierten las sie: Sale – Salz oder Verstand –? …
Die Ironie des Zufalls lehrte sie nicht, daß sie ihre Thorheiten lassen sollte … Sie grübelte, worin Benno’s Schweigen gerade jetzt ein besonderer Beweis von Verstand sein konnte …
Als sie am Tage, wo sie Sale gelesen hatte, von einer Corsofahrt nach Hause kam, am Hause des Lotteriecollecteurs wieder nichts für sich gefunden hatte, schleppte sie sich fast zusammenbrechend die Treppe hinauf …
Eben wollte sie ihre Hauskleider anlegen … Da hörte sie von der Straße her einen Wagen anrollen und still halten …
Nach einer Weile klingelte es und Marco kam mit hochaufgerissenen Augen und brachte die Wundermär:
Cardinal – – Fefelotti! …
Die Herzogin traute ihrem Ohr nicht und erhob sich …
Es war in der That der Erzbischof Fefelotti, Cardinal und Großpönitentiar der Christenheit – in eigener Person …
Von solchem Besuch ahnte sie jetzt nichts Uebles … Das „Salz“ des Orakels – „Verstand“ traf zu …
Nicht besonders älter war Fefelotti geworden, seitdem die Herzogin ihn zum letzten male gesehen … Im Gegentheil, die Ruhe in Coni, die Sicherstellung seiner Unternehmungen durch die Jesuiten, die Nothwendigkeit, die gottseligste Miene zu zeigen, hatte die sonst sehr lebhaften Verzerrungen seiner unschönen Gesichtszüge ge-182mildert … Sind die Hunde aus den Wölfen entstanden, so stellte Fefelotti jenen Uebergang dar, wo möglicherweise die Wölfe zuerst anfingen sich in den Gewohnheiten des Hausthiers zu versuchen … Seine runde Nase, seine buschigen Augenbrauen, sein von Pockennarben zerrissenes Gesicht war dasselbe wie sonst, aber eine heilige, gesättigte Ruhe lag auf seinen Mienen … Konnte er doch wahrlich lächeln über seinen neuesten Sieg … Konnte er doch lächeln über seine Rückkehr aus einer Verbannung – wo er für den „schlechtesten Christen“ hatte gelten sollen, dem man den „besten“ zur „Versöhnung der Gottheit“ gegenübergestellt! … Konnte er doch lächeln über Ceccone’s ohnmächtiges Schnauben, von dem er sogleich andeutete, daß es sich jetzt schon an Frauen auszutoben anfinge … Das war nun jene Dame, zu der Fefelotti sonst als Prälat so gern gegangen war, die aber seine Intrigue mit der „kleinen Wölfin“ bei den „Lebendigbegrabenen“ und die Verhinderung der Cardinalserhebung Ceccone’s so eiligst gekreuzt hatte …
An ein Verschleiern seiner Empfindungen denkt in solchen Fällen kein Italiener … Fefelotti lachte sich weidlich aus … Sowol über die Höhe der Treppen, die er hatte ersteigen müssen, wie über die Möbel, wie über die Dienerschaft und – ein „Sommerlogis“ auf dem Monte Pincio …
Sie kluge Frau, sagte er, ich habe Sie immer so gern gehabt! Wie konnten Sie sich nur von meiner Fahne entfernen! … Sie haben sechzehn Jahre Ihres Lebens verloren … Wie hoch ist die Pension, die Ihnen mein alter Freund Don Tiburzio zahlt? …
183 Die Herzogin hatte die Schule der Leiden in einem Grade durchgemacht, daß sie sich weder über Fefelotti’s Besuch allzu erstaunt zeigte, noch auch Ceccone’s Undankbarkeit ganz nach den Empfindungen schilderte, die sie darüber hegte … Sie wünschte dem Großpönitentiar Glück zu seiner neuen Erhebung, ließ die von ihr betonte wahrscheinlich nahe bevorstehende Papstwahl nicht ohne Bezüglichkeit für die Hoffnungen des ehrgeizigen Priesters – sie klagte aber Ceccone keineswegs allzu heftig an …
Fefelotti sah die Schlauheit der weltgewandten Frau … Sich mäßigend schlug er die Augen nieder, beklagte die Leiden Seiner Heiligkeit und gestand offen, daß durch die Wiederherstellung des Jesuitenordens, dessen Affiliirter er schon seit lange war, in die schwankenden und von den Persönlichkeiten der Päpste abhängigen Zustände der Kirche endlich Festes und Dauerndes gekommen wäre … Seine eigene Wiederberufung bewiese, daß sich ohne den Rath des Al Gesù nichts mehr in der katholischen Welt unternehmen lasse …
In der Art, wie Fefelotti es sich dann unter den von dem trippelnden Marco inzwischen angezündeten Kerzenbüscheln bequem machte, wie er sogar herbeigeholte Erfrischungen nicht ablehnte, lag das ganze Behagen ausgedrückt, sich bei einer Frau zu befinden, die nach aller Berechnung menschlicher Natur seine Verbündete werden mußte … Von Ceccone’s „häuslichen“ Verhältnissen ließ er sich erzählen … Er hatte seine Freude an dem kleinsten Verdruß, den „seinem Freunde“ das Schicksal bereitet hatte … Er stellte sich wie ein in einem kleinen 184 Landstädtchen begraben Gewesener, nur um recht viel Neues, Ausführliches und pikante kleine Details erfahren zu können … Und die Herzogin war klug genug, trotz ihrer Abneigung gegen den häßlichen Mann, dessen falsche Zähne nach jedem Satz, den er sprach, ein eigenes Knacken der Kinnlade von sich gaben und gegen den Ceccone noch jetzt ein Apoll war, doch dies Verlangen nach Befriedigung seiner Schadenfreude nicht ganz unerfüllt zu lassen … Sie gab eine ungefähre Schilderung der Mühen und Sorgen, unter denen Ceccone’s Ehrgeiz allerdings stöhnte und schmachtete …
Fefelotti schlürfte Sorbett … Seine Zähne bekamen vorübergehend einen bessern Duft von den Orangen, aus denen es bereitet war und sie knackten jetzt nur noch von der Berührung mit dem Löffel … Immer mehr gewöhnte sich die Herzogin an das Wiedersehen eines Mannes, der ohne Zweifel doch nur allein der Anstifter der den Jesuiten nicht geglückten Verfolgung gegen sie wegen Bigamie gewesen … Kannte er alle Geheimnisse ihres Lebens? … Kannte er die Existenz Benno’s? … Ihr Antheil an seinem Kampf mit Bonaventura, gegen den er vielleicht einen Proceß auf Absetzung instruirte, rüstete sich, ihn möglichst unverfänglich über dies und anderes zu befragen … Sie ließ dem Gefährlichen den Vorschmack der Annehmlichkeiten und Vortheile, die er denn doch durch diesen Besuch gewinnen konnte …
Roms Lage ist schwierig, sagte Fefelotti bei Erwähnung des Ceccone’schen Aufenthalts in Wien … Auf der einen Seite bilden wir das Centrum der Welt, auf der andern das Centrum Italiens … Wir sollen rein geistlich und für 185 die Ewigkeit auf die Gemüther wirken und sind von allen politischen Strudeln des Tags ergriffen … Die neue Zeit hat dem apostolischen Stuhl eine fast unerschwingliche Aufgabe gestellt … Ohne die weltliche Würde kann die geistige Souveränetät des Heiligen Vaters nicht auf die Dauer bestehen … Beides für die Zukunft zu einen, erfordert die äußerste Anstrengung … Ich billige ganz, wenn Ceccone seine kleinen Koketterieen mit den sogenannten „Hoffnungen Italiens“ zu unterlassen angefangen hat … Erzählen Sie mir noch mehr – von Wien! …
Die Herzogin bestätigte, daß Ceccone von Wien in seinen politischen Neuerungstrieben bedeutend abgekühlt zurückgekehrt wäre. Der Fürst Staatskanzler hätte ihn belehrt, daß die Tribunen Roms sich immer zuerst am Entthronen der Päpste und am Halsabschneiden der Cardinäle geübt hätten …
Fefelotti lachte mit vollem Einverständniß … Die Herzogin dachte an Benno und seine Freunde … Sie gab der guten Laune des Schrecklichen die gewünschte Nahrung … Sie erzählte: Ceccone hätte beim Nachhausefahren von einer solchen Scene mit dem Staatskanzler immer nur Fefelotti! Fefelotti! gerufen …
Bestia! unterbrach der Cardinal …
Dann hätte Ceccone Olympien geschildert, was „politische Reformen“ wären … „Nur Ein Bedienter für dich, monatlich nur Ein Paar neue Handschuhe und die Nothwendigkeit, deine Hemden selbst nähen zu müssen!“ …
Fefelotti hielt sich die Seiten vor Lachen …
186 Ich bin mit Ceccone’s politischer Haltung ganz einverstanden, sagte er … Sie ist jetzt streng und fest … Sie läßt sich auf keine Transactionen mehr ein … Rom ist unterwühlt von Verschwörungen … Verbannung nur und Galeere können helfen … Das geringste ist das Verbot aller zweideutigen Schriften … Wissen Sie – apropos – nichts Näheres über – Grizzifalcone –? …
Die Herzogin hörte Gesinnungen, die sie haßte, verbarg jedoch ihre Aufwallung hinter einem Erstaunen über das, was Grizzifalcone mit Roms – Politik gemein haben könnte –? …
Der Cardinal drückte seine kleinen Rattenaugen zu … Ein bedeutsames Knacken seiner Zähne trat wieder an die Stelle seiner Worte … Der Duft der Orangen verflog … Glücklicherweise nahm er eine zweite Schale Sorbett …
Die Herzogin mußte die Geschichte der Gefahr erzählen, die sie an Olympiens Hochzeitstage überstanden hatte … Lucindens Name mußte genannt werden … Dieser war ihm keineswegs unbekannt …
Eine Neubekehrte? warf er ein …
Sie hütete sich ein Wort der Misachtung zu sagen …
Fefelotti kehrte dringender auf Grizzifalcone zurück … Glauben Sie, sagte er, daß Ceccone jene für den Fürsten Rucca bestimmte Liste in den Taschen des Räubers fand und einsteckte? … Ich glaube nicht … Diese Liste besaß Ceccone ohne allen Zweifel schon vorher in Abschriften genug … Er brauchte sie ja – Hm! … Räthselhaft sind die Aufträge, die dem wilden deut-187schen Franciscanerbruder gegeben wurden … Nun sagt man ja, er wäre spurlos verschwunden … Mit jenem Pilger zugleich … Hörten Sie davon? … Der Pilger und der Mönch sind von den Zollwächtern, die verrathen zu werden fürchteten, ohne Zweifel todt geschlagen worden …
Die Herzogin entsetzte sich … Und warum „brauchte Ceccone die Liste“? …
Eine Weile verzog sich der bisherige heitere Ausdruck der Mienen Fefelotti’s, seine schwarzen Brauen senkten sich auf die kleinen Augen, die ein verderbliches wildes Feuer zu verbergen schienen …
Dennoch suchte er die Stimmung des Scherzes zurückzuführen und sprach lieber von Olympien, die er beschuldigte, in der „Argentina“ bei allen neuen Opern die Stellen zu beklatschen, die für die Tausende von Carbonaris, die auch in Rom wären, oft ein Losungswort gäben … Das Junge Italien hat allein zwölf Logen in Rom! schaltete Fefelotti ein … Doch erzählen Sie von Olympien! …
Die Herzogin hörte nur und hörte …
Fefelotti sah, daß die Herzogin in politischen Dingen nicht mehr Ceccone’s Vertrauen besessen hatte … In die Argentina geht Olympia jetzt seltener, sagte sie mit bitterer Erinnerung an den neulichen Spott Olympiens über ihre Beziehung zur Musik … Sie verlangte von mir, daß ich erklärte: Unsere neuere Musik anhören zu müssen verdiente, daß die Componisten mit den Ohren angenagelt würden …
Diese Strafe trifft in der Türkei die Bäcker, wenn sie 188 schlechtes Brot backen! … Dieser Witz wird den alten Rucca geärgert haben, wenn er ihn hörte … sagte Fefelotti …
In dieser heitern Weise dauerte die Unterhaltung fort … Auch auf den Cardinal Ambrosi kam Fefelotti zu sprechen …
Ich habe ihm, sagte er, sofort eine Amtswohnung anweisen lassen, indem ich ihn zum Vorstand der „Congregation der Reliquien und Katakomben“ machte … Vielleicht ist er so galant, Olympien mit der Heiligsprechung der Eusebia Recanati ein Gegengeschenk für seine Erhebung zu machen … Sie wissen doch noch, daß wir einst um die kleine „Wölfin“ bei den „Lebendigbegrabenen“ auseinander gekommen sind – Sie schlimme Frau, die Sie mir auch in Wien einen noch gottseligeren Priester auf Erden entdeckt haben – Ja Sie! Sie! Ich weiß es – Meinen Nachbar bei Coni – den magnetischen Bischof Bonaventura von Asselyn … Sie haben ihn zuerst Olympien empfohlen … Der Spott dabei auf mich kam allerdings wol nur von dem kleinen Grasaffen …
Die Herzogin spitzte ihr Ohr … Jedes Wort in diesen leichten Scherzen und drohenden Neckreden war bedeutungsvoll … Ihr Palais an Piazza Sciarra stand also noch leer … Cardinal Ambrosi hatte sich Olympiens Verehrungscultus entzogen …
Bonaventura’s heiliger Ruf wurde keineswegs von ihr abgelehnt … Mit einem fast schelmischen Trotz berief sie sich auf das Urtheil der deutschen Kirche …
Gut, daß ich mich an diesem Eindringling auf ita-189lienischen Boden habe überzeugen können, wie gefahrvoll diese deutsche Kirche wird, erwiderte Fefelotti … Kaum in sein Amt eingeführt, begeht der Freche eine Unthat nach der andern … Der Verbündete einer Ketzerin, die auf dem Schlosse Castellungo haust, wahrt er den durch die Milde der Zeiten übrig gebliebenen Resten einer schismatischen Sekte die Rechte, die sie verbrieft besitzen wollen, bestreitet das ihnen streng eingeschärfte Verbot, Proselyten zu machen, behauptet, die Dominicaner hätten außer diesen gefänglich eingezogenen, dann freigegebenen religiösen Fanatikern noch einen Eremiten eingekerkert, der den Wohlthäter des Volkes machen wollte und nur ein Verbreiter ruchloser Lehren war … Auch dieser Eremit war ein Deutscher! … England und Deutschland! Das wird unser Kampfplatz werden! … In Deutschland ist es schon wieder wie zur Zeit Luther’s … Ein Priester ist aufgestanden, der dem Bischof von Trier die Aussetzung des Heiligen Rocks zum Verbrechen am „Geist der Zeit“ macht! … Die ketzerischen Bewegungen auf dem Gebiet der Lehre, ja des Cultus nehmen überhand … Erkundigungen, die wir über den Bischof von Robillante eingezogen haben, machen ihn zur Absetzung reif … Und der blinde Wahn dieses Mannes geht so weit, hieher nicht als ein Angeklagter, sondern als ein Richter kommen zu wollen …
Hieher –? Er wird berufen? … fragte die Herzogin erbebend vor Angst und doch auch vor Freude …
Der Bischof behauptet, fuhr Fefelotti in gesteigerter 190 Aufregung fort, die Nachricht, daß man jenen Eremiten in der Mark Ancona als Pilger gesehen hätte, wäre ein absichtlich ausgesprengter Irrthum … Dieser Eremit wäre nach Rom überführt worden und säße hier in irgendeinem Kerker … Der Pilger von Porto d’Ascoli, erklärte er noch kürzlich, wäre ein anderer … Seit man jetzt verbreitet, er wäre ermordet worden, hatte ich eine Scene mit ihm, die zu seiner sofortigen Verhaftung hätte führen müssen, wäre nicht die besonnene Vermittelung eines seiner Verwandten von ihm dazwischen getreten …
Des Signore – Benno –? … fragte die Mutter nach Gleichmuth ringend …
Der Cardinal bestätigte diesen Namen …
Benno lebt denn also noch! … dachte die Mutter und verbarg hinter Bewegungen, die ihr als Wirthin eines so hohen Besuches zukommen durften, das Gemisch ihrer Freude und Besorgniß … Fefelotti sprach Benno’s Namen harmlos aus … Er schleuderte nur seinen Bannstrahl über Deutschland und Bonaventura … Dann fragte er wiederholt nach Lucinden … Er wußte, daß sie dem Cardinal nahe stand und Aussicht hatte, Gräfin Sarzana zu werden … Nach den Berichten der kirchlichen Fanatiker Deutschlands nannte er sie eine Hocherleuchtete, der sich nur die eine Schwäche nachsagen ließe, für jenen Bischof von Robillante eine unerwiderte Liebe im Herzen getragen zu haben …
Die Herzogin nahm ihm nichts von allen diesen Vorstellungen … Sie sah, dem Großpönitentiar lag das Leben aller Menschen aufgedeckt … Er fragte wiederholt, 191 was die Herzogin über Donna Lucinde wisse und ob sie gut mit ihr stünde …
Die Herzogin sah, daß Fefelotti bei Ceccone eine Spionin suchte … Vielleicht fand er sie in Lucinden … Sie hütete sich, Lucinden nach ihrer Auffassung und eigenen Erfahrung zu charakterisiren … Eine Vermittelung dieser Bekanntschaft durfte sie aus nahe liegenden Gründen – um Ceccone’s willen – ablehnen …
Es war schon halb elf Uhr, als der Cardinal sich endlich erhob … Er hatte ein paar angenehme, höchst trauliche, für ihn mannichfach anregende Stunden verbracht … Er hatte sich schnell wieder in den römischen Dingen orientirt … Er versprach wiederzukommen … Dann küßte er der Herzogin mit aller Galanterie die Hand, sagte ihr die Tage und die Orte, wo er „zum ersten male aufträte“ – d. h. die Messe lesen oder sie mit Pomp anhören würde … Das waren Schauspiele, wo sich alles, was zur Gesellschaft gehörte, versammeln mußte … Er versprach ihr die „besten Plätze“, unter andern zu einem morgenden Gebet von ihm in der Sixtina …
Daß ich, sagte er beim Gehen, Ceccone’s Feind nicht mehr sein will, beweise ich dadurch, daß ich den Schein von ihm entferne, als könnte er einer Dame, der er sich lebenslang verpflichtet fühlen sollte, wie Ihnen, undankbar gewesen sein …
Mit dieser artigen Wendung empfahl er sich …
Die ganze Dienerschaft, die der alte Marco rasch durch einige Hausgenossen vermehrt hatte, stand in den Vorzimmern … Die Umwohner hatten sich den Schlaf 192 versagt, um dem Schauspiel der Abfahrt eines Cardinals beizuwohnen … Fefelotti’s Pferde trugen am Kopfgestell der Zäume die rothen Quasten. Die Kutsche war vergoldet; zwei Lakaien sprangen hinten auf, während ein dritter mit dem Ombrellino an der Hausthür wartete und beim Einsteigen den kleinen stämmigen Priester begleitete, der seinerseits nur einfach, nur mit dem rothen dreieckigen Interimshut erschienen war …
Einige Freude empfand die gedemüthigte Frau denn doch über diesen Besuch … Sah sie auch Gefahren über den Häuptern der ihr allein noch im Leben werthen Menschen sich zusammenziehen, so blitzte doch in solchen Nöthen ein Hoffnungsstrahl auf durch die Beziehung zu einem so mächtigen Mann, der glücklicherweise ihren vollen Antheil an den Schicksalen der Bedrohten nicht ahnte … Benno hatte jener Scene beigewohnt und ihren schlimmen Ausgang gemildert … Sie wollte noch einen Tag warten und dann auf jede Gefahr hin dem Sohn mittheilen, worin sie alles ihre Sorge auf ihn, seinen Rath und seinen Beistand werfen müßte … Die Vorladung Bonaventura’s schien noch nicht entschieden zu sein …
Am Abend nach dem Besuch Fefelotti’s kam die Herzogin aus der Sixtinischen Kapelle, wo Fefelotti sein „erstes Abendgebet“ gehalten hatte … Der kleine Raum war überfüllt gewesen … Der Qualm der Lichter, die Atmosphäre so vieler Menschen ließen sie fast ersticken … Fefelotti hatte der Herzogin in aller Frühe schon einen reservirten Sitz zur Verfügung gestellt …
Wie kräftig sprach er sein „Complet“ – las den 193 90. Psalm Qui habitat in adjutorio Domini, sang mit jenem conventionellen Ton, der vom Herzen sanft der Rührung den Weg durch die Nase läßt, sein Gloria Patri, worauf die Kapelle mit Simeon’s Lobgesang: Nunc dimittis antiphonisch einfiel … Nicht eine der zu Ceccone’s engeren Beziehungen gehörenden Persönlichkeiten war zugegen … Ceccone hatte die ersten Weihen, er nahm vor kurzem auch die letzten; er übte sich täglich im Messelesen, um seinerseits mit den unerläßlichen Bedingungen zur Papstwahl hinter andern nicht zurückzubleiben … Fefelotti’s Virtuosität in allen kirchlichen Functionen war ihm ein Gegenstand besondern Neides …
Die Herzogin versank auch hier wieder in die schwärmerischste Sehnsucht nach ihrem Sohn … Gerade diese kleine Kapelle, die für die Hausandacht der Päpste bestimmt ist, enthielt Michel Angelo’s „Jüngstes Gericht“ … Man sieht nur noch ein wüstes Durcheinander dunkler Farben an den lampenrußgeschwärzten Wänden … Benno hatte ihr geschrieben, der berühmte Gesang in dieser Kapelle hätte ihm nie die mindeste Erhebung gewährt; die unglücklichen Verstümmelten, die zur päpstlichen Kapelle gehörten, hätten im Discant gesungen wie Hühner, die plötzlich den Einfall bekämen, wie die Hähne zu krähen; die Bässe wären küstermäßig roh; die alten Weisen Durante’s und Pergolese’s kämen in ihrer einfachen Erhabenheit unwürdig zu Gehör … Und für alles das schwärme der deutsche Sinn! Diese Sixtinischen Kapellenklänge allein schon wirkten wie ein Zauber 194 der Sehnsucht nach Deutschland hinüber! Erst der germanische Geist, der schon sonst das Christenthum überhaupt zur weltgeschichtlichen Sache des Gemüths gemacht hätte, hätte auch hier wieder in das Abgestorbenste, in die Kirchenmusik, neues Leben gebracht … Wie klang das alles der Herzogin beim Schlußgebet des Erzbischofs von Coni nach: Omnipotens, sempiterne Deus! …
Gestern Nacht hatte sie in die Asche „Sano?“ geschrieben und der Wind hatte in der That an diesem Morgen „Canto“ daraus gemacht … Darum war sie mit Hoffnung in die Kapelle gefahren … Sie war im Wagen die Treppe hinauf gekommen an den salutirenden, hanswurstartig gekleideten Schweizern vorüber; sie hatte, vorschriftsmäßig vom schwarzen Schleier verhüllt, zur Menschenmenge nicht aufgeblickt vom kleinen ihr reservirten Plätzchen aus … Die von Michel Angelo in die Hölle geschleuderten Bischöfe und Cardinäle waren ihr heute nicht wie sonst Gegenstände der Zerstreuung, wenn sie in ihnen zum Sprechen ähnlich getroffene noch lebende Würdenträger suchte … Das verschrumpfte Antlitz Achille Speroni’s auf dem Singchor sah sie ohne Lächeln … Speroni, der Cousin der jungen Fürstin Rucca, stand in seinem violetten Rock mit dem weißen Spitzenüberwurf und der rothen Halsbinde anfangs wie ein Mann, sang auch eine Zeit lang wie ein Mann: Maria, ad te clamamus exules filii Evae! … Dann aber, bei den für einen exul filius Evae doppelt rührenden Worten: „Maria, zu dir seufzen wir auf, weinend und flehend, in diesem Thal der Thränen!“ sprang der Unglückliche in die äußerste Kopfhöhe über, fistulirte eine Weile und war zuletzt 195 bei den für einen Entmannten erschütternden Worten: „Zeig’ uns, Maria, die gesegnete Frucht deines Leibes!“ ein vollständiges Frauenzimmer … Die Herzogin kannte nicht wörtlich den Inhalt dieser für die Trinitatiszeit normalen abendlichen Horengesänge; sie verstand nicht, wie die Worte in schneidender Ironie zur Verstümmelung des Sängers standen; im Geist aber hörte sie Benno’s Aeußerung: Schon um diese krähenden Hühner der Sixtinischen Kapelle allein muß die römisch-katholische Kirche, wie sie jetzt ist, untergehen! …
Mancher lächelnde und ironische Blick haftete an der Herzogin … Er sollte ihrem Sturz gelten … Sie dagegen durfte diesen Monsignores, Ordensgeneralen, Uditores und Adjutantes di Camera nicht minder ironisch lächeln … Wie nur eine Hofdame bei einer großen Cour die Geheimnisse all dieser so steif sich verbeugenden Welt von ihrer Reversseite übersieht, so blickte auch sie auf alle diese tonsurirten Häupter, die das Frauenthum aus ihrem Leben ausgeschlossen zu haben schienen und die alle, alle doch gerade vom Frauenthum am meisten abhängig waren – nächst ihrem Ehrgeiz …
Ihren Wagen behielt sie und befahl dem Kutscher, sie heute auf den Corso und in den Park der Villa Borghese zu fahren … Sie kam sich wie wiederhergestellt vor …
Wie sie gegen neun Uhr nach Hause kam, hörte sie, daß ein Fremder nach ihr verlangt hätte … Er wollte morgen zeitig wiederkommen – hieß es …
Dem beschriebenen Wuchse nach war es Benno … Ein dunkler, voller Bart, der das ganze Gesicht beschat-196tete, ein grauer Calabreserhut – das stimmte freilich nicht zu ihrer Erinnerung … Aber – wer konnte es denn anders sein? …
Zu Nacht speiste sie nichts vor Aufregung …
Mit zitternder Hand schrieb sie in ihre Asche: „Sano?“ …
Kaum, daß sie einige Stunden schlief …
Am Morgen las sie: „Salve!“ …
In der That lag sie einige Stunden später in Benno’s Armen.
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Ein geliebter Freund, der aus weiter Ferne von Reisen zurückkehrt, breitet zuvor seine Geschenke aus … Benno brachte genueser Korallenschmuck und mailänder Seidenstoffe … Kostbarer aber, als alles, war sein eigenes Selbst …
Und war er es denn auch wirklich? … War es jener liebenswürdige junge Mann, der vor einem Jahr am Kärnthnerthor zu Wien aus dem vierspännigen Wagen der Herzogin von Amarillas sprang? … Aeußerlich machte er geradezu den Eindruck eines Italieners … Gestern, frisch vom Postwagen gekommen, hatte er noch einen Calabreser aufgehabt … Heute hatte er der Mode zwar den Tribut eines schwarzen Hutes gebracht, seinen verwilderten Bart ein wenig gestutzt; aber das lange schwarze Haar, die Bräune des Antlitzes, die leichte, heitere Beweglichkeit, alles das war nicht so, wie es die Mutter kannte aus den wenigen unvergeßlichen wiener Augenblicken des äußersten Schmerzes und der äußersten Freude … Aber es war schöner noch; es war verwandter, heimatlicher als in der Er-198innerung. Sie erstickte seine ersten Worte mit ihren Küssen und Umarmungen … Er war es – ihr Julio Cäsare …
Nichts ist anziehender als ein lebensmuthiger, froher, sorgloser junger Mann … Ihm gehört die Welt … Alles, was die Gegenwart bietet, muß sich ihm zu Gefallen ändern … Der Tag rauscht dahin, Jahre vergehen; den Reichthum seiner Lebenskraft scheint nichts zu berühren … Gefühle, Leidenschaften, Gedanken, mit denen das Alter geizt, von denen die Erfahrung nur noch Einzelnes und Abgegrenztes entgegennimmt, ihm ist das alles noch eine in sich zusammenhängende große Welt, die den ganzen Menschen ergreift, alle Sinne zu gleicher Zeit, die Seele und den Leib – den Leib und die Seele …
Benno verrieth anfangs nur die Stimmung, in die ihn die glückliche Lage versetzen durfte, von seinem Bruder Wittekind anerkannt worden zu sein … Seine Geldmittel flossen nach Bedürfniß … Schon hatte er sich bei Sopra Minerva eine Wohnung gemiethet … Endlich – er war bei seiner Mutter …
Allmählich erstaunte er, die Mutter auf dem Monte Pincio zu finden … Wie oft hatte er im letzten Herbst den Palast betrachtet, wo er wußte daß sie wohnte …
Das ihm nun enthüllte Schicksal der Mutter durfte ihm, was die Geldmittel anbelangte, gleichgültig erscheinen … Dennoch betraf es ihn tiefschmerzlich … Mehr noch, er deutete fast mit Vorwurf an, wie verdrießlich es ihm war, diese Veränderung erst jetzt zu erfahren …
Warum, mein Sohn –? fragte die Mutter voll Besorgniß …
199 Er wäre dann vielleicht nicht gekommen! sagte er …
Die Betroffene erzählte ihm die Einzelheiten ihres Bruchs mit Ceccone …
Dieser Elende! rief Benno … Dann aber sprach er dumpf vor sich hin: Hätte ich – das geahnt! …
Aber was hast du? fragte immer besorgter die Mutter … Du rechnetest auf Olympiens Liebe –? setzte sie angstbeklommen, wenn auch lächelnd hinzu …
Benno erröthete und erwiderte nichts … In seinem Schweigen lag – ein aufrichtiges Ja! …
Die Mutter stand mit bebenden Lippen vor ihm und hielt seine beiden Hände …
Benno verhieß jede Aufklärung … Jetzt sprach er von einem Freund, der ihn vielleicht bei dem jungen Fürsten Rucca schon angemeldet hätte …
Ich Thörin! wehklagte die Mutter. Ich mistraute der Sicherheit unserer Briefe und schrieb dir nichts …
Die Mutter wagte noch nicht von Lucinden zu sprechen …
Benno wurde zerstreuter und zerstreuter … Er schützte für eine vorläufige Entfernung das Suchenmüssen seines Freundes vor … Dieser hatte bereits vor ihm eintreffen wollen … Er erzählte nur noch einiges von Bonaventura’s schwieriger Stellung, vom Dank, den sich sein Freund erworben durch die Befreiung einiger Opfer der Inquisition, von Bonaventura’s Mistrauen in die ihm von Rom durch Lucinde und die Mutter gewordenen Mittheilungen über die Identität jenes Pilgers mit dem Eremiten Fra Federigo, der sich nach allgemein dort verbreiteter Meinung in den Kerkern der Inquisition zu 200 Rom befinden müsse, von der bedenklichen Feindschaft Fefelotti’s, die es indessen zu einer förmlichen Anklage durch die Congregazione de Vescovi e Regolari noch nicht hatte kommen lassen …
Die Mutter wagte sich mit einigen ihrer Erfahrungen hervor … Sie erzählte von Fefelotti … Sie erzählte endlich auch – Lucindens Mitwissenschaft um das Geheimniß seines wahren Namens …
Von dieser Seite konnte nur das Verhängniß kommen! erwiderte Benno mit den lebhaftesten Zeichen der Betroffenheit …
That ich recht, mit einem solchen Dämon Frieden zu schließen? fragte die Mutter und las voll Angst in seinen Mienen …
Gewiß! gewiß! sagte er fast abwesend …
Er wollte gehen und den Freund suchen … Offenbar kämpfte sein Inneres irgend einen gewaltigen Kampf … Die Mutter sah es und wollte ihn nicht lassen …
Als er dann aber doch gegangen war mit dem Versprechen, gegen Abend zurückzukehren, als sie in die letzte Umarmung die ganze Empfindung ausgeströmt hatte, die sie vorm Jahr nach ihrem: „Auf Wiedersehn!“ in ihr Herz verschlossen und angesammelt, überfiel sie jenes Bangen, von dem wir selbst nach der mächtigsten Freude und dann ohne allen Grund erschreckt werden können. Salve! Salve! rief sie ihm zwar nach und ihres Orakels dankbar gedenkend. Aber nun wuchs das wiedereroberte Glück zu solcher Höhe, daß sie ein Schwindel ergriff. Ist es denn möglich, rief sie, sein Vaterland scheint nicht mehr 201 dieser kalte Norden zu sein! Er spricht im Geist seiner Mutter, nicht blos so schön in den Lauten unserer Zunge! …
Daß sie in dieser Seligkeit nicht lange verweilen durfte, machte sie weinen … Was hat er mit Ceccone – was mit Olympien? …
Zwei Stunden war er bei ihr gewesen … Nun erst dachte sie allem nach, was er gesprochen …
Er hatte politische Aeußerungen fallen lassen … Er hatte nach einigen freisinnigen Namen, nach Lucian Bonaparte gefragt … Himmel, rief sie, ich sollte erleben, daß ich eine Römerin werde wie die Mutter der Gracchen! Cäsar, Cäsar, ich bin nicht so stark wie Cornelia! Ich zittere vor Gefahren, in die du dich begibst …
Was ist ihm nur verdorben durch meinen Bruch mit Ceccone –? grübelte sie … Bedarf er eines so Mächtigen? … Fühlt er sich nicht sicher? …
Sie erschrak, daß er von einem Gang auf die österreichische Gesandtschaft als von etwas für seine Lage Ueberflüssigem sprach … Er lehnte den Wunsch eines Zusammenhangs mit Deutschland ab …
Nun drängte sich anderes in ihre Erinnerung an diese seligen zwei Stunden … Wie sinnig hatte er das Pastellmedaillon des Herzogs von Amarillas betrachtet! … Wie wehmuthsvoll umflorte sich sein Auge, als sie dies Medaillon öffnete und Angiolinens blutiges Haar hervorzog! … Sie hatte ein geheimes Fach eines Schreibsecretärs aufgezogen und ihm Erinnerungen an Kassel, Schloß Neuhof, Altenkirchen gezeigt, die gefälschten Demissorialien, die Zeugenaussagen der 202 Freunde Wittekind’s … Alle dem sprach er Worte voll Ernst und Charakter …
Zuletzt nahm sie alles leichter … Sein Lächeln war zu lieb und sicher gewesen … Er hatte sie zu innig umarmt, zu oft an den Spiegel geführt und sich mit ihr verglichen; ihre Hände küßte sie an den Stellen, wo er sie geküßt hatte … Sie fühlte ihre Jahre nicht mehr, sie gedachte ihrer grauen Haare nicht, sie liebte Benno mit dem Feuer eines Mädchens, das ein Abbild ihrer Träume gefunden … Zu Lucinden hätte sie hinausfahren und ihr rufen mögen: Was willst du uns! … Ueber Armgart, von der sie sogleich gesprochen, hatte sich Benno nur träumerisch ablehnend geäußert …
Alle ihre Unruhe sammelte sich jetzt in der Sorge um ein würdiges Empfangen des Sohns für den Abend … Er kam dann vielleicht mit seinem in Aussicht gestellten und vielleicht gefundenen Freunde … Letzterer hätte drei Tage schon vor ihm in Rom sein sollen, hatte Benno erzählt und seinen Namen mehrmals genannt … Daß sie ihn behielt, war von einer Italienerin nicht zu verlangen … Auch Marco und die andern Dienstboten, die befragt wurden, ob wol jemand nach Baron d’Asselyno im Hause gefragt hätte, behielten ihn, obgleich ihn Benno auch ihnen nannte, nur unter dem Namen des vielleicht noch kommenden „Signore biondo“ – des „blonden Herrn“ … Sonst schien man wegen eines so außerordentlich warm begrüßten Fremden wie Benno im Hause nicht zu neugierig … Marco beherrschte sich … Er war das Prachtexemplar eines italienischen Bedienten … Schon in den Vor-Ceccone’schen Zeiten der Herzogin 203 hatte er Abends ihren Kammerherrn, Vormittags die Scheuerfrau gemacht … Jetzt sank er zwar nicht ganz zu dieser Vielseitigkeit herab, aber den Koch mußte er doch heute Abend mit dem Kammerherrn zu verbinden wissen … Er versprach ein Souper herzurichten, wie es sich für eine Herzogin gebührte … Die Mutter ordnete und schmückte die Wohnung und – sich selbst … Das Haus war in Aufregung … Una conoscenza della Padrona – aus Wien … Wozu brauchte es weiterer Aufklärung …
Das beste Zimmer der Etage bot einen Ausgang auf eine prächtige Altane – das Dach eines vorgebauten, niedrigeren Hauses … Hier war die Plateforme mit riesigen großen Blumentöpfen bestellt, mit kleinen Orangen-, großen Oleanderbäumen … Die geöffnete Thür ließ die Wohlgerüche der Pinciogärten in das einfache, heute doppelt sorgfältig geordnete Zimmer einziehen … Noch wurden Teppiche auf die Stellen gebreitet, die die Blumenstöcke leer ließen … Das die unschuldigste Nachahmung der „hängenden Gärten der Semiramis“… Ein ungehinderter Fernblick zeigte ein Häusermeer, aus dem die Kirchen, Säulen und Obelisken, schon von der sinkenden Sonne beleuchtet und rosig verklärt, emporragten … Die Luft noch wie frühlingsmilde … Die Mutter hätte der Welt rufen mögen: Wo ist heute eine Festesfreude, wie bei mir! …
Marco lief hin und her und kaufte ein … Mag er ein wenig die Ohren spitzen, mag er sogar denken: Das ist wol gar der Vielbesprochene, um den die Fürstin Rucca so manche Tasse zerbrach und so manchen 204 Teller an den Kopf der Diener schleuderte! … So dachte sie …
Aber nun: Was wird Olympia sagen! …
Da stand sie beim Arrangement ihrer Blumen still und flüsterte: Wohl! Wohl! Was wird Olympia sagen! … Mehr schon zu fassen und zu denken vermochte sie noch nicht …
Benno kam dann rechtzeitig und noch vor dem Abend …
Der Freund war nicht angekommen … Er hieß Thiebold de Jonge – „Tebaldo“, wie man wenigstens den Vornamen behielt …
Ist es wol der? fragte die Mutter und erzählte was sie von Lucinden über Armgart’s drei Freier wußte …
Benno zog die gelben Handschuhe aus, knöpfte den schwarzen Frack auf, strich den langen lockigen Bart, der auf die weiße Weste niederglitt, und sagte:
Es ist unwürdig, von Armgart in einem Augenblick zu sprechen, wo ich nur zu sehr verrathe, daß – ich bedauere, von Olympien vergessen worden zu sein …
Wieder dasselbe Räthsel, wie heute früh …
Die Mutter begriff diese Aeußerung nicht … Aber sie wußte, daß die Aufklärung nicht fehlen sollte … Jetzt hatte sie nur mit Benno’s Person, mit dem Glück, ihn zu besitzen, zu thun und war wie eine Braut mit ihm … Eine Braut ist in den ersten Tagen ihres Glücks ganz nur von stiller Prüfung und Beobachtung erfüllt, wie sich der Geliebteste in der ihm jetzt gestatteten engeren Vertraulichkeit des Umgangs ausnimmt; wie ihm die Berührung mit ihrem eigenen kleinen Dasein steht; wie ihre Blumen, ihre Bücher, ihre kleinen Pedanterieen am Nähtisch 205 von ihm beurtheilt werden; wie in die tägliche Ordnung des Aelternhauses sein Wesen sich bescheiden oder vielleicht gar – o Wonne und Glück! – ihre aparten Ansichten über diesen Brauch und jenen Misbrauch den Aeltern gegenüber unterstützend fügt … Wohl dem Bund, wo dann alles so still beklommen Beobachtete die Seligkeit des Besitzes mehrt, kein plötzlich ausbrechender Thränenstrom verräth, daß oft ein einziges, allzu sorglos hingeworfenes Wort den Cultus eines ganzen ersten Jugendlebens stürzt – Welten wie Spinneweben zerreißt … Wohl dem Bund, wo die Harmonie der Herzen dann auch eine des Geistes und unsers irdischen, oft allerdings launisch bedingten Daseins wird! …
Benno spöttelte immer noch gern und war nie ein – Zwirnabwickler, wie Armgart die Männer nannte, die sie nicht mochte. Aber „Mutter Gülpen“ in der Dechanei hatte ihn doch ein wenig für die Schwächen der Frauen erzogen. Wo er mußte, fügte er sich dem Ton, den die Frauen lieben. Auch Gräfin Erdmuthe hatte nachgeholfen. Er kam so geschult, so rücksichtsvoll und artig, daß die Mutter ihre Freude hatte zu sehen: So nimmt er sich aus vor andern! So gleicht er – dem bösen Vater und so gleicht er ihm auch nicht! … Das Haar unter dem großen Medaillon des mit Orden bedeckten weißlockigen Herzogs von Amarillas hatte er sich wieder betrachten zu dürfen erbeten … Benno sah ebenso voll Wehmuth den Inhalt der Kapsel, wie mit Interesse das Bild des greisen Herzogs, der in jedem Zug den Spanier verrieth …
Die Politik war in der That die Seele von allem, 206 was Benno in längerer und ausführlicherer Erörterung sprach … Er sah sich um, ob sie unbelauscht blieben … Die Mutter führte ihn auf die nun dunkelnde Altane hinaus … Hier war alles still … Da saßen sie unter den duftenden Blüten … Ihre Hände ruhten auf dem Schoos der Mutter ineinander …
Benno’s die Mutter außerordentlich überraschende Berührung mit den politischen Umtrieben der Jugend und den Flüchtlingen Italiens beruhte auf einem persönlichen Erlebniß … Nachdem er seiner Fürsorge für Bonaventura’s Gefahr noch einmal alles hatte berichten lassen, was die Mutter von Fefelotti vorgestern gehört, erzählte er es …
Sein Grübeln über den Anlaß aller dieser Lebenswirren – es war Bonaventura’s Schmerz um das traurige Geschick seines Vaters – unterbrach er fast gewaltsam …
Er erzählte, daß er vorm Jahre mit den Depeschen des Staatskanzlers nach Triest und von dort zu Schiff nach Ancona gereist wäre – den kürzesten Weg, um Rom in Zeit von acht Tagen zu erreichen … Auf diesem Dampfboot hätte er eine Bekanntschaft gemacht … Ein hoher stattlicher Mann wäre ihm aufgefallen, ein Greis mit weißen Haaren, aber kräftigen dunkelgebräunten Antlitzes, eine Erscheinung, vor der die Bemannung des Schiffes ebenso wol, wie die Passagiere die größte, wenn auch etwas scheue Hochachtung bezeugt hätten … Bald hätte er erfahren, daß dieser in einen grauen militärischen Oberrock, sonst in Civil gekleidete Mann einer der ersten Namen des Kaiserreichs wäre, Admiral der österreichischen Flotte, Fran-207cesco Bandiera*) … Italiener von Geburt, Venetianer aus den alten Geschlechtern, hatte Bandiera die angeborene Seemannsnatur zu Gunsten des Staates ausgebildet, dem ihn die Geschicke Europas nach dem Sturz Napoleon’s zugewiesen … Er hatte die kaiserliche Marine ebenso vervollkommnet, wie ihrer Geschichte Lorbern errungen – er befehligte die österreichische Fregatte „Bellona“, die noch vor kurzem ein englisches Bombardement von Saint-Jean d’Acre unterstützte … Reisen nach Amerika hatte er gemacht und trug, wenn er sich in ganzer Repräsentation seiner Würde hätte zeigen wollen, die Brust mit Orden bedeckt – …
Die Herzogin kannte die Lage dieses Mannes … Sie wußte, warum sein Blick so traurig und die Ehrfurcht vor ihm so scheu gewesen sein mußte …
Zwei seiner Söhne, bestätigte Benno, hatten die Loyalität des hochgestellten Vaters auf eine in Oesterreich mit Indignation, in Italien mit Jubel aufgenommene Weise compromittirt … Attilio und Aemilio Bandiera standen als Marinelieutenants unter ihrem Vater.*) Mit dem Pistol in der Hand und im Bund mit einigen Verschworenen hatten sie sich das Commando der Fregatte „Bellona“ erzwingen und mit ihr nach der Küste der Romagna segeln wollen, wo ein gleichzeitig organisirter Aufstand den Versuch einer Insurrection erneuern sollte, der schon einmal bei Forli und Rimini gescheitert war … Bandiera selbst, der Admiral, ihr Vater, hatte 208 sich damals den für einen Italiener zweifelhaften, für einen Oesterreicher achtbaren Ruhm erworben, die Trümmer der in Rimini und Forli gesprengten Insurrection – Louis Napoleon Bonaparte war unter den Entkommenen, sein älterer Bruder unter den Gefallenen – zur See vernichtet zu haben … Aber der Ueberfall der Fregatte „Bellona“ mislang … Die beiden dem „Jungen Italien“ affiliirten Söhne des Admirals entflohen … Bandiera, vor dem Kaiserstaat in seinen Söhnen compromittirt, riß sich im ersten Anfall seines Schmerzes die Epauletten von den Schultern, band sich die goldene Schärpe ab, legte seine Würde nieder und begab sich nach seinem Landgut Campanede bei Mestre an den Lagunen Venedigs; er bekannte sich seiner Stellung für nicht mehr würdig …
Die Herzogin kannte alle diese ergreifenden Vorfälle …
Wohl kannst du denken, fuhr Benno fort, wie mich der Anblick dieses Greises erschütterte! … Die markige Gestalt war vom tiefsten Schmerz gebeugt … In die Wellen blickte Francesco Bandiera wie Jemand, der den Tod einem Leben ohne Ehre vorzieht … Abgeschlossen hielt er sich von der ganzen Equipage des Schiffs … Ich hörte flüstern, er wollte nach Korfu, wohin seine Söhne geflohen waren, wollte ihnen zureden, zurückzukehren, sich dem Kriegsgericht zu stellen, das sie ohne Zweifel zum Tode verurtheilen würde – er wollte sie ermuntern, sich der Gnade des Kaisers zu empfehlen und eine Gefängnißstrafe zu büßen, die vielleicht keine lebenslängliche war … Auch ihm persönlich konnte dann noch vielleicht möglich bleiben, eine Stellung zu 209 behalten, die er trotz seiner Jahre liebte … Das Blut eines alten Seemanns fließt unruhig und geht nicht im gleichen Takt mit dem Leben auf dem Lande …
Die Mutter verstand die Schwere eines solchen Schicksals und horchte … „Eine Mutter“, sagte sie, „ist die Vorsehung ihres Kindes!“ Das waren deine Worte, mein Sohn, als wir an Angiolinens Leiche standen! … Ein Vater aber, fuhr sie fort, ist der Sohn selbst … Das ist nur Eine Person mit ihm – Vater und Sohn, beide haben nur eine und dieselbe Ehre – …
Benno seufzte … Er verfiel auf Augenblicke in ein Sinnen. Nicht um den Kronsyndikus, wie die Mutter dachte … Ebenso hatte Bonaventura gesprochen, der keine Ruhe mehr im Leben finden zu können erklärte, solange er wüßte, in einem Kerker der Inquisition schmachtete sein Vater … Benno theilte die Ueberzeugung, daß Fra Federigo Friedrich von Asselyn war … Er sah Conflicte kommen mit Friedrich von Wittekind, der ihn todt glauben mußte … Sich aufraffend fuhr er fort:
Die Begegnung des Vaters mit seinen Söhnen schien eine Scene des höchsten Schmerzes werden zu müssen … Ich betrachtete den gebeugten Helden mit jener Rührung, die das tragische Schicksal einflößt … Doch gerade meinen Blick vermied er … Es hatte sich herumgesprochen, daß ich als Courier für die Regierung reiste. Meine Tasche mit den Depeschen verrieth mich; Geheimhaltung war mir nicht anbefohlen worden …
Benno war schon so auf die Weise des politischen Lebens in Italien gestimmt, daß er den besorglichen Blick der Mutter wohl verstand … Ein Courier mit österrei-210chischen Depeschen ist in Italien nicht vor dem Tode sicher …
Die Fahrt dauerte zwei Tage und zwei Nächte … erzählte Benno. Die Küste der Romagna kam und verschwand wieder. Die hohen Apenninen sah das Fernrohr bald, bald verloren sich die zackigen, zuweilen schneebedeckten Höhen. Jenseits derselben lag Rom! … Auf die Länge war nicht zu vermeiden, daß Bandiera mit mir in Gespräche verwickelt wurde. Er erkundigte sich nach meiner Heimat. Da er sie nennen hörte, sprach er von einem mir unendlich theuern Namen, der aus dortiger Gegend gebürtig ist. Den englischen Obersten Ulrich von Hülleshoven hatte Bandiera auf der Rückreise von Rio Janeiro, wohin er die Erzherzogin Leopoldine von Oesterreich als Kaiserin von Brasilien überführt hatte, in Canada kennen gelernt …
Den Vater deiner Armgart! … sagte die Mutter lächelnd …
Benno erwiderte:
Du sahst wol an Lucindens Schilderung, daß diese Liebe mehr ein Gegenstand des Spottes als des Glückwunsches ist … Schon hab’ ich mich gewöhnt, sie wie meinen Stern des Morgenlands zu betrachten, dem die Lebensreise unbewußt folgt … Ich hoffe um so weniger auf Erfüllung, als der Freund, den ich jeden Augenblick erwarte, ebenso leidet wie ich …
Mein Sohn, sagte die Mutter voll Theilnahme, es gibt in der Liebe vielerlei Wege … Die gerade Straße führt nicht immer zu dem, was für uns bestimmt ist … Hoffe! …
211 Benno hielt einen Augenblick inne und schüttelte seine ihm fast auf die Schultern reichenden schwarzen Locken … Nach einer Weile fuhr er fort:
Auf diese Mittheilung, die mich außerordentlich überraschte, wurde ich mit Admiral Bandiera vertrauter … Daß der vom Staatskanzler mir gegebene Auftrag eine ganz zufällige Veranlassung hatte, schien ihn fast zu erfreuen … Er faßte Vertrauen, als ich ihm sagte: Die Jugend des jetzigen Europa wächst in neuen Anschauungen auf! Zwei Offiziere, die ihren Eid brächen, könnte man freilich nicht entschuldigen; aber wie oft hätten auch die Völker und die Fürsten in diesen Zeiten ihre Eide brechen müssen! … Nein, wallte er auf, ich schieße sie nieder, die Fahnenflüchtlinge, Verräther an ihrem Kaiser, ihrem Schiff, dem sie angehörten, dem Palladium ihrer Ehre! … Die Erregung, mit der der greise Admiral diese Worte sprach, glich der des Brutus, der seine Söhne zu richten hat … Dennoch konnt’ ich erwarten, daß diese Reise nach Korfu, wo die Söhne ein Asyl bei den Engländern gefunden hatten, die Wendung der Versöhnung nahm. Ich bemitleidete den Greis, dessen Inneres von Folterqualen zerrissen schien …
Die Mutter nahm schon längst Partei für die Söhne … Sie machte eine jener verächtlichen Mienen, von denen auch nur, wenn innerliche Abneigung sie ergreift, die Südländerin ihre Gesichtszüge entstellen läßt …
Ihren Pahs! und Ehs! erwiderte Benno:
Ich rechnete zu des Vaters Leiden die mir vollkommen ersichtliche Liebe und Theilnahme für seine Söhne … Sie schienen die Augäpfel seines Lebens … 212 Beide Söhne waren der Stolz der Mutter, die nach Mailand geeilt war, um die Gnade des Vicekönigs anzurufen … Sie hatte tröstende Versprechungen zurückgebracht, falls die Flüchtlinge reuig wiederkehrten … Ja im Stillen gährte in des Alten Brust die Regung des geborenen Italieners. Er glaubte vollkommen an die Möglichkeit dieser Verirrung, schrieb er sie auch nur auf Rechnung der Verführung – Er, er wollte ihnen lieber die kaiserliche Kugel vor die Stirn brennen lassen, rief er aus, als sie mit diesen Mordbrennern und Mördern in London, Malta, Korfu, wo die Junten des „Jungen Italien“ säßen, Hand in Hand gehen zu sehen – Bald jedoch setzte er hinzu: Dort suchen und finden sie die Kugel sichrer, als wenn sie nach Venedig zurückkehren, ihren Richtern sich stellen und ihr Schicksal der Gnade des Kaisers empfehlen! … Was thun solcher Jugend, fuhr er wie – ein Italiener zu calculiren fort, ein paar verlorene Jahre? Bis dahin ändert sich vieles. Aemilio, mein jüngerer, ist kräftig; Attilio, der ältere, zarter – erst dreiundzwanzig Jahre alt …
Das Auge der Herzogin leuchtete hell auf … Ihr Herz schlug für die jungen Flüchtlinge, die zu jenem Bunde gehörten, von dem zwölf Logen auch in Rom wirken sollten – zu jenen Verschwörungen, um derentwillen Fefelotti und Ceccone scheinbar Frieden geschlossen … Nur blieb sie besorglich gespannt … Wie konnte diese Begegnung Veranlassung sein, daß Benno so plötzlich nach Rom kam und sogar wünschen konnte, Ceccone und Olympien wieder zu begegnen … Ihre Augen, die wie glühende Fragezeichen auf dem sonnenverbrannten 213 Antlitz des Sohnes hafteten, sprachen: Was willst du mit alledem? …
Mutter, sagte Benno liebevoll, ich gestehe dir’s, ich habe bei allen diesen Beziehungen nur an dich gedacht, habe aus deinem Sinn heraus darüber geurtheilt – du hattest mich schon in Wien zum Italiener gemacht …
Divino! flüsterte die Herzogin und küßte Benno’s Stirn …
Benno drückte ihre Hand und fuhr fort:
Ich empfand Mitleid mit dem Vater und den Söhnen … Auch die Söhne schienen ihren Vater zu lieben und die Schande vollkommen zu erkennen, die sie ihm bereiteten … Er erzählte die rührendsten Züge ihrer Anhänglichkeit … Wie erkannt’ ich das schöne Band, das einen Sohn an seinen Vater fesseln kann – wie den Schmerz, nicht mit ihm dieselbe Bahn gehen zu dürfen! … Ich vergegenwärtigte mir den Mann, dessen Namen auch wir tragen sollten und sagte mir: Hättest du ihn im Leben zur Rechenschaft fordern dürfen, wer weiß, ob sein Anblick dich nicht entwaffnet hätte …
Orest tödtete seine Mutter! wallte die Herzogin auf …
Aber die Furien verfolgten ihn! entgegnete Benno …
Ein unheimliches Brüten trat in die Augen der Herzogin … Sie schien sich auf die Momente Wittekind’s zu besinnen, von denen sie selbst erzählt hatte, daß sie bestrickend sein konnten … Sie brütete, ob sich Benno etwas daraus machen würde, sich mit der Zeit einen 214 Wittekind zu nennen … Fefelotti konnte mit einem Federstrich ihre Ehe legitimiren … Für wissentliche und unwissentliche Bigamie gab es in Rom dicht an der nächsten Straßenecke die officielle Entsühnung …
In Ancona nahm ich Abschied von dem greisen Helden, fuhr inzwischen Benno fort. Obgleich das Schiff einen Tag rastete, blieb der Admiral auf seinem Elemente. Anconas Thürme schreckten ihn. Er hatte die Fahne des „Jungen Italien“ auf ihnen gesehen. Er hatte die Flüchtlinge von Forli und Rimini aufgefangen und an die Kerker des Spielbergs ausgeliefert … So lohnte ihm die Nemesis … Er drückte meine Hand, ermahnte mich, wenn ich Aeltern hätte, ihnen Freude zu machen, empfahl sich dem Obersten von Hülleshoven und zeigte nach Südost, zu den jonischen Inseln hinüber. Die Heimat des Ulysses! sagte er … Ihm würde keine Ruhe mehr werden, deutete er damit an. Er wollte seiner Weinreben in Campanede warten. Der Gedanke an seine Gattin, die Mutter dieser geliebten Söhne, füllte sein Auge mit Thränen …
Die Herzogin machte eine Miene, als wollte sie sagen: Ah bah! Was hilft das uns! Kümmere dich nicht um ihn! …
Ich erlitt in Ancona eine Verzögerung, fuhr Benno fort, weil gerade damals Grizzifalcone den Weg nach Rom besonders unsicher machte … Der Eilwagen fuhr in Begleitung eines Detachements Carabiniers …
Ueber den Angriff bei Olympiens Hochzeit, über die Gefahr der Mutter, den Tod des Räubers hatten sich die Briefe genugsam ausgesprochen … Dennoch kam 215 Benno mit neuem Bedauern darauf zurück … Dafür kürzte er die Schilderung seines Aufenthalts in Rom ab, der bis zum Carneval und bis zur Ankunft der Mutter gedauert hatte …
Da entflohst du wieder! … sagte sie. Bereitetest meiner Sehnsucht die schmerzlichste Enttäuschung! … Nun ich von deiner Liebe zu Armgart weiß, versteh’ ich es – und alles das nennst du deutsch! Deutsch ist euch die Ehrlichkeit –! … Dein Vater war nun auch ein Deutscher und dennoch – Doch fahre fort! … Ich ahne – sagte die Mutter mit zagender Stimme – du lerntest die Gebrüder Bandiera selbst kennen …
Ich ging nach dem Süden, sprach Benno mit bejahender Miene, sah Neapel, schwelgte in Sorrent, kletterte über die Felsen Capris und Ischias, lernte die Sprache des Volks, die eine andere als die der Grammatik ist, und reiste nach Sicilien … Ich machte die Reise mit einigen Engländern, die ich in Sorrent kennen gelernt hatte im Hause der Geburt Tasso’s … Wir stimmten beim Anblick einer alten Bronzebüste des Dichters überein, daß nach diesem Abbild Tasso die häßlichste Physiognomie von der Welt gehabt haben müßte und dadurch seine Stellung zu Leonore d’Este eine neue und komische Beleuchtung erhielte … Ich blieb mit diesen heitern Engländern zusammen … Wir reisten nach Palermo … Dort besuchten wir ein englisches Kriegsschiff, das im Hafen lag … Wir dinirten am Bord desselben; köstlicher und fröhlicher, als ich seit Jahren auf dem Lande gelebt … Der Wein floß in Strömen … Die Engländer meiner Bekanntschaft wa-216ren mit dem Kapitän von der Schule zu Eton her bekannt … Am Tisch saßen zwei junge Männer, Italiener, die bei dieser ausgelassenen Schwelgerei die Zurückhaltung und Mäßigkeit selbst waren … Sie sprachen Deutsch und Englisch, waren bildschön, hatten Augen von einem glühenden und doch wieder so milden Feuer – …
Wie du! unterbrach die Mutter wie mit dem Ton der Eifersucht … Sie weidete sich an Benno’s Anblick, der ein edler und männlicher war …
Sage, wie – verkleidete Angiolinen! … entgegnete Benno … Die Söhne Bandiera’s waren wie Castor und Pollux … Redete man den einen an, so erröthete statt seiner der andere … Nach Tisch wurde auf dem freien Element bei einem Sonnenschein, der alle Herzen der Menschen mit Liebe und Versöhnung hätte erfüllen sollen, politisirt … In der Ferne lag das rauschende wilde Palermo mit seinen Kuppeln und Thürmen; sein Kauffahrteihafen mit Hunderten von Masten; das englische Kriegsschiff mit achtzig Kanonen lag dicht am Castell und diente zur Unterstützung einer Differenz des englischen Leoparden mit der Krone Neapels*) … Dicht lag es an dem abgesonderten Festungshafen Castellamare … Ich erzählte den Brüdern meine Begegnung mit ihrem Vater und fragte nach dem Resultat … Sie sehen es, sagten beide zu gleicher Zeit und zu gleicher Zeit füllten sich beider Augen mit Thränen … Abwechselnd, wie nach Verabredung und doch nur in-217folge ihrer guten Erziehung und brüderlichen Eintracht, sprach immer der eine und dann erst der andere. Ihr Gemüth schien ein einziges Uhrwerk zu sein. Was auf dem Zifferblatt der eine zeigte, schlug mit dem Glockenhammer der andere … Sie erzählten, daß sie wol gewußt hätten, welchen Kummer sie dem Vater und der Mutter bereiteten und wie sie des erstern ehrenvolle Laufbahn unterbrächen. Sie hätten aber schon lange keinen freien Willen mehr. Einmal eingereiht in den Bund des „Jungen Italien“ müßten sie vollziehen, was ihnen befohlen würde. Die Befehle kämen von London, Malta und Korfu. Nur durch diese blinde Unterwerfung und gänzliche Gefangengabe seiner eigenen Persönlichkeit könnte eine große Zukunft erzielt werden. Italien müßte frei von den Fremden, frei von seinen eigenen Unterdrückern, müßte einig werden und eine große untheilbare Republik. Ich mochte, weil dieser Wahn zu eingewurzelt schien, ihn nicht bekämpfen …
Wahn? unterbrach die Mutter. Glaubst du, daß diese Ceccones, diese Fefelottis so zittern würden, wenn sie solche Hoffnungen für Wahn hielten? … Alle Cabinete Italiens fürchten sich vor diesen beiden Jünglingen …
Die Republik, sagte Benno, ist nur möglich für Völker, die in dieser Staatsform eine Erleichterung für ihre übrige tägliche Sorge, für eine vom Gewinn oder von der Furcht gestachelte einzelne Hauptthätigkeit ihres geselligen Verbandes finden. Sie ist möglich bei einem Volk, das in der Lage ist, sich täglich vertheidigen zu müssen, wie die Republiken Griechenlands; sie ist bei leidenschaftlichen und den Erwerb liebenden Ackerbauern, wie in der Schweiz, 218 bei leidenschaftlichen Industriellen, wie in den Niederlanden und in England, bei Handeltreibenden, wie in Holland und Amerika möglich. Jede Nation aber, die sich Zeit zum Träumen lassen darf, die nichts erzielt, nichts hervorbringt, Nationen, wie sie Südamerika, Spanien, Italien, selbst Deutschland bietet, sind unfähig zur Republik …
Die Herzogin erwiderte:
Der Italiener liebt den Gewinn mehr, wie Einer …
Italien sind nicht die Gastwirthe! entgegnete Benno und wollte dem Thema ausweichen …
Die Mutter aber hielt es fest und sah in Italien die Republik unter dem Schutz eines verbesserten Papstthums wieder aufblühen … Rom beherrscht noch einmal die Welt! sagte sie. Das erhöhte, zur wahren Capitale der Christenheit erhobene Rom! …
Mit oder ohne Jesuiten? … fragte Benno ironisch …
Ein spanischer Jesuit lehrte, es sei erlaubt, Tyrannen zu morden …
Ketzerische Tyrannen! …
Marco hatte sein Souper beendigt, hatte sich in seinen schwarzen Frack geworfen und ging lächelnd und schmunzelnd wie ein alter Hausfreund drinnen im Salon auf und ab …
Mutter und Sohn mußten schweigen, weil der Alte näher kam, auf die Blumenterrasse durch die halbgeöffnete Thür blickte und fragte:
Altezza werden nicht mehr auf den Corso fahren –?
Marco that, als wäre es ganz in der Ordnung, 219 wenn man hier jeden Abend ein gewähltes Souper fand …
Hier ist unser Corso –! sagte die Mutter …
So will ich die Pferde ausspannen lassen … blinzelte Marco und ging …
Die Pferde waren gar nicht angespannt gewesen … Ein Miethkutscher in der Nähe lieferte sie nach Bestellung … Wurden sie nicht bestellt, so war es eine kleine Ersparniß …
Benno, der diese kleinen Manöver, die Marco machte, um die Armuth seiner Gebieterin zu verbergen, mit Rührung bemerkt hatte, lenkte, da die Herzogin den Nachtimbiß noch etwas verschieben zu wollen Marco nachgerufen hatte, wieder auf seine Erzählung ein … Er schilderte den Eindruck, den ihm die Brüder Bandiera gemacht hätten, als einen so nachhaltigen, daß er seit jenem Besuch des Kriegsschiffs in den Interessen dieser jungen Männer wie in denen seiner ältesten Freunde lebte … Ich habe, sagte er, an jungen Bekannten Deutschlands die gleichen Stimmungen und Ueberzeugungen oft bespöttelt und ihnen keine Lebensfähigkeit zugestanden; aber selten auch fand ich einen idealen Sinn in solcher Reinheit, eine dem Unmöglichen zugewandte Ueberzeugung so fest und als selbstverständlich aufrecht erhalten. Diese Brüder hatten sich ebenso zu Kriegern wie zu Gelehrten gebildet. Sie sprachen von den Wurfgeschossen bei Belagerungen mit derselben Sachkenntniß wie von Gioberti’s Philosophie. Sie hatten Ugo Foscolo, Leopardi, Silvio Pellico, alles, was die Censur in Oesterreich verbietet, in ihr Lebensblut aufgenommen und bei alledem blieben sie 220 Jünglinge, die wie aus der Märchenwelt gekommen schienen. Daß sie sich unter den Eindrücken der See, der rohen Matrosen, des zügellosen Hafenlebens so rein hatten erhalten können, sprach für die Mutter, die sie bildete, für die strenge Mannszucht, die der Vater übte … Den Aeltern, sagten sie, hätten sie Lebewohl sagen müssen für diese Erde … Der Vater hätte sie anfangs begrüßt wie – Schurken. Geschieden wäre er von ihnen wie ihr Bundsgenosse. Er wohne jetzt zu Campanede wie ein Sklave, der nur schon zu alt wäre, noch seine Fesseln zu brechen. Die Mutter würde ihm die Freude an seinen wenig genossenen Blumen und Früchten versüßen und ihn von seinen jungen Tagen erzählen lassen, da sie fünfundzwanzig Jahre mit ihm verheirathet wäre und nicht fünf Jahre ihn besessen hätte. Mögen Venedigs Gondeln, sprach Attilio, mit ihren geputzten Sonntagsgästen, mit ihren Stutzern und Damen unter leuchtenden Sonnenschirmen, an Mestre vorüberfahren und auf Campanede’s kleine Häuser deuten, wo ihr Vater wohne – sie würden nicht lachen, sie würden ihm – um ihretwillen stille Evvivas bringen …
Ha ragione! sagte die Mutter fest und bestimmt … Sie hatte keine Theilnahme für den Vater, sondern nur für die Mutter und die Söhne …
Doch wollte sie diese nicht als Märtyrer, sondern als Sieger sehen … Die Rosse sollten ihnen vom Schicksal so wild und stolz gezäumt werden, wie den olympischen, die sich drüben auf dem Monte Cavallo aus des Praxiteles Hand bäumten … Diese 221 Evvivas, sagte sie, werden bald laut werden und Sieg bedeuten! …
Benno zuckte die Achseln … In seinen Mienen lag der Ausdruck des Zweifels … Es lag aber auch der Ausdruck der Kämpfe in ihnen, die schon lange in seinem Innern vor sich gingen … Er war nie ein Ghibelline gewesen im Sinn der Bureaukratie Deutschlands wie sein Bruder, der Präsident – aber ein Welfe zu werden, wie etwa Klingsohr, Lucinde, andere Abtrünnige, widerstand ihm ebenso … Der Mutter konnte er seine irrenden Gedankengänge nicht mittheilen … Er erzählte nur …
Zunächst berichtete er, wie er die Brüder auf dem Kriegsschiff täglich besucht und mit ihnen politisirt und philosophirt hätte, bis das Schiff die Anker lichtete und nach Malta segelte … Später, als die Hitze in Sicilien und bei seinen Wanderungen auf den Aetna zu unerträglich geworden, wäre auch er ihnen nach Malta gefolgt; er hätte sie auf dem felsigen Eiland mitten unter den für sein Gefühl zweideutigen Elementen der emigrirten Verbannten wiedergefunden wie zwei Engel des Lichtes …
Schreckhaft, fuhr er in seiner Darstellung fort, war die Seefahrt selbst … Nach Tagen der drückendsten Hitze sprang das Wetter um und ich erlebte einen Sturm. Die Küste Siciliens wurde ein einziger Nebelball. Das dunkelgraue, bald nur noch einem weißen Gischt gleichkommende Meer wälzte sich wie von einem unterirdischen Erdbeben gehoben. Das Schiff, ein englischer Dampfer, sank und stieg, wie von geheimen Schlünden ergriffen, die es bald hinunterzogen und wieder ausspieen. Jeder Balken ächzte. Der Regen floß 222 in Strömen. Das Arbeiten der Maschine mehrte unsere Beklemmung, die den Untergang vor Augen sah. Schreckhaft, wenn nur immer die Räder der Maschine hochauf ins Leere schaufelten – man fühlte dann die furchtbare Gewalt des Dampfes, der keinen Gegenstand fand und die Esse hätte sprengen müssen. Aber in diesem Toben und Rasen des Sturms und des Wassers erkennt man die allgemeine Menschenohnmacht und ergibt sich zuletzt – fast wie der Träger einer Schuld, die gleichsam unser Vorwitz schon seit Jahrtausenden gegen die Natur auf sich geladen hat. Auf dem engen Lager der Kajüte hingestreckt, erfüllte mich zuletzt Seelenruhe, auch wenn in der Nacht das Schiff auf ein Riff oder ein ihm begegnendes Fahrzeug geschleudert worden wäre. Der Tod infolge einer Naturnothwendigkeit hat, wenn man sich daran zu gewöhnen Zeit bekommt, nichts Schreckhaftes mehr … Ich erzähle das alles, weil Aemilio Bandiera ganz ebenso vom Segeln auf den Wogen der Zeit sprach …
Die Mutter machte alle möglichen Zeichen der Abwehr und des Protestes gegen eine solche Ergebung in das Unglück … Mitgefühl und Aberglaube lagen auf den gespannten Zügen ihres Antlitzes, das jedesmal, wenn eine edle Leidenschaft es erregte, einen lichtverklärten Anhauch ehemaliger Schönheit erhielt …
Attilio setzte hinzu, fuhr Benno fort, bei solchen Schrecken stünden soviel unsichtbare Engel zur Seite und fingen den Streich der Nothwendigkeit auf und soviel Tausende riefen: Uns ging es ja ebenso! … Oft, wenn ich mit den Brüdern auf dem Molo von La Valette 223 spazieren ging, rings das weite Meer wie nach beruhigter Leidenschaft in lächelnder Majestät lag, wenn ich mich in allem erschöpft hatte, was die Geschichte und die gesunde Vernunft gegen die italienische Form, die Freiheit der Völker zu erringen, lehrten – antworteten sie: Das mag auf euch passen, aber nicht auf uns! Und auch auf euch paßt es nur den Männern, nicht der Jugend! Die Jugend und ein unreifes Volk folgen der Ueberlegung nicht, sondern dem Instinct. Wir wissen, daß unsere Einfälle, die wir da oder dort in das Erbe der Tyrannen machen, noch scheitern müssen. Aber weit entfernt, daß sie darum dem Spott unterliegen, lassen sie immer etwas zurück, was dem nächstfolgenden Versuch zugute kommt. Immer ist wenigstens Ein heroischer Zug, Ein überraschender kleiner momentaner Erfolg vorgekommen, der dann für den nächsten Versuch ermunternd wirkt; man hatte ein Schiff, einen Thurm erobert, es waren einige der Gegner gefallen – Wenn Sie Recht haben sollten, daß die Freiheit immer nur eine Folge eines andern historischen großen Impulses ist – wie Graf Cesar Balbi lehrt, der für Italien erst den Untergang des osmanischen Reichs als erlösend betrachtet – so muß für eine solche möglicherweise eintretende Krisis die Gesinnung vorbereitet sein. Wir müssen diese Aufstände, so nutzlos sie scheinen, nur allein der Anregung wegen machen. Sie werden noch lange Jahre hindurch scheitern, manche Kugel wird noch die Besiegten mit verbundenen Augen in den Festungswällen niederstrecken, manches Haupt wird auf dem Henkerblock fallen: das thut nichts; alles das hält 224 nur die Frage wach und bereitet vor für ihre künftige Entscheidung …
Die Mutter horchte voll Grauen …
Als ich entgegnete: Lehrt durch Schriften und Gedanken! – lachten beide und erwiderten: Italien und ein Kind begreifen nur durch Beispiele! Der Buchstabe, Dank der langen Beschränkung desselben, kommt unserm ungebildeten, wenn auch geistesregen Volk nicht bei; hier will man sehen, hier mit Händen greifen, die Wundenmale berühren! Von den Jesuiten erzogen, wird dies Volk belehrt, daß die Patrioten lächerlich und schwach wären. Aber das Beispiel eines Aufstands in Genua oder Sicilien oder in der Romagna muß deshalb auf einige Tage das Gegentheil beweisen. Italien bewundert Räuber um ihres Muthes willen! ergänzte Attilio. Was ist der Tod! fiel Aemilio, der jüngere, wieder ein. Schreckhaft nur, wenn man im Leben Dinge verfolgt, die sich ausschließlich an unsere eigene Person knüpfen. Aber schon der Krieger gewöhnt sich und sogar im Frieden durch die Tausende, die mit ihm in gleicher Lage sind, von seinem Ich als einem völlig Gleichgültigen zu abstrahiren. Einer da mehr oder weniger – wen darf das schrecken! Vollends, sprach der ernstere und ruhigere Attilio, wenn man die Philosophie zu Hülfe nimmt! Die Erde ist ein Atom im Weltgebäude; diese Luft, diese Gestirne, diese Welten, diese Bäume, diese Menschen sind nur Schatten eines andern wahren Seins, das mit unzerstörbarer Göttlichkeit über dieser Welt der flüchtigen Erscheinungen thront! …
Die Herzogin erhob sich, überwältigt von den an-225geregten Empfindungen … Sie wollte, wenn von Italien die Rede war, nur vom Siege, nur von Kränzen des Triumphes hören … Der Tod ist nur für die Feigen da, für die Tyrannen! rief sie …
Auch Benno war in höchster Erregung aufgestanden … Auch durch seine Adern pulste das Blut in mächtigerer Strömung … Nach einigen Gängen hin und her auf der dunkelgewordenen Altane beruhigte er sich und fuhr leiser sprechend fort:
Ich blieb länger auf Malta als meine Ueberlegung hätte gestatten sollen … Die liebenswürdigen jungen Männer, mit denen ich auch über Deutschland, über unsere Dichter und Denker so gut wie über Italien sprechen konnte, fesselten mich zu lebhaft. Ich wußte nicht, um was ich sie mehr lieben sollte, ob um ihrer Freundschaft und brüderlichen Eintracht willen oder um einen sich so bewundernswerth ruhig gebenden Fanatismus. Was nur Schönes in der Menschenbrust leben kann, das hatten diese Jünglinge sich zu erhalten und auszubilden gewußt. Die Schilderung der Sternennacht auf den Lagunen Venedigs, in der sie nach ihrer von London erhaltenen Weisung beschließen mußten, zum Verräther an ihren nächsten Lebenspflichten, an ihres Vaters Ehre, an ihrer eigenen, am Herzen der Mutter zu werden, war erschütternd – Sie erzählten, daß sie unschlüssig gewesen wären, ob sie sich nicht selbst erschießen sollten … Ich nannte im Gegentheil das Martyrium unserer Zeit: Sich dem nicht entziehen, worauf uns Geburt, Stellung und das Vertrauen der Menschen angewiesen haben! … Möglich, daß ich dies Axiom zu sehr von Priestern entnahm, die 226 unter dem Druck ihrer Gelübde leben müssen und sie nicht brechen wollen – aus Furcht, einer Sache zu schaden, die sie in ihrem Wesen lieben … Mit einem Wort – ich ließ ein Herz voll Freundschaft in Malta zurück … Auch voll Dankbarkeit … Das felsige Eiland fesselte mich mit seinen geschichtlichen Erinnerungen länger, als ich hätte bleiben sollen; bald bildeten sich unter den Flüchtlingen zwei Parteien; eine, die das Vertrauen der Brüder Bandiera zu mir theilte, eine andere, die mich für einen Spion erklären wollte. Meine Kurierreise von Wien war bekannt geworden und sprach gegen mich. Ich fing an mich vertheidigen zu wollen und, wie in solchen Fällen es geht, verwickelte mich dadurch nur desto mehr. Ich fürchtete Concessionen zu machen, die über mein noch nicht reifes Nachdenken über diese Fragen hinausgingen. Die Mischung der Charaktere, die ich antraf, war abenteuerlich genug. Kaum waren reine und consequente Gesinnungen unter Menschen vorauszusetzen, unter denen ein wankelmüthiger, schwacher, aus Furcht vor seiner Schwäche wieder tückisch gewaltsamer Mensch wie Wenzel von Terschka eine Hauptrolle zu spielen scheint …
Auch Pater Stanislaus war zugegen? … wallte die Mutter erschreckend auf …
Nicht in Person – er dirigirt von London aus …
Wo er dein Nebenbuhler ist – …
Lucinde hat dich gut unterrichtet! … sagte Benno … Da sprach sie sicher auch von Thiebold de Jonge? …
Auch von ihm …
227 Thiebold wurde die Ursache, daß ich endlich von Malta und den immer bedenklicher gewordenen Verpflichtungen aufbrach … Mein Freund war nach Italien gekommen und wartete auf mich in Robillante … Wenn ich dir die Versicherung gebe, daß Thiebold de Jonge zwar das närrischste Italienisch spricht, aber das beste Herz von der Welt und eine Freundschaft für mich hat, wie sie nur die Brüder Bandiera gegeneinander besitzen, so wirst du mir vergeben, wenn ich ihn zum Vertrauten – meiner ganzen Lebenslage gemacht habe …
Die Mutter horchte auf …
Noch mehr! fuhr Benno fort. Ich habe nur im vollen Einverständniß mit ihm gewagt hierher zu reisen und einen Plan zu verfolgen, der – mir – eine Sache des Herzens war … Indessen – jetzt …
Welchen Plan? fragte die Mutter, noch immer der letzten Aufklärung harrend …
Marco meldete sich im Eßzimmer mit dem Geklapper seiner Anrichtungen …
Benno sprach leiser:
In so hastiger, völlig unüberlegter Eile hat mich die Freundschaft für die Brüder Bandiera hergeführt … Nachdem ich Malta verlassen, blieben sie mit mir im Briefwechsel … Ich kann sagen, es sind die ersten Männer, die mir im Leben nächst meinem Freund Bonaventura imponirten. Selbst wo ich ihre Ansichten verwerfen muß, rühren sie mich. Ich ordnete mich ihnen schon in Sicilien unter … Ich möchte diese herrlichen Jünglinge ebenso meinem Leben, wie dem Leben der Menschheit erhalten; ich möchte sie dem Vater, der Mutter erhalten, ihnen, die zwar äußerlich tief 228 gebeugt und voll Demuth an den Ufern der Lagunen wandeln, innerlich aber doch ihren Stolz auf „die Knaben“ behalten haben – … Mein Gott! Die Stunden der armen Unglücklichen sind gezählt – …
Wie? Warum? … rief die Mutter …
In wenig Wochen vielleicht schon – flüsterte Benno …
Ein Aufstand?! fuhr die Mutter empor und hielt Benno’s Hand mit ihrer eigenen krampfhaft ausgestreckten Rechten …
Ein umfassend vorbereiteter! sprach Benno leise … Es gilt Rom selbst! Der Herrschaft Ceccone’s! Der Einschränkung dieses freiheitsfeindlichen Papstes … Man erwartet Mazzini in Genua, Romarino in Sardinien, erwartet einen Aufstand in Sicilien … Die Brüder Bandiera sind von Malta aufgebrochen … Sie ließen zweifelhaft, wohin sie gingen … Einige ihrer Freunde waren weniger gewissenhaft … Sie dirigirten Flüchtlinge, die über die Alpen aus der Schweiz kamen, nach Robillante … Unter mancherlei Gestalten, als Pilger, als Mönche reisen sie vorzugsweise nach der adriatischen Küste der Romagna … Dort, bei Porto d’Ascoli, dort, wo seltsamerweise jener Pilger und der deutsche Mönch verschwunden sind, soll alles vorbereitet sein zu einem Handstreich … Die Brüder Bandiera werden eine Landung befehligen … Ancona, Ravenna, Bologna werden von den Verschworenen an einem und demselben Tage überfallen werden … Der Erfolg kann meiner Ueberzeugung nach kein glücklicher sein …
Warum nicht? rief die Mutter.
229 Die Brüder werden in die Hand Ceccone’s fallen …
Nimmermehr! …
Sie werden das Schaffot besteigen … Die Führer all dieser Aufstände des „Jungen Italien“ sollen, das ist die gemeinschaftliche Verabredung der betheiligten Cabinete, auch des Cabinets der gekreuzten Himmelsschlüssel, den Tod durch Henkershand erleiden …
Jesu Maria! rief die Mutter …
Ich sehe diese edeln Jünglinge das Schaffot besteigen! … Das ist die Angst, die mich nach Rom geführt hat …
Die Mutter stürzte an den Hals ihres Sohnes …
Nun hatte sie die Ursache, warum Benno wünschte, sie wäre bei Olympien und – Olympia begrüßte ihn noch mit ihrer frühern Neigung …
Benno hatte gehofft, so den Brüdern Bandiera das Leben retten zu können …
Marco! Einen Augenblick! Laß doch! Laß doch! rief die Mutter in den Salon und warf die Glasthür zu …
Als sie mit Benno auf der Altane abgeschlossen war, warf sie sich ihm wiederum mit Ungestüm an die Brust …
Ich Olympien zürnen! sprach sie. Nimmermehr! Wenn du ihrer bedarfst, so hab’ ich nichts von ihr erduldet! Laß sie mich mit Füßen getreten haben – wenn sie dich nur liebt, wenn sie deinen Wünschen nur Erhörung gibt – Jesu Maria, nur diese Söhne Italiens vor dem Henkersschwert bewahrt …
Benno stand gedankenverloren …
230 Die Mutter fuhr fort:
Ich weiß es, Ceccone brütet furchtbare Dinge … Er muß es thun … Fefelotti, das Al Gesù, der Staatskanzler, seine eigene Liebe zur Macht treiben ihn dazu … Aber – sei ruhig, mein Sohn! … Laß Olympien in deinen Armen ruhen! Laß sie die Hände zu deinem stolzen Nacken erheben … O sie sind zart, diese Hände … Sie mordeten – nur Lämmer … Olympia ist ein Kind! Noch jetzt! Noch jetzt! … Vielleicht, daß du, du sie zum Guten erziehst! Vielleicht, daß du mit deinem Liebeskuß das Eis ihres Herzens aufthaust! … Sie kann schön sein, wenn sie liebt! sagt’ ich dir schon in Wien … Sie kann vielleicht auch gut sein, wenn sie liebt! … Mein Sohn, habe Muth, vertraue! Wir Frauen sind alles, was ihr aus uns macht! … Fliege hin zu ihr, höre das Jauchzen ihrer gestillten Sehnsucht, fühle die Glut ihrer Zärtlichkeit, sei, sei, was sie will –! …
Es ist zu spät –! erwiderte Benno …
Um meinetwillen zu spät? fuhr die Mutter fort und raunte ihm ins Ohr: Ich beschwöre dich … Ich habe dich hier nie als einen Rächer für mich erwartet … Pah! Attilio Bandiera hat Recht: Was sind unsere Personen! … Das Vaterland ist die Losung … Sollen diese Jünglinge, deine Freunde, die Hoffnungen Italiens verderben –? … Nimmermehr! … Ein Kuß von deinem Munde und Olympia zerreißt alle Todesurtheile! …
Benno strich sich das Haar in wildester Erregung … Seine Augen glühten … Seine Brust hob sich … 231 Der Raum der Altane war zu eng für das mächtige Ausschreiten seines Fußes …
Ist es denn aber auch gewiß, fragte die Mutter leise, gewiß, daß diese Invasion bevorsteht? …
Die Küste der Adria ist reif zum Aufstand! flüsterte Benno … Die Zollbedrückungen Rucca’s sollen unerträglich sein … Die achtbarsten Kaufleute arbeiten der Insurrection in die Hände … Und hier in Rom –
Zwölf Logen gibt es hier! … fiel die Mutter ein …
Benno schwieg … Er schien mehr zu wissen, als er sagte …
Die Brüder Bandiera, fuhr die Mutter fort, sind, wenn ihr Beginnen scheitert und sie nicht fallen oder entfliehen können, nicht anders vorm Tode zu retten, als durch Olympia … Ich weiß es, selbst die Hand des Heiligen Vaters scheut das Blut der Rache nicht mehr für die, die die dreifache Krone antasten – Auch das zweischneidige Schwert Petri ist gezückt – Laß alles! Geh’ zu dem jungen Rucca! Verständige dich mit deinen wiener Freunden – Auch mit Lucinden! Kenne mich nicht mehr in Rom! … Ich verlange es! …
Benno stand, immer in dumpfes Brüten verloren …
Ich verlange es! wiederholte die Mutter … Weiß ich dich nur in meiner Nähe! Kann ich deine Stirn nur zuweilen küssen! … Laß mich, mein Sohn – Du fühlst wie ein Sohn meines Landes! Das macht mich allein schon glücklich! Benno – Soll ich so dich nicht lieber nennen – nicht Cäsar? … Wage du dich nicht selbst an Dinge, die mich um das Glück deiner Liebe bringen müssen … Oder – doch? … Thu, wie du mußt! 232 Nur geh’ morgen zum jungen Rucca, den du – in Wien vorm Tode durch einen Elefanten rettetest … Dein Name, dein Anblick wird Wunder wirken … Ich kenne Olympiens verzehrende Sehnsucht …
Nach den Begriffen des italienischen Volks ist Größe der Empfindung mit List vollkommen vereinbar … Wie ihr mir, so ich euch! lautet die Moral des Südens … Die Herzogin schilderte die Lächerlichkeit des jungen Ercolano Rucca, sein Prahlen mit jenem Angriff eines Elefanten auf ihn, die Sehnsucht, die er noch immer nach dem Bestätiger seines Muthes ausspräche, seine Sorglosigkeit Olympien gegenüber, die bald über sie gekommene Langeweile, die sie vorläufig im Gebirge in Reformen der Ackerwirthschaft austobe … Zwar wäre sie auf die Grille gekommen, den ehemaligen Pater Vincente, von dem ich dir in Wien schon erzählte, sagte sie, zum Cardinal zu erheben und ihn jetzt wie ihre Puppe zu behandeln, die sie schmückt … Aber dein erster Gruß löscht alle diese Flammen aus – …
Im Lauf der sich überstürzenden Schmeichel- und Ermuthigungsreden der Mutter bemerkte Benno:
Von diesem Vincente Ambrosi hab’ ich in Robillante seltsame Dinge gehört … Jener Eremit von Castellungo bekannte sich zu den Lehren der Waldenser, die das erste apostolische Christenthum besitzen wollen … Eine zahlreiche Gemeinde bildete sich … Zu ihr gehörte ein junger Zögling des Collegs von Robillante, der sich zum Priester bilden wollte. Die Lehren des Eremiten zogen ihn an … Oft soll er Tage und Nächte bei ihm im Walde zugebracht haben. Die Gesetze verbieten aufs strengste den 233 Uebertritt zu den Waldensern. Eines Tags verschwand der junge Ambrosi und war Franciscaner geworden … Man schickte ihn zu seiner weitern Ausbildung nach Rom. Seine dortigen Schicksale erzähltest du … Ueberraschend ist es, daß mancher in Robillante glaubt, er hätte sich durch sein Buß- und Leidensleben nur einem von jenem Eremiten ihm ertheilten Auftrag unterzogen und stünde noch jetzt mit ihm in Verbindung …
Die Herzogin hörte nichts mehr … Sie war zu erfüllt von der einzigen Nothwendigkeit, daß Benno zu Olympien müßte … Sie blieb bei ihrem Wort:
Olympia läßt von allen, wenn du erscheinst! … Du bleibst der Sieger! …
Wenn sich Benno im Lauf dieser Ermunterungen und Versicherungen allmählich scheinbar für überwunden erklärte, ja sogar dem Ernst seiner Mienen einige Streiflichter des Scherzes folgen ließ, so war ein Gedankengang daran schuld, den die Mutter nicht sofort verstehen konnte … Er sagte, mit dem Kopf nickend:
Bin ich nicht glücklich? … Ich habe eine Mutter, die mich verzieht und mir gegen alles Verdienst schmeichelt; einen Bruder, der mir bei Torlonia einen Creditbrief offen hält, von dem ich dir die Pension Ceccone’s verdoppeln zu können hoffe; einen Oheim, der mich und Bonaventura zu seinen Erben macht, wenn auch Frau von Gülpen bis an ihr Lebensende die Nutznießung seines Vermögens behält; dann hab’ ich in meinem jungen Leben schon vier wahre Freunde gefunden, Bonaventura, Thiebold, Attilio, Aemilio … Nun höre noch dies, Mutter! Ich wollte nicht übermüthig sein … Ich wollte mich in 234 die Strudel des Wiedersehens der jungen Fürstin mit Vorsicht wagen … Hatten wir Stunden der Trauer zu erwarten, mein Freund Thiebold de Jonge sollte uns Erheiterung bringen … Das Idol seines Herzens – schon einmal hat er es mir geopfert … Und auch jetzt wollte er meinem Gewissen einen tapfern Beistand leisten … Mit einer Gemüthsruhe, die nur verständlich ist, wenn man die persönliche Bekanntschaft dieses närrischen Menschen gemacht hat, sprach er, als er meinen Kampf und die Furcht sahe, mich nach Rom zu begeben: Bester Freund – – …
Noch hatte Benno das Lieblingswort Thiebold’s: „Ich kann mich vollkommen auf Ihren Standpunkt versetzen“ nicht ausgesprochen, als es draußen heftig klingelte …
Wer stört uns! rief die Herzogin, stand auf und wollte Befehle geben, die sie für niemand anwesend sein ließen …
Schon aber klingelte es zum zweiten mal …
Mutter, sagte Benno, das kann nur mein stürmischer Freund sein! An dieser kurzen Pause zwischen dem ersten und zweiten Klingeln erkenn’ ich Thiebold … Gegen alle Verabredung hat er sich verspätet … Ich ging zu Land, er den kurzen Weg über Genua zu Wasser – …
Man hörte die laute Stimme eines radebrechenden Fremden, der nach „Ihrer Hoheit der Herzogin von Amarillas“ verlangte …
Er ist es! sagte Benno … Ich bin wenigstens froh, daß er noch am Leben ist! …
235 Die Mutter wußte, daß der alte Marco die Gewohnheit hatte, vertraute Gespräche seiner Gebieterin nicht zu unterbrechen … Sie wußte, daß er solche Störungen mit völlig unklarem Bewußtsein, ob Altezza zu Hause wäre oder nicht, zu beantworten pflegte … So kam er auch jetzt mit einer fragenden Miene … Aber kaum sah er: Willkommen! im Antlitz seiner Gebieterin, so war er auch schon wieder draußen und mit den heitersten Scherzen hörbar … Die gute Laune kam wieder, da er sah, es fing um seine Gebieterin an lebhafter zu werden …
Thiebold de Jonge trat ein …
Er sah aus wie ein Räuberhauptmann … Nur mit dem Unterschied, daß dieser einmal gelegentlich, etwa zum Behuf einer ihm von Aerzten vorgeschriebenen Badereise, eine elegantere Toilette gemacht hat … Sonst konnte er von seiner „Verwilderung kein Hehl machen“ … Die Gesichtsfarbe war braun „wie ein kupferner Kessel“ … Sein Bart wie die Mähne eines Löwen … Sonst trug er sich vom Kopf bis zum Fuß in Nankingstoffen … Auf dem weißausgelegten Hemd von bielefelder Leinwand blitzte eine Brustnadel von Diamanten, die abends jedem Räuber eine Aufforderung zu einem kühnen Griff erscheinen durfte … Weste, Pantalons, gefirnißte Stiefel, alles war von jener Fashion, die dem Modejournal und den heimatlichen Gewohnheiten entsprach … Mindestens glich er bei alledem doch einem „Schiffscapitän, der zweimal die Linie passirte“ … Mit einem Gemisch von Worten, das wahrscheinlich bedeutete: „Ich muß tausendmal um Entschuldigung bitten, Frau Herzogin!“ 236 kam er über die Schwelle des Salons gestolpert … „Noch taumelte das kaum verlassene Schiff mit ihm“… An seinem Strohhut, den er, wie er Benno zuraunte, „in erster Verlegenheit“ zerdrückte, flatterten zwei rothe Bänder, wie am Hut eines Matrosen … Seine Corpulenz hatte zugenommen … Bei alledem war er anziehend und für Italien als Blondin doppelt interessant …
Seinen Freund Benno noch in der Hauptsache ignorirend, radebrechte er, immer zur Herzogin gewandt, daß er eben angekommen wäre und seinen Freund aufgesucht und dessen Spur bei Piazza Sciarra und endlich auf dem Monte Pincio aufgefunden hätte … Bitte, Hoheit, ich bin nur da, um ihm meine Adresse, die auf ein vis à vis seiner Wohnung lautet, zu bringen oder etwa eine Verabredung für morgen zu treffen oder falls Hoheit heute Abend noch Befehle hätten, sie auszuführen – Ich werde überhaupt in Rom lieber Eurer Hoheit, als einem Menschen folgen, der mir den Weg über Genua angerathen hatte, ohne zu wissen, daß die Dampfschiffe von Genua nicht auf Passagiere warten, die sich von wunderbaren Kaffeehäusern und Hotels in Nizza und Genua nicht gut trennen können … So bin ich aus Zerstreuung in Genua sitzen geblieben und wider Verabredung um fünf Tage zu spät gekommen, hoffe indessen, daß der von meinem Freunde beabsichtigte Feldzug auch ohne die Tranchéen, die ich – …
Dies schwierige Bild aus der Kriegstaktik auszuführen scheiterte nicht gerade an Thiebold’s Sprachkenntnissen, wol aber an seinem Gedächtniß … Er hatte seine 237 Rede italienisch gehalten und auswendig gelernt … Die Ehren, die er der Herzogin ließ, waren ungefähr die, die er etwa in Deutschland einer regierenden Landesmutter von Braunschweig oder Nassau hätte erweisen müssen …
Die Herzogin reichte dem närrischen Signore Tebaldo die Hand und bat ihn, sogleich zum Souper zu bleiben … Sie klingelte, ließ ihr kleines Mahl anrichten, trat am Arm Tebaldo’s in ein Eßzimmer, wo die kleine Tafel sinnig geordnet war, und fand sich in ihn so gut, als hätte sie ihn seit Jahren gekannt … Das Gefühl, in ihm einen Mitwisser des Geheimnisses zwischen ihr und Benno zu sehen, durfte sie nicht stören; Signore Tebaldo war nur durch die ihm nicht geläufige Sprache und die Anwesenheit der Diener verhindert, sofort jeden „Zwang als bei ihm völlig überflüssig“ zu bezeichnen und die „Sachlage“ und die „vollendete Thatsache“ und überhaupt alles auf „seine natürlichen Voraussetzungen zurückzuführen“ … Sein Sprachgemisch, zu dem sich als letzte Aushülfe Französisch gesellte, sein Benehmen gegen Benno, die Art, wie er die Terrasse „himmlisch“ und „stellenweise die drei Treppen belohnend“ fand, die Kritik des „kühlen Speisesaals“, die Leichtigkeit, mit der er seinen Stuhl ergriff und die entzückende Natur Italiens, selbst mit „radicaler Unerträglichkeit“ solcher Strecken wie von Civita-Vecchia bis hierher, die Einfachheit der Sitten, die Frugalität der Soupers – „mit Ausnahmen“ – anerkannte, Roms Trümmerwelt als einen „das Auge mehr oder weniger beleidigenden polizeilichen Skandal der Jahrhunderte“ bezeichnete, alles 238 das hatte etwas so Vertrauenerweckendes und über jede Schwierigkeit sogleich Hinwegsetzendes, daß die Herzogin nicht die mindeste Scheu vor ihm empfand … Zwischen eine Erzählung über seine Reiseabenteuer von Robillante bis hierher und die ersten Erfahrungen in einem römischen Hotel, das er sofort verlassen hätte, weil der „erste Cameriere sich gegen ihn das Benehmen eines Ministers erlaubt hätte“, ließ er bei Abwesenheit der beiden Diener die kühn stilisirten Worte fallen:
Altezza, anch’ io suon un’ filio perduto, ma ritrovato! … Auch ich hab ’nmal eine Mutter gehabt, die in einem Zeitalter gestorben ist, von dem ich mir nur noch eine dunkle Erinnerung bewahrt habe! Jedoch an jedem Sterbetag der frühvollendeten Dulderin hab’ ich mit dem alten Mann, meinem Vater, eine Messe für sie lesen lassen und ging in die Kirche, was sonst meine Gewohnheit weniger ist … Gott, das sind jetzt zwanzig Jahre her und oft hat mich schlechten Menschen diese Gewohnheit genirt. Aber ich that’s um meines Vaters willen. So lang’ ich lebe und es noch Kirchen gibt, setz’ ich diese Gewohnheit fort an jedem vierzehnten October, Tag des heiligen Burkard, vorausgesetzt, daß unsere Kalender stimmen, Hoheit! … Ich bin nicht ganz so aufgeklärt, wie mein Freund da – Asselyn. Ich kann Ihnen, wenn Sie es wünschen, Herzogin, auf jede Hostie – selbst eine wunderthätige – beschwören, daß ich mir die Ehre, Mitwisser Ihres „übrigens längstgeahnten“ Geheimnisses zu sein, durch eine Discretion verdienen werde, die Ihnen möglicherweise selbst auf die Länge peinlich werden dürfte! … Unglaublich! Wirklich – der Kronsyn-239dikus –! Na, wissen Sie, Benno, wie wir damals bei dem Leichenbegängniß – … Doch kein Wort! … In der Kunst, sich dumm zu stellen, hab’ ich die Vortheile voraus, die einem gemeinschaftlichen Freund von uns zugute kamen, der eines Tags die Entdeckung machte, daß durch systematisches Ignoriren sich am besten die Ignoranz verdecken läßt! … Bruto e muto! … So wahr wie –
Marco’s Kommen unterbrach einen, wie es schien, auf Haarsträubendes berechneten Schwur …
Die Herzogin verstand aus den französischen Beimischungen seiner Rede, was er andeuten wollte, und Benno küßte die Hand der Mutter – Thiebold bat um die gleiche Gunst … Die Glückliche saß, wie sie sagte, wie die Perle im Golde …
Marco schien ihr alles das von Herzen zu gönnen … Er sah auf nichts, als auf die Leistungen seiner Kochkunst …
Die trauervollste, ernsteste Stimmung mußte durch Thiebold de Jonge immer mehr gemildert werden …
Thiebold erzählte, bald italienisch, bald deutsch, bald französisch und noch öfter Benno zum Uebersetzen veranlassend, von einem aus Paris von Pitern vorgefundenen Brief … Er verbreitete schon damit über die Züge der Herzogin den Ausdruck einer Heiterkeit, die sie seit Jahren nicht gekannt hatte … Thiebold’s Humor hatte die seltene Eigenschaft, beim Scherz dem etwaigen Ernst, der eingehalten werden mußte, nicht im mindesten seine Würde zu nehmen … Jede vom ab- und zugehenden Marco und seinem Genossen, der eine stattliche Livree trug, gelassene 240 Pause, benutzte er, die Saiten zu berühren, die in Benno’s Innern zu mächtig nachbebten … Wie wuchs die Verehrung vor ihrem Sohn, als die Mutter sah, daß Benno solche Freunde gewinnen konnte … Thiebold äußerte in noch verstärkterem Grade die Besorgniß, die Benno über das Schicksal der beiden Männer hatte, die ihm so werth geworden … Er theilte „unbekannterweise“ ganz diese Sympathie für die Gebrüder Bandiera – ohne allen Neid … Er sah eine Sorge im Gemüth des Freundes und suchte ihr abzuhelfen; das war ihm Aufgabe genug … Ohne selbst Politik zu treiben, konnte er sich „dergleichen Wahngebilde von einem fremden Standpunkt aus vollständig erklären“ … Es war der immer gleiche Trieb der Gefälligkeit, der in Thiebold’s Herzen so freundliche Wirkungen hervorbrachte. Dieser Trieb verband sich mit dem behaglichen Gefühl seiner sorglosen Lebenslage, seiner reichlichen Mittel, vorzugsweise dann freilich auch – mit dem ungewissen Halt seiner eigenen Bildung. Sah er kluge Leute von einer Sache interessirt, so war er selbst klug genug, ihren Meinungen „vollständig Rechnung zu tragen“ … Italien und Rom „waren nun einmal da“ … Die Interessen dieses „überhitzten und in einem südlichen Klima gelegenen Landes“ waren ebenso abzuwarten, wie der Hemmschuh des Vetturins … Vollends war „die Guillotine kein Spaß“ … Thiebold besaß jene seltene Toleranz, die eine fremde Welt um so mehr achtet, je weniger sie davon versteht …
Nur schade, daß die Herzogin der „neuerfundenen Mischsprache“ Thiebold’s nicht immer folgen und so recht 241 die Gegensätze und Natürlichkeiten genießen konnte, die in dieser empfänglichen Seele zu gleicher Zeit Platz hatten …
Die Nacht war herniedergestiegen … Millionen Sterne funkelten am dunkeln Himmel … Auf der Altane, auf die man nach dem Souper, dem sogar Champagner nicht fehlte, zurückkehrte, brannte eine Lampe … Drei so traulich Verbundene saßen unter dem Duft der Blumen und in dem ganzen Zauber südlicher Natur, der sich selbst beim nächtlichen Gewirr der Städte nicht verliert … Glocken läuteten; die Luft, die nach dem Untergang der Sonne anfangs kühl geweht, hatte wieder ihre alte Weiche gewonnen; die Lampe warf geheimnißvolle Reflexe in das tiefdunkle Grün der hohen Zierpflanzen und zog schwirrende kleine Käfer an, die in ihr eine lichtere Schlummerstätte zu finden glaubten, als die Orangen- und Granatenblüten, in deren Kelchen sie schon gebettet lagen … So erliegen wir den Ausstrahlungen höherer Ziele, die ein Gesetz unserer schwachen, dem Irrthum unterworfenen Natur rastlos uns auch dann noch suchen läßt, wenn wir uns schon längst hätten genügen sollen …
Benno und die Mutter knüpften an die frühere, von Thiebold unterbrochene Stimmung an … Thiebold konnte nun selbst das sagen, was eben Benno als seine Hülfe in der möglicherweise verhängnißvollen Wiederbegegnung mit Olympien hatte berichten wollen …
Ja – Armgart –! seufzte Thiebold … Wir lieben ein und dasselbe Mädchen, Hoheit, und längst hab’ ich entsagt zu Gunsten meines Freundes. Ich 242 beanspruche nur noch bei ihm Pathenstelle … Seine Großmuth lehnt nun freilich mein Opfer ab und darin hat er Recht: Der Gegenstand unserer Liebe neckte einen mit dem andern … Diese Cigarrentasche, die von ihr ist – sehen Sie, Hoheit, diese so – mangelhafte Arbeit – deutet auf eine Berechtigung, das Andenken der Geliebten gleichsam zur Lebensgefährtin machen zu dürfen, während mein Freund einen Aschenbecher erhielt, ein Mobiliar, das sich nur in den vier Wänden benutzen läßt … Er vergaß es in Robillante – ich hab’s mitgebracht, lieber Freund – … Andererseits könnte damit freilich das Princip der Häuslichkeit angedeutet sein … Genug – „sei dem, wie ihm wolle“ und wie sehr wir besorgen müssen, daß eine raffinirte Natur wie die des Ex-Paters Stanislaus mit Hülfe der so fanatisch lichtfreundlichen Aeltern uns beide aus dem Felde schlägt, ich habe meinem Freund als einzigen Ausweg aus dem Labyrinth seiner möglichen Verirrungen mit Fürstin Rucca den Ariadnefaden meiner eigenen Liebe zu ihr vorgeschlagen …
Die Herzogin begriff nicht …
Altezza! Ich kenne überraschende Wirkungen der blonden Haare in Italien! unterbrach Thiebold Benno’s Erläuterung … Ich habe haarsträubende Erfolge erlebt! Ich werde noch mehr gewinnen, wenn ich Fortschritte in dieser verdammten – göttlichen Sprache mache, die mich beschämend genug an mein altes Latein – Secunda – erinnert … Ich liebe die Fürstin Rucca bereits bis zur Narrheit! Ich werde Benno’s Erfolge paralysiren …
Die Herzogin fragte nach dem Sinn dieser Worte 243 und fixirte den Sohn, den Thiebold nicht aufkommen ließ …
Es ist dies: Ich, ich liebe Gräfin Olympia Maldachini bereits aus dem Garten von Schönbrunn, schon aus der Menagerie im Prater … Die Erzählungen über sie wirkten so auf mich, daß ihr die Wahl zwischen mir und Benno unmöglich werden soll … Schon vor fünf Tagen sollt’ ich im Palazzo Rucca meine Karte und einen Empfehlungsbrief von Benno an den jungen Elefantenkämpfer abgegeben haben … Nun ist es später geworden und der Fürst ist auf dem Lande … Ich reise morgen in erster Frühe nach Villa Torresani, auch nach Villa Tibur, wo Lucinde wohnt, im Widerspruch mit allen, die sie verdammen, bekanntlich eine leidenschaftliche Neigung von mir … Scherz bei Seite, Hoheit, die Schilderung der Persönlichkeit der Fürstin Olympia hat mehr, als meine Neugier erregt. Grüner Teint, blaue Haare, Wuchs bis Benno’s Taille – ich werde Lucinden sofort Erklärungen machen und um die Vermittelung meiner Wünsche bitten. Ich mag diese kleinen Figuren! Armgart ist auch nicht groß. Ich werde der Fürstin zeigen, was bei uns in Deutschland schwärmen heißt. Weiß ich dann auch, daß mich die spätere Ankunft Benno’s, die ich in Aussicht stelle, aus dem Sattel heben wird, so werd’ ich doch sein Schicksal so lange durchkreuzen, aufhalten und nur über meine Leiche hinweg ihn zum Sieger über diese gebietende Göttin des Kirchenstaates werden lassen, daß darüber das Schicksal der Gebrüder Bandiera sich entschieden haben dürfte … Ich weiß nicht, ob ich deutlich gewesen bin, Hoheit? …
244 Die Mutter begriff halb und halb und sah lachend auf Benno, der eine abwehrende Miene machte …
O, fuhr Thiebold auf, ich weiß durchaus nicht, ob es nach genommener Verabredung ist, daß mich mein Freund Asselyn hier in unserm Plan durch ein ironisches Lächeln unterstützt! … In Robillante waren wir einig: Wir wagen uns beide in die Höhle des Löwen! Wir bitten die Herzogin von Amarillas um ihre Protection! Wir unterwerfen uns Sr. Eminenz dem Cardinal Ceccone in gebührender Demuth! Wir lassen in dieser großen, vornehmen Welt, in der Sie leben, gnädigste Frau Herzogin, unser Licht leuchten so gut es geht und sollte mir mein Freund Asselyn wirklich von jenem grünen Teint und jenen blauen Haaren in Gefahr für seine Tugend gerathen, so verderb’ ich ihm jedes Rendezvous und setze das so lange fort, bis Rom entweder eine Republik geworden ist oder Ceccone, was mir wahrscheinlicher erscheinen dürfte, die Sentenz für die Gebrüder Bandiera zu unterschreiben hat – …
Die Herzogin sah den Irrthum Thiebold’s über ihre gegenwärtige Lage, unterstützte aber seinen überraschenden Einfall durch jede Geberde … Sie unterdrückte jede Einsprache Benno’s, nannte Ceccone ihren Freund, ihren Gönner, Olympia ihr treuestes Pflegekind … Sie ermuthigte beide, mit der jungen Frau ihr Heil zu versuchen …
Es schlug nun elf Uhr …
Thiebold mahnte an den Aufbruch …
Benno blieb traurig und schien keinen Willen mehr zu haben …
245 Die Mutter ließ ihn nur mit den Beruhigungen scheiden, die sie verlangte … Er mußte versprechen, morgen im Palazzo Rucca nach dem Principe Ercolano zu fragen und seine Karte abzugeben – Thiebold sollte inzwischen schon ins Gebirge und auf die Villa Torresani reisen …
Das alles stand fest und unwiderruflich … Die Mutter führte Benno an das Medaillon des Herzogs von Amarillas, ergriff seine drei Schwurfinger und flüsterte ihm – „bei Angiolinens Angedenken!“ – einen Schwur … Er sollte geloben, daß er sich mit Lucinden verständigte und in die Welt Ceccone’s und Olympiens einträte, ohne die mindeste Rücksichtsnahme auf irgendetwas, was ihr persönlich begegnet war …
Benno erwiderte: Rom ist die Tragikomödie der Welt! … Er gab der Mutter in dem, was sie vorläufig begehrte, nach …
Beim Nachhausegehen war Thiebold entzückt von dieser „seltenen Frau“ … Er verwünschte seine mangelhaften Kenntnisse im Italienischen, schwur, täglich sechs Stunden Unterricht nehmen zu wollen und erstaunte dann nicht wenig, als ihm Benno beim Herabsteigen von jener großen Treppe, die auf den spanischen Platz führt, erzählte, daß sich die Stellung seiner Mutter zu Ceccone und Olympia gänzlich verändert hätte …
Nun erst begriff Thiebold die kalte Aufnahme, die er an Piazza Sciarra erfahren hatte, als er dort nach der Herzogin von Amarillas fragte …
Er verwünschte die römische Welt nicht wenig …
Dann verglich er Rom bei Nacht mit seiner Vater-246stadt bei Nacht … Die Beleuchtung war hier „unter der Würde“ – Rom verwarf bekanntlich damals als „revolutionäre Neuerung“ nicht blos die Eisenbahnen, sondern auch die Gasbeleuchtung*) – …
Die Freunde verabredeten sich, morgen in alter Weise gemeinschaftlich zu frühstücken und das Weitere ernst zu berathen …
Thiebold wollte zu Benno kommen …
Den Aschenbecher vergaß ich in Robillante! rief Benno Thiebold nach, als dieser schon an die Pforte seiner Wohnung geklopft hatte, die derjenigen Benno’s gegenüber lag … Bringen Sie ihn doch morgen früh mit …
Das einzige Wort, mit dem Benno die zum Tod betrübte Stimmung seines Innern verrieth.
247 7.#
Die Wirkung einer Karte, auf der zu lesen stand: „Monsieur Thiebold de Jonge, recommandé par le Baron Benno d’Asselyn“ war außerordentlich …
Sie fiel in die Siestenstunde, wo auf Villa Torresani die junge Fürstin Rucca bei herabgelassenen Jalousieen auf schwellenden Polstern ausgestreckt lag und vielleicht in Liebesschauern vom schönen Cardinal Ambrosi träumte …
Sie fuhr empor …
Halbentkleidet lag sie auf einem Ruhebett ausgestreckt … Dicht war sie gegen die bösen „Zanzari“ in Musselinvorhängen eingehüllt … Mit halbschlafendem Brüten hatte sie ein Deckenbild des Bettes, eine Amorettenscene von Albani angestarrt …
Diese Villa war der Mittelpunkt einer durch Kunst und Natur zum reizendsten Aufenthalt bestimmten Schöpfung …
Die Villa Torresani lag auf Bergabhängen hingehaucht wie im tändelnden Musenspiel … Alles an ihr war leicht, zierlich und gleichsam ohne Mühe geschaffen … Die Treppenaufgänge waren in ihren Geländern 248 mit zierlichster Symmetrie durchbrochen, auf ihren Wangen mit Statuen, Aloë- und Cactustöpfen geschmückt … Wo sich bei jeder neuen Etage die Treppe zwiefach theilte, plätscherten Springbrunnen oder muschelblasende Tritonen … Oben auf der gekieselten Plateforme erhob sich ein Bau voll Pracht und Schönheit, in zwei Stockwerken, verschwenderisch geziert von Säulen, Nischen, Statuen, abgeschlossen hoch oben von einer Attika, deren vier Ecken freischwebende Marmorbilder begrenzten … Eine silberweiße Herrlichkeit war es, weithin leuchtend aus einem dunkeln Boschetto von Lorberhecken und urmächtigen Eichen … Hier rauschten die Wasser, dort sangen die Vögel, summten die Käfer … Weit hinaus zur Ebene verfolgte das Auge die gelblichen Fernsichten herbstlicher Stoppelfelder; sie milderten sich durch die quer hindurchlaufenden Weingehänge und die breitastigen, nicht ängstlich beschnittenen Pappeln … In der Ferne erhob sich Rom, die Peterskuppel, sie, der immer hocherhobene Finger, der die Welt aus dem Erdendunst gen Himmel weisen soll … Wer aber schweift hinaus bei so beglückender Nähe! … Hier waltete die Kunst und die in ihren Weihemomenten überraschte Natur … Durch die zur Erde gehenden Fenster des Palastes sah man die an den Capitälen bronzirten schwarzen Marmorsäulen eines großen Speisesaals mit dem weißschwarzen Marmorgetäfel des Fußbodens … Nach hinten empfingen die Schlaf- und Siestenzimmer die Kühle einer angrenzenden Cypressengruppe, den Duft des zur Berglehne reichenden Blumengartens, in dem die Pflanzen eines noch tieferen Südens im Winter durch Glasdächer geschützt wurden … Dort 249 reiften Bananen … Dicht am Fenster, wo Olympia schlief, hauchte eine Gruppe Gardenien aus ihren weißen, großmächtigen Blütentrichtern und aus der wollüstig feuchten Wärme der fortdauernd zu erneuernden Berieselung einen Duft aus, gegen den der Duft der Rose verschwand …
Olympia lachte im Halbschlaf – Sie lachte sogar des Cardinals Ambrosi, der sich ihren Sorgen für eine seiner würdige Einrichtung durch den eifersüchtigen Fefelotti hatte entziehen müssen … Dann erschrak sie, weil den – Cardinal-Conservator der Reliquien nichts als Todtenschädel umgaben … Durch eine nahe liegende Ideenverbindung kam sie auf den deutschen Mönch Hubertus und Grizzifalcone … Sie warf sich auf die andere Seite und wieder lachte sie ihrer Schwiegermutter, die sie fortwährend hofmeistern wollte … Sie lachte Lucindens, des Cardinals und der Herzogin von Amarillas – …
Da eben erscholl das Klopfen des betreßten Dieners – Da kam die Karte …
Drei, vier Klingeln gingen durcheinander, als sie die Karte gelesen hatte … Portier, Diener, Kammerzofe – wem hatte sie nicht alles Befehle zu ertheilen! …
„Recommandé par le Baron d’Asselyn“ …
Die Fürstin, außer sich, weckte ihren nebenan schnarchenden Ercolano …
Für diesen war sogar ein Brief vom Signor d’Asselyno durch den draußen harrenden mit Extrapost vorgefahrenen Monsieur Thiebold de Jonge selbst überbracht worden …
Sie herrschte dem schlaftrunkenen Gatten zu, er sollte den Fremdling so lange unterhalten, bis sie sich in Toilette 250 geworfen hätte … Den Brief nahm sie selbst und erbrach ihn …
Benno von Asselyn beklagte in diesem Briefe sein bisheriges Los, das ihn in der Welt hin- und herzureisen gezwungen und erst jetzt nach Rom zurückgeführt hätte … In acht Tagen spätestens würde er dem Fürsten seine Glückwünsche und der Fürstin sich selbst zu Füßen legen …
So schallen auf der Insel Ceylon plötzlich wunderbare Klänge aus der Luft … So richtet sich die Blume auf, die nach langer Dürre ein stürzender Regen erfrischt … Olympia flog in ihre Garderobe …
Thiebold de Jonge hatte inzwischen in einer Empfangsrotunde Gelegenheit, die Geschichte der alten Kunst zu studiren … Neun Marmorstatuen zierten sie, geschmackvoll in Nischen angebracht; sie sowol wie der Mosaikfußboden gehörten dem wirklichen Alterthum an … Hier war alles echt … Das alte Rom war hier noch nicht untergegangen …
Später hat es Thiebold oft erzählt, wie ihm der erste Anblick der „kleinen Heuschrecke“, die nach einer halben Stunde in gelbnaturseidenen, mit grünen Blättern und bunten Blüten bedruckten Gewändern hereinrauschte, Lexikon, Grammatik, Alberti’s Complimentirbuch in vollständigste Verwirrung brachte … Die „gelbe Hexe“ wäre viel, viel anziehender gewesen, als er erwartet …
Dennoch mußte er sich früh erholt haben … Er „reussirte“ schon beim ersten Gruße … Benno hätte sich getrost noch acht Tage in Rom können versteckt halten … Thiebold beschäftigte den Fürsten und die Fürstin schon am ersten Tag mit all den Erfolgen, die wir 251 als die gewöhnliche Belohnung seiner geselligen Talente kennen … Sogar ein Begrüßen der Villa Tibur wurde ihm am ersten Tag nicht möglich … Das Französische unterstützte die Verständigung … Olympia und Ercolano ließen den liebenswürdigen „Baron“ de Jonge nicht wieder frei …
Der Brief, die Ankunft Thiebold’s hatten sich verspätet … Folglich erschien Benno schon am Tag nach dem Siestentraum …
Ercolano holte ihn aus Rom ab und er holte ihn im Triumph … Da hatte denn der junge Römer den Mann, der es möglich machte, die Geschichte von seinem „Kampf mit einem Elefanten“ zu wiederholen … „Dies ist der Herr, der mich damals in Wien –“ … Ercolano erdrückte Benno mit seinen Umarmungen …
Und siehe da! … Als Benno auf Villa Torresani ankam, hatten sich gerade – Thiebold und Olympia schon bei einem Ausflug in den Gebirgen verspätet …
Es konnte kein Wunder nehmen, daß in drei Tagen Thiebold und Benno schon auf der Villa Torresani selbst wohnten … Im Garten gab es mehrere, die reizendste Aussicht gewährende Pavillons … Diese allerliebsten kleinen Häuschen mit den grünen Jalousieen! hatte Thiebold seltsam kokettirend zur Fürstin gesagt und sogleich wurde eines für sie aufgeschlossen … Es war die Zeit, wo alles auf dem Lande lebte … Was wollen Sie in Rom, was in Tivoli! – wo die Freunde sich eingerichtet hatten im Gasthof zur Sibylle – Sie wohnen bei uns! jubelte Ercolano … Lucinde wohnte tausend Schritte weiter von den Wasserstürzen Tivolis 252 … Weder Benno noch Thiebold hatten sie begrüßt und schon wohnten sie in dem Pavillon der Villa Torresani … Die Italiener sind sonst nicht gastfrei … Hier aber traten Gründe ein, diese beiden jungen Fremdlinge nicht wieder frei zu lassen … Schon das erste Zusammentreffen des Besuchs mit einer Visite der Schwiegermutter, das Hinzukommen anderer Nachbarschaften entschied – … Alle sagten: Diese beiden Deutschen werden die Löwen der römischen Gesellschaft! …
Thiebold’s Kunst, die Menschen und Verhältnisse in Verwirrung zu bringen, ohne die erstern übermäßig zu reizen und die letztern zu unglücklich ausgehen zu lassen, bewährte sich auf eine bestrickende Art … Benno konnte in der That einige Tage zweifelhaft sein, ob nicht Thiebold den Sieg davontrug … Thiebold hatte sogar den Muth, des Abends sentimental zu werden … Beim Anblick der Wirkungen, die er damit auf die junge Fürstin machte, erleichterte sich ihm die anfangs beklommene Brust, erheiterte sich sein Rundblick auf die Verhältnisse, in die ihn die Sorge um zwei dem Tod bestimmte Freunde Benno’s wider alle Neigung gezwängt hatten … Benno, dem die Fürstin noch gleichsam schmollte, blieb ernst und düster …
Nun haben wir’s, sagte Thiebold, als Benno das reizende Gartenhaus mit seiner Aussicht auf das vom Kaiser Hadrian „Tempe“ genannte glückselige Thal mit ihm bezogen hatte und voll Verdruß die glänzende Einrichtung, die bronzirten Sessel, die Sammtkissen, die Verschwendung an Marmor und Krystall sah, nun werden Sie eifersüchtig auf mich! …
253 Wir streiten uns, entgegnete Benno, wie zwei Fechter, die zum Tode bestimmt sind! Auf dem Programm der Niedermetzelungen geschieht dem einen weniger Ehre, als dem andern! … Bin ich darum wol – etwa traurig? …
Das Verhältniß Olympia’s zu Benno war in Wahrheit dies: Als sie mit Benno zum ersten male allein war und von Wien zu reden begann, erbleichte sie, zitterte und verließ, keines Wortes mächtig, das Zimmer … Um nur Fassung zu gewinnen, gab sie sich den Schein mit ihm zu schmollen …
Eine Täuschung nur … Sie war auf dem Gipfel alles Erdenglücks … Sie ritt, sie fuhr, wie in ihrer fröhlichsten Zeit … Thiebold machte sich zu ihrem dienenden Cavalier und sie ließ sich’s gefallen … Thiebold plauderte zu amusant, war immer lebhaft und gefällig – immer „präsent“ – das wollen die Frauen – … Sie konnte vollkommen mit zwei solchen jungen Männern zu gleicher Zeit fertig werden … Thiebold hatte Recht, wenn er sagte: Unsere Tugend rettet ihr Embarras de richesses! …
An lange Einsamkeit und ein ungestörtes Begegnen war freilich wenig zu denken … Die Fürstin war eine Neuvermählte, Ercolano rauchte nicht eine Cigarre ohne sie, trank nicht ein Glas deutscher „Birra“ ohne Benno und sein Leben bestand aus Trinken und Rauchen … Reiter und Fuhrwerke belagerten die Thore der Villa Torresani … Zankte auch wol der alte Fürst, der aus der Stadt ab und zu kam, über einen Landaufenthalt, der seinen Zweck, zu sparen, gänzlich verfehlte, so war nun einmal Olym-254pia die Nichte des regierenden Cardinals und hatte als solche den Zustrom der Fremden und Einheimischen … Da gab es hundert Monsignori, die Carrière machen wollten; Aebte, Bischöfe kamen von nah und von fern; Fefelotti sogar ordnete sich Ceccone’s gesellschaftlicher Stellung unter … Fremde kamen, die aus Kunstinteresse, andere, die aus Frömmigkeit, die meisten, die aus Geselligkeitstrieb nach Rom wallfahrteten … Das Princip der römischen Aristokratie, so unzugänglich wie möglich zu sein, ließ sich hier nicht durchführen … Olympia wollte nicht aufhören, die Beherrscherin Roms zu bleiben …
Und wie war die Zeit bewegt … Couriere kamen und gingen … Außerordentliche Botschafter von Neapel, Florenz und Modena gab es zu empfangen … Schon hörte man von Verhaftungen in Rom … Von Aufhebung einzelner „Logen“ … Die Gefängnisse der Engelsburg und des Carcere nuovo füllten sich so, daß die Gefangenen des Nachts, mit starken Escorten, nach Civitavecchia und Terracina geschickt wurden … Von ungewöhnlichen Streifcolonnen hörte man, die durch die Gebirge zogen … Die Marine Neapels, Sardiniens, Oesterreichs kreuzte in den Gewässern von Genua, um Sicilien her und im Adriatischen Meere … Schon wurden allgemein die Brüder Bandiera als Anführer von Trupps genannt, die demnächst an verschiedenen Stellen Italiens landen würden …
Ceccone, der Benno sehr artig begrüßt und dem devoteren Gefährten Thiebold die Hand zum Kusse 255 gereicht hatte, war, das beobachteten beide, in äußerster Aufregung … Seine Kutsche fuhr hin und her … Sie wurde regelmäßig von zwölf Berittenen der Nobelgarde begleitet, wenn er nach Castel Gandolfo fuhr, wo der Heilige Vater eingeschlossen lebte und mismuthig über sein Körperleid die Bullen, Breves und Allocutionen unterschrieb, die man ihm aus den verschiedenen Collegien seiner Weltregierung überbrachte. Bücher wurden verboten, Excommunicationen ausgesprochen … Wächter der Kircheninteressen gab es genug … Wenn auch der Hohepriester nichts las, als medicinische Schriften, nichts hören wollte, als ärztliche Consultationen … Seine Zuflucht war damals, wie bekannt, ein deutscher Arzt geworden …
Olympia hatte in der That jetzt keine geringe Abneigung gegen die „Erhebung Italiens“ … Sie räderte und köpfte – „Ein paar Handschuhe monatlich – Ein Bedienter nur – Und deine Hemden selbst flicken –“? Mazzini, Guerazzi, Wenzel von Terschka – jeden erwartete, wenn man seiner habhaft wurde, ein eigener Galgen … Bekanntlich unterschreibt der Heilige Vater nie die Todesurtheile selbst; man überreicht sie ihm – wenn er nichts dagegen einwendet, hat die Gerechtigkeit ihren Lauf … Man kann die Religion der Milde nicht milder betrügen! sagte Benno …
Als Benno zum ersten mal mit Ceccone beim jungen Rucca dinirte, bedurfte er der ganzen Erinnerung an die Verstellungskunst – des ihm schon einmal in seinem Leid aufgegangenen Hamlet … Er gab jede Auskunft, die der geschmeidige Priester zu hö-256ren wünschte … Er widersprach keinem Urtheil, das sich ja auch hier nicht berichtigen ließ … Er hörte nur mit Schrecken: Wir wissen alles! Wir sind unterrichtet über die Personen! Wir kennen die Orte … Wir wissen, wo die Fackel der Empörung zuerst auflodern soll! … Zwanzig Mitglieder der „Junta der Wissenden“ haben auf die Hostie geschworen, mich binnen einem Jahre zu tödten! … Ich weiß, daß geloost worden ist! Ich weiß, daß ein Mann in Rom, in meiner unmittelbaren Nähe leben soll, der die Aufgabe hat, mich zu ermorden! … Nun wohlan! Ich will es aufgeben zu forschen – sonst mistrau’ ich jedem, der mich grüßt, jedem, der in die Nähe meines Athems kommt …
Eben war bei Tisch gesprochen worden von einigen Königsmördern, die kurz hintereinander in Frankreich guillotinirt wurden … Benno horchte, ob bei allen diesen Schilderungen ein Advocat Clemente Bertinazzi würde genannt werden, der ihm als Mittelpunkt der Verschwörer in Rom bezeichnet worden und – der ihn sogar selbst erwarten durfte … Er erblaßte, als Cola Rienzi genannt – Rienzi’s Haus am Tiberstrand geschildert wurde – Bertinazzi wohnte dicht in der Nähe …
Niemand sprach von Bertinazzi …
Benno bedurfte der neuen Anmahnung seiner Mutter, um in dieser peinlichen Lage harmlos und unbefangen zu bleiben … Nur endlich zu Lucinden zu gehen, beschwor sie ihn … Immer noch war er nicht auf die Villa Tibur gekommen … Die Schwiegermutter Olympiens war wieder einmal mit ihrer Tochter im Streit – Lucinde sollte „Farbe halten“, und nicht auf Villa Tor-257resani erscheinen … Das verlangte die alte Fürstin … Und die junge verlangte gleiches von ihren Hausgenossen … Ceccone emancipirte sich … Das sahen Benno und Thiebold mit Erstaunen – Nach den Diners fuhr Ceccone auf Villa Tibur … Die Voraussetzung, daß Graf Sarzana dennoch dieser Donna Lucinde in redlichster Absicht den Hof machte, hörte Benno in der That … Noch hatte er diesen Cavalier nicht gesehen … Aber die Art, wie in Italien die Ehe geschlossen wird und um ihrer Unauflöslichkeit willen sich mit allen Verirrungen der Leidenschaft vertragen muß, hatte er genug beobachtet … Lucinde – eine Gräfin! … Er konnte sich nicht genug die Wirkung davon in Witoborn, Kocher am Fall und in der Residenz des endlich freigegebenen Kirchenfürsten ausmalen! …
Thiebold war nicht mehr zurückzuhalten, Lucinden zu besuchen …
Er kam von ihr zurück und hatte sie außerordentlich vornehm gefunden … Sie gäbe Audienzen wie eine Fürstin … Sie hätte sich höchst bitter über Benno beklagt, der sie nicht zu begrüßen käme … Nur die Nähe eines „Conclaves von Prälaten“, darunter Fefelotti, hätte verhindert, daß er sich darüber ganz mit seiner „alten Freundin“ ausgesprochen – mit ihr, die ihm den Streit über die Kreuzessplitter als Ursache ihrer gegenwärtigen Anwesenheit in Rom dankte …
Olympia hörte diesen Bericht voll Neid und sagte grimmig lachend:
Benissimo! Die Kammerzofe meiner Schwiegermutter! …
258 Sie aber werden sie nicht sehen … Ich verbiete es … wandte sie sich zu Benno …
Benno brauchte sich nicht zu verstellen, wenn er seine Geringschätzung Lucindens andeutete … Da aber mahnte jetzt sogar der Cardinal um den Besuch in Villa Tibur … Olympia hörte diese Flüsterworte und wollte aufs neue widersprechen …
Benno warf einen einzigen Blick auf sie und sagte: Ich reite morgen hinüber, Eminenz! …
Die junge Fürstin sah empor zu ihm, wollte bitter schmählen, dann schlich sie still davon … Welch ein Glück beherrscht zu werden von dem, den man liebt … Wie gern hätte sie so ihr ganzes Leben ihm zu eigen gegeben …
Der Cardinal sah das und verstand alles … Er lachte dieser demüthig niedergeschlagenen Augen, mit denen sein Kind, erst zornig aufwallend, sich beherrschte und hinter den Säulen des Eßsaals verschwand … Dergleichen war ihm an Olympien noch nicht vorgekommen …
Am andern Tage fuhr sie dann aber doch mit Thiebold und ihrem Mann nach Rom – eines Modeartikels wegen, sagte sie – Sie schmollte mit Benno … Als dieser fest blieb und bat, ihm ein Pferd nach Villa Tibur bereit zu halten, weinte sie und zog ihre Fahrt bis zum Abend hinaus … Lucinde schien ihr die Einzige, die ihren beiden Freunden gefährlich werden konnte …
Benno durfte hoffen, Lucinden allein zu finden … Er hatte gehört, daß auch die alte Fürstin in Rom war, wo sie öfter verweilte als auf dem Lande – Pum-259peo’s wegen – Seine erste Aufwartung hatte Benno ihr in Rom gemacht …
Lucinde, die Benno in so vielen sich widersprechenden Situationen, in Demuth und Glück, in Verzweiflung und Uebermuth, schön und häßlich, fromm und heuchlerisch, verführerisch und abstoßend gesehen hatte – Sie jetzt auf solcher Höhe! … Ihr sich beugen zu müssen, von ihr durchschaut zu werden, sich und seine Mutter abhängig von ihrer Großmuth, von ihrer Selbstbeherrschung zu wissen – wol durfte ihn das alles mit Bitterkeit und Mismuth erfüllen …
Er umritt das schon im Abendgold schwimmende Tivoli und suchte dem Bett des Anio von der Seite seines rauschenden Sturzes beizukommen … Der Lärm des Städtchens oben, die Schrei-Concerte der Esel, das Lachen und Schwatzen des Volks, das Begegnen der Fremden hätten seiner Stimmung wenig entsprochen …
Anfangs mußte er sich vom Rauschen des Wasserfalls in seinen verschiedenen Spaltungen entfernen, dann kam er ihm wieder näher … Vögel flogen über ihn her, wie aufgeschreckt vom Donnerton der stürzenden Gewässer. Sie flogen zur Linken – Unglücksboten, wie er nach antikem Glauben sich sagen durfte beim Anblick des wohlerhaltenen Vestatempels, der oben auf der Höhe schimmerte, und in Erinnerung an die Sibylle Albunea, die einst hier die Orakel verkündete …
Liegt die Villa Tibur so nahe dem Rauschen des Anio? sprach er zu sich selbst und gedachte – Armgart’s, die einst so im Rauschen der Mühlen von Witoborn Ruhe und ihre Aeltern gefunden hatte …
260 Die schon dunkle Schlucht mit ihren silbernen Schaumterrassen, ihren feuchtkühlen Grotten, ihrem wilden Baum- und Pflanzengewucher blieb zur Rechten … Villa Tibur lag noch höher in die Berge hinaus … Nur wie ein fernes Meeresrauschen, immer gleich, immer rastlos, nie endend als nur durch die einstige Zerstörung dieser Felsen beim Weltgericht – so mußte der Sturz vernommen werden in der kleinen Villa, die sich durch Olivenwälder und Bergzacken endlich unterscheiden ließ …
Hoch oben glänzte noch der goldene Sonnenschein, der hier unten im Geklüft schon fehlte … Die Cypressen an der endlich erreichten Thorpforte standen so ernst, wie nebenan einige Hermen … Ein Reitknecht in Livree war zunächst zur Hand, der schon ein Roß am Zügel hielt … Das Roß des Grafen Sarzana! dachte Benno … In der That war dieser der Herr des Knechts … Er erwartete ihn, sagte er, jeden Augenblick von oben … Gleich an der Pforte lag ein Wirthschaftsgebäude, wo, wie Benno sah, an Dienern kein Mangel war … Ihnen gab er zur Hut das Pferd aus Ercolano’s, ihres jungen Fürsten, Stall …
Ueber sich schlängelnde und terrassirte Wege ging es aufwärts zur Villa, die sich an Großartigkeit mit Villa Torresani nicht messen konnte … Sie war so klein, daß Lucinde hier höchstens nur zwei Zimmer bewohnen konnte … Schön aber war auch sie, wenn auch alterthümlicher, als die auf der andern Seite des Berges … Die Decke des Vestibüls enthielt Lunettenbilder von ersten Meistern … Der Garten bot Laubengänge und Boskets … Man zeigte einen Gang hinunter, den die 261 Weinrebe aus lieblichen Guirlanden bildete … Dort sollten Donna Lucinda und Graf Sarzana verweilen … Dieser Gang endete in einem Rundbogen von geschnittenen Myrten …
Hob sich hier vom dunkelgrünen Hintergrund in blendendweißem carrarischen Marmor eine in Schilfblättern kniende Nymphe mit einem Schöpfkrug als eine Erinnerung an die Wasserwelt des fernher rauschenden Anio an sich schon bedeutungsvoll ab, so noch mehr die an das Postament dieser Gruppe gelehnte Gestalt Lucindens …
Benno sah, was das Glück vermochte …
Lucinde, die in St.-Wolfgang von der alten, über die Alpen ihrem Pflegling, dem Bischof, gefolgten Renate verachtet wurde, von Grützmacher nach einem Steckbrief verglichen, von Tante Gülpen aus der Dechanei verwiesen, Lucinde, die sich in der Residenz des Kirchenfürsten nur durch Nück’s Interesse für sie erhielt, die nicht unverdächtig der Theilnahme an einem Verbrechen auf Schloß Westerhof geblieben war – sein Beichtwissen durfte Bonaventura auch an Benno nicht verrathen – sie, die Bonaventura in Männerkleidern nach Wien gefolgt war – soviel hatte Benno von ihm erfahren – sie, ein Kind der Armuth, in ihrer ersten Jugend eine Magd – … Da stand sie jetzt – in einem purpurrothen Kaschmirshawl, den sie um beide Arme geschlungen hielt … Ihr weißes Gewand lag eng an ihrer schlanken Hüfte … Ihr Haar, um den Kopf in Flechten gewunden, war frei … Im starren Auge lag die alte Unheimlichkeit des Blicks, ihre Rache an dieser Welt für etwas, 262 das sie vielleicht selbst nicht angeben konnte … Ihre blinzelnde Augenwimper, ihre leise, zurückhaltende Sprache … Letztere schon in der Todtenstille angedeutet, die Benno antraf, obgleich ihr gegenüber auf seinen langen Degen sich stützend Graf Sarzana stand, den bebuschten silbernen Helm in der Hand … Dennoch unterhielten sie sich … Benno konnte den Bewerber erst erblicken, als sein Fuß schon in die Myrtenrotunde eingetreten war … Vorher stand nur Lucinde seinem Auge ersichtlich – Sie, die Richterin über das Geheimste, was mit seinem Dasein zusammenhing …
Herr von Asselyn! sprach Lucinde Benno dem Grafen vorstellend – ohne einen Schritt weiter zu gehen oder sich in ihrer Stellung zu verändern …
Zu Benno sagte sie lächelnd: Kommen Sie also endlich? …
Sie hatte den Ankommenden schon beim Absteigen vom Pferde gesehen und längst ihrem Blute Ruhe geboten …
Graf Sarzana hatte sich eben entfernen wollen …
Benno betrachtete Lucinden, die so ruhig that, als hätte sie ihn erst gestern zum letzten mal gesehen, betrachtete den Cavalier, der in so seltsamer Umstrickung lebte … Beide mit dem größten Befremden … Graf Sarzana war ein Mann zwischen den Dreißigen und Vierzigen … Seine Augen ruhten auf Benno mehr finster, als freundlich …
Er verneigte leicht sein Haupt und sagte, daß er schon von Signor d’Asselyno gehört hätte … Benno hatte auf den nahe liegenden Besitzungen des Cardinals 263 Verwandte des Grafen gesprochen, die da und dort die Oekonomie verwalteten …
Ein Brautpaar konnte Benno kaum zu sehen glauben …
Die Kälte und Ruhe Lucindens war der Ausdruck der höchsten Abspannung …
Graf Sarzana schien aufgeregter, wenigstens stand ein unausgesetztes Streichen der Haare seines Helms mit seiner scheinbaren Ruhe im Widerspruch …
Unwillkürlich bot sich für Benno die Vergleichung mit Paula und dem Grafen Hugo … Wie anders dies Gegenbild! …
Der Abschied des Grafen verzögerte sich …
Benno’s scharfes Auge glaubte einen gemachten Zug von Verachtung vor dem sich Empfehlenden auf Lucindens Lippen zu sehen; sie wollte wol nur damit an ihre Liebe für Bonaventura erinnert haben … Aber auch der Graf schien nur eine eingelernte Rolle zu spielen … Zwar blieb er artig und plauderte noch einige Dinge, die einen Fremden interessiren durften. Die Stunden, wo der Heilige Vater seine Segnungen ertheilt, sind jedem Fremden in Rom von Wichtigkeit; sie sind das, was anderswo die Wachparaden und Manöver. Einige Paläste, einige Sammlungen sind schwer zugänglich … Graf Sarzana’s Erbieten zur Vermittelung war freundlich … Auch schien er unterrichtet und behauptete Sammler zu sein … Er bewunderte, wie beide Deutsche sich in die italienische Art gefunden hätten, rühmte die deutschen Schulen und schien vorauszusetzen, daß Lucinde eine Erziehung genossen hätte, die ihr die Kennt-264niß des Lateinischen schon durch die Fürsorge des Staats verschafft hätte … In allem, was er sprach, lag ein Anflug von Ironie …
Graf Sarzana hatte auf ein Convolut von Papieren gedeutet, das auf einer Bank lag …
Das sind deutsche Acten! sagte Lucinde und fuhr fort: Der Graf thut, als wenn ich so frischweg die Gedichte lesen könnte, die drüben auf den Wasserfall Catull gemacht hat! … Ich verstehe das Breviarium – Das ist alles …
Der Graf that, als hinderte ihn am Gehen eine Zärtlichkeit, die Benno für gemacht halten mußte …
Er wollte Lucinden die Hand küssen, die ihm diese mit Koketterie entzog … Ihre Reserve hatte immer etwas Anlockendes … Der Graf hörte in der Ferne das Stampfen und Wiehern seines schönen neapolitanischen Rosses und konnte nicht fortkommen …
Unter anderm sprach er von einem Fest, das der Heilige Vater noch dem jungen Rucca’schen Ehepaar nachträglich geben wollte … Es war eine Gunstbezeugung, die nicht zu selten ertheilt wird, ein Mahl im Braccio nuovo des Vatican … Die dort aufgestellten Meisterwerke der alten Bildhauerkunst werden dann im Glanz der festlichsten Beleuchtung gesehen … Lucinde kannte diese Wirkung noch nicht und bedauerte, daß nur Eine Dame, die die Honneurs macht, dabei zugegen sein dürfte – diesmal Olympia … Der Vatican, bestätigte Graf Sarzana, gilt allerdings für ein Kloster … Lucinde kannte allerlei Ausnahmen von der Regel der Klöster … Ihr Lächeln konnte beim Nennen der im Braccio nuovo aufge-265stellten Sculpturen dem Vorfall mit dem von Thorwaldsen restaurirten Apollin gelten … Sie that, als sähe sie ganz die Furcht, die Benno schon in Wien hatte, für die junge Fürstin das zu werden, was dem Uebermuth des Kindes jene Statue gewesen … Ihr Blick blieb forschend … Inzwischen zeigte sich der Graf unterrichtet über die Meister und die Schulen, denen jene Bildwerke zugeschrieben werden …
Endlich ging er und bald hörte man nur noch das Klirren seiner Sporen, bald nur noch den Hufschlag seines dahinsprengenden Rosses …
Nun kommen Sie! sagte Lucinde. Wir haben dort einen bequemeren Platz und ich bin ermüdet …
Sie deutete an, daß sie den Grafen nicht im mindesten liebte und von seiner Bewerbung nur fatiguirt würde …
Mit einigen Schritten befand man sich in einem ringsumschlossenen traulichen und völlig einsamen Bosket, wo mehrere gußeiserne Sessel standen …
So finden wir uns wieder! … sprach sie jetzt … Und ich sehe schon – Sie kommen voll Zorn auf mich! … Hat mich die Herzogin so verklagt? …
Im Gegentheil, erwiderte Benno, des Mädchens, ihrer Umgebung, ihrer Haltung staunend; meine Mutter rieth mir, mit Ihnen Frieden zu schließen … Sie wissen, ich habe das immer als das beste Mittel erkannt – mit Ihnen auszukommen …
Ein Lachen deutete an, daß sie sich nicht verletzt fühlen wollte …
Nun, nun, sagte sie, verwundern Sie sich nur erst recht aus! … Ja, das ist hier Italien, das ist Rom, die 266 Villa des Mäcenas drüben – das hier Villa Tibur! … Nicht wahr, wer das alles von Ihrem und unserm Leben geahnt hätte, als ich unreifes Kind auf Schloß Neuhof lebte, unter Männern voll Grausamkeit und Tücke, von denen der ärgste Ihr Vater war! … Der beste von allen – war mein guter, närrischer Jérôme, Ihr – Bruder! Seltsam! Ich hatte dort schon Träume, die mir alles zeigten, was seither eingetroffen ist … Ich sah Ihre Mutter – wie oft! – in den Kellern des Schlosses … Ich sah die alte Hauptmännin Buschbeck mit der Giftschale in der Hand … Ich sah das Dasein Ihrer Mutter in den Visionen Ihres Vaters … Wie ich Ihnen dann zum ersten mal an der Maximinuskapelle begegnete! … Wissen Sie noch? Sie trugen den rothen Militärkragen jener blonden, hellblauäugigen Sandlandsklugheit, der Sie Gott sei Dank! Valet gesagt haben … Frau von Gülpen ahnte schon meine Mitwissenschaft an so manchem und wies mich deshalb aus der Dechanei … Wie ich diese stille Stätte des Friedens und der Hoffnung verlassen mußte, brach mir das Herz … Ihr Onkel war so gut … Und Ihnen ist er der Retter Ihres Lebens geworden! … Ich liebe, im Vertrauen gesagt, die Reue nicht, ganz wie die Spinozisten – alle Magdalenenbilder sind mir schrecklich – Aber schön und ein ganzes Leben verklärend war Ihres Pflegvaters Reue über einen schlimmen Antheil, den er doch wol auch an Ihrem Dasein hatte – denn der Kronsyndikus war sein intimster Freund … Wie geht es dem Dechanten? …
Er freut sich jeder frohen Botschaft aus Italien …
Grüßen Sie ihn von mir! … „Frohe Botschaften 267 aus Italien!“ … Kämen ihrer nur mehr! … Ich fürchte, ihr, ihr gerade siedet und kocht ihm nichts, was ihn laben wird … Euer Bischof bringt ein Ungestüm über die Berge, das diesseits nicht am Platze ist … Wer ist denn nur jener Eremit, um den er sich noch ins Verderben stürzt? … Ein Deutscher! … Erinnern Sie sich Ihrer Scherze zu dem Gypsfigurenhändler, als wir über den St.-Wolfgangberg keuchten? … Halt! unterbrach sie sich plötzlich … Ich vergaß die Papiere, wo wir standen … Holen Sie sie mir! …
Benno folgte, wie von einem mächtigen Willen regiert … Er hörte und hörte nur … Ueber den Eremiten hatte sie harmlos und sozusagen waffenlos gesprochen …
Nach wenigen Schritten war Benno zurückgekehrt und gab Lucinden ein Pack sauberer Velinpapierbogen, die deutsche Scripturen enthielten …
Sie war aufgestanden und setzte sich wieder …
Sie ahnen schwerlich, was diese Papiere enthalten! – sprach sie, das Convolut neben sich legend …
Sie verwies ihn auf den nächsten Stuhl …
Ich höre, Sie und Klingsohr sind die Referenten der Curie in deutschen Angelegenheiten geworden! erwiderte Benno … Wir haben, wissen Sie gewiß, eine Reformation in Deutschland … Sind das die betreffenden Actenstücke? …
Sie schüttelte den Kopf, ließ den angeregten Gegenstand fallen und fixirte nur Benno mit prüfenden Blicken …
Seltsam! sagte sie … Ihr Haar ist von der Mutter … Die Augen haben Sie vom Vater … Ihr 268 Blut scheint von Natur langsam zu fließen, wie – durch Kunst bei Ihrer Mutter … Ihr Verstand, der ist hitzig, wie beim Kronsyndikus – und wissen Sie, ich hätte Sie schon in St.-Wolfgang mit ruhigem Blut in allerlei Unglück sehen können – Nicht dafür, weil Sie kein Interesse für mich hatten – Armgart hatte es Ihnen schon damals angethan – Nein, Sie trugen den Kopf so schrecklich hoch – um Ihrer Klugheit willen! … Das haben Sie ganz von Ihrem Vater … Der konnte auch jedem einen Thaler geben, wer ihn klug nannte … Ich lästere ihn nicht … Mir war der Schreckliche gütig … Nur zuletzt nicht mehr … Hätt’ er mich da noch aufrecht gehalten, ich würde nicht so elend in die Welt hinausgefahren sein … Es – ist – nun so …
Dafür machen Sie jetzt Ihren Weg! fiel Benno mit Bitterkeit ein … Wann werden Sie Gräfin Sarzana sein? …
Sie hörte auf diese Frage nicht, sondern sagte träumerisch:
Wenn ich rachsüchtig wäre …
Manche bezweifeln Ihre Großmuth – …
Und wenn ich sie nun nicht hätte, habt ihr mich nicht dahin kommen lassen? …
Etwa auch meine arme Mutter? …
Der Herzogin, das ist wahr, war ich zu Dank verpflichtet; aber sie war nicht gut gegen mich … Wir Frauen wissen, daß wir Ursache haben, uns im Leben an eine starke Hand zu halten … Nun finde ich hier vielleicht eine solche … Konnt’ ich ertragen, daß Ihre Mutter über mich lachte und ihrem Briefwechsel mit Ihnen, 269 den ich voraussetzen durfte, Ihre und des Bischofs Urtheile über mich entnahm und weiter verbreitete? … Ich leugne nicht meine Herkunft und meine ehemalige Lage … Ich weiß auch, daß mich im Leben noch niemand gemocht hat, und habe mir längst darüber mein System gemacht. Ich ahne sogar – im Vertrauen – daß auch diese Herrlichkeit hier bald zu Ende sein wird … Aber was ich mir an Unglücksfällen ersparen kann, das will ich denn doch nicht unterlassen haben. Ihrer Mutter, einer höchst gefährlichen, völlig in sich unklaren, halb ehrlichen, halb listigen Frau, einer echten Italienerin, mußt’ ich einen Vergleich anbieten … Ich will wünschen, daß sie die Bedingungen ebenso hält, wie ich sie halte … Sie sind mit der jungen Fürstin Rucca intim, fragen Sie sie in einer Schäferstunde, ob ich geplaudert! … Selbst über Armgart werden Sie sie nicht unterrichtet finden – Sie Ungetreuer! Was wird Armgart sagen! Nicht nur Sie, sondern auch Herr de Jonge brechen ihr die Treue! … Meine Herren, sie erfährt alles! Darauf verlassen Sie sich … Herr von Terschka wird sie von allem in Kenntniß setzen … Apropos, hüten Sie sich doch vor den politischen Grillen Ihrer Mutter …
Benno mußte anerkennen, daß der Ton des Wohlwollens durch alle diese Reden klang … Dennoch lag er auf der Folter und hätte mit einem einzigen Wort die Maske seiner Selbstbeherrschung abwerfen mögen …
Werden Sie den Namen Asselyn behalten? fragte Lucinde nach einer Weile …
270 Benno konnte die quälende Erörterung nicht mehr pariren … Auch sah er, daß sich ihr Sinnen immer mehr und mehr auf den Bischof richtete …
Der Name Asselyn – erwiderte er – klingt dem Italiener nicht fremd – …
Der Präsident, Ihr Bruder, ist kinderlos – fuhr sie fort – Wenn Sie da – Nein, nein – lassen Sie die Wittekinds aussterben! Bleiben Sie der räthselhafte „Sohn der Spanierin“, der Neffe des guten Dechanten, ein Asselyn! … Ich habe mir viel Mühe gegeben, hinter Ihr Geheimniß zu kommen, das ist wahr … Aber es wissen nicht mehr darum, als der Bischof, ich, ohne Zweifel der Dechant und meine alte Freundin, Frau von Gülpen … Aber Thiebold de Jonge scheint eingeweiht … Das ist thöricht … Sie müssen ihn freilich erprobt haben … Ganz so dumm, wie Piter Kattendyk ist er nicht … Sagen Sie, wie können Sie Dergleichen um sich ertragen! …
Benno erhob sich und sagte halb scherzend, halb im Ernst:
Nun wollen wir von den neuesten mailänder Moden sprechen … Sonst erleben Sie, daß ich Sie auf Pistolen fordere …
Pistolen! sagte sie kopfschüttelnd. Auch das kommt in Italien nicht vor … Wer uns hier beleidigt, fällt durch das Stilet eines Rächers, den man dafür bezahlt … Das ist schrecklich und doch – ist es nicht eine unendliche Wonne, aus den deutschen Verhältnissen erlöst zu sein? … Rom hat seine Lügen, seine Schlechtigkeiten – aber dieses Maß von schwatzhafter Tugend, eitler Sittsamkeit, biederer Langeweile von jenseits der Berge gibt 271 es hier gar nicht … Erzählen Sie mir aber –! … Ja wie geht es Nück? Ich weiß durch Herrn de Jonge, daß er ohne seine Frau in Wien ist und noch unentschlossen sein soll, ob er nach dem Orient geht oder nach Rom …
Ein solches unentschlossenes Umherblicken wird seine Halsschmerzen vermehren …
Sie sind boshaft! … Lucinde erröthete und schwieg …
Woher erfuhren Sie die näheren Umstände meines Geheimnisses? Gewiß ist vorzugsweise Nück betheiligt? … begann Benno, der endlich mehr die Oberhand gewann …
In diesem Augenblick läutete es von Tivoli herüber … Lucinde senkte den Blick und sprach für sich den englischen Gruß …
Benno durfte der frommen Sitte sich nicht entziehen …
Darüber hatte sie Zeit gewonnen und kam auf die verfängliche Frage wegen Nück nicht zurück …
Die Dämmerung war hereingebrochen … Ueber die Höhen des Gebirgs sah man Streifen des Monds schimmern, die bald ihr mildes Licht über die dunkelnde Schlucht verbreiteten …
Läßt mir der Bischof nichts, gar nichts sagen? begann Lucinde …
Nein! erwiderte Benno und sprach der Wahrheit gemäß …
So war es ja immer, sagte sie mit stockender Stimme … Lieblos entzogt ihr mir die rettende Hand! … Hinweggeschleudert habt ihr mich wie ein Wesen ohne Bildung! … Wie hab’ ich gerungen nach euerer Freundschaft, nach euerer Schonung nur … Kalt, grausam habt ihr mich zurückgestoßen! … Nun mußt’ 272 ich mir freilich selbst helfen … Das ist die größte Feigheit der Männer: Ein Weib um ihrer Thorheit willen leiden sehen und sie dann auf Vernunft und Besinnung verweisen … Vernunft und Besinnung haben wir ja nicht … Nur in der That, sei’s der That der Liebe, sei’s dem Rausch des Wahns oder dem Klagegeschrei der Enttäuschung, nur in Handlungen und Zuständen sind wir, was wir sind … Vernunft und Besinnung! … Nachdenken und Reflexion! … Was soll das uns! … Ich vergebe dem Bischof – doch nie, was er alles, alles an mir gethan hat …
Benno wußte kaum, was er einem weiblichen Wesen erwidern sollte, das auf einen katholischen Priester Rechte der Liebe zu haben behauptete … Er begnügte sich, die Wildaufgeregte zu beruhigen mit einem einfachen und ironischen:
Sie beteten doch eben voll Frömmigkeit das Ave Maria – und verlangen das Unheiligste … Sie haben nie das Gemüth dieses edelsten der Menschen verstanden …
Ein Gemüth ist’s, wie das dieser Bildsäule! sagte Lucinde zornig … Als wenn ein Priester von seinen Gelübden sprechen könnte, der sie doch einer andern gegenüber nicht hält! … An jenem Abend auf dem Friedhof von St.-Wolfgang schon, wo wir unter den – – Gräbern wandelten, funkelten die Sterne herab, als wollten sie sagen: Halte sie doch fest, die Stunde der Versöhnung! … Sieh, dies wahnsinnige Weib, so sprachen die Sterne, hat zwei Jahre geschmachtet nach Wiedervereinigung mit dir! Nun kommt sie und pocht voll Hoffnung an deine Hütte! Du – du opferst sie aber schon der alten Magd, die dich bedient! … 273 Lachen Sie nicht! – Die Sterne sprachen mehr … Sie sagten: Du schmähst ihre Verehrung, die so ganz ohne Interesse, nur ein reines Opfer der Liebe ist! – Ich bin um diesen Mann katholisch geworden – ich wäre schon glücklich gewesen, nur dann und wann mit ihm sprechen zu dürfen … Daß ich seine Magd hätte sein können, mich wirklich als Bäuerin bei Renate verdingen, davon will ich gar nicht reden … Ich war heimisch in ihm, als ich ihn das erste mal sah … Ich fand einen Menschen wieder, der todt war und in ihm sein Testament zurückgelassen hatte … Schon damals, als Ihr Vetter geweiht wurde, kannte ich seine Zukunft; ich kannte die ganze kommende Zerrissenheit seines Gemüths; wußte, daß er dort enden würde, wo er jetzt steht – an einem furchtbaren Abgrund, den nur noch seine äußere Würde deckt … Ich kannte alles, was ihm über die Leiden dieses Daseins hinweggeholfen hätte … Er verschmähte es … Nun folg’ ich dem Ruf in die Dechanei, erlebe die Demüthigung, zum Hause hinausgeworfen zu werden; ich klammere mich an den Saum seines Kleides, an den Teppich der Altäre, die sein Fuß berührt; ich wage mich in die schwierigsten, demüthigendsten Lebensverhältnisse, nur um eine Erhörung meines – um Güte und Vertrauen – Gott, ich sage nicht: um Liebe – verschmachtenden Herzens zu finden … Keine Hülfe! … Nichts als die kalte Sprache der Lehre und Ermahnung … Mit der Zeit konnt’ ich ihm furchtbar erscheinen, konnte ihm drohen, ich that es auch – … Als ich dennoch mich bekämpfte, dennoch von dem beweinenswerthen, rasenden, wahnsinnigen Gefühl für diesen Mann mich beherrschen lasse, alle meine Waffen 274 senke, find’ ich noch immer keine Regung der Versöhnung, kein Wort der Güte, keines des Vertrauens! … Noch in Wien stößt er den Nachen zurück, auf dem ich mich zu ihm geflüchtet … Das ist wahr – er nahm mir in Wien eine Bürde ab, die mich zum Tod niederdrückte – aber kaum fließen meine Thränen, so läßt er mich auch wieder hinaus auf die stürmende See in ein Leben, das bisher nur Noth und Demüthigung mir gebracht … Jetzt hab’ ich einen kurzen Augenblick des Glücks! Er macht – euch alle schwindeln … – Mich nicht! Ich weiß, was ich thue! … Ja! Wie eine Bettlerin – will ich nicht wieder vor euern Thüren stehen! …
Lucinde war aufgestanden …
Benno erbebte vor ihrem Blick … Er fürchtete für Bonaventura’s schwierig gewordene Stellung …
Sie sind bei alledem dem Bischof werth … sagte er und mit voller Ueberzeugung …
Sie anerkannte diese Aeußerung, fuhr aber fort:
Weil er mich fürchtet! Weil ihr alle mich fürchtet! … Ich habe mich freilich rüsten müssen gegen euch! Gesucht hab’ ich nichts – ich fand alles von selbst … Auf dem Schlosse Ihrer Väter hab’ ich schon als Mädchen von sechzehn Jahren die sibyllinischen Bücher aufgeschlagen gesehen und verstand nur noch nicht die Zeichen, die in ihnen wie durchstochene blutige Herzen funkelten … Jetzt liegt mir jeder Traum der Kindheit offen … Ich verstehe das Wimmern und Seufzen in den Ulmen des Schloßparks von Neuhof, ich sehe die Verwirrung euerer ganzen Familie und euer – tragisches Ende … Mit dem Bischof hab’ ich Mitleid … Er liebt, ein 275 umgekehrter Jupiter, statt eines Weibes eine Wolke … Erzählen Sie mir von Paula! Ich denke, ich verdiene, daß Sie sich’s etwas kosten lassen, mich wenigstens – zu unterhalten …
Diese Worte waren freundlich … Benno mußte ihr den vorangegangenen Ton des übermüthigen Emporkömmlings vergeben …
Sie setzte sich wieder …
Benno sollte es ebenfalls thun … Angezogen hatte sie ihn niemals so wie heute … Die Leidenschaft verjüngte Lucinden zu ihrer ersten Jugendschönheit … Ja sie fiel sogar in ihren naiven „Hessenmädchen“-Ton …
Also – Paula! Bitte, bitte! … Erzählen Sie! …
Ich kann Ihnen nur erzählen, sagte Benno, was alle wissen! Ich ehre den Bischof zu sehr, als daß ich ihm durch unberufene Fragen Gelegenheit geben sollte, sich über Gefühle auszusprechen, die ihm schmerzlich sind – …
Die Wunde nicht berühren, heilt sie euch! … schaltete Lucinde ein …
In den meisten Fällen ist es auch so … Ob beim Bischof und bei Paula – ich weiß es nicht … Ich kann nur berichten, daß dieser Ihnen so undankbar erscheinende Bonaventura an Verklärung und Hoheit der Gesinnung von Tage zu Tage wächst … Er entschwebt dem Irdischen und ich mag ihn durch Fragen nicht niederziehen aus seinen reinen Höhen … So viel aber weiß ich, daß doch Er es war, der Sie vor allen mislichen Folgen Ihrer Verbindung mit Nück geschützt hat … Ich weiß, Graf Hugo gab seine Absicht, die Urkunde anzuzweifeln, 276 erst nach einer langen Unterredung mit dem Bischof auf …
Lucinde horchte …
Sagen Sie selbst, fuhr Benno fort, was hätte den Bischof verhindern können, dem Grafen zu rathen: Handeln Sie getrost nach allem, was Ihnen Terschka mitgetheilt hat! Zu offen lagen aller Welt die räthselhaften Vorgänge des Brandes in Westerhof. War ich nicht selbst ein Zeuge derselben? Dieser Bruder Hubertus – der – leider – so räthselhaft auch – jetzt verschollen ist – …
Den ich unter die Räuber und Mörder schickte? … sagte Lucinde verächtlich …
In der That – überall stellen sich seiner Vernehmung eigenthümliche Hindernisse entgegen … Den Dionysius Schneid hat er gerettet, hat die Hälfte seiner Erbschaft aufgenommen und nach London geschickt, wohin dieser Mensch, unzweifelhaft ein Brandstifter, über Bremen entkommen sein soll …
Also wer und was schützte mich – – vor dem Zuchthause? … unterbrach Lucinde …
Wenigstens vor der Anklagebank schützte Sie Graf Hugo von Salem-Camphausen … Er that dies infolge einer Bürgschaft, die doch ohne Zweifel nur der Bischof für Sie übernahm … Er mag dem Grafen Dinge über Sie gesagt haben, die Ihnen nicht würden gefallen haben; aber sie bestimmten ihn, sich dem Unvermeidlichen zu fügen … Er hat die Urkunde anerkannt – …
Lucinde hätte gern gesagt: So kann also euer Bischof wirklich auch – lügen? … Sie hörte nur 277 voll Spannung über die Folge von Bekenntnissen, von denen Benno nicht einmal zu wissen schien, daß sie in kirchlicher Form stattgefunden hatten …
Dann, fuhr Benno fort, erfolgte die Verständigung mit Schloß Westerhof …
Worin lag zuletzt für Paula die Bürgschaft des Werthes, den Graf Hugo, nach dem Zeugniß, das der Bischof ihm ausstellen sollte, ihr haben durfte? fragte Lucinde … Die Bedingung, die Paula gestellt haben soll, kannte ja die ganze katholische Welt …
Ich denke in der Art, sagte Benno, wie Graf Hugo die Ergebnisse seiner Rücksprache mit Ihnen aufnahm … Beide Charaktere lernten sich zum ersten mal kennen, sprachen sich aus und schätzten sich …
Ganz und ohne Rückhalt? zweifelte Lucinde lachend …
Ich traue ihm zu, daß er ehrlich zu Bonaventura sagte: Sie lieben die Gräfin Paula! …
In der That? …
Sie freilich glauben nicht an Wahres und Gutes in dieser Welt …
Nie an den Sieg des Wahren und Guten …
So weiß ich keine andere Erklärung … Der Graf kennt ebenso Paula’s Empfindungen für Bonaventura wie Bonaventura’s für Paula … Dieser blieb mit jenem einen Tag auf Schloß Salem allein und die Folge war die Reise des Grafen nach Westerhof …
Eine Andeutung, daß der Graf – katholisch werden wird! sagte Lucinde. Er hat unsere Religion in den Bekenntnissen eines Priesters achten gelernt … Was sagt die Mutter dazu? …
278 Benno schwieg eine Weile … Er wußte allerdings, daß der Graf seit jener Unterredung von der tiefsten Verehrung Bonaventura’s durchdrungen war … Er wußte, daß die alte Gräfin auf Castellungo sich auf Grund dieser Verehrung mit bangem Herzen zum Bischof von Robillante verhielt und die Freundschaft des Grafen für den Bischof nur deshalb nicht nachdrücklicher bekämpfte, weil dieser ihre Theilnahme für die Waldenser und für den Eremiten Federigo theilte …
Benno erstaunte, daß Lucinde, die alles wußte, was ihn und Bonaventura betraf, nicht in diesem Eremiten den Vater Bonaventura’s sah …
Alle diese Rückhaltsempfindungen verbarg er unter den Worten:
Die beste Religion, die wir haben könnten, wäre eine auf die Erkenntniß der tiefsten und edelsten Möglichkeiten und Fähigkeiten unserer Menschenbrust begründete! Liebe, Freundschaft, Vertrauen, alles Edle im Menschenherzen – ich dächte, das ist die einzig wahre Bürgschaft der Gottesnähe …
Lucinde zeigte auf den kleinen Vestatempel, der auf der Höhe des Gebirges über dem Katarakt wie ein weißer Nebelring schwebte …
Sogar Benno von Asselyn schwärmt! sagte sie. Nein, diese Religion, die Sie da nennen, ist keine … Oft schon hat die Gottheit versucht, ob sie sich im reinen Menschenthum offenbaren könnte … Die Götter kamen auf die Erde in allem Reiz der menschlichen Phantasie … Da verwilderten sie … Dann kamen sie noch einmal im Reiz des menschlichen Duldens … Auch das – im Vertrauen 279 gesagt – erlag – für den Denker … Die Götter wohnen jenseits dieser Welt …
Es war still ringsum … Das Dunkel mehrte sich … Lucinde warf ihre religiöse Maske ab …
Aber als wenn sie Reue darüber befiel, so ergriff sie die Papiere, erhob sich und deutete auf einen Weg zur Villa, wo es heller war …
Dabei sprach sie:
Sie haben ganz Recht! Paula, Graf Hugo und Bonaventura gehören einer einzigen Kirche an …
Doch die Kinder? sagte sie plötzlich, zu den Religionsformen der Erde zurückkehrend und des oft an ihr nagenden Bundes gedenkend, den der heilige Franz von Sales gerade mit einer verheiratheten Frau, mit der Stifterin der Visitandinen geschlossen – …
Nein! Nein! beantwortete sie sich selbst ihre Frage … Die werden nicht kommen! … Wenigstens nach dem Urtheil der Aerzte nicht – Die Gräfin hat ihre Visionen noch immer … Sogar jetzt in Witoborn, wohin sie nach dem wiener Winter mit dem Grafen gereist ist … Die in Salem heftig eintretende Rückkehr ihrer Visionen, die Aufregung derselben für Wien, das Andrängen der Aerzte, die Neugier der Forscher und Träumer brachten beim Grafen den Entschluß zu Wege, seine Güter um Westerhof zu besuchen … Vielleicht regte sich in Paula die Sehnsucht nach des Obersten von Hülleshoven magnetischer Hand …
Ueberraschend! entgegnete Benno … Diese Nachrichten hatten wir selbst noch nicht in Robillante … Woher wissen Sie alles das? …
280 Unwillkürlich fiel sein Blick auf die Papiere, die ihm Lucinde entzog … Seine Neugier mußte sich steigern, als sie fortfuhr:
Auch Sie sollten nun doch für immer in Rom bleiben und sich hier nützlich machen … Sie sollten Partei ergreifen … Wem kann das Glück mehr lächeln als Ihnen? … Fürchten Sie sich doch nicht so sehr vor einem Roman mit Olympia Rucca! … Die Zeiten sind vorüber, wo böse Frauen ihre ausgenutzten Liebhaber vom Thurm zu Nesle stürzten … Jetzt geben sie ihnen Anstellungen und manchmal sogar – Frauen … Bleiben Sie in Rom! Nehmen Sie hier eine Stelle, die nicht zu gebunden ist! … Schon ließ Sie, hör’ ich, der Staatskanzler in eine verlockende Zauberlaterne blicken … Für Ihre Heimat haben Sie seit Ihrer Courierreise doch den Credit verloren … Auf dem Venetianischen Platz kann ich das große schöne Haus mit dem schwarzgelben Banner nie ansehen, ohne nicht die Stelle wenigstens eines österreichischen Legationssecretärs an Sie zu vergeben … Rom ist die Welt … Und selbst wenn Sie Rom nur studiren wollten – ich kenne Ihr Verhältniß zu Ihrem Bruder, dem Präsidenten von Wittekind nicht – so brauchen Sie dazu ein Leben … Sie können hier jeden Tag eine andere Inschrift, jeden Tag einen andern Marmorstein vornehmen … Und verstellen Sie sich nicht! Ganz gleichgültig ist Ihnen Olympia keineswegs … Man flieht nicht so eifrig vor dem, was man verachtet … Wär’ ich ein Mann, mich würd’ es sogar reizen, diesen Panther zu bändigen … Schwärmen Sie in der That noch immer für die Lindenwerther – Kindereien? …
281 Da Sie alles wissen, erwiderte Benno mit dem Ausdruck jener Toleranz, die Männer ein für allemal der kecken Rede aus Frauenmund zu gewähren haben, was wissen Sie von Armgart? …
Von den englischen Cardinälen, entgegnete Lucinde, von jenen Aermsten, die sich alle drei Jahr dem Martyrium aussetzen, sich in England von den Roheiten John Bull’s beschimpfen lassen zu müssen, hat Cardinal Talbot Armgart in London gesehen … Bei guter Laune verglich er sie dem Heiland, der als Kind im Tempel predigte … Sie legt die Bibel aus, wie ihre Mutter … Eine Krankheit das – nur findet sie bisjetzt noch immer das in der Bibel, was die Engländer erst sehen, wenn sie in den Katakomben waren … Wenn sie nicht auf die andern Thorheiten der Engländer einginge, würde man sie kaum dulden … Glücklicherweise reitet sie nicht nur und schießt, sie schwimmt und angelt auch … Sie könnte die Herzogin von Norfolk sein, hör’ ich, wenn die Auswahl ihrer Bewerber nicht zu groß wäre … Ob sie für die beiden jungen Männer, die ihr einmal eine Flucht aus der Pension erleichterten, noch die alte Pietät bewahrt, zweifl’ ich fast … Im Bericht des Cardinals erfuhr ich nichts davon … Mit Baron Terschka hat sie sich ausgesöhnt … Ja, ja, die Gefühle junger Mädchen wollen ihre Nahrung haben. Thut man auch gar nichts, lieber Herr, um sie an sich zu erinnern, so unterhält solche kleine Koketten mehr noch der Haß, den sie auf manche Menschen werfen, als eine bald verklingende Liebe aus dem Pensionat …
Benno widersprach nicht … Er war in die Erin-282nerung an sein zu Armgart gesprochenes Wort, sie würde noch einst lange in der Irre gehen und dann voll Wehmuth an ihn zurückdenken – so versunken, daß Lucinde eine Frage wiederholen mußte, die sie an ihn gerichtet hatte:
Was halten Sie von Paula’s Visionen? …
Ich glaube nicht an sie, aber sie können zutreffen, sagte Benno …
Das ist ein Widerspruch …
Nein! … Niemand kann freilich sehen, was erst die Zukunft ins Leben rufen muß … Aber ein Auge wie Paula’s blickt unbeirrt von den Verhältnissen, die uns andere zerstreuen … Wir würden alle ein wenig sozusagen allwissend sein, schärften wir nur unser inneres Auge, jenes Auge, das nicht mit dem Verstand, sondern mit dem Herzen sieht …
Nun – dann hoffen Sie! … Paula sieht Armgart in ihren Visionen – immer nur mit Ihnen verbunden … Sie staunen? … Ueber diese Papiere? … Nun ja, freilich, das sind Abschriften der Visionen Paula’s … Genau gesammelt seit einer Reihe von Jahren und fortgeführt bis in die neueste Zeit … Ich erwarte schon morgen aus Witoborn eine neue Sendung … Wer sie niederschreibt, weiß ich nicht. Frau von Sicking – oder Norbert Müllenhoff in ihrem Auftrag – möglich … Sie wissen vielleicht nicht, daß Fefelotti die Frage zu entscheiden hat, ob das magnetische Leben innerhalb des Christenthums Berechtigung hat … Ich fürchte, man wird den Magnetismus verwerfen … Die Concilien sprechen nichts davon … Mich ängstigen die Gefahren 283 des Bischofs, wenn ich auch beim Lesen dieser Blätter lachen – freilich auch viel mich ärgern muß … Ich sehe die Zipfelmütze des alten Onkels Levinus und seine gelehrten Forschungen – Ich sehe die Tante Benigna und ihre Schweinemast … Aber auch vieles Andere … Nur seltsam! Die wahren Verhältnisse der Asselyns und Wittekinds, wie ich sie kenne, sind Paula unbekannt …
Benno wurde eben von einem der näher gekommenen Diener mit einem Blick befragt, ob sein Pferd in Bereitschaft gehalten werden sollte …
Im Wandeln waren sie schon dicht bei der Thorpforte angekommen …
Reiten Sie jetzt zurück! sagte Lucinde … In Italien ist die Nacht unheimlich …
Und Sie, Sie übersetzen diese Visionen ins Italienische? fragte Benno erstaunt …
Im Auftrag Fefelotti’s! bestätigte Lucinde … Fefelotti ist es, der die Kirche regiert …
Und glauben Sie nicht, daß man dem Bischof hier die Kerker der Inquisition öffnet und jenen greisen Bewohner des Thals von Castellungo herausgibt? …
Das ist nicht möglich – und zwar deshalb nicht, weil man ihn gar nicht in Gewahrsam hat …
Das glaubt der Bischof nicht …
Aber es ist so … Als es hieß, Pasqualetto hätte den Vielbesprochenen in Gestalt eines Pilgers von Loretto gefangen genommen, freuten wir uns alle des Beweises, den jetzt die Dominicaner nicht mehr zu geben brauchten, indem sie ihre Gefängnisse öffneten … Letzteres thun sie nicht … In Rom gewiß nicht, verlassen Sie sich darauf … 284 Hubertus wurde entsandt, den Pilger aufzusuchen … Seither sind leider beide verschwunden … Warnen Sie den Bischof, diesen Streit nicht wieder aufzunehmen … Fordert man ihn vor die Schranken eines geistlichen Gerichts, schlägt man hier in den Archiven nach, wo über Tausende von Seelen der katholischen Welt – Geständnisse und Aufklärungen liegen – …
Lucinde hielt inne … Sie konnte nicht wissen, ob nicht in der That die Curie von Witoborn von Leo Perl’s Geständnissen damals nach Rom Bericht gemacht hatte …
Daß man die Frage über den Magnetismus anregt, ist mir schon ein Beweis, wie man in unsers Freundes Vergangenheit einzudringen sucht – fuhr sie nach einiger Besinnung fort … Ich wünsche ja aufrichtig, daß Bonaventura hier eine ganz andere Krone als die des Märtyrers trägt … Wäre er darum nach Italien gekommen, um hier – in einem Kloster elend unterzugehen –? …
Die Wasser des Anio rauschten so mächtig, daß sie das Gespräch übertönten … Beide hatten die Eingangspforte mehrmals umkreist … Das Roß scharrte schon im Kieselsande …
Es wird zu spät! sagte sie. Ich lade Sie nicht ein, bei mir zu einem Nachtimbiß zu bleiben … Auch ist die Fürstin Ihnen gram … Sie hat ihrem Sohn Vorstellungen gemacht über die Aufführung seiner jungen Frau … Sie verlangt – hören Sie’s nur – daß Sie und Thiebold von Villa Torresani wegziehen … Das alles findet sich – besonders wenn Sie der guten 285 Dame selbst ein wenig den Hof machen … Wir haben soviel gemeinschaftliche Sorgen! … Aber – vielleicht auch Freuden! … Glückauf in Rom! … Geben Sie mir die Hand! Lassen Sie uns Verbundene bleiben! …
Benno reichte die erstarrte, kalte Hand …
Lucinde schied mit einer Miene der Protection, wirklicher Theilnahme und – Koketterie … Sie sagte:
Versprechen Sie mir, daß Sie auf Villa Torresani nie anders von mir reden, als so, daß ich Männern noch in einer einsamen Abendstunde gefährlich werden könnte – …
Damit schlug sie nach ihm mit einer Päonienblüte, die sie am Wege abgebrochen hatte und in ihrer gewohnten Weise zu zerzupfen anfing …
Der Diener hatte den Rücken gewendet …
Die deutsche Unterredung schützte beide vor dem verfänglichen Inhalt ihrer Worte …
Benno schwang sich in den Sattel …
Lucindens „Auf Wiedersehn!“ war wie ein Gruß zu einer Reihe der unterhaltendsten und vertraulichsten Beziehungen auf lange, lange Zeit …
Benno schied halb außerordentlich gefesselt, halb in der Hoffnung, binnen wenig Wochen vom giftigen Hauch dieser ganzen Atmosphäre befreit zu sein – …
Der Weg war dunkel und abschüssig …
Er mußte langsam reiten …
Hinter der finstern, scheinbar vom Silber des Wassersturzes mehr als vom Mond erleuchteten Schlucht unterhalb Tivolis verbreiterte sich der Weg … Die 286 Krümmungen des Anio hatten hier Anbau … Zur Linken ragten die Trümmer der zu einer Schmiede gewordenen Villa des Mäcenas mit dem Schimmer der Cascatellen, die aus ihren Fenstern gleiten, und mit Feueressenglut auf … Ringsum war es still, doch nicht einsam … Einzelne Wanderer hielten am Wege inne … Da und dort erhob sich aus den hohen, noch nicht abgeernteten Maisfeldern ein spitzer Hut …
Benno ritt tief verloren in Gedanken …
Paula, Bonaventura, alles was ihm theuer war, umschwebte ihn … Welche Welt gestaltete sich in seiner Brust! Welches Chaos rang zum Lichte! Es waren nichts als glühende Tropfen, die Lucinde auf seines Herzens geheimste Stätten hatte fallen lassen …
Allmählich belästigte es Benno, von drei Reitern, in der Tracht römischer Landbesitzer, mit hohen Flinten auf dem Rücken, ledernem Gürtel, Gamaschen bis weit übers Knie, auf unruhigen, ohrspitzenden Maulthieren, fast in die Mitte genommen zu werden … Eben wollte er seinem Roß die Sporen geben, um sich dieser unfreiwilligen Begleitung zu entziehen, als die Reiter innehielten, wie der Blitz abschwenkten und zur Schlucht zurückritten …
Hatten sie sich in seiner Person geirrt? …
Wenige Secunden und Benno begriff, daß ihr Auge und Ohr schärfer als das seinige gewesen war … Er hörte den gleichmäßigen Trab bewaffneter Reiter … Bald sah er einen Trupp Carabinieri, denen in einiger Entfernung eine Kutsche folgte …
Es war die Kutsche des Cardinals Ceccone … 287 Benno gab seinem Pferd die Sporen … Windschnell suchte er vorüberzufliegen … Er mußte vor einem zweiten Reitertrupp abschwenken, der die Arrièregarde des Wagens bildete …
In die unheimlichsten Gespenster schienen sich ihm jetzt rings die Bäume und Felsen zu verwandeln … Wie von einem Höhnen der Natur verfolgt, sprengte er dahin … So schuldlos ihm sein eigenes Innere erscheinen durfte, immer mehr Schrecken begehrten Einlaß in seine Brust … Ist das Rom, das gelobte Zauberland der Christen –! … Ceccone fuhr soeben zu Lucinden, die der Mann im Purpur ohne Zweifel allein wußte … Die Unterredung mit ihr hatte Benno’s ganzes Interesse gewonnen … Er hatte erkannt, daß Lucinde in der That aus dem Trieb ihrer Liebe zu Bonaventura auf Wegen wandeln könnte, wo man ihr eine Anerkennung nicht versagen durfte … Nun stürzte alles zusammen … Er sah nur noch – die Buhlerin …
Wie glücklich war er, als er, die hohen spitzen Aloes und Statuen erblickend, die die Treppengelände der Villa Torresani zierten, unterschied, daß in den Sälen kein Licht war …
So war Olympia doch noch nicht zurück … Und sie blieb wol über Nacht in Rom …
Er sprang vom Pferde und flüchtete sich in die Einsamkeit seines Pavillons …
Wer waren die drei Reiter? … Schwerlich Räuber … Man kennt dich in den geheimverbundenen Kreisen als einen Freund der Bandiera – du hast die Begrü-288ßungsformeln des „Jungen Italien“ und dennoch weilst du in der Nähe eines Mannes, den – Mord und Verrath umschleichen –! …
In seiner gewagten Doppelstellung glaubte Benno sich nicht mehr lange halten zu können … Es mußte zu Entscheidungen, zu Entschlüssen fürs Leben kommen …
So suchte er die Ruhe, von der er wußte, daß er sie nicht finden würde …
Man brachte ihm noch einen Brief, der während seiner Abwesenheit angekommen war … Die verstellte Handschrift war die der Mutter …
Die Mutter schrieb, daß sich in seiner Wohnung, dann bei ihr selbst der berühmte Advocat Clemente Bertinazzi hatte erkundigen lassen, ob Herr von Asselyn nicht bald aus dem Gebirge zurückkehrte …
Das war eine Mahnung, der er sich entschließen mußte, Folge zu leisten … Sie konnte gefährliche Folgen nach sich ziehen, wenn er nicht auf sie hörte …
289 8.#
Als nach Mitternacht Olympia von Rom zurückgekehrt war und sie ihm dann in der Frühe beim Wandeln im Garten begegnete – Thiebold freilich immer in der Nähe, heute mit dem Begießen von Blumen beschäftigt – sah Benno wol, daß auf die Länge des Freundes Beistand nicht mehr vorhielt … Mit der Gießkanne und ähnlichen Hülfsmitteln konnte er nicht überall hin folgen … Olympia wollte heute sogar ihre Schmähungen über Lucinden Benno nur allein vertrauen …
Menschen wie Thiebold können für den Umgang unentbehrlich werden; doch erfüllen sie nicht die Phantasie … Sie lassen sich als Freunde, als Gatten, nicht als Liebhaber denken … Benno erhielt seinen vollen Platz in Olympiens Herzen und die Stunde rückte näher und näher, wo die zunehmende Vertraulichkeit um so mehr eine schwindelnde Höhe erreichen mußte, als sein „bester Freund“ Ercolano plötzlich schüchtern und verlegen zu werden anfing. Die Mutter hatte in der That seine Eifersucht angeregt … Das Wohnen auf seiner Villa hatte sie einen lächerlichen Beweis von Schwäche genannt … Olym-290pia trotzte der Zumuthung, die deutschen Freunde aus ihrer Nähe entfernen zu sollen … Darüber ging Ercolano wie in der Irre …
Thiebold war bald nur noch der Vertraute ihres Geheimnisses mit Benno … Er wurde nichts als eine „schöne Eigenschaft“ seines Freundes mehr … Thiebold übernahm die Commissionen ihrer Launen, für die sie den Angebeteten selbst zu hoch hielt … Thiebold mußte „das Verhältniß zum Cardinal Ambrosi“ lösen, d. h. die letzten Aufmerksamkeiten und Geschenke überbringen, die noch für dessen Einrichtung bestimmt waren … Sonst aber ärgerte sie sich schon lange über Thiebold’s Allgegenwart … Bald hatte dieser Unbequeme gerade an derselben Stelle, wo niemand anders als Benno erwartet wurde, seine Brillantnadel, bald sein Portefeuille verloren; er suchte und fand den Freund immer an einer Stelle, wo sie mit Benno allein zu sein hoffte … Wenn sie geneigt wurde, beide aus dem Pavillon der Villa Torresani nach einer ihr noch bequemeren Besitzung des Cardinals umzulogiren, so war es, weil Thiebold wahrhaft Benno’s Schatten blieb …
In Rom spielte selbst im Sommer eine Operntruppe … Olympia besuchte diese Vorstellungen wieder … Das Sitzen in den Logen bot Zerstreuung, kokette Unterhaltung, neckendes Fächerspiel, Gelegenheit zum Hin- und Herfahren, Abholen, Sichbegleitenlassen, Verfehlen u. s. w. …
Da die Freunde trotz der Schönheiten des Landlebens doch von den Merkwürdigkeiten Roms gefesselt sein mußten und manchen Tag in der Stadt blieben, so wollte 291 die junge Fürstin zu gleicher Zeit mit Villa Torresani auch die „Brezel“ an der Porta Laterana bewohnen …
Die Aeltern waren entschieden dagegen und beriefen sich auf die Ehepacten, die jeden Punkt der Vergünstigungen bezeichneten … Sie verlangten, daß ihre Schwiegertochter die Villa Torresani bis zu einem bestimmten Tage nicht verließ … Manchen Menschen, sagte Lucinde zu Thiebold, der hier vermitteln sollte, ist es Bedürfniß, sich zu ärgern … Wenn die Fürstin ihre Tochter in ihrer Nähe entbehren sollte, entgeht ihr ein Motiv der Aufregung … Die Mutter ist so gut gewachsen, daß sie sich gern ihrer Schwiegertochter als Folie bedient … Wir Frauen heben nicht den Arm auf, ohne nicht zu berechnen, wie unser herabströmendes Blut ihn weißer machen muß … Bester Herr de Jonge, heirathen Sie niemals! …
Vierzehn Tage – drei Wochen gingen in dieser Weise vorüber …
Zum Glück hatte man Anzeichen, daß die Nachricht einer Insurrection jeden Augenblick von der Küste des Adriatischen Meers kommen mußte … Couriere gingen und kamen; die bewaffnete Macht war aufgeboten, vervollständigt, marschfertig … Die Consulta hielt täglich Sitzungen … Der Verkehr mit den auswärtigen Gesandten nahm Ceccone’s ganze Aufmerksamkeit in Anspruch … Von Angst und Sorgen sah er in der That niedergedrückt aus …
Wie beim herannahenden Sturm jede Hand ihr Haus verschließt und den Gefahren der Zerstörung vorzubeugen sucht, so zeigte sich auch jetzt in den Umgebungen dieser 292 Machthaber mehr politisches Leben, als sonst … Mancher Mund sprach sogar beredt und frei … Manche geheime Hoffnung sah eine Erfüllung voraus und verrieth vorschnell ihre Freude … Jene große Mehrzahl von Menschen, die als Ballast nur den ruhigeren Gang der Fahrt entscheidet, gleichviel unter welcher Flagge ihre Fahrzeuge segeln, warf sich unruhig hin und her … Vorahnend machte sie gleichsam nur ihr Gepäck leichter, um bequemer von einem Lager ins andere überlaufen zu können … Wie richtig hatten diese Bandiera die Italiener beurtheilt! sagte sich Benno. Der Erfolg ist hier alles! Der Muth einer That entscheidet ihre Bedeutung …
Nur in der Priestersphäre waltete unerschütterliche Zuversicht … Dort stand es fest, daß ein Kampf mit dem Interesse „Gottes“ Jeden zerschmettern müsse – „Selbst die Pforten der Hölle werden dich nicht überwinden!“ lautete der tägliche, seit dreihundert Jahren im Mund der Katholiken übliche Refrain, der auch hier über das Antlitz der jungen und alten Prälatur einen lächelnden Sonnenschein verbreitete … Den „bösen Mächten“ gehört ja die Welt, dem Zufall, der Intrigue, der Selbstverstrickung alles Guten – Wie kann – gesetzt die Revolution wäre das Gute – „in dieser Welt das Gute siegen!“ hatte Lucinde ganz im Geist der Jesuiten gesagt …
Unter den Freigesinnten gab es zwei Richtungen, die sich mit Schärfe bekämpften. Für die ausführlichere Begründung ihrer Ansichten fanden sich in England, in Frankreich, in der Schweiz und auf den Inseln um Ita-293lien Gelegenheiten zum Druckenlassen … Die eine Partei wollte ein einiges Italien, an dessen Spitze der Heilige Vater als wahrer Friedensfürst und Verbreiter aller Segnungen stehen sollte, die durch die Christuslehre dem Menschen verbürgt und nur noch nicht genug anerkannt sind … Die andere sah im apostolischen Stuhl die gefährlichste Anlehnung der Despotie, verwies den Papst aus den Reihen der Souveräne, ließ ihm nur allein noch die Bedeutung, Pfarrer einer Metropolitankirche der Christenheit, der Peterskirche, zu heißen und nahm seinen irdischen Besitz in die allgemeine Verwaltung eines republikanisch regierten Italiens … Freiheit von Oesterreich wollten beide Parteien. Die Souveräne und Würdenträger der Hierarchie waren auf die Hülfe dieses Staates angewiesen; die Väter der Gesellschaft Jesu machten die Vermittler zwischen Wien und allen denen, deren Besitz in Italien bedroht war … Da die Jesuiten dem Staatskanzler zu wesentliche Dinge überwachten, da sie zu viel Dämonen der Weltverwirrung ihm mit gebundenen Händen überlieferten, so hatte er sich wol gewöhnen müssen, sie zu schonen und ihnen über seine eigene Macht hinaus den Paß zu gewähren, den sie gewinnen wollten für die ganze Welt … Das übrige Deutschland, selbst im Norden, gehörte schon den Jesuiten … Der Kirchenfürst war freigegeben … Der Protestantismus schien alles Ernstes zur Unterwerfung wieder unter Rom durch die Innere Mission und die Wiederaufnahme der Romantik vorbereitet zu werden …
Das Wunderlichste war der Contrast, in welchem die Rücksichten der Geselligkeit zu den Zerwürfnissen in 294 der Rucca’schen Familie standen … Selbst wenn Ceccone keine Fremden zu bewirthen hatte, keine Prälaten aus der Provinz, keine Gesandten und hohe Reisende, so fehlten doch auf Villa Torresani Ercolano’s Freunde nicht, die jeunesse dorée Roms, Aristokraten, deren Leben nur von Liebesabenteuern und den neuesten Moden erfüllt wurde … Der Baron d’Asselyno und der Marchese de Jonge wurden in alle Geheimnisse derselben eingeweiht … Niemand verbreitete mehr Geräusch von seinem Dasein, als die jungen Prälaten … Diese geistlichen Stutzer machten das Glück der Familien zweifelhaft … Der Eine nahm dabei die Miene eines Tartufe, der Andre die stolze Zuversicht eines künftigen Papstes an … Ehrgeiz und Selbstgefühl drückte jede ihrer Lebensäußerungen aus … Einige Jahre hatten sie in der Gefangenschaft der Jesuiten gelebt, die die Studien an sich gerissen haben; dann traten sie in die Welt mit all den Ansprüchen, die schon eine geringe Bildung unter einem Volk voll Ignoranz geben darf … Sie standen spät des Morgens auf, machten wie Frauen ihre Toiletten, ließen sich stutzerhaft frisiren, schlugen in ihren Listen nach, wo sie seit lange in diesem oder jenem Hause nicht zum Besuch gewesen – Den Tag über rannten sie müßiggängerisch durch Rom und seine Kirchen … Manche ihrer Liebesabenteuer nahmen sie ernst und führten duftende, oft versificirte Correspondenzen … Alles das verband sich auf das leichteste mit einer ununterbrochenen Ehrfurcht vor diesem Altar, jenem Crucifix, vor jeder geweihten Stelle, die zu küssen die Sitte verlangte, selbst wenn damit kein besonderer Ablaß ver-295bunden … Die Religion ist in Rom ein Gesetz der Höflichkeit, wie bei uns das Hutabnehmen und Grüßen vor Hochgestellten oder guten Bekannten …
Ercolano hatte nach einer heftigen Scene mit seiner Mutter vorgezogen, dem Baron d’Asselyno eine legitime Stellung als Ehrencavalier seiner Gattin zu geben … Das ist in Italien eine sociale Position wie etwa die jedes Geschäftscompagnons … Ercolano wollte keinen Bruch. Er war im Stande, außer sich in den Gartenpavillon zu rennen und Benno zu beschwören, „besser“ mit seiner Frau zu sein, nachgiebiger, aufmerksamer … Sie drohte, krank zu werden, wenn Benno Zerstreuung, Abwesenheit, Melancholie verrieth und sie vernachlässigte …
Zwei Tage vor dem glänzenden Fest in dem Braccio Nuovo des Vatican war eine große Gesellschaft auf Villa Torresani …
Olympia saß in den Reihen der Geladenen und lebte nur für Benno … Ihre Augen sogen sich den seinigen mit dem zärtlichsten Verlangen ein … Die Mutter Ercolano’s verließ voll Verdruß darüber sogleich nach Tisch die Villa Torresani … Herzog Pumpeo eilte ihr nach, um sie zu beruhigen … Sogar Thiebold wollte folgen … Er hatte die Absicht, Lucindens Rath zu befolgen und die feindselige Stimmung der alten Fürstin durch ein neues „Opfer seiner Tugend“ zu paralysiren … Lucinde hielt ihn jedoch zurück … Der Augenblick war nicht günstig; Herzog Pumpeo galt für einen Raufbold … Sarzana fehlte gleichfalls nicht … Lucinden führte er zu Tisch … Sein Benehmen war leb-296hafter, denn je … Ausgelassenheit stand ihm aber nicht … Lucinde mußte sagen: Benno überragt alle …
Nach der Tafel besuchte die Gesellschaft eine der großartigsten Trümmerstätten, die in jener Gegend das Alterthum zurückgelassen hat, die nahe Villa des Kaisers Hadrian …
Weitverzweigt ist dieser Riesenbau, den Benno in elegischer Reflexion das Sanssouci jenes alten Kaisers genannt hatte … Thiebold begann, diesen Gedanken seines Freundes in die entsprechenden Einzelheiten zu zerlegen … Die Zimmer sah er, wo Kaiser Hadrian nach Tisch den Kaffee trank und junge hoffnungsvolle Dichter und Künstler ermunterte, in ihren Studien fortzufahren … Hier blies Hadrian die Flöte! sagte er … Hier lagen seine Lieblingshunde begraben! … Dort spielte er wahrscheinlich Billard! … In der That war hier das Leben eines Kaisers jener Universalmonarchie in allen Momenten beisammen … Raths- und Erholungssaal, Bäder, sogar die Kasernen fehlten nicht, in denen die zur Bewachung commandirten Legionen untergebracht wurden … Für allzu heiße Tage schien gesorgt durch einen halbunterirdischen, bedeckten Gang, den einst die kostbarsten Mosaikfußböden, die schönsten Frescobilder und eben jene Statuen geziert hatten, die sich jetzt im Braccio Nuovo des Vatican versammelt finden …
Hier nun war es, wo sich plötzlich die Gesellschaft in den Gängen verirrte und beim Lachen über die Vergleichungen des Marchese de Jonge, der eine ganz neue Art von Alterthumskunde lehrte, auseinander kam …
In einem Seitenraum dieser Gänge blieb Benno 297 mit Olympia allein zurück … Thiebold’s Stimme klang in weiter Ferne; kein Fußtritt wurde mehr hörbar … Der Augenblick, den Benno immer noch verstanden hatte, nur flüchtig andauern zu lassen, der entscheidende, den seine eigene Selbstbeherrschung immer noch vermieden, Thiebold’s List durchkreuzt hatte, schien gekommen … Jetzt, wo es vielleicht nur noch acht Tage währte, daß die siegreiche oder gescheiterte Unternehmung der Gebrüder Bandiera dieser falschen Position des Herzens und der Gesinnung ein Ende machte …
Olympia hielt Benno zurück und sagte mit einer einzigen Geberde, die einem Strom begeisterter Worte glich:
Wir – sind – allein! …
Und ihr Flammenblick schien diese Trümmerwelt neu zu beleben … Die verwitterten Moose und Schnecken an den feuchten Wänden verschwanden … Die hier und da noch erkennbaren Farben der alten Wandgemälde glühten zu Bildern der Mythenwelt auf … Amor und Psyche, Venus und Adonis schwebten ringsum … Selbst der Fußboden wurde belebt zum kunstvollsten Mosaik … Wohl konnten der beglückten Phantasie noch die goldenen Armsessel stehen, vor denen die schöngefleckten Felle der Leoparden und Tiger gebreitet lagen …
Benno mußte seinen Arm um die luftige Gestalt winden, mußte ihre Linke, eine Kinderhand, weich wie Flaum, an sich ziehen und küssen … Die junge Frau blickte zu ihm auf mit jenem Ausdruck der Liebe, der in der That ihre Züge verschönte … Ihr Mund zitterte; ihre Augen waren von einem so hellen Glanz, als spiegelten sich die Bilder, die sie aufnahmen, 298 in einer reinen Seele … Mit weicher zitternder Stimme, die ihre Worte wie aus einem der Welt ganz an ihr fremden Register der Stimme ertönen ließ, hauchte sie:
Ja, ich sollte dich hassen, du Treuloser! … Wüßtest du – was ich alles um dich gelitten – um dich für Thorheiten beging … Rom, die Welt hätt’ ich zerstören mögen und am meisten mich selbst …
Benno hatte schon Tausenderlei zu seiner Entschuldigung gesagt … Auch wollte sie jetzt nichts mehr vom Vergangenen hören … Ihre Lippen wollten gar keine Worte … Sie verlangten nur die Berührung der seinigen … Die blendend weißen Zahnreihen blieben wie einer Erstarrten geöffnet stehen … Liebe verklärte jede Fiber ihres Körpers, wurde das Athmen der Brust, das ersterbende Wort ihres Mundes – Das Geheimniß der Welt Liebe, Religion Liebe, Leben Liebe … Sie senkte die langen Wimpern über die im träumerischen Vergessen verschwimmenden, ihren Stern ganz innenwärts und hoch hinauf einziehenden Augen …
Leicht lag sie ihm im Arm wie eine Feder …
Benno, kaum noch seiner Sinne mächtig, zuckte absichtlich wie über eine Störung …
Da die Fürstin nur in den Bewegungen des Geliebten lebte, machte sie die gleiche Geberde … Jeder Zug der Schönheit verschwand auf eine Secunde … Das Ohr spitzte sich … Das Auge blickte groß und starr …
Alles blieb aber still … Nur über die feuchten Mauertrümmer sickerte draußen ein Wässerchen … Und im Nu, wie von unsichtbarer Musik regiert, verwandelten 299 sich ihre Züge zur seligsten Harmonie … Ihr Sein war nur Eine Hingebung, Eine Hoffnung … Die zartesten Sylphenglieder schwebten in Benno’s Armen … Er hätte sie emporschleudern können; wie ein Kind würde sie sich um seinen Nacken mit den Armen festgehalten haben … Auf diesen ihren entblößten Armen schimmerte ein großmächtiges goldenes Armband – eine einzige Spange nur, von unverhältnißmäßiger Größe … Das Gold blitzte in Benno’s Augen … Er küßte den Arm um dieses goldenen Glanzes willen, der wie ein Zauber auf ihn wirkte … Seine Knie wankten … Erst jetzt war er in gleicher Höhe mit ihr … Er verlor die Besinnung …
Olympia war es, die sein glühendes Antlitz mit Küssen bedeckte … Sie nannte ihn Verräther! Treuloser! Geliebter! … Sie versicherte, ihn nicht mehr lassen zu können, ihn bis in den Tod lieben zu müssen – … Benno! sagte sie dann, fast die Buchstaben zählend, und nichts mehr anderes sprach sie …
Aber dennoch will das Glück seinen vollen Ausdruck haben …
Diese Statuen, die hier einst standen, rief sie endlich, kann ich nicht mehr anrufen, Zeugen unserer Liebe und Hörer unserer Schwüre zu sein … Vernimm, mein Freund! Im Braccio Nuovo bin ich auf dem Fest des Heiligen Vaters! Ich bin nur allein dort! Nur bis elf Uhr darf im Vatican der Fuß eines Weibes verweilen! Die Männer werden sich so zeitig nicht von dem Bacchanal Sr. Heiligkeit trennen wollen! Geliebter, mein Auge sieht dich auf dem Fest in allem, 300 was die Statuen Schönes bieten … Antinous, Apollo bist nur du … Das genügt – gehe du selbst nicht auf dies Fest! … Sei aber um die elfte Stunde an Villa Rucca, wo ich – übernachten will … Dort, an der Stelle, wo Pasqualetto Lucinden und die Herzogin entführen wollte, ist ein leicht zu gewinnender Eingang in die Villa … Ersteige die Mauer! … Du kennst die Stelle an der Veranda … Dorthin begeb’ ich mich, wenn ich vom Fest zurückgekommen bin … Ich werde vorschützen, im Garten noch frische Luft schöpfen zu wollen und find’ ich dann dich – so bleibst du in meinen Armen – … Schwöre mir’s, daß du kommst! … Zwei Nächte noch – Schwöre! …
So lag einst Armgart an Benno’s Brust – Sie „das Vögelchen“ in seiner Hand, wie er sie damals genannt … Die Genien senkten die Fackeln … Keine Störung, keine Hülfe … Feuer loderte durch Benno’s Adern; die Berührung hatte die Glieder seines Körpers mit elektrischen Strömen erfüllt … Auf der Lippe brannte ihm der Ausruf: Ich komme! … Nur ihre Lippen hinderten ihn, ihn wirklich auszusprechen …
Da zuckte sie aber plötzlich selbst auf … Diesmal war es nicht der sickernde Tropfenfall am moosbewachsenen Gestein, es war der Fuß eines eilend Daherschreitenden … Ich komme! war noch nicht gesprochen … Die Fürstin nahm sein Ja! aus seinen Augen, von seinen Lippen … Die Störung verdroß sie nicht mehr … Das junge Paar fuhr auseinander und gab sich die Miene, als wär’ es hier nur aufgehalten worden von einer gleichgültigen Absicht … Benno ließ die Fürstin 301 frei, trat seitwärts, suchte etwas Blinkendes unter den Steintrümmern an der Bogenlichtung des Gemäuers … Die Fürstin that, als wartete sie nur auf ihn, um weiter vorwärts zu schreiten …
Der Zeuge, der sie überraschte, war Lucinde …
Da ihr Antlitz glühte, so war sie rasch gegangen …
Als sie sah, daß sie das Paar zu stören fürchten mußte, kam sie wie auf einer harmlosen Promenade und that, als suchte auch sie nur, selbst eine Verirrte, auf diesem Weg zur übrigen Gesellschaft zurückzukommen … Sie leuchtete im festlichen Glanz … Ein leichter Sommerhut mit kleinen Federn schwebte lose auf ihrem gescheitelten Haar … Ueber dem hellfarbigen seidenen Kleid trug sie einen großen breitgewebten Shawl von phantastisch bunten, grünen, rothen und gelben Querstreifen … Indem sie scheinbar ruhig die Hände übereinander legte, schlugen die beiden Flügel dieses Shawls zusammen und machten den Eindruck einer Erscheinung aus der Zigeuner- oder Zauberwelt …
Sie wollte Olympien nicht erzürnen, vermied auch die leiseste Spur eines Lächelns und sagte nur athemlos:
Ich suchte Sie, Herr von Asselyn … Ich bekam eben vom Cardinal, der sich empfohlen hat, Mittheilungen, die nicht gut sind – …
Worüber? fragte Olympia ohne allen Verdruß … Sie bot Benno den Arm, um weiter zu wandeln …
In der Ferne hörte man die Annäherung der Gesellschaft …
Lucinde beherrschte ihre Erregung … Konnte sie 302 doch diesen Augenblick der Leidenschaft Olympiens für Benno zu irgendeinem Vortheil benutzen …
Ich höre, sagte sie, daß die Gefahren Ihres Vetters, des Bischofs, immer drohender heraufziehen … In der That ist er förmlich nach Rom beordert und befohlen worden …
Was kann ihm geschehen? fragte Olympia, sich an Benno’s Arm pressend …
Benno wiederholte, wie mit Beschämung:
Der Bischof von Robillante ist nach Rom beordert worden? …
Ich kann nicht sagen, fuhr Lucinde fort, ob wegen Prüfung des Magnetismus von der Pönitentiarie oder wegen der Dominicaner und seiner Vorwürfe gegen die Gerechtsame der Inquisition …
Der Bischof von Robillante? sagte Olympia leicht und obenhin … Was thut das ihm und uns! … Tod seinen Feinden! … Fefelotti soll ihm sein eigenes Erzbisthum abtreten müssen! … Das will ich! Ich! Ich! Der Hut des Cardinals soll ihn für jede Kränkung entschädigen … Das will ich! Ich schütze ihn – und seine Freunde …
Sie blickte voll Zärtlichkeit auf Benno …
Lucinde hielt ein Papier in Händen, das sie halb in ihrer Brust verborgen getragen und zaghaft halb hervorgezogen hatte … Es war ein in lateinischer Sprache gedruckter kleiner Zettel … Die an alle Cardinäle vertheilte Anfrage des Domkapitels von Witoborn über den Magnetismus! erklärte Lucinde, als Olympia dies Papier ihr abgenommen hatte …
303 Benno nahm das Blatt, versprach, es Bonaventura zu senden und fragte, ob es nicht möglich wäre, den Freund zu einer nur schriftlichen Vertheidigung zu veranlassen …
Nein! Nein! Er soll persönlich kommen! sagte Olympia … Er soll seine neuen Würden selbst mit nach Hause tragen! … Ein Asselyn! … Ein Kampf? … Divertimento! … Wer sind seine Gegner? …
Nach einem Augenblick des Nachdenkens sagte sie lachend:
Ha, ich besinne mich, die Dominicaner! … Wohlan, reisen wir selbst nach Porto d’Ascoli, um den deutschen Mönch und den Pilger zu suchen! … Ich weiß, worauf hier alles ankommt …
Olympia kannte die geheimnißvollen Umstände, unter denen Pasqualetto nach Rom gekommen war … Sie kannte das Interesse, das ihr Schwiegervater an jenem Vermittler dieses Wagnisses, an dem Pilger von Loretto hatte … Sie kannte die Botschaft, die der deutsche Mönch Hubertus übernommen; kannte die mannichfachen Deutungen, die man jetzt dem spurlosen Verschwinden sowol des Suchenden als des zu Findenden geben wollte …
Mein Oheim soll alle seine Zweifel lösen! fuhr die Fürstin fort … Noch ist, denk’ ich, Cardinal Ceccone, was er war … Man sagt, eine Revolution ist im Anzuge … Nun wohl! Sie wird mit dem Schaffot endigen! Wer will uns hindern, die Gesetze zu handhaben! … Ich danke Ihnen, Signora, für Ihre Theilnahme zum Besten der Asselyns … Niemand 304 soll diesem Heiligsten der Priester, der unter meinem Schutze steht, ein Haar krümmen … Nicht das erste mal, daß ich von den Fußzehen des Heiligen Vaters nicht früher aufgestanden bin, bis ich nicht die Gewährung meiner Bitten erhielt – und – die Zahl der Knienden nach mir war – nicht klein …
Das alles, mit dem Ton des größten Uebermuthes gesprochen, klang wie beruhigende Musik … Lucinde fühlte ganz die Erquickung, die diese Worte gaben … Auch Benno stellte sich, sie zu fühlen … Olympia weidete sich an den Wirkungen ihrer Macht …
Schon war inzwischen der nachgebliebene Rest der Gesellschaft sichtbar geworden … Graf Sarzana kam fast schmollend auf Lucinde zu und erklärte, sie überall gesucht zu haben … Er bot ihr den Arm und entführte sie fast wie mit Eifersucht …
Thiebold bildete den Mittelpunkt der Lustwandelnden … Er war in einem nationalökonomischen Streit mit dem alten Rucca begriffen und zeigte sich nicht im mindesten befangen, als „Marchese“ seine Kenntnisse der Holzcultur zu verrathen … Sah er doch auch nach allen Seiten hin diesen römischen Adel mit Speculationen beschäftigt … Einige der nähern Verwandten Ercolano’s, die die Nacht über auf Villa Torresani bleiben wollten, glichen vollkommen den Zickeles und den Fulds …
An ein ungestörtes Alleinsein für den Ablauf des Tags mit Olympien war für Benno glücklicherweise nicht mehr zu denken … Der unheimliche, Benno zuweilen mit zweideutigem Blick fixirende Sarzana war zwar mit Lucinden auf Villa Tibur gefahren, andere fuhren nach Rom, 305 die Nachbarn zerstreuten sich in ihre Villen, aber genug blieben zurück, die Olympien in Anspruch nahmen … Genug, die auch unbefangen darüber plaudern konnten, daß Donna Lucinda und Graf Sarzana sicher in kurzer Zeit durch das Band der Ehe verknüpft sein würden … Schon im Herbst würden sie das kleine Palais bei Piazza Sciarra beziehen, hieß es … Olympia hörte wenig darauf – Sie ließ allen ihr Glück; hatte sie doch ihr eigenes … Jeder Blick aus ihren Augen verwies auf die elfte Stunde nach – noch zwei Sonnenuntergängen … Für Benno – die ausgelöschten Fackeln seines Lebens, denen eine ewige Nacht folgen mußte …
Einen Punkt in sich zu wissen, wo es nicht hell und rein im Gemüth ist, wird dem edeln Sinn zum tiefsten Schmerz … Jeder unbelauschte Gedanke fällt dann in ein Grübeln zurück: Wie kannst du diesen Flecken von dir tilgen! Wie kannst du Ruhe und Zufriedenheit mit dir selbst gewinnen! … Jünglinge, Männer können zuweilen in die Lage kommen, an Frauen Empfindungen zu verströmen, die nur formelle Erwiderungen ohne wahre Betheiligung des Herzens sind … Irgendeine Schonung fremder Schwäche galt es da, irgendein mildes Entgegenkommen gegen einen Wahn, der sich so schnell, wie wol die Wahrheitsliebe mochte, nicht im verirrten Frauengemüth heilen ließ … Verstrickt dann zu sein in die Folgen solcher Unwahrheit, die sich das Herz, um seiner thörichten Schwäche willen, vorwerfen muß, leiden zu müssen um etwas, was man so gar nicht empfunden, so gar nicht gewollt hatte, das sind 306 Qualen der Seele, die an ihr brennen können wie das Kleid des Nessus …
Nach dieser Scene in den dunkeln Gängen der Villa Hadriani saß Benno am Whisttisch bei den geöffneten Fenstern des schönen Gesellschaftssaals der Villa Torresani … Da gab es einen Seitenflügel, dessen Zimmer ganz zur nächtlichen Herberge der Verwandten und Gäste bestimmt waren … So saß im Saal bis zur neunten, zehnten Stunde noch eine große Gesellschaft beisammen … Die milden Düfte der Orangenbäume zogen in die Fenster ein … Phalänen mit durchsichtigen Flügeln schwirrten um die Glasglocken zweier hoher bronzener Lampen, die, aus dem Boden zwischen den Säulen sich erhebend, hier einen Atlas vorstellten, der die Weltkugel trägt, dort eine schwebende Eos, die zwei Leuchtgläser auf ihren Fingerspitzen balancirt … Auf schwellenden Ottomanen rings an den Wänden des Saals entlang streckten sich die ermüdeten Schönen, die halbschlafend sich keinen Zwang mehr anlegten … Andere schlürften Sorbet und wehten sich mit ihren Fächern Kühlung, hingegossen an den offenen Fenstern auf niedrigen Sesseln, die kaum einen Fuß hoch über dem Marmorboden sich erhoben … Weich und lind zog die Nachtluft herein … Bis in die Fenster wuchsen die üppigen Beete ausgewählter Pflanzen mit ihren seltsam gestalteten Blütenkelchen, an sich schon Symbolen der Freiheit der Natur, Symbolen des allbindenden alles entfesselnden Liebestriebs – wer kann Blüten von Orchideen, Lilien, Nymphäen, Gardenien sehen, ohne an die Mysterien des Lebens erinnert zu werden … Ein fernes leises Rauschen konnte vom 307 Sturz des Anio kommen – es konnte auch der Sang der Cicaden sein …
Trenta due! schnarrten die Methusalems der Rucca-Familie beim Spiel … Der Alte selbst war bei seinem Sohn geblieben und nicht nach Villa Tibur gefahren, wo er überhaupt nur selten verweilte, weil er dort morgens nicht zum Auszanken all seine Arbeiter beisammen hatte … Aber auch diese genossen abendlich ihren Lebenstraum … Einige sangen in schmelzenden Tenortönen: „Amore re del mondo!“ … Andere spielten bei Laternenschimmer die Morra – leidenschaftlich und wild und wie alles in Italien gleich auf Leben und Tod …
Felicissima notte! … sprach endlich gegen halb elf Uhr Olympia zu Benno, als sie von des schon halb schlafwandelnden Ercolano Arm entführt wurde …
Es klang wie der letzte Gruß – einer Braut vor dem Hochzeitstage …
Gegen Thiebold konnte sich Benno nicht mehr aussprechen … Die Lose waren zu ernst, zu furchtbar bestimmend gefallen …
Thiebold sprang dem zum Pavillon Vorauseilenden von der Gesellschaft angeregt und lachend nach …
Benno erzählte, als sie durch den Garten huschten, von Bonaventura’s Gefahr, von seiner Berufung vor ein geistliches Gericht, vom Stab, der für immer über Paula’s Seelenleben gebrochen wurde …
Thiebold fand sich aus seinen römischen Verwickelungen mit Schwierigkeit in die eigentliche Aufgabe der Freunde zurück …
Die aus Thiebold’s Vaterstadt gekommene, an sich 308 wohlwollende, die Anschuldigungen der Frau von Sicking und des Cajetan Rother sogar zurückweisende Anfrage enthielt Stellen, die in deutscher Uebertragung lauteten:*)
„Ist die Person, über welche die Magnetisirte gefragt wird, abwesend, so ist dazu eine Haarlocke von deren Haupte vollkommen hinreichend. Sobald die Haarlocke in ihrer Handfläche ruht, sieht sie schlafend und mit geschlossenen Augen, wo diese Person verweilt und was sie thut“ …
Eine Haarlocke! … sprach Benno …
Schon ergrauten des theuern Freundes Locken …
Und seine eigenen –? …
Er sah den Aschenbecher Armgart’s … Gedachte des Abschieds – des Briefwechsels durch – „ausgetauschtes Blut“ …
Thiebold verstand Benno’s heute so düsteres Leid nur aus Bonaventura’s Gefahr und vertröstete, übermüdet von den Huldigungen, die seine Galanterie so vielen Contessinen und Principessen dargebracht hatte – und die wiederum auch ihm zu Theil geworden waren, sich entkleidend, mit Olympiens und Ceccone’s Schutz …
„O so wolle“, übersetzte Benno eine andere Stelle, „eine hohe Curie nach deren Weisheit, zur größern Ehre des Allmächtigen, zur größern Wohlfahrt der Seelen, die unser Heiland so theuer erlöst hat, entscheiden, ob alles das eine göttliche oder nur satanische Einwirkung ist“ –*)
309 Benno schleuderte das Papier von sich …
Die Versicherung Thiebold’s, daß Olympia alle schützen würde, konnte wenig nachhaltenden Trost gewähren …
Thiebold ermunterte zum Ausharren …
Mit größter Spannung sprach er von dem Fest im Braccio Nuovo, auf das er sich nicht nur in der Toilette, sondern auch mit einem Handbuch der Antiquitäten gründlich vorbereiten wollte …
Am folgenden Morgen – wieder ein Brief der Mutter und – unter dem mit verstellter Handschrift geschriebenen Couvert, wieder die kurze Anzeige, daß sich Advocat Clemente Bertinazzi aufs neue nach Signore d’Asselyno hätte erkundigen lassen …
Benno kleidete sich rasch an, ließ im Stall des Fürsten ein ihm immer zu Gebot gestelltes Roß satteln, verbarg sich vor jedermann, selbst vor Thiebold, und sprengte sofort und in höchster Eile nach Rom.
310 9.#
Unterweges hatte Benno ein Misgeschick mit seinem Pferde … Er mußte dem Thier, das sich den Fuß verstauchte, mitten auf der Heide, in einer Schäferhütte der Campagna, einige Stunden Ruhe gönnen …
So war es schon spät Nachmittag, fast Abend geworden, als er in Rom ankam …
Er mußte sogleich das kranke Pferd in Palazzo Rucca den Leuten des alten Fürsten übergeben …
Dann eilte er in seine Wohnung …
Sein Zustand war der der Verzweiflung … Für morgen erwartete ihn die junge Fürstin auf Villa Rucca … Zu gleicher Zeit mahnten ihn die Freunde der Gebrüder Bandiera … Nicht umsonst war er in die Kreise der Revolution getreten … Unsichtbare Geister nicht nur, nicht nur die Stimmen seines Innern, sondern wirkliche Personen, die ihn beobachteten, ihn vielleicht richteten, verlangten eine Entscheidung …
Todt blickte ihn die „Stadt der Städte“ an … Nur Opfer des geistigen Despotismus sah er überall … Jeder Abbate, der an ihm vorüberhuschte, lächelte 311 ihm wie mit geheimem Hohn … Die Menschen gingen und kamen so gedankenlos und leer … Die Trümmer des Alterthums waren ihm mehr denn je nur Gräberstätten – und was war – die lebendige Gegenwart? Aus Gebetbüchern an den Schaufenstern der Buchläden sprach sie …
Es war fast Abend … Er fürchtete sich, zur Mutter zu gehen … Die Scham, eingestehen zu müssen, wie weit er mit Olympien gekommen, hielt ihn zurück … Aber dennoch, dennoch mußte er nach einer Trennung von mehreren Tagen sie begrüßen, mußte um die auffallenden Mahnungen Bertinazzi’s nähere Erkundigungen einziehen …
Er nahm ein leichtes Mahl in der Nähe des Corso …
Im Winter besuchte er, um den Kaffee zu trinken, öfters das Café Greco … Sonst setzte er sich gern zu den deutschen Malern, die im Café Greco hausen … Aber auch hier war es ihm jetzt nur unheimlich geworden … Die Monotonie klappernder Dominosteine, das Rascheln der Tassen auf den schmuzigen Marmorplatten der Tische, die rauhen Kellnerstimmen, die in den lächerlichsten Tonschwingungen Erfrischungen, die aus der Küche heraufgebracht werden sollen, ausschreien, die phantastisch aufgeputzten Bettler an der Schwelle, die sich als Modelle vermiethen zu jener unwahren Welt, die die Romantik der Maler noch immer in ihren Ateliers mit südlichen Staffagen gruppirt, während Italien diese Trachten und Sitten naturwüchsig nur noch an wenig Stellen bewahrt hat – vollends die Künstler selbst konnte Benno 312 schon lange nicht mehr sehen, ohne auch sie der Fortpflanzung jener lügenhaften Zauber anzuklagen, mit denen Rom die Welt gefangen hält … Die Akademie sage ihnen schon, was sie allein hier finden sollten … Selten, daß sich eine Urkraft gegen die Tradition erhöbe und von Rom nicht blos Lehren, sondern auch Warnungen mitnähme … „Eine phrasenhafte Welt, in die ich alle diese Künstler verstrickt gefunden habe! Klingsohr – das wäre ihr Mann! Klingsohr müßte auch hier mit der Cigarre sitzen und orakeln!“ …
Benno begab sich, da er auf den Monte Pincio wollte, in ein Café am Spanischen Platz … Da konnte er eine deutsche Buchhandlung übersehen, besucht von ab- und zukommenden Geistlichen, die sich nur Schriften kauften, die in Wien, München, Regensburg, Münster und Köln erscheinen … Er sah die augsburger „Allgemeine Zeitung“, auf die ihn der Staatskanzler angewiesen hatte … Er fand in allem Deutschen nur noch die Spuren Klingsohr’s … Es war ihm jener fortgesetzte Vatermord, dessen dieser sich fast in Wirklichkeit schuldig gemacht hatte … Er sah in Deutschland überall vom hohen Roß der gelehrten doctrinären Anmaßung die grünen Saaten der Neubildungen im Geistesleben der Völker zertreten und was gab den geheimen Druck der Sporen? Das egoistische Interesse der Fürsten, des Adels, der Geistlichkeit … Die Bewegung um den „Trierschen Rock“ hatte immer mehr um sich gegriffen … Die „Allgemeine Zeitung“ verrieth ihm, wie selbst nach Witoborn die Bewegung hinüberzuckte … Er dachte an Monika, Ulrich von Hülleshoven, Hedemann … 313 An Gräfin Erdmuthe und – ihre apokalyptischen Bilder über Rom …
Es gibt Naturen, die vom Zweifel und einer Weltauffassung der Ironie in überraschender Plötzlichkeit zu einer Leidenschaft überspringen können, die an ihnen völlig unvermittelt erscheint … Es gibt Naturen, die jede Voraussetzung, die sogar nur von ihrer Besonnenheit gehegt werden durfte, plötzlich durch die thörichtsten Handlungen Lügen strafen …
Die Umstände hatten Benno aus der Bahn des heimatlichen Lebens und Denkens hinausgeworfen …
Jene Courierreise, von den Umständen so harmlos geboten, gab ihm den Anstoß zu einer immer mehr um sich greifenden Revolution seines Innern … Auf dem Capitol beim Gesandten seines engern Vaterlandes war er deshalb vorm Jahr kalt empfangen worden … Aber auch auf dem Venetianer Platz beim Gesandten Oesterreichs, wo er ausgezeichnet worden, erwartete man vergebens seine Wiederkunft … Durch ein zufälliges Begegniß, durch einen Antheil seines Herzens, genährt durch die Erinnerung an seine Mutter, genährt durch die Mahnung, daß römisches Blut in seinen Adern floß, hatte er sich den hervorragenden Erscheinungen des „Jungen Italien“ genähert – … Schon hatte man ihm mehr Vertrauen geschenkt, als er begehrte und als vielleicht von andern gutgeheißen wurde … Und dennoch lebte er in vertraulichster Beziehung zu Menschen, die er haßte und die er aus Grund der Seele hätte meiden sollen … Diese Gegensätze unterwühlten seine Ruhe, brachen seinen Muth … Auf seinem Antlitz fühlte er 314 eine brennende Maske, ein Mal der Scham … Sein Glaubensbekenntniß des Sichergebenmüssens in Lagen, in die uns die Laune des Zufalls gestellt hätte, war dahin … Nimm Partei! riefen ihm geheimnißvolle innere Stimmen schon seit jener Stunde, als sich ihm die Mutter in Wien in der ganzen Einseitigkeit ihrer Nationalität offenbart hatte … Als er dann Italien selbst gesehen, als er auch Bonaventura in so wunderbarer Schnelligkeit auf den gleichen Boden verpflanzt gefunden, da führten die gemeinschaftlichen Anschauungen, die übereinstimmenden Ergebnisse des Nachdenkens beide auf die feste Ueberzeugung, daß nur in Italien und vorzugsweise aus der römischen Frage heraus die Entscheidung der weltgeschichtlichen Schicksale Europas zu suchen wäre …
„Die Zeit deiner großen Revolutionen“, hatte Benno noch vor kurzem an den Onkel Dechanten geschrieben, „ist näher, als Du in Deinem friedlichen Asyle ahnst! … Die Frage, um die sich Beda Hunnius so erhitzt, die Frage eines Bruchs der deutschen Kirche mit Rom ist nur ein Symptom … Rom und die große Sache der Geistesfreiheit können zu ihrem Abschluß nur durch die politischen Schicksale Italiens kommen … Wird der Schemel der irdischen Macht dem Stellvertreter Christi unter den Füßen weggerissen, dann kann ihm nichts mehr von seinen alten, auch den geistigen Druck der Welt unterstützenden Machtansprüchen bleiben … Eine Weile wird er sich noch Patriarch von Rom nennen dürfen; aber jede neue Phase der Geschichte nimmt ihm eine Würde nach der andern … Damit bricht der 315 Bau der Hierarchie und das schon halbvollendete Werk der Jesuiten zusammen“ …
Ob auch der Katholicismus? …
Benno hatte seinen zwischen Katholicismus und Protestantismus in der Mitte gehenden Standpunkt offen dargelegt … Er hatte dem Onkel geschrieben:
„Ich glaube nicht an die propagandistische Kraft des protestantischen Geistes; ich zweifle sogar an dem entscheidenden Ausschlag, den die Völker der germanischen Zunge überhaupt noch der Geschichte geben … Das germanische Mutterland ist in zwei Hälften gespalten: Oesterreich hat die Gedankengänge der romanischen Welt angenommen; Preußen hat die kühne Neugestaltung Friedrich’s des Großen nicht zu verfolgen gewagt … Die germanische Welt wäre nur insofern kraftvoll, als ausschließlich mit ihr der Protestantismus geht … Eine durch Oesterreich vertretene germanische Welt ist keine oder der Name Deutschland wird zum Schrecken jeder Nation, die ihre Freiheit anstrebt … Nun aber lieb’ ich Deutschland, liebe seine Bildung, anerkenne seinen Beruf … So seh’ ich keine Hülfe, die ihm geboten werden kann, als den Untergang Roms, die Zertrümmerung derjenigen Bestandtheile der katholischen Kirche, die uns Katholiken von einer engern Gemeinschaft mit den Protestanten trennen … Ein gestürztes Papstthum wird Deutschland einigen; ein frei gewordenes Italien wird Oesterreich erinnern, wo Kaiser Joseph die Kraft des Kaiserstaates suchte – in einer Fortsetzung des Fridericianischen Zeitalters der Preußen … Gibt es einen Katholicismus ohne den Papst? … Das ist die große Frage 316 der Befreiung der Gewissen … Und wird sie in dem Sinne beantwortet, daß Rom aufhört, die Metropole der katholischen Kirche zu sein, was kann, das ist die zweite Frage, von ihrem Leben zurückbleiben, um die Schranken zwischen ihr und den Protestanten niederzureißen? … Bonaventura will die Bibel und eine geläuterte Messe … Es sind seine täglichen Gedanken – sie erfüllen ihn ganz … Ich selbst besitze zu wenig das Bedürfniß des – Cultus, um darüber ein Urtheil zu haben“ …
Benno fand die Mutter nicht daheim … Marco, der ihn bei jedem Besuch mit größerm Befremden musterte, versicherte, er würde sie beim Kloster der „Lebendigbegrabenen“ oder vielleicht jenseits der Tiber finden … Sie hätte Sancta Cäcilia, der heiligen Sangesmuse, ihrer alten Schutzpatronin, „der sie so vieles Gute dankte“, ihre Verehrung bezeugen wollen … Von bedenklichen Vorfällen meldete Marco nichts … Der Advocat Bertinazzi hatte in der That zweimal anfragen lassen …
Was ist Religion! sagte sich Benno – als er sich auf den Weg machte zu den „Lebendigbegrabenen“ … Bei ihnen war heute die Mumie ausgestellt … Die Menschen standen noch bis auf die Straße hinaus und jeder hatte dem gläsernen Kasten ein Leiden vorzutragen … Starr hing das braune Schreckbild der Eusebia Recanati an seinen goldenen Klammern … Die Menschen berührten den Glasschrank und erwarteten Hülfe … Selbst aus der Zahl der Falten ihrer Kleider suchten sie sich die Nummern – die sie für die nächste Tombola setzen wollten! … Die Masse ist unverbesserlich! sagte sich Benno … 317 Die Eingeweide der Vögel oder die Gewänder einer Mumie – gleichviel! Auch in der protestantischen Kirche läßt die Hebamme unter dem Kissen des Täuflings die Nabelschnur der Gebärerin mittaufen –! … Nur auf die Vertheilung der Herrschaft kommt es an, nur darauf, was im Gesetz den Vorzug hat, die Vernunft oder die getaufte Nabelschnur – Alles andere macht die Strömung der Luft, der Wind, das ansteckende Beispiel – Ohne den Widerstand der Priester und der Doctrinäre könnte der Deutschkatholicismus sogar den Rationalismus zu einer Art von Mystik erheben, deren die Menschheit nicht scheint entbehren zu können …
Weder vor der Kirche, noch im Kloster bei Olympiens Mutter fand sich die Herzogin … Equipagen gab es genug; keine mit dem Wappen des Marquis Don Albufera de Heñares, Herzogs von Amarillas, ein Wappen, das der Miethkutscher auf seine Wägen zu setzen gestattet hatte … Benno wollte nach Sancta Cäcilia, zu welcher Kirche gleichfalls ein Kloster gehörte …
Es war nun in den Straßen dunkel geworden, obgleich die Abendröthe noch schimmerte … Das Volksgewühl begann in dieser Gegend wie täglich bei Untergang der Sonne … Da wogten die Menschen durcheinander, da erscholl jener Lärm des Südens – um ein Nichts, um ein Paar alte Schuhe, um Schwefelfaden, um etwas Wasser mit einem Stückchen Eis … Immer glaubt man, ein Kauffahrteischiff wäre eben angekommen und lüde die Schätze beider Indien aus … Schon dampften Maccaroni in den auf offener Straße errichteten Küchen … Fische wurden gesotten in Pfan-318nen, über die – wende dich ab, deutscher Geschmack! – der aufgekrämpte rothnackte Arm der Volksköchin die Oelflasche gießt … So mancher Arbeiter hält jetzt erst sein Mittagsmahl auf Piazza Navona … Die Fleischerbuden bieten noch feil … Seltsam geformt und fast an die alten Arenen erinnernd sind die zertheilten Stücke, an denen die Knochen mehr als bei uns zurückbleiben … „Unsere Sitten das und unsere Sitten sind gut!“ – liegt auf den Mienen dieser schreienden, singenden, schmausenden – dann auch dazwischen wieder betenden Welt – … Die Thüren der erleuchteten Kirche Santa Agnese stehen weit offen … Auf ihren Stufen im herausströmenden Weihrauchduft lagert sich in bequemster Behaglichkeit das südliche Abendleben …
Vorüber am Pasquino – am Palazzo Rucca – am Ufficio delle SS. Reliquie e dei Catacombe, wo Cardinal Ambrosi wohnt …
Benno stand schon zu mehreren malen an dem grauen spanischen Gebäude mit den vergitterten Fenstern … Er dachte: Da hinten im düstern Hofe wohnt ein Mensch, der ein Geheimniß ist! … Bonaventura erfuhr sein Leben von mir … Er floh vor einem Sektirer – hatte die Mutter erzählt … Und doch soll er mit Fra Federigo im Einverständniß leben? …
So bilden sich die Sagen, so verknüpft der Volksglaube … Das Volk kann das Seltene sich nicht denken ohne unmittelbare Beziehung zu Gott; das Edle kann ihm nie ohne Wunder sein; zwei große Menschen können ihm nicht ohne das Band des Einverständnisses leben – … Dieser einfache, ascetische Mönch erhielt eine Geschichte, 319 von der er schwerlich selbst eine Ahnung hatte … Benno mußte auf den Beistand auch dieses Cardinals rechnen, wenn Bonaventura in Rom erscheinen sollte … Eine Regung der Dankbarkeit für Fra Federigo ließ sich bei ihm voraussetzen …
Und Fra Federigo selbst! … Benno’s eigene Erinnerungen trugen von Friedrich von Asselyn kein Bild … Nur aus Bonaventura’s Charakter, nur aus dem Bestreben seines Vaters, für die Welt seinem Weibe zu Liebe ein Gestorbener sein zu wollen, konnte er sich die Züge erklären, die allgemein von jenem Einsiedler unter dem Laubdach eines waldensischen Eichenhains erzählt wurden … Von Gräfin Erdmuthe wußte er, daß sie eines Tags vor längern Jahren aus einem waldensischen Gottesdienst zu Fuß nach Hause kam, mit einem ihrer Diener auf dem Heimweg deutsch sprach und darüber von einem Mann angeredet wurde, der hinter ihr her ging, sich als Deutscher zu erkennen gab, auf einer Fußwanderung nach den Seealpen begriffen zu sein erklärte und durch Zufall jener Predigt beigewohnt hatte, die ein Geistlicher gehalten, der keinen katholischen Ornat trug … Der Fremdling konnte diese fast altlutherischen Sitten des Gottesdienstes nicht unterbringen und ließ sich über die Waldenser von einer Dame unterrichten, in der er mit Ueberraschung einer geborenen Freiin Hardenberg, aus altem norddeutschen Geschlecht, begegnete … Ihm selbst, sagte er, wären die Gedichte eines Hardenberg (Novalis) von größter Anregung gewesen … Dann – bei einer Kapelle – zur „besten Maria“, an der sie vorüber mußten – bekannte er sich der über die Anerkennung ei-320nes Verwandten freudigerregten Frau zwar als Katholiken, sagte aber: Was hat wol Ihr frühvollendeter Vetter unter jener Maria verstanden, die er zum Anstoß der Seinen so oft besang! Doch wol nur Sophia von Kühn, die er liebte und die ihm starb, noch ehe sie die Seine geworden! So wird unser eigenes Leben zuletzt die lauterste Quelle unserer Religion … Hardenberg-Novalis sang, fuhr er fort:
Er sang es in so persönlicher Freundschaft für den Erlöser, daß ich diesem Lied mein Glaubensbekenntniß verdanke … Die Religion muß für jeden Einzelnen sein eigenes persönliches Verhältniß zu Gott werden und die Kirche soll nur so viel dazu mitthun und mithelfen, wie ein Wächter, der ein Stelldichein der Liebe hütet! Alles andere, jede andere Einmischung in unsere innere Welt ist vom Uebel! … Die Gräfin, die ihren herrenhutischen Glauben annähernd richtig gedeutet sah, bat den Fremdling, auf Castellungo einige Tage Rast zu halten … Er zögerte anfangs, folgte aber doch, da er ermüdet und offenbar im Beginn einer Krankheit schien … Diese überfiel ihn denn auch, als er das stolze Schloß beschritten und die erste freundliche Bewirthung der Gräfin genossen hatte … Sein überreizter Zustand gab sich sogleich in einem heftigen Strom von Thränen kund, dem ein Fieberfrost und eine lange Nervenkrankheit folgte … Die Gräfin widmete ihm die größte Sorgfalt und erfüllte zugleich die Bitte, die sich in einzelnen lichten Momenten von seinen fahlen Lippen stahl, daß sie keine Nachfor-321schungen über seinen Namen und seine Herkunft anstellen sollte … Er hätte keine Verwandte mehr, wollte todt sein und bäte, ihn nicht anders als Friedrich zu nennen – Das Reich des Friedens, sagte er, find’ ich nicht mehr auf dieser Erde, ich zöge gern hinüber; mir selbst aber den Tod zu geben, wäre vermessen; unsichtbare Fesseln halten mich auch noch – doch bin ich nicht mehr, was ich war – ich bin ein Todter … Die Gräfin hatte Benno erzählt, daß der Fremdling damals wenig über vierzig Jahre zählte, eine seltene Bildung besaß und mit den Lehrsätzen seiner Kirche um persönlicher Erlebnisse willen in Spannung schien … Oft hätte sie ihn für einen flüchtigen Priester gehalten … In ihn zu drängen und Namen und Stand von ihm zu begehren, widersprach ihrer Sinnesart, ja die Verehrung vor dem „Signor Federigo“, wie ihn sogleich die Schloßbewohner nannten, wuchs bei ihr zu einer so innigen Freundschaft, daß die schon gereifte Frau, damals Witwe, sein Scheiden nur mit größter Betrübniß würde erlebt haben … Er seinerseits faßte die gleiche Neigung für die edle Dame, deren religiöse Denkweise nicht ganz mit der seinigen übereinstimmte, die aber Verbindungsglieder gemeinschaftlicher Ansichten und Stimmungen bot … So knüpfte sich zwischen beiden ein seelisches Band, das aus den Erzählungen der Gräfin mehr von Benno geahnt werden konnte, als ihre Worte schilderten … Sie ließ die jedenfalls auf Friedrich von Asselyn passende Aeußerung fallen, daß der Fremdling die Wappen und Farben ihres Hauses von der ältern Linie her kannte, sie oft mit Rührung betrachtet hätte und selbst wol 322 dem Adel angehörte … Fast wie aus Furcht vor Begegnungen, die gerade auf diesem Schlosse nicht unmöglich waren, hätte der Fremde sowol den langen Bart, der ihm in seiner Krankheit gewachsen war, nicht entfernen, noch auch auf dem Schlosse selbst länger wohnen mögen … Unter dem Schutz der Gesetze, die aus aufgeklärtern Zeiten, als die unserigen, stammten und den die Gräfin so muthig wiedererobert hatte, verweilte er eine halbe Meile vom Schlosse entfernt in einem Hause, das er sich im Wald aus Baumstämmen selbst gezimmert hatte … Die Menschen der Umgegend nannten ihn „Fra Federigo“ … Man rühmte seine Kenntnisse in der Heilkunde, in Sachen des Ackerbaus und der Güterbewirthschaftung … Er kannte das Recht, die Geschichte, die Lehnsverhältnisse in allen europäischen Gesetzgebungen … Anfangs ließ er sich nur mit Widerstreben von den Umwohnenden besuchen. Zuletzt, wenn die Gräfin auf längere Zeit nach Wien mußte, war sein Rath allen und ihren eigenen Verwaltern unumgänglich … Unter seiner Eiche hielt er eine Bienenzucht und nahm in dieser summenden Gesellschaft, zu der noch eine Ziege und ein Hund gehörten, immer mehr die Weise eines Eremiten an, der, geschieden von der Welt, auch sein Aeußeres nicht mehr nach den Gesetzen der Gesellschaft einrichtet … Briefe empfing er nicht; ebenso las er anfangs keine Zeitungen; später desto theilnehmender, bis er sich diese Lectüre versagte, nur um nicht den Reiz der Rückkehr in die Welt zu mehren … An Anfechtungen durch die Geistlichen und Behörden fehlte es nicht … Seine Anspruchslosigkeit und der Schutz der Gräfin bewahrte 323 ihn vor größern Unbilden … Bis dann freilich die Jesuiten immer mächtiger und mächtiger wurden und die Eifersucht der Dominicaner reizten … Hof und Cabinet von Turin kamen in die Hände der Jesuiten … Nun begannen Verfolgungen, Einkerkerungen … Bald nach Fefelotti’s Erscheinen verschwand plötzlich der inzwischen zum Greise gewordene gütige und allgeliebte Waldbewohner … Eines Morgens fand man seine Siedelei leer; seine Ziege hatte noch ihr Futter für einige Tage, ebenso sein Hund, der angebunden war … Als er losgeschnitten wurde, rannte er schnurstracks nach Coni bis in das dortige erzbischöfliche Ordinariat, wo die übrigen Gefangenen saßen … Dort wurde er festgehalten und eingesperrt … Als man ihn eines Tags losgerissen fand, behauptete man, ihn in Robillante gesehen zu haben und zwar, wie die Gräfin Benno versicherte, mit eingeklemmtem Schweif, herabhängenden Ohren, trauernd hinter einer düstern und verschlossenen Kutsche herlaufen, die von zwei Gensdarmen begleitet wurde … Die Kutsche kam aus dem Officium der Dominicaner zu San-Onofrio und fuhr der großen Straße gen Osten zu … Das Thier, sagte sie, hatte die Witterung seines Herrn und konnte ihm in seiner verschlossenen Kutsche nicht beikommen … Selbst als man später vom Auftauchen Fra Federigo’s bei Loretto und unter den Räubern der Mark Ancona gehört hatte, ließ sich die Gräfin nicht nehmen, daß jene noch an einigen andern Orten auf ihrer geheimnißvollen Fahrt gesehene Kutsche ihren Freund nach Rom abgeführt hätte – eine Ansicht, die niemand mehr als Bonaven-324tura theilte – er, der sie mit einem Schmerz nachfühlte, dem Benno in Gegenwart der Gräfin nur einen unvollkommenen Ausdruck geben konnte … Benno’s Ansicht: Dein Vater erfuhr deine wunderbare Ernennung zum Bischof von Robillante und floh aus eigenem Antrieb vor dir und vor dem möglichen Wiedersehen deiner Mutter und Friedrich’s von Wittekind! – ließ Bonaventura in einem Augenblick gelten, im andern trat ihm wieder das Bild der verschlossenen, von Gensdarmen nach Rom geführten Kutsche wie eine Mahnung entgegen, nicht eher zu ruhen und zu rasten bis sein greiser Vater aufgefunden war …
Benno wurde aufs mächtigste von diesen Räthseln ergriffen beim Hinblick auf San-Pietro in Montorio, wo Bruder Hubertus gewohnt hatte … Er hatte die Mutter in Trastevere gesucht … Auch in Santa-Cecilia, bei den Benedictinerinnen, fand er sie nicht … Nun wollte er einen Miethwagen nehmen und nach Monte Pincio zurückfahren … Da im allerletzten Abendsonnenstrahl leuchtete so schön und verklärt, San-Pietro in Montorio auf … Wo konnte er sich bessere Kunde vom Bruder Hubertus holen, als dort oder vielleicht – bei Sebastus in Santa-Maria? … Letztern zu meiden drängte ihn alles …
Er erstieg den Hügel, auf dem die Paolinischen Wasserleitungen sich sammeln, klopfte an das Kloster, neben einer Kirche, der einst Raphael seine Transfiguration gemalt …
Von den beim Nachtimbiß sitzenden Alcantarinern kam einer an das Sprachgitter und sagte auf Benno’s Fragen:
Wir wissen von dem deutschen Bruder nur, daß man ihn 325 noch in Ascoli sah … Die Leiden des Bischofs von Macerata sind im Druck erschienen und Ihr werdet sie gelesen haben … Seine Befreiung ist dem wunderthätigen Marienbild von Macerata beizuschreiben, das eines Tages spurlos verschwand*) … Das Volk gerieth in Aufregung und beschuldigte das Kapitel von Macerata, das Bild weggeschlossen zu haben, um auf diese Art die Räuber zu zwingen, den Bischof freizulassen … In der That bemächtigte sich eine solche Unruhe der Gegend, daß die Genossen des Grizzifalcone Angst bekamen und sich herbeiließen, lieber den Bischof auf freien Fuß zu stellen … Der Heilige hat viel dulden müssen – das Marienbild ist dann wieder erschienen … Von Bruder Hubertus, der dem Domkapitel jene Hülfe angerathen hat und so ohne alle Mühe den Bischof rettete, ist seither nichts mehr vernommen worden … Wir wissen, er hat den Grizzifalcone getödtet in einer Nacht, wo wir ganz andere Dinge von ihm erwarteten … Ein Tollkopf war’s … Er auch nur allein konnte sich unter Räuber begeben, deren Hauptmann er getödtet hatte … Auch von dem Pilger wißt Ihr, der dem Grizzifalcone für seine Bekehrung hat alles lesen und schreiben müssen? … Ein Franciscanerbruder sprach vor einigen Tagen bei uns vor und hat ausgesagt, man hätte den Mönch mit dem Todtenkopf und mit ihm zugleich den Pilger jenseit der Grenze in den Abruzzen gesehen …
Auf Benno’s dringenderes Forschen rief der Pförtner den Guardian …
326 Dieser kam und versicherte, beide Verschollene wären auch schon lange nicht mehr in den Abruzzen, sondern in Calabrien, wo sie ein Wallfahrer in dem schluchtenreichen Silaswalde wollte gesehen haben …
Im Silaswalde! … An der äußersten Grenze Italiens – Auf den meerumbuchteten Landzungen Neapels schon – in den ältesten Hainen der Welt von Eichen- und Kastanienbäumen – … Immer weiter und weiter rückte die Beruhigung des aufgeregten und selbst so düster bedrohten Freundes in Robillante … Würde Benno sich freier bewegt haben, er hätte sich an Ort und Stelle begeben, um nach dem geheimnißvollen Pilger zu forschen … Die Ungewißheit, der Einfall der Gebrüder Bandiera, die Furcht vor Olympia’s Rache, Bangen vor den Mahnungen Bertinazzi’s hielten ihn von der Ausführung dieses Vorsatzes ab …
Benno kämpfte mit sich, ob er die Mutter heute aufgeben und nicht lieber sofort zu Bertinazzi gehen sollte, den er erst morgen in erster Frühe hatte besuchen wollen …
Die volle Nacht war hereingebrochen, als Benno von San-Pietro niederstieg …
Die Einsamkeit des Weges beflügelte seinen Schritt … Schon im zweifelhaften Abendlicht sind die nächsten Trümmerhaufen und Gartenmauern Roms unheimlich …
Er wandte sein Auge vom Anblick der Peterskuppel ab … Das Bild: Morgen um diese Stunde werden dort die marmornen Bilder des Vatican lebendig! machte ihm das Blut erstarren … Er kannte diesen Braccio Nuovo … Hundert lachende Priester sah er in 327 festlichen Gewändern, bei Fackel- und Kerzenschein, durch die mit den Marmorsärgen der ersten Christen geschmückten Corridore schreiten … Die Statuen der römischen Kaiser wurden lebendig und schlossen sich ihnen an … Im Saal des Braccio Nuovo schimmerten Bankettische, Vasen voll Blumen, silberne Urnen voll Eis mit dem „Bier der Franzosen“, wie Sarzana gesagt hatte; alles im glänzenden Licht, ausgeströmt von zahllosen Kerzen … Die Julien, Livien und Agrippinen der Imperatorenzeit kamen mit ihren faltenreichen Gewändern in den Saal und setzten sich zu den Zechenden … Da thront Ceccone, mit dem Rücken gelehnt an die berühmte Gruppe des Nil … Sechszehn kleine Genien kugeln sich übermüthig auf dem kolossalen Sinnbild der Ueppigkeit und Fruchtbarkeit … Der lachende Silen blickt auf den neugeborenen Bacchus dicht neben Bischof Camuzzi … Fefelotti liebäugelt mit der berühmten Statue des Demosthenes, die soviel zierliche Fältchen wirft; mehr, als ein Redner voll Natürlichkeit seiner Toga erhalten konnte, als er gegen Philipp von Macedonien donnerte … Nun trommelt die Schweizergarde … Immer neue Gäste kommen im Purpur vorgefahren und die Medusenhäupter nicken ihnen den Gruß; die Athleten erheben sich, die Isispriesterinnen verneigen sich … Olympia – läßt lachend vor Erwartung den Arm auf dem Sockel ihres Apollin ruhen – … Oder blickt sie finster wie die „verwundete Amazone“ –? … Er ahnte, daß sie diesmal seiner Flucht aus Villa Torresani nicht im mindesten zürnte, sondern fest und sicher ihn für morgen erwartete …
328 Die Qual der Entschlußlosigkeit trieb Benno dahin, wie von Furien gepeitscht …
Er kam der Tiber näher … Die Brücken, die in die innere Stadt führten, waren entlegen … Hie und da ging eine Treppe nieder, wo in einem angebundenen Kahn ein Schiffer sich streckte und auf einen Verdienst wartete … Er wollte sich übersetzen lassen …
Wie ein Träumender blickte er um sich … Hier in der Nähe sind die Spitäler … Es konnte nicht befremden, daß da und dort jene gespenstischen Gestalten der Todtenbruderschaft auftauchten … Die Begräbnisse finden des Nachts statt … Memento mori! … Benno erblickte einige dieser bald weißen, bald schwarzen Kutten in Kähnen auf dem gelblichen Strom dahingleiten …
Die Via Lungaretta schien ihm heute endlos … Er hatte übersehen, daß er die Abbiegung zur Bartolomäusbrücke schon hinter sich hatte und sich an Ponte Rotto befand, einer Gegend, wo es schwerlich Fiaker gab …
Sollte er den Besuch der Mutter für heute aufgeben? … Sollte er zu Bertinazzi gehen? …
Da schritt wieder vor ihm her ein schwarzer Todtenbruder … Er kam aus dem engen Winkelwerk der Häuser heraus und stieg eine Treppe nieder … Hier glänzte die Tiber auf … Im Abenddunkel boten die Lichter am Ufer und die in den Strom hineingebauten Mühlen einen besonders lebhaften Anblick … Eine Schar von Bettlern und Straßenjungen zeigte Benno hinter einem Gebäude den Kahn, den der Todtenbruder suchte …
329 Es zog auch ihn zum Tode … Er musterte die stolze Haltung seines Gefährten … Oft verbargen sich unter diesem Kleide die angesehensten Nobili, wenn sie gerade die Reihe des Dienstes in der Bruderschaft ihres Viertels traf …
Benno rief dem Schiffer, ihn noch mitzunehmen und stieg die Stufen nieder …
Der schwarze Leichenbruder, eine hohe, schlanke Gestalt, hatte eben zum Abfahren winken wollen … Jetzt erst, da er noch einen Passagier sich nachkommen sah, setzte er sich …
Auf dem trüben, ungleichen, strudelreichen Bett der Tiber glitt der leichte Kahn dahin, geführt von einem jungen halbnackten Burschen, der den vom Kopf bis zum Fuß verhüllten Todtenbruder scheu betrachtete und vor Freude über die glückliche Eroberung zweier Passagiere statt eines eine Weile sprachlos blieb … Rings funkelten immer heller und zahlreicher die Lichter von den Ufern auf … Auch bei den Benfratellen drüben war Licht … Mancher Leidende mochte dort eben seinen letzten Seufzer aushauchen, mancher Genesende die Hände zum Dankgebet erheben … Die hie und da auftauchenden Sterne spiegelten sich nur matt in den trüben Wogen, auf deren Grund so tausendfach die Reste der Jahrhunderte schlummern, so mancher Fund, dessen Entdeckung das Entzücken des Forschers sein würde … Auf der Quattro-Capi-Brücke war es so lebhaft wie auf Piazza Navona … Noch stachelten verspätete Fuhrleute ihre riesigen weißen Ochsen, deren stolzgewundene Hörner nur eines Kranzes bedurften, um den Opferthieren Griechenlands zu gleichen 330 … Noch zankten Treiber mit ihren schreienden, in Italien so heißblutigen Eseln … Die Glocken läuteten … Ein solcher Abend scheint im Süden erst das Erwachen zum Leben zu sein … Kähne glitten dahin mit aufgehäuften Gemüsen und Früchten schon für den morgenden Markt … Die Ruderer mußten Acht haben; von den Tausenden von Trümmersteinen, die in dem Bett des geschichtlichsten aller Ströme ruhen, ist die Fahrt auf ihm keine ebenmäßige …
Benno, tiefermüdet, redete den Todtenbruder, von dem er nur die Augen sehen konnte, mit den Worten an:
Dieser Dienst in der Nacht hat sicher seine Beschwerlichkeit …
Der Todtenbruder antwortete nicht …
Die Römer sind sonst höflich … Benno glaubte nicht verstanden worden zu sein, wiederholte seine Worte und setzte hinzu:
Aber Sie lösen sich häufig ab? …
Der Todtenbruder zog statt der Antwort jetzt sogar seine schwarze Kopfbedeckung so, daß selbst seine feurigen Augen verdeckt blieben …
Seltsam! dachte Benno … Der Mann ist schwerlich taub … Er trägt vielleicht ein Leid wie du …
Benno schwieg und hörte auf den Schiffer, der in italienischer Gewohnheit schon für jede andere Gelegenheit sich empfahl, wo die Herrschaften vielleicht wieder die Tiber befahren wollten … Er nannte sich Felice und beschrieb seinen Vater, der den Stand an Quattro-Capi drüben hätte und der beste Schiffer von der Welt 331 wäre … Benno kannte, was man alles bei solchen Gelegenheiten in Italien zu hören bekommt; jede neue Kundschaft wird sogleich fürs Leben festgehalten …
Er war nicht in der Stimmung, die Unterhaltung mit Felice fortzuführen … Er sah auf den Todtenbruder, der vielleicht das Gelübde des Schweigens abgelegt hatte … Vielleicht war es ein Vornehmer, den sein nächtliches Amt verdroß …
Wieder glitt eine Barke mit zwei Benfratellen, die von der Bartolomäusinsel kamen, vorüber … Auch diese hatten ihre Kapuzen über den Kopf gezogen … Sie wurden von einer dritten Barke gekreuzt, die gleichfalls ein Mitglied der Todtenbruderschaft führte – in weißer Verhüllung …
Der Gedanke lag nahe, an eine große Sterblichkeit zu denken, die über Rom gekommen … Im Herbst pflegte sich seit einigen Jahren regelmäßig die Cholera einzustellen …
Felice besaß den angeborenen Scharfsinn der Italiener … Eine angeschnittene Melone, die neben dem Mantel Felice’s lag, betrachtete Benno mit einem Blick, der bei so vielen Todeserinnerungen keinen Appetit danach ausdrückte und Felice las sogleich die Gedanken in der Seele seines zweiten Passagiers, denn er sagte:
Eh! … Sie kommt dies Jahr nicht wieder …
Benno wußte, was Felice meinte, mochte aber die Conversation nicht fortführen …
Felice aber im Gegentheil …
Signore, flüsterte er, als handelte sich’s um einen Gegenstand der größten Discretion, ich stehe drüben bei 332 Capo di Bocca – dicht an der Apotheke … Da, wo meine Mutter die Melonen verkauft … Saftige, Herr! … Sehen Sie, versuchen Sie! … Signore! Nein, sie kommt dies Jahr nicht wieder … Die Krankheit mein’ ich, Signore … Der Padrone der Apotheke hat es selbst an die Leute gesagt … Signor, bei Capo di Bocca … Rufen Sie nur immer: Felice! …
Woher weiß der Padrone der Apotheke, daß die Cholera diesmal nicht wiederkommt? fragte Benno, um dem Redestrom ein Ende zu machen …
Signore! Weil sie kein Gift mehr verkaufen dürfen … Er sagt’ es gestern erst dem Wirth der Navicella … Signore, das ist das Kaffeehaus drüben, wo mich jeder findet, der nur am Ufer nach Felice – …
Gift verkaufen? Wozu Gift –? unterbrach Benno, der sich die Pein dieser Kundschaftsempfehlungen abkürzen wollte …
Haha! lachte Felice und stieß sein Ruder auf ein hartes Gestein, das – vielleicht der Torso einer Statue des Praxiteles war … Die Brunnen vergiften sie nicht mehr … Das glauben die dummen Leute … Eh –! … Die Brunnen! … Haha, Signore! … Aber machen Sie eine Partie, Herr – Nach Ceri, Herr – Ceri ist die älteste Stadt der Welt – Ich nehme meinen Bruder mit … Morgen? … Meinen Bruder Beppo …
Warum sagt ihr: He? und lacht – Was glauben die klugen Leute über die Cholera –? …
Felice machte eine Miene, als durchschaute er alle Geheimnisse der Welt …
333 Was ist’s, wenn die Apotheker kein Gift mehr verkaufen dürfen? wiederholte Benno …
Gift? … Nicht verkaufen? … Die Apotheker sagen’s und die armen Leute glauben’s … Aber die Reichen – die bekommen Gift, soviel sie wollen … Und die Aerzte – die brauchen’s gar nicht aus der Pharmacia zu kaufen …
Die Armen? Die Reichen? Die Aerzte … Wie hängt das alles zusammen? …
Felice machte Mienen, die Benno allmählich verstand … Er ließ nur einfach die eine Hand vom Ruder los und fuhr damit hinter’s Ohr mit ausgespreizten Fingern … Eine Miene, die etwa sagte: Wir sind nicht so dumm, wie wir aussehen – die Aerzte vergiften zur Zeit der Cholera auf Befehl der Reichen die Armen – … Signore – nach Ceri! fuhr Felice fort, als Benno verstanden zu haben schien und seinerseits gleichfalls eine Geberde machte, die mit südländischer Offenheit soviel sagte, als: Felice, du bist ein Esel! … Ceri ist die älteste Stadt der Welt! … Vielleicht morgen – ich nehme noch meinen andern Bruder mit – Außer Beppo noch den dritten, den Giuseppe …
Die Cholera ist also eine Krankheit, die von obenher befohlen wird! unterbrach Benno … Alle Jahre soll einmal der Staatskörper von seinem Ungeziefer gereinigt werden! Nicht so, ihr Thoren? …
Die Miene und Betonung Felice’s drückte das starrste Festhalten seiner Meinung aus … Wie wenig ihm daran lag, seine Gesinnung über die Aerzte, Apotheker 334 und die Reichen in Rom geändert zu bekommen, sagte die Mahnung:
Herr, die Tiber kennen selbst die Römer noch nicht alle … Gewiß, Herr, selbst wenn Sie ein Römer sind, haben Sie noch nicht Castellana gesehen … Civita Castellana ist das Wunder der Welt … Wenn wir Morgens um vier Uhr einen Kahn nehmen, natürlich – mit Beppo, mit Giuseppe und Francesco – Francesco, Herr, ist mein vierter Bruder …
Das erzählt man allerdings aus der Cholerazeit, unterbrach Benno mit Entschiedenheit … Wer einen Feind hatte, tödtete ihn bei dieser Gelegenheit; schlechte Frauen vergifteten ihre Männer, schlechte Männer ihre Frauen, ruchlose Kinder ihre Aeltern … Im allgemeinen jammervollen Klagen und Sterben ging eine Leiche mit der andern, ohne daß man danach fragte, ob wol das Gift, an dem sie den Geist aufgeben mußten, aus der schlechten Luft oder – aus den Kellern kam, wo nur die Ratten daran sterben sollten … Sagt man nicht das? …
Diese Frage richtete Benno an den schwarzen Todtenbruder …
Fast getroffen von Benno’s Worten hatte sich dieser von seinem Sitz erhoben … Vom Nachthimmel sich abzeichnend stand die Gestalt in schöner, langer, schlanker Haltung – ein Bote des Minos, ein Abgesandter des Richters aus der Unterwelt …
Benno hatte noch einmal geglaubt den Versuch machen zu sollen, den stummen Passagier zu einer Antwort zu bewegen …
335 Der Todtenbruder sprach in der That auf seine Frage ein leises und hohles:
Man – sagt – das …
Benno horchte der Stimme und fuhr fort:
Eine entsetzliche Vorstellung, sich so feige Mörder denken zu müssen, die eine Zeit der allgemeinen Auflösung des Vertrauens, eine Zeit der Trauer benutzen, um mit gedecktem Rücken einen dann wahrscheinlich sichern Mord auszuführen …
Wieder schien der Todtenbruder von diesen Worten eigenthümlich berührt … Er schwieg, fiel nicht zustimmend ein, drückte keine Verachtung eines so feigen Mordes aus, sondern wandte sich nur ab, um durch seine kleinen Augenöffnungen auf die bald erreichte Brücke der „Vier-Häupter“ zu sehen …
Als sich nun auch Benno erhob, gerieth der Kahn in ein Schwanken …
Felice spreitete rasch die Beine aus und hielt das Gleichgewicht …
Um seine ohnehin wie auf der Flucht vor dem Schmerzlichsten befindlichen Gedanken nicht zu sehr aufzuregen, fragte Benno:
Kennst du das Haus des Rienzi, Felice –? …
Im selben Augenblick sprach aber auch der Todtenbruder noch eine Antwort auf Benno’s Aeußerung von vorhin …
Sie kam verspätet, kam aus der kleinen Oeffnung der Kapuze, die nur allein dem Mund und der Nase das Athmen erlaubte, dumpf und hohl …
336 O gewiß – es gibt – genug der Falschheit – in der Welt …
Diese Worte klangen seltsam … Sie klangen wie von einem Ergrimmten … Wenigstens wurden sie durch die Zähne gesprochen …
Benno, der selbst eben gesprochen hatte, verstand nicht sogleich und fragte:
Es gibt –? sagten Sie? – …
Genug der Falschheit in der Welt! wiederholte der Todtenbruder scharf und gereizt …
Benno horchte auf … Diesen Ton der Stimme glaubte er zu kennen … Noch kürzlich, vielleicht erst gestern hatte er diese Stimme gehört … Wer ist das –? sagte er sich staunend und haftete auf einer Erinnerung an einen der bei Olympien gesehenen Gäste – Zunächst an den Fürsten Corsini – der in der That seinen Palast jenseits der Tiber hatte …
Der Todtenbruder kehrte ihm jetzt den Rücken …
Eben fuhren sie unter der Brücke Quattro-Capi hinweg …
Wo liegt das Haus des Rienzi? wiederholte Benno noch einmal, sich zu Felice wendend … Er mußte dabei dem Klang der Stimme nachdenken …
Signore, das Haus des Rienzi kenn’ ich nicht, erwiderte Felice eiligst, aber ich versichere Sie, nach Civita Castellana ist es die schönste Reise von der Welt … Auch Cicero hat da gewohnt … Es geht gegen den Strom, aber wir nehmen noch meinen fünften Bruder –
Euere Brüder sind zahllos! unterbrach Benno ungeduldig … Dann nach dem Todtenbruder sich wendend, sagte 337 er: Wo hat nicht alles in Italien Cicero gewohnt! … Cicero und Virgil sind dem Italiener geläufig wie die Heiligen … Aber Cola Rienzi, euer Volkstribun, ist euch unbekannt geblieben, Felice! …
Jetzt glaubte Benno für bestimmt annehmen zu dürfen, daß der schwarze Leichenbruder unter seiner Kapuze lachte …
Es war ein Lachen des Hohns …
Prinz Corsini konnte das nicht sein … Corsini gehörte zu den Freimüthigen, aber er war in seinen Manieren höflich …
Unter dem ersten Hermenkopf der „Vierhäupterbrücke“, eines alten Römerwerks, stieg der Todtenbruder aus … Er schien voll Ungeduld die Steintreppe erwartet zu haben … Beim Abschied bot er Benno auch nicht den leisesten Gruß … Seinen kupfernen Obolus warf er dem Schiffer in die Mitte des Kahns wie ein Almosen …
Felice’s Grazie Eccellenza! sagte wenig über seinen Stand …
Benno zahlte mehr, als üblich … Da durfte er sich nicht wundern, daß Felice, den er fragte, ob er den Todtenbruder kenne, behauptete, diesen nicht blos öfters, sondern alle Tage zu fahren … Er nannte ihn einen Herzog, einen Principe, „wenn er auch nur zahlte, was in der Regel“ … Daß er Cardinäle fahre, offen und geheim, Principessen, mit und ohne Schleier, setzte er ermuthigend hinzu … In jener Unermüdlichkeit, mit der der Italiener seinen Einen Gedanken des Gewinns, darin ganz dem Juden gleich, festhält, kam er wieder auf 338 die Reize einer Stromfahrt von zwei Tagen bis zu dem Ort zurück, zu deren Merkwürdigkeiten nun auch noch der Eingang in die Hölle gehören sollte …
Benno war endlich von ihm befreit und ging, umrauscht vom Lärm der Straßen …
Das Benehmen des Todtenbruders, sein stolzes, festes Dahinschreiten am Quai, das Benno noch beobachten konnte, sein höhnisches Lachen, die scharfe Betonung über die Falschheit der Welt veranlaßte Benno, dem Unfreundlichen noch einige Schritte weiter als nöthig zu folgen … Er hatte Worte gehört, die sein Innerstes erschütterten … Wandelte er denn auch auf Wegen, die offene und gerade waren? …
In wenig Augenblicken war die gespenstische Erscheinung verschwunden … Benno sah ein offenes Thor, durch das der Todtenbruder mit seinem flatternden schwarzen Gewande hindurchschritt …
Benno befand sich hier bei den Hinterpforten größerer Häuser, die nach vorn dem Theater des Marcellus zu liegen … Hier gibt es kleine Gärten, kleine Pavillons … Die Dunkelheit verbarg den unschönen Anblick italienischer Hinterfronten mit ihren schmutzigen Galerieen, ihren ausgehängten alten Teppichen, ihrer aufgehängten zerrissenen Wäsche, ihren schmutzigen Geräthschaften und jenem Colorit der Wände, dessen vorherrschender Ton ein verfängliches Gelb ist … Alles das vergißt man freilich in Italien um einer einzigen Palme willen, die aus solchem Gewirr in einem kleinen Gärtchen versteckt emporwächst …
Auch hinter jener Pforte, wo der Todtenbruder ver-339schwunden war, lag, wie Benno jetzt sah, ein solches Gärtchen …
Wer wohnt hier? fragte er einen am Wasser mit dem Ausladen eines verspätet angekommenen Kahns Beschäftigten …
In diesem Palazzo –? erwiderte der Angeredete und bot sofort statt der Antwort, auf die er sich die Miene gab, sich gründlich besinnen zu wollen, vorerst seine Waaren an, die der Herr gerade hier am zweckmäßigsten angetroffen hätte … Walzbreter zur Bereitung von Nudeln, hölzerne Löffel, einen Steinkrug zur Aufbewahrung seines Oels … Wer in Italien handelt, glaubt, daß man sich zu jeder Zeit aus dem Gebiete gerade seiner Branche assortiren könne; in die Eilwägen hinein reicht man zinnerne und blecherne Küchengegenstände, „die man jetzt gerade wohlfeil haben könnte“ … Und auch dieser Mann wahrte erst seinen Vortheil und zeigte auf hundert Schritte weiter seinen Laden …
Aber den Besitzer des „Palazzo“ konnte er nicht nennen … Dann war es eine großmüthige Regung von ihm, daß er, als Benno keinen Steinkrug für sein Oel mitnahm, doch einen andern Mann anrief und diesen fragte:
Wer wohnt in dem Palazzo? …
Nach vorn hin, hatte Benno inzwischen gesehen, stand allerdings ein stattliches Gebäude …
Ein Advocat … Ein reicher Mann – hieß es …
Ein Advocat? … Vielleicht Bertinazzi? dachte Benno und sah sich nach einem mittelalterlichen alten Hause, dem des Rienzi, um …
340 Wie auch bei uns die Kinder in die Läden treten und fragen können: Wollen Sie mir nicht sagen, wie viel die Uhr ist? und, wenn sie’s gehört haben, als Zugabe ihrer Frage ein paar Rosinen verlangen, so tauschten sich auch hier mit den paar Worten die Interessen der sich versammelnden Italiener aus … Benno bekam so viel Anerbietungen von Waaren, so viel Verlangen nach Bajocci, so viel Anerbietungen zum Führen, zum Tragen, zum Helfen, daß er zu dem seiner Natur wenig entsprechenden Mittel greifen mußte, aus der Geberdensprache der Italiener eine Miene zu wählen, die die einzige ist, der die unerträgliche Zudringlichkeit weicht … Macht jemand diese Miene, so ist der Italiener gewiß, einen Landsmann vor sich zu haben, von dem er nichts zu erwarten hat … Benno streckte nicht gerade die Zunge aus, was in solchen Fällen, um vor dem italienischen Bettelgesindel Ruhe zu bekommen, das allersicherste Mittel ist; er warf nur einfach den Kopf in den Nacken mit der Miene eines gleichsam vor Hochmuth Närrischgewordenen … Da ließ man ihn gehen …
In der That hatte er aber doch erfahren, daß dieser Hausbesitzer, dieser reiche Mann und Advocat – Signore Clemente Bertinazzi war …
Bertinazzi! …
Wieder blickte er auf die Pforte und siehe da, wieder trat jemand, diesmal ein Mönch mit heraufgezogener Kapuze ein …
Das sind Verschworene! sagte sich Benno …
Der Gedanke überlief ihn wie siedende Glut …
341 Er sann und sann nun um so mehr: Wer war der schwarze Todtenbruder, der dich offenbar kannte, der dir seine Verachtung ausdrückte – trotz deiner Erwähnung Rienzi’s …
Benno wandte sich in größter Aufregung wieder der Brücke zu … Hier hatte er einen Fiaker zu finden gehofft …
Schon suchte er danach nicht mehr … Es trieb ihn in die Straße, nach der hinaus das Wohnhaus des Advocaten seine Vorderfront hatte …
Auch hier bemerkte er, rasch nacheinander kommend, zwei weiße Todtenbrüder, die in dem offenen Thorweg des Hauses verschwanden …
Bertinazzi hält eben seine Loge …
Diese Vorstellung stand nun fest bei ihm …
Sollte er folgen? …
Er hatte das Losungswort … Er trug in seinem Portefeuille ein Zeichen von Silberblech mit einem aus den Flammen sich erhebenden Phönix … Beides hatten ihm die Brüder Bandiera für den Fall gegeben, daß er in Rom die Bekanntschaft des Advocaten Bertinazzi machen wollte, dem sie aufs wärmste über ihn geschrieben zu haben behaupteten …
Mit lautklopfendem Herzen kehrte er zur Flußseite zurück …
Hier war es jetzt stiller geworden … Ruhig wogte der Strom …
Den Besuch der Mutter gab er auf … Schon schlug es zehn …
Im Hause des Advocaten, dem er von der Garten-342seite näher zu kommen suchte, war alles still und dunkel … Es mußte eine gewaltige Tiefe haben; die Entfernung vom Ende des Gärtchens bis zur Vorderseite war eine ansehnliche …
Wieder näherte sich ein Schatten der Gartenpforte – … Wieder huschte dieser an Benno vorüber und ging ins Haus …
Benno stand – wie am Scheidewege seines Lebens … Der Gedanke an morgen war ihm an sich schon der Tod – was verschlug es, wenn er den letzten Anlauf nahm und sich in den Abgrund stürzte? …
Wo sollte er die Stimme, den Wuchs, den Gang des schwarzen Todtenbruders hinbringen …
Eine fieberhafte Ideenverbindung zeigte ihm die drei Reiter, die ihm im Gebirge so seltsam den Weg hatten abschneiden wollen … Erschien sein Umgang mit den Tyrannen Italiens denen verdächtig, an die er empfohlen war? …
Voll Unruhe begab sich Benno abermals nach vorn …
Jetzt sah er einen Kapuziner zu Bertinazzi eintreten …
Und nur ihm schien alles das aufzufallen; die Straße hatte ganz ihr übliches Leben …
Schon griff Benno nach seinem Portefeuille und überzeugte sich, daß er das Symbol des Phönix bei sich hatte …
Einen in Hemdärmeln vor der Thür seiner Taverne stehenden Wirth fragte er:
Ist das – da drüben – ein Kloster? …
Nein, Signore! war die Antwort … Das Haus des Advocaten Bertinazzi …
343 Ich sehe Mönche eintreten …
Bei einem Arzt und Advocaten, Herr, sagte der Wirth lachend, hat alle Welt zu thun … Und nicht jeder zeigt’s dann gern … Mancher Principe wartet auf den Abend, wo er die Kutte des Todtenbruders umlegen darf – Und – nun – die Pfaffen gar …
Der Wirth machte eine Miene, als wäre Rom einmal die Stadt des Carnevals und der Carneval stünde nicht blos im Februar im Kalender – sondern zu jeder Zeit und dann hätten am meisten die Priester ihre Heimlichkeit …
Die Geberdensprache des Südens ist die Sprache der größten Deutlichkeit …
Benno mußte, um dem vertrauensvollen Manne zu danken, seinen Wein versuchen …
Es war nicht der Wirth der nahen Goethe-Campanella … Der Orvieto, den Benno begehrte, war gut … Stürmisch rollte das Blut in Benno’s Adern auch ohne den Wein … Er war in einer Stimmung, die Welt herauszufordern …
In dem dunkeln Gewölbe der Kneipe saßen beim qualmenden Licht der Oellampe Männer aus dem Volk … Die Unterhaltung betraf noch immer den Grizzifalcone … Einige Häuser weiter hatte der Räuber gewohnt, als er die Courage gehabt, nach Rom zu kommen … Man erzählte seine Heldenthaten …
Man rühmte auch den Muth der beiden deutschen Mönche …
Benno horchte und horchte …
Der Wirth pries sich glücklich, den Pasqualetto nicht 344 beherbergt zu haben … Die Polizei hätte jeden Winkel der Herberge an der Tiber nach dem Tode des Räubers durchsucht … Alle Welt wußte, daß niemand durch diesen Tod glücklicher war, als die Zollbediente, auf deren Strafe der alte Rucca es abgesehen hatte …
Die Pfiffigen und Klugen haben hier immer Recht … Um den Grizzifalcone blieb es „Schade, daß er nicht – Gonfalionere in Ascoli geworden“ …
Benno hörte lachen – die Gläser aufstampfen – hörte Gesinnungen, die denen der Lazzaronis Neapels entsprachen …
In seinem Innern klangen die Worte des Attilio Bandiera: „Man muß die Völker zur Freiheit zwingen!“ …
Damals hatte er noch erwidert: „Mit der Guillotine?“ …
Neue Welten waren in ihm aufgegangen …
In jenem Hause konnte er das Schicksal der Freunde erfahren, um die er sich in so große Gefahren des Lebens und der Seele gewagt hatte … Der Tag, vielleicht die Stunde konnte ihm dort genannt werden, wann die Brüder in Porto d’Ascoli landen mußten, wann Ravenna, Bologna sich erhoben …
Er sagte sich: Es ist der Weg des Todes! Sollst du ihn beschreiten? …
Und gehst du ihn nicht schon? antwortete eine Stimme seines Innern … Bleib’ auf deiner Straße – des Verhängnisses! …
Wild mit der Rechten durch seine Locken fahrend er-345hob er sich … Stürmenden Muthes verließ er die Schenke … Sie rufen mich! sprach er vor sich hin und sah – jene Geister des Beistands, von denen ihm Attilio gesprochen …
Auf der Höhe seines Lebens war er angekommen … Dahin also hatten alle Ziele seines Schicksals gedeutet … Er sah seine ersten Anfänge wieder – fühlte den Kuß jener schönen Frau, die sich trauernd über ihn beugte, wenn sie aus dem Wagen gestiegen – Die in Spanien erworbenen goldenen Epaulettes seines Adoptivvaters Max von Asselyn blitzten auf … Zigeunerknabe, du bist in deiner Heimat! klang es um ihn her wie aus tausend silbernen Glöckchen … Dann wieder waren es Geigentöne – wie sie damals der bucklige Stammer zwischen seinen Erzählungen von der Frau, die nur die deutschen Worte: „Tar Teifel!“ kannte, auf dem Finkenhof strich …
Du gehst! sagte er sich und schritt dem Hause näher …
Und dennoch würde Benno vorübergegangen sein, wenn nicht die menschlichen Entschließungen unter dämonischen Gesetzen stünden …
Der eine Flügel des offen stehenden Hausthors war soeben von einer nicht sichtbaren Hand von innen geschlossen worden … Eben bewegte sich der andere Flügel, um gleichfalls zuzufallen … Der Anblick dieser kleinen, noch eine Secunde offen gelassenen Spalte bestimmte den wie vom Schwindel Ergriffenen und halb Besinnungslosen rasch vorzutreten und die beiden Worte zu sprechen:
346 Con permesa! …
Eine Stimme antwortete:
Que commande? …
Eine kurze Pause folgte …
Die Schlange wechselt ihr altes Kleid! …
Das Erkennungswort des „Jungen Italien“ war ausgesprochen …
Es war kein freier Wille gewesen, der diese verhängnißvollen Worte von Benno’s Lippen brachte … Es war ein fremder Geist, der aus ihm sprach, ja – der ihn diese Losung ganz deutlich und fest aussprechen ließ …
Er trat in den wiedergeöffneten Flügel und befand sich in einem dunkeln Gange …
Die Thorpforte fiel hinter ihm zu …
347 10.#
Kommen Sie aus der Schweiz? fragte aus dem Dunkel heraus eine heisere rauhe Stimme …
Das menschliche Wesen, dem die Stimme angehörte, entwickelte sich seinem Auge erst allmählich als eine Frau …
Ich will Sie dem Herrn anmelden … lautete die seinem Schweigen folgende Rede …
Ein Schlorren, ein asthmatisches Keuchen … Ein langes Verhallen der Schritte … Diese Räume schienen endlos zu sein …
Es ist geschehen! sprach er zu sich selbst und sagte fast hörbar:
Also nur die aus der Schweiz Kommenden erkennt man an diesem Losungswort, das ich von den Bandiera weiß! …
Benno zog sein Portefeuille, um das Zeichen des Phönix zur Hand zu haben …
Die Flüchtlinge, die sich in Robillante an ihn wandten, um in allerlei Verkleidungen weiter zu kommen, hatten auch ihm ein solches Zeichen entgegengehalten …
Wenn die ohne Zweifel in diesem Augenblick hier 348 versammelte Verschwörung entdeckt – wenn er selbst mit den Mitgliedern derselben aufgehoben wurde! …
Darin sah die Zerrüttung seines Innern, die Hoffnungslosigkeit seiner Seele kein Unglück mehr …
Beim Suchen nach dem Portefeuille fand Benno ein Mittel, sich Licht zu machen … Nach italienischer Sitte führte er ein Streichfeuerzeug bei sich … In den finstern großen Häusern Italiens hilft man sich auf diese Art gegen die überall mangelnde Beleuchtung … Kleine brennende Wachsenden reichen aus für jeden zu erkletternden vierten Stock …
Benno sah nun eine Halle, die in einen gedeckten und überbauten Hof führte … Da hingen alte Bilder an den feuchten Wänden … Sollte hier die Tiber zuweilen so weit austreten, um diese Häuser überschwemmen zu können? …
Die Alte, die mit einer Lampe zurückkam, unterschied er nun … Sie war vom Alter gekrümmt und schien aus dem Reich der Nacht zu kommen …
Mit der Lampe den Fremdling beleuchtend, sagte sie:
Der Herr soll wiederkommen –! …
War dein Losungswort eine Beschwörung, die nicht kräftig genug wirkte? sagte sich Benno …
Jetzt überreichte er sein zweites Creditiv, das Zeichen von Silberblech und eine Karte mit seinem Namen …
Die Alte nahm beides, betrachtete es flüchtig und entfernte sich wieder …
Inzwischen ging Benno in den Hof, der überbaut war … Wieder sah er einen langen Gang … Sessel 349 standen in diesem an den Wänden, ohne Zweifel für die Clienten vom Lande, die an jedem Markttag die Schreibstuben der Advocaten belagern … Er verglich Nück’s Lage mit der Bertinazzi’s … Jener der leidenschaftliche Freund der Jesuiten und allen Umtrieben derselben ganz wie ein geheimer Verschwörer zugethan; dieser, wie er wußte, ein Angehöriger der Familie jenes Ganganelli, der als Papst die Jesuiten aufgehoben hatte, und im Geist seines Ahnen fortwirkend … Das System der Menschen- und Lebensverachtung mußte bei beiden dasselbe sein …
Die Alte kam zurück und winkte nun schweigend … Sie zeigte nach hinten, kehrte noch einmal in den Hof und zur Pforte um, die sie mit einem eisernen Querbalken verschloß, und bedeutete Benno, der bei einer Stiege angekommen war, diese nicht zu betreten, sondern auf eine Thür zuzugehen, die sie öffnete … Es war eine jener südlichen Matronen, die die Freude eines Balthasar Denner gewesen wäre, des Runzelmalers …
Durch einige mit Büchern und Landkarten gefüllte Zimmer hindurch kam Benno jetzt erst an eine andere Treppe, die er ersteigen mußte, um endlich bei dem unter den Römern hochberühmten Doctor der Rechte Clemente Bertinazzi einzutreten …
Dieser trat ihm lächelnd entgegen …
Benno fand einen langen, hagern Mann … Der Ausdruck seiner Gesichtszüge war der jener fanatischen und träumerischen Beharrlichkeit, die sich zunächst als mathematische, oft pedantische Strenge zu geben pflegt … Ebenso 350 verband sich die Pedanterie mit Schwärmerei bei Luigi Biancchi, dem armen Gefangenen von Brünn; ebenso leidenschaftlich war in seiner träumerischen Welt der trockene und magere Püttmeyer … Diese Menschen wußte Benno unterzubringen … Sie hatten nicht die Schönheit der Willensäußerung, die Grazie der Lebensformen Bonaventura’s; aber der feste, beharrliche Sinn war derselbe …
Clemente Bertinazzi hätte in seinem langen Hauskleide, das ihm bequem um die magern Glieder hing, ebenso einen alten Geizhals darstellen können, der über seinen Schätzen wacht und sich nächtlich mit einer alten Dienerin in diesem weitläufigen Hause ängstlich abschließt … Doch die allmählich erglühende Kraft seiner Augen verrieth edlere Eigenschaften … Bald sah Benno, daß dem Mann ein eigenthümlicher Flor über seinen Augen und den untern Anfängen seiner Stirn lag, jener geistige unbestimmte Dämmer, der sich vorzugsweise bei mystischen Naturen findet …
Endlich, endlich, Signore d’Asselyno! sagte der Advocat und streckte die Rechte aus zum traulichen Gruße und zugleich den Eindruck prüfend, den ihm der junge Mann in Gestalt und Haltung machen würde …
Benno d’Asselyn! … erwiderte dieser bestätigend und legte seine zitternde Hand in die des Advocaten …
Warum kommen Sie erst jetzt? Ich weiß von Ihnen schon seit lange über Malta her, wo sich die Brüder Bandiera für Sie verbürgt haben … Man hat Sie dort verdächtigen wollen … Allerdings kann man Ihre Beziehungen zu unsern Tyrannen zweideutig finden … 351 Ich hörte, Sie lernten unsere Machthaber in Wien kennen und da dachte ich: Um so besser, wenn Sie diese Menschen beobachten … Ich vertraue jeder Bürgschaft, die die Bandiera leisten …
Kennen Sie meine Freunde persönlich? sprach Benno noch in Befangenheit und ausweichend …
Nein … erwiderte Bertinazzi und zog, um das Bild eines alten Garçon zu vervollständigen, eine Tabacksdose … Aber ich habe Ursache von Ihnen das Beste zu denken … Ja auch sonst hab’ ich das Princip gehabt, fuhr er schnupfend und von unten her Benno musternd fort, nicht zu weise sein zu wollen … Die Verschwörer, die überall Spione wittern, haben nie mein Vertrauen gehabt … Haben Sie noch ein drittes Erkennungszeichen außer dem Gruß und dem Phönix? …
Benno verneinte …
So gehören Sie den Vertrauten an, nicht den Wissenden …
Die Zahl dieser Vertrauten, wußte Benno, war in Italien so groß, wie bei uns die der Freimaurer …
Sind die Wissenden die oberste Spitze? fragte er …
Die oberste noch nicht! entgegnete Bertinazzi … Sie haben durch den Phönix den zweiten Grad – einen vorbereitenden – und vielleicht gar ohne Schwur … Die Wissenden sind erst der dritte … Der vierte sind die Leitenden … Erst der fünfte ist der höchste … Das ist der Grad der Namenlosen … Zu diesem gehör’ ich nicht einmal selbst und weiß kaum, ob in Rom ein „Namenloser“ existirt …
Diese Organisation kann sich halten und wird nicht 352 verrathen? … fragte Benno – unwillkürlich der Worte Ceccone’s – über seinen Mörder gedenkend …
Sie kann an einzelnen Theilen verrathen werden und wird es auch, antwortete Bertinazzi … Aber die Theile sind nicht das Ganze … Einer kennt den andern auch noch nicht auf dem Standpunkt der Wissenden … Derjenige, der wie ich den Grad der „Leitenden“ hat, kennt immer nur zwölf Wissende … Diese, die eine Loge bilden, sind sich untereinander selbst völlig unbekannt … Die Gruppe, zu der Sie gehören, ist groß und an Vertrauten mögen wir wol in Rom allein dreitausend haben … Der erste Grad vollends, derjenige, der die Losung kennt, ist dem Verrath am meisten ausgesetzt … Sie werden genug Priester und Verdächtige in diesen Reihen finden … Ich würde Ihnen auch noch auf den Phönix nicht Gehör gegeben haben in so später Stunde, wenn ich nicht glaubte, daß Sie irgendeine wichtige Sache zu mir führte … Weiß man in den hohen Kreisen, daß in diesen Tagen – …
Der Advocat hielt forschend inne …
Ich beunruhige mich über das Schicksal der Gebrüder Bandiera, sagte Benno … Man erwartet ihren Einfall … Wann findet er statt? …
Bertinazzi’s Miene drückte eine Verlegenheit über diese Frage aus … Er sagte:
Für solche Dinge haben Sie den Grad nicht …
Dann aber, und gleichsam, um seine Ablehnung zu mildern, kam er auf Benno’s Lebensverhältnisse …
Seltsam – Sie werden, hör ich, von der kleinen Fürstin Rucca gefesselt … Der Unseligen! … Nun, nun – 353 Sie sind jung und pflücken die Kirschen, wo sie reif sind! … Von Geburt sind Sie ein Deutscher …
Meine Mutter ist eine Italienerin …
Gut – gut –! Und Sie bringen nichts, was mit Ceccone – Fefelotti – Rucca oder irgendeinem unserer Tyrannen zusammenhängt? …
Benno schwieg …
Einige Zimmer weiter schien laut gesprochen zu werden …
Ohne Zweifel hatte Benno die Loge unterbrochen und störte Bertinazzi …
Dieser nahm auch eine Lampe vom Tisch und sagte aufhorchend und mit ausweichender Miene:
Ich habe mich gefreut – Sie besuchen mich wieder? …
Auf Benno’s Lippen brannten die Fragen: Befindet sich hinter jenen Wänden nicht jetzt die Loge –? … Wer war jener schwarze Todtenbruder? … Was hab’ ich zu thun, um die Stunde des beabsichtigten Aufstands zu erfahren? …
Natürlich, daß seine Stimmung diese Fragen unterdrückte …
Aber sein Zögern gab dem Advocaten Veranlassung zu den leicht hingeworfenen Worten:
Treten Sie doch in den dritten Grad! … Sie schwören nur, die Unabhängigkeit und Freiheit Italiens mit jedem Mittel zu fördern, das von den Führern Ihnen vorgeschrieben wird …
Mit jedem Mittel –? … Auch mit dem Mord? – sagte Benno nach einiger Ueberlegung …
Das ist der vierte Grad …
Zu dem Sie gehören? … wallte Benno auf …
354 Der vierte Grad anerkennt nur zuweilen die Nothwendigkeit des Todes für Verräther und Tyrannen … Erst der fünfte Grad vollzieht ihn … Ich sagte schon, ein „Namenloser“ befindet sich vielleicht in diesem Augenblick weder in Rom noch in Italien …
Ceccone weiß, daß ihn ein Verschworener tödten soll … sagte Benno …
Bertinazzi horchte auf, schüttelte dann aber den Kopf und sagte:
Das spricht aus ihm die Furcht … Sein Tod ist von niemand beschlossen worden … Er hat Feinde, die der sonst Allwissende vielleicht an seinem eigenen Busen nährt … In Italien sterben die Menschen zuweilen, etwa wie bei der Cholera, aus gelegentlichem Versehen … Ja, er soll sich in Acht nehmen … Aber nun bitt’ ich – mich in der That zu entschuldigen … Ich habe mich gefreut, daß Sie an uns dachten –! Wirken Sie in Ihrem Kreise durch die Gesinnung, soviel es geht und – verweilen Sie nicht zu lange in ihm! … Man könnte Sie falsch beurtheilen wie schon einmal in Malta …
Benno’s Blut ließ sich nicht mehr beruhigen …
Wann landen die Gebrüder Bandiera –? sprach er mit drängender Hast …
Bertinazzi zuckte die Achseln und erwiderte:
Darüber – muß ich schweigen …
Die Landung wird in Porto d’Ascoli stattfinden …
Haha! erwiderte Bertinazzi … Das erwartet Ceccone –? …
Der Advocat stand von plötzlichem Zorne geröthet … Ein krampfhaftes Zucken glitt über seine Züge …
355 Doch Sie verstehen meinen Unwillen nicht – beruhigte er Benno und sich selbst … Die Loge erwartet mich … Bleiben Sie der Gesinnung treu, deren mich zwei edle Menschen über Sie versichert haben … Und in allem Ernst – theilen Sie mir aufrichtig die Gefahren mit, die uns von den Tyrannen drohen, wenn Sie dergleichen durchschauen … Für heute nun – gute Nacht! …
Benno hielt den Arm des Advocaten, der ihm freundlich hinausleuchten wollte … Ein fernes Geräusch, das wol aus der Loge kam, fesselte seine Aufmerksamkeit …
Warum konnte Bertinazzi so aufwallen über die Erwähnung jenes Hafens an der adriatischen Küste? …
Alle Verwickelungen seines vergangenen, seines künftigen Lebens sah Benno jetzt in einem einzigen Augenblick mit magischer Helle …
Geboren durch ein Verbrechen, geboren ohne einen Vater, auf den er sich mit Ehren berufen konnte, geboren ohne eine Mutter, die er sorglos sein nennen durfte, gehegt, gehütet von Frauen, von Priestern, hatte er eine Einwurzelung im deutschen Leben um so weniger finden können, als auch daheim die Knechtschaft waltete … Alles, was damals in Deutschland rang und zum Lichte strebte, war in diesem Augenblick sein Bundsgenosse … Deutschland wollte frei sein von demselben Geist, dessen Consequenzen Italien gefesselt hielten … Von Italiens Tyrannen gingen die Bannflüche über Freiheit und Aufklärung in die Welt aus … Drei Gestalten traten ihm schon immer aus der Geschichte 356 vors Auge – sie lebten und wirkten gleichzeitig: Friedrich Barbarossa, der Kaiser – Hadrian IV., der Papst – Arnold von Brescia, der Tribun von Rom … Wer sollte nicht die Größe des Hohenstaufenkaisers bewundern – und doch schloß Barbarossa Frieden mit Hadrian, seinem wahren Feinde, und überlieferte ihm zur Besiegelung eines Actes der Falschheit, den der nächste Augenblick zerriß, einen der edelsten Menschen, Schüler Plato’s, Petrarca’s, einen Weisen, der nach langen Irrfahrten in Frankreich und der Schweiz elf Jahre lang Rom ohne die Päpste regierte, der die Kirche verbesserte, der Vorläufer der Waldenser und der Reformatoren wurde … Barbarossa sah mit seinen bluttriefenden Söldnerscharen den Scheiterhaufen auflodern, mit dem sich unter dem schützenden Banner des deutschen Adlers Hadrian an seinem geistigen Todfeind rächte … Unsere Zeit kann nicht mehr mit Friedrich Barbarossa, sie muß mit Arnold von Brescia gehen … Auch Benno’s Vater war kein Ghibelline – Doch war er ein Welf im schlechten Sinne … Wie der Kronsyndikus wollte sich Benno nicht zu Roß schwingen und die eigene Fahne und die Freiheit seiner Hufe wahren im Geist Heinrich’s des Löwen, vor dem Barbarossa einst kniete und vergebens um Hülfe die Hände rang … Auch der welfische Geist Klingsohr’s war nicht der seine … Er wollte die Vernichtung des Ichs zum Besten des Allgemeinen … Die Form der Freiheitsthat, das lehrten die Bandiera, ist in unsern Tagen die Verachtung der materiellen Welt … Diese, die nur anerkennt, was in Glanz und Würde 357 steht, diese, die den Widerschein der regierenden und mit momentaner Macht ausgestatteten Thatsachen in hohler Gesinnung liebedienerisch auch auf sich zu lenken sucht, diese, die für äußerstes Unglück hält, gehässig gekennzeichnet zu werden durch den Widerspruch mit dem Gegebenen, hatte Benno schon längst verachten gelernt … In diesem einen magischen Augenblick hörte er eine himmlische Musik der Ermuthigung … Boten des Friedens schwebten über die Erde und retteten ihn von allen Folgen seiner falschen Stellung – retteten ihn vor den Schrecken – vielleicht des nächsten Tags … Bonaventura war unter diesen Seligen – Bonaventura, umringt von den Erfüllungen seiner Träume, von den Tröstungen seiner Klagen … Was in so vielen stillen Nächten von Robillante nur von des Freundes beredten Lippen gekommen, schien in himmlischen Gestalten verkörpert zu sein … Bertinazzi’s erwartungsvoller Blick sagte: Ich rette dich vor dir – vor Olympien – vor dem geistigen Tode – … Und fändest du auch den wirklichen, wäre der nicht besser als solch ein Leben –? …
Benno entschloß sich, nur noch Italiener zu sein und der Revolution den Schwur des dritten Grades zu leisten …
Wenn Bertinazzi über diese Erklärung lachte, so war es ein Lachen ohne Falsch … Es war das Lachen über einen erwarteten und zutreffenden Erfolg …
Bertinazzi hob von der Wand über seinem Schreibtisch einen Spiegel und stellte ihn auf die Erde … Dann drückte er auf die scheinbar leere Wand … Sie 358 öffnete sich … Benno sah einen Schrank mit verschiedenen Schubfächern …
Das sind die Acten meiner Loge! sagte Bertinazzi und ließ Benno in Papiere einblicken, die mit allerhand mystischen Zeichen beschrieben waren … Ohne Zweifel eine Chiffreschrift, die ohne den dazu gehörigen Schlüssel nicht gelesen werden konnte … Den Schlüssel behauptete Bertinazzi in seinem Kopf zu tragen – nur mit diesem allein würde man seine Geheimnisse entziffern …
Die Handbewegung auf seinen Kopf als Preis der Eroberung seiner Geheimnisse war der Ausdruck höchster Entschlossenheit …
Benno sah in den Fächern einen leeren Raum, der seinem Schicksal bestimmt sein konnte … Bertinazzi schrieb verschiedene Adressen auf, die ihm Benno gab und wieder andere, die dieser für Mittheilungen an ihn empfing … Dann verbrannte er vor Benno’s Augen alles, was Benno selbst geschrieben hatte, auch seine Visitenkarte …
Hierauf legte er ihm das Formular eines Eides vor und gab ihm als Erkennungszeichen des dritten Grades einen gußeisernen Ring, den er auf den kleinen Finger der linken Hand Benno’s anpaßte mit den Worten:
Ein Stück der gebrochenen Sklavenkette der Welt … Ich werde Sie den Versammelten unter dem Namen Spartakus vorstellen … Auch Spartakus, der zuerst in Italien das Wort: Freiheit! ausgesprochen hat, war ein Fremder … Den Eid müssen Sie in der Loge selbst leisten … Lesen Sie ihn zuvor! …
Benno nahm ein Papier, das ein Gelöbniß enthielt, 359 dem „Jungen Italien“ als ein „Wissender“ zu dienen – mit Leib und Seele, mit Wort und That, mit der Spitze des Schwerts im offenen Kampf, mit dem Beistand bürgerlicher Hülfsmittel bis zum Betrag des vierten Theils seines eigenen Vermögens – endlich mit steter Werbung zur Mehrung des Bundes … Alles das auf die Unabhängigkeit Italiens von fremder Herrschaft, Einheit im allgemeinen, Freiheit im besondern … Die republikanische Form blieb unerwähnt … Der Eid wurde auf christliche Symbole geleistet …
Es gibt eine Partei, sagte Bertinazzi, die den Schwur allein auf den Todtenkopf vorziehen möchte …
In Benno’s Ohr klang das Wort des alten Chorherrn wieder, der ihm in Wien gesagt: Das Kreuz des Erlösers wird die Reform mittragen müssen! … Auch Bonaventura dachte so … Ihm waren diese Formeln gleichgültig …
Nun erschloß Bertinazzi einen andern Schrank und nahm ein Hemd der Todtenbruderschaft heraus, ein weißes, dazu eine gleichfarbige Kopfverhüllung – nur mit zwei Oeffnungen für die Augen und einer für den Mund …
Nehmen Sie diese Kleidung! sagte er … Legen Sie sie inzwischen an … Wenn Sie eine Klingel hören, treten Sie in diese Thür, durch die ich Sie jetzt verlasse, um in die Loge zu gehen … Sie haben Zeit genug, sich umzukleiden … Niemand wird Sie erkennen … Ich führe Sie unter dem Namen „Spartakus“ ein …
Bertinazzi ging und ließ Benno allein …
360 Benno legte die Tracht an – Sie war ihm – sein Todtenhemd … Der Schlag der Stunden von den Thürmen klang nicht so geheimnißvoll, wie der leise, singende Ton einer Pendeluhr über dem Spiegel, der wieder an seine alte Stelle gehängt war …
Ob du deinen Begleiter von der Tiber finden wirst? dachte Benno und sah seine völlig unerkennbare Gestalt im Spiegel … Es war ihm, als gliche er jetzt erst dem Hamlet, jetzt erst dem Brutus … Er schöpfte Muth – nicht blos für den nächsten Augenblick, sondern für morgen, für alles, was die Zukunft in ihrem Schose trug …
Die Klingel erscholl … Benno öffnete die Thür …
Anfangs nahm ihn ein Gemach auf, das des Advocaten Schlafzimmer schien … Ein grünseidener Vorhang trennte den kleinen Raum in zwei Theile … Eine Lampe zeigte ihm die Thür, die er noch mit seinem flatternden Kleide zu durchschreiten hatte … Vor seinem gespenstischen Bilde, das ihm ein anderer Spiegel zurückwarf, erschrak er selbst …
Nun betrat er einen hellerleuchteten Saal, in welchem um einen Tisch, auf dem sich ein Crucifix, ein Todtenkopf und ein Rosenkranz befanden, auf Stühlen im Kreise eine Anzahl der wunderlichsten Gestalten saß …
Alle, die Benno das Haus hatte betreten sehen; Todtenbrüder, wie er selbst, Mönche in Kutten, einige als Bettler, andere als Kohlenbrenner, die Unverhüllten mit schwarzen Masken …
Bertinazzi war in seiner gewöhnlichen Haustracht geblieben, allen erkennbar …
361 Schwarze Todtenbrüder erblickte er zwei … Benno konnte den, mit dem er über die Tiber gefahren war, nicht sogleich von dem andern unterscheiden …
Ihn selbst kannte außer Bertinazzi Niemand …
Bertinazzi begann, man möchte das Omen nicht übel deuten, daß sie ihrer dreizehn wären … Der vierzehnte fehle einer Reise wegen … Doch auch unser Spartakus – wandte er sich zu Benno – ist vorurtheilslos genug, einen Aberglauben zu verachten, der nur die Thoren schrecken kann …
Benno konnte sich nicht von dem Eindruck dieser Voraussetzung bei den Genossen des nächtlichen Rathes überzeugen … Ihre Mienen blieben ihm verborgen …
Inzwischen hatte er sich gerade einem Sessel gegenüber gesetzt, auf dem er die äußere Gestalt des Todtenbruders zu erkennen glaubte, mit dem er über die Tiber gefahren …
Dieser selbst konnte nicht im mindesten annehmen, daß sein Mitpassagier ihm gegenüber saß … Bertinazzi hatte Niemand sagen dürfen, wer Spartakus war …
Den Schwur leistete Benno, indem er sich an den Tisch stellte und die ihm schon bekannten Worte, die ihm noch einmal jetzt von Bertinazzi vorgesagt wurden, mit einem Ja! bekräftigte … Das Kreuz war ein Symbol der Leiden, die man für seine Ueberzeugung nicht abzulehnen gelobte; der Todtenkopf drückte die Verachtung jedes Erdenlooses aus, falls die gemeinschaftlichen Hoffnungen scheitern sollten; der Rosenkranz bezeichnete all die Freuden, die im Siege der Freiheit lägen … Auch die Bewillkomm-362nung durch die übrigen sprach Bertinazzi vor und überließ den Anwesenden nur die Bekräftigung durch ein Ja! …
Die nächste Verhandlung knüpfte sich an einen während Bertinazzi’s Abwesenheit ausgebrochenen Streit … Diese Männer schienen nicht mehr das volle Bedürfniß zu haben, sich gegenseitig unbekannt zu bleiben, obgleich die Masken und Umhüllungen die Stimme dämpften und veränderten … Man sprach nach dem Act der Aufnahme eines neuen Mitgliedes lebhaft durcheinander … Benno sah, kaum eingetreten, in der Einheit schon die Verschiedenheit … Die schönen italienischen Laute wurden mit Reinheit gesprochen, ein Beweis für die Bildung der Genossen … Der Gedanke an den Fürsten Corsini kehrte Benno zurück … Er erwartete die Stimme zu hören, deren Klang er nicht vergessen konnte …
Aber die schwarzen Todtenbrüder Benno gegenüber enthielten sich ihrerseits des Austauschs der Meinungen, die über manches nicht die gleichen waren, ganz wie schon Bertinazzi angedeutet hatte …
In der That schien man über die Gebrüder Bandiera gesprochen zu haben … Benno glaubte von einer Aenderung der Pläne der Brüder zu hören … Mehrfach wurden die Jesuiten genannt …
Ein wie ein Kohlenbrenner und demnach als alter Carbonaro Gekleideter stieß einen Stab auf den Fußboden und sagte, die Maske nur lose mit der Hand haltend:
Und noch gibt es Stimmen, die das Heil Italiens, ja der Welt von Rom erwarten? … Diese dreifache 363 Tiara soll der Friedens- und Freiheitshut der Völker werden? … Die Schlüssel Petri sollen die Zukunft der Menschheit erschließen? … Ehe nicht der letzte Beichtstuhl der Peterskirche verbrannt ist, kann über die Erde kein Friede kommen …
Wie immer schüttet Ihr das Kind mit dem Bade aus! hieß es unter einer der mehreren, diese Meinung abwehrenden Kapuzen …
Und Ihr könnt Euch nicht trennen von dem Blendzauber Euerer Theorieen! fuhr der Kohlenbrenner fort …
Sagt vielmehr, nicht von den Beweisen der Geschichte! … erwiderte sein Gegner …
Das Vergangene! sprach der Kohlenbrenner erregter … Ha, die Abendröthe ist schön, sie verklärt zuweilen einen stürmischen Regentag; aber sie geht der Nacht voran … Wo Ihr hinseht, leidet die Menschheit an der Macht und dem Einfluß, den sie noch dem römischen Zauberwesen gestattet! Von dem Tag an, wo sich ein einziger Bischof über die Rechte der andern erheben konnte, gestützt auf das alte Ansehen Roms und so manche Fälschung, die der Uebermuth schon damals wagte, hat das Christenthum seine Segnungen für die Menschheit verloren. Was die Christuslehre der Menschheit brachte, ist wie Lesen, Schreiben, Rechnen ein Erforderniß der allgemeinen Bildung geworden; die Institutionen, die uns die Herkunft dieser Bildung, ewig ihre erste Geburt gegenwärtig erhalten wollen, sind das Verderben der Jahrhunderte … Einen Hirten empfehlt Ihr mit Wölfen statt treuer Hunde? Einen Hohenpriester mit Scheiterhaufen und Schaffotten? Wir Römer, wir gerade müssen die Welt 364 zum drittenmal erobern, erobern durch die Vernichtung der Hierarchie! … Durch einen einzigen Messerschnitt müssen wir vollbringen, was Europa durch Tausende von Büchern, Kathedern, Kanzeln nicht hervorbringen konnte! Wir kennen das Papstthum nur als eine weltliche Behörde; als solche muß sie fallen; mit ihr fallen müssen die Cardinäle, die Generale der Orden, die höchsten und mittelsten und untersten Spitzen dieser Anstalten der Verdunkelung – erst dann ist die christliche Welt erlöst! Kommt uns nicht diese Losung von unsern Obern, so ist alle Mühe vergebens! Ihr seht’s an der ruchlosen Intrigue von Porto d’Ascoli …
Benno konnte die leidenschaftliche Rede nicht mit der ihm auf der Lippe schwebenden Frage unterbrechen, was in Porto d’Ascoli geschehen wäre …
Mehrere Stimmen riefen durcheinander:
Sie wird kommen! …
Sie wird kommen und ihr Erfolg wird dennoch ausbleiben! sprach zur Widerlegung des Kohlenbrenners mit einer feinen, eleganten Betonung eine andere Maske, deren äußere Tracht einen Kapuziner vorstellte … Ist der Sitz des Papstthums nicht schon einmal in Avignon gewesen? War nicht Napoleon der Schöpfer eines weltlichen Königthums von Rom? … Mit je größerer Demüthigung die dreifache Krone getragen wird, mit desto hellerem Heiligenschein umgibt sich die Theokratie … Die Menschheit sieht nun einmal im Papstthum einen zum ersten Königsrang Erwählten aus dem Volke und kehrt immer wieder darauf zurück … Sie sieht einen Monarchen, den nur seine Tugenden auf den Thron beriefen … 365 Sie hat an ihm einen Beistand gegen die Mächtigen der Erde … Napoleon ras’te gegen Pius und Pius sprach ruhig: Du Komödienspieler! Als Napoleon noch heftiger tobte und mit dem Aeußersten drohte, sagte er noch verächtlicher, wenn auch mit gesteigertem Schmerz: Du Tragödienspieler! … Wenn den Papst der Despotismus tödtet, so bietet er ruhig die offene Brust; der Begriff lebt wieder auf in seinem Nachfolger … Aendert die Gesetze Roms, bessert die Sitten, laßt den apostolischen Stuhl theilnehmen an allen Fortschritten der Zeit, macht unmöglich, daß die Greuel von Porto d’Ascoli die Kunst des Regiments in Italien heißen und wieder ein Segen kann der Menschheit werden, was man jetzt nur zu voreilig ihren Fluch nennt! …
Benno staunte der Dinge, die in Porto d’Ascoli vorgefallen sein mußten … Wenn er nun auch zu fragen gewagt hätte – so war die Aufregung der Streitenden ein Hinderniß … Sie war zu groß geworden …
Ich höre die träumerische Weisheit eures gemäßigten Fortschritts! sprach der Kohlenbrenner von vorhin …
Und von den beiden schwarz verhüllten Leichenbrüdern fiel jetzt der eine, ihn unterstützend, ein:
So habt ihr seit dreißig Jahren für die Freiheit Italiens declamirt, geschrieben, gedichtet, gewinselt, gebetet! … Das sind die frommen Wünsche eurer freisinnigen Barone, eurer aufgeklärten Bischöfe! Da soll das Weihwasser nur von unreinen Bestandtheilen gesäubert, der Katholicismus nur wahrhaft zu einem Liebesbund der Menschheit erhoben werden … Und in dieser 366 Gestalt behaltet ihr alles, was ein Fluch der Menschheit geworden ist! … Ihr behaltet die Gebundenheit der Gewissen, die Gelübde, die Unfreiheit des menschlichen Willens – alles, wovon eine kurze Weile die Praxis einen milden Sonnenschein verbreiten kann, aber auf die Länge wird alles wieder wie die schwarze dunkele Nacht werden! … Ihr wollt die Hierarchie, Rom und die Cardinäle – nur nicht die Jesuiten mehr? Werdet ihr die allein ausrotten können? Wodurch? Durch ein Verbot? Wenn alles übrige bleibt? Hat das Zeitalter der Aufklärung, hat Voltaire sie ausrotten können? Ich spreche nicht von dem Gift, an dem ein Ganganelli starb; ich spreche von jener List, die aus Wölfen Schafe machte, von jener List, die sich der Menschheit so unentbehrlich zu geben wußte, daß sogar die aufgeklärtesten Staaten, Borussia unter Friedrich, Russia unter Katharina, die Jesuiten als Lehrer beriefen! Sie sind unvertilgbar durch das Princip der Wissenschaft, dessen Lüge sie als Fahne aufstecken. Ob sie nun diesen oder jenen Namen tragen, bleiben sie unvertilgbar, solange überhaupt unsere Kirche besteht! … Diese katholische Kirche, unter deren heiligster Oriflamme Menschen wie Grizzifalcone für den Bestand des apostolischen Stuhls wirken durften! …
Der Sprecher war nicht der Mitpassagier von der Tiber gewesen … Nun war es also der, der fortdauernd schwieg … Brütend sah dieser vor sich hin, blieb unbeweglich und zog nur zuweilen seinen Fuß in die schwarze weite Umhüllung zurück und streckte ihn wieder vor …
Letztere Geberde wiederholte sich, je lebhafter der Streit wurde …
367 Wollt ihr deshalb die katholische Kirche zerstören? riefen mehrere Stimmen auf einmal …
Eine andere setzte hinzu:
Sie ist wenigstens dem Italiener nicht zu nehmen … Schreibt das nach London, wo man glaubt uns protestantisch machen zu können! …
Wer will das? riefen andere Stimmen und unter ihnen aufs heftigste die des Kohlenbrenners …
Der Italiener, fuhr der letzte Sprecher für die Kirche fort, ist und bleibt Katholik … Ich sage nicht: Geht und seht das Volk sich beugen vor einer Mumie, die es anbetet! Geht und seht den Aberglauben, der die Stufen der heiligen Treppe mit den Knieen hinaufrutscht! Seht den Schmerz, der sich einer ganzen Stadt bemächtigen konnte, als ihm ein geliebtes Marienbild abhanden kam! … Ich finde den Aberglauben überall, selbst bei Sokrates, der an seinen Dämon, bei Voltaire, der an sich selbst glaubte. … Nicht an sich selbst zu glauben, das ist der Katholicismus, der unausrottbar ist, so lange das Christenthum die Lehre von einem Mittler zwischen Gott und dem Menschen aufstellt … Hat Italien irgend einen politischen Reformator gehabt, den ihr euch ohne Verehrung vor dem Mysterium der Messe denken könnt? … Selbst Savonarola war kein Huß und kein Luther … Der frostige Gedanke des Zweifels konnte nie die Oberherrschaft über Gemüther gewinnen, die nur Phantasie und Leidenschaft sind … Und wo nun der Katholicismus sich nicht ausrotten läßt, da – …
Ließe sich nicht die Hierarchie ausrotten? riefen andere Stimmen. Das bestreiten wir! …
368 Rom ist das reine Priesterthum – fuhr der Vertheidiger der Hierarchie fort und ließ sich nicht irre machen … Rom kann der Duft, der höchste Auszug des katholischen Priesterthums bleiben … Alles, was für die schweren Pflichten des katholischen Priesters seine Belohnung, seine Erquickung, sein Entzücken ist, ist der Blick auf die Würden, die er erklimmen kann – auf das letzte Ziel, das ihm vom Tabernakel der Peterskirche in Rom leuchtet … Die Theokratie ist kein Gedanke der Macht, der Herrschaft, kein Gedanke der reinen Aeußerlichkeit und Weltlichkeit – … Sie ist – …
Ein Wahngebilde der Phantasten! Ein Schlupfwinkel der Räuber und Mörder! donnerte der Kohlenbrenner … Wie könnt ihr von einem geläuterten Papstthum sprechen! Wie könnt ihr den Papst an die Spitze unserer Reform stellen! … Das wird vielleicht die Frauen gewinnen, die weichmüthigen Seelen, aber nie gibt es ein Fundament für die Hoffnungen Italiens … Ein Menschenalter verrinnt und wieder tauchen Ceccones und Fefelottis auf – … Sie, die beiden Arme des Papstthums, die sich verschränken konnten in Thaten, wie dieser teuflische Plan gegen die Gebrüder Bandiera war …
Die Bandiera? sprach jetzt Benno laut und vernehmlich dazwischen …
Die streitenden Principien – den Kampf der Lehren Gioberti’s und Mazzini’s – verstand er, aber die Ursache desselben blieb ihm fremd …
Alle wandten sich …
Benno war es fast, als regte sich sein Gegenüber, der 369 zweite der schwarzen Leichenbrüder, noch lebhafter als bisher …
Aber die stürmende Rede des Kohlenbrenners übertönte alles – auch eine Antwort auf Benno’s Frage …
Rom bleibt so lange das Verderben der Welt, fuhr dieser fort, als seine Gestalt nicht eine rein weltliche, der geistliche Hof für immer aufgehoben wird … Ich bin im Princip für die Republik … Doch ich werde gegen sie sein müssen, weil leider sie es ist, die, auf die Massen und deren geringe Bildung gebaut, uns immer und immer wieder in Rom die Macht der Päpste zurückgeführt hat … Ich muß aus praktischen Gründen gegen sie sein … Wir müssen nach Rom ein weltliches Königthum in den Formen der Neuzeit verpflanzen … Ha, die Könige! – … Die, die ich so liebe, und besonders die, die mit der Lüge der constitutionellen Formen gekräftigt sind, die wissen sich auszudehnen und zu befestigen … Das sind Schmarotzerpflanzen, die Boden und Luft brauchen und beides nur zu bald gewinnen werden … Die pflanzen an die Stelle der geistlichen Legitimität ihre weltliche; die sorgen für ihr Geschlecht, für die, die ihm dienen … Wir müssen Rom einem Könige schenken, selbst wenn keiner die Hand danach ausstreckt! Wir müssen ihm den Köder unserer eigenen Freiheit bieten, die wir ihm eine Weile opfern! … Ich gebe Rom an den, der das Meiste bietet und das Wenigste verlangt … Dem Türken, wenn er es begehrt! … Nur nicht einem Volkstribunen, der sich bisjetzt nur noch durch den Aberglauben der Masse hat halten können und zuletzt so regiert, wie die Ceccones regierten – durch 370 die Räuber … In hundert Jahren hat der Italiener eine Bildung und Erziehung gewonnen, dann – …
Zwei Anhänger der Republik – einer darunter hatte deutlich die Stimme eines Buonaparte, den noch vor kurzem Benno an Rucca’s Tafel gesehen – stellten diese retrograde Wendung, die auch noch jetzt die Republik nehmen würde, in Abrede …
Die Mehrzahl widersprach aber allen diesen Anschauungen … Sie blieb bei dem Glauben, daß gerade durch die dreifache Krone Italiens Zukunft am ehesten gewinnen würde … Die Fürsten böten keine Bürgschaft … Die Läuterung des Papstthums von seinen unreinen Elementen, die Sicherung einer bessern Wahl der Umgebungen des Heiligen Vaters, die Auflösung des Jesuitenordens schien der Mehrzahl die sicherste Aussicht für die Verwirklichung ihrer Hoffnungen … In der Abwehr der Fremden waren alle einig … Diejenigen, die der Hierarchie überhaupt, dem Priesterwesen und der katholischen Kirche abgeneigt waren, blieben in der Minderzahl … Und jetzt lachten sie selbst darüber, daß in Italien besonders erhebliche Wirkungen durch Volksunterricht, Verbesserung der Schulen, die Verbreitung nützlicher Schriften zu erreichen wären …
Benno sah, daß er sich unter Männern der höheren Gesellschaft befand, die in der Mehrzahl sich noch vor äußersten Schritten hüteten … Die Idee des Papstthums möglichst von weltlichem Einflusse zu reinigen, die nächst bevorstehende Wahl auf einen Italiener voll Nationalgefühl und politischer Aufklärung zu lenken, die Cardinäle, die jetzt den meisten Einfluß hätten, unschäd-371lich zu machen und den Volksgeist so zu beleben, daß er an allem, was zur Erhebung Italiens geschähe, ein Interesse nähme – das blieb die Losung der Majorität … Unter den Hoffnungen für die Papstwahl wurde Cardinal Ambrosi genannt, den freilich wieder andere eine Creatur der Intriguanten und Tyrannen nannten … La morte a Ceccone! La morte a Fefelotti! war die Schlußbekräftigung … Dieser Ausruf kam einstimmig … Er drückte einen Wunsch, eine moralische Verurtheilung, wie unser Pereat! – keine Losung zum Morde aus …
Dennoch folgte Todtenstille …
Jetzt fragte Benno, was den Unwillen der Versammlung in Betreff Porto d’Ascoli’s und der Brüder Bandiera veranlaßt hätte …
Er hatte leise, wenn auch nicht verstellt, gesprochen …
Alle horchten dem wohllautenden Klang der Stimme des neuen „Spartakus“ …
Bertinazzi nahm das Wort und sagte:
Die Brüder Bandiera werden nicht in den Kirchenstaat einfallen …
Das überrascht mich … sprach Benno voll freudiger Wallung überlaut und vergessend, seine Stimme zu verändern …
Bertinazzi reichte Benno einen Brief Attilio’s … Benno übersah ihn … In jeder Zeile bekundete er seine Echtheit …
Lest ihn! sprach Bertinazzi … Ihr seid neu in un-372serm Kreise und wißt nicht, wie tief Rom und die Welt, die sich noch von Rom beherrschen läßt, gesunken sind …
Benno las mit starrem Auge … Seine Hand zitterte … Ceccone, Olympia entschieden nicht über das Leben der Freunde –? …
Inzwischen ließ Bertinazzi einige Schriften circuliren und theilte jedem Exemplare aus …
Benno war solange seiner fieberhaften Erregung allein überlassen …
Er las, daß die Lenker des Kirchenstaats gemeinschaftlich mit den Jesuiten einen Plan angezettelt hatten, demzufolge die „Verjüngung Italiens“ als der Wunsch – nur der Räuber und Mörder erscheinen sollte … Grizzifalcone war ausersehen worden, dies Werk in Ausführung zu bringen*) … Bis nach London hin verzweigte sich eine falsche Fährte, auf der die Verschwörer in die Lage kommen sollten, Bundsgenossen nur der Schmuggler und der Räuber zu werden … Man hatte vom Vatican aus eine falsche Correspondenz mit Korfu angeknüpft, um das dortige Comité glauben zu machen, an der Küste des Adriatischen Meers, in Porto d’Ascoli, wäre alles reif, eine Invasion zu unterstützen … Während der alte Principe Rucca nur seine Zölle im Auge hatte, richtete Ceccone seine Blicke weiter … Auch ihm war das Erscheinen des Räubers in der Hauptstadt der Christenheit willkommen … Auch seine Verhandlungen mit ihm, die gleichfalls jener Pilger geleitet hatte, bezweckten eine große Anerkennung des Reuigen … Die Liste, deren wesent-373lichen Inhalt er lange schon vor dem alten Rucca kannte, sollte den Schrecken, den Grizzifalcone’s Verrath unter den Zollbedienten und Schmugglern verbreiten mußte, zum Verderben der Revolution ausbeuten … Ceccone ließ die Ortschaften, wo, wie ihm durch londoner Verrath bekannt geworden, die Brüder Bandiera landen sollten, so durch die Anzeigen, die dem Fürsten Rucca gemacht wurden, einschüchtern, daß die Räuber, die Schmuggler, die Zollbediente die Fahne des Aufstands als Hülfe und Rettung begrüßen mußten … Wie diese Elemente die Revolution verstehen würden, lag auf der Hand … Hier konnte nur Mord, Brand, Plünderung im Gefolge der dreifarbigen Fahne gehen … Die reinsten, edelsten Zwecke mußten von Brandschatzungen, lodernden Flammen, Zerstörung der Wohnstätten des Friedens begleitet sein … Dies Mittel, die Revolution zu entstellen, hatte man in Europa schon überall angewandt … Die Bauern Galiziens, entlassene Sträflinge hatten Mord und Brand über Paläste und Hütten verbreitet … Was Szela, der Schreckliche, später in den Eichen- und Graswäldern Podoliens wurde, sollte schon Grizzifalcone in der Romagna sein … Den Communismus schürten die Jesuiten, alle Extreme der freien Ideen förderten sie, um die öffentliche Meinung vor den Neuerungen zu erschrecken … Im Kirchenstaat sollten alle, die durch das Strafgericht Rucca’s bedroht waren, auf das Signal warten, die Fackel der Anarchie zu schwingen … Fermo, Ascoli, Macerata sollten in Feuer aufgehen … Italien sollte sich mit Schaudern von Freiheitsbewegungen abwenden, die der Welt solche Schrecken brachten …
374 Aus dem ergreifenden Gemälde dieser von den Cardinälen der Christenheit, von den Rathgebern des Heiligsten der Heiligen angezettelten Intrigue erhob sich der Protest Attilio’s Bandiera, wie die Taube weiß und rein am dunkeln Gewitterhimmel aufsteigt – Attilio erklärte, noch zeitig genug gewarnt worden zu sein …
Wie Benno mit bebenden Lippen diesen Protest las und sah, daß sich die Losung verändert hatte – wie er las, daß eine Schar von entschlossenen Männern den Versuch machen würde, von Calabrien aus nach Neapel vorzudringen – wie er sogar den Silaswald genannt fand – ja wie sich ihm ein Flor vors Auge legte – als die Namen Fra Hubertus – Fra Federigo auf dem Papier wie Irrlichter auf dunkelm Moore tanzten – wie er ein Wort von einem „abgesandten Franciscanerbruder“ noch mit den letzten Stunden in San-Pietro in Montorio in Verbindung bringen konnte und – ihn die Aufklärung über alles zu belohnen schien, was Bonaventura’s nächste Sorge war, da hörte plötzlich sein Ohr ein dumpfes Murmeln um sich her …
Er blickte auf …
Die Männer waren schon vorher aufgestanden … Jetzt befanden sie sich in einer Gruppe … Der schwarze Todtenbruder stand mitten unter ihnen in heftiger Gesticulation … Bertinazzi bat um Ruhe … Vergebens … Das Durcheinanderflüstern mehrte sich … Timoleon! rief Bertinazzi … Nehmen wir unsere Plätze … Nein, nein! riefen andere … Laßt Timoleon reden! …
Der schwarze Todtenbruder schien ungern lauter zu 375 sprechen … Doch nun mußte er es thun … Alles stand erwartungsvoll …
Ich hatte nur die Absicht – – eine neue Loge zu stiften … sagte er dumpf und hohl …
Benno hörte die Stimme vom Nachen … Die Augen des Sprechers funkelten unheimlich durch die beiden Lücken seiner Kapuze … Sie waren auf Bertinazzi gerichtet, der mit diesem Wunsch einer neuen Logenbildung nicht einverstanden schien und beschwichtigend rief:
Laßt das! Laßt das! …
In diesem Augenblick streifte ein Rockärmel Benno’s Wange …
Der Freund der Päpste, der Kapuziner war es, der seine Hand ausgestreckt, Attilio’s Brief ergriffen und das Papier in die Flamme eines der Lichter gehalten hatte …
Benno, betäubt noch von dem nicht vollständig überlesenen Inhalt, erbebend vor dem Anblick der Namen, die sein Innerstes erfüllten – vor dem Silaswald, in dessen Nähe jetzt, an Punta dell Allice, die Invasion stattfinden sollte – zu gleicher Zeit mit einer Erhebung in Sicilien und Genua – Benno wollte dies Beginnen, ein Zeichen wol gar des Mistrauens gegen ihn, verhindern und sprach:
Soll ich diesen Brief nicht so gut kennen wie ihr? …
Da hatte die Flamme schon den Brief verzehrt …
Benno sah, daß das Flüstern vorhin, dies Entziehen des Briefes aus dem Erkennen seiner Stimme durch den schwarzen Todtenbruder entstanden war … Er richtete vor Aufregung seine Augen so zu Bertinazzi, daß sie wie Flammen diesem entgegenglühen mußten … Denn 376 auch ihm war der Ton seines Anklägers immer bekannter und bekannter geworden … Es fehlte nur noch ein einziges mal, daß jener sprach, und ein unglaublicher Name, der Name eines offenbaren Verräthers, brannte ihm auf der Zunge …
Bertinazzi hatte sich in der That zu seinem Beistand erhoben …
Wieder drangen die Stimmen in den Leichenbruder, zu reden …
Dumpf sprach dieser:
Wir sind in diesem Augenblick zu dreizehn … Der vierzehnte, unser Franciscaner, fehlt … Wir dürfen eine neue Loge bilden … Ja, dies will ich … Ich thu’ es … Die dazu nothwendigen Zwölf werd’ ich finden – …
Benno starrte den Sprecher an … Er wußte, wer gesprochen – – …
Dann ist Bertinazzi’s Loge verpflichtet, Euch eine Hülfe zu geben! … sprach der Kapuziner …
Einer von uns trete zu Timoleon’s neuer Loge! riefen mehrere …
Loost! Loost! … erscholl es von anderer Seite …
Warum loosen! erwiderte der schwarze Todtenbruder, der den Namen „Timoleon“ führte … Ich nehme jeden von euch, der sich freiwillig dazu erbietet – doch – nicht – Spartakus! …
Wieder sprangen alle von ihren Sitzen … Was vorhin nur schien einzelnen angedeutet worden zu sein, erscholl jetzt vor aller Ohr … Die Verschworenen zogen dichter ihre Hüllen vor die Augen … Sie traten auf Benno 377 zu … Schon streckten sich einige Hände nach seiner Kopfverhüllung …
Zurück! rief Bertinazzi mit einer Stimme, die an den Wänden widerhallte … Ich bürge für Spartakus …
Für einen Verräther?! … Einen Deutschen?! … Einen Spion Oesterreichs?! … rief Timoleon …
Verräther –? Ich? … Graf Sarzana! Wer ist hier – der Verräther? …
Sarzana! rief die ganze Loge voll Entsetzen …
Ein Augenblick und vier, fünf Dolche blitzten … Sie blitzten nicht nur Spartakus, sondern auch Timoleon entgegen … Der Name „Sarzana“ klang wie: Eine Creatur Ceccone’s! … Kaum hatte auch Benno jetzt noch den Beistand des Meisters der Loge … Einen Namen zu nennen war ein Bruch aller Gesetze … Bertinazzi trat den gezückten Dolchen entgegen und rief: Die Loge ist aufgelöst! … Friede! Friede! Friede! …
Die Lichter wurden ausgelöscht …
Eine kraftvolle Hand drängte Benno aus dem wilden Tumult … Eine Thür sprang auf … Mit dem Ausruf: Unglücklicher! stieß ihn sein Retter – der Kohlenbrenner, wie Benno zu erkennen glaubte – in das Dunkel eines engen Corridors …
Ein Augenblick der Besinnung … Benno griff nach einer der kleinen Wachskerzen, die er in der Tasche trug … Damit tastete er vorwärts, um eine Mauer zu finden, an der er das Wachslicht durch Anstreifen entzünden konnte …
378 Er fand die Mauer … Er hatte Licht … Er blickte um sich … – –
Am Ende des langen Corridors stand ein Trupp Gensdarmen, der mit angeschlagenen Carabinern lautlos sich auf die Loge zu in Bewegung setzte.
Ende des siebenten Buchs.
Apparat#
Der Apparat für alle Bände des Zauberers von Rom ist unter dem ersten Band einzusehen.