Schiller und Goethe. Einleitung zu literarischen Unterhaltungen#

Metadaten#

Herausgeber
  1. Madleen Podewski
Fassung
1.3: Korrektur Apparat
Letzte Bearbeitung
30.06.2021

Text#

46 Schiller und Goethe.#

Einleitung zu literarischen Unterhaltungen. #

Schiller und Goethe – sind gewesen.

Die Möglichkeit, daß noch einmal wieder Dichter auftauchen, die wenn auch nur auf einige Zeit in Deutschland so ergreifen und beschäftigen wie Schiller und Goethe oder wie noch jetzt etwa Humboldt die Naturwissenschaften, Liebig die Unterscheidung der Stoffe, Jakob Grimm die Sprachforschung beherrscht, eine solche Möglichkeit kann kein Deutscher, der die großen Entwickelungen seines Volkes und die Kraft der Schultern kennt, mit denen Einzelne unsers Stammes oft ganze Epochen trugen, in Abrede stellen wollen. Für den Augenblick aber stehen die goldenen großen olympischen Stühle leer.

Einige ältere Dichter leben noch. Immergrüne Kränze schmücken ihre greisen Schläfe. Arndt wirft noch manches kräftige, Tieck ist dem werdenden Geschlecht völlig abgewandt, sammelt nur und legt sich mit Behagen die schöne Vergangenheit zurecht. Uhland, der Dichter der Natur im Sonnenschein, reist wol noch durch deutsche Lande, aber mit dem beflissensten Incognito. Er forscht nach alten Volksliedern. Seine Bescheidenheit oder sein altschwäbisches Sichnichtgernbeengtfühlen entflieht, wo er nur kann, den nächtlichen Ständchen, die ihm wenigstens die Liederkränze noch bringen wollen. Diese Geister, die wir Aelteren jung verehrten, wie einsam stehen sie schon, wenn ein Berliner Kritiker in der Voß’schen Zeitung bei Gelegenheit einer Besprechung eines auf der dortigen Kunstausstellung befindlichen Gemäldes über Uhland’s Eberhard der Rauschebart vor der „Hauptstadt der deutschen Intelligenz“ neulich drucken lassen konnte: „Wir haben diese Ballade leider nicht sogleich zur Hand.“ (Siehe Voß’sche Zeitung, Nr. 222.) Rückert endlich, der Kunstvollste der Poeten und auch zuweilen nur der goldenen Reimschmiede Einer, Rückert arbeitet gewiß, und wird uns wieder vom Parnaß die jetzt modegewordene sogenannte Hafisische Leierei durch gestähltere Damascenerpoesie, als solche, in der nichts wiederholt wird, als: Pereant die Bonzen! Vivat die Schenke! mit kräftiger Hand verjagen. Aber kein Einziger dieser Geister, selbst wenn sie in den Vordergrund träten, schwänge Scepter wie Schiller einst und Goethe.

47 Zum Trost für die Kleinen, die gern die Erbschaft von Weimar und Jena angetreten hätten, läßt sich zweierlei sagen.

Goethe und Schiller waren zu ihren Lebzeiten entweder nie oder nur kurze Zeit so bewundert, wie sie es jetzt sind. Geduldet euch also! Goethe und Schiller hatten Feinde und Rivale wie ihr! Es gab Zeitschriften und Musenalmanache, wo ihre Namen so klein neben denen von hundert Dilettanten standen, wie ihr jetzt ertragen müßt, daß man euch wie im Meßkatalog alphabetisch aneinanderreiht! Haltet nur aus, ihr Wackern! Wodurch ist Goethe so emporgestiegen? Man könnte vielleicht sagen: weil er trotz aller Kritik die volle Neugier, das Interesse, die Spannung (selbst der Feindschaft) für sich hatte; aber es gefällt euch gewiß besser, wenn wir hinzufügen: Es bildete sich eine Clique für ihn. Ja in der That, zwei drei Namen allein hielten ihn auf ihrem Schilde empor. Zuletzt gab es endlich eine neue Richtung, die romantische Schule, die nirgends Anklang fand, die überall verspottet, überall zurückgewiesen, nicht gelesen wurde; diese konnte sich, um zu Anerkennung zu kommen, nicht anders helfen, als daß sie den seit dem anfangs wenig gewürdigten „Tasso“, seit der an Einfachheit oft überreichen „Iphigenie“ und Versen wie:

Seid überzeugt, der Wunsch, euch zu gefallen,
Belebt die Brust von Jedem, der vor euch
Auf diese Bühne tritt. Und sollt’ es uns
Nicht stets gelingen, so bedenkt doch ja,
Daß uns’re Kunst mit großen Schwierigkeiten
Zu kämpfen hat; u. s. w.

Oder:

Alles geht natürlich,
Als hätt’ es keine Mühe, keinen Fleiß
Gekostet. Aber dann, wann eben das
Gelingt; wenn Alles geht, als müßt’ es nur
So geh’n: dann hatte Mancher sich vorher
Den Kopf zerbrochen; u. s. w.*)

ich sage, eine Schule, die den damals etwas abwärtsgehenden großen Dichter des „Faust“ zu ihrem König und Herrn, sich zu Schülern und Parteigängern machte und ihn mit einem Nachdruck pries, der von einer Minorität ausgehend endlich größere Kreise zog und zuletzt sich in die unbestrittene Thatsache der nationalen Bewunderung verlor. Ja, man darf euch verrathen, daß selbst Schiller, als er in Jena zu philosophiren anfing, in seiner schwebenden Grübel- und Selbstbelehrungskammer zwar nicht so verspottet wurde wie in seinem öffentlich zur Schau gestellten Phrontisterion Sokrates einst von Aristophanes, aber ungern und murrend sah man allgemein die Gefahr, in die Schiller durch die Nähe Weimars gerieth. Erst durch seine geschichtlichen Dramen wieder brach sich Schiller die Bahn zum alten Herzen des Volkes, dem er, auch vielleicht noch – ein neuer freilich bitterer Trost! – in unterstützender Folge seines frühen Todes, sein geliebtester Liebling geblieben ist. Es ist erwiesen, daß die in Literatursachen herrschende öffentliche Meinung, die Empfehlung der Literatur durch die Kritik, durch die Erziehung, durch die Geistlichkeit, die Schule, den Universitätskatheder und den sammelnden Literaturfreund um Schiller und Goethe Jahre lang prüfend und scheu herumging, während man sich mit Klopstock, Lessing, Voß, Bürger, Claudius, Jean Paul und Andern sogleich auf den Fuß einer fast unbedingten Bewunderung setzte.

Dies ist der eine Trost. Und der andere liegt darin, daß auch die Zeit der Alleinherrschaft großer Geister nicht mehr günstig ist. Ihr hörtet zuweilen von den gewaltigen Felsenwanderungen der Schweiz. Eine solche Wanderung, Schicht auf Schicht, Geschiebe auf Geschiebe rückend, ist nun bereits seit funfzig Jahren mit den Massen auch 48 im Geschichtsleben eingetreten. Alles drängt beängstigt auf irgend einen Niedersturz und hoffend auf irgend eine Erhebung in neuer Lebensform. Was vermag in solchem Tumult die einzelne Geisteskraft, die, wenn sie wirken will, Gelegenheit finden muß, sich in der Welt ruhig auszuarbeiten und ihre eigenen Zuckungen in den Zeitgenossen zur Ruhe bringen zu können! Man kann jetzt wol einmal etwas, wie die Schießbaumwolle, den Schwefeläther und was nicht sonst erfinden und aufbringen; man kann diese große Felsenwanderung einen Moment sprengen oder bei Seite schieben oder den Ehrgeiz der Masse betäuben; man kann irgend einmal etwas Neues oder Ueberraschende auf kurze Zeit der Welt in den Weg stellen; aber ein individuelles Leben, eine Entwickelung, ein Sichselberklar- und Insichselbstreifwerden anzulegen auf die Zeit hin, daß die dabei ruhig zusähe oder sich Ummodelung durch den Genius gefallen ließe, das scheint fast unmöglich geworden. In der Dichtkunst nun vollends muß Das, was die Herzen aller Hörer zwingt, immer doch aus jenem urkräftig glücklichen Behagen kommen, das unserer Zeit nicht gegeben ist und ihr wol noch lange versagt bleiben wird. Ein Einzelner kann nur in stiller Ruhe Welten bauen. Nicht in, sondern nach den Perserkriegen blühte die griechische Dichtkunst. Sie welkte mit dem Beginn der innern Kämpfe zwischen Sparta und Athen. In der Ruhe des Augusteischen Zeitalters, in der allgemeinen Sehnsucht nach endlicher Freiheit von der Willkür einzelner Parteiführer, sangen Virgil und Horaz. Unter Elisabeth’s glücklicher Scepterführung dichtete Shakspeare. Unter Ludwig XIV., dessen äußere Kriege die innere französische Welt wenig berührten, schrieben Corneille und Racine. In der träumerisch-idyllischen Zeit von 1770–90, wo der Fürst im Ordenskleide den Bettler im „Leinwandkittel“ an sein nur für philanthropische Ideen schlagendes Herz drückte, legten Schiller und Goethe die festesten Grundlagen ihres ewigen Ruhmes.

Apparat#

Bearbeitung: Madleen Podewski, Berlin#

1. Textüberlieferung#

1.1. Handschriften#
1.1.1. Übersicht#

Es sind keine handschriftlichen Überlieferungsträger bekannt.

1.2. Drucke#

Nach der ungezeichneten Publikation in den „Unterhaltungen am häuslichen Herd“ fügte Gutzkow den Beitrag fünf Jahre später dem dritten Teil der Kleinen Narrenwelt ein, und zwar in Abschnitt V: Wirren des Geschmacks. Am Wortlaut änderte er dafür nichts, aber er untergliederte den Text mit deutlich mehr Absätzen. Die auffallendste Varianz besteht in der Änderung des Titels.

J [Anon.:] Schiller und Goethe. Einleitung zu literarischen Unterhaltungen. In: Unterhaltungen am häuslichen Herd. Leipzig. Bd. 1, Nr. 3, [14. Oktober] 1852, S. 46-48. (Rasch 3.52.10.14.2)
E Die Epigonen. In: Karl Gutzkow: Die kleine Narrenwelt. Theil 3. Frankfurt/M.: Literarische Anstalt, 1857. S. 231-237. (Rasch 2.33.3.5.3)

2. Textdarbietung#

2.1. Edierter Text#
J. Der Text folgt in Orthographie und Interpunktion unverändert dem Erstdruck. Textsperrungen werden übernommen. Silbentrennstriche (=) werden durch - wiedergegeben. Die Seitenzählung wird mit Klammern [ ] an den betreffenden Stellen in den Text eingefügt. Fehlende oder überzählige Spatien im Erstdruck wurden stillschweigend korrigiert.

Die Seiten-/Zeilenangaben im Apparat beziehen sich auf die Druckausgabe des Beitrags im Band: Ueber Göthe im Wendepunkte zweier Jahrhunderte. Mit weiteren Texten Gutzkows zur Goethe-Rezeption im 19. Jahrhundert hg. von Madleen Podewski. Münster: Oktober Verlag, 2019. (= Gutzkows Werke und Briefe. Abt. IV: Schriften zur Literatur und zum Theater, Bd. 3.)

Kommentar#

Der wissenschaftliche Apparat wird hier zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht.