Wir stellen die Gutzkow Gesamtausgabe zur Zeit auf neue technische Beine. Es kann an einzelnen Stellen noch zu kleinen Problemen kommen.

Börne’s Leben#

Metadaten#

Herausgeber
  1. Martina Lauster
Fassung
1.1
Letzte Bearbeitung
30.07.2023

Text#

Börne’s Leben.#

VII Vorrede.#

Dies Buch sollte zunächst die Einleitung zu einer neuen Ausgabe der in den deutschen Bundesstaaten erlaubten Schriften Börne’s sein. Das Unternehmen gerieth jedoch in’s Stocken und die Biographie Börne’s, schon im Herbst vorigen Jahres vollendet, wurde unter diesen Umständen in ihrem Erscheinen länger hingehalten, als die zunächst daran betheiligten Freunde Börne’s wünschen mußten.

VIII Ueber eine kurze Charakteristik, welche ich erst nur zu geben bezweckte, wuchs das sich anhäufende Material hinaus, von allen Seiten trug mir die Gunst des Zufalls Blätter und Zweige zu dem Ehrenkranze, den ich einem Todten winden wollte, heran, ich wurde Biograph des Verfassers der „Briefe aus Paris,“ ohne es zu wollen.

Wenn ich auf dem halben Wege, wo ich mich entschließen mußte, vor- oder rückwärts zu gehen, mich zum ersteren entschloß, so geschah es, weil ich unter den jetzt wirkenden Schriftstellern wohl einer der wenigen bin, die zu einer Entwickelung der Lebens- und Autorenmomente Börne’s einen gewissen Beruf haben. Wenn ich, auch jetzt noch schwankend, mich endlich wirklich entschloß, an das schwierige Werk zu gehen, so gab den letzten Ausschlag meine durch theure Familienbande erleichterte Kenntniß des Bodens, auf welchem Börne wuchs und reifte. So wie man Goethe’s Jugend und in ihrem ganzen Daseyn Bettina und Clemens Brentano nicht ohne Kenntniß der Frankfurter Lokalitäten innigst verstehen kann, so muß man auch IX für die richtige Auffassung Börne’s auf einem Terrain heimisch sein, das für Poesie und Verständniß des öffentlichen deutschen Lebens voll der eigenthümlichsten Anregungen ist.

Ein mißlicher Umstand hätte mich freilich zurückhalten können: Ich habe Börne nicht gekannt. Manche seiner nähern Freunde, die mir mit Rath und That beistanden, haben dies oft bedauert. Indessen beruhigt es mich, daß ich seine nächsten Freunde, die mit ihm gelebt, doch oft auch darauf ertappte, daß sie mit ihm nicht auch empfunden hatten. Ihre Urtheile über den Verstorbenen widersprachen sich. Sie hielten mit verzeihlicher Täuschung allzusehr am Menschen fest und wußten für jede geistige Lebensfunktion des Freundes Gründe, die von den Andern wieder bestritten wurden. So konnt’ ich, wenigstens schien es mir so, vielleicht besser in die Wahrheit dringen, als wenn ich durch persönliche Bekanntschaft wäre mit in diesen Strudel von Widersprüchen gezogen gewesen. Das unmittelbare Leben ist selten ohne Verstimmungen. Wir sind nie in dem Grade frei X von unserm eignen Interesse, daß wir bei persönlichen Collisionen stets den Blick ungetrübt und das Vorurtheil unbefangen erhielten.

Von früh an hab’ ich die Neigung gehabt, mich in fremde Individualitäten hineinzuleben. Die besten Menschenkenner sind die, welche von den Tugenden und Schwächen der Andern Vortheile zu ziehen wünschen; die ihnen zunächst kommen, die, welche einen Fanatismus daraus machen, gegen Jedermann gerecht zu sein. Ich bin immer erschrocken, wenn ich irgend Einen unbedingt verurtheilen hörte; denn meiFne eigene Lebensentwickelung zeigte mir nur zu sehr, daß wir in unserm Gemüth von der ganzen Welt abweichen können, ohne deßhalb Ursache zu haben, uns weniger gut und gerecht zu erscheinen. Was ich mir selbst geschenkt wissen wollte, dies Vertrauen auf die individuelle Selbstgerechtigkeit des Menschen, hab’ ich andern nie entzogen, ja mit Leidenschaft mir darin gefallen, mich in die Denk- und Fühlweise Anderer hineinzuleben, Adern und Geflechte in fremden Seelen tief zu verfolgen und die Menschen XI von innen heraus zu beurtheilen. Was mich in der Poesie zum Dramatiker, mußte mich in der Prosa zum Biographen machen.

Ich zweifle nicht, daß diesem Buche viel Berichtigungen und Erweiterungen bevorstehen. Erst wenn viele persönliche Freunde Börne’s lesen werden, wie sich in seinem Leben eine gewisse Ordnung nachweisen läßt, werden sie sich angeregt fühlen, diese Ordnung zu vervollkommnen. Es werden sich Anekdoten mancherlei Art an das nun vorerst einmal Gegebene ansetzen. Ich zweifle auch nicht, daß die Auffassung, die in diesem Buche herrscht, nicht allseitig genügen wird. Es war mir nicht möglich, mit den Lebensmomenten eines so merkwürdigen Mannes, wie Börne war, erst ein polizeiliches Verfahren anzustellen. Sollt’ ich zu Gericht sitzen und von einem abgekühlten Standpunkt herab in Börnes Leben sichten und scheiden, hier einräumen, dort verdammen und aus einer Charakteristik eine gerichtliche Anatomie machen? Es ging nicht. So wenig die Meinungen Börne’s von seiner Zeit, der rücksichtslose Ton in dem er XII sie vortrug, von den Gährungen der Julirevolution zu trennen sind, so wenig mocht’ ich von der einfachen Erzählung seines Lebens das hingebende, enthusiastische Colorit entfernen, welches sein ganzes Leben ausströmte. Ein Biograph soll seinen Gegenstand mitdurchleben und in ihm mit so viel warmer Toleranz aufgehen, daß sogenannte „Rettungen,“ wie sie der gute, menschenfreundliche Lessing von verkannten Geistern der Vorzeit schrieb, von vornherein niemals nothwendig werden.

Freunde und Bekannte des Verstorbenen haben mich mit Bausteinen zu diesem Gedächtnißtempel unterstützt. Ihnen meinen Dank! Viele, die dem Verstorbenen nahe standen, fürchteten sich, ihrer Beziehungen zum „Römer“ wegen, mit ihm zusammen genannt zu werden, oder hielten sich im Stillen für zu unbedeutend, die Aufmerksamkeit des deutschen Bundes zu erregen. Manchen ging es aber noch eigner. Sie hatten mit Börne gelebt und wußten nichts von ihm. Sie hatten mit ihm gegessen und getrunken und kein Wort, was er gesprochen, war ihnen im Gedächtniß geblieben. XIII Es waren dies Männer, welche sich selbst auszeichneten. Feiner atomistischer Staub des Egoismus, der in menschlichen Seelen zerstreut ist! Sie leben mit Geräusch, jeder ihrer Tritte macht ein Echo, sie haben nie den Mund geschlossen, sie leben mit Händen und Füßen und was um sie vorgeht, für den Herzensschlag in der Brust eines Nebenmenschen haben sie kein Ohr. Einen Augenblick zu schweigen und den Andern reden zu hören, wär’ ihnen sonderbar. Nach zehn Jahren ist der Andre eine europäische Berühmtheit und sie müssen sich schämen, daß sie mit ihm lebten, ohne von ihm Eindrücke empfangen zu haben.

Freilich kann hier eine Entschuldigung eintreten. Börne gab sich nicht, sondern er wollte genommen sein. Es fehlte ihm das Talent, mit sich selbst Komödie zu spielen, sich als der, der er war, auch in Scene zu setzen und sich jene Ruhe um ihn her zu erzwingen, die man braucht, um gehört zu werden. So haben viele seiner Freunde einen unbestimmten Erinnerungsdämmer von ihm, ein lachendes, wohlthuendes Flimmern des Gedächtnisses, XIV darin aber nichts Bestimmtes, nichts, was besonders des Notirens ihnen denkwürdig erschienen wäre. Auch diese Erscheinung hab’ ich zur Charakteristik Börne’s zu verwenden gesucht und ich hoffe, die Folgerungen, die daraus in meinem Buche gezogen sind, wird man nur billigen können.

Bücher, die ich benutzen konnte, hab’ ich an den betreffenden Stellen angezogen. Hauptquelle waren Börne’s eigne Schriften und die Blätter der Geschichte, wie sie seit der Scene im Ballhause von Versailles bis zum Jahre 1837, wo Börne starb, vor uns aufgeschlagen liegen. Wo ich Lücken in Börne’s Lebensmomenten fand, hab’ ich sie getrost durch die Geschichte ergänzt; denn man kann annehmen, daß sein innerer Mensch von Ebbe und Fluth in der Politik immer bedingt war. Sogar auf seinen Körper wirkten die Ereignisse, wie bei uns Andern nur die Einflüsse der Atmosphäre. Wenn er Gichtschmerzen hatte, konnte man annehmen, daß sich das politische Wetter ändern würde. Papierspekulanten hätten größere Stücke auf ihn halten sollen. Denn wenn ihm XV das Essen nicht schmeckte, stak sicher ein Congreß in der Luft.

Das überlang verzögerte Erscheinen dieses Buches erlaubte, daß ich erst noch die Schrift lesen konnte: „Heinrich Heine über Ludwig Börne.“ Sie ist vor einigen Tagen erschienen und scheint den Zweck zu haben, die in Deutschland herrschende versöhnte Stimmung über den vielverkannten, ungestümen, aber edlen Todten wieder zu zerstreuen, meiner Biographie desselben im Voraus jeden Glauben zu nehmen und um einen Namen, von dem allmählig der irdische Dunst des Vorurtheils sich zu verziehen anfing, wieder auf’s Neue einen Gestank von Persönlichkeiten zu verbreiten, der jede Beschäftigung mit ihm widerlich machen muß, sei’s auch zum Theil auf Kosten dessen, der diesen Unrath in die Oeffentlichkeit auf seinen Schultern hineinträgt! Wer die Schrift von Herrn Heine gelesen hat, und an Börne kein tieferes Interesse nimmt, wird sagen: Seht, da reiben sich die beiden undeutschen Menschen gegen einander auf, der Todte an dem Verwesenden, der XVI Jakobiner am Narren, die Revolution an ihren eignen Excrementen! Diese Schrift des Herrn Heine ist eine große Unannehmlichkeit für Börne, ein Unglück für den, der sie schrieb, und fast ein Todesurtheil für die Sache, der beide gedient haben.

Ich werde nie meine Feder eintauchen, um gegen Herrn Heine zu schreiben. Wir tauchten sie ja in unser eignes Blut! Es giebt viele Freunde der neuern Literatur, die es schmerzlich bedauern, daß unter den Gliedern derselben keine Einigkeit herrscht. Sie wollen für Ideen streiten, sagen sie, und schlachten sich der eignen Eitelkeit! Ich weiß es, daß diese Selbstbefehdungen der jüngern Literatur den Feinden derselben ein großes Vergnügen gewähren und würde mich nie dazu verstanden haben, über Herrn Heine auszusprechen, was ich über ihn seit Jahren empfinde. Aber hier gilt es einer höhern Pflicht. Er hat durch seine in ihrer Veranlassung ganz unerklärliche Schrift auf die Bahn, die mein Buch über Börne zurücklegen sollte, so viel Hindernisse gestreut, er hat auf die XVII Region, in der sich mein Buch bewegt, so vielen widerlichen Hautgout ausgedunstet, daß ich gezwungen bin, im Interesse Börne’s und seiner Freunde gegen ihn aufzutreten. Ohne Beziehung zu Börne hätt’ ich Herrn Heine’s Buch bemitleiden können; als Biograph des Angegriffenen werd’ ich es widerlegen müssen.

Deutschland wird nicht begreifen, was Herr Heine mit seiner Schrift eigentlich bezweckte. Der Titel: Heine über Börne, verräth allerdings deutlich, daß das ganze Buch der Selbstüberhebung gewidmet ist und der Gegenstand desselben das Axiom sein solle: Heinrich Heine geht doch über L. Börne, ein Axiom, das in lapidarer Kürze allerdings den Titel abwerfen kann: Heinrich Heine über Ludwig Börne! Aber warum bleibt diese Entscheidung nicht der Kritik, nicht den Zeitgenossen oder der Nachwelt überlassen? Wem sind diese Rangstreitigkeiten nicht schon bei größeren Namen, wie Schiller und Goethe, zuwider gewesen? Würde Goethe je ein Buch sich nur haben denken können: Goethe supra Schiller! Ich sage supra; XVIII denn daß Herr Heine an de dachte, möchte ich zu seiner Ehre nicht glauben. Supra ist nur kindisch und eitel, de aber wäre lächerlich und anmaßend.

Die Schrift des Herrn Heine kommt in vieler Hinsicht zu spät. Zu spät - weil Börne todt ist und man solche Verläumdungen, wie sie hier gedruckt sind, nur von einem Lebenden sollte auszusprechen wagen. Zu spät - weil Börne’s Grab längst so dicht mit der freundlichen, versöhnten Anerkennung der deutschen Nation bewachsen ist, daß die Brennesseln des Herrn Heine auf dem geweihten Platze keinen Raum übrig finden. Zu spät - weil Herr Heine die deutsche Nation wegen einer Frage beunruhigt glaubt, die uns diesseit des Rheins sehr gleichgültig ist. Herr Heine weiß nicht, daß man sich jetzt in Deutschland mit den wichtigsten Erörterungen über Kirche und Staat, mit den Untersuchungen über Protestantismus und jesuitische Reaktionen, über Preußens und Rußlands Zukunft, über hundert wichtige Culturfragen, nur nicht mehr mit seinen „Reisebildern“ beschäftigt. XIX Es hat etwas Rührendes! Herr Heine ging vor zehn Jahren nach Paris und bildet sich ein, daß Deutschland noch immer auf Vollendung des Perioden harrt, den er grade angefangen hatte, als sein Fuß das Hamburger Dampfschiff betrat, welches ihn nach Havre transportirte. Er glaubt, wir knusperten noch immer an den kleinen Gedichten und Novellen der damaligen Taschenbücher, an seinem Streit mit Platen, an seinen Salonwitzen, an einem Bilde, das er von Herrn von Raumer brauchte und ähnlichen, großartigen Leistungen, von denen er (S. 363) sagt: „Meine Leistungen sind Monumente, die ich in der Literatur Europa’s aufgepflanzt habe, zum ewigen Ruhme des deutschen Geistes.“ Weil Herr Heine glaubt, daß wir um diese Monumente wie die Zwerge noch immer mit staunender Bewunderung herumgingen, so hielt er eine Schrift über seine persönlichen Differenzen mit Börne für ein Unternehmen, dessen Erscheinung man nicht zu motiviren brauche.

Ob sich Herr Heine für witziger, poetischer, unsterblicher als Börne hält, kann dem Biographen XX des letztern gleichgültig sein. Immerhin mag er ein Buch schreiben, dessen Thema in folgenden Worten (S. 240) ausgesprochen liegt: „Börnes Anfeindungen gegen mich waren am Ende nichts anders, als der kleine Neid, den der kleine Tambourmaitre gegen den Tambourmajor empfindet: er beneidete mich ob des großen Federbusches, der so keck in die Lüfte hineinjauchzt, ob meiner reich gestickten Uniform, woran mehr Silber, als er der kleine Tambourmaitre mit seinem ganzen Vermögen bezahlen konnte, ob der Geschicklichkeit, womit ich den großen Stock balanzire, ob der Liebesblicke, die mir die jungen Dirnen zuwerfen, und die ich vielleicht mit etwas Koketterie erwiedre!“ Allein diese Schilderung der eignen Liebenswürdigkeit, des „fetten Hellenismus“ seiner schönen Gestalt, der Liebesblicke, die ihm die jungen Dirnen des Palais Royal zuwerfen, mußte nicht auf Kosten eines Mannes geschehen, dessen sittliche und politische Bedeutung, publizistische XXI Tiefe und römische Charakterfestigkeit, dessen schönes edles Gemüth und zarte Hingebung an Schmerz und Unglück, dessen Herz in allen seinen Lebensfunktionen ihn gegen Herrn Heine als einen Riesen erscheinen läßt, der ganz ruhig die Hand auf die „europäischen Monumente“ des Herrn Heine legen und sagen kann: „Siehst Du, ich bin doch größer als Du!“

Herr Heine erzählt uns seine Berührungen mit Börne. Er erzählt, wie er ihn gefunden, im seidnen Schlafrock, mit der Pfeife im Munde, schwerhörig, heute krank, morgen gesund. - Auch diese Beschreibungen sind zum Theil wahr, theils ergötzen sie, weil sie aus dem Bestreben hervorgehen, zu zeigen, daß Herr Heine schöner gebaut, corpulenter, liebenswürdiger, kurz ein Mensch wäre, den man mit Börne gar nicht vergleichen könne. Mißlich aber ist es mit den Aeußerungen, die er Börnen in den Mund legt. Diese füllen oft in einem Zuge mehr als sechs bis sieben Seiten. Sollte Herr Heine schon vor zwanzig Jahren die Absicht gehabt haben, seine Memoiren XXII zu schreiben und über die Aeußerungen der Menschen, mit denen er umgeht, schon so lange Buch führen? Nein, es ist unmöglich. Diese langen Tiraden, die oft witzig, oft durch ihre Länge ungenießbar sind, kann Börne nicht gesprochen haben. Herr Heine, der ein so schwaches Gedächtniß hat, daß er sogar dasjenige, was ihm das Theuerste war, seine Grundsätze, mit der Zeit vergaß, Herr Heine sollte den Kopfrechner Dase an Intensität des Erinnerungsvermögens übertreffen? Gegen die Aechtheit dieser Diatriben müssen wir also von vornherein protestiren. Sie sind ohne Zweifel durch einen schlagenden Einfall Börne’s angeregt, aber in dieser Form ohne Widerrede von Heine eben so erfunden, wie die Reden, die Cornelius Nepos Imperatoren halten läßt, die auch größer waren als er.

Alle Welt wird mit mir darin übereinstimmen, daß das, was Börne bei Herrn Heine redet, ihn eben nicht im liebenswürdigsten Lichte erscheinen läßt. Nicht nur, daß er sich wie ein unsinniger Coupe tête in seinem politischen Fanatismus gebehrdet, er ist auch lasciv, gewöhnlich und nicht XXIII selten beinahe gemein. Diese Lüge in dem Buche des Herrn Heine hat mich - nächst der empörenden Mißhandlung eines edlen weiblichen Gemüths - am tiefsten gekränkt, hat mich um so mehr gekränkt, als vielleicht Börne sich wirklich gehen ließ, wenn er mit der saloppen Gesinnungslosigkeit, der witzelnden Blasirtheit und dem bekannten bauchgrimmenden Ennui des Herrn Heine zusammen kam. Wir sind Menschen und Börne war sogar ein guter Mensch. Wenn er in Herrn Heine’s Gegenwart manches Lascive und Triviale sprach, so that er es aus Gefälligkeit gegen den Mann, der ihn besuchte. Er war zu gutmüthig, um Herrn Heine eine andere Sprache vorzuschlagen, als welche dieser in seiner Unterhaltung gewohnt ist. Es sind wahrhaft häßliche Dinge, namentlich über Christen- und Judenthum, die Herr Heine Börne’n in den Mund legt. Wenn sie nicht ganz erfunden sind, so beweisen sie nur, wie freundlich Börne in seinem Wesen war, wie wenig er den Streit liebte und mit wie zarter Aufmerksamkeit er denen entgegenkam, die ihn besuchten. Womit sollte er Herrn Heine unterhal-XXIVten? Er schätzte den jungen Mann, er setzte große Hoffnungen auf seinen Styl, er glaubte ihn aufmuntern zu müssen und ging harmlos auf die albernen Talmudwitze ein, an denen Herr Heine mehr seinen Humor genährt hat, als an unserm großen Jean Paul, den er in diesem Buche einen „confusen Polyhistor“ nennt! Ja, um die Wahrheit ganz zu sagen, man muß wissen, daß zwei getaufte Juden von so lachlustiger Natur, wie Börne und sein Schatten, tausend Gelegenheit finden, an den drolligsten Vorkommnissen innerhalb der Synagoge und des Ghettos ihren Witz zu üben. Es ist recht betrübend für mich, daß ich manchem Israeliten vielleicht weh thue, wenn ich bekenne, daß mir nichts Ungezügelteres vorgekommen ist, als wenn zwei jüdische aufgeweckte Köpfe sich gegenseitig in witzigen Einfällen zu überbieten suchen. Der arme Börne (Herr Heine nennt ihn in seinem ganzen Buche nicht anders) ließ sich vor dem jungen Manne, der ihn besuchte, mehr als billig gehen und dieser benutzt jetzt dessen problematische Äußerungen, um über Börne einen häßlichen gelben XXV Nebel zu verbreiten. Möchte diese Aufklärung des wahren Sachverhältnisses ihn von dem Andenken des trefflichen, grade in seinem häuslichen Gespräche immer gewiegten und besonnenen Mannes für immer verscheuchen!

Der politische Theil der mit Börne gepflogenen Unterredungen des Herrn Heine bezweckt, Ersteren als einen republikanischen Narren, Letzteren als einen Royalisten, oder wie man es von den ausgesöhnten Legitimisten in Frankreich nennt, als einen Ralliirten hinzustellen. Börne ist nach Herrn Heine ein Sansculott, er dagegen nur ein philosophisch-gemüthlicher Beobachter des Laufes der Begebenheiten, Börne gehört zur Parthei des Berges, Herr Heine zur Parthei des „Sumpfes.“ Ich habe die zahme, royalistische Widerrufs-Politik des Herrn Heine mit Vergnügen gelesen, denn sie läßt hoffen, daß man die Polizei-Aktuarstelle, welche Börne früher in Frankfurt bekleidete, vielleicht ihm überträgt, und ihm dadurch Gelegenheit verschafft, sich im Vaterlande von dem geringen Gewicht, das man noch auf seine Worte legt, XXVI selbst zu überzeugen. Allein man bedenke: die erwähnten Gespräche mit Börne sind alle zu einer Zeit gehalten, wo Herr Heine selbst einer der unternehmendsten Jakobiner war, zu einer Zeit, wo seine Schriften mit der Marseillaise begannen und der Parisienne aufhörten; zu einer Zeit, wo seine Pamphlets nur verstümmelt erscheinen konnten, weil kein deutscher Druckherr wagte, seine Finger zum Aufbau all der staatsgefährlichen Mausfallen und Guillotinen, die in diesen Räsonnements drohten, herzugeben. Nun ist nicht zu läugnen, (und mein Buch wird darüber mit Ernst und Aufrichtigkeit urtheilen) daß Börne in den Tagen nach der Julirevolution sich der Hoffnung auf einen gewaltsamen Umschwung der Begebenheiten mit rücksichtsloser Leidenschaft hingab; allein was ist edler, wahrer und redlicher: diese Ansichten auch innerhalb seiner vier Wände vertheidigen, oder sie, wie es bei Herrn Heine der Fall war, nur zur interessanteren Drapperie seines Styles zu benutzen und nach einigen Jahren in Hoffnung auf die Frankfurter Polizei-Aktuarstelle, sie als nie dage-XXVIIwesen läugnen? Das dritte Wort in Herrn Heine’s „französischen Zuständen“ ist die Tricolore, die Guillotine, das Ça ira u. s. w., bei Börne war es auch das dritte Wort in der Conversation. Gesetzt, sie wären Beide in einem betrübten Irrthum befangen gewesen, wer war redlicher, Börne oder sein Judas?

Herr Heine hat die Absicht, die patriotischen Erhebungen seit 1830 als lächerlich hinzustellen. Große Anfänge, die klein enden, fordern leicht den Witz heraus. Allein auch hier muß der Spötter Berechtigung haben und Herr Heine, der Jahrelang um die Gunst der republikanischen Parthei in Paris buhlte, hat diese nicht. Wenn über das Mißlingen des Hambacher Festes ein Mann von deutschem Gefühl, Sinn für Gemeinwohl, ein Freund gesetzmäßiger Freiheitsentwickelung frohlockt, so wird man ihm vielleicht mit getheilter Empfindung zuhören; allein Herr Heine sollte ein Recht haben, die süddeutsche politische Bewegung, die Vorfälle in Rheinbayern und das Associationswesen der deutschen Handwerker zu bespötteln? XXVIII Er hat es einmal deshalb nicht, weil er früher seine Schriften mit den grellsten revolutionären Farben überpinselte, und zweitens auch darum nicht, weil ein Herz ohne Gefühl, ein Charakter ohne Stetigkeit, ein Streben ohne Gesinnung überhaupt nicht berufen ist, in ernsten Fragen, die das Gemeinwohl berühren, eine Ansicht r oder gegen auszusprechen. Wer so tief, wie Herr Heine, im Irdischen, Materiellen, in der Blasirtheit des Jahrhunderts verkommen ist, dem kann nicht einmal das Frohlocken über eine gescheiterte Unbesonnenheit gestattet werden. Alle deutschen Ehrenmänner, die den Gang der Begebenheiten seit 1833 billigen, werden darin einig sein, daß sie nimmermehr zum Organ dieser Billigung Herrn Heine wählen möchten. Der deutsche Sinn ist einmal so. Börne mit seiner Übertreibung steht uns immer noch ehrenwerther da, als Herr Heine mit seinem Widerruf.

Die gänzliche Unfähigkeit unseres leidigen Gewährmannes, sich in die Tiefe eines edlen Gemüthes zu versenken, beweisen die schnöden Trivia-XXIXlitäten, die Herr Heine über die religiöse Stimmung, die Börne’n am Abend seiner Tage für vieles Gescheiterte tröstete, sich erlauben zu dürfen glaubt. Auch über diese Erscheinung werden nachstehende Blätter sich wahrer aussprechen, so wie denn überhaupt mein Buch auch die einzig als wahr annehmlichen Aufschlüsse über das Zerwürfniß zwischen Börne und Herrn Heine enthalten dürfte. Herr Heine hat der Wahrheit durch seine Schrift zuvorkommen wollen; aber ich denke, da jene nach der Lüge erscheint, wird ihm das Aufräumen der Gegnerin um so leichter werden.

Ich gestehe, daß ich für das Unterhaltende und Witzige in der Schrift des Herrn Heine nicht unempfindlich bin. Er wird für das Formelle in seinen Büchern wenig so dankbare Leser haben, wie mich. Herr Heine ist ein muntrer Kopf, der, ohne wissenschaftliche Bildung, mit einer, weniger poetischen, als poetisirenden Gabe ausgestattet ist, die ihm erlaubt, an den Dingen mehr Seiten wahrzunehmen, als sich der Beobachtung des Verstandes auf den ersten Blick darbieten. Weniger XXX Poet, als poetischer Dilettant aus der romantischen Zeit, weiß er den Gegenständen seiner Beobachtung eine phantastische Appretur zu geben, die von einem angebornen Sinn für das Naive, das Detail, das Unwesentliche, Specielle unterstützt wird. Ohne sittliche Selbsterziehung, von den Schmeicheleien seiner Umgebung früh gehätschelt, angewiesen auf Lebensernten, die er nicht zu säen brauchte, ein verwöhntes Kind der Familiencoterie, schlenderte er mit nachlässiger Indifferenz durch ein menschliches Daseyn, das ihm der Zufall sanft genug bettete, blieb bei jeder Albernheit, die ihm das Leben der Straße bot, stehen und glossirte die Menschen, ihre Sitten, ihre Meinungen, ihre Schicksale, ihren Glauben. Nie hat Herr Heine aus dem Kreise des kleinlichsten Egoismus heraustreten können, nie empfand er für das, „Was, wie Goethe sagt, der ganzen Menschheit zugetheilt ist.“ Zieh man ihn der Unwahrheit, nannte man ihn gesinnungslos, häufte man Vorwurf auf Vorwurf, - es ließ ihn gleichgültig, wenn man ihm nur - den Witz einräumte! Und in der That, XXXI das Talent, sich im fernen Paris in eine dunkle, versteckte Stube einzuschließen und von dort aus über die Lächerlichkeiten von tausend Menschen, denen er im Leben begegnete, spottend nachzugrübeln: dies Talent besitzt er meisterhaft. So muß ich gestehen, hab’ ich Vieles in seinem Buche über Börne belacht. Aber nun denke man sich, wenn man gezwungen werden soll, auf Kosten edler Menschen zu lachen! Wenn man mitten in einem spaßhaften Satze vor der beleidigenden Wendung desselben erschrickt und für einen Autor erröthet, der nicht mehr erröthen zu können scheint! Als ich von Herrn Heine’s Witz gebrandschatzt wurde, auch über Edle zu lachen, da war es mir, als bekäme man von einem Restaurant eine Fleischspeise mit pikanter, appetitreizender Sauçe, striche diese mit dem Messer fort und würde dann plötzlich von einem infamen Faulgeruch angedunstet, den die Cappern und Champignons verdecken sollten, oder man nähme einen Bissen in den Mund und müßte ihn aus Schreck über ein langes, durchsichtiges, rothes Haar an der Gabel wieder XXXII fallen lassen! Solche Schrecken bietet fast jede Seite der Schrift des Herrn Heine dar.

Auch ohne meine Rüge wird man die Mißhandlung einer edeln gebildeten Dame, die Börne’n in treuer Anhänglichkeit ihr Leben gewidmet hat, empörend finden. Das Verhältniß Börne’s zu Madame W. (es ist in meinem Buche thatsächlich dargestellt) gehört zu jenen schönen Begegnungen edler Seelen, die zum Glück der Dichter und Weisen nicht bloß von ihnen nur zum Gegenstand ihrer Schöpfungen gewählt wurden, sondern die oft sie selber beglückten und ihnen ein einsames Daseyn verschönerten. Ganz Frankfurt, hierüber gewiß kompetent, stimmt darin überein, daß Börne’s Verhältniß zu Mad. W. ein ebenso wohlthätiges für den verlassen und einsam in der Welt stehenden Unverheiratheten, wie seiner Natur nach rein und sittlich war. Herr Heine wahrlich sollte einer der Ersten seyn, der das Poetische einer solchen Beziehung mehr, als Andere, zu würdigen wüßte. Statt dessen bringt er diese Dame an den Pranger der Publicität. Er entwürdigt ihr Leben, er XXXIII bezweifelt ihre Sittlichkeit, er schändet sie mit der Lascivität seines gemeinen Witzes. Eine Frau, die ihn durch Nichts gekränkt haben kann, als durch ihre liebende Verehrung für Börne, ihr Gatte, der der dritte in einem Seelen-Bunde war, für dessen Verständniß die alltäglichen Begriffe unseres Lebens nicht ausreichen, alle diese Beziehungen werden hier von dem frechen Spott des Herrn Heine so besudelt, daß sie wie die Cloake eines eben so unsittlichen Verhältnisses aussehen, als in dem Herr Heine, Zeitungsnachrichten zufolge, selber leben soll. O wie tief ist die Würde unserer Literatur gesunken! Ein Schriftsteller, der sich einbildet, „europäische Monumente“ errichtet zu haben, kann sich darin gefallen, kleine Kothhaufen aufzubauen, wie die Gamins der Straße! Wenn dieser zügellose Mißbrauch der Presse fortfrißt, welches sittliche weibliche Gefühl wird nicht zittern vor einer Berührung mit Dichtern und Schriftstellern? Hingebungen, wie sie Goethe, Bürger, Tieck, Schlegel fanden, werden aus Furcht, öffentlich gebrandmarkt zu werden, aussterben und XXXIV der Poet wird auch darin der ärmste werden, daß kein Frauenherz mehr seinem Frieden traut, und ihm, wie Herrn Heine’s, des großen Sittenrichters, Beispiel lehrt, nichts übrig bleibt als eine Wahl unter den Nachtvögeln des Palais Royal.

Ich bin zu Ende. Herr Heine schließt sein Buch mit einer von ihm schon abgenutzten Allegorie fast wie ein Testament. Er sagt: „Ich werde dick und fühle eine sonderbare Müdigkeit des Geistes.“ So wird auch bald, nach solchen Büchern, der schöne Ruhm, den er in der Literatur des Tages behauptete, sein Auge schließen und von Herrn Heine nichts mehr übrigbleiben, als ein ödes, nur mit spärlichem Grün bewachsenes Gewesen! Börne’s letzte Schrift zeigte ihn uns edler, verklärter, als je. Selbst seine Feinde gewannen ihn lieb, als er sein letztes kleines Buch geschrieben und starb. Herrn Heine’s letzte Schrift aber zeigt ihn uns vollkommen in einer moralischen Auflösung. Börne war kein Dichter und schrieb wie ein Prophet. Herr Heine affektirt, ein Dichter zu sein und schreibt XXXV wie ein Gamin. Börne war nicht frei von Irrthümern, aber im Feuer seiner Überzeugung härtete sich ein stählerner Charakter. Herr Heine schwimmt im Meer der Lüge und wird sich allmälig ganz verdunsten in das „goldne Nichts“ der Eitelkeit. Börne stritt gegen die Lebenden und versöhnte sich mit den Todten. Herr Heine fürchtet die Lebenden und erst, wenn sie sterben, bekämpft er sie. Börne griff seine Feinde an: Herr Heine nur die Gattinnen und Freundinnen seiner Feinde. Börne stritt, als er noch lebte, gegen Herrn Heine: Herr Heine wartete und antwortete dann erst, als Börne gestorben war!

So mögen diese Blätter hingehen und für das Leben eines merkwürdigen Mannes ein besseres Zeugniß geben, als die Lügenschrift seines Rivalen, der ihn um den Ruhm einer edlen Gesinnung und den Vorsprung eines gediegenen Charakters beneidete! Wenn Herr Heine beabsichtigte, meinem Buche von vornherein beim deut-XXXVIschen Publikum die Glaubwürdigkeit abzuschneiden, so denk’ ich nicht, daß nach dem Inhalt dieser zu meiner Schrift nothwendig gewordenen Vorrede ihm sein schnöder unedler Zweck gelungen ist.

Geschrieben in Hamburg,

den 10. August 1840.

K. G.

1 Börne’s Leben. #

2

3 Es ist nichts leichter, als von achtbaren Eltern geboren werden, einen guten Schulunterricht genießen, mit viel Sittsamkeit die Hochschule beziehen, mit viel Anmaaßung sie verlassen, im schwarzen Frack die Runde bei den Staatsmännern machen, die ein Amt zu vergeben haben, es glücklich erhalten, den Eid der Treue schwören, wirklich treu sein, treu dem Fürsten, treu den Grundsätzen unsrer Vorgesetzten, treu dem Geiste, in welchem uns unser Gehalt vierteljährlich von der Landeskasse ausgezahlt wird, funfzig Jahre in diesem Geiste verharren, steigen bis zum wirklichen geheimen Rath und mit Orden bedeckt, von Kindern und Enkeln umringt, ein ehrlich erworbenes kleines Vermögen hinterlassend, endlich das Zeitliche segnen. Und noch mehr! Du kannst dir wirklich manches Verdienst um deine Mitmenschen erworben haben und die Medaille mit Recht ansprechen dürfen, welche in der fürstlichen Münze 4 auf dein Andenken geschlagen wird! Du kannst die Residenz deines Landesherrn mit einer hübschen Pappelallée geziert und für Brunnen gesorgt haben, die deinen Mitbürgern ein beßres Trinkwasser geben! Du kannst eine Rentenanstalt begründet, die Lotterie abgeschafft, eine beßre Verwaltung des Armenwesens nach neueren Theorien eingeführt haben! Du hast die Landwirthschaft deiner Provinz gehoben, indem du Wettpreise für den besten Flachs, das beste Obst aussetztest: die Pferdezucht, die Schaafveredlung, die Schulanstalten und sogar die Landesbibliothek, Alles kann durch dich gehoben, verbessert, neu begründet sein; und doch war dein Leben so, wie der Wind vorüberfährt. Was du thatest, that dein Amt, deine bürgerliche Stellung, deine nächste äußerliche Pflicht: Du hättest auf diese Art die Welt erobern können und doch nicht nöthig gehabt, dabei dein Bett zu verlassen. Man kann sterben und drei Tage lang von einem ganzen Lande mit Läuten der Glocken, angelaufenen Degen und Florbinden betrauert werden, und hat doch nicht wahrhaft menschlich gelebt.

Menschlich leben? O das heißt mehr, als ein guter Vater, glücklicher Gatte, treuer Unterthan sein. Menschlich leben heißt ein Engel sein, der vom Himmel 5 abkömmt und sich in diese Welt verfliegt, und irrend umherflattert, nicht wissend, wo er ein Thor finden soll, um in seine Heimath wieder zurückzukehren. Menschlich leben heißt nicht, wachen am Tage oder träumen in der Nacht, sondern: träumen am Tage, wachen in der Nacht; und vor allen Dingen heißt menschlich leben unglücklich sein, verkannt werden, in seinem heiligsten Glauben mißverstanden, in seinen Hoffnungen von einer schadenfrohen Wirklichkeit verspottet werden, geäfft von dem Echo der Ohnmacht, wenn wir stolze und erhabene Wünsche mit donnernder Stimme in die Welt hineinrufen, betrogen von dem Nächsten und Entferntesten, verfolgt vom Feinde und noch mehr sogar belächelt und bemitleidet werden vom Freunde, der uns nicht versteht. Seht, so zwängt sich der Eine mit zusammengedrückten Schultern, gebognem Rücken und gesenktem Kopf durch alles das hindurch, was das Leben an guter Ordnung, friedlicher Sicherheit und nettem Ertrage uns darbietet; der Andre sucht grade die Widersprüche unsres Daseins auf, will sie versöhnen und gerätht zwischen die Räder einer Bewegung, die er zum Wohl des Ganzen hemmen wollte. Er sucht die ungebahnten Straßen, die versteckten Winkel des Lebens auf, bis in welche der Lärm 6 eines gewissenlosen, scheinbar glücklichen In-den-Tag-Hineinlebens nicht gedrungen ist, er denkt an den Winter, während Jene sich im Sommer sonnen. Und nun bricht meinem Menschenfreunde eine Sproße der Leiter, die er ansetzte, um eine köstliche Frucht für uns Alle zu holen, - die Menge lacht. Er wendet sich zu ihr mit geistvoller schwärmerischer Rede, sie findet beim Einen Anklang, aber beim Andern Widerspruch und beim Dritten verläumderische Entstellung. Nun werfen sie sich sein Herz mit den innersten seligsten Geheimnißen desselben wie einen Spielball zu, suchen in großen Zwecken, die dem Allgemeinen galten, kleine auf, die sich die Person vorbehielt, stellen die Absichten und die zu ihrer Durchsetzung aufgewandten Mittel in einen lächerlichen Contrast und machen aus dem Erhabensten etwas Gemeines: - seht, das heißt menschlich leben!

Ich las, daß ein geistvoller Denker einst sagte: „Die Möglichkeit, daß noch einmal ein Messias erscheine, ist für unsre Zukunft noch nicht abgeschnitten.“ Ich mußte lachen. Ja, ein Messias kann erscheinen; wenigstens bedürfen wir seiner; um ihn aber anerkannt zu wissen, nimm uns erst die kleinliche Genußsucht unsrer Zeit, nimm uns die hämische Begrüßung 7 des Außerordentlichen, dies Produkt unsrer frivolen Ohnmacht, nimm uns jene sogenannte Civilisation, die uns in den Ketten und Banden einer scheinbaren bürgerlichen Ordnung hält, nimm uns diese fürchterliche Controlle unsrer nächsten unschuldigsten Lebensäußerungen, und dann denke an deinen Messias! Oder glaubst du, der Sohn Gottes hätte in einem Jahrhundert der Gensd’armen und der Pässe in die Welt kommen können? Warum nicht? Wirst du antworten. Zum Gekreuzigt werden haben wir Pilatusse und Golgathas genug. Nein, der ächte Mensch, der, welcher seinen Ursprung vom Himmel nicht vergißt, der die Aufgabe des Lebens darin findet, daß er dem Unterdrückten beisteht, der nur das Edle und Große will, nur die Liebe für das einzige Band unsrer irdischen Verhältnisse anerkennt, dieser ächte Ecce Homo kommt auch nicht einmal mehr dazu, gekreuzigt zu werden. Man würde ihn tödten; o ja! aber durch Nadelstiche; durch tausend kleine Qualen schürte man ihm ein Feuer unter einem Rost, auf dem er langsam und schmerzlich ausathmete; nicht den Körper, das Gemüth tödteten sie ihm. Das ist der große Muth, den das Genie in unserem materiellen Jahrhundert haben muß, - lächerlich zu erscheinen; der Muth, entstellt zu werden, mit seinen 8 persönlichen Verhältnissen an’s Tageslicht gerissen, gekränkt in Vater und Mutter, Schwester und Gattin, geärgert von der rothwangigen Genügsamkeit, die seinem Treiben mit einer Art von Mitleid zusieht, verzerrt zu werden in eine Carrikatur und als ein Märtyrer für etwas zu fallen, das selbst die nicht einmal anerkennen, denen zu Liebe es ersonnen und mit dem Tode besiegelt wurde!

Und wenn ich den edlen Mann nenne, welcher diese Betrachtungen bei mir weckte, Ludwig Börne, so gesellt sich zu ihnen noch eine andre hinzu, von der ich nicht weiß, soll man sie eben so schmerzlich oder einen Trost nennen? Kaum war die Kunde von Börne’s Tod erschollen, so war das Urtheil der entgegengesetztesten Partheien versöhnt. Was man dem Lebenden nicht einräumte, räumte man dem Todten ein. Als man ihn bestattete, senkten alle Prinzipien ihre Fahnen und sagten: Es war ein Charakter! Den Werth der Ideen, für die er gelebt hatte, ließ man unentschieden; man bewunderte wenigstens, daß er auch mit ihnen gestorben war. Er hatte nichts widerrufen, er hatte keinen Priester an sein Bett kommen lassen, um ihm einen Brief zu diktiren, den er an den frankfurter Senat schreiben sollte, er hatte Wolfgang Menzel 9 nicht deshalb geschont, weil er ihn einmal gelobt, Heine nicht deshalb doch geduldet, weil dieser sich ja nach ihm gebildet hatte, er nahm weder seine Pariser Briefe noch seine Satyre auf die Schnelligkeit der Thurn- und Taxis’schen Eilwägen zurück, weder den Narren im weißen Schwan, noch einen Paragraph seines politischen Glaubensbekenntnisses, es wurde nichts bekannt von Pensionen, die er etwa bezogen hätte, im Gegentheil erfuhr man, daß er seiner Liebe zur Freiheit die uneigennützigsten Opfer zu bringen pflegte - da konnte man die Bewunderung nicht mehr zurückhalten. Unsre Zeit, so schwach! und doch war Einer stark gewesen.

Seht die einzige Art, wie man sich mit Euch versöhnen kann! Man muß nur fest bleiben in dem Unglück, das diese Welt über uns verhängt, muß nur nicht weichen links oder rechts, wenn man mit Koth beworfen wird, muß erhaben lächelnd durch Eure Irrthümer und Täuschungen, durch Eure Schwäche und Euren Eigensinn hindurchgehen; darüber erstaunt man in einem Zeitalter, wo selbst ein Talleyrand so schwach wurde, in der letzten Stunde dem Papst sein ganzes Leben abzubitten. Soll man nun an dieser Versöhnung, mit der seit Börne’s Tod sein Name genannt wird, Freude haben? Soll man sagen: die Menschen sind 10 so kindisch und so feig, daß sie nur durch ein Schauspiel, das vor ihnen aufgeführt wird, erschüttert werden können; oder soll man doch noch Vertrauen zu unserer Zeit schöpfen und denken: Es liegt doch noch etwas Edles in den Gemüthern verborgen, der Quell der Tugend ist nicht ganz versiegt und es ist immer möglich, daß Staatsmänner über das, was sie am Tage Böses wirken, des Nachts bittre Thränen der Reue vergießen? Ich gestehe - hier verläßt mich die Kenntniß meiner Zeit, und ich begnüge mich mit dem an sich erfreulichen Resultat, daß Börne's Charakter jetzt nicht mehr dem Mißverständnisse so ausgesetzt ist, wie zu seinen Lebzeiten, daß sich die Urtheile über ihn auffallend berichtigt haben, und dem Menschen in ihm schon dieselbe Genugthuung widerfährt, die der Schriftsteller Börne, der witzige, sinnreiche Kopf, der geschmackvolle Stylist und scharfsinnige Kritiker zu allen Zeiten gefunden hat.

Eine Rettung in der Art, wie sie Lessing von Horaz und minder bedeutenden Namen schrieb, würde bei Börne nun nicht mehr nöthig sein. Wohl aber hat sein Leben Aehnlichkeit mit den Charakteren der französischen Revolution, von denen mancher allerdings bis auf den heutigen Tag unverantwortlich geblieben 11 ist, mancher aber auch durch den im Verlauf der Zeit sich mildernden Geist der Beurtheilung aus einem Ungeheuer allmälig sich in einen sonst trefflichen, biedern Mann verwandelt hat, den nur die fürchterlich beengenden Umstände der Revolution zu Handlungen zwangen, die seinem Gemüthe ursprünglich völlig fremd waren. Wer sich auch bei Börne durchaus von dem Gedanken nicht trennen kann, daß seine Briefe aus Paris Ansichten und Redewendungen enthalten, die sich von einem unmittelbaren Standpunkte nicht vertheidigen lassen, dem wollen wir nicht vorgreifen, wenn er die Geschichte unsrer Zeit zur Hülfe nimmt und sich durch die Gährung und Verworrenheit derselben erklärlich macht, was er sonst nicht würde verziehen haben. Börne beschäftigte sich viel, wenn auch nicht, wie es hieß, mit einer Geschichte, doch mit Betrachtungen über die französische Revolution; es war seine Absicht, einzelne Charaktere derselben durch den Pragmatismus der damaligen Begebenheiten zu erklären und in der Möglichkeit, ja Nothwendigkeit ihrer extremen Handlungen zu entwickeln. Der sittliche Leumund, der dem Privatcharakter einiger dieser Männer nachtönte, bestimmte ihn, ihr Wirken genauer zu prüfen. Eine mißliche That wird uns gleich verzeihlicher erscheinen, 12 wenn wir erfahren, daß bei ihr kein Vortheil im Hintergrunde stand. So feindselig für Börne’s Gemüth und Sinnesweise z. B. die Bestechlichkeit eines Mirabeau, die geniale Unsittlichkeit eines Danton wirken mußten, so sehr zog ihn im Gegentheil alles an, was man über Robespierre’s häusliches Leben erfahren hat, die Armuth, in der er starb, die Einfachheit seiner Lebensweise, ja, um noch eins zu nennen, was für Börne's Seelenleben entscheidend ist, die Kunde von Robespierre’s Hypochondrie und Schüchternheit im Umgang; der Menschenhaß, den man bei diesem dunkeln Charakter gewöhnlich als die Ursache seiner Grausamkeit anzunehmen pflegt, schien Börne eher ein Unglück, als eine Leidenschaft zu sein. Je mehr er in Erfahrung brachte, daß Robespierre im Leben linkisch war, nicht reden konnte, sparsam lebte, an Hypochondrie litt, in einem kleinen Hause still und traulich bei seiner Schwester wohnte, endlich für Geld und Sinnlichkeit unempfänglich war, desto gerechtfertigter wurde ihm die historische Erscheinung und fürchterliche Stellung desselben zur Geschichte. Wenn sich Börne geirrt hätte, so beweist diese Art des Irrthums doch die Tiefe seines Gemüths und einen sittlichen Ernst, der in der That auch sein ganzes Leben verklärte.

13 Das Leben Börne’s ist, abgesehen von dem persönlichen Interesse, welches die Neugier daran nehmen kann, noch in manchen Beziehungen merkwürdig. Angedeutet ist schon, wie es uns die Stellung des Genies und des Charakters zu unsrer Zeit versinnlicht. Auch in Börne’s Stellung zur Literatur, wie diese sich allmälig ergeben hat, liegen Gedankenreihen, die man an ihn zuerst anknüpfen muß, und die in der bisherigen litterarischen Erfahrung zu bilden gar nicht möglich war. Außer dem denkwürdigen Einflusse, den Börne auf die politische Bildung des deutschen Volkes hatte, gewann er, da er diesen Einfluß grade in so geistreicher Form und Sprache geltend machte, noch im besondern zur Literatur eine Stellung, die, man kann wohl sagen, epochemachend gewesen ist. Nun war es aber die harmloseste Art, wie Börne zur Literatur kam, die unbewußteste. Bisher sind wir gewohnt gewesen, daß Beamte oder Gelehrte in ihren Mußestunden in die Leier griffen und das Lob der Frauen, des Frühlings und des Weines sangen; junge Studenten dichteten Dramen, versäumten, sich die Antworten einzulernen, welche sie einst auf die in den Staatsprüfungen vorgelegten Fragen zu geben hatten, erwählten den Dichter- und Schriftstellerberuf als einen aus-14schließlichen, indem sie Zeitungen, Almanache und literarische Genossenschaften begründeten, alle hatten sie von Goethe herab bis zum gewöhnlichsten Taschenbuchsnovellisten ein bestimmtes nur in den bisher der Literatur abgesteckten Grenzen liegendes ästhetisches Ziel. Seit den Befreiungskriegen traten freilich schon Männer auf, die, ohne speciell für die Literatur als solche zu schreiben, doch tiefe Furchen sogar in den Prinzipien derselben zogen und jedenfalls ihre Gränzen erweiterten; Arndt z. B. Görres, Steffens und Andre. Doch zogen sie sich meist auf die Geschichte oder Philosophie oder sonstige wissenschaftliche Einzelgebiete wieder zurück, oder besaßen in Styl und Vortrag nicht jene Saatkeime, die in eine neue Epoche für die Literatur aufschießen konnten. Börnen jedoch gelang es, ohne es zu wollen, ein deutscher Classiker zu werden. Dasjenige, woran er am wenigsten gedacht hatte, fiel ihm am ersten zu. Er beurtheilte die Dichter, die Schauspieler, die Philosophen, die Publizisten seiner Zeit: er machte aus dem Jean-Paulismus etwas Klares, Durchsichtiges, schrieb Satyren aus äußern Zwecken, trieb die schöne Literatur nur, um die Politik in ein erlaubtes Gewand zu hüllen, sprach von Schiller und Goethe und dachte dabei an 15 Montesquieu und Metternich, schrieb fast immer nur auf äußre Veranlassung, getrieben durch eine herausfordernde Gelegenheit - und doch ist aus diesem Zufälligen etwas Nothwendiges geworden, die Zusammenstellung seiner vereinzelten Thätigkeit machte Epoche, er wirkte nicht bloß auf Minister und Landstände, wie er fast allein zu wollen schien, sondern auf den ganzen Verlauf unsrer Literaturentwickelung, auf unsre Dichter, unsre Stylisten.

Wäre Lessing nicht noch Dichter gewesen, so würde die Art, wie er sich zur Literatur seiner Zeit anregend und umwälzend verhielt, mit der, wie Börne auf die unsrige wirkte, durchaus zusammentreffen. Börne wie Lessing, beide waren bei ihren kritischen Abhandlungen immer nur vom Stoff beherrscht; und grade dieser verflüchtigte sich vielleicht zuerst und ging mit dem Augenblick verloren, die Form aber blieb und befruchtete die Thätigkeit der Andern. Lessings Dramaturgie war längst vergessenen französischen Dramen gewidmet, deren übergroße steife Regelrichtigkeit er der Natur gegenüber erröthen machte; die Stücke und Verfasser interessiren uns jetzt nur wenig; aber die Behandlungsweise Lessing’s hat sich erhalten. So wird man auch von Börne mit innigstem Vergnügen seine 16 Theaterkritiken in der Waage lesen, die er nur zum Theil in seine „Gesammelte Schriften“ aufnahm; sie sind alle würdig, erhalten zu werden; denn wenn auch die Herren Heigel, Otto, Urspruch, die Damen Busch, Pazkowska vergessen sind, so ist doch die Art, wie Börne die flüchtigen Leistungen derselben fixirte, so fein, witzig und mustergebend, daß sich die Belege derselben daurend erhalten werden. Große Genien sind in ihren Schöpfungen harmlos, und was wir am meisten an ihnen bewundern, schenkte ihnen der Zufall vielleicht im Spiele.

Das Leben Börne’s ist durchaus nicht reich an überraschenden Motiven. Man würde kein Melodrama daraus machen können; weit eher eine Idylle. Er bedurfte der Einsamkeit, um seinen Träumen über das Wohl des Vaterlandes nachzuhangen, er bedurfte des Umgangs weniger Menschen, weil ein Mann, dessen Leben nach innen gerichtet ist, nicht mit vollen Händen Anregungen ausstreuen, noch weniger zu viel Eindrücke in sich aufnehmen kann. Es wird sich ein reiches herrliches Seelenleben in dem nachfolgenden Gemälde vor uns ausbreiten; aber grelle Tinten, überraschende Schlagschatten erwarte man nicht! das Meiste, was Börne persönlich erlebte, gab er sich selbst; von 17 Außen her empfing er nur jene Eindrücke der Zeit, die in ihm Gemüthsumwälzungen und Gedankendurchbrüche schufen, welche wohl von einer innern, seelischen Tragödie beim Leben dieses Mannes sprechen lassen. Ein Zeitungsartikel, der ihm eine längst gefürchtete Nachricht bestätigte oder die Kunde eines irgendwo ausgebrochenen unverhofften Ereignisses gab, konnte ihn in die lebhafteste Aufregung bringen und ihn in Stimmungen versetzen, welche die Andern nur kennen, wenn sich das Schicksal mit Gunst oder Ungunst ihren persönlichen materiellen Interessen nähert. Um Börne’s Leben ganz zu erschöpfen, müßte man die Zeitgeschichte von dem Augenblick an, wo ihm das Verständniß derselben als Jüngling aufgieng, bis zur Ueberantwortung der Juli-Revolution an die Stock-Jobberey der Börse wieder erzählen; ja man müßte sie nicht bloß so darstellen, wie sie jetzt allmälig aufgeklärt und möglichst durchgesichtet, vor uns liegt, sondern so trüb und verworren, wie sie sich im Augenblick darstellte, wo auf eine sichre Nachricht noch hundert falsche Gerüchte kamen, von denen jedes in andrer Art die Nerven eines Gemüths erschütterte, welches mit seinen geheimsten Fäden an das Geflecht der Geschichte angesponnen schien und in jedem kleinsten Ereignisse nach dem Glück 18 oder Segen fragte, der daraus der Menschheit, dem Vaterlande erwachsen würde. Allgemeine Andeutungen müssen hier den Biographen von der Unmöglichkeit, das Einzelne richtig und erschöpfend zu treffen, loskaufen. Ich muß darauf rechnen, daß sinnige Leser sich durch ein empfängliches Studium der Schriften Börnes die Züge, die sich angeben lassen, ergänzen werden. Denn auch darin sind ja diese Schriften so groß, daß sie überall es nicht bis zu jener ungeheuern Abtödtung der Subjektivität gebracht haben, welche den Goethischen Gebilden ihre starre Ruhe gab; sondern Börne mag behandeln, welchen Gegenstand er will, immer spiegelt sich in der krystallnen Klarheit seiner Darstellung seine liebenswürdige Persönlichkeit, sein eignes für Freud und Leid der Geschichte empfängliches Gemüth. Diese Empfänglichkeit für die Interessen der Außenwelt, welche sich in der Stimmung seiner größern oder kleinern Aufsätze leicht erkennen läßt, giebt seinen Schriften auch noch den Werth, daß sie als eine gleichzeitige Quelle wenn nicht für eine Geschichte der Ereignisse, doch für eine Geschichte der öffentlichen Meinung benutzt werden können.

19 Ludwig Börne wurde als Löb Baruch den 22. Mai 1786 zu Frankfurt am Main von jüdischen Eltern geboren. Diese Abstammung Börnes ist für seine spätre Geistesbildung zu entscheidend gewesen, als daß wir uns über sie nicht gleich an der Schwelle seines Lebens verständigen sollten. Börne war Jude. Seine Feinde haben dies oft genug geltend gemacht, entweder um seine angeblichen Verirrungen zu erklären oder sie mitleidig damit zu entschuldigen. Die Einen, die Germanischen, die mit ihren blonden Haaren und blauen Augen unmittelbar von den Eicheln der altdeutschen Urwälder abzustammen vorgeben, haben darum Börnen nie recht an sich herankommen lassen, haben sich seines Geistes, seiner Gesinnungen erwehrt, selbst wenn diese, wie früher z. B. bei Goerres mit der Tendenz des Herausgebers der Waage im Allgemeinen übereinstimmten. Die Andern, boshafter, als jene Phantasten, haben grade den verbissenen Groll eines nicht emanzipirten Juden geltend gemacht, um Börne’s uneigennützige Liebe zur Freiheit zu verdächtigen, haben das Häßlichste, was man nur im Durchschnitt vom jüdischen Charakter zu behaupten pflegt, in das Gemüth Börne’s ob er gleich Christ geworden, zurückzuleiten gesucht und ihm jene Lieblosigkeit, jenen zer-20setzenden Verstand angedichtet, welchen man gern für das Erbtheil der Juden ausgiebt. Die Wahrheit ist aber die, daß allerdings die jüdische Abstammung auf Börne’s Sinnes- und Denkweise von großem Einfluß war, daß ihm aber diese Abstammung noch um so mehr den Beruf gab, für die Freiheit Aller aus dem tiefsten Bedürfniß derselben zu wirken.

Es ist wahr, Börne hat erzählt, daß ihn der Juif de Francfort, welchen die Frankfurter Polizey einst in seinen Paß schrieb, bitter gekränkt und gestachelt hätte, sich einst dafür zu rächen. Aber woran hat er sich gerächt? Warlich nicht an etwas, das er um seinen Zorn zu kühlen, erfand, sondern an dem ganzen Zusammenhang jener thatsächlichen politischen Zustände, die es mit sich bringen, daß wir die Leibeignen unsrer Herrscher und die Juden wieder die Leibeignen unsrer Herrschsucht sind. Er fand, als ihm die Dinge und Menschen klar wurden, daß dieser Juif de Francfort nicht allein dastand, sondern daß eine und dieselbe Kette, die den Juden in schimpflicher Abhängigkeit hält, ihre Fortsetzung hat auch in die größten und kleinsten Kreise der christlichen Existenz. Das Eine verschmolz ihm mit dem Andern; es führten die Leiden alle zurück auf dieselbe Quelle.

21 So wie die Lage der Juden in Deutschland war und noch ist, muß es ein unseliges Gefühl seyn, unter ihnen geboren zu werden. Schon das Spiel des Kindes hat seine Gränze; denn was der christliche Knabe nicht durch sein eignes unschuldiges Herz zu hassen und zu verspotten lernt, lehrt ihn der Haß und der Spott seiner Eltern. Eingepfercht in häusliche Gewohnheiten, religiöse Sitten, für welche dem jüdischen Knaben das tiefe Verständniß abgeht, oder das er doch verliert, wenn die Bildung, die seinen Geist mit christlichen Stoffen schwängert, über ihn kömmt, ausgeschlossen von den Bahnen, welche christliche Gespielen und Schulfreunde für ihre Zukunft einschlagen, gefesselt an eine Gesellschaft, die in ihrer Abgeschiedenheit gar zu sehr in grelle Einseitigkeiten und wunderliche Richtungen verfällt, die der reifere Verstand bald durchschaut, ausgesetzt endlich den zahllosen Gehässigkeiten, welche sich die Christen im bürgerlichen Verkehre, in der Gesellschaft, in lokalen Beziehungen gegen die Juden erlauben - o das muß tief in ein edleres Gemüth einschneiden und Wunden hinterlassen, die, da der Zustand der Juden sich immer noch nicht bessern will, nie vernarben können. Der jüdische Kaufmann zerstreut sich vielleicht durch den glücklichen Erfolg 22 seines Gewerbes; aber der jüdische Gelehrte ist auf die traurigste Vereinsamung mit seinem Schmerze angewiesen. Hat er die Jugend mit den Nadelstichen für seinen Ehrgeiz hinter sich, so ist ihm nun die ganze Zukunft versperrt. Er hat die Früchte der Wissenschaft und Kunst brechen gelernt so wie wir, aber er darf sie nicht genießen. Alle Voraussetzungen der Bildung sind bei ihm dieselben wie beim Christen, ja er kann durch wissenschaftliche Einsicht sogar vom Christenthum eine höhere Idee haben, als mancher christliche Gelehrte sie hat, und doch bleibt er ausgeschlossen von einer Wirksamkeit für das Allgemeine, und muß, beschränkt auf seine Glaubensgenossen, eine Bitterkeit nähren, die seinem versöhnlichen Herzen sonst vielleicht ganz fremd geblieben wäre.

Aber Börne war noch unglücklicher als ein Jude; er war ein Jude in Frankfurt am Main! Ueberall pflegt doch wenigstens die Bildung den Juden für den Umgang in der Gesellschaft zu emanzipiren; in Berlin und Wien findet unter diesen Umständen kein Unterschied mehr zwischen den Bekennern beider Religionen Statt. Aber in Frankfurt ist die Schranke für das ganze Leben gezogen; denn selbst in Hamburg tritt die Großartigkeit des Weltverkehrs und der rein unter-23nehmende Charakter des dortigen Handels immer wieder bindend zwischen zwei Bereiche, die in der Gesellschaft sich allerdings auch dort wechselseitig ausschließen. In Frankfurt ist der Judenhaß bei den Christen eine aus den ältesten Zeiten überkommene Umgangstugend, eine Art fashionabler Sitte, von der sich weder der junge Elegant noch die junge Schöne ausschließt: selbst Bettina verrätht in ihrem Briefwechsel, daß sie zum Judenhaß erzogen wurde. Der alte reichsstädtische Uebermuth erprobte seine Kraft von jeher an der Hülflosigkeit der Juden, wofür nicht nur in Frankfurt Gemälde zeugen, die früher dort an öffentlichen Gebäuden die Unterdrückung der Schutzbürger versinnlichten, sondern noch eine Menge von Sitten und Rechten, die, da sie gesetzlich nicht aufgehoben sind, jeder Christ gegen einen Juden in Anwendung bringen dürfte, wenn sie durch die fortschreitende Bildung der Zeit nicht in Vergessenheit gekommen wären. Zu Börne’s Jugendzeit wurden noch die Juden um eine bestimmte Stunde der Nacht in ihrem traurigen Quartier, der von Spindler zum Schauplatz eines Romans gewählten Judengasse, eingeschlossen; auf ihren Spaziergängen um den Wall durften sie nur den Fahr- nicht den Fußweg betreten; das Mach Mores, Jud! hat bekanntlich 24 Börne selbst sehr witzig auf den frankfurter Senat angewandt, der nun auch vor den fremden bei ihm eingelegten Garnisonen Mores machen müsse. Die vierzehn nur erlaubten jährlichen Ehen sind zwar der Aufklärung der Zeit gewichen; sogar einige der reichsten Banquiers sind in das christliche Casino aufgenommen worden; aber sonst dauert die Abneigung und die Trennung immer noch fort. Der jüdische Knabe ist in der kecken Sprache der Stadt ein „Juddebub“; die Casinos und die Gesellschaften vermischen sich nicht, die jungen noch so reichen und höchst gebildeten jüdischen Damen kommen mit den weiblichen Sprößlingen der stolzen Patriziergeschlechter in keinerlei Berührung; nur im Theater und Conzert läßt sich die Begegnung nicht vermeiden; sogar die Freimaurerlogen, die doch der Bruderliebe und dem Gott, der das „höchste Wesen“ ist, mag er nun Brahma, Allah, Jehova oder Christus heißen, gewidmet sind, selbst diese schließen sich einander aus und mauern jede nach ihrem eignen Religionsbekenntnisse. Wenn sich auch hier wohl Manches zur Entschuldigung der Christen sagen ließe, und die Absondrung, deßwegen, weil die Juden meist sehr wohlhabend sind, und immer den Chef von Frankfurt, Rothschild, an ihrer Spitze haben, 25 öfters beinahe wie eine Farce herauskömmt, so kann sie doch für ein tieferes Gemüth nur verletzend wirken. Bei Börne war dies sicher der Fall; wenn ihm auch sein Talent, aus diesem ganzen Wust die Philisterey herauszuerkennen, davon eine mehr heitre, als trübsinnige Auffassung gestattete.

Ueberhaupt irrt man sehr, wenn man bei Börne in Betreff seiner jüdischen Herkunft jene übergroße Empfindsamkeit voraussetzt, die jetzt in der Behandlung der Emanzipationsfrage Sitte geworden ist. Freilich, da er früh Christ wurde, mag in ihm diese Stimmung auch schon allmälig verklungen seyn; in der Weise, wie sie sich z. B. in „den trauernden Juden vor Babylon“ und ähnlichen Versinnlichungen des Judenschmerzes ausspricht, kam sie entweder bei ihm nicht mehr auf oder hielt nicht lange an. Um aufrichtig zu seyn, Börne verhielt sich weniger emphatisch zu den neuern Versuchen für die Judenemanzipation, als manche seiner frankfurter Freunde gern gesehen hätten. Es störte ihn theils die Einseitigkeit einer solchen Freiheitserklärung, die gleichsam nur für eine Classe von Menschen fast aristokratisch erfolgen sollte, während er die ganze Menschheit in Fesseln und Banden sah; theils kannte er die innre Organisation der jüdischen Gesellschaft zur 26 Genüge, um nicht zu fürchten, daß der Geist der Geldsucht, die rein materielle Richtung der meisten Juden sich mit den Drängern der Menschheit verbinden und sich auf die Masse des ganzen Volkes werfen würde. Deßhalb wünschte er, daß sich die Rothschilds taufen ließen. Wenn er auch in seinen Briefen dagegen protestirt, daß er die Rothschild’s hasse, so entsetzte er sich doch vor der politischen Stellung, die die vorzugsweise jüdische Börse im modernen Europa einnahm, vor diesem Geist der Anleihen und der Papierspekulationen, wo mit den Thränen und dem Blut der Völker die Course der Staatseffekten notirt werden. So viel Mitleid er mit dem armen Manne hatte, der durch die Straßen seinen Zwerchsack trägt und nach den Fenstern der Häuser Handle! hinaufruft, so abscheulich war ihm der Vorschub, den die reiche Judenschaft der weltlichen Tyrannei leistet, so widerlich war ihm der Ehrgeiz der reichen Judenfamilien, wenn sie des Umgangs mit der christlichen Aristokratie sich rühmten und glücklich waren, ihre Töchter auf dem Ball eines Gesandten tanzen zu sehen. Börne hatte auch kein Interesse an der neuerdings üblichen zu übertriebenen Herausstellung der Nationalität und der sittlichen Sonderung, sondern wünschte eine Verschmel-27zung, eine völlige Germanisirung des Judenthumes; wenigstens lassen sich die Stellen in seinen Briefen, wo er den ihm werdenden Mahnungen, sich der Judensache besser anzunehmen, ausweicht, nicht anders erklären; vor allen Dingen war ihm diese Sache keine Frage für sich, sondern sie hieng ihm mit den Hoffnungen des ganzen deutschen Volkes, mit der Freiheit der ganzen Menschheit zusammen.

Börne’s Großvater war Finanzagent am ehemaligen Kurfürstl. Cöllnischen Hofe und wohnte in Bonn. Wer von ihm erzählt, nennt ihn einen „feinen Mann,“ worunter ein sicheres Auftreten in der Gesellschaft, ein rücksichtsvolles Benehmen gegen Vornehme und Niedre, gelernt in der Schule des Hofes, zu verstehen ist. Er soll bei einer Vakanz des kurfürstlichen Stuhles für einen österreichischen Erzherzog sich sehr thätig bewiesen und ihm die Mehrzahl der Wahl-Stimmen am Capitel zugewandt haben, woraus sich zum Theil die freundlichen Beziehungen desselben und später seines Sohnes zum Wiener Hofe erklären lassen. Maria Theresia bekannte sich als ihm für diesen, einem ihrer Söhne geleisteten Dienst dauernd verpflichtet und gab ihm die Versicherung, daß er und seine Kinder zu allen Zeiten in Oesterreich jeglichen Vorschub für 28 ihre Unternehmungen finden würden. Im ererbten Besitz eines solchen Gelöbnisses mußte es Börne’s Vater allerdings schmerzen, seinen Sohn auf so politisch unpraktischen Wegen wandeln zu sehen, als er später einschlug. Der Großvater kam öfters nach Frankfurt und beredete mit seinen Söhnen die Ausführung großer Aufträge, die er von seinem Hofe, von dem reichen Adel dortiger Gegend empfing. Im Revolutionskriege besorgte er für die belgisch-österreichischen Stände Lieferungen und machte dadurch, daß auch Börne’s Vater wenig an seine häusliche Einrichtung gefesselt blieb, sondern fast immer auf Reisen war. Das Verhältniß des jungen Börne und seiner Geschwister zum Großvater war streng patriarchalisch. Sie waren gelehrt, ihn für einen außerordentlichen Mann zu halten und standen in ehrbietiger Entfernung, wenn sie den Gasthof zum weißen Schwanen besuchten, wo der Hofagent einzukehren pflegte. Der junge Börne, schüchtern und seiner Schweigsamkeit wegen von seinen Geschwistern geneckt, hatte sich bei einer solchen Gelegenheit einmal des in der Familie wie ein heiliger Seherausspruch verehrten Wortes vom Großvater zu erfreuen: „Laßt mir den Jungen gehen; das giebt noch einmal einen großen Mann!“ Diese Prophezei-29hung wurde in der Familie oft wiederholt und Börne kam wohl im vertrauten Kreise nicht ohne Humor selbst darauf zurück.

Börne’s Vater war ein strenger, verschlossener Mann, der, selbst gegen seine Eltern im Verhältniß der Abhängigkeit, ein gleiches bei seinen eignen Kindern voraussetzte. Er besaß Weltbildung genug, um die Verhältnisse des Lebens mit Leichtigkeit zu übersehen, und Formen für den Umgang, sich in sie bald hineinzudenken. Er würde mit seinen eignen Talenten mehr hervorgetreten seyn, hätte er sich in einer selbstständigeren Lage befunden. So aber zwang ihn die Beziehung zu seinen Eltern, Ansichten und Pläne zu verfolgen, die seiner eignen Bildung und seinen eignen Wünschen schwerlich immer entsprachen. Um dem Ehrgeiz seines Vaters zu schmeicheln, bemühte er sich, Vorsteher der jüdischen Gemeinde in Frankfurt zu werden, eine Ehrenstelle, die nur durch den äußren Schein der strengsten Anhänglichkeit an das jüdische Gesetz erreicht und behauptet werden konnte. Das Vertrauen seiner Glaubensgenossen zeichnete ihn auch in der That auf mannichfache Weise aus. Er wurde Vorsteher und Mitglied vieler Ausschüsse, die bei außerordentlichen Gelegenheiten zu Nutz und From-30men der Gemeinde niedergesetzt wurden. Er war Mitglied jener Botschaft, welche die Frankfurter Juden auf den Wiener Congreß schickten, um ihr wohlerworbenes Bürgerrecht gegen die Eingriffe der Restauration zu sichern. Ein ihm dafür von der Gemeinde angebotenes Geschenk von Fl. 8000. wies er zurück*). In seiner Häuslichkeit war Börne’s Vater nicht ohne Liebe; aber er hatte den Grundsatz, daß man seine Liebe verbergen müsse: er gab sich den Schein der Strenge, ohne deßhalb verhindern zu können, daß sich die Kinder an die Maske, nicht an das, was dahinter steckte, gewöhnten. Börne sagte einmal von seinem Vater: „Er hat zu viel Verstand für seine Stellung“ und schien damit ausdrücken zu wollen, daß er sich den Umständen unterzuordnen pflegte; eine Tugend, die er so gern auch bei seinem Sohne ausgebildet hätte. Es gelang ihm nicht und daher die fortdauernde Spannung zwischen beiden. Die politischen Grund-31sätze, für welche Börne später auftrat, hatte sein Vater Verstand genug, als solche zu billigen, aber er fand es unbesonnen, sie auszusprechen. Ich lese, sagte er einmal, ich lese gern, was in seinen Schriften steht; aber ich wünsche nicht, daß es mein Sohn geschrieben. Hätte Börne den Empfehlungsbrief von Maria Theresia genommen, wäre nach Wien gereist und hätte sich im österreichischen Cabinet anstellen lassen, so würde er grade Dasjenige getroffen haben, was ihn mit seinem Vater hätte aussöhnen können. - Börne’s Mutter war eine einfache Frau, die ohne wesentlichen Einfluß auf Börne’s Gemüthsentwickelung geblieben ist. Von seinen Geschwistern liebte er besonders zärtlich eine Schwester (jetzige Madame Spiro in Frankfurt) und einen zu früh verstorbenen, sehr talentvollen jüngern Bruder. Zwey andre Brüder leben noch gegenwärtig in Frankfurt am Main.

Jacob Sachs, ein um die Fortschritte der Erziehung in Frankfurt a. Main verdienter Pädagog, wurde als junger Mann von dem grade in Lüttich abwesenden Vater Börne’s aufgefordert, die Erziehung seiner drei Söhne zu übernehmen und zu dem Ende das in der Judengasse belegene Baruch’sche Haus zu beziehen. Die Bedingung, welche Herr Baruch machte, 32 konnte für den jungen Pädagogen nicht erfreulich seyn. Dieser, von den aus Berlin strömenden Reformationsideen eines Mendelssohn und Friedländer fortgerissen, erhielt hier die strengste Anweisung, seine Erziehung lediglich auf die jüdisch-herkömmliche zu beschränken und auf die gewissenhafteste Beobachtung des Ceremonialgesetzes zu sehen. Die Kinder des Herrn Baruch sollten religiös d. h. orthodox erzogen werden. Sie sollten zwar die Bibel nach der schon üblichen Mendelssohn’schen Uebersetzung verdeutschen lernen, zu gleicher Zeit aber auch in den Satzungen des Talmud heimisch werden und streng befolgen, was dem frommen Juden die Sitte seiner Väter zu thun befiehlt. Der Vater, der sonst für einen aufgeklärten Mann galt, der sich auch in spätern Jahren allmälig mehr von dem Gewissenszwang der Cermonie lossagte und schon damals, auf seinen vielfachen Reisen wenigstens, sich nicht scheute, die Bequemlichkeit der christlichen Gasthöfe wie ein jeder Andre zu genießen, stellte doch den Grundsatz auf, daß sich für die Jugend Gehorsam unter das Gesetz zieme. Er wollte, daß die spätre moralische Freiheit seiner Kinder sich wenigstens aus einer positiven Grundlage selbst hervorbilde. Verwandschaftliche Rücksichten kamen hinzu. Man muß wissen, daß da-33mals die Orthodoxie unter den Juden noch die Regel, die Aufklärung eine Ausnahme war, daß unter den Juden, ihrer Vermögensverhältnisse wegen, viel Nachgiebigkeit gegen die Vorurtheile der Großeltern und andrer Verwandte zu herrschen pflegte und eine gewisse Verketzerungssucht denjenigen das Leben sauer machte, die ihre Kinder etwa freier erziehen ließen, als es Tanten und alte reiche Oheime wissen durften. Bei Börne’s Vater kam sogar ordentlich eine philosophische Maxime den äußern Rücksichten, die er zu nehmen hatte, zu Hülfe. Die Kinder sollten orthodox erzogen werden.

Der neue Lehrer betrat das in der Judengasse belegene Haus des Herrn Baruch. Man weiß, daß alle Juden damals in jener schmutzigen Gasse wohnen mußten, die sich ursprünglich bis zu der Einmündung in die Fahrgasse erstreckte, wo jetzt Rothschild wohnt. Ein Brand war mitleidiger als der Senat Frankfurts. Er zerstörte einen Theil der finstern Gasse - die Juden mußten ein neues Quartier haben und kehrten nicht mehr in ihren Ghetto zurück. Vordem aber mußten selbst die reichsten Familien sich in den engen kleinen Häusern behelfen. Das Baruch’sche Haus, winklig, eng, mag jetzt keine tausend Gulden 34 werth seyn; damals bei noch größerem Werthe des Geldes mochte es gut und gern 20,000 gelten. In diesen kleinen Zimmern konnte von Pracht und Geschmack des Ameublements nicht die Rede seyn, wenn auch wohl ein gewisser Comfort der Wohlhabenheit nicht fehlte. Börne’s Vater hatte einmal die Absicht, nach Bonn zu seinem Vater zu ziehen und kaufte eine sehr geschmackvolle Einrichtung. Als sich der Plan zerschlug, mußten die Möbel verkauft werden; in der Judengasse war kein Raum und zu wenig Licht dafür.

Der Lehrer betrat das Haus und glaubte, ihm würde nur über zwei Knaben die Sorge anvertraut werden oder der dritte wäre wenigstens nicht ein Kind vom Hause. Zwei Knaben waren beständig um die Mutter; einer stand abseits, nahm an dem, womit sich die Andern beschäftigten, wenig Theil und schien fremd oder eingeschüchtert zu seyn. Es war der künftige Börne. Ist das ein angenommenes Kind? fragte der Lehrer bei einem vorläufigen Besuche. Die Mutter lachte und bemerkte, es wäre ihr zweiter Sohn, Löb. Er war der Gestalt nach unansehnlicher als die beiden andern Brüder; ein Flecken auf dem Auge gab seinem Blick etwas Unsichres und Abgewandtes. Bald entdeckte der Lehrer, daß sich der Knabe nicht ganz 35 aus freiem Antriebe so zurückgezogen hielt: er fand, daß er zwar dem Herzen der Mutter nicht fremd war, daß aber ein regierender Hausgeist es gern dahin gebracht hätte. In jüdischen Familien fand man vor etwa dreißig Jahren noch oft einen ältern weiblichen Dienstboten, der von einer Generation zur andern hinüber vererbt wird und eine Herrschaft im Hause führt, der sich oft die Brodherren selbst nicht zu widersetzen wagen. Diese alten Rebecken, Rachel, Rosinen, Täubchen u. s. w. haben schon die Eltern auf dem Schooß getragen, wie viel größer ist ihre Macht über die Kinder und die Enkel! Sie lenken die Ordnung des Hauses, sie passen dem übrigen Gesinde auf den Dienst, sie wachen, daß bei der Zubereitung und Auswahl der Speisen nichts dem Gesetz Zuwiderlaufendes vorkommt. Sie sorgen dafür, daß sich die Kinder den religiösen Vorschriften in keinem Falle entziehen dürfen und nehmen die Angebereien gerne an, wenn eines das andre verklagt, daß dieser am Sabbath sich den Rock gebürstet, jener von einer unerlaubten Speise gegessen oder an einem Fasttage heimlich genascht hätte. Ein solcher höchst streng und eigenmächtig waltender Hausgeist war in der Baruch’schen Familie die alte Elle. Sie hatte wenig Neigung zu dem mittleren, minder 36 hübschen und verschlossenen Knaben. Gab es eine Näscherei, so wurde sie in ungleiche Theile gelegt; Löb bekam den schlechteren. War eine Unordnung vorgekommen, wer konnte die Ursache anders gewesen seyn, als Löb? Sie verfolgte das Kind mit einer Abneigung, die sich selbst der Mutter hätte mittheilen können (der Vater war meist immer auf Reisen) wenn nicht glücklicher Weise der neue Lehrer dazwischen getreten wäre und den armen Knaben mit seinen Brüdern in gleiche Rechte eingesetzt hätte.

Es ist nicht zu verkennen, daß diese eigenthümliche Stellung, die Börne als Kind in seinem elterlichen Hause hatte, besonders die ungerechte und hartherzige Verfolgung der alten Elle viel zur Entwickelung seines spätern Charakters beigetragen hat. Indem er sich zurückgesetzt fühlte, lockerte sich das Band, welches ihn an seine Umgebungen fesselte. Eine gewisse Gleichgültigkeit beschlich sein Gemüth, er wurde minder reizbar für Freud und Leid, und gewöhnte sich, fremde Interessen mit einer Ruhe zu beobachten, die man ihm in spätern Jahren mit großem Unrecht oft als Herzlosigkeit ausgelegt hat. Zu gleicher Zeit fieng der Knabe schon früh an, sich gegen die Unbill namentlich der alten Elle mit den Waffen der Satyre zu 37 vertheidigen. Er gab, da er ohnehin in seinen glücklichen Geistesgaben bald von seinem Lehrer anerkannt und nach Verdienst bevorzugt wurde, gewöhnlich so treffende Antworten, daß er die ihm feindlichen Elemente des Hauses zum Lachen zwang und dadurch allmälig mit sich aussöhnte. Die Mutter, der, wie man sich wohl denken kann, der Witz und der Verstand des Knaben schmeichelte, bezeichnete ihn mit dem ihm von der Elle gegebenen Namen Katev (Witzbold), mit dem er später lange Zeit im Hause gerufen wurde. Besonders mußte, je älter der Knabe wurde, die alte Elle seine Satyre erfahren. Sie suchte zwar, da sie über ihn lachen mußte, seine Ausfälle zu erwiedern, aber er blieb keine Antwort schuldig, und griff zuletzt nicht selten zur Malice. Sie sagte ihm z. B. einmal: „Wirst du Rabbi, so läßt sich die ganze Gemeinde taufen.“ „Nun,“ antwortete er, „so bleib’ ich der einzige Jude und verderbe deinen beiden Söhnen (sie hatte zwey und sorgte ängstlich für deren Wohl) ihren ganzen Handel.“ „Du kommst gewiß in die Hölle;“ sagte sie ihm ein andermal. „Das thut mir leid entgegnete er, so hab’ ich auch noch im Jenseits keine Ruhe vor dir.“

38 Ungeachtet der Lehrer alles aufbot, zwischen seinen drei Zöglingen jeden Unterschied der Bevorzugung aufzuheben, so gelang es ihm doch nicht, dem Knaben die Neigung zum Isoliren und Entferntstehen, die einmal in ihm vorherrschte, gänzlich zu nehmen. Ungern schloß er sich anderen Knaben an; selten, daß er Theil an ihren Spielen nahm. Er hatte keinen Sinn dafür; kaum, daß man ihn bewegen konnte, auf der Pfingstweide vor den Thoren Frankfurts so wie andre Knaben seinen Drachen steigen zu lassen. Er wurde des Spieles bald überdrüssig und begnügte sich, zuzusehen oder mit seinem Lehrer sich zu unterhalten. Seine Wißbegierde und Aufmerksamkeit war musterhaft. Eben so glücklich war er im Auffassen; doch gieng die geistige Selbstthätigkeit bei ihm etwas langsam von Statten; dafür haftete das einmal Erfaßte desto dauernder und diente wirklich dazu, seine Denkkraft zu stärken. Sein Lehrer konnte früh abnehmen, daß unter den drei Brüdern der mittlere den meisten Beruf zum einstigen Gelehrten haben würde.

Bei dieser Wahrnehmung mußt’ es Jacob Sachs nur um so schmerzlicher sein, daß der Vater den Umfang seines Unterrichts nur auf den Bereich des jüdischen Wissens ausgedehnt hatte. Man denke sich einen 39 Erzieher, der mit heiligem Eifer für die damals namentlich von Berlin ausgehende Idee einer Reformation des Judenthums auf dem Wege der Jugendbildung schwärmte, der, selbst noch jung, so gern Gelegenheit gehabt hätte, durch die Verpflichtung, in den Realfächern zu unterrichten, sich selbst noch zur weitern Ausbildung gespornt zu sehen, denke sich einen Erzieher, der im Grunde seines Herzens an dem ganzen Wust der talmudischen Gelehrsamkeit und des Ceremonialheuchelgottesdienstes einen Ueberdruß hatte: wie mußt’ er bei den ewigen Vorschriften des Vaters leiden: Ueberschreiten Sie die traditionelle Erziehung nicht! Die Kinder erhielten von einem Lehrer, der in’s Haus kam, mangelhaften Unterricht im Deutschen; der Hauslehrer mußte dagegen Hebräisch mit ihnen treiben. So viel wie möglich suchte er auch hier dem neuen Geiste der Zeit zu huldigen; er las mit seinen Zöglingen Stücke aus dem hebräischen Kinderfreund, dem Aftalgon von Wolfson (dem Lehrer Michel-Wilhelm- und Meyerbeer’s). Er erklärte ihnen nach Friedländer das jüdische Gebetbuch und ließ sie die wichtigsten Stücke desselben auswendig lernen. Er begleitete sie in die Synagoge, welche die Kinder täglich Morgens und Abends besuchen mußten.

40 Alle diese Unterweisungen und religiösen Anleitungen nahm der junge Börne nur mechanisch auf. Möglich, daß seine Klugheit bald dem Lehrer abmerkte, mit welchem Widerwillen dieser die Zeit auf unnütze, später doch der Vergessenheit anheim fallende Dinge vergeudet sah, während er lieber, auch zu seiner eignen Anregung, in Geographie, Arithmetik, in deutscher Sprache und Grammatik seine Zöglinge unterrichtet hätte. Die Lektüre der religiösen Schriften der Juden ließ den Knaben eben so kalt, wie der Besuch der Synagoge. Alles, was an den Gebeten der Juden eine poetische Färbung trug, gefiel ihm wohl; andres kam ihm dagegen eher lächerlich, als erbaulich vor. Es gefiel ihm, daß man betete für die Wiederherstellung des Tempels und die Rückkehr der Juden in ihr Vaterland; es mißfiel ihm aber, daß auch die Opfer wieder hergestellt werden sollten. Die Wendung, die ihm sehr geläufig war: das ist dumm! kam hier oft vor. Viele religiöse Vorschriften und Gebote, z. B. das Gebot: halte richtiges Maaß und Gewicht - im Nassen und Trocknen! schienen sich ihm von selbst zu verstehen. Mit einem Worte das ganze Wesen sprach ihn nicht an.

Obgleich der Knabe von der größten Ehrfurcht vor den Büchern des alten Bundes durchdrungen war 41 und in ihnen eine unmittelbare Offenbarung Gottes zu sehen gelernt hatte, so regten sich doch bei seinem zur stillen Reflexion geneigten Verstande schon frühe mancherlei Zweifel. Schillers Sendung Mosis fiel ihm in die Hände. Er fand hier, daß der Erzählung von dem großen Gesetzgeber seines Volkes Alles Mythische und Wunderbare genommen war und erstaunte darüber um so mehr, als ihn sein Lehrer bedeutet hatte, daß die Christen sich zum alten Testament mit derselben Ehrfurcht verhielten, wie die Juden. Auch die jüdischen Briefe des Marquis d’Argens kamen ihm in einer deutschen Uebersetzung zur Hand. Der Lehrer nahm sie ihm fort, ehe er sich über sie noch ein anderes Urtheil gebildet hatte, als daß er seine Verwunderung ausdrückte, wie ein Christ zu so viel hebräischer Gelehrsamkeit käme! Bei dem Allen mußte er die Vorschriften des Gesetzes genau beobachten, durfte nie Brot essen, ohne sich die Hände gewaschen zu haben und begann auch schon, an den Fasttagen Theil zu nehmen. Ein alter Geistlicher, Rabbi Joseph, kam wöchentlich ins Haus, um in religiösen Dingen nach dem Rechten zu sehen, eigentlich aber wohl nur, da er sehr beschränkt war, um sich seinen Almosen zu holen.

42 Der Lehrer gab sich alle Mühe, die aufstrebende Zweifelsucht des Knaben niederzuhalten; besonders aber suchte er ihn von einer bittern Beurtheilung des Verhältnisses der Juden zu den Christen abzubringen. Vergebens. Der Knabe grübelte fortwährend über die schimpfliche Zurücksetzung seiner Glaubensgenossen und bedrängte seinen Lehrer mit Fragen, auf welche sich nur eine seufzende Antwort geben ließ. Der Lehrer sagte ihm: Siehst du nicht, auch die Katholiken sind in Frankfurt zurückgesetzt und können nicht der gleichen Rechte mit den Protestanten sich rühmen? Börne fand dies noch um so auffallender, als ja der Kaiser selbst katholisch wäre. „Kaum, bemerkte er, haben sie Den kürzlich mit großem Gepränge gekrönt, und wollte er hier bleiben und in Frankfurt ansäßig werden, so könnte er ja nicht einmal Thorschreiber werden!“

Das erste Mal, wo er auf die Lage der Juden zu sprechen kam, war bei einem Spaziergange um die Thore Frankfurts. Es regnete stark und der Fahrweg war durch Koth fast unwegsam. Wir wollen hinüber gehen in den Fußweg, sagte Börne zu seinem Lehrer. Weißt du nicht, antwortete dieser, daß uns der Fußweg verboten ist? Die Antwort des Knaben, die hierauf erfolgte: Es siehts ja Niemand! nahm der 43 Lehrer zum Anlaß moralischer Beherzigungen und sprach von der Heiligkeit des Gesetzes. „Ein dummes Gesetz! fiel der Knabe ein; wenn es nun dem Bürgermeister beikäme, daß wir Winters kein Feuer machen dürften, würden wir da nicht erfrieren?“ Als einige fremde jüdische Bettelknaben von vorübergehenden Christenknaben mit Koth beworfen wurden, wunderte er sich erst, wie man darauf käme, das Wort Jude als Schimpfname zu gebrauchen und sagte dann: „Sie lehren mich immer, die Christen hielten auch etwas aufs alte Testament; aber steht denn nicht im alten Testamente: Du sollst den Fremden nicht kränken; denn einst warst du auch ein Fremder im Lande Egypten?“

Der Lehrer, obgleich tief die Wahrheit dieser Aeußerungen mitfühlend, hüthete sich doch, die Erbitterung des Knaben zu nähren und war unermüdlich, ihm Beispiele der Toleranz zu erzählen, ihm die Gesinnungen bessrer Christen seiner Bekanntschaft zu schildern. Aber auf Schritt und Tritt begegneten sie ja immer wieder einer neuen Beleidigung der im Juden nicht geachteten Menschenwürde! Wurden öffentliche Belustigungen vor dem Thore angesagt, kein Jude durfte hinaus. Blanchard stieg zum ersten Male in Frankfurt mit einem Luftball in die Höhe, die Juden 44 durften den Segler nur aus ihrem Quartier verfolgen. Reisten hohe Herrschaften durch die Stadt und wurden mit Festlichkeiten geehrt, so schloß man die Juden in ihrer Gasse ab oder fieng sie auf, wie bei der Krönung Leopold des Ersten, wo die angesehnsten Mitglieder der jüdischen Gemeinde auf der Straße arretirt und in die Hauptwache geführt wurden. Die meisten Gasthäuser waren ihnen untersagt. Auf dem jetzt eingegangenen Schneidewall, im Roß, auf dem Römerberg an der Seite des Römers, in der Allée, durfte kein Jude sich betreffen lassen; man hatte den Grundsatz: „wo ein grüner Raum kein Jude!“ Jeden Sonntag, um 4 Uhr Nachmittags, wurden die Thore der Judengasse verschlossen und nur derjenige wurde aus- und eingelassen, der einen Brief zur Post oder ein Rezept in die Apotheke trug. Wache stand am Thore, und finster sagte einmal der Knabe Börne: „Ich gehe bloß nicht hinaus, weil der Soldat da stärker ist, als ich!“ Und doch konnte sich der Knabe, der schon frühe großen Hang zur Wohlthätigkeit zeigte, entschließen, als er von zwei Bettelknaben, einem jüdischen und einem christlichen, angesprochen wurde, seinen Almosen dem letztern zu geben. Warum giebst du deinem Volke nicht den Vorzug? fragte der Lehrer, verwundert und 45 fast unwillig. Haben wir nicht gestern, antwortete der Knabe, Sprüche Salomonis gelesen, du sollst glühende Kohlen auf das Haupt deines Feindes sammeln? Der Lehrer war aber so gewissenhaft, daß er dies schöne Gefühl deßhalb nicht aufkommen ließ, weil es auf einer irrthümlichen Voraussetzung beruhe, nämlich der, daß die Christen die Feinde der Juden wären. So bekam Börne eine Richtung, die die verbissenen rückhaltigen Gefühle des Grolles unterdrücken sollte, eine Richtung, die ihn in seinem spätern Leben auch so sehr beherrscht hat, daß er von dem ingrimmigen Gefühl der Rache gänzlich frei war und die Lage der Juden rein nach Vernunftgrundsätzen, nicht aus einem verletzten Ehrgefühl beurtheilte. Sein Witz war ihm schon früh ein Hülfsmittel, sich aus widerwärtigen Stimmungen zu befreien. Als der Lehrer ihm erzählte, aus der Gefangenschaft in Babylon wären nur 40,000 Juden wieder nach Palästina zurückgekehrt, sagte er: „Wenn wir wieder nach Palästina zurück dürfen, gehen die französischen Juden gewiß nicht hin; die Frankfurter aber ganz gewiß.“

Die gleichzeitigen Vorgänge der französischen Revolution blieben zwar in ihren Hauptmotiven dem Knaben unverständlich; aber einige Begriffe davon 46 wurden ihm um so eher klar, als sein Lehrer bekennt, mit vielen andern jungen Leuten von den schönen Hoffnungen, die man damals an die Erklärung der Menschenrechte knüpfte, selbst mit fortgerissen gewesen zu sein. Die jungen Leute bildeten auch in der Frankfurter Judengasse einen Clubb, in welchem sie Ansichten und Neuigkeiten austauschten. Man nannte die Theilnehmer, um sie schnell mit einem Wort bezeichnen zu können, Jakobiner. Der Lehrer Börnes nahm gewöhnlich die Kinder mit in diesen Klubb. Während seine Brüder mit andern Knaben spielten, hörte Börne nicht selten den Erörterungen der jungen Freiheitsfreunde zu. Die häufige Erwähnung des Adels bestimmte ihn eines Tages, seinen Lehrer nach der Bedeutung dieses Ausdrucks zu fragen. Die Erklärung eines gegen unser natürliches Gefühl sich richtenden Instituts war ohne Bitterkeit nicht leicht. Gleich die erste Voraussetzung, daß ein Sohn von den Vorzügen seines Vaters eine Auszeichnung in der Gesellschaft ansprechen dürfe, prallte an dem gesunden Verstande des Knaben ab. Daß der Adlige auch mehr Sorge dafür trage, seine Kinder, des Adels würdig, zu erziehen, beschwichtigte ihn nur für einige Zeit. Er wollte den Adel als Titel nicht gelten lassen; wie 47 brauste er erst auf, als er hörte, daß der Adel ein Privilegium wäre! In seinem zwölften, dreizehnten Jahre ließ er sich von seinem Lehrer über nichts mehr, was ihm unklar war, obenhin beschwichtigen. Er hatte die Art, oft Tage lang über eine ihm gegebene Antwort und Bedeutung zu schweigen und dann plötzlich, wo der Lehrer längst den Gegenstand vergessen glaubte, mit seinen Bedenken hervorzubrechen. Der Schmerz, den man allgemein über die Hinrichtung Ludwig XVI. aussprach, theilte sich ihm selbst mit; er begriff nicht, wie man auf der einen Seite tugendhaft und so unglücklich sein könne, auf der andern, wie sich die große Idee der Freiheit von einem ganzen Volke so misbrauchen ließe! Die Lösung dieser beiden Widersprüche gelang Börnen erst im gereiftern Alter; wer weiß, ob nicht erst nach der Julirevolution!

Die Lesesucht, ein selten trügendes Wahrzeichen talentvoller Kinder, ergriff auch den Knaben Börne mit solcher Gewalt, daß er zehn Stunden lang sich in ein Buch vertiefen, Essen und Trinken darüber vergessen und seiner Umgebungen nicht gewahr werden konnte. Der Büchervorrath des Vaters und seines Hauslehrers bot wenig Abwechselung dar. Er las oft in einem Werke, welches Aphorismen über Staat, 48 Kirche und vermischte Gegenstände enthielt, aus dem Französischen des Borgne, er las Schröckhs Weltgeschichte, Schillers Geschichte des dreißigjährigen Krieges. Alte Memoiren wechselten mit Blumauers travestirter Aeneide, Schubarts, des Patrioten, Gedichte mit den alten Jahrgängen der Neuwieder Zeitung, welche in den neunziger Jahren wegen ihres Witzes und Freimuths sehr beliebt war. Seinen eigenen spätern Aeußerungen zufolge las er (vielleicht erst später in Gießen) heimlich viel Romane von Lafontaine, die er sich ohne Vorwissen seines Lehrers zu verschaffen wußte. Jeder gedruckte Buchstabe schien ihm lesenswerth, so daß er sich sogar in Bücher vertiefte, die ihm auch nicht das geringste Interesse gewähren konnten.

Auf den Unterricht seiner Kinder verwandte Herr Baruch viel Sorgfalt. Da er sie nun fest glaubte in der Kenntniß des Hebräischen und der Religion, so räumte er auch eine weitre Ausbildung in Sprachen und Realwissenschaften ein. Ein Hauptgegenstand des Unterrichts war die deutsche Sprache. Obgleich die Kinder keinen Umgang mit gewöhnlichen Judenknaben und dadurch sich ein fehlerhaftes Gewälsch in der Sprache anzugewöhnen Gelegenheit hatten, so bot doch selbst 49 das eigne Haus nicht die sicherste Sprachschule dar und der Hauslehrer selbst gesteht, über die grammatischen Gründe und Regeln der deutschen Sprache damals nicht ganz taktfest gewesen zu seyn. Wie daher Sachs seinen Unterricht dazu benutzte, sich selbst noch auszubilden und mit seinen Zöglingen zu lernen, so bot auch der Unterricht in der deutschen Sprache um so größre Schwierigkeiten dar, als sich der Lehrer in der Auswahl einer passenden Grammatik vergriff und dem Unterrichte gleich die philosophische Sprachlehre Adelungs zum Grunde legte. So dunkel und abstrakt nun auch die einzelnen Paragraphen derselben waren, so sehr sich auch der Lehrer selbst Mühe geben mußte, sie immer zu begreifen; der junge Schüler ließ sich diese Mühe nicht verdrießen, sondern dachte sich langsam, aber gründlich und völlig bewußt in die Schwierigkeiten dieses übel gewählten Leitfadens hinein. Früh war bei ihm eine Anlage zu eigenthümlicher Ausdrucksweise bemerkbar; aber in der grammatisch-orthographischen Regelrichtigkeit blieb der Knabe noch sehr zurück, um so mehr, als ihm durch seinen Umgang nicht möglich wurde, immer ein gutes und gebildetes Deutsch zu hören. Der Hauslehrer räumt ein, daß Börne die Grundlage der Grammatik erst bei seinem spätern 50 Gießner Lehrer Dr.Schapper legte, ja er will behaupten, daß Börne selbst später als Schriftsteller nicht frei von Incorrektheit geblieben sey. Wenigstens ist so viel wahr, daß allerdings die frühsten Manuscripte Börne’s mit einer etwas unsichern Orthographie geschrieben sind.

Für die Erziehung und den Unterricht ihrer Jugend hatte damals die jüdische Gemeinde in Frankfurt noch wenig gethan. Nur zwei Lehrer gab es, die die Häuser der reichern Juden besuchten und dem immer dringender werdenden Bedürfnisse nach Bildung allein nicht abhelfen konnten. Christliche Lehrer giengen nicht in die Judengasse, um dort zu unterrichten. So fieng man denn an, die Knaben den christlichen Lehrern ins Haus zu schicken. Der junge Börne ging zu seinem Schreiblehrer Ernst um so lieber, als er dort mit Toleranz und Schonung behandelt wurde und sich keiner Zurücksetzung gegen christliche Kinder versehen durfte. Als später die Emigrirten in Frankfurt einzogen und sich theilweise durch Lektionen ernähren mußten, boten sich den Juden bessre Aussichten für ihre Kinder dar. Der Klavierlehrer der Familie war ein kurkölnischer Emigrant, Namens Buchwieser. Abbé Marx aus Nancy gab den Unterricht im Fran-51zösischen. Die feinen und artigen Manieren dieses Mannes machten auf den Knaben einen so günstigen Eindruck, daß er in seinem Vorurtheil gegen die Christen beinahe wankend geworden wäre, wenn er sich nicht damit geholfen hätte, daß er sagte: „Herr Marx ist ja ein Franzose und die Franzosen sind keine Christen mehr.“ Als ihn sein Lehrer bedeutete, daß der Pfarrer Hufnagel der freundlichste Mann und den Juden innigst zugethan wäre, antwortete er: „Nun, er ist kein Frankfurter.“ Um alles zu erwähnen, ist auch noch zu bemerken, daß Börne gelernt hat die Flöte blasen.

48 Nachgrade war es die Pflicht der Eltern und des Lehrers, die künftige Bestimmung des Knaben zu berathen. Die schwächliche Gesundheit und die geistigen Anlagen Börne’s führten darauf hin, ihn studiren zu lassen. Dem Vater war jedoch dieser Plan nicht genehm. Er hatte viel dagegen einzuwenden, brach die Unterhandlungen mit dem Lehrer oft ab, bis dieser wohl merkte, welches der eigentliche Grund seiner Weigerung wäre. Der Knabe mußte, wollte er studieren, lateinisch lernen und lateinisch ließ sich nur vom Gymnasium holen. Wie sollte Herr Baruch diesen Schritt vor dem Hofagenten in Bonn entschuldigen? 52 Wo blieb bei dieser Berührung mit Christen-Knaben die Garantie, daß Löb nichts Anstößiges aß, die Fasten beobachtete und sich in seinem Wesen überhaupt rein und religiös untadelhaft erhielt! Da aber der Vater dem Plane, seinen Sohn Arzt werden zu lassen (denn dies nur konnte er werden) im Grunde nicht grade abgeneigt war, so sann der Hauslehrer auf eine Auskunft. Er machte sich anheischig, Mosche, den Rektor des Gymnasiums, zu überreden, daß er dem Knaben im Lateinischen Privatunterricht gäbe. Darauf ging der Vater ein. Mosche erklärte sich bereit und begann seinen Unterricht, in dem sich Börne als fleißigen und gelehrigen Schüler bewies. Auffallend aber, daß dem Knaben selbst die Bestimmung seines künftigen Schicksals ganz gleichgültig war. Er wäre mit derselben Bereitwilligkeit Kaufmann geworden, wie er es aufnahm, daß er studiren sollte. Diesen Umstand gänzlich aus seinem Gemüth zu erklären, möchte nicht ganz richtig seyn. Es ist wahr, Börne’s Jugend war im Allgemeinen so freudlos und unbehaglich, daß sich früh eine gewisse trübe Theilnahmlosigkeit seines Innern bemächtigt hatte, er war gewohnt, keinen Willen zu haben und vermißte auch wohl in seiner ganzen Existenz die gemüthlichen, sein innerstes Wesen wohlthätig an-53sprechenden und befreienden Anknüpfungspunkte. Dazu kommen aber noch zwei Umstände. Einmal war der einzige Ausgangspunkt des Studiums für ihn der wahrlich nicht beneidenswerthe Beruf des Arztes, und zweitens konnte in Börne durch seine isolirte Erziehung nicht im mindesten Ehrgeiz und Sucht nach Auszeichnung geweckt werden. Durch die Rangordnung und das Classenwesen in der Schule, durch Prämien und Zeugnisse werden frühe in uns die unruhigen Geister des Ehrtriebes heraufbeschworen. Börne besuchte aber keine Schule, brachte keine Censur nach Hause, keine öffentliche Belobung, keine Prämie; so blieb er zum Glück für seine spätre Laufbahn vor einer Leidenschaft bewahrt, die ihm in den Verfolgungen, die er wegen seiner Pariser Briefe auszustehen hatte, eine leidige Trösterin gewesen wäre. Freilich hätte uns dies brennende Verlangen nach Auszeichnung einen noch größern Schriftsteller in ihm entwickelt, aber wie leicht hätte die Größe seines Charakters darunter leiden können! Er besaß allerdings nicht die schönen Eigenschaften des Ehrgeizes, aber auch die häßlichen nicht. Er machte sich wenig aus dem Urtheil der Welt. Sein eignes Bewußtsein genügte ihm.

54 Ueberhaupt scheint die Gemüthsentwickelung des Knaben auf den ersten Blick ein Räthsel zu seyn. Es sind so viel Beweise vorhanden, daß Börne der zartesten Empfindungen fähig war und doch könnte eine gewöhnliche Beurtheilung sehr leicht an ihm irr werden. Immer verschlossen, schien der Knabe nicht bloß lebhafter Gefühle, sondern selbst lebhafter Mitempfindung und Theilnahme unfähig zu seyn. Was Andre erregte, ließ ihn kalt. Der Maaßstab seines Urtheils über Menschen und Begegnisse war nie das Gemüth, sondern der Verstand. Was ihm mißfiel, nannte er nie schlecht, sondern immer nur dumm. Diese Auffassungsweise blieb ihm für sein ganzes Leben. Er empörte sich weniger über die Schlechtigkeit, als über die Albernheit der Menschen. Wie oft hat er nicht von seinen und den Gegnern des Menschenwohls ausgerufen: Wenn sie nur klüger wären! Selten, daß er als Knabe sich über irgend etwas grenzenlos freute oder grenzenlos erzürnte. Thränen waren ihm nicht geläufig. Leidenschaft kam nur über ihn, wenn es sich um Unrecht, um Unterdrückung handelte. Dann wurden seine Aeußerungen heftig, seine Gefühle rücksichtslos. Man sieht, daß es seinem Gemüth nicht an Lebhaftigkeit fehlte, nur wurde es auf andre 55 Art, als gewöhnlich, entzündet. Von Schaalheit und sehr viel Albernheit, die er früh durchschaute, umgeben, mußte sein Verstand früh zum überwiegenden Lenker seiner innern Thätigkeiten erhoben werden. Man machte ihm die Zumuthung, sich für Dinge zu erwärmen, die ihn geistig nicht anregen konnten; kleinliche Familienereignisse traten mit Ansprüchen auf seine Theilnahme auf, die er nicht erwiedern konnte. So bekam er früh sein eignes apartes Wesen, trennte sich von seinen Umgebungen los und lebte sich in Gedankenreihen und Gemüthszustände hinein, in welche ihm Niemand folgen konnte. Es bedurfte der Verpflanzung in einen ganz neuen Boden, um eine geistige und gemüthliche Selbstständigkeit in ihm zu wecken und ihn darauf aufmerksam zu machen, daß das Leben für Jedes und Alles, was es bietet, ein Urtheil, einen Willen, ein Gefühl verlangt. Im Hause seiner Eltern befand sich sein ganzes geistiges Leben noch in chaotischer Unordnung.

Es ist wahr, zu den meisten im spätern Alter in uns aufknospenden Gefühlen und Stimmungen müssen wir schon in der Jugend den Saamen gestreut haben. Die beseligendsten Gefühle des Alters sind die der Rückerinnerung an die Jugend. Eine Empfin-56dung höherer Art wird uns dann erst recht glücklich machen, wenn sie uns in eine verwandte Stimmung unserer Kindheit zurückversetzt und dasjenige klarer ausspricht, was wir schon bei unsern Spielen ahnten. So seh’ ich mich in Börne’s Jugend nach den ersten grünen Keimen jener zarteren Blüthen seiner Schriften um, die uns in ihm den Mann von Herz und so viel versteckter gebundener Poesie verrathen. Wie hat ihn nicht Jean Paul so tief ergriffen! Wie gemüthlich hat er nicht grade dessen idyllische Elemente, seine zarte bürgerliche Beschränktheit mit ihren poetischen kleinen Freuden und großen Entsagungen in sich aufgenommen! Wie rührend schildert er den ersten Frühlingseindruck, den Lamennais Worte eines Gläubigen grade auf sein krankes, der ersten Genesungswonne entgegenschlagendes Herz hervorbrachten! Nun, wo ist in der frankfurter Judengasse der grüne Fleck, an den er sich bei solchen Stimmungen erinnert fühlen konnte? Wo ist überhaupt in seiner frühsten Jugendzeit etwas gemüthlich, poetisch und idyllisch ihn Anregendes, ein Element, für welches er sich doch später so empfänglich zeigte? So tragen wir doch Alle eine Erinnerung in uns von jugendlicher Pfingstwonne und Weihnachtsfreude, von den ersten Bescheerungen, die 57 uns gute Eltern auf den grünen Teppich unsrer Kindheit legten, von unsern ersten Träumen auf dem Rasen unsrer Spielplätze: - Börnen, dem Judenknaben, wurde wenig davon geschenkt und doch lag es in ihm, die Sehnsucht darnach fühlte er schon im väterlichen Hause, und darum, weil er so wenig davon gehabt hatte, rührte ihn so sehr die Welt Jean Pauls. Schaal und alltäglich waren seine Jugendeindrücke, die Eltern kalt, jeder grüne Fleck verpönt, um ihn her nur niedrige Bestrebungen nach zeitlichem Gewinn, Furcht, die kriechenden Laster, die die Unterdrückung erzeugt, wenig oder gar keine bedeutenden Einschnitte merkwürdiger Erlebnisse, keine Zerstreuung und Anregung des muntern Knabensinnes in der Schule oder im Umgang mit Spielgenossen - Alles das zusammengenommen ist der beste Schlüssel, um das Räthsel des in trüber Gleichgültigkeit hindämmernden Knaben Börne zu lösen. Es zitterte die Ahnung eines bunteren, blüthenreicheren Jugendlebens in ihm, als es ihm zu Theil ward. Er war unglücklich, ohne es zu wissen.

Die erste maaßlos freudige Aufregung, die Börne empfand, war in der That auch die, als er das väterliche Haus verlassen durfte und plötzlich in einen ganz neuen Lebenskreis versetzt wurde. Als er nämlich 58 sein 14tes Jahr erreicht hatte (1800) verlautete von einer Erziehungsanstalt, die in Gießen vom Professor Hetzel errichtet, in ihrer Art Ausgezeichnetes leisten sollte. Wenigstens hatte der Vorsteher des Instituts, der bekannte Orientalist Hetzel, ein Programm erscheinen lassen, worin er seine Schöpfung etwas marktschreierisch als die Pforte zum Tempel alles Wissens dargestellt hatte. Hetzel war als Gelehrter anerkannt, als Mensch ließ er sich durch die Folgen eines unordentlichen Haushalts zur Deckung der ihn fortwährend quälenden Verlegenheiten zur Projektenmacherei hinreißen. Sein Institut stand, als er es schon in seiner Blüthe ankündigte, erst noch auf dem Papiere. Der Hauslehrer, der hievon nichts wußte, bestärkte den Vater, seinen zum Studium bestimmten Sohn in diese Pension zu geben; hier würde er eine hinlängliche Vorbereitung zur Universität finden und zu gleicher Zeit vor den Gefahren sicher seyn, denen die Großeltern in Bonn ihren Enkel nicht ausgesetzt wissen wollten. Ein Hauptgrund, warum sich Herr Baruch entschloß, auf diesen Vorschlag einzugehen, war auch in der That der, daß sich mit Hülfe einer in Gießen lebenden entfernten Verwandtschaft Vorkehrungen treffen ließen, daß der Knabe nicht nöthig hatte, mit seinen 59 christlichen Mitpensionairen zu essen, ja sogar Gelegenheit fand, bei einem dortigen Unterrabbiner die religiösen Studien fortzusetzen. Er sollte bei jenem Verwandten zu Tisch gehen und dieser Geistliche sollte ihn die Woche einigemal zum Religionsunterrichte besuchen. Der Knabe war glücklich, endlich in neue und freiere Beziehungen zu kommen. Denn auch sein Verhältniß zum Vater fing schon an, auf den Grund abweichender Ansichten, manche Störung zu erleiden. Herr Baruch wollte die Grundsätze nicht billigen, die sich sein Sohn aus dem allmäligen Verständniß der französischen Revolution entnommen hatte. Er äußerte schon damals oft, daß die hergebrachte Ordnung der Dinge in der Natur begründet wäre, daß, so wie es Kinder und Eltern gäbe, es eben so auch Herr und Diener, König und Unterthan geben müsse und ähnliche Gemeinplätze mehr, deren öftere Wiederholung dem Vater für die drohende gefährliche Ideenrichtung seines Sohnes sehr nothwendig schien. Doch waren dergleichen Befürchtungen noch nicht ernsterer Natur.

Gießen ist von Frankfurt eine Tagereise entfernt. Der Weg führt durch die fruchtbaren Thäler und anmuthigen Berge der Wetterau. Sachs, der Hauslehrer, begleitete den vierzehnjährigen Knaben, der 60 glücklich war, eine so heitere Veränderung seines bisherigen Lebens zu erfahren. Auf dem Postwagen gestand eine junge Dame aus der Umgegend, daß sie zuweilen an einem Liebhabertheater mitspiele, was dem Knaben Veranlassung gab, über diesen Beruf mit ihr recht heiter zu scherzen. Börne besuchte im Hause seiner Eltern regelmäßig alle vier Wochen das Frankfurter Theater, dessen Mitgliedern er in spätern Jahren durch seine Kritiken so furchtbar werden sollte. In Gießen stiegen sie im Gasthof zum Einhorn ab.

Gleich beim ersten Besuche im Hause des Professors Hetzels wurde dem Erzieher klar, daß die Anstalt des Mannes bis jetzt noch eine Phantasie war. Sie existirte nur in seinem Prospektus. Durch die pomphafte Ankündigung hatte Prof. Hetzel bezweckt, erst zu schaffen, was er als schon vorhanden so gepriesen hatte. Das Ganze war ein Experiment, auf den Erfolg berechnet. Indessen wußte sich Prof. Hetzel zu helfen. Er wies nach, daß bis da und dorthin dieser Schüler, jener Lehrer eintreffen müsse, wenn auch vorläufig Börne erst der zweite Pensionair der Anstalt wäre. Namen geachteter Schulmänner wurden genannt, die den Unterricht leiten würden, ja es dauerte auch nicht lange, so war in der That die 61 kleine Erziehungs-Maschiene in Bewegung gesetzt. Vorläufig wurde der Knabe sogleich als Student bei der Universität immatriculirt. Der Lehrer fand dies auffallend; aber Prof. Hetzel hatte seine Gründe, dies für besser auszugeben. Wir kennen sie nicht.

Ein Examen, welches der Orientalist mit dem jungen Akademiker anstellte, zwang ihm vor den hebräischen Kenntnissen desselben viel Hochachtung ab. Der junge Börne übersetzte die Psalmen mit einer Geläufigkeit, daß sich Professor Hetzel die Angabe der Methode erbat, nach der ein so junger Mensch schon eine solche Sprachfertigkeit erlernen konnte. Es war eine Art hamilton’scher Methode, nach der Börne unterrichtet gewesen war. Es scheint aber doch, als wenn diese Kenntniß erst durch späteres gründlichstes Studium der Grammatik hätte müssen befestigt werden; denn Börne vergaß in spätern Jahren in dem Grade sein Hebräisch, daß er nicht die kleinste Stelle des Alten Testaments im Urtexte mehr verstehen konnte. Er begriff oft nicht, wie Heine sich in seinen Schriften als einen so geläufigen Hebräer bewähren und noch immer auf so viel jüdische Ausdrucksweisen anspielen konnte. Er hatte in seinen spätern Jahren Alles vergessen, selbst jüdische Gebräuche, die er sich als ihm 62 ganz neu mußte wiedererzählen lassen und deren oft recht sinnige Bedeutung ihn wohl ansprach.

Die Lebensweise im Hause Hetzels war Börnen ganz neu. Einen so freien behaglichen Genuß des Daseins, wie er hier traf, hatte er sich in dem Zwang seiner häuslichen Verhältnisse nie möglich gedacht. Da gab es Besuche, feine Manieren, heitere Unterhaltung, Abendgesellschaften, gesellige Spiele. Gleich die erste Soirée, die Hetzel, ein Lebemann, veranstaltete, regte seine Phantasie wunderbar an. Von dem Essen bei seinem jüdischen Anverwandten war keine Rede mehr. Der Unterrabbiner erhielt seine Bezahlung, ohne daß er das Hetzel’sche Haus je betrat. Die Lehrer Dr. Schapper, Keppel und Andre waren unterrichtete Männer, bei welchen er sich freute, seinen Geist gründlich vervollkommnen zu können. Er schrieb nach Frankfurt die heitersten und wirklich lesenswerthe, gutgesetzte Briefe, die ein untrüglicher Gradmesser seiner zunehmenden geistigen Bildung waren.

Je mehr nun Börne dem Jünglingsalter entgegenreifte, desto mehr veränderte sich seine Stellung zur Welt, seine Auffassung der Menschen, sein Urtheil über näher oder entfernt Liegendes. An die Ordnung seiner neuen Lage sich bald gewöhnend, gewann er 63 auch über sie bald ein reiferes Urtheil und verhehlte sich und den Seinigen nicht die Mängel derselben. Bei seinen jährlichen Besuchen in Frankfurt sprach er sich offen über den Gang des Unterrichtes in Gießen aus und sagte z. B. einmal von dem Geschichtsunterricht, den er empfing, mit einer Wendung, die dem spätern Schriftsteller schon anzugehören scheint: „Der Vortrag des Mannes hat den Kopf eines Riesen und die Hand eines Zwergen.“ Er meinte damit das Unebenmäßige seines Aufrisses, indem er Unwichtiges gründlicher behandelte, als das Wichtigere. Sein Lehrer Schapper, der ihn einmal nach Frankfurt begleitete, wollte in ihm nicht viel erkannt haben. Er äußerte: Er hat zwar Anlage zum schriftlichen Ausdruck, sonst aber wenig Kopf. Börne’s Erzieher war durch dessen Briefe jedoch schon mit dem Unterrichtsgang in Gießen bekannt genug, um darauf mit Feuer erwiedern zu können, daß daran lediglich die trockne, höchst langweilige, grammatikalische Methode des Mannes schuld sey. Schwerer zu beseitigen war der Einwand, daß der junge Akademiker nicht besonders fleißig wäre. Wie diese Urtheile nun aber auch immer ausfielen, (ungerecht wenigstens auch in so fern, als Börne's schwächliche Gesundheit dabei nicht berücksichtigt wurde) 64 darüber blieb man einig, daß man dem jungen Mann eine gewisse Originalität, etwas Apartes in seiner Art unbedingt zuerkennen müsse.

Inzwischen wurde Professor Hetzel durch seine häuslichen Verhältnisse veranlaßt, einen Ruf nach Dorpat anzunehmen, wo er sich eines bedeutenderen Einkommens zu erfreuen hatte. Seine Anstalt überließ er dem Statistiker Crome, einem Gelehrten, der noch in späterer Zeit sich Börnen mannichfach gefällig bewies. Hetzel und seine Familie ließen in dem Stammbuche des Zöglings freundliche Erinnerungszeilen zurück. Wenn man überhaupt den Versicherungen der Stammbücher trauen dürfte, so hätte Börne damals in einem trauten Kreise älterer und jüngerer Bekanntschaften gelebt; wenigstens finden sich eine Menge von Schwüren und Freundschaften verzeichnet, die noch über dem Grabe fortdauern sollten. Bei einigen Namen hat Börne später das Zeichen des Kreuzes gemacht. Sie waren nach Jahr und Tag gestorben.

Jetzt war es Zeit, daß Börne, oder wie er damals hieß Louis Baruch, bisher nur dem Namen nach Student, es wirklich wurde. Auf Gießen, als eine Gelegenheit, gründlich Medizin zu studieren, setzte man in Frankfurt kein Vertrauen. Bei jeder andern 65 Universität war dem Vater die Selbständigkeit seines noch so jungen Sohnes peinlich. Da kam man auf einen Mittelweg. Man scheute die außerordentlichen Kosten nicht, um den angehenden Mediziner einem Manne anzuvertrauen, der in der gelehrten und praktischen Welt einen berühmten Namen hatte, in der Gesellschaft eine ausgezeichnete Stellung einnahm und durch seinen jüdischen Ursprung den Sympathieen der Familie Baruch näher stand, als irgend ein Anderer - Marcus Herz in Berlin. Man wußte, daß Herz außer der rastlosen Thätigkeit, der sich dieser Arzt in Berlin widmete, sich auch noch die Last auflud, in sein Haus junge Leute aufzunehmen, die unter seiner Leitung in Berlin, welches damals noch keine Universität, sondern nur Kliniken berühmter Aerzte hatte, ihren medizinischen Kursus begannen. Herz war Arzt am jüdischen Krankenhause und hielt Vorlesungen, die für ein größeres Publikum berechnet waren. Die Besorgniß, den jungen Börne an einen sittlich so verrufenen Ort, wofür besonders damals Berlin galt, zu schicken, wurde durch die Beruhigung gemildert, daß er doch in dem Hause seines Lehrers dann noch immer unter einer Art Aufsicht stehen würde. Diese Pension kostete 100 Louisd’ors.

66 Auf Louis Baruch wirkte die Aussicht, nach Berlin zu kommen, ungemein erfreulich. Für ihn war damals Berlin, was dem Franzosen der Provinz Paris. Berlin war damals noch die Hauptstadt des unüberwindlich scheinenden Preußens, welches sich die Miene geben durfte, zu der anschwellenden Lawine der Napoleonischen Herrschaft zu sagen: Bis hieher und nicht weiter! Berlin war der Sitz der feinsten Sitte, der Haupttummelplatz der bedeutenderen Geister der Nation; Fichte, Schleiermacher, die Schlegel, Johannes von Müller wirkten von dort aus. Man braucht nur die Briefe der Rahel zu lesen, um sich recht lebhaft in die frivol-geniale Geselligkeit jener Kreise hineinzudenken, in welchen namentlich die Sprößlinge reicher jüdischer Familien eine nicht unbedeutende Rolle spielten. Und vor allen glänzte grade die Frau Marcus Herzens als ein Phänomen erster Größe. Das Haus dieser Dame, deren Ehegemahl ihr an Jahren weit voraus war*), galt für das Stelldichein aller bedeutenden Köpfe Berlins; für den Pensionär eröffnete sich eine 67 glänzend heitre Aussicht. Börne hat auch in spätern Jahren nie aufgehört, von Berlin einzugestehen, daß er es wohl leiden möge. Selbst zuletzt, als das öffentliche Gespräch in Berlin sich nicht mehr um die Fragen der Politik und Literatur drehte, sondern wie er selbst sagt, um die Tänzerinnen der Oper und die Prinzen des Königlichen Hauses, machte er sich anheischig, vier Wochen in Berlin mit der größten Befriedigung auszudauern. Dazu kam, daß Börne sogar von den Heiligthümern Preußens Eines verehrte, wie keines vom gleichen Range, nämlich Friedrich den Großen. Noch später, als er schon die Pariser Briefe geschrieben hatte, hörte er im Gespräch nicht auf, von den klaren, blauen Augen dieses Berliner Friedrichs zu reden, von seiner Enthaltsamkeit, Mäßigung, von seinem Esprit, von seiner Achtung vor berühmten Männern, und dem Ehrgeize, mit ihnen umzugehen. Friedrich der Große und Heinrich IV. von Frankreich waren die einzigen Könige, von denen Börne mit gemüthlicher Theilnahme sprach.

Von den medizinischen Studien scheint indessen in Berlin nicht viel geworden zu sein. Marcus Herz war mit seiner Praxis übermäßig beschäftigt. Die Beziehungen des Hauses, die häufigen Gesellschaften, 68 schufen Zerstreuungen, welche den Studien nicht günstig sein konnten. Es ist unzweifelhaft, daß Börne die Zeit seines Berliner Aufenthaltes weit mehr zur Cultur seines innern und äußern Menschen, als zur Erlernung der Arzneikunde verwandte. Er wird viel gelesen, viel aus der bewegten Geschichte der damaligen Zeit in sich aufgenommen haben. Daß sich die Wärme seines Herzens regte und zartere geschlechtliche Neigungen ausbrütete, ist ohne Zweifel anzunehmen, wenn man auch darin übertreibt, daß man ihm hoffnungslose Liebe zu der geistvollen und schönen Herrin des Hauses, in dem er gastlich lebte, zuschreibt. Er hatte zu Madame Herz die Neigung eines jungen Mannes, dessen erste herzinnigeren Regungen kein glücklicheres Schicksal haben können, als wenn sie sich einem uns entfernt und unerreichbar stehenden weiblichen Wesen von höherem Werthe anschließen. Als Börne nach dem plötzlichen Tode Marcus Herzens das Haus verließ, hörte er nicht auf, mit der von ihm hochverehrten Frau desselben in brieflicher, (wenn auch oft gestörter und unterbrochner, doch nach einigem Verlauf immer wieder aufgenommener) Verbindung zu bleiben. Es ist unendlich zu beklagen, daß die noch lebende würdige Matrone ihre Correspondenz mit Börne 69 den Flammen übergeben hat. Einige indiscrete Veröffentlichungen von Privatverhältnissen, die grade aus Berlin in neuester Zeit gekommen sind, hatten ihr einen solchen Widerwillen gegen das Herausgeben von vertraulichen Briefen eingeflößt, daß sie noch bei ihren Lebzeiten glaubte, ihren gewiß sehr reichen Schatz von schriftlichen Beziehungen zu berühmten Männern und Frauen zerstören zu müssen. Man kann die Gründe dieses Schrittes ehren, muß aber doch gestehen, daß viel Entschlossenheit dazu gehört, ihn auszuführen.

Madame Herz war es selbst, die den Eltern Börnes vorschlug, ihren Sohn nach Halle zu schicken und ihn dort der Aufsicht des Reil’schen Hauses anzuempfehlen. Reil, der geistreiche Begründer einer neuen Fieberlehre, war ein Name, dessen Berühmtheit den Wünschen der Eltern vollkommen genug that. 1804 gieng Louis Baruch von Berlin nach Halle. Er hatte jetzt den festen Vorsatz, die medizinischen Studien mit Eifer zu erfassen.

Der achtzehnjährige Student bezog das Reil’sche Haus selbst. Freundlichst aufgenommen, fand er hier einen andern Ton, wenigstens eine andre Atmosphäre, als die in Berlin gewesene war. Die Geselligkeit war eben so lebendig, aber mehr nach Innen zugekehrt, 70 mehr auf die allerdings nicht schroff gezogenen Gränzen der Familie sich beschränkend. Liebenswürdige Töchter gaben dem Hauswesen ein freundliches, der Phantasie wohlthuendes Relief. Reil selbst, sein sanfter seelenvoller Blick, sein anregender Umgang, seine geistvollen, über das Gebiet der Medizin weit hinausgehenden Bemerkungen konnten nie genug von Börne gepriesen werden. Reil’s Vortrag war so gebildet-allumfassend, daß man seine Einleitung in die Zweige der Arzneiwissenschaft eben so gut für eine Einleitung in einen Vortrag über Politik, Moral oder Aesthetik hätte halten können. Es ist auch nicht zu verkennen, daß die philosophischen Ansichten Reil’s, sein halber Brownianismus sowohl, wie seine allgemeinen Begründungen der Lehre vom Menschen sich für Börne in Denkfaktoren verwandelten, mit denen er sich auch später die meisten Begriffe regelrecht gestaltet hat. Seine ersten schriftstellerischen Versuche, die sich im Gebiet der theoretischen Politik und besonders der Cameralistik bewegten, sind ganz auf Reil’sche Prinzipien begründet. Börne besuchte gleich anfangs sehr fleißig seine Vorträge über Anatomie und stand um vier Uhr des Morgens auf, um sich auf die Clinik vorzubereiten.

71 Ueber das gesellige und wissenschaftliche Leben des damaligen Halle hat sich Börne in dem Aufsatze: „Die Apostaten des Wissens und die Neophyten des Glaubens“ selbst sehr warm und erinnerungsfroh ausgesprochen. Es ist dies einer der wenigen Aufsätze, in welchem er uns selbst Materialien zu seiner Biographie darbietet. Bei F. A. Wolf hörte er wahrscheinlich über die griechischen Lyriker und Homer, von Schleiermacher sagt er, er hätte die Theologie so vorgetragen, wie sie Sokrates gelehrt haben würde, wäre er Christ gewesen. Von Reil rühmt er die stete Jugendfrische, die sogar aus der Besorgniß zu veralten entstanden wäre. Reil hätte absichtlich nach dem Umgang mit strebenden Jünglingen und neuen Büchern verlangt, um nicht die Jugend des Geistes zu verlieren. An Horkel rühmt er sein emsiges Studium und seine Bescheidenheit, ganz besonders aber theilt er den Enthusiasmus, den damals Steffens für Naturphilosophie und was damit zusammenhing, in der akademischen Jugend zu entzünden wußte. Zwölfhundert Studenten waren damals in Halle beisammen, recht als sollte diese Universität ihren schönsten Triumph kurz vor ihrem Falle, (den später Napoleon beschlossen hatte) feiern. „Sitten, Sprache, Kleidung, sagt Börne von 72 den damaligen Studenten, alles war an ihnen ungezogen. Sie trugen große Stiefel, die man Kanonen nannte, und Helme mit rothen, weißen, grünen oder schwarzen Federn geschmückt, je nach der Landsmannschaft, der sie sich angeschlossen. So glichen sie von oben römischen Kriegern und von unten deutschen Postillonen.“ Börne war später einsichtsvoll genug, die Nachtheile zu durchschauen, welche unserer politischen und gesellschaftlichen Bildung aus den Eigenthümlichkeiten des deutschen Studenten-Lebens erwachsen sind; aber an seine Studienzeit in Halle dachte er gern zurück.

Von Halle aus wurden kleine Ausflüge in die nähere und entfernte Umgegend gemacht. Schon in den ersten Ferien besuchte er mit einem akademischen Freunde, Namens Grossing, das sächsische Erzgebirge und befuhr einige der bekanntesten Stollen desselben. Des Winters wurden Ausflüge nach Dessau und Leipzig, oft zu Schlitten und im Maskenaufzug unternommen. Besäßen wir von Börne über sein Leben Geständnisse, so würde gewiß in diese Periode die Schilderung eines immer klarer werdenden Seelenlebens fallen. Börne wird damals die ersten Blicke in seine Zeit geworfen, die ersten Ver-73ständigungen über Menschen und Bildungsrichtungen, über Systeme und Bücher in sich erfahren haben. Die große Gährung der Geister, welche grade in jene politisch für Deutschland so unglückliche Zeit fiel, kann an ihm nicht spurlos vorübergegangen seyn, wenn ihn auch seine angeborne Verständigkeit, seine satyrische Laune und die besondern Einflüsse seiner Nationalität vor jener flammenden Ueberhitzung bewahrten, die damals oft die besten Köpfe mehr versengte, als erleuchtete. Den lebhaften Debatten, womit die jungen Studenten oft glaubten die Speisen der Reil’schen Tafel würzen zu müssen, (Reil war sehr gastfrey) hörte er mit ruhiger Enthaltung zu, gab aber zuweilen so treffende Zwischenbemerkungen, daß man auf den kleinen, zusammengedrückten, schweigsamen jungen Mann um so mehr aufmerksam wurde, als man ihn von Reil mit einer gewissen sorgsamen Theilnahme behandelt sahe.

So vergingen beinahe drey Jahre in heiterer Geselligkeit und gewissenhaften wenn auch nicht übermäßigen Studien. Da kam die geschichtliche Umwälzung der damaligen Zeit dem Preußischen Staate immer näher und eins der ersten Opfer, das fallen mußte, war der Hallische Musensitz in seiner augenblicklichen Verfassung. Der Lärm der Waffen verscheuchte die Eule Minervens. 74 Wer ein leichtes Gepäck hatte, wartete das fernere Geschick der Universität nicht ab.*) Auch Börne nahm von dem ihm so lieb gewordenen Tummelplatz seiner ersten im volleren Jünglingsbewußtseyn verlebten Jahre Abschied und wandte sich nach der Universität Heidelberg, die sein Vater weit lieber mit Gießen vertauscht gesehen hätte. Auf dem Wege von den Ufern der Saale an die reizenderen des Neckar müssen sich in Börne’s Innern eigne Gedankenreihen entsponnen haben. Es reifte in ihm der Entschluß, sich von der Medizin loszusagen. Was ihn hiezu bestimmt haben mochte, ist zu enträthseln nicht schwer. Er hatte den medizinischen Beruf ohne Wahl ergriffen, er war der einzige, der ihm bei seinem Glaubensbekenntnisse in spätern Jahren eine seinen Studien angemessene bürgerliche Stellung möglich machte. Diese Rücksicht hatte sich aber verändert. Die freie Reichsstadt Frankfurt hatte sich in ihren alten Spinnweben von Gesetzen und Vorurtheilen müssen lüften und ausfegen lassen; die 75 Resultate der französischen Revolution hatten Kastengeist und Privilegienunbill aus den Thoren vertrieben. Frankfurt hatte mit seiner Selbstständigkeit auch das Recht der Tyranney gegen die Juden verloren. Diese erhielten vom Fürsten Primas, dem Großherzoge von Frankfurt - (auch eine eigne Art von Emanzipation) - für eine sehr bedeutende Summe das Recht, sich frei zu kaufen. Somit eröffnete sich den studirten Söhnen der Juden die Aussicht einer andern als nur medizinischen Wirksamkeit. Börne dachte sogleich an Jurisprudenz, ging aber auch von dieser, da der Beruf eines Advokaten ihn nicht reizen mochte, allmälig ab zur Cameralistik, die ihm eine Anstellung im Regierungsorganismus erwerben durfte.

Zu diesen Erwägungen mochte die Selbsterkenntniß kommen, daß ein Arzt zu sein von einer ganz andern Vorliebe für diesen Stand bedingt werden müsse, als sie Börne besaß. So sehr seinen höhern Erkenntnißsinn die aus der Philosophie und allgemeinen Naturkunde hergeleiteten Heischesätze der medizinischen Propädeutik ansprechen mußten, so wenig fühlte er sich in der Medizin heimisch, wenn er den Vorhof verließ und das innere Heiligthum jener Kunst selbst betrat. Seine zarten Nerven gewöhnten sich schwer an den 76 Anblick von Leidenden, ja ein gewisses Vorgefühl mochte ihm wohl sagen, daß er in seinem künftigen Leben die Bestimmung hätte, sich zur Medizin mehr als Patient, denn als Arzt zu verhalten. Wenn man seinem spätern Mistrauen gegen die Arzneiwissenschaft, das er oft genug aussprach, folgen darf, so fühlte er sich auch durch die Unsicherheit ihrer Prinzipien bei seinem ernsten, wahrheitsuchenden Sinne nicht befriedigt. Er besaß nicht den Muth, mit der leidenden Menschheit Experimente zu machen. Das mochte vollends den Ausschlag geben, sich von einer Wissenschaft zu trennen, deren praktische Ausübung ihm keine Zukunft mehr vorspiegelte die ihm erwünscht und willkommen gewesen wäre.

Man kann sich denken, wie misliebig der Vater diese Erklärung seines Sohnes aufnahm. Die außerordentlichen Summen, die er bisher für die Ausbildung des künftigen Arztes aufgewandt hatte, die drei Jahre eines wie er gehofft hatte, gründlichen und gewissenhaften Studiums sah er für unersetzlich verloren an. Und dennoch überraschte ihn die plötzliche von den Zeitläuften geschenkte Möglichkeit, seinen Sohn sich in einer offiziellen Laufbahn bewegen zu sehen, selbst so sehr, daß er sich dem veränderten Entschlusse 77 nicht grade widersetzte, wenn er ihn auch nicht vollkommen billigte. Dabei hatte er noch immer nicht den Muth, seinen Sohn ihm selbst zu überlassen. Er beauftragte den Professor Martin, ihm in Heidelberg einige, sein Betragen regelnde Aufmerksamkeit zu schenken. Börne fühlte sich durch dies ewige Bevormunden unangenehm berührt. Es war ihm unerträglich, daß, wenn er die übrigen Studenten in freier Selbstständigkeit sich tummeln sahe, man bei ihm immer die Drathfäden der väterlichen Wachsamkeit bemerken mußte. Er lebte allerdings in Heidelberg ausschreitender, als bisher. Man sah ihn öfter im Mannheimer Theater, als im Collegio. Er schloß sich großen Parthieen in die herrlichen Umgegenden Heidelbergs an, schaukelte sich lieber auf den Wellen des Neckar, den er zu befahren liebte, als auf den Titeln der Pandekten; auch kostete dies mehr Geld, als ihm von Hause bewilligt war. Er machte Schulden, ein Schritt, der wie er sich später noch manchmal scherzhaft äußerte, grade in Heidelberg nicht so unerhört war. Nun kam aber der Vater und schlug einen Lärm, als wäre sein Sohn der ungerathenste Verschwender und das unartigste Kind, das es vielleicht in ganz Heidelberg gäbe. Dieses Zurückdrängen in 78 eine kindische Sphäre verletzte ihn bitter. Er schämte sich in die Seele seines Vaters, daß Der so wenig vom Universitätswesen verstände und die soliden Grundsätze seines Frankfurter Handelsverkehrs auf ein durchaus freies und von vornherein bürgerlich unzurechnungsfähiges Leben übertrug. Er sagte später noch oft mit Beschämung: Was werden die Professoren über dies philisterhafte Verfahren meines Vaters gelacht haben! Herr Baruch hatte in der That von den Schulden seines Sohnes in Heidelberg ein Aufsehen gemacht, als handelte es sich um eine Falliterklärung an der Frankfurter Börse.

Börne hätte so gern sein neues Studium der Cameralistik in Heidelberg zu Ende gebracht, aber der Vater, der ihn durchaus mehr in der Nähe und im Zwange haben wollte, drang darauf, daß er nach Gießen ging. Im Jahre 1808 sah Börne einen Ort wieder, der ihm die erste freundliche Aussicht in die Welt geboten hatte. Es war die Macht der Gewohnheit, daß er Gießen nicht sehen konnte, ohne zum Fleiß gemahnt zu werden. Mit dem Vorsatz, gründlich sein neues Ziel zu verfolgen, kam er diesmal hin, mit dem Bewußtsein, seinem sich selbst gegebenen Worte treu gewesen zu seyn, verließ er es. Auch bot Gießen 79 zu wenig Zerstreuungen dar, die ihn in seinem Eifer hätten erkalten lassen. Eine Parthie Piquet mit Herrn von Meseritz, dem jetzigen Verfasser der in unsern Zeitungen spukenden bekannten Tendenz-Berichte von der russischen Gränze, damaligem Leutenant, war vielleicht Alles, was sich Börne erlaubte. Er verabredete mit dem durch gleiche Studien und das frühere Pensionatsverhältniß ihm doppelt nahe stehenden Professor Crome sein baldiges Gelangen zur philosophischen Doktorwürde. Er wurde noch in demselben Jahre, als er nach Gießen kam, den 8. August 1808 Doktor der Philosophie.

Vorher schrieb ihm Crome:

Carissime et honoratissime

Domine Doctorande!

     Ihr Gesuch um die Ertheilung der philosophischen Doctorwürde, habe ich mit meinem Bericht darüber, und mit Beischluß der beiden, von Ihnen eingereichten Abhandlungen, der philosophischen Facultät zum Votiren vorgelegt.

     Dieselbe hat einmüthig beschlossen, daß Ihr Wunsch erfüllt werde, und Ihnen das ehrenvolle Diplom der philosophischen Doctor-Würde ertheilt werden solle, und zwar in Hinsicht der manigfaltigen 80 schätzbaren Kenntnisse, die Sie in den obengenannten beiden Abhandlungen sowohl, als auch sonst bei mir und bei mehreren meiner Herren Collegen, an den Tag gelegt haben, ohne weitere Examen und Disputation.

     Doch habe ich dabei der philosophischen Fakultät versichert, daß einer oder der andre von Ihren Aufsätzen in unser Journal Germanien unter Ihrem Namen solle abgedruckt werden.

     Hochachtend unterzeichne ich mich

     Dr. Aug. Fried. Wilhelm Crome

Facultatis philosoph. Decanus.

Von den beiden in diesem Schreiben erwähnten Abhandlungen ist die eine, ein Jahr später, gedruckt worden*). Sie führt den Titel: Ueber die geometrische Vertheilung des Staatsgebiets und ist höchst wahrscheinlich Bruchstück eines größern Werkes, welches Börne damals entworfen hatte und zum Theil auszuführen begann. Crome macht in seiner Zeitschrift dazu folgende verbindliche Anmerkung:

„Nachstehender Aufsatz wurde der hiesigen philosophischen Facultät, unter mehreren Probeschriften, von dem hier studirenden jungen Israe-81liten, Herrn Dr. Louis Baruch, aus Frankfurt a. M., übergeben, wie derselbe auf der hiesigen Universität im vorigen Jahre die philosophische Doktor-Würde erhielt. Sie wurde damals gleich zum Druck bestimmt, da sie von den Talenten dieses jungen Mannes zeugt, der bei uns die Staats- und Cameral-Wissenschaft mit dem glücklichsten Erfolg studirte. Wir hoffen daher, das Publikum sowohl als der Herr Dr. Baruch selbst, werden den Abdruck dieser Schrift in unserm Journal mit Vergnügen bemerken, und letzterer unsere Zeitschrift noch mit mehreren Aufsätzen aus seiner geschickten Feder beschenken.“

Dr. Crome.

Jenes umfassende Werk sollte, auch seinem Titel zufolge, über den Nutzen der Staatswissenschaften für die Beamtenwirksamkeit handeln. In den davon gedruckten Bruchstücken erstaunt man, auf eine Idee zu stoßen, die Börne’s ganze spätre politische Wirksamkeit schon zusammenfäßt. Er spricht von der natürlichen Arrondirung der Staaten, kommt auf die damals grade tausend Jahr alte Trennung Deutschlands von Frankreich durch den Vertrag von Verdün, 82 und behauptet, daß beide Länder in ihrer Vereinigung das Geschick der Welt entscheiden würden. Eine solche Idee war damals, als Napoleon Staaten schuf und zertrümmerte, keine Chimäre. Die Entwickelung des Gedankenganges, sogar der Styl, alles trägt in diesen, besonders den noch ungedruckten Fragmenten, schon das Gepräge des spätern Börne’schen Charakters. Er entwirft ein lebhaftes Bild von der Lage Preußens vor der Schlacht bei Jena. Er nennt es den Geist der Mittelmäßigkeit was damals regiert hätte; nur durch seine Gewöhnlichkeit hätte man sich in der preußischen Verwaltung poussiren können. Seine Definition des Staates als eines umfassenden Bandes für jede freie menschliche Thätigkeit entspricht vollkommen den später von ihm vertheidigten Ansichten. Doch ist seine Polemik noch harmlos, seine Satyre noch in der Freude über die originelle Art, wie sie im Styl heraustritt, befangen. Vom Adel redend, sagt er: „die Deutschen werden regirt von Menschen, die es sich zur Ehre anrechnen, von Wegelagerern abzustammen.“ Er dringt darauf, daß „die Fürsten sich mit den Philosophen befreundeten,“ für welche harmlose Bundesgenossenschaft die spätre Aufregung das Wort: „Geist der Zeit,“ substituirte. Manche Bilder 83 verrathen den noch nicht ganz vergessenen Mediziner. „Das Leben,“ sagt er, „liegt nicht in den Nerven, nicht im Blut, nicht im Gehirn u. s. w., sondern in Allem liegt etwas davon.“ Ein andermal heißt es: „Wozu klagt man über die Unzulässigkeit der Heilmethoden und vergißt dabei, daß man so leben solle, der Aerzte gar nicht zu bedürfen!“ Indessen verrathen diese Aufsätze noch nirgends das Selbstbewußtsein und Interesse am Formellen eines werdenden Schriftstellers; der Stoff ist es, der allein in ihnen nach Klarheit ringt.

Als Börne wieder nach Frankfurt zurückkehrte, wurde er in seinen nächsten Umgebungen mit Aufmerksamkeit, in entfernteren nicht ohne Mistrauen aufgenommen. Seine Unstätigkeit, sein planloses Studium, die Zwistigkeiten mit dem Vater hatten ihm einen Ruf gemacht, als Wankelmüthiger und Unzuverlässiger. Die großartigeren Verhältnisse, in denen er bisher gelebt hatte, mochten ihm selbst die Anknüpfung an die zum Theil doch sehr kleinstädtischen Rücksichten Frankfurts wohl erschweren. So kam er früh mit manchen, die sich nicht die Mühe gaben, ihn genauer zu prüfen, in ein schiefes Verhältniß. Aeußre Auszeichnungen, die er erhielt, (z. B. wurde er den 5. November 1809 84 correspondirendes Mitglied der cameralistisch-ökonomischen Sozietät in Erlangen) *) war er nicht der Mann herauszukehren; sich mit vermessener Selbstschätzung geltend zu machen, gelang ihm eben so wenig. Ob seine um das Jahr 1811 erfolgte Anstellung im Polizeifache die Frucht seiner eignen Bemühungen war, ist sehr zu bezweifeln. Der Vater, in der Weise seiner Glaubensgenossen, viel auf Verbindungen mit einflußreichen Männern haltend, wird wahrscheinlich die Haupttriebfeder dieser einstweiligen Versorgung seines Sohnes gewesen sein. Man nennt den damaligen Polizeidirektor von Itzstein als den Vermittler der Anstellung des jungen Doktor Baruch.

Zu den humoristischen Widersprüchen, die uns die Geschichte in ihrer Lust an grellen Contrasten öfters aufzustellen pflegt, gehört auch der Frankfurter Polizei-Aktuarius Börne. Man giebt seiner Phantasie ein Räthsel zu lösen auf, wenn man sich den Verfasser der Briefe aus Paris in den finstern Aktenstuben des Frankfurter Amthauses, des Römers, denken soll, 85 wie er Pässe visiert, Wanderbücher prüft, Protokolle aufnimmt, und in Uniform und Degen bei feierlichen Anläßen die Würde der Polizei vertritt. Es wäre überdieß irrthümlich anzunehmen, daß Börne hier nur eine Rolle gespielt hätte, über welche seine Wünsche und Ansichten hinaus gewesen wären. Börne hatte damals nur theoretische Begriffe vom Wesen der Staatsverwaltung und beschränkte sich in seinen politischen Meinungen, wie alle seine Zeitgenossen damals, auf die Beurtheilung Napoleons. Börne bewunderte ihn, ohne in ihm seinen Lieblingshelden zu sehen. Börne strebte sogar nach dem Ruhm, in seiner Art ein tüchtiger Beamter zu sein. Er war einer der fleißigsten und unverdrossensten Arbeiter im Römer, und zeichnete sich durch friedfertige Duldung seiner an Geist und Kenntnissen oft tief unter ihm stehenden Collegen und durch freundliche Zuvorkommenheit gegen die Bürger aus. Der Einsicht des nachmaligen Polizei-Direktors von der Thann gereicht es zur Ehre, daß er Börnes Fähigkeiten zu würdigen wußte und ihm schwierigere Arbeiten fast ausschließlich anvertraute, die dann nicht selten unter fremdem Namen gingen und Andern die Ehre brachten. Den Ruf der Unbestechlichkeit erwarb sich Börne bei vielen Gelegenheiten, wo ihm von streiten-86den Partheien, Grund- und Gerechtigkeitsbesitzern und ähnlichen Petitionären Anerbietungen zu Gewinntheilungen und dergleichen maskirten Unredlichkeiten gemacht wurden. Daß ihm das häufige Annehmen der wichtigthuenden Amtsmiene bei seinen Collegen zuwider war, bezeugt der Unwille, den er später oft genug über die Brutalität der Polizei aussprach. Doch legte er auch, wo sie nöthig wurde, Proben von Geistesgegenwart ab. Als baierische Soldaten, im Jahre 1813, bei ihrem Einrücken in Frankfurt, Plünderungsversuche machten, sah man ihn neben andern Polizeibeamten diesem Beginnen mit gezogenem Degen Einhalt thun. Es ist dies wohl derselbe Degen, den einst in spätern Jahren noch ein Freund bei ihm in der Ecke stehen sah. „Fürchten Sie sich nicht vor ihm,“ sagte Börne, „es klebt kein Blut daran.“

Die erste Anerkennung seiner geistigen Gaben verschaffte sich Börne durch seine Vorträge in der jüdischen Maurerloge „zur aufgehenden Morgenröthe.“ In einem Gedenkbuch, welches diese Loge 1833 für Brüder herausgab, ist einer derselben mitgetheilt, den er im Jahre 1810 hielt. Friede und Liebe ist der Athem, der durch diese geistvolle Arbeit weht. Mit ergreifender Wahrheit wird darin das Thema umschrieben: 87 Woher kömmt es, daß der Geist der Logen, die Humanität, das Verborgene aufsuchen muß, um an seiner Vollendung zu arbeiten? Wer erkannte hier nicht schon die Keime der künftigen Entwickelung Börne’s, eben so wohl, wie das Verhältniß, in welchem er sich zur Freimaurerei fühlte? So leidenschaftlich er früher für den Zweck derselben glühte, später erkaltete er. Das Particuläre störte ihn. Unter seinen Papieren befindet sich eine Zuschrift der Loge von Mannheim, die ihm unter dem 10. Jan. 1810 für eine Abhandlung dankte, deren Gedankengange sie trotz der aufgewandten geistvollen Mittel des Verfassers doch nicht folgen könne. Er hatte darin gewissen Farbensymbolen eine Deutung gegeben, die der Mannheimer Loge nicht zureichend erschien. Diese Abhandlung müßte sich gewiß im Archiv der letzteren auffinden lassen. Aus Börnes spätrer Zeit verdient hier zuletzt noch angeführt zu werden, daß er einmal die Beschränktheit einer der christlichen Frankfurter Logen sehr witzig widerlegte. Als die Rede davon kam, daß die Loge Sokrates zur Standhaftigkeit keine Juden zuließ, sondern die Frage vorlege: Bist du ein Christ? bemerkte Börne, daß in diesem Falle der eigne Schutzpatron der Loge, Sokrates, an der Pforte würde abgewiesen werden müssen.

88 Börne dachte damals noch immer nicht an schriftstellerische Thätigkeit, wohl aber mochte ihn dazu öfters ein Reiz überschleichen, wenn er die Ergebnisse seiner sehr umfassenden Lektüre übersah und sich der Vorzüge seiner Lieblingsschriftsteller recht bewußt wurde. Diese waren damals Johannes von Müller und Voltaire. Bei Jenem zog ihn die gedrungene Tacitëische Ausdrucksweise, der lapidare Charakter seines jetzt uns weit mehr, als früher, erzwungen und gekünstelt scheinenden Styls an; bei diesem die Grazie, die Voltaire über die Behandlung ernster Gegenstände zu hauchen wußte, sein Witz, sein freimüthiges, wenn unbestochnes Urtheil. Die ersten publizistischen Arbeiten, mit denen Börne auftrat, tragen unverkennbar das Gepräge eines sich an diesen beiden Mustern heranbildenden Studiums. Sie sind durch den Einfluß Johannes von Müllers nicht selten schroff und sogar unklar. Dr. Stifel, damals Redakteur des Frankfurter Journals, würde wohl im Stande seyn, die seit dem Aufstand gegen Napoleon in jener Zeitung von Börne herrührenden anonymen kleinen Artikel näher zu bezeichnen. Sie tragen ganz den Stempel der fiebernden Zeitaufregung, sind von einer lebendigen Vaterlandsliebe eingegeben, sprühen einen tödt-89lichen Haß gegen Frankreich und Napoleon aus und würden eine größere Wirksamkeit gehabt haben, wenn sie jenen rhetorischen Abandon besessen hätten, durch welchen Görres im rheinischen Mercur so große Wunder that.

Börne, der den Aufschwung des Vaterlands mit allen Pulsen seines innersten Menschen mitempfand, ahnte nicht, daß er eines der ersten Opfer des Sieges seyn sollte. Kaum war die französische Herrschaft in Frankfurt gebrochen, so trat wieder die alte freistädtische Verfassung hervor. Der Senat nahm von seiner Souverainität Besitz, die Anstellung eines Juden hob sich von selbst auf. Börne erhielt, jedoch nicht sogleich, seine Entlassung. Man glaubte ihn zuerst durch Zurücksetzungen zu bewegen, sie selbst zu nehmen. Man überwies ihm geisttödtende Registraturarbeiten, doch schlugen diese Berechnungen fehl. Börne that, was man ihm übertrug und sah den Intriguen mit ruhiger Gelassenheit zu. Endlich, da man einen Juden nicht länger mehr im Amt lassen wollte, entschloß man sich, ihn zu entfernen, konnte ihn jedoch vermöge einer Bestimmung der Congreßakte hinsichtlich der Großherzoglich Frankfurtischen Staatsdiener die Pension nicht entziehen. Börne nahm auf das ängstliche Betreiben 90 seines Vaters diese mit 400 Gulden an, die er leicht auf das Doppelte erhöht bekommen hätte, wenn ihn nicht sein eingeschüchterter Vater von einem ernstlicheren Widerstande gegen die Unbill der Reaktion zurückgehalten hätte.

Man nimmt gewöhnlich diese bittere Erfahrung, die Börne in den Jahren der Befreiung machte, als den Wendepunkt seiner politischen Bildung an. Man hat aber Unrecht, wenn man glaubt, daß ihm persönlicher Groll oder gekränkte Eitelkeit die neue Richtung seiner Ideen gezeichnet hätte. Einmal war Börne durch seine Bildung und seinen Umgang darüber hinaus, daß ihm grade die Erinnerung an sein Judenthum hätte besonders empfindlich seyn sollen; sodann war er zu edel und unbefangen, um sich eine Weltansicht aus persönlichem Mißgeschick zu bilden. Das aber war der Sonnenblick, an dem sich seine politischen Begriffe aufhellten: Der Zusammenhang, in dem sein eignes Erlebniß mit dem stand, was sich mit dem Jahre 1815 nun rings um ihn her zu offenbaren anfing. Deutlich genug sah er, daß sich eine ihm widerfahrene kleine Ungerechtigkeit an große Tendenzen lehnte, die immer offner hervortraten. Mit den entarteten Söhnen der Revolution wollte man auch die 91 großen Wahrheiten umstürzen, die die Revolution gezeitigt und den Lauf um die Welt zu machen geheißen hatte. Die Couriere, welche zwischen Wien und jenen Städten, in welchen die berühmten Reaktionscongresse gehalten wurden, hin und herflogen, rissen Furchen in das blutgedüngte Vaterland, in die man den Samen veralteter Meinungen und Vorrechte wieder zu streuen wagte. So Vieles, was uns die Restauration brachte, ging aus den edelsten Stimmungen des Zeitgeistes, aus einer schwärmerisch erwachten Liebe zum Vaterlande, zur Muttersprache, zum Christenthume hervor; aber die Intrigue benutzte diese Gefühle, um in ihrer trüben nebelhaften Dämmerung die eignen Vorrechte sicher zu stellen. Viele sonst besonnene Männer hatten das Unglück erst später das falsche Spiel zu durchschauen und es unbewußt, nicht selten zum eignen Verderben, in gutem Glauben mitzumachen; andere überblickten schon früher den Gang, den die Ereignisse nehmen würden, befreiten sich von jenen an sich schönen Täuschungen und Spiegelbildern eines neu erwachten Volksthums und bildeten sich jene Theorie allmälig aus, welche unter dem Namen des Liberalismus bald eine Parole des Partheiwesens werden sollte. Börne, keiner der schönen Ideen vom Vaterland, von deutscher 92 Einheit und Würde, von Volkserziehung und sittlich religiösem Ernste fremd, ahnte doch früh, wozu diese schönen Namen würden misbraucht werden und reifte in der Schule sich drängender, wirrer Ereignisse, die dem Siege von 1815 folgten, zu einer politischen Intelligenz, wie sie damals nur Wenige in Deutschland besaßen. In kleinen anonymen Artikeln, die er dem Frankfurter Journal überließ*), bildete er seine Darstellungsgabe und das Talent, unter schwierigen Verhältnissen die Wahrheit wenn nicht zu sagen, doch errathen zu lassen. Er widersetzte sich der zu großen Ausdehnung, welche man der Reaktion gestattete und trat als Anwald mancher guten Neuerung auf, die wir behalten sollten, ungeachtet wir sie der Fremdherrschaft zu verdanken hätten.

Börne’s Charakter war zu harmlos, als daß er durch seine Amtsentsetzung sich hätte einem Abgrunde gegenüber fühlen sollen, einer dunkeln Zukunft, die er durch irgend einen Entschluß sich erleuchtet hätte. Es wäre allerdings leichtsinnig gewesen, hätte er sich vom 93 Zufall nur so fortströmen lassen, er mochte wohl auf Pläne und Entschließungen mancherlei Art sinnen; aber mit einer gewissen Elastizität das Ruder seines Schicksals zu ergreifen, dazu fehlte ihm das sanguinische Temperament. Auch waren die Bedingungen, von denen seine Zukunft abhing, unter allen Umständen sehr schwierig. Was blieb ihm als Juden offen? Sich taufen lassen - der Entschluß keimte; aber es gehört in einem gefühlvollen Herzen Zeit dazu, bis er reif wird. Rücksichten auf Eltern und Verwandte traten ebenfalls hindernd dazwischen. Zunächst konnte noch einige Hoffnung seyn, daß das Benehmen der neuen Frankfurter Regierung gegen die Juden in Wien oder vom Bundestage könnte cassirt werden; denn es widersprach aller Billigkeit. Die Judengemeinde in Frankfurt hatte sich durch die Summe von 440,000 Gulden das Bürgerrecht erkauft; Preußens und Oesterreichs Staatskanzler, die Fürsten Hardenberg und Metternich, versicherten sie ihrer thätigsten Verwendung und richteten selbst Zuschriften an den Frankfurter Senat, um diesen zu einer billigen Ausgleichung zu bewegen. Die Gemeinde schickte Börne’s Vater, J. Gumprecht und G. G. Uffenheim zum Wiener Congreß, die Akte des Congresses wahrt im Artikel 46 die Rechte der Juden 94 in Frankfurt; dennoch wurden auf den Grund des Ausdrucks: Les institutions seront basés sur le principe dune parfaite egalité der Zukunft die nähern Bestimmungen anheim gegeben, einer Zukunft, die Alles beim Alten ließ. Am liebsten hätte man wieder sämmtliche Juden in die Judengasse eingesperrt. Börne besorgte damals im Auftrage der Gemeinde eine lichtvolle Zusammenstellung der Aktenstücke, welche diese Frage erläutert; sie erschien 1816 unter dem Titel: „Aktenmäßige Darstellung des Bürgerrechts der Israeliten in Frankfurt am Main.“

Börne’s Vater, der nicht umsonst in Bonn mit dem nachmaligen Fürsten Metternich zusammen in die Schule gegangen war (wenigstens erzählt man es in Frankfurt) war ein halber Diplomat. Er hörte zwar nicht auf, mit Eifer für die rechtliche Gleichstellung der Juden zu wirken, sah aber auch mit Schrecken, daß die Fürsten und ihre Rathgeber den erwachenden und von manchen Ideologen, wie Rühs, Fries und Anderen genährten Judenhaß theilten. So veranlaßte er zwar seinen Sohn, eine Brochüre zu schreiben: „Die Juden und ihre Gegner;“ erschrak aber, als sie schon gedruckt war, so sehr vor dem bösen Blute, das diese Schrift setzen konnte, daß er sie selbst unterdrückte; 95 gewissenhaft genug muß er dies betrieben haben; denn man möchte schwerlich von dieser Schrift noch ein Exemplar aufzutreiben im Stand sein. Eine kleinere Flugschrift von Börne unter dem Titel: Für die Juden, erschien auf Veranlassung der Posse: Unser Verkehr, in der damals der Schauspieler Wurm die gemeine jüdische Nationalität täuschend lächerlich wiedergab. Sie wurde wenig verbreitet und ist ihrem Hauptinhalte nach in die „Gesammelten Schriften“ aufgenommen.

Natürlich mußten diese verschiedenen Federproben in Börne den Gedanken, als Schriftsteller zu wirken, immer klarer ausbilden. Nur Mistrauen in die eigne Kraft, vielleicht auch Mangel an Aufmunterung hielten ihn noch immer zurück, ihn mit Lebendigkeit zu erfassen und durchzuführen. Er hatte der Welt in der Richtung, die sie zu nehmen anfing, so unermeßlich viel zu sagen und grade weil er das Ende nicht absah, wußte er noch immer nicht den Anfang zu finden. Schon im Jahre 1815 hatte er auf einer Vergnügungsreise nach Stuttgart Gelegenheit, den berühmten Buchhändler Cotta, der als ein Anhalt aller Talente bekannt war, zu sprechen; doch erfolgte noch keine nähere Verbindung. Cotta bot dem Dr. Baruch die Spal-96ten seiner Zeitschriften an, die erst in späterer Zeit bestimmt waren, von seinen geistreichen Aufsätzen geziert zu werden. Die Unentschlossenheit des angehenden Schriftstellers wurde noch durch die Gewissenhaftigkeit, mit der er arbeitete, vermehrt, zum Theil auch wohl durch den Mangel an Routine, der ihn bis an sein Ende nicht verließ. Er schrieb zwar leicht nieder, aber die Gedanken mußten sich vorher im Kopfe schon gerundet haben, sie mußten fertig auf das Papier kommen. Dazu war Börne im Ausdruck wählerisch, ein fehlendes Bild störte ihn lange und hatte er es, so sann er wieder auf die passendste Art, es anzubringen. Es war ihm die Haupttriebfeder des Schriftstellers, Ehrgeiz, gänzlich fremd; Neuerungssucht in dem Sinne, andre Menschen verbessern zu wollen, große Umwälzungen zu veranlassen oder wenn nichts, doch wenigstens Aufsehen zu erregen, kannte er nicht. Wenn er auch in seinem spätern schriftstellerischen Wirken von der Ansicht ausging, daß jede Arbeit ihres Lohnes werth wäre, so konnte ihn doch Aussicht auf Gewinn eben so wenig locken. So gingen denn einige Jahre in planloser Zerstreuung hin. Seine Lieblingslektüre war um diese Zeit Jean Paul. Er las in den Häusern, die er am liebsten besuchte, bei Stiebel, Ochs, bei Reis 97 zuweilen den Frauen, deren Umgang er vorzugsweise liebte, vor, ließ sich aber von dem eignen Interesse, das er an dem Dichter nahm, so bewältigen, daß z. B. über den Feldprediger Schmelzle sein Vortrag im unauslöschlichen Lachen, das er selbst nicht zurückhalten konnte, erstickte.

Dr. Stifel hatte im Jahre 1817 die Absicht, eine Zeitung im constitutionellen Sinne, aber zu Gunsten der Regierung herauszugeben. Freiherr von Otterstedt, der Preußische Gesandte, ermuthigte ihn dazu, Cotta erbot sich zum Verlag. Börne sollte für diese unter dem Namen Ministerialblatt projektirte Zeitung gewonnen werden. Stifel und Börne reisten nach Stuttgart, konnten sich aber mit Cotta nicht einigen. Der Plan schlummerte ein und ersparte Börne die Verlegenheit, sich in ein Unternehmen eingelassen zu haben, das zwar Freimüthigkeit im Schilde führte, seinen Ansichten aber auf die Länge großen Zwang angelegt haben würde. Börne erntete von dieser Reise nichts, als den Stoff zu seiner Monographie der deutschen Postschnecke.

Im Juli 1817 verlebte Dr. Stifel mit Börne in Rödelheim bei Frankfurt einige sehr angenehme Wochen. Sie besorgten dem Rath Schlosser (Göthe's 98 Schwager) die Correctur einer dort gedruckten Denkschrift für die Juden. Beide kamen sie bei einer Wasserfahrt auf der Nied beinahe einmal in Lebensgefahr.

Den 5. Juni 1818 that Börne einen Schritt, der ihm für sein ferneres Wirken unerläßlich schien. Er trat zum Christenthum, lutherischer Confession, über. Er war damals 32 Jahr alt. Pfarrer Bertuch in Rödelheim bei Frankfurt übernahm die geistliche Handlung, an der dessen Sohn, der damalige Handelsbeflissene Bertuch (jetzt in Italien) als Taufzeuge theilnahm. Von diesem Pathen nahm Börne noch den Namen Karl an, so daß er jetzt eigentlich Karl Ludwig Börne hieß. Wie er auf diesen letztern Eigennamen kam, ob er ihn sich selbst zusammensetzte oder irgend woher entlehnte, ist unbekannt und wird am wenigsten durch seinen humoristischen Stammbaum in den Pariser Briefen, wo er sich vom großen Bör ableitete, klar werden. Lange blieb Börne’s Religionswechsel unbekannt; selbst seine nächsten Bekannten, sein eigner Vater, der es auch später lange nicht glauben wollte, wußten nichts davon. Ein Beweis, wie wenig er dadurch auf die Erlangung äußerer Vortheile oder eine Veränderung seiner gesellschaft-99lichen Stellung gerechnet hatte, ist sein wunderliches Verhalten, als er sich im Winter desselben Jahres zur Aufnahme in die Frankfurter Lesegesellschaft meldete. Als Herausgeber eines Journals, (es waren die ersten Hefte der Wage erschienen) schrieb er damals an einen der Vorsteher jener Anstalt, wäre ihm die Zeitungslektüre so sehr Bedürfniß geworden, daß er sich gern unter den Mitgliedern jener Gesellschaft befände. Der Brief lautet:

Ew. Wohlgeboren.

Ich erlaube mir mich an Sie als einen der Vorsteher der hiesigen Lesegesellschaft zu wenden. Es ist mein Wunsch, derselben als Mitglied beizutreten. Zwar haben mich Freunde versichert, daß ich Hindernisse finden würde, wegen meiner Abstammung von einem, ich weiß nicht welchem, der Zwölf Stämme Israels; indessen schmeichle ich mir, daß Sie meine herzliche Bitte berücksichtigen und mit Theilnahme für mich reden werden. Es ist mir nicht blos darum zu thun, den Vortheil, und den Genuß einer Anstalt, die sonst jedem wohleingerichteten Menschen offen steht,*) auch 100 mir zuzuwenden; dieses allein würde meine Abneigung in eine Gesellschaft einzutreten, wo auch nur zwei mich ungern sehen, nicht haben überwinden können. Aber diese Lese-Anstalt ist mir unentbehrlich, da ich Herausgeber einer Zeitschrift bin (der Wage) und wir Journalisten, wie Sie wissen, weder Honig, damit zu erquicken, noch Wachs, damit zu leuchten, machen können, wenn wir nicht auf den litterarischen Wiesen, bald diese bald jene Blume aussaugen. Man hat mich versichert, daß Sie, werthester Herr, die Gefälligkeit selbst wären, und sich gewiß bemühen würden, meinen Wunsch in Erfüllung zu bringen.

 Ich habe die Ehre hochachtungsvoll zu unterzeichnen

Ihr ergebenster

Dr. Börne.

Frankfurt, den 12. November 1818.

(Im Johaniterhof auf der Fahrgasse.)

Man schlug ihm sein Gesuch ab, weil die Gesetze der Anstalt Israeliten ausschlossen. Nun war er doch Christ und konnte sich als solcher geltend machen! Dies verschmähte er. Man erfuhr seine Religionsänderung erst, als er einige Jahre später einen verdrießlichen Handel mit der Polizei hatte, der ihn auf mehre Tage, wegen eines Mißverständnisses, auf die 101 Hauptwache brachte. Der Aktuar wollte damals zur Einleitung des Verhörs, Namen, Stand, Religion u. s. w. aufschreiben, hatte schon die Rubrik Religion mit: Israelitisch ausgefüllt und hörte zu nicht geringer Verwunderung, daß Beklagter Christ war.

Börne’s Uebertritt wurde zwar zunächst nur durch das gleichzeitige Erscheinen seiner berühmten Zeitschrift: „Die Wage“ veranlaßt; indessen mochte ihn doch vielleicht außer dem bloß politischen Grund zu diesem Schritt auch der Umstand bestimmen, daß er dem Judenthum, seinen Gebräuchen und Lehren, völlig fremd geworden war. Er wollte von seiner einseitigen Stellung zu seinen Glaubensgenossen frei werden und sich zu einem übersichtlichen Höhepunkt aufschwingen, von dem aus er alle Interessen Deutschlands mit gleichem Scharfblick überschaute. Der Einwand, daß er an diesen als Jude gar nicht betheiligt seyn könne, mußte zuerst zurückgewiesen werden. Der Gedanke, als Publizist zu wirken, war jetzt zu lebendig in ihm aufgegangen.

In den geselligen Kreisen, wo Börne zu verkehren pflegte, hatte man ihn oft über den jämmerlichen Zustand der deutschen Tagesblätter klagen hören. Es fehle ihnen Taktik, Geist, Styl, alles, womit sich die 102 Ideen eine schlagendere Wirkung erobern könnten. Man ermunterte ihn, doch selbst mit einem Journal aufzutreten. Ich werd’ es auch! sagte er mit einem Ausdruck, der seine Bescheidenheit verrieth; denn daß man ihn aufforderte, machte ihm den Entschluß schon um Vieles leichter. Wie erstaunte man, als Börne, an dem man schnelles Auffassen eines Planes und langsames Ausführen gewohnt war, in der That nach einiger Zeit erschien und einem vertrauten Kreise seinen Prospektus zur Wage vorlas! Er gefiel allgemein und bald trat das erste Heft der neuen Zeitschrift ans Licht. Sie sollte in zwanglosen Heften erscheinen und bandweise bezahlt werden. Börne, der damals im Johaniterhof auf der Fahrgasse (österreichisches Besitzthum) wohnte, nahm selbst die Bestellungen an, wandte selbst die ersten Ausgaben an seine Unternehmung und hatte bald einen so guten Erfolg, daß er das erste Heft neu auflegen mußte. Geheimerath Willemer besuchte ihn sogleich nach Erscheinen desselben; von allen Seiten kamen Briefe und ermunterten den noch ängstlichen Redakteur, in seinem Wirken fortzufahren. Wie, sagten die, die früher nichts Besonderes in ihm gesehen hatten, das wäre dieser Doktor Baruch, der auf dem Römer nie ein ordentliches Protokoll abfassen 103 konnte? Die Wage verbreitete sich zwar nicht in Massen, aber doch überall dorthin in Deutschland, wo Urtheil genug vorhanden war, den Geist derselben zu würdigen. Wie viel Aufsehen sie in Wien machte, beweist die sehr günstige Meinung, welche Gentz über den Herausgeber zu Rahel Varnhagen aussprach. Diese schrieb im Jahre 1819: „Dr. Börne schreibt ein Journal: Die Wage. Mir empfahl es Gentz als das Geistreichste, Witzigste, was jetzt geschrieben würde, er empfahl es mir mit enthusiastischem Lobe; seit Lessing, sagte er mir, - er meinte einen bestimmten Artikel darin - seyen solche Theaterkritiken nicht erschienen! Ich glaubte natürlich Gentz. Aber weit übertraf das Werk sein Lob an Witz, schöner Schreibart. Es ist scharf, tief, gründlich-wahr, muthvoll, nicht neumodisch, ganz neu, gelassen wie einer der guten Alten, empört, wie man soll, über Schlechtes in der Kunst. Und so gewiß ich lebe, ein sehr rechtschaffener Mensch! Wenn Sie seine Theaterkritiken lesen und nie die Stücke gesehen haben, so kennen Sie diese, als hätten Sie sie vor sich. Den Stücken zeigt er ihren Platz an. Machen Sie ja, daß Sie seine Kritiken lesen. Sie lachen sich gesund! Anderes von ihm kenn’ ich nicht. Gentz tadelte stark seine po-104litischen Meinungen, fand aber begreiflich, daß er sie hätte. *)

Daraus, daß die Regierungen auf die Wage aufmerksam wurden, ersieht man wohl, wie sehr man den leitenden Gedanken Börne’s, die Politik, verstand. So wie sich ihm die politischen Ideen als Rektificationsmittel der trüben Luft, die sich in unsern ästhetischen, moralischen, geselligen Beziehungen angehäuft hatte, erwiesen und er jene zu vertreiben suchte, daß er den Essig seiner Satyre auf den heißen Stein der mißlichen politischen Verhältnisse goß, eben so konnt’ er auch äußerlich nicht unterlassen, seine Bilder aus politischen Regionen herzunehmen und in der ganzen Färbung seines Ausdruckes zu verrathen, daß ihm die 105 Politik immer gegenwärtig war. Sie schimmerte wie ein seidnes Unterkleid durch einen Gaze-Ueberwurf immer wieder hervor. Konnt’ er doch selbst z. B. bei seinen Theaterkritiken nicht unterlassen, einmal von einer an der Frankfurter Bühne gastirenden Dame vom ständischen Theater in Grätz zu sagen: Wenn die Stände in Grätz so leise sprächen, wie diese Dame, dann müsse es um die Freiheit Steyermarks sehr schlimm stehen. Börne hatte keine Vorstellung davon, wie manche zahme Journalisten eine neu begründete Zeitung mit der Bemerkung ankündigen konnten: „die Politik ist gänzlich ausgeschlossen“ oder um es richtiger zu sagen, Börne hat oft gerathen, allerdings solche, die Machthaber täuschende Erklärungen zu geben, aber er konnte nicht begreifen, wie sie sich halten ließen. Er rieth den Freunden der Freiheit oft, Jesuiten zu werden; wo keine freie Einfuhr erlaubt sey, lieber zu schmuggeln; aber das einfältige Einhalten einer solchen Prospektusversicherung war ihm den zu bekämpfenden politischen Zuständen gegenüber, unerklärlich. In Paris vollends schien ihm auch eine solche Erklärung verdammungswürdig. Die kurz nach der Julirevolution gestiftete Europe littéraire, die dem Gedanken Goethes von einer Weltliteratur großen Vorschub hätte leisten können, aber 106 bald der zu kostspieligen Begründung wegen eingehen mußte, hatte, um in Deutschland Eingang zu finden, erklärt: Die Politik bleibt von unsern Spalten ausgeschlossen. Dies schien Börne schimpflich: denn eine Freiheit haben und sie nicht benutzen, war ihm noch mehr als eine Thorheit. In Deutschland entschuldigte er die Wendung, wenn er auch nicht geschaffen war, sie einzuhalten. Ich mußte lachen, als mir Börne Ende des Jahres 1836 von Paris aus sagen ließ, er wolle zu der in Frankfurt damals erscheinenden „Börsen-Zeitung“ eine Sonntagsbeilage schreiben, ganz „mit Ausschluß der Politik.“ Ich wußte recht gut, daß Börne nur über die Taglioni und die Malibran zu schreiben brauchte und darum doch staatsgefährlich bleiben würde.

Wir müssen hier gleich an der Schwelle der Betrachtungen über Börne als Schriftsteller einen Punkt erwägen, der bedenklich scheinen könnte. Börne sprach in seiner Wage über Kunst, Literatur, Gesellschaft und hatte dabei immer nur den Maaßstab der Politik. Es ist nun aber in neurer Zeit zu einem sehr folgenreichen Streite über die Frage gekommen: In wie fern politische Maaßstäbe zur Beurtheilung dichterischer Eigenthümlichkeiten ausreichen? Daß man sie anlegte, 107 war gewiß eine Nothwendigkeit, die einmal in der Zeit lag. Unsre Literatur hat sich während der schönsten Zeit ihrer Blüthe nur in Zuständen heimisch gefühlt, welche dem unmittelbaren Bewußtsein der Gegenwart fern lagen. In Griechenland, Rom, im alten Germanien, in den Nebeln des Nordens bewegten sich die Anschauungen der Dichter und die Philosophen beschäftigten sich eher damit, das Räthsel der Weltschöpfung zu lösen, als eine schwebende Frage der Zeit. Jedenfalls mußte gegen diese idealische Welt eine Reaktion statt finden, die um so gewaltiger war, als sie mit den Stürmen der politischen Erlebnisse selbst heraufzog und sich nach und nach sogar mit Geistesrichtungen und Dichtern verbinden konnte, welche die Stimmungen des nächsten Moments der Zeitgeschichte wiedergaben und die Leier nur zu vaterländisch-freisinnigen Gesängen stimmten. Die Fürsten hatten an dem Aufschwung unsrer klassischen Literaturperiode einen Antheil gehabt, den ihre Söhne an dem ihr folgenden silbernen Zeitalter nicht mehr nehmen wollten, weil sie vor dem neuen Geist der Dichter und Schriftsteller erschraken. Diejenigen Heroen der literarischen Vergangenheit, welche in die neue Gegenwart noch hinein lebten, konnten sich in dem Wesen derselben 108 nicht zurecht finden und Goethe zeigte sogar unverholen, daß ihm das Studium der Gall’schen Schädellehre mehr Interesse gewähre, als die Neuerungen unsres öffentlichen Geistes seit dem Sieg über Napoleon.

So lange sich der patriotisch-freisinnige Zeitgeist gegen jene Thatsache entrüstete, war er ohne Zweifel in dem vollen Recht, das die Gegenwart an sich selbst hat; das Fehlerhafte fing nur an, als man über diese Thatsache als solche hinaus ging. Nicht genug, daß man die vorzugsweise aristokratischen Ueberlieferungen der klassischen Periode mit jener Sprödigkeit ablehnte, die der aufgeregten Stimmung nicht verdacht werden konnte; man dehnte seine Opposition auch über die Gegenwart aus, und übertrug sie in eine Vergangenheit, die sich unter Umständen entwickelt hatte, welche sie in politischer Hinsicht von vornherein unzurechnungsfähig machten. Von den Gesinnungen stürmte man zum Talent selbst über und glaubte, nachdem erwiesen, daß Goethe ein Aristokrat war, auch erweisen zu können, daß er kein Genie hatte.

Börne hat sich bei dieser Bilderstürmerey indessen nie von dem Fanatismus fortreißen lassen, den Wolfgang Menzel zur Schau trug. Börne empfand die vornehme Excellença Göthes schmerzlich genug, er 109 geißelte die aristokratische Ruhe dieses Ueberglücklichen mit mehr als bloß kaltem Spott, er geißelte sie mit glühendem Zorn und nicht verhaltener tiefster Erbitterung; über die Gesinnung ging er aber kaum hinaus, sich anmaaßend, dasjenige, was er verderblich nannte, auch stümperhaft zu nennen. Börne trat auch nicht wie Menzel im Interesse andrer Richtungen, z. B. der Romantik auf, welcher die Goethen abgerissene Pracht und Herrlichkeit angeflickt werden sollte, sondern es war ein ursprüngliches, rein menschliches Gefühl, welches er durch Goethes Stellung in Deutschland an sich verletzt sahe. Er verlor sich nicht so wie Menzel in die frühsten Anfänge des Dichters, zergliederte nicht Goetz, Werther und Egmont schon in dem Geiste von 1819, sondern eben weil er diese Größe Goethen lassen mußte, war es ihm um so schmerzlicher, ihn nicht lieben zu können. Erst in der heftigen Aufregung, in die ihn die gehässige Aufnahme seiner ersten Pariser Briefe versetzte, ließ er sich gegen Goethe zu offenbaren Ungerechtigkeiten hinreißen. Die Kritik der Goethischen Tag- und Jahreshefte im dritten Band der Pariser Briefe ist nicht frei davon. Sie verwandelt das, was man an Goethe bemitleiden muß, in offenbar Hassenswürdiges; sie macht aus dem, was 110 Goethe nach dem ganzen Verlauf seiner Bildung nicht leisten konnte, etwas, das er seiner argen Natur nach nicht leisten wollte.

Um die Stimmung, die Börne gegen Goethe empfand, hier gleich vollends zu würdigen, muß man wissen, daß sie beide Landsleute waren. Börne konnte den ganzen Bildungsgang der Goethischen Jugend verfolgen; er wurde, so oft er von der Zeil und dem Türkenschuß nach dem Eschenheimer Thore in Frankfurt einen kürzern Weg nehmen wollte durch die schlimme Mauer, den Schauplatz des von Goethe erzählten Knabenmärchens, an den vornehmen Geheimrath in Weimar erinnert. Er kannte die patrizischen Einflüsse, die auf Goethes Jugend gewirkt hatten, er wußte das eigenthümlich Hochfahrende und ächt Frankfurterische in der Frau Rath genugsam zu würdigen, um sich Goethe in seiner gemüthlichen Erscheinung ganz klar zu machen. Die Abneigung Goethes gegen das Judenthum, eingeimpft schon durch die Geburt, anerzogen durch die Frankfurter Sitte, mochte nicht wenig zu seiner Verstimmung gegen Goethe beitragen. Und soll ich ganz sagen, was ich denke, so ist es mir oft, als hätte Börne darauf gerechnet, daß Goethe irgend wie seine Aeußerungen über ihn erfahren würde; nicht 111 als hätte ihn Eitelkeit dies wünschen lassen, wohl aber gönnte er ihm in seiner vornehmen Abgeschiedenheit, in dem Schooß jener künstlich arrangirten Glückseligkeit, wo weibliche Sorgfalt jede Unannehmlichkeit von ihm abzuhalten suchte, einmal den Einblick in Meinungen und Urtheile über ihn, die von den aus Berlin jährlich zum 28. August ankommenden Weihrauchopfern sehr verschieden waren. Er gönnte ihm, daß er noch vor seinem Tode erführe, wie ihn die neue Zeit fasse, und wie ihn nichts retten könne vor der Verurtheilung, die der erzürnte Genius des Vaterlandes, die beleidigte Göttin der Freiheit über ihn verhängt hätte.

Sonst wüßten wir nicht anzugeben, daß Börne je etwas Geistloses und Gewöhnliches deshalb angerühmt hätte, weil es patriotisch und liberal war, wie es Menzels Sitte; im Gegentheil konnte ihn nichts tiefer schmerzen, als Geist mit schlechten Gesinnungen vereinigt und bei guten mangeln zu sehen. Seine Briefe aus Paris verrathen später oft das unheimliche Gefühl, das ihn beschlich, wenn er enthusiastische Aeußerungen freier Ideen hörte und doch an dem, der sie aussprach, nichts fand, was ihn fester hätte anziehen können. Er hat seinen Ueberzeugungen nie den Geschmack geopfert. Er hat sich nie entschließen können, 112 einen gewissen ästhetischen Aristokratismus an sich zu unterdrücken. Man kann Jemandes bester Freund sein und sich doch nicht entschließen, mit ihm in einem Bette zu schlafen.*)

Die Liebe zur Freiheit ist wie jede edle Leidenschaft oft ungerecht, öfters aber noch unaussprechlich. Zuweilen ist sie auch nur deßhalb ungerecht, weil sie sich nicht aussprechen läßt. Börne kam hier zuweilen in verwickelte Collisionen seines Geschmacks für 113 das Schöne und seiner Sympathie für das Richtige. Aus diesem Gesichtspunkt war mir aus seiner spätern Zeit immer seine Beurtheilung des „Trauerspiels in Tyrol“ von Immermann interessant. Es störte ihn etwas an dieser Dichtung und doch zog sie ihn an. Er fühlte an diesem Werke etwas, das ihn lähmte, kann es nicht recht ausdrücken und wiedergeben, hundert Gedanken laufen ihm queer über den Weg, keiner ist der rechte und doch will jeder erwogen sein. Er räumt dem Dichter alles ein und sagt zuletzt: Nein, es ist doch, doch etwas darin, was mir fremd ist und bleiben wird. In einer solchen Stimmung greift er wohl zur Dialektik, die er denn auch gegen Immermanns Hofer scharfsinnig genug in Anwendung gebracht hat.

Wenn bei Börne Fälle eintraten, wo die Idee der Freiheit mit dem Geschmack collidirte, so wird man nach dem Vorhergehenden nicht zweifelhaft sein, daß er der ersten das Vorrecht einräumte. Er ging wie man an dem vorigen Beispiel sehen konnte, hart daran; „aber,“ sagt er, „in einer wüsten, kahlen, menschenleeren Zeit greift das Herz nach jeder Nahrung, daß es sich nur fülle, daß es nur fortbestehe.“ Indessen gab es doch einen Maaßstab, der ihm noch höher stand, als der politische; das war der moralische. Man 114 verstehe mich recht! Die moralischen Maaßstäbe sind in Verruf gekommen, seitdem sie von der Prüderie und der Scheinheiligkeit angelegt wurden. Börne’s moralischer Maaßstab war ein weit höherer; es war das Maaß des Gemüths und der Ehre. Das Malhonnette, Unhonorige war ihm tief verhaßt. Wir werden später, bei Entwickelung seines Charakters, auf diesen Adel des Herzens und eine ganz eigenthümliche Form, in der er sich bei ihm aussprach, zurückkommen; hier interessirt uns nur die Anwendung desselben auf seine Kritik. Börne verachtete z. B. den Schiller’schen Wilhelm Tell. Dieser gepriesene Held der schweizerischen Freiheit war ihm schon in seiner Wage, nicht nur ein Philister, sondern sogar ein schlechter, unedler Mensch. Börne konnte entschuldigen, daß Jemand für die Freiheit seines Vaterlandes vielleicht einen Mord beging, vielleicht einen falschen Eid schwor; aber er konnte nicht entschuldigen, daß Jemand, um Allen dienlich zu sein, sein Kind opfert. Daß Tell den Apfel vom Haupt seines Kindes schoß, empörte ihn; er ruft aus: „Tell hätte nicht auf seinen Sohn schießen dürfen und wäre aus der ganzen schweizerischen Freiheit nichts geworden!“ Etwas Trübes liegt, genau geprüft, allerdings auch in dieser Ideenverbindung, doch hängt sie mit 115 andern dunkeln Gemüthsstimmungen zusammen, die wir später entwickeln werden; wenigstens beweist dieser Ausspruch, daß Börne kein starrer Begriffsmensch war, kein kalter Terrorist, wie man ihn zu schildern pflegt, sondern ein sanftes Gemüth, dem die Liebe eines Vaters zu seinem Kinde noch höher ging, als die Liebe zur Freiheit.

Will man Börne’s politische Ideen darstellen, so muß man sie von der praktischen und theoretischen Seite auffassen. Jene sind die sichtbaren blauen Adern, die sich auf der schönen Haut seiner Schriften schlängeln, diese die tiefer liegenden Muskeln. Um jene zu schildern, muß man das Gemälde der politischen Lage Deutschlands aufrollen und die Geschichte erzählen, wie sie seit dreißig Jahren, von Napoleons Invasion bis zu der Ohnmacht der deutschen Ständekammern geworden. Börne ergriff als Publizist die Feder kurz nach dem Sturze Napoleons; die Abneigung gegen Napoleon, den Testamentsverfälscher der Revolution, verließ ihn niemals. War Börne nicht edel? Das Ende der französischen Herrschaft in Deutschland nahm ihm eine achtbare Stellung, die er auf der Frankfurter Polizei bekleidete, und doch erfüllt ihn der Gedanke an die Schmach des Vaterlandes stets nur mit Grauen. 116 Er hat nie die Vorstellung jenes Napoleon verlieren können, der die Revolution nur deßhalb bändigte, um sie zu seinem Pudel abzurichten; jenes Napoleon, der alle Traditionen derselben abschwor, nur um seine erzwungene Herrschaft mit der Legitimität, der kirchlichen und weltlichen, auszusöhnen. Er haßte die Verwaltungsgrundsätze Napoleons, seinen Verrath an der einzigen Frucht, die am Baume der Revolution zur vollendeten Reife gekommen war, der constitutionellen Freiheit, er haßte seine Kriege, weil sie die leichtsinnige Vergeßlichkeit der Franzosen schüren und ihre Gedanken von Dem ablenken sollten, was ihnen Napoleon genommen hatte. Den Hoffnungen, die der Sturz des Corsen nährte, entzog sich Börne nicht. Er war wirklich keiner von den Klugen, die nur deßhalb, weil sie des Enthusiasmus nicht fähig sind, schon damals gesagt haben wollen: ich sah das alles voraus. Aber um so bittrer mußte Börne’s Enttäuschung sein. Die feierliche Ankündigung der heiligen Allianz, der das einzig freie Volk Europas, England, nicht beitrat, weckte seine Besorgniß; die Verhandlungen des Wiener Congresses bestätigten sie. Die alte Zerstümmelung des Vaterlands blieb, aber noch konnte man hoffen, der Bundestag würde mehr als eine bloß diplomatische 117 Repräsentation werden. Männer, die für Patrioten galten, bildeten damals noch einen Theil dieses Areopags; aber bald wurde er, wie die großen Mächte sagten, epurirt. Jene Reaktion, deren aristokratischen, hierarchisch-jesuitischen, absolutistischen Zwecke von einer bestens organisirten Polizei schnell ins Werk gesetzt wurden, trat auf den Congressen in Aachen, Carlsbad, Verona immer unverholener hervor, die freisinnigen Staatsmänner, welche mit dem Volke glaubten, die letzten Kriege sollten uns nicht bloß von den Franzosen, sondern auch von jenen politischen Uebeln befreit haben, die jene so leicht zu Siegern über uns gemacht hatten, wurden genöthigt, ihren Abschied zu nehmen und traten zum Theil sogar in die Reihen der Oppositionen ein, die sich bei den in aller Eile gegebenen Verfassungen von selbst bilden mußten. Einzelne befangene, irrende oder bestochene Köpfe mißbrauchten ihr größres oder geringeres Talent, um gleichsam a priori solche politische Theorieen aufzustellen, die doch nur erfunden waren, um die Ansprüche der Aristokratie scheinbar rechtlich zu begründen; selbst die Religion, die christliche Religion, die Religion der Freiheit, wurde gebraucht, um die Unterthänigkeit des Volkes zu lehren. Freisinnige Lehrer der Jugend wurden verdächtigt. Viele 118 ihrer Stellen entsetzt, manche eingekerkert. Die Reaktion lockte natürlich etwas von einer Revolution hervor. Da man die Freiheit und die Nationaleinheit in der Idee, die das deutsche Volk damit verband, bedroht sah, bildeten sich, sie zu schützen, geheime Vereine. Sie wurden entdeckt und die Gefängnisse füllten sich mit jungen Männern, deren Schicksal doch nicht hindern konnte, daß andre immer Das wieder aufnahmen, was die Vorhergegangenen verloren gegeben hatten. Um das Volk zu verwirren, wirkte man auf die schlechten Leidenschaften der Masse, auf den Zunftgeist, den Religionshaß; man ließ die Juden die Heloten der Neuerungslust werden, wenigstens behaupteten die Juden, daß sie in den freien Städten bei den Behörden einen für ihre bedrängte Lage unverhältnißmäßig lauen Schutz fanden. Es kam den Intriguanten damals alles darauf an, daß die Begriffe von Freiheit und bürgerlichen Rechten dem Volke selbst verdächtig würden. Börne faßte auch in der Wage diese Verfolgungen der Juden vortrefflich auf. Nicht wie Andre wandte er sich mit bittern Vorwürfen an die Christen, nicht wies er satyrisch, wie das leider nur zu sehr bei den Emanzipationsschriftstellern Sitte ist, auf die „Religion der Liebe“ hin; sondern er bemitleidete die Masse, die nur 119 einem falschen Wahne, auf fremde Verführung, folgte. Er verglich noch später diese Judenverfolgungen mit der indischen Schlangenjagd. Um die Schlange zu erlegen, jage man ihr einen Ochsen in den Rachen; sie fresse sich satt und läge dann unbehülflich da, jedes Kind könne sie tödten. Börne kannte den Charakter der Deutschen. Eine Heldenthat, die Niemanden von den Angreifenden etwas kostete, nicht einmal Blut, viel weniger Geld, hält lange im Bewußtsein der Deutschen vor: sie sprechen hundert Jahre davon und wissen sich mit ihr für tausend Niederlagen zu trösten.

Mitten in der vollen Thätigkeit dieser rings um Deutschland bevestigten reaktionären Schrauben, die alles politische Leben hemmten und eine Freiheit nach der andern erdrückten, versuchte Börne, in seiner Wage über die Politik des Tages zu schreiben. Er griff die Gesetze, welche zur Beschränkung der Preßfreiheit gegeben wurden, behutsam, aber desto treffender an. Er schrieb seine geistvollen „Schüchternen Bemerkungen über Oesterreich und Preußen,“ in welchen er das Wesen beider Staaten in ihrer wechselseitigen Ergänzung darstellte, wohl aber auch mehr als ahnen ließ, wie gefährlich für Deutschland diese Ergänzung werden müßte, wenn beide Staaten auf eine Gattung 120 von Politik hinarbeiteten, an der sich damals noch zweifeln ließ, da ihre Werke noch nicht für sie zeugten. Zuweilen gab Börne Uebersichten über die damalige politische Lage, aus denen das Zusammenwirken einer und derselben feudalistischen Parthei in Spanien, Italien, Frankreich und Deutschland hervorging; er theilte die Ansichten ausländischer Publizisten über Deutschland mit. Aphorismen griffen kleinere Ereignisse aus der Tagesgeschichte auf und brachten sie unter den allgemeinen Gesichtspunkt seiner leitenden politischen Gedanken.

Als Börne das erste Heft seiner Wage dem ihm befreundeten Schauspieler Weidner, einem denkenden Künstler, übersandte, sagte er in dem Begleitungsschreiben: „Für Sie sind die Theaterkritiken meines Journals nicht; sie sind nur für solche Leser, die einer Lockspeise bedürfen, um auch das Uebrige zu lesen.“

Börne hat später oft die Strenge seiner dramaturgischen Urtheile bereut. Er sagt selbst, daß er die Anforderungen, die er als Herausgeber der Wage an die Leistungen des damaligen Personals der Frankfurter Bühne machte, niedriger gestellt haben würde, wenn er sich schon damals überzeugt hätte, daß auf 121 den meisten deutschen Theatern nicht besser gespielt wird, als es damals in Frankfurt wurde.

Börne ging an seine Theater-Kritiken mit außerordentlich viel Gewissenhaftigkeit. Er suchte sich vor der Aufführung immer erst mit dem Stücke selbst, falls es gedruckt zu haben war, bekannt zu machen; so konnte er seine Aufmerksamkeit allein auf das Spiel richten und gerieth nicht in Gefahr, vom Interesse der Fabel so beschäftigt zu werden, daß er darüber die Mängel ihrer Darstellung übersah. Er stellte an die Schauspieler die Anforderung, daß sie ihm die Wirklichkeit täuschend wiedergäben und uns die Illusionen des Theaters vergessen ließen. Statt dessen fand er meist, daß die sogenannten Künstler ihr Spiel grade nur für das Theater berechneten und selten in den Rollen die sie wiederzugeben hatten ganz aufgingen. Wer den Bösewicht spielen sollte, fürchtete sich, seine Gutmüthigkeit ganz zu verläugnen; wer von den Damen alt sein sollte, hüthete sich wohl zu verbergen, daß sie noch um einige Jahre jünger wäre, als ihre Rolle. Börne, ein feiner Beobachter des menschlichen Gemüths, in unsern gesellschaftlichen Begegnungen sehr empfänglich für den Anstand, war fortwährend auf der Folter, wenn er diese gänzliche Ermangelung aller psychologi-122schen Wahrheit sich spreizen, im Lehnstuhl hin und her werfen, in leidenschaftlichen Momenten stöhnen und tragiren sah. Er kannte den Hof nicht, aber er wußte, daß kein Fürst mit seiner Frau so spricht, wie Clauren im Hotel de Wiburg einen sprechen läßt und der Schauspieler, nun gar noch outrirend, es wiedergiebt. Man hat gut sagen, daß Börne sein Urtheil milder hätte aussprechen sollen! Einem Mann von Urtheil und Geschmack ist nichts so peinigend, als der Beifall, der den Fehlern der Schauspieler gespendet wird. Wer eine Zeitschrift herausgiebt, die das Schauspiel einmal in den Kreis ihrer Besprechungen gezogen hat, kann so wenig wie die Satyre, so wenig seine wahre Meinung über den gestrigen Theaterabend unterdrücken. Wer keine Rücksicht auf ein Freibillet nimmt, von den Schauspielern bei ihren Benefizen kein Prozent von der Einnahme erwartet, durchreisenden Schauspielern sich verläugnen läßt, und die Empfehlungsbriefe, die sie mitbringen, uneröffnet in den Papierkorb wirft, wer nicht das Cafféhaus besucht, wo sich die Mitglieder des Theaters zu versammeln pflegen und sich abstumpft gegen jede auch noch so lockende Gelegenheit, die nähere Bekanntschaft der ersten Liebhaberin zu machen, und dabei den Geist, die Kenntnisse und den Geschmack 123 Börnes besaß, konnte nicht anders urtheilen, als er urtheilte. Einem freien Kritiker scheint an der Ordnung der Dinge etwas verrückt zu sein, wenn die Intension eines Dichters von einem Schauspieler nicht verstanden oder aus übermäßigem Verständniß verzerrt wird. Er hat nicht eher Ruhe, bis dem Dichter, bis der Natur wieder ihr Recht geschehen und man möchte, wenn es auch lächerlich klingt, fast sagen, die Lücke in der Weltordnung compensirt ist.

Börne war aber nicht bloß streng gegen die persönliche Leistung des Schauspielers, sondern eben so gegen den Regisseur. Da er die Wiedergabe der Wirklichkeit täuschend verlangte, so konnte ihn im Arrangement der Stücke, ihrer Scenerie, namentlich aber in der Comparserie nichts so sehr verletzen, als was den Theaterplunder zu grell herausstellte, die nachgiebige Phantasie und Ergänzungskraft des Zuschauers zu sehr in Anspruch nahm. Ein bürgerliches Zimmer, das zu kostbar, ein Prunkgemach, das zu einer Bürgerwohnung gehören sollte, beleidigte ihn. Durchaus komisch sind in seiner Dramaturgie die ewigen Klagen, daß für die Hölle, z. B. im Don Juan, viel zu wenig Feuerwerk verwandt wird, daß nicht genug Schwärmer prasseln und alles nur auf eine jämmerliche Komödie berechnet 124 wäre. Namentlich ärgerte ihn der geringe Aufwand, mit welchem die damalige Frankfurter Bühne Schlachten und Gefechte aufführen ließ. Sechs Mann von der Stadtmiliz sollten nicht selten ein ganzes Arméecorps vorstellen, und durch das Zusammenschlagen zweier blecherner Gefäße versuchte man, ein Gefecht hinter der Scene anschaulich zu machen. Wenn es hieß: Bauern, Volk, Soldaten u. s. w. so war die Anzahl, die davon zu sehen war, Börnen immer zu gering und er spottete mit schlagendem Witz, ob sich wohl eine Räuberbande durch fünf solcher Landdragoner gefangen nehmen ließe u. s. w. Er hatte dabei den eignen Ausdruck, daß er, auf dergleichen Mißstände kommend, fragte: „Und was war denn das da wieder“ z. B. mit den drei bis vier Verschwornen, die einen ganzen Staat stürzen wollen? u. s. w. Um Börnes Gedanken hiebei ganz richtig zu treffen, müssen wir hinzusetzen, daß er in dergleichen Armseligkeiten eine gewisse kleinstädtische und spießbürgerliche Hungerleiderei erblickte, und sich, man sollte es kaum glauben, wirklich darüber ärgerte. Er verband damit die Vorstellung von der ganzen knappen Engherzigkeit unsrer Unternehmungen, von einer gewissen reichsstädtischen Krähwinkelei, von der leeren und nüchternen Spiegelfechterei, 125 mit der man da wage, uns wie Kindern ein bischen Lärm vorzurasseln und uns durch ein Dutzend Schwärmer Furcht für Hundert einzujagen; denn auch die Ritterlichkeit seines Charakters sträubte sich gegen solche, rein auf Verblüffung angelegte Zumuthungen.

Wie empfänglich sein in spätern Jahren leidendes Ohr für die Reize der Musik war, hat Börne in den Pariser Briefen durch die Bewunderung, die er vor der Malibran hegte, genug ausgesprochen. Es war nicht das meisterhafte Spiel dieser Sängerin, das allein ihn so sehr in Anspruch nahm, sondern er war Kenner des Gesanges, so weit es sich um den Eindruck der Composition, um den Eindruck des Vortrages handelte. Die Mozart’schen Opern hatte er so in sich aufgenommen, daß er mit wahrem Schmerz fühlte, wie bei ihrer Aufführung in Frankreich der eigentliche Duft von ihnen weggeweht schien und es zwar die alten, ihm so vertrauten Töne noch waren, aber im Munde der Italiäner, auf den Saiten der Franzosen, nicht mehr der ächte classische Geist derselben. Früher hatte Börne auch in der vor Zeiten ausgezeichneten Darmstädt’schen Oper, welche die Frankfurter häufig zu besuchen pflegten, Gelegenheit, sein musikalisches Urtheil zu bilden. Die Töne aus der Haydn’schen Schule wirkten auf sein Herz 126 am einschmeichelndsten: er war glücklich nach einer Oper von Rossini einmal wieder die rührenden Töne der Schweizerfamilie zu hören, wenn er auch Weigls Tonmalerei in Nachtigal und Rabe für kindisch erklärte. Was mußte er später Rossini schätzen lernen, als erst jene weichlichen Cantilenen von Bellini und Donizetti aufkamen, welche nur für die Erschlaffung der Gemüther berechnet scheinen! Sein Aufsatz über die Sonntag, der ihm in Berlin so viel Bewunderer seines Talents der Bewunderung verschaffte, darf in dieser Verbindung nicht unerwähnt bleiben.

Für Börne’s unmittelbar die Poesie mit dem Leben verbindende Prinzipien mußte der dramatische Dichter am höchsten stehen. Je größer ihm der ächte Genius erschien, der das Leben, erfaßt in seinen tiefsten Räthseln, die Menschen in ihrer Wirklichkeit, das Erhabene in seiner unverkürzten Größe auf die Bühne bringt zur Erschütterung der Tyrannen, zum Beispiel der Nacheiferung für die Menge; so verächtlich und gefährlich erschien ihm der dramatische Stümper, der die gemeinen Sitten des Tages, die Lüge und die Verworfenheit unsrer Standesbeziehungen ohne eine höhere sittliche Verklärung wiedergab, erschien ihm der Anmaaßliche, der sich die Miene giebt, das Erhabene 127 schildern zu wollen und doch nur eine Karrikatur dafür ausgiebt, der für etwas Gewöhnliches und Schwächliches unsre tiefsten Gemüthserregungen in Anspruch nimmt. Man muß sich die dramatische Literatur der Restaurationsperiode von 1815 bis beinahe 1830 vergegenwärtigen, um den günstigen Boden auszumessen, auf dem sich Börne mit seiner edlen Entrüstung und mit seiner Satyre tummeln konnte. Seitdem Schiller todt war, hatte man den Kothurn ihm nicht mit ins Grab gelegt; sondern seine Nachfolger wagten es, ihren kleinen Fuß auf ihm anschnallen zu lassen und nun mit lächerlichem Pathos, ohne innre sittliche Würde, ohne den ächten Schwung der Phantasie, auf ihm herumzuschlorren. So sehr sich Börne vom Dichterfeuer eines Grillparzer erwärmen ließ, so fröstelte ihn bei der dürftigen Armuth eines Houwald. Mit dem Schweiß des Angesichtes kitteten dieser und ihm ähnliche ihre papierne Welt wie Kartenhäuschen zusammen. Weil man das Erhabene nicht mehr aus seinen eignen Combinationen zu schaffen wagte, so erfand man sich einen Spukbegriff, der jenen Puppen einer armseligen Erfindung etwas Schauerliches geben sollte, die Schicksalsidee. Diese polterte wie ein Justinus Kerner’scher Geist aus dem Zwischenreich hinter den Coulissen der 128 Bühne und langte zuweilen geisterhaft eine dürre Gespensterhand von oben herab, die den Drath verrieth, an welchem die Figuren gelenkt wurden. Zuweilen schlich die Schicksalsidee, in Gestalt einer Ahnfrau, in langem, schwarzem Kleide über die Bühne und ächzte wie ein Jahrtausendjähriges Verbrechen, das auf Erlösung harrt. Bald hockte der Kobold an der Schwelle eines „Leuchtthurms,“ bald hinter einem „Bilde,“ bald begleitete er einen armen zum Tode geweihten Hungerleider von Helden auf der „Heimkehr“ in eine Försterswohnung. Börne hatte gegen diese Schicksalstragödien, die aber weit mehr Zufallstragödien waren, unaufhörlich zu kämpfen; er gesteht ein, dies tragische Schicksal nicht begreifen zu können. „Was sie unter Schicksal verstehen,“ sagte er, „hab’ ich nie verstanden; ich habe nie verstanden diese Mischung von antiker und romantischer Denkweise, dieses christliche Heidenthum. Entweder ist der Tod ein liebender Vater, der sein Kind aus der Schule des Lebens abholt, und dann ist es untragisch; oder es ist der menschenfressende Kronos, der seine eigenen Kinder verschlingt, und dann ist es unchristlich. Euer Schicksal ist ein Zwitter, unfähig zum Zeugen, wie zum Gebähren.“ Die Börne’sche Analyse der Dramen, welche 129 damals auf die Schicksalsidee gebaut wurden, sind Meisterstücke der feinsten und scharfsinnigsten Kritik. Man machte ihm eine gewisse Neigung zu Consequenzen zum Vorwurf; Müllner sogar, den Börne, auffallend genug, schonte, wollte in einer Kritik der Wage gleichsam sagen, der Verstand könne alles lächerlich machen; aber die Fabel z. B. der Houwald'schen Stücke war doch meist so widersinnig zusammengesetzt, daß sie keine andre Kritik, als die der gesunden Vernunft verdiente. Von der Begeisterung, die diese Pseudo-Dichter selbst empfanden, setzten sie voraus, müsse auch der Zuschauer angesteckt sein, während ihre Gebilde auf diesen keinen andern Eindruck hervorbrachten, als den des Zweifels und der Verwunderung. Die besonnene Kritik konnte von den Strömen von Thränen, die um Houwalds Bild flossen, nicht fortgerissen werden.

Zu diesen Erzeugnissen einer verspäteten und forcirten Romantik gesellten sich alle die abgestandenen Reste des Repertoirs von ehemals. Iffland schilderte deutsche Duodezzustände an den Höfen, die veraltet waren und ganz neuen Untugenden und Umtrieben der Fürsten und Beamten Platz gemacht hatten. Diese edlen Justizräthe und Präsidenten paßten wenig für eine Zeit, in welcher die Untersuchungscommissionen 130 über demagogische Umtriebe niedergesetzt wurden. Dann brachte das neue Repertoir die patriotischen Stücke, in welchen die Begeisterung von 1813 und der Triumph von 1815 kein Ende nehmen wollte, Stücke, wo alle Personen die Kokarde trugen und jeder junge Liebhaber früher freiwilliger Jäger gewesen war und Anspruch auf das eiserne Kreuz hatte. Die Kosaken wurden in diesen Stücken noch immer als Brüder behandelt und freisinnige Idealisten als Projektenmacher, von denen im letzten Act herauskam, daß sie schon einmal gestohlen, oder sie wurden als vierschrötige Turner ausgelacht. Die militairischen Spektakelstücke lösten die alten Ritterstücke ab. An die Stelle Wallensteins oder Ottos von Wittelsbach kamen der alte Dessauer, Friedrich der Große, wunderthätige Feldmarschälle, die das tragische Schicksal in der Patrontasche trugen und es als Tags- oder Militairbefehl austheilten. Wachtparaden zogen in den Stücken auf, Trommeln wirbelten, Kanonen wurden abgefeuert, Bivouaks gehalten, kurz es war alles auf den Landsturm und die Einführung der allgemeinen Militairverpflichtung berechnet. Und trotz dieser erbärmlichen Richtung, die bald von der noch schlechtern der Vaudeville-Uebersetzer, mit welcher Angely und die Sieben 131 Mädchen in Uniform aufkamen, abgelöst werden sollte; trotz dieser Unsumme von Trivialität war Börne kein Rigorist. Wo ihm eine natürliche, wenn auch noch so leichte Erfindung Lachen entlockte, da gab er sich harmlos hin und selbst von Kotzebue sagte er: Da haben sie mir meinen allerliebsten unersetzlichen Kotzebue todt gestochen! - Börne war besonnen genug, die Vielseitigkeit seines Talentes anzuerkennen, wenn er ihn auch mit der bittersten Lauge übergoß, wo er sich herausnahm, von uns für seine erlogenen Thränen Mitgefühl zu fordern. So oft die Gemeinheit eines Kotzebue erhaben werden will und seine Lasterhaftigkeit empfindsam, ist er auch ihm unerträglich. Von Raupach, der sich damals erst entwickelte, hatte Börne ein wenig schmeichelhaftes Vorgefühl. Doch soll er später einige seiner Dramen; z. B. Tassos Tod nicht ohne Interesse gelesen haben.

Der rein politische Maaßstab, angelegt an die Kunst, hätte Börne zu jenen Einseitigkeiten führen können, denen z. B. W. Menzel in seiner Kritik ganz anheimgefallen ist. Börne unterschied sehr wohl den praktischen Gesichtspunkt von dem theoretischen. In Dem, was ihm praktisch verwerflich schien, hat er sicher auch immer das Rechte getroffen. So empörte ihn 132 in unsrer dramatischen Literatur dieses Element des Allerunterthänigsten, empörten ihn diese Katzenbuckel, welche der Bauer vor dem Schulmeister, der Schulmeister vor dem Pastor, der Pastor vor seinem Patronen macht. Der Einwand, daß in diesen häßlichen Beleidigungen der Menschenwürde doch unsre Sitten getroffen würden, genügte ihm nicht. Ist diese Hundedemuth da, so ist das Mittel, sie auf der Bühne lächerlich zu machen, noch immer nicht wirksam genug, sie auszurotten. Börne tadelte, daß unsre gehorsamen Diener von Dichtern die Fürsten immer edel und gut auftreten lassen oder, wenn sie doch nicht gut und edel handeln, die Schuld auf ihre schlechte Umgebung werfen. Die Unschuld, in der z. B. Lessing sogar in der Emilia Galotti den Fürsten erscheinen läßt, mußte ihm um so bedenklicher vorkommen, als die Harmlosigkeit eines Fürsten bei einem so notorisch schlechten Untergebenen, wie Marinelli einer ist, unglaublich wird. Freilich war es die Weise des 18ten Jahrhunderts, die Fürsten zu schonen und nur die Minister anzugreifen; erst im 19ten Jahrhundert wagte man sich an die Fürsten selbst heran.

Börne bemerkt sehr richtig, daß die Luft, in der allein ein dramatisches Talent gedeihen kann, politische 133 Freiheit ist. Wo kein öffentliches Leben herrscht, muß nicht nur der dichterische Ausdruck seiner natürlichen Kraft beraubt werden, sondern die Gestalten werden auch nicht den freien Geist ureigenster Persönlichkeit athmen; Rücksichten entnerven die Sprache, und lassen die Malerei des Lebens sich nur in dämmernden Andeutungen ergehen. England, so groß durch seine dem Einzelnen gestattete politische Freiheit, hat darum auch nie aufgehört, selbst beim unläugbar dort herrschenden Verfall der dramatischen Kunst Stücke zu zeitigen, die eine feine Charakteristik, eine tiefe Menschenkenntniß verrathen. Börne bemerkt dies selbst bei Gelegenheit des Cumberland’schen Juden und des Grafen von Essex. Ein Engländer kann in so nebelhafte Allgemeinheiten und unmögliche Spezialitäten, wie sie die deutsche Bühne schildert, nie gerathen, weil ihn der freie Gebrauch seines Daseyns das menschliche Daseyn überhaupt richtiger verstehen lehrt. In neuester Zeit ist das Drama in England durch den vorherrschend episch-lyrischen Charakter seiner Dichter sehr gesunken und dennoch was wir von Englischen Stücken übersetzen zeichnet sich doch immer noch durch eine klare und täuschende Lebenswahrheit aus, so die Gebrüder Foster, der Bucklige, Bulwers neueste Dramen und 134 manches Andre, dessen die Uebersetzer sich nur allzurasch bemächtigen. Wie wäre in Frankreich diese schnell aufsproßende Blüthe des Theaters in neuester Zeit möglich gewesen, wenn sich nicht die Franzosen einer politischen Freiheit rühmen dürften, die ihnen die ängstliche Scheu deutscher Dichter, die von hundert Süjets nicht zehn auf die Bühne bringen dürfen, benimmt? Unsre Dramen bewegen sich meist in einer fictiven Welt, sogar die Sitten und Charaktere der Lustspiele sind nicht ächt und wahrhaft aus dem Leben gegriffen. Die Theatertradition schafft diese Husarenobersten und Rittmeister, diese Herren von Lammersdorf und von Saldern, diese Wirthschaftsinspectoren, dies ganze stehende Personal unsrer heitern Familiengemälde. Sie sind aus alter Zeit überliefert, haben wohl Zopf und Perücke, Manschetten und seidnen Rock abgelegt, wiederholen aber immer noch ihre alten Abentheuer vom Jahre 1790; selbst der Dialog hat sich wenig verändert. Man muß die seltsame Spannung auf dem Antlitz des Zuschauers beobachten, wenn einmal eine Thorheit oder Mode des Tages, z. B. die Homöopathie, die Wasserkuren oder dergleichen in unsern Dramen erwähnt werden, um zu wissen, daß diese Neugier wie aus dem Reiz nach Verbotenem ent-135steht. Unser Theater kann nicht aufblühen, so lange ihm die Lebensluft der Freiheit fehlt.

Börne hatte immer Gelegenheit, sich in seinen Kritiken über den Mangel an Lebenskenntniß bei unsern Bühnendichtern zu entrüsten. So wie ein Fürst oder Minister auftrat erschrak er, weil er wußte, daß sie - hundert gegen eins - so sprechen würden, wie Fürsten und Minister nicht sprechen. Die Situationen, in welche wir die verschiednen Grade der Gesellschaft bringen, sind fast immer unnatürlich. Was bei uns auf der Bühne die Soldaten thun, entlehnen die Dichter von den Studenten, was die Studenten, nicht selten von Philistern.*) Eine ächte wahre Charakter- und Situationen-Färbung wenn auch nur im Geist der Genremalerei, besitzen wir nicht. Es finden da immer zwei Fälle statt; entweder kennen wir die Lebensäußerungen der Stände nicht oder wir dürfen sie nicht wiedergeben; Beides gleich nachtheilig für die Wahrheit der Bühne. Jetzt, um die Verschleierung des Lebens bis zu völligem Dunkel auf der Bühne zu heben, erleben wir nun gar die Erscheinung, daß eine Prinzessin für sie schreibt. Gäbe sie uns das Leben 136 der höchsten Gesellschaft, des Hofes und der Ringe, die sich um ihn ziehen, so würden wir für ihre Bemühung, uns durch Lustspiele zu erheitern, dankbar seyn; allein die Prinzessin Amalie von Sachsen schildert uns das Bürgerleben, das Daseyn kleiner bescheidner Familien, das Leben der Landedelleute, die, um zu Geld zu kommen, sich mit Bürgerlichen verschwägern; sie schildert uns Aerzte, Landwirthe, Geistliche; kann sie diese Erfahrung anderswo her haben, als aus Büchern? Es ist nicht bekannt, daß sie wie Louis Philipp und seine Familie im Exil lebte, angewiesen auf bürgerlichen Erwerb und Umgang; woher sollte sie den Stoff zu diesen sich sogar als Sittengemälde ankündigenden Schilderungen anders entnommen haben als aus Büchern!

Indessen hielt sich Börne’s Kritik in der Wage nicht immer bloß an diese mehr allgemeine Betrachtung der Bühnenstücke, sondern seine dramaturgischen Leistungen sind auch voll der feinsten Sonderbemerkungen, in denen er eben so viel Geschmack als Menschenkenntniß entwickelte. Ich mache besonders auf seine Erörterung über physische Gebrechen auf der Bühne aufmerksam. Müllner wollte damals im Morgenblatt bestreiten, daß Börne die Blindheit der 137 Camilla in Houwalds Bild mit Grund getadelt und als nicht gemacht, um unser Mitleid zu erregen, dargestellt hätte. Börne entgegnete sehr wahr, daß physische Gebrechen uns im Leben das größte Mitleid abgewinnen könnten, auf der Bühne uns aber kalt lassen. Er erwiederte schlagend, daß das von Müllner angeführte Beispiel des blinden Oedipus den vorliegenden Fall nicht träfe. Oedipus ist blind geworden vor unsern Augen, wir kennen die Ursache derselben und empfinden diese Blindheit durchaus als ein zur Handlung gehörendes tragisches Motiv. Eine unmotivirte Blindheit aber, ein physisches Leiden a priori, das außer dem Zusammenhang der entwickelten Fabel liegt, nimmt, auf der Bühne wenigstens, neben der geschilderten Handlung kein besonderes Interesse in Anspruch. Börne hätte noch hinzufügen können, daß grade in dieser Zumuthung Müllner’s und Houwald’s, uns für eine unmotivirte Blindheit einer ihrer dramatischen Figuren zu interessiren, die Grundschwäche der dramatischen Leistungen dieser Dichter erkennbar ist. Sie setzten Novellen in Scene, aber keine Handlungen. In der Erzählung kömmt uns allerdings durch die Notiz, daß diese oder jene geschilderte Person, auch noch blind sey, noch ein eignes Interesse zu 138 ihrer sonstigen Stellung in der Fabel hinzu; im Drama nicht. Müllner und Houwald verwechselten das Dramatische mit dem Novellistischen; ihre Stücke sind dramatisirte Erzählungen, deren hauptsächlicher Fehler in dem Mangel aller Charaktere liegt. Ihre Charaktere können außerdem, was sie in jenen Stücken sind, nichts weiter seyn, sie dauern über den Theaterabend, über die Fabel des Ganzen, dem sie eingefugt sind, nicht hinaus.

Zwey der berühmtesten Kritiken Börne’s sind aus dem Innersten seines Gemüths geflossen, die Beurtheilung des Tell von Schiller und die des Hamlet. Eine genügende Wiederlegung der geistvollen und überraschenden Analyse, die Börne von diesen beiden berühmten Dramen gab, ist mir nicht bekannt. Börne traf hier sicher das unwiderleglich Richtige, wenn auch mit dem Unterschiede, daß Schiller durch die Analyse allerdings verlor, Shakespeare durch die Zergliederung seines Hamlet nur um so mehr gewinnen mußte. Die Feigheit und Großsprecherei, die Börne dem Tell nachwies, kam aus Schiller’s falschen Begriffen vom schlichten Biedersinne seines Helden, er machte eine Art Hofer aus dem Tell, er legitimisirte ihn. Bei Börnes Kritik über Hamlet, so geistreich und wahr 139 sie ist, habe ich immer den Dichter nur um so mehr bewundern müssen, daß er Gestalten hinstellen konnte, denen Börne ordentlich Vorwürfe macht, nicht als wären es Schöpfungen des Dichters, sondern wirklich lebende, für sich verantwortliche Personen. Denn daran dachte doch wohl Börne nicht, Shakespearen die Unentschlossenheit Hamlets zuzurechnen; im Gegentheil, Shakespeare hat sich wohl ein Bewußtsein darüber erhalten, wenn auch nicht mit den Nebenbegriffen, die Börne mit dem Charakter des Hamlet verband. Aber Börne putzt die Figuren dieses berühmten Dramas ordentlich herunter wie unartige Buben, denen man einmal die Lektion lesen müsse. Kann etwas das Genie eines Dichters größer herausstellen, als wenn die Gestalten, die er uns vorzaubert, in diesem Grade Fleisch und Bein haben, eine Wirklichkeit erreichend, die bei Weitem größer ist als die täuschende Aehnlichkeit jener gemalten Weintrauben, an welchen die Vögel pickten?

Da Börne nicht nöthig hatte, seine Theaterkritiken gleich am Morgen nach der Vorstellung herauszugeben, so konnte er an sie dieselbe Feile legen, die allen seinen Arbeiten auch die geschmackvolle Vollendung des Styls gab. In monatlichen Berichten faßte 140 er sein Theater-Tagebuch zusammen. Börne hat nur wenige davon der Aufbewahrung für würdig gehalten, aber jetzt, wo wir das ganze Verständniß seines reichen Geistes besitzen, ist uns auch das noch so sehr an den Moment geknüpfte, in der Art, wie er es zu fesseln wußte merkwürdig. Kann wohl eine Kritik geistreicher seyn, als die folgende:

„Am 28. Juli 1819. - Die Rosen des Herrn von Malesherbes, von Kotzebue. Demoiselle Lindner, Susette; Herr Otto, Malesherbes; Herr Schmitt, Peter; - Keine Rose ohne Dornen. Demoiselle Lindner war die Rose.“

So sinnig, kurz und treffend, wie ein Epigramm.

Den Frankfurter Schauspielern jagte Börne durch seine Kritiken keinen geringen Schrecken ein. Die gefeiertsten Helden kamen in Gefahr, ihren Ruf zu verlieren. Das Lampenlicht verlor seine auch das Urtheil blendende Wirkung. Es fehlte nicht an Drohungen und dunkeln Gerüchten von Mord und bösem Hinterhalt. Börne hielt standhaft aus und schaffte sich ein paar Pistolen an, um auf alle Fälle gefaßt zu sein. Von seinen Freunden lachten einige, Andre vermehrten seine Besorgniß und riethen ihm von der Fortsetzung seiner Kritiken ab. Er ließ sie nicht; sie waren ihm ein 141 Mittel, Dinge auszusprechen, die in andrer Form sich nicht sagen ließen. Er durfte stets auf seine Besonnenheit, im äußersten Falle auf seinen Muth rechnen. Man erzählt sich von einem gewaltthätigen Angriffe, den sich der von Börne allerdings für immer von der Bühne weg recensirte Schauspieler Heigel auf offner Straße gegen den Herausgeber der Wage erlaubt hätte. Es ist nichts Wahres daran. An Drohungen von dieser Seite fehlte es nicht und nur so viel wird von seinen Freunden zugestanden, daß Börne allerdings damals nur mit Sackpistolen ausging. Ob sie geladen waren, wird nicht gesagt.

Eine kleine Fehde mit dem Schauspieler Urspruch gab Veranlassung zu einem interessanten Briefwechsel. Im zweiten Heft der Wage sagte Börne bei Gelegenheit der Elisa von Valberg Folgendes: „Herr Urspruch, Hofjunker von Külen. Im Leben wird ein ehrlicher Mann leichter zum Spitzbuben umgeschaffen, als auf der Bühne.“ Herr Urspruch fand diesen Satz so auf Schrauben gestellt, daß er seinen bürgerlichen Ruf dadurch beleidigt glaubte. Er forderte Börne auf, sich deutlicher zu erklären. Als ihm Börne darauf eine zwar nicht abweisende, doch sehr kühle Antwort gab, wiederholte er sein Verlangen in einem 142 Briefe, der nicht ohne Drohungen und Unarten war. Börne replizirte in der Wage sehr witzig. Er erklärte den Sinn seiner Worte dahin, daß er von Herrn Urspruch hätte sagen wollen, auf der Bühne wolle ihm die Schufterei nicht gelingen, ohne daran zu denken, als wäre er im Leben darin glücklicher. Dann griff er die kleinen Drohungen des Mimen wie Fangbälle auf, mit denen er artig spielte; und in der That sind seine späteren Urtheile über Herrn Urspruch milder, woran freilich der Umstand Schuld sein mag, daß Betty Urspruch, die Tochter „des Mitarbeiters der Wage wider Willen,“ wie ihn Börne genannt hatte, ihr theatralisches Debüt und auf Börne eine Wirkung machte, von der man in Frankfurt behaupten wollte, daß sie mehr als artistisch sei. Indessen alle Stimmen kommen darin überein, daß Betty Urspruch (sie lebt noch als ein bedauerlicher Schatten ihrer Vergangenheit) die großartigste Zukunft versprach. Börne tadelte sie zuweilen, aber fast mit dem Schmollen eines Verliebten; er sagte ihr die schönsten Regeln, gleichsam in der Voraussetzung, als wäre er der Mann, der aus ihr etwas machen könne. Sie solle nur nicht übermüthig werden, sie sollte sich’s nur nicht zu leicht machen, zürnte er ihr. Rühmte Börne, so 143 entdeckte er selbst im Unwesentlichen bei Betty Urspruch Schönheiten. Sie hatte in: Die Waise und der Mörder Friederiken gespielt. „Unübertrefflich wahr und rührend" sagte er, "erschien Dems. Urspruch in der Scene, da sie zur Rettung des in's Wasser gefallenen Viktorin nach Hülfe rief. Es wäre gut, wenn mehre unsrer Schauspieler bei diesem jungen Frauenzimmer in die Schule gingen, um unter andern zu lernen, wie man mit Natur und Anstand die Stimme bis zum Schreien erhebe.“ Und in der That, von Stund an, fingen die Damen des Personals, denen an dem Urtheil der Wage viel gelegen war, an, der jungen Urspruch diesen inzwischen berühmt gewordenen Schrei nachzurufen. Theaterbesucher von damals versichern, es wäre nicht mehr auszuhalten gewesen, wie sich damals alles bemüht hätte, kunstgerechte Schreilaute auszustoßen. Alles wollte, zum Wohlgefallen des Dr. Börne, wie die Urspruch schreien.

Daß es Börne mit seinen Kritiken viel zu gewissenhaft nahm und darüber oft grausam wurde, ist unzweifelhaft. Was ihn stachelte, war die erste Begeisterung seiner methodischen journalistischen Wirksamkeit, es war der hohe Begriff, den er mit seiner Aufgabe verband, unverkennbar auch die glänzende Ge-144legenheit, die die Schwächen des Schauspielers dem Witze boten. Börnen war die Autorschaft damals noch so neu, daß er eines guten Einfalls wegen sein Urtheil nicht gern unterdrückt hätte. Wenn ihn ein fremder oder ein heimischer Künstler besuchte, so zeigte er es im nächsten Hefte der Wage an und ließ seine Leser über Wendungen, wie die folgende, lachen: „Herr Keller war bei mir, um mich zu bestimmen, seine Frau in der Rolle der Emma von Falkenstein zu schonen. Ich thue es hiemit.“ Er warnte alle Schauspieler ihn zu besuchen. Es würde ihnen das nichts helfen, da er nicht weichherzig genug wäre, die Leser seines Journales zu betrügen. Von den Schauspielern übertrug er seinen Zorn zuweilen auf die Regie, auf die Direktion. Er machte ihr die bittersten Vorwürfe über ihr schlechtes Repertoir: „Alle Tage derselbe abgeschmackte Jammer, derselbe abgeschmacktere Spaß. Es ist nicht Heuchelei, nicht Spott, nicht Ziererey, es ist Ernst und Wahrheit, wenn ich meine Leser versichere, daß mich die Vorstellungen auf unsrer Bühne oft krank machen, daß mir der Kopf brennt, das Herz zittert, die Brust beklommen ist, wenn ich an den Theater-Abenden diese fürchterliche Pein der Langeweile zu ertragen habe.“ Bald 145 verging auch dem gewissenhaften Dramaturgen die Lust. Die Hefte der Wage verspäteten sich Monate- und Jahrelang und die beiden letzten, die in Tübingen 1821 erschienen, ließen das Theater ganz bei Seite liegen.

Der ruhmvolle Name, den sich Börne schon durch die ersten Hefte der Wage erwarb, bestimmte den Buchdrucker Wenner in Frankfurt, ihm die Redaktion einer Zeitung anzuvertrauen. Das sehr zurückgekommene Staatsristretto sollte unter dem Titel einer Zeitung der freien Stadt Frankfurt wieder in Aufschwung kommen und Niemand wäre auch zu dieser Wiederbelebung geschickter gewesen, als Börne, wenn es keine Censoren gegeben hätte. Vier Monate lang vom 1. Januar 1819 bis in den April hielt Börne diesen kleinen Guerillakrieg mit dem scheerenbewaffneten Censor (noch dazu seinem ehemaligen Collegen von der Polizei, einem gewissen Severus) aus; er ist in seinen „Denkwürdigkeiten der Frankfurter Censur“ selbst der Historiograph dieser, trotz einer Schlacht ermüdenden Scharmützel geworden. Eingekeilt zwischen hundert Rücksichten auf Diplomatie und Senat wurde seine ganze Thätigkeit auf das Unbedeutende herabgeschraubt; er sah ein, daß in der 146 flachen Weise, wie in Frankfurt (noch jetzt) Zeitungen nur erscheinen dürfen, jeder Andre dem Buchdrucker sein Blatt eben so gut und noch mit weniger Kostenaufwand für diesen redigiren würde und gab es ab. Diese vier Monate hatten ihm Nachtwachen, Geldstrafen, die witzigsten Gedanken und treffendsten Wahrheiten gekostet und nichts eingetragen, als die Ueberzeugung, daß man unter dem Damoklesschwerte der Censur höchstens für seinen Styl manche Feinheiten, manche diplomatische Unbestimmtheiten und graziösen Zweideutigkeiten lernen könne. Börne sagte oft scherzhaft und ließ es drucken, daß man mit Einführung der Preßfreiheit auch der Ausbildung des deutschen Styls schaden würde; fein, witzig, behutsam und graziös ließe sich nur schreiben, wenn mit uns die Katze Censur schäkerte. Nach Börne versuchte es Friedrich Murhard eine Zeitlang, in Frankfurt den Postillon der Geschichte zu spielen; aber auch er ward es bald müde. Die stolze Posaune der Fama bekömmt in Frankfurt so viel Beulen, daß sie einen so kläglichen Ton wie eine Nürnberger Kindertrompete von sich giebt. Uebrigens blieb das Wenner’sche Haus für Börne ein Ort, den er um sich zu erholen, gern aufsuchte. Mad. Wenner, die Schwester des bekann-147ten witzigen Lokaldichters Malß, veranstaltete Leseabende, an denen Börne Theil nahm und die in andern Kreisen, in denen er zu verkehren pflegte, nachgeahmt wurden. Börne’s Freunde, die Doktoren Goldschmidt, Stiebel, Reis, gebildete Kaufleute wie Ellisen und Andre rückten damals oft zu geistreicher Unterhaltung zusammen, an der Börne, in seiner Art, einfach und gemüthlich Theil nahm. Es fehlte nicht an harmlosen Scherzen, nicht an den lebendigsten Erörterungen der Tagesereignisse. Frankfurt selbst mit seiner Tageschronik lieferte den meisten Stoff. Börne ließ z. B. damals einen kleinen Zettel drucken, auf dem er einen durchreisenden Zahnarzt, der sich etwas pomphaft angekündigt hatte, sehr witzig in einer Weise, die an Lichtenbergs berühmte Parodie der Anschlagzettel Philadelphias erinnert, persiflirte.

Die Herausgabe der in Offenbach gedruckten Zeitschwingen war in demselben Jahre 1819 ein journalistischer Versuch, den schleppenden Gang einer Monatsschrift durch wöchentliches Erscheinen zu beschleunigen und schneller mit dem Tage fortzugehen. Gleich die ersten Nummern fanden eine lebhafte Theilnahme, der Verleger Fr. Wilmans in Frankfurt war glücklich, ein gutes Geschäft zu machen, ein Artikel: Der kleine 148 Hamann (gegen den Physikus Varrentrapp) hatte besonders lokales Interesse erregt, als plötzlich das fernere Erscheinen der Zeitschrift in Offenbach verhindert und Börne auf Großherzogliches Hessisches Ansuchen gefänglich eingezogen wurde. Man überraschte ihn in seiner Wohnung, nöthigte ihn seine Papiere zusammenzuraffen, (Bindfaden und einen Geldsack gab er in aller Gemüthlichkeit selbst dazu her) und führte ihn auf die Hauptwache. Die Kunde verbreitete sich schnell. Man zweifelte nicht, daß Börne seiner politischen Lehren wegen oder wohl gar als heimlicher Demagog in Untersuchung gekommen wäre. Seine Familie, mit der den Israeliten (freilich aus guten historischen Gründen) übermäßigen Aengstlichkeit, verbrannte einen ganzen Koffer voll alter Scripturen Börne’s, unter welchen manches für ihn selbst sehr werthvolle Document seiner Lebensgeschichte verloren ging.

Inzwischen vernahm Börne die Veranlassung dieses plötzlichen Ueberfalls. Er war beschuldigt, aufrührerische Schriften verfaßt zu haben, die ein gewisser Sichel aus Frankfurt sich das Vergnügen gemacht hatte, in Darmstadt auf heimlichen Wegen, im Schloßgarten und sonst, unbemerkt auszustreuen. Börne fiel aus den Wolken. Er war froh, Manuscript genug für 149 seine Zeitschriften zu haben; nun sollte er sogar aufrührerische Flugblätter in den Wind streuen und, um eine Revolution zu stiften, mit Darmstadt angefangen haben? In der That war es ein guter Glücksfall, daß seine Unschuld bald an den Tag kam. Dieser gute Herr Sichel hatte geglaubt, einen Theil seiner Schuld dadurch von sich abzuwälzen, daß er die Autorschaft der von ihm so unbehutsam verbreiteten Placate einem Manne zuschrieb, dem er ohnehin nicht zu schaden glaubte; er hatte für ganz gewiß gehört, Börne wäre nach Paris gereist, ohne wiederkommen zu wollen. Es ist wahr, Börne hatte sich dahin längst geäußert, er hatte eine Verbindung mit dem Buchhändler Cotta angeknüpft, die ihn dauernd an Paris würde gefesselt haben; und so kam er dazu, der Sündenbock Sichelscher Thorheiten zu werden. Und doch mußte er vierzehn Tage auf der Hauptwache ausdauern, bis seine Unschuld erwiesen war. Man hielt ihn sehr streng, nahm ihm, um etwaigen Selbstmord zu verhindern, jedes schneidende Instrument; man schmeichelte sich wirklich, von ihm den wahren Zusammenhang des ganzen Europäischen Carbonarismus zu erfahren. Die Tochter eines Hauses, wo er gern verweilte Röschen O. ging des Tages zehnmal an der 150 Hauptwache vorbei und als sie einmal so glücklich war, ihn am Fenster seines Gefängnisses zu erblicken und ihm freundlich zunickte, wurde sie von dem „rauhen Krieger,“ der auf Schildwache stand, bedeutet, dergleichen ja unterwegs zu lassen. Börne’s kränklicher Körper litt in dieser Zeit so sehr, daß er sich wirklich unglücklich fühlte. Er äußerte später noch oft die Absicht, einmal diese Geschichte seines Gefängnisses zu schreiben. Es würden sicher sehr humoristische Mi prigione geworden seyn.

Es konnte nicht fehlen, daß ein so umsichtiger und gebildeter Buchhändler, wie Cotta, auf das Talent Börne’s aufmerksam wurde. Mit einer Handschrift, deren Unleserlichkeit Börne bei späterer Correspondenz zwischen beiden oft verwünschte, machte er ihm im Interesse seiner Zeitschriften Vorschläge, die für Börne eben so ehrenvoll wie äußerlich vortheilhaft waren. Um den Zwecken des Buchhändlers aber wahrhaft dienlich zu sein, mußte sich Börne auf einem andern Terrain befinden. Von Paris aus konnte er der allgemeinen Zeitung politische Berichte, den politischen Annalen zusammenfassende Uebersichten, dem Morgenblatt Sittenschilderungen und Genreskizzen aller Art übersenden. Börne, von den Be-151schränkungen, welche für die deutsche Presse immer lästiger wurden, angewidert, mißgestimmt durch das neuste polizeyliche Begegniß, mit seinem Vater in einem fortdauernden Mißverständniß, von der Einförmigkeit des Frankfurter Lebens*) gelangweilt, entschloß sich, nach Paris zu reisen.

Hatte man doch in Frankfurt nicht einmal Sinn genug, seinen Spaß zu verstehen! Seine Monographie der deutschen Postschnecke war im Jahre 1821 in den verspäteten Heften der Wage erschienen, als ihn eines Tages ein Postcondukteur besuchte und ihm das Unglück klagte, das er über ihn heraufgeschrieben hätte! Seine Vorgesetzten hätten nachgeschlagen, wer an dem Tage, als Dr. Börne nach Stuttgart fuhr, den Dienst am Eilwagen versehen, wer sich erlaubt hätte, wie es dort geheißen einen blinden Passagier mitzunehmen! Der arme Mann würde seines Postens entsetzt worden sein, wäre nicht Börne zur Postdirektion gelaufen und hätte diese versichert, daß seine Aufnahme eines blin-152den Passagiers in die Postschnecke lediglich eine dem Humoristen wie Dichter gestattete Licenz wäre, deren Strafbarkeit ihn nur allein treffen dürfte.

Es ist Zeit ein Verhältniß zu berühren, welches durch die Adresse, an die Börne seine Briefe aus Paris richtete, über das Weichbild Frankfurts hinaus schon bekannt geworden ist. Es war im Winter von 1816 auf 1817, als Börne im Hause der Schwiegereltern seines Freundes Stiebel eine junge Dame kennen lernte, die in sein ganzes spätres Leben auf höchst eigenthümliche Weise verflochten werden sollte. Madame W. war so eben aus einem ehelichen Verhältniß geschieden, das ihrer Neigung so wenig wie ihren höhern, geistigen Bedürfnissen zugesagt hatte. Freundin künstlerischer Unterhaltung und anregenden Gesprächs gerieth sie mit den Lebensansichten ihres Mannes in einen Widerspruch, der nur mit dem Bande, das sie beide vereinigt hatte, selbst gelöst werden konnte. Eine aus solchen Ursachen geschiedene Frau ist für einen Mann von Phantasie schon an sich interessant, selbst wenn sie jene äußern und geselligen Reize nicht besessen hätte, durch welche Männer zunächst gefesselt werden. Eine förmliche Erwägung solcher nothwendig zu einem Ehebunde führenden Umstände fand zwischen 153 Mad. W. und Börne nicht einmal Statt. Das Interesse, welches sie aneinander nahmen, war nicht die Folge einer plötzlichen Ueberraschung und Eingebung, sondern einer längern gemüthlichen Gewöhnung, einer sittlich reinen Freundschaft. Börne verkehrte in der Familie, wo sie wohnte, als täglicher Gast. Seine Pläne und Aussichten fanden bei den jungen weiblichen Mitgliedern derselben freundlich rathenden Vorschub, man ermunterte ihn, man genoß seinen geistreich anregenden Umgang. Mad. W. und Börne rückten zum Einverständniß über viele eigne Leiden und Begegnisse zusammen, die man sich nicht gestehen kann, ohne mit dem Bewußtsein, ein Geheimniß zu haben, auch den Anschein einer innigeren Vertraulichkeit vor der Welt zu gewinnen. So fesselten sich beide immer mehr zu einer Freundschaft, die, von jedem geschlechtlichen Bewußtsein entfernt, ein seltnes Beispiel, bis über das Grab hinausdauerte.

Dies wunderbare Verhältniß erprobte sich aber nicht bloß bei persönlichen Begegnissen und im Briefwechsel, sondern die Beziehung war gesellig fast so eng wie die Ehe. Börne traf mit seiner Freundin auf Reisen zusammen, wohnte in ihrer Nähe, mischte nicht selten die beiderseitigen Existenzmittel zu einer gemeinschaftlichen 154 Kasse und entbehrte, wenn ihn sein kranker Körper an das Zimmer oder Bett fesselte, keinerlei liebevoller Handreichungen, grade so, wie sich nur die Ehe in solchen äußersten Lagen als eine milde Wärterin und Trösterin zu bewähren pflegt. Börne war nachgrade in die Jahre gekommen, wo man sich nach einem trauten Umkreis behaglicher Häuslichkeit sehnt. Es ist ein so schöner Trost, Herzen zu wissen, die den Pulsschlag unsrer eignen Stimmung mitempfinden und sich ein Gewissen daraus machen, auf unsrer Stirn zu lesen, Wünsche von unsern Lippen zu stehlen. Und die, welche mit der Welt in Hader leben, werden das Bedürfniß, einen felsenfesten Punkt der Anlehnung inmitten der Wogen einer in ihren Gesinnungen zweifelhaften Gesellschaft zu haben, nur um so dringender empfinden. Es muß Herzen geben, die die geheime Werkstatt unsres Innern kennen und auf uns schwören, selbst wenn die ganze Welt uns verläßt. Dies war der Reiz, der Börne an seine Freundin fesselte. Sie wußte um ihn die trauliche Atmosphäre einer Familie, die stärkende Luft einer Freistatt, den Trost einer Heimath zu verbreiten. Daß es an vielen klugen Beurtheilungen dieses Verhältnisses nicht fehlte, versteht sich bei einer, von dem Gewöhnlichen abweichenden 155 Thatsache, von selbst. Die Redlichsten waren noch die, welche aus Rücksicht auf die Unredlichen einen legitimen Abschluß dieses Verhältnisses mit der Ehe wünschten. Indessen waren Börne und seine Freundin grade hievon am allerentferntesten. Eine offenstehende Thür, die zu betreten verboten ist, ist viel räthselhafter und fesselnder, als eine geschlossene. Das beseligende Bewußtsein dieses Bundes - wer weiß, ob es nicht grade in der Entfernung jeder äußern Verpflichtung lag? Weibliche Unentschlossenheit, Börne’s zunehmende, oft höchst bedenkliche Kränklichkeit kamen hinzu und den Ausschlag gab vorläufig, daß Mad. W. durch Rücksicht auf eine streng altgläubige Mutter verhindert wurde, sich taufen zu lassen, was zur Verbindung mit dem Christen Börne unerläßlich gewesen wäre. Andere Beurtheiler zogen den wohlthätigen Einfluß des Verhältnisses auf Börne in Zweifel und stützten sich dafür auf den allerdings richtigen Satz, daß geliebt zu werden meist eine große Seligkeit, zuweilen aber auch eine große Qual sein kann. Nun würde es gewiß ungebührlich sein, wollte man behaupten, daß Börne immer nur die Rosen, nicht auch die Dornen dieser Freundschaft geärndtet hätte; aber es würde wohl den größten Egoismus bei Jemanden voraussetzen heißen, 156 wenn man annähme, Börne hätte von einem Wesen, das ihm ihr ganzes Leben widmete, nur ein ihm zu Gute kommendes Ausströmen von Aufopferung verlangt und nicht auch die in der Natur begründete Erschöpfung in Kauf genommen, die überall eintritt, wo das Maaß menschlicher Kräfte waltet. Unentschlossenheit, Furcht, tausenderlei Bedenklichkeit ist einmal das Erbtheil der Frauen, eine Schaale, die hier den köstlichen Kern einer steten unermüdlichen liebenden Einwirkung auf Börne’s Thun und Schaffen einschloß. Seine Freundin hielt mit einem den Frauen eignen Ueberblick in ihm nicht selten das Bewußtsein seiner literarischen Stellung aufrecht; sie schürte seinen Ehrgeiz, ermunterte seinen Schaffenstrieb und war ihm, wie jenen andern berühmten Schriftstellern ein Maaß dessen, was sich verstehen ließ, ein Maaß des Styls und der Darstellung. Hätte Börne’s leidende Gesundheit es geleistet, seiner Freundin würden wir einen weit umfassenderen Umfang an Schriften verdanken. Ließ er einen Wunsch, Dies oder Jenes schreiben zu wollen, fallen, sie ging darauf ein, brachte ihn zum Beginn und kam, wenn es liegen blieb, immer wieder darauf zurück. Sie ermunterte ihn später sein Leben zu schreiben, früher, sich im Roman zu versuchen, zu dem er oft ansetzte. Er ge-157stand ihr, daß er schon früher eine Erzählung an das von Therese Huber geleitete Morgenblatt gesandt hätte, ohne etwas vom Schicksal derselben zu wissen. In Paris wollte er ein Leben Rousseau’s, dann über deutsche Literatur schreiben und war schon in vollem Zuge, die Werke Hamanns, mit dem er zu beginnen dachte, zu studiren; aber ihre Ermunterungen scheiterten an seinen körperlichen Leiden. Er schien bestimmt zu einem Autor, der wie er selbst sagt, Bücher macht, nur indem er Blättchen auf Blättchen legte.

Die Reise nach Paris verabredeten Börne und seine Freundin, gemeinschaftlich zu machen; um aber das Aufsehen zu vermeiden, beschlossen sie, sich erst in Heidelberg zu treffen und von dort weiter zu reisen. Mad. W. war von der nachmaligen Gattin des Dr. Reinganum begleitet, der diese in Paris bei einem Besuch erst kennen lernte. Börne gieng mit einer sehr gründlichen Kenntniß des Französischen ausgestattet; umsonst war er nicht des Morgens im Winter mit einer Laterne zu Herrn Prevot gegangen, um sich im Französischen zu vervollkommenen! Und doch hielt ihn seine mangelhafte Aussprache im Comtoir bei dem Banquier, auf den er angewiesen war, ungebührlich lange auf; man verstand nicht, daß sein Name Börne 158 mit einem B geschrieben würde und schlug im Register der Contobücher immer im Buchstaben P herum. In Paris hin- und herlaufen, um alle Merkwürdigkeiten zu sehen, war des Ankömmlings Sache nicht. Den Zeitgeist, den Stand der Partheien, die Menschen und die Dinge, wie die Franzosen sagen, wollte er kennen lernen. Er war mehr, als sich für einen Fremden gebührt, auf seinem Zimmer, und siehe da! in sechs Wochen hatte er Heimweh. Er vermißte hundert kleine Bequemlichkeiten, die ihm schon Bedürfniß geworden waren. Hätte er nicht die Verpflichtung mit Cotta gehabt (für jährlich 6000 Franks), er würde abgereist sein. Man kennt die classischen Resultate dieses Pariser Winters aus dem fünften Theil der „gesammelten Schriften.“ Diese Schilderungen aus Paris sind doch noch immer das Lebenvollste und Geistreichste, was wir über die französische Hauptstadt besitzen. Sie sind auch von dem, was Börne geschrieben, das bei Weitem Gerundetste und so fein ausgearbeitet wie ein Stahlstich. Es ist hier wohl am Ort, bei dieser Gelegenheit überhaupt über den künstlerischen Werth der Schriften Börne’s einige Andeutungen zu geben.

159 Börne’s Schriften tragen ein charakteristisches Gepräge, dessen Merkmale, obgleich meistentheils die Folge seiner konsequenten Gesinnung, doch durch sie nicht allein erschöpft werden. Börne’s Ausdruck und Behandlungsweise seiner Artikel, sein Ton, ja wenn man sagen will, seine Manier, lassen sich auf Muster, nach denen er sich gebildet hat, allerdings zurückführen; doch verhärteten sich die ihm von außen kommenden flüssigen Stoffe seiner schriftstellerischen Bildung erst in seinem eignen Feuer zu der bronzenen Festigkeit und Sicherheit, die wir an seiner schriftstellernden Weise bewundern. Börne wie Lessing sollten es für alle Phasen unsrer Literatur beweisen, daß, um Schriftsteller der Nation zu sein, der Gedanke und die Gesinnung zwar den Ausschlag geben, aber allein dafür nicht ausreichend sind. Der feurige, edle Wein des Geistes will nicht aus bleiernen Deckelkannen genossen sein, sondern aus kunstvollen Pokalen, wo das Gefäß den Inhalt ehrt. Börne’s Styl und Darstellungsweise war dem Spruch gewidmet: Im schönen Leib die schöne Seele!

Man kann über die Kunst in Börne’s Schriften nicht sprechen, ohne den Antheil zu bestimmen, den daran Jean Paul hat. Börne war nicht bloß der 160 Gesinnung und der gemüthlichen Weltauffassung dieses Dichters aufs Innigste zugethan, sondern auch den Wendungen und dem Style desselben. Die erste Sympathie hat er durch seine Denkrede auf Jean Paul gefeiert, die zweite durch alle seine Schriften. Ihm behagte an Jean Paul dessen kindliche Unschuld, dessen edle unverkünstelte Natureinfachheit, sein warmes schwärmerisches Herz, das uns den Adel der Jugend in weit herrlicheren Idealen noch, als Schiller gemalt hat, seine eigenthümliche Auffassung der Frauen von einer durchaus gemüthlichen Seite, wo uns die Frauen als gute Wirthschafterinnen und Engel zu gleicher Zeit erscheinen; ihn fesselte Jean Pauls Ironie, wenn er Fürsten und die vornehme Welt zu schildern hatte, seine Satyre auf Deutschlands politische Zustände, sein Freimuth über die Religion und doch dabei seine innige Liebe zu allem Tiefen, endlich seine Scheu vor dem Geheimnißvollen. Mit dem Kindlichen und Erhabenen in Jean Paul zog auch die Lust an seiner Ausdrucksweise bei ihm ein. Die Fülle der Bilder beschäftigt unsre Phantasie, ihre Beziehung auf das, was sie erklären sollen, unsern Verstand. So sind wir bei Jean Paul immer in einer doppelten Geistesthätigkeit, indem wir theils die uns gemachten Mittheilungen in uns 161 aufnehmen, theils aber auch an der Art, wie sie der Dichter uns recht vergegenwärtigen will, mitschaffen und unser eignes, kleines Schöpfungsvermögen anstrengen müssen. Indessen hat Börne etwas voraus. Er vermied die Fehler seines Lehrers. Ob ihm dies der Geschmack eingab, oder ob ihm der übergroße Reichthum an Phantasie, in dem grade Jean Pauls Fehler liegt, mangelte, oder ob ihn seine entschlossene Gesinnung zwang, immer den Leser en face anzusehen und sein Visier, nicht einmal mit Blumen, zu verhängen: er vermied dasjenige, was die Art Jean Pauls nur zu sehr zur Manier gemacht hat. Er selbst sagt von den jean-paulisirenden Nachahmern seines Meisters: „Sie dünken sich frey, weil sie mit ihren Ketten rasseln, kühn, weil sie in ihrem Gefängnisse toben, und freimüthig, weil sie ihre Kerkermeister schelten. Sie springen vom Kopfe zum Herzen, vom Herzen zum Kopfe - sie sind hier oder dort; aber der Abgrund ist geblieben; sie verstanden keine Brücke über die Trennungen des Lebens zu bauen. Verrenkung ist ihnen Gewandheit der Glieder, Verzerrung Ausdruck des Gesichts, sie klappern prahlend mit Blechpfenningen, als wenn es Goldstücke wären, und wirft ihnen ja einmal der Schiffbruch des Zufalls irgend ein Kleinod zu, wissen sie es 162 nicht schicklich zu gebrauchen und man sieht sie gleich jenem Häuptling der Wilden ein Ludwigskreuz am Ohrläppchen tragen.“

Börne hat zunächst nichts von dem Style Jean Pauls angenommen, als was dessen großes und befruchtendes Prinzip für die ganze neuere Literaturrichtung ist, die Unmittelbarkeit und die Subjektivität. Der Styl, in welchem Goethe schrieb, war nicht Goethe selbst. Man lese die frühsten Briefe Goethe’s, z. B. die an die Gräfin Stollberg, welche kürzlich erschienen sind, und man wird erstaunen über die Unregelmäßigkeit seiner Schreibart. Eine Parthie ganz unmittelbar, wie ihm der Styl aus der Seele quillt - und plötzlich eine angeeignete Periode, eine schriftstellerische Passage, die ihm zwar auch innerlichst gehörte, aber doch mit Rücksicht auf den Leser gebildet war. In spätern Jahren steigerte sich bei Goethe dieser Zwiespalt so sehr, daß seine Wahlverwandtschaften und spätern prosaischen Leistungen in einem eignen Kunststyle geschrieben sind, der immer in einer gewissen Distanz von dem unmittelbaren Entströmen des Gedankens aus dem Herzen entfernt lag. Diese Weise kannte Börne nicht. Seine Briefe an die vertrautesten Freunde sind alle in derselben Manier, in 163 der er drucken ließ, abgefaßt, kurze Sätze, treffende Bilder, naive Wendungen, sicher und fest sich in der kleinen originellen Handschrift ausprägend. Börne war demnach ein ursprünglicher Künstler im Style. Sein Gedanke formte sich von selbst, er kam gleich in seiner angemessenen Tracht auf die Welt; Börne konnte nicht anders denken, als wir ihn in seinen Schriften gewöhnt sind, sprechen zu hören. Was er nun dabei von Jean Paul hat, ist außer mancher naiven Redewendung die Vorliebe für Bilder und Allegorien. Da er sich aber nicht scheute, auch ohne Bild zu sprechen, so hat er vor Jean Paul, der nichts ohne Bild ausdrücken konnte, den Vorzug, daß jedes seiner Bilder zutreffend ist. Er zwang nie, wie Jean Paul öfters gethan zu haben scheint, einem fertigen Bilde einen noch nicht fertigen Gedanken auf, sondern hatte erst den Gedanken und brauchte dann das Bild nur, um ihn deutlicher auszudrücken oder ihn zu verschönern. Bei Börne erhob sich der Jean Paulismus zu einer durchsichtigen, klaren und ebenmäßigen Methode. Da drängt sich keine Wendung ungebührlich vor, da duften nicht ganze Wälder von Blumen betäubend auf uns ein, wo ein einfaches Veilchen oder gar nur ein grünes Blatt als Folie genug war. Börne besaß in seiner frühern 164 Bildung ein Gegenmittel gegen die zu üppige Manier Jean Pauls. Es war dies von Voltaire und Johannes von Müller her seine Neigung zur Aphorisme, zur Sentenz, zur Antithese. Börne hatte sogar großes Talent zum Französischschreiben; nur jener rhetorische Abandon, der das eigentliche Geheimniß des französischen Styls ist, mochte ihm fehlen; das Talent der Antithese besaß er im höchsten Grade. Börne mochte dies fühlen und darum von dem Wunsche, französisch zu schreiben, so oft heimgesucht werden. Er hatte Aussicht, in Frankreich mit seinem Style (es war ihm aber mehr um die Ideen zu thun) weit heimischer zu werden, als Heine, dessen Manier in Frankreich nicht verstanden wird. Es finden sich Stellen bei Börne, die, wenn sie wörtlich ins Französische übersetzt würden, dort das größte Glück machen müßten; z. B. ist folgende in stylischer Hinsicht durchaus französisch gedacht: „Mirabeau war der Talma der Revolution, der einen antiken Charakter gut zu spielen verstand. Doch Mirabeau als Mensch und Bürger war schlechter, als Robespierre. Diesen verleitete der Fanatismus der Tugend zu Uebelthaten; jener ließ sich von der kalten Berechnung des Eigennutzes zum Guten bewegen. Robespierre war unbestechlich und erwürgte, Mirabeau 165 hat Geld genommen und schonte. Wer sich zu einer Missethat bestechen läßt, der gesellt nur Unreines zum Unreinen, wer sich aber zum Guten bestechen läßt, der besudelt das Reine. Mirabeau nahm Geld vom Hofe, die Revolution zu mäßigen: Das war ein Fehler seines Herzens. Er glaubte die Revolution leiten zu können: Das war eine Schwäche seines Kopfes. Was bliebe nun noch an ihm zu loben übrig? Nichts, als daß er ein großer Künstler war und zu reden verstand; die Natur in ihm war schlecht.“*)

Das Vorbild Jean Pauls tritt uns wieder in den kleinern humoristischen Aufsätzen mehr entgegen. Börne bewegte sich hier sogar in der komischen Topographie Deutschlands, die Jean Paul ersonnen hatte, in Kuhschnappel und Flachsenfingen. Doch brachte er in diese Gegenden immer wieder eine satyrische Bevölkerung, die Jean Paul später nicht mehr mit dieser Umsicht und Freimüthigkeit aus den Zuständen des deutschen Vaterlandes auszuheben wußte. Jean Paul spricht vom Nürnberger Postreuter, Börne von der Thurn- und Taxischen Post, Jean Paul vom Kammergericht in Wetzlar, Börne vom Bundestag. 166 Jean Paul vom Allgemeinen Anzeiger in Gotha, Börne vom Oesterreichischen Beobachter. Die Satyre, in der Jean Paul gegen das deutsche Reich vor dem Deputationshauptschlusse so treffend war, übertrug Börne auf die neuesten Verhältnisse, bei welchen Jean Paul, so oft er sie in den Jahren bis zu seinem Tode erwähnte, sich auf allgemeinere Andeutungen beschränkte. Selbst die mehr dichterischen Versuche Börne’s, in welchen er gänzlich der Form Jean Paul’s verfallen scheint, z. B. in der Allegorie: Honestus, ist Anwendung des Bildes, Situation und Moral doch immer die Frucht einer Börne eigenthümlich angehörenden Kenntniß seiner Zeit. Jean Paul ist allgemeiner, Börne treffender. Eine Gattung in der sich Börne nicht weniger versuchte, die Novelle findet sich bei Jean Paul gar nicht. Wir meinen jenes aus tiefstem Schmerz geborne Lebensbild: Der Roman, in welchem Börne in kurzen, aber kräftigen Zügen das gesellschaftliche Leid der gebildeten Juden schildert.

Wenn man von Börne’s Kunst spricht, darf man nicht vergessen, zu bemerken, daß er sie nie zum Selbstzweck erhob. Wir besitzen ausgezeichnete Schriftsteller, denen wir es nachsehen müssen, wenn sie in den Becher der Form, ist ihnen der Wein der Ideen ausgegangen, 167 die Würfel des Zufalls werfen und blind mit ihrem Talente spielen. Börne brauchte das Roß seiner Kunst immer nur zum Tragen oder zur Erreichung eines Zieles, nie um damit Parade zu machen. Hat es in seinen kleinern humoristischen Aufsätzen je einmal den Schein, als lahme der Gedanke der vorausspringenden Form hinterher oder als überschleiche ihn die bloß äußerliche Formbildung, so setzt er schnell die Sporen ein oder öffnet eine Schleuse seines Herzens, dreht an einem Hahne seines Gemüths, um gleich die belletristische Weichlichkeit durch unmittelbares, reines Quellwasser der Ueberzeugung wieder anzufrischen. Er springt schnell aus dieser Traumhaftigkeit auf den reellen Boden der Wirklichkeit zurück. Auch seinen Witz ließ er nicht frei herumwandeln, sondern, wenn er nicht auf der Jagd war oder des Nachts das Haus bewachen mußte, lag er an der Kette. Sein Witz war wohlgezogen; er fiel niemanden an, auf den Börne ihn nicht gehetzt hätte. Er hatte nicht die Art des Witzes bei andern Humoristen, die wie kleine Kläffer jeden Vorübergehenden, jeden Wagen, jedes Pferd anbellen und ihren Herrn in tausend Unannehmlichkeiten verwickeln. Börne hatte nie die Prätension, witzig zu seyn. Man konnte ihn nicht einladen und 168 annehmen, er würde gleich, noch ehe er der Gesellschaft vorgestellt wäre, mit einem Witz über die Schwelle stolpern. Das hat viele Leute so gewundert, in Börne beim Umgang einen so stillen, harmlosen Mann zu finden, der keinesweges mit Bonmots und Calembourgs um sich warf und bei dem gesellschaftlichen Rundspiele: „Die Leber ist von einem Hecht“ boshafte Malicen anbrachte. Börne hielt weder Reden, noch konnte er witzig auf Bestellung seyn. Er mußte eben so auch in seinen Schriften Stoff und Veranlassung zum Witze haben, und um recht witzig zu seyn, mußte er aus dem Vollen greifen, wie seine „Schilderungen aus Paris“ beweisen, die unter allen seinen Schriften noch immer für das schlagendste Zeugniß seiner feinen Beobachtungsgabe und seiner geistreichen Satyre gegolten haben.*)

169 Börne konnte damals, als er zum ersten Male in Paris lebte, die jesuitisch-aristokratische Reaktion ganz in der Nähe beobachten. Wie wenig sich die Bourbonen bevestigt hatten, beweist die spätere Möglichkeit der Julirevolution. Sie fühlten sich auf einem unsichern Boden, der unter ihren Füßen wankte, und den sie zu stützen glaubten, indem sie sich blind der eifernden Ultrapartei in den Kammern überließen, rachgierigen Emigranten, die Frankreich wieder in die Tage Ludwigs XV. zurückversetzen sollten. Villèle hatte so eben das Staatsruder ergriffen und arbeitete an der Aufgabe, sich so unpopulär wie möglich zu machen, mit großem Talente. Aus jener Zeit reihen wir hier einige Brieffragmente an, die aus Börne’s Verkehre mit Friedrich Murhard in Kassel stammen, einem Publizisten, der ihm nicht bloß als Herausgeber der politischen Annalen,*) sondern auch aus näherm Zusammentreffen in Frankfurt befreundet war.

170 Paris, den 10ten Februar 1822.

Frankreich ist das Zifferblatt Europa’s; hier sieht man, welche Zeit es ist, in andern Ländern muß man die Uhr erst schlagen hören, um die Stunde zu erfahren. Man verhört sich aber leichter als man sich versieht. Ich habe mir vorgenommen, meinen Aufenthalt in Paris zu benutzen, um das Wesen unserer Zeit aus ihren Zeichen zu erforschen und meine Beobachtungen Ihnen, mein Hochverehrtester unter allen meinen Freunden, auf dessen Urtheil ich stets so hohen Werth legte, mitzutheilen. Eine so eben hier erschienene Flugschrift zur Apologie des Ministeriums Villèle kommt mir sehr willkommen in den Weg, meine Betrachtungen daran zu knüpfen, denn wenn es in Waffenkriegen oft bedenklich ist, auf dem Schlachtfelde zu kämpfen, das der Feind anbietet, ist es in Meinungsstreitigkeiten immer räthlich, sich auf den Standpunkt zu stellen, den sich der Gegner gewählt. Die Leser jenes Pamphlets, von welcher Partei sie auch sein mögen, Aristokraten oder Demokraten, werden über die Naivität lächeln, mit welcher man darin gewisse Grundsätze, Ansichten und Zwecke öffentlich bekennt und über Mittel und Wege unverholen spricht. Des Königs 171 geschieht zwei- oder dreimal Erwähnung, der Aristokratie wird oft gedacht, unaufhörlich aber ist davon die Rede, was Herr von Villèle oder jeder andre Minister jetzt nothwendig thun muß, um seine Stelle zu behalten. Von den Forderungen der Franzosen aber, von den Bedürfnissen und dem Wohle Frankreichs, wird auch nicht das kleinste Wörtchen gesprochen. Eine jener Ungeschicklichkeiten, die unvermeidlich zum Vorschein kommen, sobald die Gewalt - spricht, zeigt sich in der ganzen Schrift. Die Freiheit kann reden, denn ihr ist das Wort zugleich Waffe und Beute; die Macht aber ist verloren sobald sie anfängt sich zu rechtfertigen, auf eine Weise wie hier geschieht! Ich füge die Schrift selbst, von mir verdeutscht und mit Randglossen begleitet bei. Machen Sie Gebrauch davon für die Allgemeinen politischen Annalen!

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Paris, im März 1822.

Möchten sich die Herren Minister in konstitutionellen Monarchien doch endlich des Diplomatisirens und Intriguirens entwöhnen! Aber der öffentliche 172 Markt ist ihnen nur eine größere Antichambre, das Volk nur ein zahlreicherer Hof und die öffentliche Meinung das alte Violin-Solo, nur ohne Sordine gespielt. Sie zischeln hier wie dort, sind schlau jetzt wie vordem und schlagen immerfort den herkömmlichen Takt. Sie meinen, wenn sie nur weiter einheizten, damit könnten sie den Frühling abhalten. Die heutigen französischen Minister sind viel zu klug, als daß sie hoffen dürften, ihre Absichten durchzusetzen. Zu gewissen Handlungen reicht nicht hin, kein Herz, man muß auch keinen Kopf haben. Es ist nicht Jeder dumm, der will. Giebt’s eine Eigenschaft der menschlichen Natur, die man nicht erwerben kann, die angeboren sein muß, so ist es die Dummheit. Es giebt für jeden französischen Minister nur Ein Mittel, sich durch die Gefahren zu schlagen, welchen er begegnet, wenn er Frankreich nach den Wünschen der Aristokratie beherrschen will - er darf diese Gefahren nicht sehen. Sein System, wenn er ein solches hat, offen darzulegen, wäre unter diesen Umständen in seiner Stellung viel zu gefährlich für ihn. Darum bedient er sich der Journale des Auslandes, um seine Ansichten und Grundsätze zu rechtfertigen und Andere läßt er dann hinterher als deren Vertheidiger auftreten. So wählte 173 Villèle den ministeriellen englischen Courier zur Schaubühne einer Correspondenz. Ich sage Schaubühne, denn der Ursprung wie der Zweck jener Correspondenz ist das Geheimniß der Komödie. Decazes hatte zur Zeit seiner Herrschaft auch seine maskirte Correspondenz; er ist aber doch vorübergegangen und so wird auch Villèle bloß eine vorübergehende Rolle spielen.

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Villèle ging bei der Verfolgung des Reaktionssystems der Aristokratie viel zu langsam zu Werke. Die Ultras sprechen fort und fort von der Nothwendigkeit, den Eifer, die Treue, die Ergebenheit belohnt zu sehen. Ein Vertheidiger des von Villèle befolgten Systems fand es darum für nöthig zu bemerken, daß die Worte: Treue, Ergebenheit, Eifer, so achtungswerth sie auch seien und so gewiß Herr von Villèle nichts mehr verlange als alle diese Dinge zu belohnen, da er ja selbst seinen Theil vom Lohn in dieser Beziehung fordere, doch keinen Talisman gewähren könnte, der die, während einer 25jährigen Revolution entstandenen Interessen und aufgekommenen feierlich 174 anerkannten Meinungen plötzlich verschwinden mache. Also mit dem Verschwindenmachen wäre man einverstanden, nur daß es allmählig geschehe, und man hierbei mit Frankreich fortfahre wie jener gutherzige Lakai mit dem Pudel seines Herrn gethan, dem er die Ohren abschneiden sollte, ihm aber vorerst nur ein Endchen davon abschnitt, um dem armen Thiere nicht auf einmal so wehe zu thun! Dabei werden die plebejischen Interessen, die ewig bestanden, als in der französischen Revolution erst entstanden ausgegeben, um sie revolutionär schelten zu können.

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Wenn die rückgekehrten Emigranten Frankreich regieren wollen, ohne dessen Lage und Sitten zu kennen, so verdienen sie nur die Hälfte des Vorwurfs, den sich Villèle ganz zugezogen. Dieser kennt den Boden, auf dem er wandelt, die Luft, die ihn umgiebt und dennoch glaubt er, Frankreich in die alte Lage zurückregieren zu können, aus der es sich durch die Revolution gerissen. Er verfolgt das nämliche Ziel wie die Ultras und auf dem nämlichen Wege, nur will er langsamer gehen. Das ist dieselbe 175 Barmherzigkeit, die man gegen einen Verurtheilten ausübte, wenn man ihn mit kleinen Schritten zum Schaffot führte.

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So lange Hr. v. Villèle die Ultrapartei gebraucht hat, schmeichelte er ihren Leidenschaften; jetzt da er erster Minister geworden, wendet er, wie üblich, den Leuten den Rücken zu. Er thut, was jeder seiner Freunde auch thun würde, sobald er Premier-Minister geworden wäre. Als solcher würde es selbst Herr v. Peyronnet nicht besser, das heißt hier, nicht schlimmer machen als Hr. v. Villèle. Denn einmal auf den Gipfel der Verwaltung gekommen, von wo man alle Verhältnisse überschaut, einmal diejenige Macht und dasjenige Ansehen erlangt, welche den höchsten Ehrgeiz befriedigen, lernte noch jeder Staatsmann bald einsehen, daß Frankreich in aristokratischem oder in der Canzeleisprache der Heuchelei zu reden, in royalistischem Sinne nicht mehr regiert werden könne, und daß, würde es versucht, nicht bloß Frankreich, welches eine Nebensache ist, sondern auch 176 der Waghals, der es versuchte, darüber zu Grunde gehen müsse.

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Herr v. Villèle giebt den Ultras, die ihn zur Macht geführt und denen er es jetzt als Minister nicht recht machen kann, zu verstehen, daß es ja offenbar auch sein Interesse sei, die aristokratischen Principien der Charte zu begünstigen. Es kann wohl Frankreich wie ganz Europa sehr gleichgültig sein, was der jetzige französische Principalminister für sein Interesse ansieht. Ueber das kindische Wesen der großen Leute, welche fest daran glauben, der liebe Gott habe um des beliebten Kaviars willen den Ozean geschaffen, wird sich ein vernünftiger Mensch nimmer und nimmer satt lachen. Es handelt sich in unserer Zeit um andre Dinge als um das Interesse des Herrn von Villèle und den Kaviar der großen Leute.

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Chateaubriand, der heftigste aller Aristokraten, sagt es selbst: les idées du siècle sont repu-177blicaines und dennoch glaubt Ihr, die Welt ändern zu können? Man bekommt den Schwindel, wenn man sieht, zu welchen Höhen menschlicher Hochmuth hinauf zu klettern wagt. Die öffentliche Meinung ist die See, in der man das Staatsschiff steuert, und man behandelt sie wie eine Suppe. Décazes hat sie zu sehr gesalzen, Villèle will sie milder kochen - Kinder werden darüber lachen!

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Der Irrthum so vieler politischer Steuerleute unsrer Zeit ist, daß sie die Demokratie für die Klippe und die Aristokratie für den Hafen ansehen, da doch umgekehrt die Aristokratie die Klippe und die Demokratie der Hafen ist. Wessen Schuld ist es nun, wenn das Schiff an der Klippe oder auch am Ufer scheitert, weil es dahin geworfen wurde? Es ist die Schuld derer, die es nicht dahin gelenkt.

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Das ist die ewige Verblendung der Ultraaristokraten, daß sie es fort und fort nur mit Demokraten 178 zu thun zu haben glauben. Sie verstehen sich nur auf Menschen, nicht auf die Menschheit und verwechseln die Uhr mit der Zeit. Alle Ereignisse, meinen sie, entspringen aus kleinen Quellen, die man nur zu verstopfen brauche, um der Geschichte ein Ende zu machen. Von den Schlüssen des Himmels haben sie keine Ahnung und käme zum zweiten Male eine Sündfluth über die Welt, würden sie sagen: Das ist eine Intrigue, und hingehen ihrer Quelle nachzuspüren. Ich glaube, wenn das gelbe Fieber in Paris ausbräche und Constant, Foy, Lafitte, Terneaux und die übrigen Häupter der Gegenpartei stürben daran - die Aristokraten würden sich die Augen reiben und sagen: Gott sey Dank, es war alles nur ein Traum, heute ist Hirschjagd im Walde von St. Germain.

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Als Börne im Jahre 1822 Paris verließ, kehrte er nicht sogleich nach Frankfurt zurück, sondern lebte eine Zeitlang in Gesellschaft seiner Freundin in Heidelberg. Hier war es, wo zum ersten Male sein fortwährendes körperliches Leiden zu einem sehr bedenklichen plötzlichen Ausbruch kam. Er wurde von einem heftigen 179 Blutsturz befallen, und dadurch so geschwächt, daß man für sein Leben mußte besorgt werden. In dem hierauf folgenden langen Krankenlager widmete ihm Mad. W. die liebevollste Pflege. Langsam erholte er sich. Sein Lungenleiden schien ihm nun erwiesen und er ging viel mit fremden und ihm befreundeten Aerzten zu Rathe. Später, seit 1824 besuchte er fast jedes Jahr Ems. Ein deutliches Bild seines körperlichen Unbehagens, zu dem sich noch eine zunehmende Schwerhörigkeit gesellte, giebt ein aus Stuttgart datirter Brief an seinen Freund Dr. Stiebel in Frankfurt. Er schrieb ihm:

Lieber Freund!

Ich danke Ihnen für Ihr medizinisches Gutachten. Wegen der Aloe haben Sie sehr Recht, und ich habe das Mittel sogleich eingestellt, nachdem ich es jetzt schon fast 14 Tage gebraucht hatte. Die erhitzende Eigenschaft der Aloe war mir bekannt, nur hatte ich nicht den Muth, meinem hiesigen Arzt zu widersprechen. Es ist wahr, daß ich Erleichterung dadurch gewann, ich rede mir aber ein, daß es Schuld an dem stärkren Ohrenbrausen ist (im schwächern Grade habe ich es immer) woran ich gegenwärtig leide. Mein Uebel, meine ich, müsse jedem Arzte sehr klar seyn, es kömmt 180 nur darauf an, das rechte Mittel dagegen zu finden. Es ist offenbar eine Blutergießung in den Unterleibs-Eingeweiden, die sich aber durch die Brust entleert hat. Wie ist dem vorzubeugen? Diät allein hüb’ es wohl nicht. Ich hatte seit 6 Monaten die strengste Diät geführt, gar keinen Wein getrunken, und mir viel Bewegung gemacht, der Blutauswurf hat sich aber doch widerholt. Es ist freilich wahr, daß ich das letzte Mal, meinen Schrecken ausgenommen, gar kein Uebelbefinden dabei hatte, das erste Mal aber war ich sehr krank, vielleicht weil unordentliche Lebensart vorhergegangen war. Bei meinem neulichen Anfall hatte ich sehr stark Schmerzen, auf der rechten Seite unter den Rippen, wahrscheinlich von der Leber herrührend. Ich meine, dieses wäre sehr bezeichnend. In Schwefel setzte ich großes Zutrauen. Schon vor 18 Jahren verschrieb es mir Reil gegen irgend ein chronisches Uebelbefinden. Ich erinnere mich damals Schmerzen im Rückgrade gehabt zu haben, und daß Reil gesagt, es wären Hämorhoidal-Dispositionen. Der achttägige Gebrauch des Schwefels gab damals meinem Gesundheitszustand eine ganz andere ausdauernd bessere Richtung. Ich wollte, Sie schickten mir ein solches Rezept, mit der vorgeschlagenen Mischung von Ta-181raxakum oder andern bittern Mitteln. Datiren Sie das Rezept auf den März vorigen Jahres zurück, damit ich es meinem Arzte als ein früher gebrauchtes vorzeigen könnte.

Sie sind zu bescheiden, wenn Sie meine Rezension von Windischmann fürchten, oder Sie wollen sich über mich lustig machen. Sie wissen, daß ich von solchen Dingen nichts verstehe, und selbst in der einseitigen Art, in welcher ich solche Sachen zu behandeln weiß, ist es mir diesesmal mislungen, so daß es mir lieb wäre wenn die Rezension gar nicht gedruckt würde, wie ich es fast erwarte, weil Anstößigkeiten gegen Geistlichkeit darin vorkommen. Sie würden mir einen Gefallen thun, wenn Sie mir durch Gelegenheit (etwa wenn Louis Ochs hierher reist) Ihre Artikel von Windischmann, und andere Ihrer Rezensionen und Schriften, mittheilen möchten: Ich würde Ihnen die Sachen gut aufbewahren und zu seiner Zeit zurückschicken.“

Das Siechthum Börne’s hielt ihn von seinen meisten literarischen Unternehmungen ab und beschränkte seine Thätigkeit nur auf kleinere Aufsätze, die er ab und zu dem Morgenblatt schenkte. Natürlich mußte hiedurch der Rückhalt, den er für seine Existenz von 182 Cotta hatte, wanken, und die Beziehung zum Vater, wie lästig sie auch für Börne unter diesen Umständen war, wieder angeknüpft werden. Börne war kein großer Finanzier. Ohne Verschwender zu sein, ohne selbst von dem vielen Gelde, das er brauchte, einen rechten Genuß zu haben, war er doch immer in einem Mißverhältniße seiner Einnahmen und Ausgaben. Er hatte Liebhabereien, die nicht wohlfeil waren. Er kaufte gern Bücher, hielt sich Vögel, verschwendete viel mit Blumen; eine Liebhaberei, die er von seinem Vater geerbt zu haben schien; denn dieser pflegte zu Geburtstagen ihm befreundeter Personen mit ganzen Blumenbeeten aufzuwarten. Börne war Freund eines behaglichen Comforts, den sein leidender Körper schon um so mehr in Anspruch nehmen durfte, als er sich sonst so Vieles seiner Gesundheit wegen versagen mußte. Er liebte Teppiche, Vorhänge, fashionable Lage seiner Wohnungen, bequeme Bedienung. Wie man Talglichte brennen könne, begriff er nicht. Gern reiste er in seinem eigenen Wagen, schon der geistigen Anregung wegen, die ihm unterweges immer am mächtigsten zuströmte. Er war kein Elegant, weil ihm Körper-Haltung und Eitelkeit dazu fehlten, nur die Elemente der Eleganz liebte er, feines Tuch, weiße Wäsche, ge-183schmackvolle Muster zu Westen, saubre Handschuhe. Er hatte eine Art komischer Freude daran, sich den Knoten seines Halstuches so zu binden, wie es die neueste Mode verlangte und mit einem gutmüthigen Selbstgefühl, wenn er auf einen Ball ging, den, der ihn musterte, zu fragen: Wie gefall’ ich Ihnen? Boten sich Kunstgenüsse im Theater oder Conzert dar, so war er nicht geneigt, sie sich zu versagen. Er liebte es, durch Geschenke zu überraschen; kurz er war eine Lebensweise gewohnt, die sich weit über die Decke seiner Einnahme hinausstreckte, und selbst wenn Plus und Minus mit einander gestimmt hätten, so war er kein Oekonom. Zu dieser fast aristokratischen Behandlungsweise des Lebens hatte ihn wahrscheinlich seine Pensionszeit in Gießen, Berlin und Halle verführt.

Unter diesen Umständen konnte Börne nie von seinem Vater unabhängig werden. Er mußte sich, da er seiner nicht entbehren durfte, die Launen desselben gefallen lassen. Die Rücksicht auf die Geschwister, die schon selbstständig wurden, erzeugte manches Mißverhältniß; ja, ohne Vermittelung der Freunde Börne’s, die auf den Willen des Vaters zu wirken suchen mußten, wäre für ihn nichts mehr durchzusetzen gewesen. Ging 184 nun ein solcher Vermittler zum alten Baruch, so traf er einen wohlbeleibten Herrn, nicht groß, aber fein und zierlich gebaut, mit kleinen Füßen und sorgfältig gepflegten zarten Händen. Seine Kleidung war sauber gebürstet, kein Stäubchen durfte darauf sitzen, feinste, blendendweiße Wäsche mußte auf der Brust ausgelegt sein, Gang und Benehmen waren gemessen. Ohne allen jüdischen Accent sprach er ein wohlgesetztes Deutsch, langsam, als wenn er das Gewicht jedes Wortes prüfen wollte, mit weichem Organe, wie sein Sohn. Seine Umgebungen zeigten Geschmack und Sinn für Eleganz, die Schnelligkeit, mit der seinen Winken gehorcht wurde, verrieth die patriarchalische Strenge, mit der er in seinem Hause waltete. Nur war es bedenklich, bei ihm die Saite seines Sohnes, des Schriftstellers, anzuschlagen. An seinen übrigen Kindern, die in der Welt „was vor sich brachten,“ erlebte er Freude; der Doktor hatte ihm 20,000 Gulden, wie er behauptete, gekostet und war nichts geworden, als Verfasser von Schriften, die nun einmal bei seinem Jugendfreunde, dem Fürsten Metternich in Wien, durchaus keine Billigung fänden. Was wolle er in der Welt mit den liberalen Verkehrtheiten? Sich Feinde machen! Die Großen angreifen! Paßt für seine Stellung gar nicht. 185 Was ist er denn in der Welt, daß er sich erlaubt, so ein Wort zu führen? Jetzt könnt’ er Arzt und Accoucheur sein, könnte eine reiche Praxis haben, bekäme in jeder Messe seine Rechnung bezahlt. Gut, nun ist er Jurist geworden. Warum sieht man ihn nicht als Advokaten? Er könnte noch auf den Römer gehen, könnte Eingaben machen, könnte dem Rothschild seine Prozesse führen. Statt dessen schreibt er Bücher, verreist das bischen Geld, was sie ihm einbringen und versperrt sich durch seine gottlosen Bemerkungen über die Großen auch jede Gelegenheit, es in der Welt noch einmal zu etwas zu bringen.

Nun wehe aber dem, der auf diese Klagen des Herrn Baruch eingegangen wäre! Diese Vorwürfe wollte er dem nur gestattet wissen, der unter dem Gegenstand derselben zu leiden hatte. Die einzige Wendung, die ihn auf diese Aeußerungen von einem Dritten recht war, durfte nur dahin lauten, daß es Schade um die großen Talente des Sohnes wäre! Man würde sich sehr irren, nähme man an, Börnes Vater hätte die Gaben des Schriftstellers nicht zu schätzen gewußt; er beklagte nur, daß er von ihnen nicht den rechten Gebrauch machte. System, Gesinnung - nein in der That, auch das war für Herrn Baruch kein 186 Larifari; aber wer verlangt das von meinem Sohn? Was braucht der in seiner Lage Gesinnungen? Solche Chimären! Wir Juden haben in der Welt eine ganz andre Stellung, als ein großes Wort zu führen. Wir werden doch wahrhaftig den Weltlauf nicht ändern! Er schadet uns nur; er bringt uns in unsren Interessen zurück und ich schäme mich, wenn ich nach Wien komme, und bei unsern langjährigen Verbindungen mit dem österreichischen Hofe einen solchen Sohn haben muß!

Herr Baruch war Kenner der Politik genug, um zu wissen, daß sein Sohn auch immerhin kein Arzt, kein Advokat zu sein brauchte und doch eine einträgliche Stellung haben könnte. Nur mußte er kein System, keine Gesinnungen haben! Hatte doch Herr von Gentz längst dessen Styl, Fürst Metternich dessen politische Kenntnisse gelobt! Herr Baruch wußte, wofür Gentz, Friedrich von Schlegel, Pfeilschifter und Andere ihre Wechsel bezogen, er wußte, daß deren ganzes Talent darin bestand, aus gegebenen Materialien einen hübschen Zeitungsartikel zusammenzusetzen. Man erzählt sich, daß er, unbekümmert um seinen Sohn, in Wien daran gearbeitet hat, ihm eine Stellung zu verschaffen. Er wollte seinem Talente eine metallene Bahn brechen 187 und schrieb ihm von Wien aus, als sich Börne von Stuttgart nach München begeben hatte, er solle nun kommen und in Wien unter Aufsicht gewisser hoher Personen etwas Ordentliches werden. Als Börne die Zumuthung abwies, fuhr der Vater nicht gleich in Harnisch, sondern bot, da diese Frage ihm zu wichtig für des Sohnes ganzes Lebensglück schien, jedes besonnene Mittel auf, ihn zur Reise zu bewegen. Da er wohl wußte, daß Sanftmuth hier mehr wirken würde, als Zorn, so befleißigte er sich aller Künste der Ueberredung, sprach zum Herzen des Sohnes, als Vater, als Freund. Nein. Nun denn, schlug er ihm vor, so solle er wenigstens erst einmal nach Wien reisen, um zu sehen, wie es ihm dort gefallen würde; gefiele es ihm nicht, so blieb’ es ihm ja unbenommen, wieder abzureisen. Um wenigstens für diesen Vorschlag den Sohn ganz gewiß zu haben, schickte er ihm nach München eine bedeutende Summe als Reisegeld. Börne nahm das Geld, bestellte Postpferde und reiste über Augsburg - wieder nach Stuttgart zurück. Es läßt sich nicht läugnen, daß dies von Börne noch ein alter Hallenser Studentenstreich war. Der Vater war empört und wollte lange Zeit von dem ungerathenen Demagogen nichts wissen. Es erbitterte ihn tief, daß 188 er obenein mit jener Geldsumme ordentlich noch wie in eine Falle gegangen war.

Börne pflegte sich über dies Wiener Projekt so zu äußern: Meine Gesinnung kann und werde ich nie, um keinen Preis, ändern. Gesetzt aber auch, ich hätte es gewollt oder gekonnt, so würde ich grade dadurch allen Einfluß verloren haben und ganz in die Kategorie jener verkauften Publizisten gesunken sein, denen, sie mögen behaupten, was sie wollen, von Niemanden geglaubt wird. Daß ich lieber gar nicht nach Wien erst hingieng, sagte er zu seinem Freunde Stiebel, das war ich meiner eignen Vorsicht schuldig. Ich bin schwach; wozu sich da einer Verführung aussetzen? Wer weiß, womit sie mich gefesselt hätten! In meine eigne Schwachheit, die sie bald ausgemittelt hätten, würden sie mich verstrickt haben.

Als Börne wieder nach Frankfurt zurück kehrte, freute er sich, im dortigen Polizeiwesen manche Verbesserungen, in dem Aeußern der Stadt manche Verschönerungen anzutreffen. Gleich bei seinem ersten Spaziergange durch die freundlichen Anlagen, von denen Frankfurt umgeben ist, lächelte er wohlgefällig über den höflichen Styl, in welchem die Polizei auf den Warnungstafeln mit dem Publikum sprach. Da hieß 189 es nicht mehr: „bei fünf Thaler Strafe darf hier Niemand den Rasen betreten!“ oder dergleichen; sondern er las zu seiner Verwunderung: „Diese Anlagen sind der Sorgfalt des Publikums empfohlen.“ Er glaubte sich nach Paris versetzt. Ein so kleiner Fortschritt in der Cultur konnte ihn einen ganzen Tag glücklich machen. Für die Frankfurter Theaterverhältnisse bewahrte er noch immer viel Theilnahme; und in mancher Correspondenz, die er an das Morgenblatt einsandte, machte er seinen gepreßten kunstrichterlichen Empfindungen Luft. Noch immer wog er in diesem Bereich die Worte nicht. Es war ihm eine Kleinigkeit, den damaligen Chef der Theateroberdirektion, den Banquier Leerse, einen Tyrannen zu nennen, wofür ihn dieser zu verklagen drohte. Eine kleine Brochüre gab er bei Gelegenheit der Ankündigung der Berliner wissenschaftlichen Jahrbücher für Kritik heraus. Er ahnte schon 1826 die vielen Einseitigkeiten, mit welchen dieses Institut in der That gleich begann, und die Anarchie, in die es sich jetzt aufgelöst hat. Manche seiner Befürchtungen waren jedoch sehr in seiner Abneigung gegen die Philosophie als Wissenschaft begründet. Der Literaturbeilage des Morgenblattes, die seit 1828 von W. Menzel redigirt wurde, sandte er die gründlichsten 190 und geistreichsten Kritiken über Schriften, welche grade an der Tagesordnung waren. Aufgefordert, eine Beurtheilung des „Leben Napoleon’s“ von Walter Scott einzusenden, antwortete er in einem noch unter seinen Papieren befindlichen, wahrscheinlich nicht abgeschickten Briefe, daß ihm Verfasser und Gegenstand dieses Buchs gleich wenig genehm wären. Das Museum, eine der höhern Unterhaltung gewidmete Gesellschaft in Frankfurt, bedachte er mit seiner geistvollen Denkrede an Jean Paul; lieferte auch manches für die Iris, eine Zeitschrift, die Berly, in dessen Hause Börne gern verweilte, herausgab. Die Unterhaltung eines so belesenen Weltmannes, wie Berly, einer liebenswürdigen Tochter und einer Hausfrau, die mit klugem Urtheil jedem Ding schnell seine praktische Seite abgewann, fesselten ihn eben so sehr, wie die häufigen Gelegenheiten, die sich in diesem Hause zu interessanten Bekanntschaften darboten, von welchen wir nur die des Grafen Bentzel-Sternau, dieses merkwürdigen Beispiels, wie sich die klarsten Gedanken im unklarsten Styl ausdrücken lassen, nennen wollen. Jeden Dienstag kam er bei Berly zum Thee und war dann immer launig, gesprächig und aufgeweckt, besonders mit der Jugend und den Frauen. Die Ankunft der 191 Sonntag begeisterte ihn zu seinem berühmten Artikel über sie, der ihm in Berlin so viel Freunde machte. Ja das Interesse, welches Börne an dieser Sängerin nahm, war so lebhaft, daß er sich sogar in eine Fehde über die Frage einließ: Ob ein Louisd’or zehn oder eilf Gulden gälte? Die jetzige Gräfin Rossi hatte nämlich mit der Theaterdirektion auf ein in Louisd’oren ausgesprochenes Honorar unterhandelt. Gute Rechner und Enthusiasten hinterbrachten ihr, daß man in Frankfurt unter Louisd’ors nicht Friedrichsd’ors à 10 Gulden, sondern Carolin à 11 Gulden verstehe. Die Gräfin Rossi war auf einem Handelsplatze, wo es Sitte ist, sich an den Cours zu halten. Sie verlangte Goldstücke zu eilf Gulden. Nun gab dies Mißverständniß eine Fehde, deren Schauplatz die Iris und einige andre Frankfurter Blätter wurden. Börne war ein solcher Sonntags-Enthusiast, daß er zum Nachtheil der Theaterdirektion darauf bestand, sie solle fest dabei bleiben: Unter eilf Gulden thät’ sie’s nicht. Von Vereinen besuchte Börne den sogenannten Gelehrtenklub, wo es ihm jedoch durch seine zunehmende Schwerhörigkeit gar oft an Empfänglichkeit und Mittheilsamkeit zu fehlen schien. Nur im engern Kreise entfaltete er die Liebenswürdigkeit seines Umganges.

192 Durch den 1827 erfolgten Tod seines Vaters wurde Börne’s äußre Lage günstiger gestellt. Zwar war das Vermögen des Vaters von den Unfällen, welche damals öfter der Papierhandel erlitt, nicht verschont geblieben, zwar schien er im Testament gegen die übrigen Geschwister auffallend zurückgesetzt, doch kamen noch immer 22000 Gulden auf sein Theil, die ihn mit Einschluß einer Rente, durch welche er den künftigen Ansprüchen an das Vermögen der Mutter entsagte, mit Einschluß seiner Frankfurter Pension von jetzt an auf ein jährliches sichres Einkommen von etwa 1200 Gulden rechnen ließen. Diese Selbstständigkeit war für die Ruhe, mit der er die politischen Ereignisse betrachtete, durchaus nicht unwesentlich. Ein Prozeß mit seinen Brüdern wurde von seinem Freund und Anwald, Dr. Goldschmidt, gütlich ausgeglichen; doch blieb zwischen ihnen eine Verstimmung zurück, die sich erst in spätern Jahren verlor. Als ihn sein ältester Bruder nicht lange vor seinem Tode in Paris besuchte, bot er alles auf, ihm den Aufenthalt angenehm zu machen. Er wurde so lebendig, wie lange nicht zuvor, sprach viel von vergangenen Zeiten und verrieth wohl, daß sein Herz zu weich war, um lange einen Groll zu nähren. Das Verhältniß zu seiner Schwester blieb ungetrübt. 193 Er schätzte sie hoch und nahm an ihren Kindern einen innigen Antheil. Sein Neffe, der leider zu früh gestorbene junge Dr. Spiro, zog seine Aufmerksamkeit in hohem Grade an sich, er verfolgte dessen Studiengang und konnte nur bedauern, daß dieser in Gebiete sich verlor, wo Börne gewohnt war, nichts als Untiefen und Falleisen zu sehen. Börne's talentvoller Neffe war Hegelianer.

Im Winter nach dem Tode seines Vaters führte Börne einen längst gehegten Lieblingsplan aus. Er wollte wieder einmal Berlin sehen. Berlin hatte nie aufgehört, ihn anzuziehen; die großartigsten Eindrücke waren ihm von da geblieben, und wenn er auch wußte, daß ihn die ganze Richtung dort nicht ansprechen würde, so wußte er sich doch von dem Vielen, was dort geboten wurde, Einzelnes herauszulesen, das ihn allerdings fesseln konnte. Er sah Mad. Herz wieder, Varnhagen und Rahel waren ihm von Frankfurt her bekannt und zugethan. Empfehlungen nahm er mehr mit, als er abgab. Er reiste in seinem eigenen Wagen. Die Parade, die Willibald Alexis und Ludwig Robert mit ihm in der Mittwochsgesellschaft machten, hat er selbst beschrieben. „Hofrath - Börne - Sonntag - göttlich!“ war der Refrain, den er des Tages hun-194dertmal hörte. Jedenfalls meinte man es gut und herzlich mit ihm. Die Berliner Belletristik war damals noch nicht in dem Grade von allem Anstand, aller ächten Begeisterung entblößt, wie jetzt, wo die Eckensteherwitzlinge daselbst das große Wort führen und einige trockne Epigonen von den hintersten Reihen der Hegelschen Schule den Ton angeben. Die Anbetung Goethes, die damals in Berlin Mode war, gab dem ganzen Wesen etwas Geordnetes, Enthaltsames; Niemand drängte sich vor; Alle waren sie nur die Gesellen eines einzigen unsichtbaren Meisters. Börne mit seiner süddeutschen Nachlässigkeit, mit seiner politischen Terminologie, mit seiner Schweigsamkeit, hinter deren lächelnder Aussenseite so viel wichtiger gedankenschwerer Ernst verborgen sein mußte, erschien in diesem Kreise als ein völlig Fremder; jeder mußte sich erst seine eigne Brücke bauen, um zu einem Verständniß dieses kleinen unscheinbaren, kränklichen Mannes heranzukommen. Die meisten begegneten ihm von der dramaturgischen Seite, die ja nichts Verpöntes hatte. Daheim, er wohnte eine Zeit lang in der Friedrichsstraße im Hause des Buchhändlers Logier, traf man ihn nur in dicke Tabackswolken eingehüllt, im langen Schlafrock und ein rothes Jakobinerkäppchen auf dem 195 Haupte. Dieses Käppchen bestärkte manchen Verdacht, der gegen den Fremdling laut wurde. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß es gewisse Augen gab, die ihm, wie der preußische Gensdarmenausdruck ist, damals „auf den Dienst paßten.“ Der Buchhändler Logier war aber außer sich über den Tabacksrauch, den Börne in seinem Hause verbreitete. Seiner Gesundheit und vieler Zahnschmerzen wegen schien er eine wahre Rauchkur zu gebrauchen. Hr. Logier bat ihn, unter diesen Umständen auf die Ehre ihn länger in seinem Hause zu haben, verzichten zu dürfen. Wenn sich übrigens Mad. W. entschließen wird, Börne’s vertrauten Briefwechsel mit ihr herauszugeben, so dürften grade die aus Berlin damals von ihm gekommenen Nachrichten sehr denkwürdig sein.

Als Börne nach Frankfurt wieder zurückkehrte, gieng er schon ernstlich mit einem Plane um, zu dessen Ausführung man ihn in Berlin wahrscheinlich eifrig ermuntert hatte. Schrieb ihm doch Hitzig, er wolle Haus für Haus auf seine Schriften collektiren gehen! Er wollte die hie und da zerstreuten Denksteine seiner literarischen Thätigkeit zu einem einzigen Gebäude zusammentragen. So oft seine Bescheidenheit ihm dagegen einen Einwurf machte, so zweifelte er doch 196 nicht, daß es sinnigen Lesern gelingen würde, aus den Fragmenten, die er nur bieten konnte, sich eine ernste, das Beste des Vaterlandes wollende und den innern Beruf des Wortes tragende Persönlichkeit zusammenzusetzen. Er knüpfte deßhalb eine Verbindung mit dem Buchhändler Campe in Hamburg an, der sich durch einige freimüthige Verlagsartikel damals den Ruf eines unternehmenden, waglustigen und gesinnungsfesten Verlegers erworben hatte. Trotz vieler Debatten über die Bedingungen dieser Ausgabe kam es zuletzt in Hamburg selbst zu einem definitiven Abschluß über acht Bände „Gesammelter Schriften von Ludwig Börne.“ Börne erhielt für eine zehnjährige Entäußerung seines Verlagrechtes 4000 Thaler. Ein witziger Prospektus lud das Publikum zur Subscription ein.

Auf der Reise nach Hamburg im Jahre 1828 begleitete Börne bis Hannover seine Freundin. Diese blieb hier bei der ihr verwandten Familie des bekannten Componisten Aloys Schmitt, der damals Capellmeister der Herzogin von Cambridge war, zurück. In Kassel war für Börne hauptsächlich Murhard ein befreundeter Anlehnungspunkt. Murhard, dessen Gespräche sich am liebsten mit Politik beschäftigten, rühmt Börne’s treffende Aeußerungen über die damalige Zeitgeschichte 197 und die Ruhe, mit der er abweichende Ansichten aufnahm. Börne war kein Proselytenmacher. Er haßte es, über Ansichten zu streiten, die sich nicht demonstriren ließen, sondern nur aus innerer Ueberzeugung geboren würden. In Kassel erlebte Börne einen heftigen Rückfall seiner körperlichen Leiden. Er mußte, von Dr. Harnier behandelt, länger dort bleiben, als er gewünscht hätte; denn Kassel war ihm ein todter und ängstlicher Ort. Um Murhard zu beweisen, wie groß die Einsamkeit Kassels wäre, erzählte er ihm, er hätte auf einer Bank in der Carlsau (einem reizenden Park bei Kassel) einen Sechsbätzner zurückgelassen, um zu sehen ob Jemand in drei Tagen an den Ort würde gekommen sein. Er kam nach drei Tagen und siehe! er fand das Geldstück noch auf derselben Stelle, wo er es hingelegt hatte.

Damals nahm Börne in Kassel seinen Konrad in Dienst, den treuen Konrad, der in den Pariser Briefen so oft die Scene erheitert, seinem Herrn Gelegenheit zu so vielen humoristischen Einfällen giebt und ihm seine physischen Kräfte anbietet, falls er sich an seinen Feinden wolle nachdrücklich gerächt sehen. Konrad schien bestimmt zu sein, nur der Literatur die Kleider auszuklopfen und die Schuhe zu reinigen. Konrad 198 war schon in Kassel in einer Druckerei, beim Redakteur der Kasseler Zeitung, Dr. Pinhas Auslaufer gewesen. Konrad machte sogar Verse und erfreute damit seinen Herrn. Konrad schrieb Briefe, die würdig waren, gedruckt zu werden. Börne hätte oft gewünscht, Konrad wäre weniger geistreich, und dafür geschickter und flinker auf den Beinen gewesen. Dieser Bediente war in Allem eine treue deutsche ehrliche Seele, auch darin, daß er hundertmal etwas fallen ließ, das er nicht bezahlen konnte, daß er gar nicht gemacht schien, mit ihm Staat zu machen und weit öfters selbst unbequem, als ein Hülfsmittel zur Bequemlichkeit war. Konrad war ehrlich, aber auch gewissenhaft; er war gewissenhaft aber auch pedantisch. Er würde sich in einem Lustspiel oft weit besser ausgenommen haben, als im wirklichen Leben. Dort hätte man doch wenigstens über das lachen können, worüber man hier zuweilen hätte weinen mögen. Und grade mit allen diesen bösen Tugenden und glänzenden Lastern wurde er für Börne ein Bedürfniß. Er hieng mit gränzenloser Liebe an seinem Herrn und lebte sich so in ihn hinein, daß er durch Börne’s Tod ganz vereinsamt dastand. Er begleitete einen Reisenden nach Italien, schrieb von dort aus sehr originelle Briefe 199 und ist jetzt bei Meyerbeer in Diensten. Vielleicht ist dieser so gefällig, einige seiner Gedichte in Musik zu setzen.

Nach einer gemüthlichen Aufregung, die Börne in Hannover erlebte, und deren nähern Zusammenhang zu lüften einer spätern Zeit überlassen bleiben muß, reiste er allein nach Hamburg. Der großartige Weltverkehr dieser Stadt überraschte ihn. Seewesen war ihm etwas Neues, er fühlte, daß sich in dieser Fülle von Zerstreuungen und lebendigen Anregungen auch ohne Empfehlungsbriefe auskommen ließe und gab die wenigsten der Vielen, die er hatte, ab. Seine Wohnung, die er im Hotel Belvedère nahm, gestattete ihm einen freien Blick auf die schön und voll sich schaukelnde Wassermasse des Alsterbassins. Der bedeutende Buchvertrieb in der Handlung, die seine „gesammelten Schriften“ verlegen sollte, sprach ihn an. Er ließ sich die großen Vorräthe derselben zeigen und äußerte besorglich: Wenn hier eine Feuersbrunst auskäme? Da er einige Titel der aufgestapelten Bücherballen las, verbesserte er sich und sagte: „Es ist wahr, Feuer kann ihnen nichts thun; es ist zuviel Wasser darin!“ In dem Dramaturgen Zimmermann fand Börne einen begeisterten Verehrer. Zimmermann ist einer der 200 seltenen Beweise, daß sich die gründlichsten philologischen Kenntnisse und ein gelehrter Beruf (er war Professor am Gymnasium) mit geschmackvoller Beurtheilung der neuern und neusten Literatur, mit aufopfernder Hingebung an die Kunst und selbst ihre flüchtigsten Entfaltungen am Theaterabende wohl vereinigen lassen. Zu bedauern ist nur, daß seine sittliche Kraft nicht ausreichte, um diese beiden Elemente seiner Bildung im schönen Gleichgewichte zu erhalten, und daß bei ihm zuletzt der Mensch dem Genius unterlegen ist. Wie Börne diesen gründlichen Kunstkenner damals noch antraf, war er zum Umgange wohl noch verwendbar. Er wurde des von ihm hochverehrten Schriftstellers Cicerone, machte ihn mit Hamburg’s Natur und Menschen, mit Hamburg’s Sitten und Unsitten bekannt. Wer könnte Hamburg verlassen, ohne seine Menschenkenntniß in allen Winkeln dieser Seestadt zu vervollständigen und seine Beobachtungen selbst da anzustellen, wo das Laster seine Orgien feiert? Mit scheuem Erstaunen blickte Börne in jene Tummelplätze der entfesselten Sinnlichkeit, die man in Hamburg mit dem dort für die diplomatische Welt verlornen Namen Salons bezeichnet. Mit launiger Gutmüthigkeit näherte er sich einem der weiblichen Geschöpfe, die bei 201 Peter Ahrens ihre (bei einer jammervoll schlechten Tanzfertigkeit) entfalteten käuflichen Reize zum Köder der Verführung machen, und reichte ihr, um ihren geistigen Bildungsgrad zu erforschen, sein Portefeuille, um ihm etwas hineinzuschreiben. Es wäre bei der schrecklichen Ideenverwirrung dieser Wesen gar nicht auffallend, wenn sie ihm eine sentimentale Stelle, etwa aus Tiedge’s Urania eingezeichnet hätte; doch war das, was Börne zu lesen bekam, zufällig etwas unsinnig. Wie erfreulich ist es doch, mit einem Philologen umzugehen! sagte Börne, als Zimmermann den Versuch machte, in das Gekritzel des Frauenzimmers, wie in eine Attische Inschrift, wirklich einen vernünftigen Zusammenhang zu bringen.

Im October 1828 reiste Börne schnell von Hamburg wieder nach Hannover zurück. Hier begab er sich nun sogleich mit einem ungewohnten Fleiß an die Redaktion seiner gesammelten Schriften, an die Abfassung eines Prospectus, an neuere Aufsätze, die den alten schon gedruckten als Ergänzung dienen sollten. Die Sorge über gutes Papier, geschmackvolle Lettern, Correktheit des Drucks, die Sorge um das Format, die Censur, die Versendung seiner Schriften machte ihm viel unruhige Stunden. Wo soll ich all das Zeug 202 zu 120 Bogen hernehmen? seufzte er oft, wenn ihm das Format zu groß schien. Campe in Nürnberg druckte die Schriften mit einer Eleganz, die dem Verleger, der die Kosten nicht scheute, Ehre machte; fünf lange Wintermonate arbeitete Börne in Hannover mit dauerndem Eifer. Hannover, schreibt er seinem Verleger, ist ein Ort, wo man nur die Wahl hat, zu arbeiten oder an Langerweile zu sterben. Ich habe gefunden, schreibt er ein ander Mal, daß Hannover doch noch langweiliger ist, als mir meine Werke vorkommen. Dabei beobachtete er den Verlauf der öffentlichen Angelegenheiten in diesem Lande und äußerte sich: „Ich denke diesem guten Hannover früher oder später ein Ehrendenkmal zu setzen. Einen solchen Ort such’ ich mir schon lange.“ Einige der vorzüglichsten Artikel Börne’s sind aus dieser Zeit, z. B. seine Kritik des Immermann’schen Hofer, an der er vierzehn Tage lang gearbeitet zu haben erklärte. Aufgefordert, Immermann’s Friedrich II. zu beurtheilen, wies er es ab, weil er nicht Zeit hätte, jetzt die sechs Bände von Raumers Hohenstaufen durchzulesen. Schon damals beschäftigte ihn lebhaft der Gedanke, über Frankreich etwas Zeitgemäßes und in periodischer Form zu schreiben. Er wollte nach Waiblinger’s Art einen 203 Almanach aus Frankreich mit Kupfern herausgeben. Doch stand er davon ab, als ihm der Verleger den Ueberschlag der Kosten machte. Damals erhielt er die Abrechnung über die kleine Brochüre, die er gegen die Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik in Heidelberg herausgegeben hatte. Vier Thaler sechszehn Groschen kamen auf sein Theil. Das reicht grade zu meinen Kirschen für den nächsten Sommer! schreibt er. Diesen Sommer aber von 1829 sollte er wenig Kirschen essen. Gleich bei seiner Ankunft in Wiesbaden wurde er heftig krank und blieb es, als er Wiesbaden später mit Ems vertauschte. Er blieb leidend bis zur Julirevolution und schien damals Allen dem Tode nahe.

Die ersten etwas langsamen*) Erfolge seiner gesammelten Schriften wartete Börne in Frankfurt ab. Kritisch wurden sie besonders in Berlin mit freudiger Anerkennung, namentlich ihrer formellen Reize, begrüßt. Den Inhalt und besonders die politischen Theorieen, die durchschimmerten, mußten die ästhetischen Beamten, welche wie der Intendanturrath Neumann die Schriften be-204urtheilten, sehr in Abrede stellen. Auf die Jugend machte diese Erscheinung einen bezaubernden Eindruck. Diese Frische, dieser Witz, diese großartige Perspektive in Welt- und Zeitanschauungen, die man auf der Schule kaum ahnte und die auf der Universität zu dem Verbotenen gehörte! Von den Fesseln des Systems sah man sich erlöst; die freiste Ungebundenheit war doch zugleich zu einer in bunten Farben schimmernden Crystallisation der Darstellung kunstvoll verhärtet. Alle Formeln und Gesetze lösten sich hier vor der freien Gesetzgebung eines mächtigen Individuums auf, das nicht aus dem Hörsaal, sondern aus dem grünen Walde der Erfahrung und der Geschichte heraustrat. Verklungene Debatten sah man hier wieder aufgenommen, ein patriotisch freier Sinn reagirte gegen die ästhetische Verflachung, in welche wir gegen die Zeit hin, wo die Julirevolution ausbrach, uns zu verlieren fürchten mußten. Es waren nicht goldne Aepfel in silbernen Schaalen, sondern frische, natürliche, den Reif des Gartens tragende Früchte in crystallenen Schaalen.

Börne wurde jetzt in Frankfurt immer mehr ein berühmter Mann, dem der durchreisende Dilettant und Kunstfreund seine Aufwartung machte. Auch das Hand-205werk sprach an. Heine, Saphir, viele Berühmtheiten des Tages besuchten ihn. Um Heine war Börne eifrigst besorgt. Er schätzte ihn von den gleichzeitig Strebenden am höchsten. Er wurde in Frankfurt der Colporteur des jungen knospenden Ruhms der Heine’schen Muse, empfahl Heine’s Schriften und ehrte ihn selbst in seiner Persönlichkeit, ohne künftige Zerwürfnisse zu ahnen. Leider störte ihn oft mitten im Genuß solcher für ihn festlichen Augenblicke sein Körperleiden. Als Saphir, Schnyder von Wartensee und Andre eines Abends bei ihm eingeladen waren, trafen sie ein dunkles Zimmer, nirgends eine Vorbereitung, Mad. W. kam ihnen verstörten Blicks entgegen, Börne war so eben wieder vom Blutsturz befallen. Um Alles zu versuchen bezog er im Sommer 1830 das bei Frankfurt gelegene Bad Soden, das ihm die Aerzte angerathen hatten.

Das Tagebuchs-Idyll, welches den achten Band seiner Schriften bildet, schildert einen Theil seines Sodener Aufenthalts. Mad. W. war seine Nachbarin. Börne holte sich weniger an den neunzehn Quellen dieses Bades, als aus der freien Natur, aus den Fesseln einer idyllischen Langenweile, und den kleinen Zerstreuungen, zu welchen sich die Badegäste vereinig-206ten, eine Stärkung seiner Gesundheit. Börne liebte den Umgang mit Frauen; hier war er in einem Frauenbade. Sie berichten auch von ihm, daß er an allen Gesprächen harmlos Theil nahm, sich nie vordrängte, sondern in einer solchen Zurückgezogenheit hielt, daß man ihn aufsuchen mußte um seinen Geist recht zu erkennen. In seiner freundlichen und still sinnenden Weise schloß er sich jedem gemeinschaftlichen Vergnügen an, und hatte seine große Freude an jedem kleinen Erlebniß der Umgegend, mochte es auch nur eine nach altem Ritus gefeierte Judenhochzeit sein, bei der er die schöne Bedeutung der wunderlichsten Ceremonien mit Aufmerksamkeit verfolgte. Bei einer frühen Morgenwanderung auf den Dachberg gieng er mit der Laterne voran, ein Kreis von Badgästen hinterher. Und was ihn über sein gewöhnliches Maaß hier vollends hinaushob, war die Nachricht von der Julirevolution. Mit Ungeduld harrte er auf die Stunde, wo die Zeitungen ankamen. Er ging auf die Landstraße hinaus und spähte nach der Ankunft des Boten, der sie von Höchst bringen mußte. Dauerte es ihm zu lange, so gieng er selbst nach Höchst, um die wunderbare Begebenheit zu verfolgen. Lange hielt er es nun auch in Soden nicht mehr aus. Er kehrte nach Frankfurt zurück und 207 setzte Alles durch das elektrische Feuer, das aus ihm sprühte, in Erstaunen. Im Gelehrtenverein erkannte man den früher so schweigsamen leidenden Börne nicht wieder. Es schien ein Wunder mit ihm vorgegangen.

Versetzen wir uns jetzt wieder in Börne’s politische Gesinnungen, so liegt der Gegensatz seiner Stimmung wie sie ihn kurz vor der Julirevolution und unmittelbar nach ihr beherrschte, in den Pariser Briefen und dem Tagebuch seines Aufenthalts in Soden klar ausgesprochen vor. Hier zeigte sich der Grad, bis zu welchem seine Hoffnungen vor dem July 1830 erloschen, seine Wünsche verstummt waren. Er hatte keine einzige seiner Ueberzeugungen aufgegeben, aber die Welt war mit Schleiern verhängt; nur noch den Blüthenbäumen am Fuß des Taunusgebirges vertraute er seine Gedanken, nur noch mit den Najaden der wunderthätigen Quellen in Soden plauderte er über Politik. Sein Tagebuch zeigt ihn uns, wie er nicht mehr Fürsten und Diplomaten, sondern die Gänse und Hühner im Gasthaus zum „Frankfurter Hof“ beobachtet und sich aus ihrem Treiben an den Lauf der Welt draußen erinnern läßt. Er spricht über Schiller und Goethe, über die sorglosen Träumereien und Zerstreuungen, denen sich die letzte Zeit der Restaurationsperiode 208 hingab. Da endlich bricht die Julirevolution aus. Alle seine alten Gedanken springen plötzlich wie niedergehaltene elastische Federn auf. Seine Pariser Briefe zeigen ihn uns wieder mitten in den Fragen der Zeitgeschichte, er sieht das, was er längst behauptete, bewiesen, was er vorhersagte, eingetroffen. Er verfolgte, im schönsten Vertrauen auf eine muthige Erhebung der politischen Begriffe, die sich auch der Deutschen bemächtigt zu haben schien, den Verlauf der Ereignisse, wie sie auch bei uns nach und nach das Losschlagen einer vom Zeitgeist geheim gelegten Mine waren. Er mußte seinen Blick auf England, Belgien, Italien, Polen richten; denn alles traf wie mit einem Zauberschlag zusammen. Die Bitterkeit der darauf folgenden Pariser Briefe ist aber weniger die Folge seiner übermüthigen Freude, als des Schmerzes, daß der Freiheit ihr Sieg verloren gehen könne. In Deutschland hatte sie ihn, er sah es bald, nicht vollständig errungen, in Frankreich wurde sie darum betrogen. Die Freiheit hatte gleichsam eine große Erbschaft gemacht, aber der Banquier, bei dem sie sie ausgezahlt erhalten sollte, Louis Philipp fallirte böswillig. Börne hatte ein scharfes Auge, diese Umtriebe zu durchschauen. Er konnte hier seine Erfahrungen aus den Zeiten der Wage und der Carls-209bader Beschlüsse wieder aufnehmen; daß er es mußte, daß ihn die Wendung, die die Erfüllung seiner Hoffnungen nahm, dazu zwang, gab ihm jenen Unmuth, der in den Pariser Briefen Dinge aussprach, die selbst manchen seiner Freunde verletzt haben.

Die praktischen politischen Ideen Börne’s blieben auch damals immer dieselben. Er wollte ein einiges Deutschland, das von der Vielherrschaft seiner Fürsten dadurch befreit wäre, daß keiner seine Souveränität dem Wohl des Ganzen gegenüber geltend machen dürfe. Er verlangte von Preußen, daß es seinen Schwerpunkt nicht in Rußland, sondern in Deutschland suche; er verlangte von Oesterreich, daß es seiner Politik des Stillstandes und seinen aufhaltenden Einflüssen auf die süddeutschen Höfe entsage; er verlangte von diesen selbst und von den Schirmherren, Oesterreich und Preußen, die freieste Entfaltung des constitutionellen Systems. Erst wenn für diese Hoffnungen sich durchaus kein guter Wille bei den Fürsten zeigen wolle, dann war ihm die Republik lieber, als jede andre Verfassung, die dem Bürger nicht gestatte, für sein irdisches Wohlergehen nach freiestem Menschenrechte zu sorgen. Es ist kein Zweifel, daß dies Börne's politisches Glaubensbekenntniß von seiner praktischen Seite war.

210 Ueberhaupt stimmt Börne’s Theorie von Staat und Bürgerthum mit Rousseau’s Contract Social zusammen. Sein Gefühl ließ ihn, um das Wesen des Staates zu bestimmen, von Nichts anderm ausgehen, als von den Menschenrechten. Sein politischer Grundgedanke war der, daß ihm die Gleichheit noch höher stände, als die Freiheit. Börne hielt diese Ueberzeugung für so tief in der Menschenbrust begründet, daß er daraus den Grund herleitete, wie Napoleon die Franzosen fast zwanzig Jahre hindurch beherrschen konnte. Napoleon nahm ihnen die Freiheit, aber er ließ ihnen die Gleichheit. Er schuf zwar einen neuen Adel, aber jeder konnte in ihn aufgenommen werden. Die Franzosen hatten zwar keine andere Rechte mehr, als das eine, Soldat zu werden und sich für den Kaiser erschießen zu lassen; aber wenn dies Recht mehr für eine Pflicht angesehen werden sollte, so traf sie als solche alle. Eine Sklaverei wird leichter vergessen, wenn Niemand von ihr ausgenommen ist.

Manche theoretische Behauptung über den Staat in Börne’s frühern Schriften wird man weit gemäßigter finden, als man einem Manne zutrauen sollte, der allerdings mit der Ueberzeugung starb, daß die Republik die einzige Gesellschaftsverfassung wäre, bei der sich 211 ein gesunder Kopf und ein gesundes Herz beruhigen könne. Von der Volkssouveränität, dieser Parole des Streits der politischen Doktrinen, sagt er (Bd. VII. S. 35.) „Diejenigen, welche für die Volkssouveränität streiten, welches wünschenswerthe Gut erwarten sie von dem Siege? Soll Herrschaft sein, ist es besser, sie ist in den Händen eines Einzigen, als in den Händen Vieler, besser, sie ist unwandelbar, als daß sie wechsle. Nähme das ganze Volk an der Regierung Theil, Mann für Mann, Seele für Seele: dadurch würde die Freiheit nicht gesichert. Es kann das Volk sein eigner Tyrann sein und es ist es oft gewesen.“ Börne giebt in dem Aufsatz, dem diese Stelle entnommen ist, ferner seine politische Meinung deutlicher an. Er sagt, es handle sich eigentlich gar nicht um Monarchie oder Republik, nicht um absolut oder constitutionell, sondern um dasjenige, was in einem Staate als das Ursprüngliche gesetzt wird. Er sagt, darum handl’ es sich: „ist der Mensch frei geboren und die bürgerliche Gesellschaft nur eingeführt worden, daß sie die Freiheit wahre und schütze, wie der Becher den Wein: oder ist der Mensch zur Dienstbarkeit geboren und darf ihm nur so viel Freiheit verstattet werden, als er bedarf, seine Kräfte für den Dienst der Gesell-212schaft auszubilden und dazu verwenden? Kurz, es ist die Frage: ist der Staat Zweck, oder der Mensch in ihm?“ Nicht das, fährt Börne fort, wäre an Ludwigs des Vierzehnten Ausspruch: Der Staat bin Ich! so gefährlich gewesen, daß er sich zur Hauptsache, sondern den Staat überhaupt zur Hauptsache gemacht hätte. „War Lykurg besser, als Robespierre?“ frägt Börne. „Er war schlimmer. Robespierre opferte die Menschen. Lykurg die Menschheit. Robespierre opferte sie, er schlachtete sie nicht. Er war kein Menschenmetzger, wie alte Weiber und kindische Männer glauben: er war ein guter Bürger, im Sinne der reinsten Glaubenslehre. Der Staat war sein Gott, sein Staat, der republikanische - gleichviel. Er war ein Absolutist wie einer. Der Jacobiner hat gar nicht nöthig, sich zu bekehren, um ein guter Royalist zu werden; der Royalist braucht seinen Glauben nicht zu verändern, um zu thun, was Bessières gethan. Beide kämpfen für die Macht, in welcher Hand sie sich auch befinde; beide streiten gegen die Freiheit, wer diese auch geltend zu machen strebt, sei es das Volk, sei es der Fürst.“ Indem wir dringend auf jene Abhandlung hinweisen, bemerken wir, daß sie Börne’s politische Philosophie am deutlichsten entwickelt. Sie ist so frei 213 von Partheileidenschaft, daß Börne sogar die von der Opposition in Frankreich so heftig angegriffene Milliarde, die Entschädigung der Emigrirten, aus Gründen der Billigkeit vertheidigt. Börne’s administrativer Grundsatz war: Il ne faut pas trop rêgner. Das Zuvielregieren, mochte es nun von einem Robespierre oder Ferdinand VII. kommen, war ihm verhaßt; denn es opfert den Menschen der Maschiene, den Bürger dem Staat, es tödtet die freie harmlose Benutzung unsres Daseins, das uns von Gott nicht gegeben wurde, um nichts als die Erbärmlichkeit unsrer sogenannten polizirten Gesellschaftsverfassung zu genießen, d. h. zu erdulden, sondern, um uns für eine höhere Weltordnung geistig und seelisch vorzubereiten. Er haßte dies ewige Bevormundetwerden, die Controlle, die Beamtenarroganz, die Demuth, die uns dem verkörperten Gesetz gegenüber zugemuthet wird, die polizeiliche Schinderei, der wir ausgesetzt sind, wenn wir nur den geringsten Schritt aus unserer Häuslichkeit herauswagen; z. B. eine Reise machen wollen. Humanität, ächte Philanthropie, Friede, Liebe und Glückseligkeit, dafür schwärmte Börne’s edler Geist und hat in diesem Sinne allein alles ausgesprochen, was an politischen Maximen und Urtheilen je nur in seinem 214 Munde so bedenklich erschienen ist. Er verlangte nichts, als daß die Beamten höflich sind, die Collegien minder impertinent, die Polizeicommissäre minder patzig (wie man in Berlin sagt), er verlangte, daß jeder Bauer vom Amtsschreiber Herr angeredet und Jedem, der, ohne ein Dieb zu sein, auf der Amtsstube erscheinen muß, ein Stuhl angeboten wird; er verlangte, daß der vornehme grobe Staat sich zu uns verfügt, wenn wir ihn nicht ansuchen; er haßte die Frechheit der Offiziere, die Dreistigkeit der Adligen, die übermenschliche Einbildung der Fürsten, - da liegt der Punkt, wo sich ein so harmloses Gemüth, wie das eines Börne, entzündete und in Flammen auflodern konnte, die gefährlich waren. Hätten wir in unserm politischen Leben Edelmuth, Offenheit, liberales Zuvorkommen, bei den Fürsten ächte Menschlichkeit, Achtung vor dem Gemeingeiste und dem öffentlichen Urtheil, Zartheit in allen Berührungen, Biedersinn in dem, was man thut, und Milde in dem, was man verbietet; wie sicher würden wir einer Beruhigung der politischen Leidenschaften entgegengehen, wie ruhig unsre besten und edelsten Geister sich mit den herrschenden Verhältnissen über das, was sich nicht in einer Sommernacht ändern läßt, verständigen sehen!

215 Im Spätherbst des Befreiungsjahres reiste Börne nach Paris. Es ließ ihm in Deutschland keine Ruhe mehr. Er wollte dem Heerde der Ereignisse nahe sein und sie nicht von der Peripherie, sondern dem Centrum aus beobachten. Die beiden ersten Bände seiner Briefe geben über alle seine persönlichen Begegnisse auf der Reise und den Winter über in Paris den vollständigsten Aufschluß; denn sie sind ein Tagebuch, ein zusammengeheftetes Journal, eine Art Zeitschrift, die alle Reize und alle Nachtheile der periodischen Literatur vereinigt. Frisch, lebendig, aber auch voller Widersprüche und ohne eine andre Einheit, als die einer geistreichen, glühend hoffenden Persönlichkeit. Ueberhaupt ist der richtigste Gesichtspunkt, um Börne’s sechs Bände Pariser Briefe zu beurtheilen, der, daß man sie eine zusammengeheftete Zeitschrift nennt, mit allen Tugenden und allen Fehlern des Journalismus. Sie gaben Nachrichten, die nicht selten sehr begründet, nicht selten aus der Luft gegriffen sind; sie bauen Schlußfolgerungen auf, die schon vom nächsten Tage widerlegt werden; sie sind abgerissen im Styl, im Gedanken, sie wollen nichts sein als das Echo des Tages, aufgefangen in einer Menschenbrust, die vor Freude und Zorn, vor Liebe und Haß, vor Hoffnung 216 und Verzweiflung zu zerspringen droht. Man ist in diesen wunderbaren Briefen nie auf sicherm Boden, man wandelt wie über glühende Kohlen; Irrlichter locken uns in finstre Moorgründe; freundliche weiße Engelsgestalten winken uns hinter den Büschen wieder heraus. Nicht einmal als Barometer der persönlichen Temperatur Börne’s möchte man diese Briefe gelten lassen; sie sind eine Zeitstimmung, sie sind ein Daguerrotyp dreier fiebernder Jahre, hier zierlich das Kleinste wunderbar wahr treffend, dort alles wie in schwarze Tusche verwischend, ohne bunte Lichtübergänge, schwarz und weiß, je nach der Parole des politischen Glaubensbekenntnisses. Noch ehe sich Börne an die Abfassung dieser Briefe begab, schrieb er bei der Nachricht von den in Deutschland ausbrechenden Tumulten am 22. Sept. 1830 aus Paris an einen Freund. „Offen gesagt, ich freue mich nicht über das revolutionäre Wesen in Deutschland. Gewonnen wird doch nichts dabei; Nichts durch Gewalt; denn die ist noch nicht auf Seiten des Volkes; Nichts durch Belehrung unsrer Staatsmänner; denn die sind nicht zu bessern. Dies alles wird keine andre Folge haben, als daß die Seiler in Flor kommen: denn, ich bin gewiß, es wird viel gehängt werden.“ Der Gedanke, ein Journal, 217 etwa mit Heine in der Schweiz, herauszugeben, beschäftigte ihn lebhaft. „Daß man jetzt arbeitet,“ sagte er, „ist nicht mehr Sache des Schriftstellers, sondern des Bürgers.“ Er hätte so gerne mit Heine eine eigne Art Quartalschrift, nämlich eine wirklich zwischen ihnen unterhaltene Correspondenz, herausgegeben. Heine hatte keine Lust dazu. Börne kam ein Jahr später wieder auf diese Idee zurück und äußerte sich unterm 12. Octb. 1831: „Bei Heine, den ich übrigens wenig sehe, hab’ ich nichts von dem Eifer für die gute Sache gefunden, den ich ihm zugetraut. Er hat ihn nicht oder verbirgt ihn, was mir aber in Beziehung auf mich unerklärlich wäre, da er mich als einen Gleichgesinnten kennt, mit dem er nicht zurückzuhalten braucht.“

Börne kam im Frühjahr 1831 nach Deutschland zurück. Er fand, daß dem Aufschwunge der Deutschen unzählige Niederschläge drohten, daß aller Orten Fallen für die „jungen Füchse der Demagogie“ gestellt waren, aber noch schien ihm nichts verloren, noch konnte dem wild gewordenen deutschen Ackergaul durch Pfeifen und Rufen wieder Muth gemacht werden. Ein solcher Zungenschlag, womit der Reuter seinem Rosse die Ohren spitzt und es in bessern Trab bringt, sollten seine Briefe sein. Daß er darin Dinge gab, 218 die sich nicht vor der Vernunft verantworten ließen, wußte wohl Börne recht gut; aber gerade durch diesen pikanten Sauerteig sollte das noch etwas fade Gebäck des erwachten Volksgeistes schmackhaft gemacht werden. Börne hätte das Alles beschwören sollen, daß er die Deutschen verachte, daß er ihnen auf der Kehler Brücke seinen Rücken und noch mehr zeigte, daß man Könige ihrer Nase wegen verjagen dürfe u. dergl.? Gewiß nicht; aber er dachte: Es ist gut, wenn Einer kommt und so das Aeußerste sagt; das bringt sie in Harnisch, hurtig, flink! das bringt Leben in die Sache - und darum ließ er diese Lachtauben ausflattern. Daß sie ihm hernach kamen und alles bewiesen haben wollten, daß sie Abhandlungen über jene Nase, Abhandlungen über das Verbrennen der Göttinger Bibliothek schrieben, daß sie alles buchstäblich nahmen und in dem Buche alles, nur nicht das, was es sein sollte, einen elektrischen Leiter, sahen, das empörte ihn und gab ihm die Erbitterung, die in den folgenden vier Bänden allerdings methodischer, überlegter und unversöhnlicher auftrat. Börne war den Sommer 1831 über in Baden, wo er mit Männern freundlich umging, von denen er nicht ahnte, daß sie sich bald in seine widerwärtigsten Feinde verwandeln sollten. Die Briefe er-219schienen endlich, ohne Censur, im Spätherbst desselben Jahres, als schon Warschau gefallen war und die Polen ihre Durchzüge durch Deutschland begannen.

Es ist wahr, Börne’s Briefe aus Paris fanden mehr Widerspruch als Anklang. Sie konnten nicht nur von der Parthei des Widerstands als schlagendes Beispiel benutzt werden, wohin wir mit den demokratischen Ideen kommen würden, sondern selbst die liberale Parthei, welche bei ihrem Erscheinen in den Kammern, in Volksversammlungen und Zeitschriften im Vortheil war, konnte ihre gesetzmäßigen Fortschritte durch die Verwahrung geltend machen, daß man zwar auf Freiheit drang, aber die Zügellosigkeit eines Börne verabscheute. Seine Briefe ließen sich als eine Befürchtung und als eine Drohung citiren. Sie gaben ein Beispiel für das, was man gewärtigen konnte, und ein anderes für das, was man vermeiden wollte. Zwischen beiden Partheien standen noch jene literarischen Halblinge, deren Beruf es zu sein scheint, allen originell sich entwickelnden schriftstellerischen Persönlichkeiten das Leben zu verkümmern, Jedes zu bemäkeln und den Satz aufrecht zu erhalten, daß selbst das Ausgezeichnetste in der Welt nicht ohne Widerspruch sein dürfe. Ohne von der politischen Strömung erfaßt zu sein, kamen 220 meist aus Berlin, Leipzig und zum Theil aus Hamburg, überhaupt aus der Gegend hinter der Elbe diese retardirenden, gewöhnlich vom Ei beginnenden Einsprüche. Es ist das eine alte Erfahrung bei uns. Es kann einer eine fertige, abgerundete Physiognomie in der Literatur längst nach allen Seiten hin gezeigt haben, so kommt gewöhnlich von dorther noch immer Einer und fragt: Womit vertheidigst du deine Existenz? Wer bist du und auf wessen Namen bist du getauft? Passest du in die Definition, die ich von dir, noch ehe du warst, schon zu geben wußte? Und diese waren es auch, (z. B. in den Brockhaus’schen Blättern für literarische Unterhaltung) deren Einspruch Börnen am meisten verletzte; denn eigentlich sind diese Leute unwiderlegbar; die einzige Verständigung, die mit ihnen möglich ist, bleibt die, bei seinem Wesen und in seinen Behauptungen zu verharren. Consequenz ist noch das Einzige, das auf die Phantasie dieser Doktrinäre Eindruck macht.

Unstreitig hat der später so treulose W. Menzel das Verdienst, die ersten Bände der Briefe aus Paris am richtigsten gewürdigt zu haben. Er sah in dem, was sich in ihnen wohl nachempfinden ließ, aber mißlich auszusprechen und am wenigsten öffentlich zu billi-221gen war, Börne’s als Krankheit zurückgetretene Liebe zum Vaterlande. Die schönen patriotischen Huldigungen, welche unsern Schriftstellern immer so bequem im Munde liegen, sind ja meist immer nur die Eingebung einer Liebe, die sich nicht auf Proben stellen läßt und, stellte man sie, nicht bestehen würde. Schmachtende Vaterlandsliebe kannte Börne nicht, sondern nur jene, die auch grollen kann, die Liebe, welche erhebt und bessert, nicht die, welche einschläfert und in Küssen begräbt. Wir haben noch viele solcher Schwärmer, die mitten in den zahllosen Gebrechen unsrer gesellschaftlichen Beziehungen, einer Nation, die sich diese gefallen läßt, schmeicheln zu müssen glauben. Börne würde gern geliebt haben, hätte er gedurft. Seine Liebe war nicht mondscheinblasser Natur, sondern vollblutig, leidenschaftlich, eine Liebe, von der man sagen durfte, sie hat Temperament. Wenn er die Deutschen schmähte, so ist es möglich, daß er die Lage nicht berücksichtigte, welche uns hinderte, die Ursachen seines Tadels so schnell wegzuräumen; aber er schmäht nicht aus Haß, sondern wo er zu hassen scheint, sieht man nur einen solchen Haß, der, wenn er gedurft hätte, sich bald würde in Liebe verwandelt haben. In keinem Lande wird mehr über die Vaterlandsliebe, von 222 der Schule an bis ins Leben, deklamirt, als bei uns und doch trägt sie uns weit weniger Früchte an, als in Ländern, wo sie ein unmittelbar im Nationalegoismus vorausgesetztes, mit der Muttermilch eingesognes Gefühl ist und weit weniger besprochen wird. Börne durfte nur wieder in Paris sein, um sogleich sein deutsches Heimweh zu bekommen. Er pflegte im Umgang nie anders, als mit der größten Verehrung vom Vaterlande zu sprechen. Er haßte Goethe, aber die Franzosen sollten ja nichts davon erfahren, daß wir Deutsche unsre großen Genien hassen müßten. Hatte er etwas Tiefes in einem deutschen Schriftsteller gelesen, so sagte er oft: „Die Deutschen sind doch die erste Nation.“ Er suchte seiner Freundin diesen Ausspruch oft sogar zu beweisen, er führte ihr die Grundelemente des deutschen Wesens vor und schloß dann mit Schmerz, daß unsre politischen Verhältnisse uns, die wir die Herren der Geschichte sein könnten, leider nur zu ihren Sklaven gemacht hätten.

Einige der Gegner, auf welche Börne ein Gewicht legen zu müssen glaubte, hat er in der Fortsetzung seiner Briefe selbst widerlegt. Da sie meist böswillig waren, so durfte er die Waffe des Spottes nicht verschmähen. Auch selbst auf grobe Keile setzte er nicht 223 gröbere, sondern seine Polemik, wie gegen W. Alexis, L. Robert, E. Meyer in Hamburg, ist immer fein, witzig, unterhaltend. Vielen seiner damaligen Gegner, die da glaubten, Vaterland und Vernunft gegen ihn vertreten zu müssen, mag wohl jetzt ihr Zorn verraucht sein. Um so widerwärtiger ist es, wenn ein Literarhistoriker wie Gervinus, in seinen „Gesammelten historischen Schriften“ das ganze Wörterbuch leerer Beschuldigungen, die jemals gegen Börne ausgesprochen sind, wieder aufschlägt und mit selbstzufriedenem, scheinbar wissenschaftlichem Ernste darin herumblättert. Es könnte auch dieses Urtheil über Börne's Pariser Briefe unerwähnt bleiben und zu den übrigen geworfen werden, wenn nicht Gervinus sich die Miene gäbe, der Ausdruck wissenschaftlicher Gründlichkeit und einer von Professorenvorurtheilen unabhängigen Unpartheilichkeit zu sein. Darum hier über ihn einige Worte!

Ein von Hause aus mit Schematismen, mit Parallelen, Maximen, Aperçüs, verworrener Lektüre und andern vorgefaßten Bildungselementen ausgestatteter Kopf wie Gervinus ist unfähig, die freie Selbstständigkeit einer literarischen Persönlichkeit zu entwickeln. Von hundert aus der vergleichenden Geschichtsmethode entnommenen halben Wahrheiten her, fallen ihm auf die 224 Personen und Leistungen, die er zu beurtheilen hat, Schlagschatten, die ihn das Meiste in einer falschen Beleuchtung sehen lassen. Gervinus ist kein Literarhistoriker, bei dem die Dichter und Denker selbst reden. Er gruppirt sie dahin, wo er einen Schlosserschen Erfahrungssatz für sie hat; er ist ein wissenschaftlicher Dilettant, über dessen Kenntnisse man eben so erstaunt, wie über den falschen Gebrauch, den ihn sein übergroßes Selbstvertrauen und eine gewisse laienhafte und exoterische Leidenschaftlichkeit von ihnen machen läßt. Gervinus hat den Heißhunger, alles Originelle um sich herum abzugrasen, weil ihm das Bedeutende nur in der Form einer sehr endlichen und vorgefaßten Nothwendigkeit gestattet scheint. Er erschrickt vor keiner neuen Erscheinung. Jede muß etwas beweisen, das er auf anderem Wege schon früher gefunden hatte. Wo bleiben da die Genien? Wo bleiben da selbst die Individuen?

Wenn man sagt, daß Börne’s Pariser Briefe ein oberflächliches Gemengsel von Tollheiten und Verbrechen sind, (Gervinus sagt dies) so ist ein solches Urtheil eben so lieblos, wie unwissenschaftlich. Das letztere, weil es diese Briefe ganz aus dem Zusammenhange mit der Zeit, das erstere, weil es sie ganz aus dem 225 Zusammenhange mit Börne als Menschen lostrennt. Wer die Aufregung der Zeit kannte, wird den Ton dieser Briefe zu würdigen wissen; wem auch dann noch Räthsel übrig bleiben, der gehe an die Quelle selbst, an das Gemüth des Autors, und überzeuge sich, ob es gesund oder krank, und warum es krank ist. In Büchern nichts als den Inhalt sehen; das soll allerdings die Aufgabe der Kritik sein. Aber die Literarhistorie würde wenig Achtbares zu verzeichnen haben, wenn es nicht auch Bücher gäbe, die sich nur um ihres Autors willen erhielten. Gervinus ist schon deßhalb ein Feind dieser Briefe, weil sie keine Abhandlungen enthalten.

Gervinus benimmt sich gegen die Persönlichkeiten der Literargeschichte fast immer wie ein Inquirent, der einen Inculpaten zu Protocoll zu nehmen hat. Aber nicht einmal einen denkenden Juristen würde er vorstellen. Ein Richter, der den Thatbestand eines Verbrechens aufnimmt, der sich das geistige Signalement des Thäters entwirft, wird vor der kleinsten Anomalie seines Urtheils stutzen und den kleinsten ihm auffallenden Zug festhalten, um vielleicht von diesem aus über die Natur des Angeklagten völlig ins Reine zu kommen. Gervinus räumt Börnen seine Uneigennützigkeit ein. 226 Himmel, ist das eine solche Kleinigkeit, in einer Zeit, wo alles käuflich ist, Seele und Leib, Feder und Gedanke? Hier solltest du nicht stehn bleiben, solltest nicht weiter forschen und deinen Charakter nicht von innen heraus zu erfassen suchen? Gervinus wirft dieses Zugeständniß so hin und vergißt, daß es die meisten seiner pedantischen Ansichten über Börne schon an und für sich verdächtig macht. Das Verdächtigste aber ist, daß Gervinus hiedurch beweist, wie wenig er Sinn für Individualität, für Charakter hat. Dieser Literarhistoriker scheint in der That völlig unfähig, selbstständige Erscheinungen unter der Beleuchtung ihrer selbst aufzufassen. Von Börne springt er z. B. gleich auf Byron. Sie haben gewiß manches gemein, und doch wie ist jeder so ganz ein Anderer! Das kümmert diesen Kritiker nicht. Er macht den Einen für den Andern verantwortlich, macht sie beide zu zwei Stationen derselben Richtung, nimmt, um eine Thatsache zu beweisen, die Arme von Byron, die Füße von Börne, den Kopf von Victor Hugo, den Rumpf von Chateaubriand, gleichsam als hätte hier eine Verabredung stattgefunden. Freilich, wenn man aus einem Menschen immer gleich ganze Richtungen herleiten, aus einem Uebelthäter gleich ganze Verbrechercolonien machen will, 227 so läuft das Alles freilich sehr angenehm in die Breite und ins Deklamatorische, worin Gervinus und sein sonst trefflicher Meister Schlosser ihre Hauptstärke haben.

Alle die lächerlichen Theorieen, die Gervinus aus Börne’s Briefen herleiten will, zu widerlegen, würde vergebliche Mühe sein. Was er über die von Börne bezweckte Gesetzlosigkeit sagt, beweist, daß er nicht die Anfangsgründe der politischen Theorie kennt, die in Börne’s Schriften zerstreut liegt. Man kann diese Irrthümer und falschen Beschuldigungen des Professors nur dadurch widerlegen, daß man von ihm selbst die Thatsache feststellt, wie wenig er fähig und geneigt ist, Börnen zu begreifen. Gervinus ist ein Philister. Früher Commis, ist er ungemein stolz auf die Kenntnisse, die er sich erworben, die tausend Bücher, die er gelesen hat. Er hat eine angeborne Feindschaft gegen alles das, was sich durch sich selbst auszeichnet und in der Welt nicht übermäßig fleißig zu sein braucht, um dennoch eine Geltung anzusprechen. Er ärgert sich über geniale Ausdrücke. Er hat ordentlich einen Fanatismus der Solidität, einen Heroismus für das Bürgerliche, als wollte er sagen: das grade ist das Geniale, häuslich zu sein; das ist das Excentrische, sich seiner Nachtmütze nicht zu schämen und selbst auf die Gefahr hin, 228 ausgelacht zu werden, um neun Uhr zu Bette zu gehen! Daher der Haß gegen alles Phantastische und Ureigne, daher die Neigung, für Außerordentliches gewöhnliche Ursachen aufzufinden. Behauptet er doch in dem Artikel über Börne: Die Neuerungssucht bei der Jugend käme doch im Grunde nur daher, daß die jungen Leute nur Furcht vor dem Examen hätten! Füg’ ich nun zu einer solchen Trivialität noch hinzu, daß Gervinus sagt, Börne könne nicht schreiben, weil „in den sechs Bänden Pariser Briefe auch nicht ein einziger Periode zu finden“ wäre, hinzu, daß die Wendung: „Börne könne nie sein Frankfurt vergessen,“ den Darmstädter verräth, der von Hause aus mit neidischem Aerger an eine Stadt denkt, wo die Darmstädter, weil sie den Buchstaben R. nicht aussprechen können, nur Gegenstand des Spottes sind: so haben wir das Bild dieses Kritikers vollständig und wissen, warum er unfähig ist, Börnen zu würdigen. Dieser Eine sei nur ein Beispiel der Uebrigen.

Schmerzlicher mußte es für Börne sein, daß auch Freunde, die ihn kannten, an ihm irr wurden. Den Absagebrief eines Carové ertrug er mit lachendem Muthe. Empfindlicher war ihm das Urtheil der näher Befreundeten. Börne ist toll geworden! das ließ sich 229 noch hören; aber wenn ihn andere entschuldigen wollten, mit Gründen, die er, als künstlich ersonnen, gleich erkannte, das that ihm weh. Die Einen kamen zu ihm: Daß die Leute nicht den Humoristen in Ihnen sehen! Sie haben uns zum Lachen bringen wollen, was ist da weiter? Die Andern sagten: Börne ist von Natur schwach; aber er fürchtet, es zu scheinen. Um diesen Schein zu vermeiden, übertreibt er; gleichsam wie Marat seine eigene Furcht dadurch vertrieb, daß er Andern welche einjagte. Am meisten verlegen waren wohl die, welche gern dieselben Zwecke mit Börne verfolgten, das Mittel einer Verspottung der Deutschen aber zu unvorsichtig gewählt fanden. Die Deutschen sind gewohnt, sich selbst stark zu rühmen und viel an ihre Vergangenheit erinnert zu werden. Das zu thun hatte Börne unterlassen. Er hatte im Gegentheil sich eine größere Wirksamkeit auf den Ehrgeiz der Deutschen versprochen, wenn er ihnen recht stark die Wahrheit sagte. Lästig waren Börnen die Einwendungen seiner doktrinären Freunde. Diese räumten den Franzosen nur die Initiative der Freiheit ein, den Deutschen aber sprachen sie eine organische Begründung derselben zu. Bei uns müsse alles nach dem Maaß gegebener Zustände, auf dem Wege wissenschaftlicher Erörterung 230 und allmäliger historischer Heranbildung gezeitigt, nicht aber übereilt und am wenigsten durch unzeitige Einschüchterung der Fürsten verdorben werden. Börne hatte mit jeder dieser Einwendungen seine Noth. Eine solche Verwirrung der Urtheile hätte er seinen Briefen nicht zugetraut. Der Erfolg derselben übertraf auch in dieser Hinsicht seine Erwartung.

Da das kurze politische Leben, zu dem sich Süddeutschland aufgeschwungen hatte, bald von Einkerkerungen und Prozessen abgelöst zu werden anfieng, so dachten auch die Lenker der Stadt Frankfurt daran, Börne für den Hohn, den er den deutschen Verhältnissen sprach, zu strafen. An Leib und Leben vorläufig unerreichbar, sollte er an Haab und Gut die Folgen seiner Unbesonnenheit fühlen. Man machte Miene, ihm seine alte großherzogl. Pension zu entziehen. Sie dürfe nur in Frankfurt verzehrt werden, behauptete man, ohne schwerlich darauf zu rechnen, daß Börne Thor genug wäre, wirklich zu kommen. Börne bevollmächtigte seinen Freund Reinganum, einen rechtsgewandten Anwald, auf dem Römer seine Sache zu führen. Es gelang auch diesem sehr bald, die Nichtigkeit der gestellten Bedingung zu erweisen und Börnen eine Hülfsquelle zu sichern, deren Ursprung sich in 231 Zeiten und Verpflichtungen verlor, über welche sich die Frankfurter Behörden nicht hinwegsetzen durften. Man beharrte auch nicht länger auf jener Bedingung, weil die Sache dann leicht hätte an die Bürgerschaft kommen und Gelegenheit zu anzüglichen Erörterungen geben können. Reinganum fand in den Aktenstücken, die Börne einsandte, die Abweichung, daß statt des Ausdrucks les serviteurs du Grand Duché de Francfort, wie in der Wiener Akte die Beamten des ehemaligen Fürsten Primas genannt waren, Börne oder sein Pariser Notar gesetzt hatten: les fonctionnaires. Börne hatte bei der Abschrift sich wohl geschämt, einen Franzosen wissen zu lassen, daß man in Deutschland die Beamten des Staats serviteurs nenne!

Börne begriff nicht, wie ihm seine Freunde so dringend abrathen konnten, wieder nach Deutschland zurückzukehren. Man warnte ihn von allen Seiten. Er zweifelte nicht, daß man ihn für seine Pariser Briefe gefänglich einziehen könne, aber er rechnete auf eine Theilnahme, die der Sache, welche jene Briefe vertheidigten, nur nützen könne. Er rechnete, wenn er in’s Badische oder Rheinbaiersche reiste, auf öffentliche Verhandlung seines Prozesses und versprach sich von 232 den Debatten, wie von dem ihm günstigen Urtheil der Geschwornen (in Rheinbayern) einen in vieler Hinsicht wichtigen Erfolg. Zu Pfingsten 1832 war er auf dem großen Hambacher Feste. Die Frankfurter, welche dem Dr. Wirth einen Ehrensäbel*) brachten, mußten ihm vom Römer erzählen, von den Versammlungen im „König von Preußen,“ von Adressen, Polenbewillkommnungen, von liberalen Gattinnen illiberaler Senatoren, von hundert Familienzwisten, wo der Sohn nicht mehr die Meinung des Vaters, der Schüler die des Lehrers theilte. Börne war von dem politischen Leben um ihn her so überrascht, daß er eine Erhebung der Deutschen in Masse damals wirklich für nahe bevorstehend hielt. Den augenscheinlich hinfälligen Körper hielt die Hoffnung, dies zu erleben, die Enttäuschung über so vieles, was ihm früher an den Deutschen unglaublich geschienen hatte, wunderbar aufrecht. Börne mischte sich in die dichtesten Haufen, schloß sich Prozessionen an, hörte die Reden in dem 233 geschlossenen Cirkel des engeren Ausschusses. Mitten unter dem Jubel über das wiedererstandene Vaterland, mitten unter den aufrichtigsten Huldigungen, die ihm die Patrioten darbrachten, wurde Börne plötzlich - seine Uhr gestohlen. Wenn ihn hier etwas ärgerte, so war es, daß der sich fühlende Volksgeist eben keinen schönen Anfang gemacht hatte. Der Thäter wurde aber bald entdeckt; es war Börne’s Barbier, der beim Weggehen die Uhr heimlich zu sich gesteckt hatte.

Da trotz der Junibeschlüsse des Bundestages die liberale Sache im Badischen noch immer im Vortheil war, so wagte es Börne, wie der Erfolg zeigte, ungehindert, das Großherzogthum zu durchreisen. Er brachte wieder einige Zeit in Baden zu, wo gewöhnlich Dr. Kramer sein Arzt war und reiste dann nach Freiburg, wo ihm Professoren und Studenten huldigten.

Im Allgemeinen hatte er wenig Freude an einem Liberalismus, dessen Cultus in dieser Gegend nicht ganz ohne Eitelkeit getrieben wurde und der, um sich recht lange die Gelegenheit zu schönen Reden zu erhalten, einen Badischen Separatliberalismus stiftete, in dessen Interesse man durch Schmeicheleien und Conzessionen mancher Art den bürgerfreundlichen Großherzog Leopold zu ziehen suchte. Börne fürchtete, daß von 234 dieser sich mit dem Deckmantel der Loyalität schützenden liberalen Schönrednerei für das Ganze nicht viel Gutes kommen würde. Er zog ehrenvolle Niederlagen zwecklosen Vermittelungen vor. Es ist doch noch besser, daß die Wahrheit unterliegt, als daß sie entstellt wird.

In Baden starb damals L. Robert, den er bedauerte in seinen neuen Pariser Briefen heftiger, als für einen Todten ziemlich, angegriffen zu haben. Aus Freiburg, wohin er im July reiste, schrieb er damals an einen Freund: „Welchen moralischen Eindruck meine Pariser Briefe in Deutschland hervorgebracht, glauben Sie kaum. Ich habe es selbst nicht erwartet. Meyer, Wurm und ähnliche haben drucken lassen: ich dürfte mich in Deutschland nicht mehr sehen lassen, ich würde aus jeder honetten Gesellschaft geworfen werden. Das sind Propheten! Seit ich in Deutschland bin, erfahre ich eine ununterbrochene Huldigung, nicht bloß von Einzelnen, sondern von ganzen Massen, so daß ich, der immer Stille und Zurückgezogenheit geliebt hat, mir oft vor Angst nicht zu helfen weiß. Mein Zimmer wird nicht leer. Ich habe oft nicht Stühle genug für all die Menschen, die mich besuchen. Ich war auf dem Hambacher Fest. Das ganze Land hat mich fast besucht, so daß ich krank von der Last 235 geworden bin. Wenn ich in Neustadt über die Straße gieng, erschallte es aus den Wirthshäusern, aus den vorüberfahrenden Kutschen: Es lebe Börne, der Verfasser der Briefe aus Paris. Die Heidelberger Studenten brachten mir dort ein Ständchen. Alle die Patrioten, die dort an der Spitze stehen, Wirth u. s. w. erklärten, mir hätte man die vaterländische Bewegung in Deutschland zu verdanken, die andern wären erst nach mir gekommen. Mit thränenden Augen haben mich Viele an ihre Brust gedrückt und haben vor Bewegung kaum reden können. Hier in Freiburg war es eben so. Die Studenten sind Abends, als ich schon im Bette lag, vor mein Haus gezogen, haben mir ein Ständchen gebracht und gerufen: Es lebe der Vertheidiger der deutschen Freiheit! Selbst die hiesigen Bürger, die einige Tage später einem liberalen badischen Deputirten, der in meinem Wirthshause wohnt, ein Ständchen gebracht, haben mich auch hinein gemischt und gerufen: es lebe der deutsche Patriot Börne! Was werden meine Rezensenten dazu sagen, die mich für einen schlechten Deutschen erklärt? Die öffentliche Meinung läßt sich nicht irre führen. Aber so verblendet sind die Aristokraten, solches närrische Vertrauen setzen sie in ihre alten Polizey-Pfiffe, daß 236 sie nach dem Hambacher Feste in einigen Zeitungen haben drucken lassen: Die Heidelberger Studenten hätten mir in Neustadt ein Charivari gebracht! Und Tausende waren dort, die das Gegentheil wissen. Bei den hiesigen Professoren hab’ ich die schmeichelhafteste Aufnahme gefunden. So auch bei den vielen Freunden aus allen Gegenden, die sich in Baden zusammengefunden, wo ich mich seit der Mitte April aufgehalten. - Meine Rezensenten, so viel mir von ihren Kritiken in Paris bekannt geworden, habe ich in meinen neuen Briefen nach Verdienst heruntergemacht. Meyer und Wurm kommen noch am besten weg. Aber Hering und Andre werden an mich denken. Aus Hering und einigen seiner Geistesverwandten habe ich einen eignen Artikel unter dem Titel: Herings-Salat geschrieben, der als Beilage hinter einem Briefe steht. Einer meiner (anonymen) Rezensenten, (Ludwig Robert) dem ich auch den Kopf gewaschen, hat mir vor einigen Tagen den boshaften Streich gespielt und ist gestorben, welches mich sehr genirt, da ich manches über ihn gesagt, was man gegen Einen, der sich nicht wehren kann, schicklicherweise nicht sagen soll. Da muß ich denn manches weglassen. Auch bete ich jetzt täglich zum lieben Gott, er möge meine Rezensenten bei Leben 237 erhalten. Wenn mir der Hering auch stürbe, ehe meine Briefe gedruckt sind, ich würde mich aus Verzweiflung ins Wasser stürzen.“ Darauf reiste Börne in die Schweiz und verweilte mehre Wochen bei Zürich auf dem Gute des Grafen Bentzel-Sternau, Mariahalden. Er weiß in seinen Briefen nicht Rühmens genug über die Aufnahme und Behaglichkeit, die er dort gefunden.

Es verdient hier wohl bemerkt zu werden, daß die ersten Bände der Pariser Briefe rein aus einer Art Verlegenheit entstanden sind. Börne war nämlich den Abnehmern seiner gesammelten Schriften noch einige Bogen schuldig, die der Verleger gern zu einem Bande ausgedehnt gesehen hätte. Börne wußte nicht, wie er die dringenden Mahnungen anders befriedigen sollte, als daß er sich entschloß, das Anziehendste aus seiner Correspondenz mit Madame W. ausziehen zu lassen und dies dem Tagebuch aus Soden als Ergänzung zu einem Bändchen beizufügen. Als er die Hälfte der Briefe schon in aller Vertraulichkeit geschrieben hatte, fiel ihm dies erst ein, so daß man erst von den Briefen des spätern Datums annehmen darf, sie waren zum Druck bestimmt. Börne beauftragte nun seine Freundin von Paris aus, in Frankfurt eine Abschrift 238 des Interessantesten aus seinen Briefen fertigen zu lassen. Diese aber, alles hoch und theuer achtend, was aus Börne’s Feder kam, stellte ein so großes Convolut von Auszügen her, daß Börne selbst über die Reichhaltigkeit seiner Mittheilungen erstaunte und mit seinem Verleger über die beste Art der öffentlichen Benutzung zu unterhandeln anfieng. So ergab sich zuletzt die gesonderte Erscheinung derselben.

Als Börne wieder in Paris war, erschien die zweite Sammlung seiner Pariser Briefe. Obgleich größtentheils der Bekämpfung seiner Gegner gewidmet und wiederum nur sprungweise den Tagesgerüchten folgend, enthalten sie doch Parthieen von dauernderer Bedeutung. Die Urtheile über literarische Erscheinungen der Pariser Wintersaison von 1831/32 erinnern an die feinsten und gediegensten Urtheile der frühern Epoche Börne’s. Einige dramaturgische Zergliederungen sind Meisterstücke, wenn auch das z. B. Victor Hugo gespendete Lob zum Theil von der Vorliebe für alles Neue und Kämpfende, der sich edle Gemüther nie entziehen können, eingegeben ist. Ueberraschend waren die Bemerkungen über einige neue Schriften von Heine, dem Verfasser der Reisebilder. Er nannte ihn einen Knaben, der auf Schlachtfeldern nach Schmet-239terlingen hasche. Er warf ihm Wankelmüthigkeit und Egoismus vor. Er mahnte ihn, von seinem dichterischen Talente einen edleren und seiner eignen Vergangenheit würdigeren Gebrauch zu machen. Die selbstgefällige Art, mit der Heine in den französischen Zuständen die wichtigsten Ereignisse nur zur Folie seiner scherzhaften Einfälle machte, hatte ihn empört. Dem Style opfere er die Ueberzeugung. Als das Verhältniß schon zum völligen Bruche gekommen war, äußerte Börne einmal: „Es ist Heinen ganz einerlei, ob er schreibt: Die Republik ist die beste Staatsform oder die Monarchie. Er wird immer nur das wählen, was in dem Satz, den er eben schreiben will, grade einen bessern Tonfall macht.“

Börne war Heinen, seitdem er dessen literärische und persönliche Bekanntschaft machte, immer freundlichst zugethan. Er sprach sogar mit Liebe von ihm. Ein Besuch Heine’s in Frankfurt konnte ihn in große Aufregung bringen. Als er ihn in Paris wiedersah, war er für Einflüsterungen und Zuträgereien über den Charakter Heine’s unempfänglich. Die Vergleichungen, die man zwischen ihnen beiden zog, störten ihn nicht; er ließ, so lange nicht bösliche Absicht oder gefährliche Entstellung wichtiger Partheifragen verlautete, 240 diesem das vollste Recht seiner Selbstständigkeit. Heine, jünger, weniger Meister seiner Leidenschaften, viel auf äußern Erfolg im Publikum gehend, mochte vielleicht nicht ganz unbefangen bleiben über das Aufsehen, das die Pariser Briefe machten. Nun kam über die in Paris wohnenden Deutschen außerdem noch das Associationsfieber. Die zahlreichen deutschen Handwerker, Commis, Gelehrte, die in Paris wohnten, wollten durch Adressen und öffentliche Erklärungen die überrheinische Sache unterstützen; man schrieb Versammlungen aus und bezeichnete die, welche von ihnen fortblieben, mit Namen, die vom Verdacht in Zeiten politischer Aufregung bald erfunden sind. Heine, der nur Begriffe von kleinen literarischen Bundsgenossenschaften hat, erschrak vor diesen massenhaften Verbrüderungen und fühlte sich von allen den demokratischen Zumuthungen, die grade an ihn als einen Freiheits-Dichter ergingen, höchst belästigt. Aus frühern Lebensverhältnissen her, als gelernter Kaufmann, war er gewohnt, sich bei Namensunterschriften sehr schwierig finden zu lassen; da sollte nun alle Tage vermittelst einer Adresse ein Fürst vom Thron gestoßen werden, oder durch Subscriptionslisten für hunderttausend kleine politische Zwecke gewirkt werden, und immerzu die 241 Feder in der Hand und seinen Namen da hinzuschreiben, - das war ihm wirklich sehr unangenehm. Gern hätte er die von den Fäusten der Handwerker ganz schmutzigen Subscriptionsbögen unter seinen glacirten Händen durchschlüpfen lassen, aber einige Terroristen paßten auf und drohten nicht undeutlich mit der Guillotine, die vielleicht über Nacht die Ordnung des Tages werden konnte. Besonders ärgerte es Heinen, daß Börne, der kränkliche Mensch, so einen fanatischen Königsfresser spielte und das ganze Ding mit der Revolution, das sich nur gedruckt, in Vorreden, datirt „Paris am Tage der Bastille“ hübsch machte, so ernst nahm und jede Tollheit, die Einer auf’s Tapet brachte, mitunterschrieb. Börne und Heine aßen zusammen an einem Orte, wo viele deutsche Handwerker verkehrten. Zwischen der Suppe und dem Rindfleisch kam regelmäßig eine schmutzige Subscriptionsliste den Tisch herunter. Heine war in Verzweiflung. Er wartete die Gelegenheit ab, wo er losbrechen konnte und ergriff diese endlich, als die Listen sich unter anderm einmal auch gegen den Papst und dessen politisches Verfahren in der Romagna aussprachen. Was sie der Papst angienge erklärte er unwillig und unterschrieb sich nicht mehr. Man kann nicht läugnen, daß Heine’s Be-242nehmen hier von vielem Verstande zeugte. Nur hätte er sich dann von dem Umgang mit so erhitzten Gemüthern ganz zurückziehen und nicht nach dem Ruhm einer Popularität bei den Handwerkern streben sollen. - Da erschien der dritte und vierte Band der Briefe aus Paris und in ihnen Börne’s strenges, aber durchaus nicht feindseliges Urtheil über Heine’s französische Zustände. Die Folge war ein offenbarer Bruch, den natürlich die Zwischenträger nur noch erweiterten, und unheilbar machten. Heine sollte Drohungen ausgestoßen haben; Börne, wie immer tapfer bis zum Drolligen, bemühte sich, seine Furchtlosigkeit zu zeigen und sogar recht zur Schau zu stellen. Heine, der Börnen zu vermeiden suchte, kam in die größte Verlegenheit, weil Börne grade alles aufbot, daß sie sich begegnen mußten. Börne, der nie begreifen konnte, wie in Heine’s Salon die Schlußfigur des kleinen Simson sich auf ihn beziehen ließ, kundschaftete die öffentlichen Orte aus, wo er Heinen treffen konnte. Wo Heine aß, wollte er auch essen. Seine Umgebungen hatten Mühe, ihn von dieser förmlichen Hetzjagd, die er auf Heinen anstellte, zurückzuhalten. Später begegneten sie sich noch oft in Soiréen, die die Mutter des Componisten Hiller gab. So unbefangen 243 sich Börne zeigte, so nahm er es doch übel, wenn Mad. W., von Heinen angeredet, diesem nicht den Rücken kehrte. Wie Sie mit meinem Feinde sprechen können, begreif’ ich nicht - sagte er unwillig zu seiner Freundin, die nicht wußte, wie sich hier Börnen und zu gleicher Zeit dem Anstande willfahren ließe. Eine weitere Schilderung dieses sehr beklagenswerthen Mißverhältnisses zwischen Börne und Heine wünschten wir durch eine von Heine versprochene Darstellung desselben nicht hervorgerufen zu sehen. Sie kann für das Publikum nur von geringem Interesse sein.*)

Auf die letzte Sammlung Pariser Briefe (deren buchhändlerischer Vertrieb mit außerordentlichen Schwierigkeiten verbunden war) wandte Börne nicht grade eine größre Sorgfalt als auf die frühern; aber schon die beruhigtere Stimmung, in der sie geschrieben wurden, brachte es mit sich, daß sie gerundeter und reifer ausfielen, als die früheren. Da der revolutionären Vorsprünge, welche der Liberalismus hie und da gehabt hatte, immer weniger wurden, so fehlte es für Börne’s „Feuerwerkerey“ an Zündstoffen. Die Anknüpfung wurde 244 schwieriger, weil in den Deutschen das Gesetz der Trägheit (vis inertiae) wieder präponderirte. Börne hatte sich sehr geirrt, wenn er glaubte, das jährliche Erscheinen seiner Briefe würde immer die gleiche Wirkung haben: geirrt, wenn er dem Buchhändler Brünet, jenem räthselhaften Unbekannten, der seine spätern Briefe verlegte, sagen ließ, er möchte das Erscheinen der Briefe immerhin verzögern, es wäre besser, die Deutschen würden erst recht schlaff, damit sie dann durch ihn wieder lebendig würden. Ist der Rausch vorüber, dann sind die Deutschen auch nüchterner, als irgend eine Nation. Börne’s letzte Briefsammlung ist unstreitig stylistisch genommen, die vollkommenste; sie kam aber wenig unters Volk und wurde dafür mehr von denen gewürdigt, die in Börnen den Schriftsteller lieber hatten, als den Charakter.

Obgleich fast immer leidend, vermochte sich doch Börne von dem Gedanken einer durchgreifenden Wirksamkeit nicht zu trennen. Er dachte daran, seine Wage wieder erscheinen zu lassen; aber die Menge der Stoffe, die darin gewogen werden sollte, beunruhigte ihn; das Material wuchs ihm über den Kopf. Dann wollte er die Politik einmal ganz von sich abwerfen und schrieb am Schluß des Jahres 1832 an einen Freund: „Hören Sie, ich will Reisebilder à la 245 Heine schreiben und da hab' ich einen fürchterlichen Eyd geschworen, es soll kein Wort Politik hinein. Ich führe jetzt funfzehn Jahre Krieg, ich will mich einmal ausruhen und wie ein Schäfer schreiben. Es müßte denn Krieg oder eine Revolution ausbrechen; dann ist es freilich ein Anderes.“ Das allmälige Absterben aller Hoffnungen, die man noch kurz vorher auf die Mündigkeitserklärung der Völker setzen konnte, machte ihn sehr unglücklich. Mit der verschwindenden Elastizität seiner geistigen Aufregung brach auch die Körperkraft immer mehr zusammen und es war die höchste Zeit, daß seine Freundin, die sich inzwischen verheirathet hatte, nach Paris zog und in ihrer unmittelbaren Nähe ihm die Beruhigung und sorgsame Pflege schenkte, deren er von jetzt an nur allzubedürftig werden sollte.

Diese behagliche Einfriedigung und Waffenruhe führt uns in das Innere Börne’s zurück. Wir haben den rastlosen Schriftsteller verfolgt, bewunderten den Muth des hoffnungstrunkenen Vaterlandsfreundes, erfreuten uns an dem rüstigen Eifer, auf den Freund und Feind in den Jahren des Sturmes bei Börne rechnen konnte, und kehren nun in die traute Klause ein, die uns wieder den Menschen Börne näher 246 beobachten läßt. Möge hier eine Entwickelung der gemüthlichen Stimmung, die Börne während seines ganzen Lebens beherrscht hat, um so mehr eingeschaltet werden, als sie uns zu einer tieferen Kenntniß der Seelenzustände führen wird, die Börnen, im Schmerz über so viel Enttäuschungen, im Vorgefühl des nahen Todes von jetzt ab sichtbarer zu beherrschen anfiengen, als früher. Es brach die letzten Jahre vor seinem Tode ein tieferes gemüthliches Bewußtsein in ihm hervor, das wir ohne Schilderung der ganzen Innerlichkeit des Vollendeten, nicht würden vollkommen erklärlich machen können.

Sanftmuth und Adel waren die Grundzüge des Börne’schen Gemüthes. Der Charakter offenbart sich bekanntlich in Krisen, und eine solche kann man wohl den Augenblick nennen, wo Börne, selbst betroffen über die Wirkung seiner Pariser Briefe, von allen Seiten die bittersten Verletzungen seines Herzens und Ehrgefühls zu erfahren hatte. Es sind nicht die schlechtesten Geister gewesen, die in einem solchen Augenblick die geheimen und versteckten Dämonen ihres Gemüths entfesselten, sich mit kalter Lieblosigkeit am Feinde rächten und um nur aufrecht zu stehen, sich an Mittel hielten, die ihrem Charakter keine Ehre machten. Börne 247 war ein so harmloses Gemüth, daß ihm, um sein verletztes Innere zu heben und sich selbst nicht zu verlieren, solche Aeußerungen nie beikamen. Er griff seine Gegner mit Spott an und wählte keine andre Waffe, als die, sie lächerlich zu machen. Er that dies aber weder auf Unkosten der persönlichen Stellung seiner Gegner, noch auf Unkosten der Wahrheit. Jeder Andre würde in der Stimmung, die in Börne die Aufnahme seiner Pariser Briefe bei den Kritikern hervorrufen mußte, in sich vor Zorn verkohlt sein, würde sich in den ausschweifendsten Wiedervergeltungen überboten und erschöpft haben; Börne ertrug die Unbill sicher nicht ohne tiefste Verstimmung des Gemüths, aber sein edler Zorn löste sich bald in eine Wehmuth auf, die über das irdische Treiben lächelte und ihn nicht an ersticktem Grimme, sondern am gebrochnen Herzen sterben ließ.

Alle Berichte stimmen darin überein, daß Börne’s Gemüth seinen Verstand beherrschte, so freilich, wie eine zarte schwache Gattin selbst einen Helden fesseln kann durch ihre Sanftmuth und Besonnenheit. Gemüth und Verstand führten bei ihm eine glückliche, sorglose Ehe. Theilnehmend erwies sich Börne dem Freunde, rathgebend dem, der seinen Rath begehrte, gefällig und 248 hülfreich kam er jedem entgegen, der seiner oder überhaupt fremder Hülfe zu bedürfen schien. Selbst der finstre meist zornige und unnahbare Wolfgang Menzel gestand mir einst: „Sie können nicht glauben, was Börne, als ich ihn zum ersten Male sah, einen tiefen Eindruck auf mich gemacht hat. Ein kleiner schmächtiger Mann, sanft und harmlos, leidend der Farbe des Gesichts nach, aber Augen, so seelenvoll, wie ich noch nie welche gesehen habe.“ Wie müssen W. Menzeln, als er sich später in den Franzosen fressenden Grimm forcirte, in seiner Erinnerung diese klaren Augen gequält haben!

Börne’s Schriften bestätigen, was die, die ihn kannten, von ihm als Menschen erzählen. Er hatte die Waffen, um verheerend zu wirken, er hatte Witz und Satyre genug, um unter Voraussetzung der deutschen Verhältnisse, mit Voltaire zu wetteifern, aber sein Gemüth zog ihn zu Rousseau hin, dem er auch in dem edlen Gebrauch des Spottes, als der letzten Waffe der Indignation über bösen Willen und böse That, ähnlich ist. Jede Zeile seiner Schriften verrätht den Menschenfreund, der, entfernt von Eitelkeit oder selbstsüchtigen Zwecken sein großes Talent nur unter der Form des Berufes kannte. Er wollte die 249 Menschen aufklären und glücklich machen. Daher auch diese moralische Kraft seines Wortes, die überzeugende Klarheit seiner Auseinandersetzungen, diese Treue und Glaubhaftigkeit seiner Versicherungen. Diejenigen Schriftsteller, die er die Uebermacht seines Geistes, seines Witzes fühlen ließ, z. B. Ludwig Robert, W. Alexis, wurden nur bemitleidet; die aber, welche er mit der Wucht seiner moralischen Kraft, mit seinem Gewissen und seiner Ehre erdrückte, werden sich nie wieder erheben können.

Daß Börne zur Hypochondrie geneigt war, werden die unter seinen Gegnern, die ihn vielleicht entschuldigen möchten, am ersten zugeben. Sie werden seine Schriften aus den krankhaften Störungen des Unterleibes zu erklären suchen und alles das, was sie an dem trefflichen Mann für excentrisch halten, mit seinen Ganglien in Verbindung bringen. Diese Betrachtungsweise über Börne ist durchaus verwerflich. Börne würde auch bei weniger körperlichen Leiden, bei besserm Appetite, besserer Verdauung nie eingeräumt haben, daß man das Leben nehmen müsse, wie es ist, und Gott, wie sie sagen, einen guten Mann sein lassen! Börne würde, körperlich ganz frei und in seiner Thätigkeit durch Leiden nicht behindert, im Gegentheil nur um 250 so rüstiger gewesen sein, für seine Ueberzeugungen zu kämpfen. Er würde uns mehr Werke, als wir jetzt von ihm besitzen, hinterlassen haben und vielleicht sich darin nur von dem Börne, der dagewesen ist, unterscheiden, daß er die nächste Zukunft weniger trüb gesehen und über seinen Unmuth sich leichter getröstet hätte.

Es bieten sich für den tiefern Forscher in Börne’s Schriften mancherlei kleine Züge dar, die, mögen sie nun von einem Hypochonder kommen oder nicht, jedenfalls dazu beitragen, uns das Bild des Vollendeten recht in die Nähe zu rücken. Es giebt in Börne’s Schriften gewisse Wendungen, die öfters wiederkehren und für die Richtung seines Gemüthes sehr bezeichnend sind. Mögen hier einige dieser eigenthümlichen Lichter auf Börne's Antlitz und unser Gemälde seines Lebens rückstrahlen!

Börne war unverheirathet. Wär’ er es gewesen, so würde ihn wohl die Liebe zu seiner Frau auch bestimmt haben, an sie zu glauben, und er vielleicht der Eifersucht nicht fähig gewesen sein. Seine Schriften indessen verrathen, daß er sich die Qual eines Eifersüchtigen mit so glühenden Farben, wie nur ein Hypochonder, malen konnte. Die Eifersucht kehrt in verschiednen Beziehungen oft in seinen Kritiken und 251 kleinern Aufsätzen wieder und es ist leicht möglich, daß Börne annahm, wahre Liebe könne schwerlich ohne Eifersucht gedacht werden. Einigemale spricht er von der Eifersucht als dramatischem Motive. Er sagt: „Die Eifersucht in ein Lustspiel? Die schrecklichste aller Folterqualen dem Scherze hingegeben? Was im Othello uns mit Grausen erfüllt, uns erschüttert, niederwirft, wäre es der blutige Ausgang allein, den dort die Leidenschaft herbeiführt? Nein, es ist diese Leidenschaft selbst, die Shakespeare so naturtreu dargestellt, so durchsichtig gemacht hat, daß wir alle Wendungen des Labyrinthes erkennen, in das die Liebe hineinfährt, nur ohne rettenden Faden. Woher geschiehts, daß dieser höchst tragische Stoff gewöhnlich zu Lustspielen vertändelt wird? Was ist doch der Mensch für ein sonderbares Geschöpf! Aber gut, daß er so ist, daß er den Verzerrungen des Schmerzes eine possierliche Grimasse, der furchtbarsten Leidenschaft ihre Lächerlichkeit abzugewinnen versteht. Dieses ist die Kühlung, womit das nahe Meer ein heißes, dürres Land anfrischt.“ Börne kommt in dieser Weise noch öfters auf die Eifersucht zurück.

Wenn es ein durchgehender schöner Zug im Gemüthe Börne’s ist, daß er sich unter allen Umständen 252 des unterdrückten Theiles annahm, so ist dies keinesweges blos die Folge seiner politischen Gewöhnung, die ihn zur Zeit das Unterdrückte noch immer als das Bessere zu betrachten lehrte, sondern diese Theilnahme war eine ursprüngliche Stimmung seines Herzens. Daß sie dies war, beweisen manche Fälle, wo sein Mitleid mit seiner politischen Ueberzeugung collidirte und er selbst dem Feinde Achtung und menschliche Schonung gewährt wissen wollte. Die Art und Weise z. B. wie Wilhelm Tell den Geßler mordet, fand Börne empörend. Schon von dem Sturm auf dem See sagte er: „Ist es nicht Verrath, ist es nicht ein schlechter Streich, wenn Tell, als der Landvoigt sich auf dem See seiner Hülfe anvertraut - der Feind dem Feinde - dem Schiffe entspringt, es in die Wellen zurückstößt und wieder dem Sturme Preis giebt?“ Von dem Morde sagte er: „Ich begreife nicht, wie man diese That je sittlich, je schön finden konnte? Tell versteckt sich und tödtet, ohne Gefahr, seinen Feind, der sich ohne Gefahr glaubte.“ Es wäre nicht unmöglich, daß diese Art Kritik sich in Börne wirklich auf eine hypochondrische Quelle zurückführen ließe. Börne verstand in gewissen Dingen keinen Scherz und war mißtrauisch und argwöhnisch, wo ihm 253 eine Absicht nicht recht geheuer schien. Jemandem, der sich setzen will, hinten den Stuhl fortziehen, ist ein dummer Streich, aber Börne hätte ihn auch für einen bösen Streich genommen und wäre über eine solche Handlung nicht wieder zu besänftigen gewesen. Es ist im Hypochondrischen immer das Gefühl einer gewissen Unbequemlichkeit und Beklommenheit im Zusammenleben mit Andern; durch die an einander vorüberstreifenden Interessen und rohen Sitten wird man nur zu leicht verletzt. Börne konnte gewisse Neckereien im Leben und auf der Bühne nicht ausstehen; er würde z. B. bei der Beurtheilung des Gamin de Paris den Dichter über die Rolle, die er den Pere Bizot darin spielen läßt, sehr getadelt haben. Er würde gesagt haben: darum, daß Bizot ein pedantischer alter Mann ist, der es in seiner Art gut mit dem Gassenjungen im Sinne habe, darum soll ihn dieser lächerlich machen, ihn mit Papierkugeln werfen und ähnliche Streiche mehr an ihm verüben? Am schönsten und rührendsten kömmt diese edle Richtung des Börne’schen Gemüths in seiner Beurtheilung des Immermann’schen Hofer zum Vorschein. Sein Eifer für das Rechtliche und Gewissenhafte reißt ihn hier fast über das Poetische hinaus; wenigstens würde man aus 254 romantischen Gründen hier leicht Dinge entschuldigen dürfen, die Börne aus einem ganz bürgerlichsoliden Gesichtspunkte beurtheilt. Z. B. heißt es: „Als Lacoste (ihr treuloser Verführer) schläft, legt Elsi Feuer an und verbrennt das Haus und ihren alten Freund. Dann stürzt sie sich in einen Abgrund.... Das ist ein niederträchtiger Mord! Glaube Elsi ja nicht, uns mit ihren schönen Reden zu täuschen.... Das, was Elsi gethan, war kein gerechter Aufstand gegen die Franzosen, das war freche Empörung gegen die Natur.“ Ueberhaupt zeigt sich Börne in seiner Theilnahme für die Franzosen bei Beurtheilung des „Trauerspiels in Tyrol“ von der edelsten Seite und dies nicht aus politischen, sondern rein menschlichen Gründen. Er kann es dem Dichter nicht vergeben, daß er die Hinterlist der in ihren Schluchten versteckten Tyroler gegen die armen im Thale hinziehenden und von herabgerollten Felsblöcken zerschmetterten Franzosen so harmlos und con amore ausmalt. Er sagt: „Wir bemitleiden die Franzosen und ich wette, das geschähe, wenn dies Trauerspiel von der Treue der Tyroler, durch die Aufführung uns recht lebendig vor die Augen träte. Die Franzosen streiten mit ihrer gewohnten Tapferkeit, die Tyroler von ihren unerreich-255baren Bergen herab, hinter undurchdringlichen Felsen hervor. Wir sind keine ritterliche Narren, die Ehre haben und fordern - behüte uns Gott! Die Tyroler in der Geschichte brauchen keine Tapferkeit, die Franzosen mit Ruhm zu besiegen; aber die Tyroler auf der Bühne hätten Tapferkeit gebraucht, unsre Herzen zu besiegen. Sie zeigten keine, die Steine behielten Recht.“

Wo sich ein edles Gemüth mit freien Begriffen verbindet, muß das religiöse Bedürfniß in einer ganz eignen Form hervortreten. Man will in Börnes letzten Schriften eine eigne religiöse Wärme entdeckt haben. Mich wundert aber nur, daß man sie nicht schon in seinen frühern Schriften fand. Es ist nicht die Rede von einem besondern Verhalten zur christlichen Religion, er begnügte sich mit einer allgemeinen religiösen Stimmung, die er selbst in den verschiedensten Offenbarungen an fremden Gemüthern ehrte. Börne's innerer Mensch war zu sehr von seinen politischen Ideen beherrscht, als daß er allgemeinere Philosopheme und ein bestimmtes religiöses Glaubensbekenntniß in sich hätte ausbilden sollen; aber schon die Art, wie er den politischen Gedanken erfaßte, die Freiheit, wie und worauf er sie bezog, können beweisen, 256 daß er die Menschen für Fremdlinge aus einer höhern Heimath ansah. Die Freiheit, die er seinen Brüdern erkämpfen wollte, schien ihm das unveräußerliche Erbtheil Gottes, das wir unmittelbar aus seinen Händen einst empfingen und welches von den Machthabern und Privilegirten nur als ein Fideicommiß untreu verwaltet werde. Börne’s pol itische Ideen waren nicht destruktiver, sondern organischer Art; wofür, wenn nicht schon Alles Andre, so doch ganz gewiß seine Theilnahme für Lamennais zeugt.

In dem auch philosophisch tiefsinnigen Aufsatze: „Die Neophyten des Glaubens und die Apostaten des Wissens“ verräth Börne eine Milde in der Beurtheilung religiöser Ueberzeugungen, die zugleich ein Beweis für seine Achtung vor jedem auch noch so verschiedenartig bestimmten Hinblick auf das Jenseits ist. Statt die Apostaten ihres alten Glaubens, einen Z. Werner, Schlegel und Andere in Kürze zu verurtheilen, als entnervte Sinnenmenschen, die ermattet an der Pforte eines katholischen Domes zusammenknickten, oder als Heuchler, die durch die Maske der Religion ihr geld- und ehrsüchtiges Buhlen mit gewissen politischen Tendenzen zu verbergen suchten; folgt er mit milder Zurückhaltung und Schonung dem labyrinthischen 257 Wandel dieser Männer und nennt ihr Ziel nicht einmal Verirrung. Er wünscht ihnen nichts, als daß sie Ruhe finden möchten, und behält sich nur das Eine vor, zu bezweifeln, daß sie sie finden würden. Die Mystiker und Pietisten verdammte Börne auch nicht deßwegen, weil sie es von vornherein verdienten, sondern weil sie das Gute, das man ihnen einräumen müsse, an sich entstellten. „Was uns gegen die Mystiker, sagt er, so erbost macht, ist nicht das Falsche in ihrer Lehre, sondern das Wahre darin. Nämlich das wahre Tüchtige darin, welches sie aus Eitelkeit überflittern; die sonnenklare Wahrheit, die sie aus Nervenschwäche mit Mondscheinlicht verdämmern; die faßliche Wahrheit, die sie aus Zahnlosigkeit verdünnen, daß sie uns durch die Finger läuft; die frische trinkbare Wahrheit, die sie an ihrer Herzensbrunst verdünsten, damit der Dunst aufsteige und Wolken bilde, und sie dann die Wolken für den Himmel ausgeben und sagen können: auf Erden sei keine Wahrheit und der Himmel Wenigen erreichbar.“ Börne hatte mit seiner politischen Reform so viel zu thun, daß er einer kirchlichen nur in sofern nachhieng, als sich die politische Tyrannei nicht selten auf eine falsche Auslegung der Religion stützte und die Religion selbst, ihre Würde 258 verkennend, nur allzubereitwillig den weltlichen Verhältnissen die Lehre zu Füßen legte, daß wir uns in eine böse Welt schicken und unterthan sein müßten der Obrigkeit. Wenn Börne dem katholischen Prinzip in der Kirche vor dem lutherischen den Vorzug gab, so war es wohl nur daher, daß dieses seine Stütze einst in den Fürsten fand, jenes einen eignen Schwerpunkt anspricht und, wie die neuesten Zeiten genugsam beweisen, nicht scheut, den Großen der Welt zu mißfallen. Börne würde sicher, hätte er die neusten Ereignisse erlebt, in der Sache vielleicht für Preußen, in der Form wohl für die Bischöfe gestimmt haben. Die neure soziale Bewegung der sogenannten jüngern Literatur, das Leben Jesu von Strauß nahm er mit sehr getheilter Empfindung auf. Alles, was er gegen erste geschrieben, und gegen letzteres gesagt haben soll (Siehe die Schrift von E. Beurmann: Ludwig Börne, als Charakter und in der Literatur) hat wohl hauptsächlich den Rückhaltsgedanken, daß durch eine solche Wendung des Neuerungsgeistes die Sache der Freiheit verallgemeinert und der Widerspruch gegen die herrschenden Thatsachen auf ein Gebiet gespielt wird, wo über dem Streben nach dem Ganzen vielleicht das Einzelne verloren gehen könnte. Es war ihm 259 lieber, einen Sperling in der Hand, als Hundert auf dem Dache zu haben. Doch auch von dieser mehr äußern Berechnung abgesehen, zu der sich allerdings die Besorgniß gesellte, das Volk könne durch diese Ausdehnung der Opposition auch auf kirchliche Gegenstände gegen die Neuerung mißtrauisch werden - mochte seinem Gemüth eine Richtung nicht zusagen, die für das Zerstörte nicht so schnell wieder etwas Neues zu geben hatte. Vollends empörte er sich gegen das, was ihm in der neuern Richtung zum Theil wohl mit großem Unrecht als unsittlich erschien, wie seine Feuilletons im Reformateur und der Balance beweisen. Obgleich an diesem Mißverständniße selbst betheiligt, werd’ ich jene religiöse Verklärung Börne's, die in den letzten Lebensjahren über sein leidendes und vom Schmerz über das Vaterland zerrissenes Gemüth kam, nie verdächtigen oder die Spöttereien billigen, die sich Heine gegen den „kleinen Simson,“ der den Namen Herr! Herr! nicht gelästert haben wolle, erlaubte. Schon die Pariser Briefe verrathen eine für Börne’s innerste Seelenstimmung sehr merkwürdige Stufenfolge. In den ersten Bänden der wilde Freiheitsjubel, der Uebermuth eines Genesenden, der sich zum ersten Male wieder einen Trunk Weins gestattet; 260 in den spätern weit mehr Wehmuth und Schmerz. Er wendet sich von dem concreten Einzelnen zur Betrachtung abstrakter Allgemeinheiten. Er wendet sich von den Adressen, Ständekammern, Zeitungsartikeln zum St. Simonismus, dessen Lehre er unhaltbar findet, sie aber doch mit dringlicher Aufmerksamkeit prüft. Vom Politischen scheint er sich in das allgemein Menschliche zu flüchten, wie ihm denn die Erscheinung La Mennais in einer eignen Glorie aufgieng; denn sie brachte ihm Freiheit, Religion und Poesie. Also weit entfernt, daß Börne in seinen letzten Lebensstunden frömmelte; es hatte sich nur eine heilige Dämmerung auf und in ihn herabgesenkt, ein frommes, wenn nicht in Gott, doch in Göttliches sich versenkendes Schauen, ein friedvolles Träumen von einer bessern Welt, wo uns Gott das Räthsel lösen wird, warum er die Menschen frei erschuf und sie es hienieden doch nicht werden ließ!

Die Nachricht von einem „jungen Deutschland“ regte Börne mächtig an. Getrennt vom Vaterlande, ohne zuverlässige Briefsteller, ohne Gelegenheit, sich die neuen literarischen Erscheinungen anzuschaffen, combinirte er sich unter jenem Begriff bald schädliche, bald sehr lobenswerthe Tendenzen. Unter dem 20. Juli 1836 schrieb er nach Hamburg: „Haben Sie in 261 Hamburg, oder sonst wo, nicht einen verständigen Literaten unter Ihren Bekannten, der aus Freundschaft für einen Collegen mir einen kleinen Bericht über das junge Deutschland macht? Seine eigne Meinung über das junge Deutschland zu haben, daran liegt mir wenig; denn ich bin gewohnt, meine Ansicht auf das Studium der Quellen zu gründen. Ich mögte nur einen historischen Bericht über die Schriftsteller haben, die man zum jungen Deutschland zählt, ein genaues Verzeichniß ihrer Schriften und den Eindruck, den sie auf die öffentliche Meinung gemacht. Der unbekannte Freund, der mir darüber berichten soll, dürfte aber nicht unter solchen genommen werden, die selbst über oder gegen das junge Deutschland geschrieben, denn sonst könnte geschehen, daß ich zum Danke für seine Gefälligkeit später über ihn selbst herfiele, da ich alles was ich bis jetzt von den Gegnern des jungen Deutschlands gelesen, höchst erbärmlich gefunden.“ Eine nähere Verbindung Börne's mit den Mitgliedern dieser Schule, wenn man das Phantom einer Verbrüderung so nennen will, fand nur Bruchstückweise statt. Laube schrieb ihm öfter, kränkte ihn aber durch die Clauren’sche Anrede: „Lieber Revolutions-Hofrath!“ Dem Verfasser dieses Erinnerungs-Denkmals und L. Wienbarg 262 sagte Börne mit viel Bereitwilligkeit seinen Antheil an einer im Jahre 1835 bezweckten „Deutschen Revue“ zu.

Die Erscheinung der Paroles d’un Croyant von La Mennais hatte schon im Jahre vorher einen erschütternden Eindruck auf Börne hervorgebracht. Er konnte, da er das Buch in den Zeitungen angekündigt und besprochen sahe, nicht die Zeit erwarten, bis er ein Exemplar davon erhielt. Kaum hatte er es gelesen, so schickte er sich zu einer Uebersetzung ins Deutsche an. Den profetischen Styl, die Salbung und biblische Spruchweise traf er um so glücklicher, als die deutsche Sprache dafür überhaupt mehr Anlage, als die französische hat. Er ließ das kleine Buch auf seine eigne Kosten drucken und hatte die Freude, fast die ganze Auflage in Frankreich und der Schweiz abgesetzt zu sehen. Nur ein einziger Buchhändler in Leipzig wagte es, in Deutschland damit Geschäfte zu machen. Er kaufte Börnen aber auch gleich 500 Exemplare baar ab.

Es ist keine Frage, daß Börne das poetische Colorit dieses Buches zu hoch angeschlagen hat. Das Partheiinteresse bestach den ästhetischen Geschmack. Man kann rhetorische Ergüsse dieser Art mit einer fremdher 263 entnommenen poetisirenden Ausdrucksweise nicht füglich Poesie nennen. Richtiger ist der demokratische Gesichtspunkt, aus welchem Börne die berühmte Schrift La Mennais’ beurtheilte und der besonders für Deutschland noch beachtungswerther, als für Frankreich schien. Die Revolution war hier zur Pflicht der Religion gemacht; den Königen war die Anlehnung an die Bibel genommen. Börne kannte z. B. aus den Bauernkriegen die Deutschen genug, um zu wissen, daß sie im erträumten Bunde mit dem Himmel der größten Dinge fähig sind. Worauf konnten sich bisjetzt die Gegner der Revolution berufen? Auf ihren Ursprung, auf die Sittenlosigkeit der „starken Geister“ des vorigen Jahrhunderts, auf die Abschaffung Gottes in der französischen Revolution, auf das allgemeine Schwanken in Sitte und religiöser Ueberlieferung, das von einer politischen Umwälzung in ihren ersten Stadien nie entfernt bleiben kann und das in so vielen Erscheinungen, auch der neuesten Zeit, nothwendig hervorzubrechen drohte. La Mennais hatte nun diese Anklage umgekehrt. Er hatte die Republik zur Ordnung des Himmels, die Monarchie zur Ordnung der Hölle gemacht; die glühendsten Farben und Bilder der Bibel malten diesen Gedanken zu einer Anschaulichkeit aus, von der Börne 264 gehofft hatte, daß grade die Phantasie der Deutschen ihr nicht widerstehen würde. Börne vergaß, daß zwischen den Katholiken und den protestantischen Pietisten, auf welche allerdings Beweisführungen dieser Art nicht ohne Eindruck würden geblieben sein, in der Mitte die Indifferentisten liegen, welche die große Mehrzahl bilden.

Börne hatte selbst vor La Mennais Person eine fast religiöse Verehrung. Nur einmal sah er ihn bei dem Bildhauer David. Börne war körperlich zu leidend, um eine nähere Verbindung anzuknüpfen; aber er bildete dafür im Stillen die Theorie jenes demokratischen Priesters weiter aus, und kam auf diesem Wege zu einer Ansicht über den Katholicismus, die ihn diese Confession in einem ehrwürdigeren Glanze erblicken ließ. Hier war doch die Selbstständigkeit einer sich gegen den Staat waffnenden Macht möglich, die menschlichen Gemüther wurden an eine Ordnung des Himmels gebunden, deren irdisches Abbild in der That die Hierarchie in ihrer schöneren Bedeutung war. Seit damals bekam er jene Richtung, die ihm ein unbedingtes Negiren aller historischen Vergangenheit verhaßt machte. Er wollte mit der Revolution die sittlichen und religiösen Güter des Volkes nicht ver-265letzt sehen und mistraute dem Umschwung der philosophischen Begriffe so sehr, daß er nicht bloß gegen Heine’s Salons-Philosophie, sondern auch gegen Strauß’ Leben Jesu sich verstimmt fühlte. Er sah voraus, daß durch diese neuern sozialphilosophischen Debatten die Frage der politischen Wiedergeburt verallgemeinert werde, und die Schaaren der bisherigen Opposition sich auffallend lichten würden. Doch die angeborne Sympathie, die Börne für alles Neue, Angegriffene, für alles in der Minorität Befindliche hatte, ließ ihn hier dennoch zu keinem festen Abschlusse kommen. Es sind wirklich tiefgemüthliche Widersprüche, die in den letzten Tagen seines Lebens ihn bestürmten, die ihm aber zu gleicher Zeit auch eine Erhöhung seiner Denkthätigkeit und Anschauungsweise gaben, bis zu der er sich früher nicht aufgeschwungen hatte; seine nächsten Umgebungen bedauerten grade auch darum seinen Tod so schmerzlich, weil in dem Augenblick, wo sein Körper den Dienst zu versagen begann, in seinem Geiste eine ganz neue Gährung ausgebrochen war.

In Venedy’s „Geächteten“ ließ Börne eine wehmüthige Phantasie über La Mennais Worte eines Gläubigen einrücken. Er nannte sie „Rettung.“ Er hätte sie Genesung nennen sollen; denn es ist der stille Jubel 266 eines Kranken, der nach langem Verschluß auf sein Zimmer, zum ersten Male wieder die warmen, linden Frühlingslüfte begrüßen darf und jede Knospe in der sproßenden Frühlingswelt küssen möchte. Börne bewahrte seine Theilnahme für La Mennais bis an sein Ende. Der Verfasser der „Erinnerungen an Börne“*) erzählt: „Der Eintritt La Mennais’ in die politische Tagspresse interessirte Börne ungemein. „Sehen Sie,“ sagte er, als die Journale angekündigt hatten, daß La Mennais die oberste Leitung des Monde übernehmen werde, „sehen Sie, das möchte ich noch mit erleben, wie sich die Presse unter La Mennais Impuls gestalten wird; aber mit mir wird’s bis dahin zu Ende sein.“ Börne ging im Zimmer auf und ab; wir hatten uns auf den Kaminmantel gelehnt; bei den letzten Worten hielt er den Schritt an und stellte sich uns gegenüber; der Blitzstrahl seines Auges durchzuckte unser Inneres, wir fühlten uns bewegt und mußten alle Fassung aufbieten, die Frage an ihn zu richten, ob wir den deutschen Recensenten glauben sollten, daß er Hypochonder sei? Noch sehen wir Börne an jenem Abende vor uns stehen; der Glanz seines Auges stralte wie 267 immer; aber ein unendlich tiefes Weh, das wir früher nie bemerkt, lag um seine Mundwinkel eingegraben; seine ganze Gestalt kam uns gebeugter vor, als sonst, er fuhr mit seiner rechten Hand unter die Weste nach dem Herzen hin und hustete trocken. Eine unheimliche Ahnung überrieselte uns; als Börne sich nach dem Sopha hinwandte, blickten wir ihm nach, aber wir sahen nichts mehr; irgend etwas, ich glaube Thränen, hatte unsere Brillengläser verdunkelt.“

Börne hatte nie so viel Trieb zu schriftstellerischer Thätigkeit, als in seinen letzten Lebensjahren. So gern er im Verkehr mit Buchhändlern vom Ertrag derselben Nutzen zog, so aufopfernd gab er sich jedem allgemeineren, seiner Parthei dienenden Unternehmen hin. Auch Börne war unter den Schriftstellern, die sich zur Herausgabe des Reformateur, einer Zeitschrift, die von den Mitarbeitern ohne Honorar geschrieben werden sollte, vereinigten. Er lieferte einige Feuilletons, in denen er Heine’s Salon, Wachsmuth’s Geschichte des deutschen Bauernkrieges und einige andre Bücher besprach. Er schrieb diese Aufsätze gleich selbst französisch nieder und erntete dafür von Raspail das Geständniß, „es wäre dies ein neues Französisch!“ Raspail wollte damit kein ausweichendes Compliment sagen. Er war 268 Kenner genug, um einzusehen, daß Börne ein Französisch ohne Rhetorik schrieb, daß er den Gedanken nie der Phrase opferte und darum doch der Phrase eine naive Grazie verlieh, die die Sprache wieder auf ihre ersten unverdorbenen poetischen Anfänge zurückführte. Seine Artikel im Reformateur setzten die Gedankenreihe fort, welche La Mennais in ihm angeregt hatte. Er wog die politische Bedeutung der beiden christlichen Confessionen gegen einander ab und kehrte, durch Heine’s Salon dazu veranlaßt, auf das Zeitalter der Reformation zurück. Was er über Luther, die Fürsten und das Volk sagt, verräth den einseitigen politischen Standpunkt, von dem sich Börne nie trennen konnte und der ihn mitten in seinen religiösen Debatten so beherrschte, daß er wohl äußerte: „Und doch ist es besser, wenn die Wahl sein sollte, lieber keine Religion, als keine Freiheit zu haben.“ Von dem Satze ausgehend, daß die Wahrheit hienieden doch nicht gefunden würde und wir an Symbole verwiesen wären, schlug er die Irrthümer des Katholicismus deßhalb höher an, als die Philosopheme des Protestantismus, weil in jenem die Priester, als Stellvertreter der himmlischen Ordnung, dem Volke näher ständen, wie hier. Die Franzosen, welche den Reformateur herausgaben, waren nicht ganz 269 fähig, sich in diesen idealen Standpunkt Börne’s hineinzudenken. Sie erlaubten sich, eine Stelle, durch welche Börne sich von dem Verdachte, den Katholicismus in seiner papistischen Gestalt anzuerkennen, lossagte, zu streichen. Börne sagte: „Die dem Anschein nach antireligiöse Bewegung des vorigen Jahrhunderts hat nur bezweckt, die Verfassung der Kirche aus der gegenwärtigen moralischen Form in eine populäre umzuändern. Sobald es keinen Pabst, keine Bischöfe, keine stehenden Mönchs-Heere, keine schwarze Gensdarmerie mehr geben wird, sobald -“ diese Stelle hatte man im Redaktionsbüreau des Reformateur gestrichen. Börne bestand, als er den Artikel verstümmelt abgedruckt fand, auf die nachträgliche Berichtigung seines dadurch sinnlos gewordenen Räsonnements. Sie erfolgte in einer nächsten Nummer.

Börne war nie gewillt, seine deutsche Bildung, seine besonnene Einsicht dem französischen Parteiinteresse zu opfern. In Börne’s literarischem Nachlaß muß sich ein französisch geschriebener Aufsatz über den Grangeneuve von Delatouche vorfinden, welcher für den Reformateur bestimmt war. Börne hatte nemlich versprochen, den ebengenannten Roman zu beurtheilen, allein den Abschluß der Arbeit immer hinausgeschoben. 270 Als man ihn nach geraumer Zeit, im Namen der Redaktion, an die Erfüllung seines Versprechens mahnte, erklärte er: „Ich kann den Artikel nicht drucken lassen; Raspail würde ihn ohnedies nicht aufnehmen; ich bin weder mit den Girondisten, noch mit den Montagnards zufrieden und müßte beiden Partheien die Wahrheit sagen können; das würde aber höchstens bei Ihnen und einigen Gleichgesinnten Anklang finden; alle Anderen, Republikaner oder Radikale, würden mich steinigen“*).

Börne hatte die Absicht, eine Reihe von Betrachtungen über die französische Revolution herauszugeben. Er las den Moniteur und machte sich Auszüge. Er suchte nach seltenen Büchern und Flugschriften, die in Frankreich und Deutschland gleichzeitig mit der Revolution über sie erschienen. Sein Nachlaß enthält manche diesem Zweck schon gewidmete weitere Ausführung. Unfehlbar hätte sich Börne vom Standpunkte der französischen Historiker entfernt; er würde die Revolutionsmänner mehr in ihrer Individualität erfaßt haben. Er äußerte im vertraulichen Gespräch: „Die Männer der ersten Revolution sind für mich lauter bis jetzt noch unaufgelös’te Probleme. Mit 271 Marat kann ich mich nicht befreunden, obschon man neuerdings viel zu seiner Entschuldigung beibringt; übrigens kenne ich ihn noch nicht genau. Unter Allen, die ich seither kennen gelernt habe, scheinen mir Robespierre und Saint Just die ehrlichsten zu sein; jedoch bin ich weit entfernt, ihrem System zu huldigen. Ich glaube zwar nicht, daß die neuen Ideen ohne Blut ins Leben zu führen sind, aber daß im schlimmsten Falle alle geopfert werden müssen, die eine abweichende Meinung haben, - einem solchen Terrorismus widerstrebt mein Gefühl und ich könnte nie die Ungerechtigkeit billigen, sonst vielleicht gute Menschen zu morden, weil sie anders zu denken und zu meinen wagen als ich. Robespierre und Saint Just meinten zwar, das Gefühl kömmt in jenen Fällen nicht in Frage, sondern die Nothwendigkeit; allein damit nahmen sie den jesuitischen Grundsatz an, daß der Zweck die Mittel heilige; ich muß bekennen, daß ich glaube, diese Nothwendigkeit könne nie existiren.“ - Börne sprach von den Revolutionsmännern auch aus dem literar-historischen Gesichtspunkt. „Marat hat einen ungehobelten Styl; Camille Desmoulins schreibt hübsch; Robespierre und Saint Just stehen mir als Schriftsteller sehr hoch, namentlich der erstere; lesen Sie in dem eben er-272schienenen Bande (October 1836) der Histoire parlamentaire von Büchez und Roux die goldenen Worte, welche er über die Sach- und Schriftgelehrten sagt.“*).

Börne kam öfter auf den Gedanken, wieder seine alte Frankfurter Wage erscheinen zu lassen. Der Reformateur erlag den gerichtlichen Verfolgungen. Börne konnte in der Aufregung und Mittheilungslust, die ihn noch immer beseelte, nicht füglich ohne Organ bleiben. So führte er denn mit Anfang des Jahres 1836 seinen Lieblingsplan in französischer Sprache aus. Er wollte die Franzosen für die Theilnahme an deutschen Interessen und deutsche Auffassungsweise gewinnen. Er wollte ihnen an praktischen Beispielen, an Urtheilen über Beranger, Victor Hugo und andre Tageserscheinungen die Gewissenhaftigkeit deutscher Kritik und die Natürlichkeit unsrer Prinzipien zeigen. Mainzer, Kolloff, Büret unterstützten ihn. Aber die Schwierigkeit, den Franzosen in einem, wie es Raspail genannt hatte, neuen Französisch verständlich zu werden, die Indolenz und der Egoismus der französischen Journalistik, die Hindernisse die den Absatz der Monatsschrift 273 in Deutschland aufhielten, endlich auch wohl die eigne ermattende Kraft ließen die Balance nicht ihr viertes Heft erleben. Börne sprützte die Feder aus. Er setzte sie nur wieder an, um das Geständniß zu geben: „Ich bin müde wie ein Jagdhund!“

Des Sommers in dem ländlichen Auteuil bei Paris, des Winters in der Stadt wohnend, genoß Börne in dem trauten Kreise, den seine Freundin und deren Gatte, ein leidenschaftlicher Verehrer der Richtung seines Freundes, um ihn zogen, eine Pflege, die noch auf einige Zeit die Flucht seiner Lebensgeister hemmte. Er war fast immer leidend. Wenn ihn Freunde, wie Dr. Eder aus Frankfurt, besuchten, so flackerte er wohl noch freudig auf, erkundigte sich nach den heimischen Verhältnissen, lachte über die Unsterblichkeit des Philisterthums; bald aber versagte der Körper den Dienst, er knickte zusammen und schlich, gänzlich abgespannt, auf sein Zimmer, wo ihn der Schlaf (der ihm wie Lessing nie versagte) erquickte. Seine Schwerhörigkeit hatte so zugenommen, daß vieles an ihm unverstanden vorüberging und alle seine Sinne sich in eine stille Dämmerung verloren. Die Kunst der Aerzte mit einer Verachtung beurtheilend, die an Molières Lustspiele erinnerte, griff er nach jeder neuen Entdeckung, 274 die im Gebiet der Heilwissenschaft auftauchte. Eine Zeitlang war er Homöopath unter Dr. Roth. Dann verlor er sich in Oertel’s Wasserkurschriften und fieng mit seinem geschwächten Körper Waschungen an, die schwerlich auf seine Nerven wohlthätig wirkten. In einem eignen Apparat betrieb er diese Curmethode lange Zeit und mochte sich dadurch, wie wenigstens allopathische Aerzte versichern, mehr geschadet als genützt haben.

Traten zuweilen freie Augenblicke ein, so entzog er sich dem Umgang mit Freunden, der freien Luft und selbst der großen Gesellschaft nicht. Er sah seine politischen Freunde, die deutschen Flüchtlinge, gern bei sich, ließ sich von ihren Planen erzählen und lächelte darüber, wenn sie ihm allzu abentheuerlich schienen. Gern empfieng er die Besuche der Fremden, die nach Paris kamen und ihm von Politik und Literatur der Heimath erzählen mußten. „Von seinen nächsten Bekannten ließ er sich sagen, in welchem Restaurant man zu Mittag gespeiset, wie es jetzt in diesem oder jenem Kaffeehause aussehe, ob die schöne Dame noch am Comptoir sitze u. s. w. Börne kam in den letzten zwey Jahren seines Lebens nicht mehr viel in Paris herum; wenn er im Sommer vom Lande in die Stadt kam, pflegte 275 er das Galignanische Lesekabinett, weniger die ihm wegen ihrer theuern Preise verhaßte Heideloff’sche Buchhandlung zu besuchen und vor dem Nachhausefahren unter den Bäumen des Palais-Royal ein Glas Eis zu essen. Eine kleine Promenade über die Boulevards durch die Vivienne- oder Richelieustraße nach dem Louvre und Einkäufe in Conditoreien waren Winters seine einzigen Ausgänge. Viele von den kleinen Billetten, welche er seinen Bekannten durch die Stadtpost schrieb, schloßen mit den Worten: Aber warum kommen Sie so selten? Ich bin fast jeden Abend zu Hause. Diese Zurückgezogenheit sonderte ihn jedoch keineswegs von Allem, was in der Hauptstadt vorgieng ab, im Gegentheil er verfolgte die unbedeutendsten Aenderungen im materiellen Lebensgenuß, im Preise der Nahrungsmittel, in der Ausmöblirung der Zimmer, in der Ausschmückung der Kaufläden, in dem herabgesetzten Tarif der Cabriolets u. s. f. mit sorgsamen Blicken und forschte nach den kleinsten Details, die für ihn alle im genauesten Zusammenhange mit der allgemeinen politischen und socialen Bewegung standen, deren Lenker, Vertreter und Tonangeber er in seinem Zimmer die strengste Revüe passiren ließ. Salons und hohe Zirkel besuchte Börne seltener; der kleine, schwer hörende, 276 nicht immer zum Sprechen aufgelegte, gewöhnlich lauschende, und nur zuweilen kurz und scharf dazwischenredende Mann zerrann und verschwamm gleichsam in der Gesellschaft, welche ihn mehr verdeckte, als emportrug, ihn mehr in den Schatten stellte, als hervortreten ließ. Im häuslichen Kreise fühlte er sich mehr daheim und behaglich; er konnte alsdann die Unterhaltung dem allgemeinen Gespräche überlassen, eine Weile still sitzen, sein körperliches Leiden bekämpfen, wieder dazwischen hören und plötzlich wieder eintreten und seine, den Nagel auf den Kopf treffenden, Bemerkungen einstreuen. Wenn es ihm ganz wohl war, liebte er in freiem Witze, in Laune und Scherz sich zu unterhalten.*)

Bei bedeutenden artistischen Neuigkeiten fehlte Börne niemals. Er wohnte der ersten Vorstellung der Hugenotten bei und besuchte noch im letzten Winter, den er erlebte, einen Maskenball. Zuweilen sahe man ihn bei Meyerbeer; doch mußte man ihn nicht fragen: „Wie befinden Sie sich?“ Er hatte den Widerwillen gegen diese Art der Begrüßung mit Goethe gemein.

277 Zu den wenigen deutschen Blättern, die Börne in Paris zu Gesicht bekam, gehörte auch das Morgenblatt. Die von W. Menzel redigirte Literaturbeilage desselben brachte seit der Fehde mit dem „jungen Deutschland“ fast in jeder Nummer Beweise einer Apostasie, die man würde bemitleidet haben, wäre sie, um ihr eignes Gewissen zu betäuben, nicht in ein sinnloses Toben und Poltern verfallen, dessen Gegenstand Börne zuletzt selbst wurde. Das jungdeutsche Uebel, das Menzel ausrotten wollte, führte er auf das Juden- und Franzosenthum zurück. Man sah damals in Stuttgart einen Mann, der sich eine einflußreiche literarische Stellung durch blinden Fanatismus zu Grunde richtete: wilde Leidenschaft führte eine Feder, die sich in einen Besen verwandelt zu haben schien: unsinnige Vorwürfe wurden, ohne Prüfung, ohne den Stempel innerer Ueberzeugung, bis zum Lächerlichen wiederholt; Richtungen, deren Ungebühr man in ihren nächsten Aeußerungen ihm wohl eingestand, wurden an Erscheinungen vergangener Jahrhunderte angeknüpft und von einer ungezügelten Phantasie zu so widersinnigen Mißgestalten ausgemalt, daß Menzel, von der Nation aufgegeben, von den Einen für schlecht, von den Andern sicher für krank erklärt wurde. In trüber 278 Schwärmerei sich einen Peter von Amiens dünkend, der einen neuen Kreuzzug predigte, entblödete Menzel sich nicht, die Großen und Mächtigen zum Schutze anzurufen. Er malte den Regierungen die Schrecken einer literarischen Richtung aus, der er außer den Vorwurf der Unsittlichkeit, auch den des politischen Verraths machte. Mit säuerlicher Schärfe und griesgrämlicher Verdächtigung wurde von Stund an alles Französische besprochen. Der Traum, dem man sich eben hingegeben hatte, als könnte zwischen den Völkern ein Bund bestehen, der sie zu Genossen eines gemeinschaftlichen Kampfes gegen die Drangsale der Menschheit machte, wurde nicht etwa als eine Chimäre, was sie vielleicht ist, zerstört, sondern als eine Verrätherei denuncirt. Jeder weltbürgerliche Aufschwung, den sich ein Dichter in dem Gedanken an Napoleon erlaubte, wurde für eine niederträchtige, den Franzosen dargebrachte Schmeichelei erklärt. Wenn uns Menzel früher in eine Barbarei unsrer ästhetischen Begriffe zu stürzen gesucht hatte; jetzt wollte er unsre politischen Begriffe verwirren und die Fortschritte des Jahrhunderts einem ausgeblaßten, bei ihm aus persönlicher Eitelkeit aufgefrischten altdeutschen Enthusiasmus opfern.

279 Börne hatte von jeher Frankreich in zwei Theile getheilt. Der eine war jenes eroberungslustige, geldsüchtige, übermüthige Frankreich, das die Freiheiten aller Völker würde mit Füßen getreten haben, wenn sich nur ein neuer Napoleon gefunden hätte. Der andre war ihm jenes Frankreich, das ihm die Bestimmung zu haben schien, die Frage unsres Jahrhunderts zu lösen. Er räumte den Deutschen alle Reichthümer der Phantasie, des Gemüths und der Denkkraft ein; aber daß wir selbst für unsre Freiheit nicht zu sorgen wissen, bewies es ihm nicht unsre Geschichte? Börne hatte von jeher den Gedanken, daß Deutschland und Frankreich die von einander gerissenen Theile eines großen Ganzen sind; er sahe in Paris Richtungen, welche den bisherigen Völkerverkehr mit einem System der Bruderliebe (wenigstens auf dem Papiere ehrlich gemeint) vertauschen wollten, er sahe so vieles, das die Deutschen sich hätten aneignen sollen, um eine Größe zu erringen, die durch Phrasen vom Deutschthum nicht errungen wird. Wem kommt dieser hohle Enthusiasmus der Franzosenfresser zu gute? Nur dem deutschen status quo, den Börne so gern geändert gesehen hätte. Börne hielt es für unpolitisch, Haß gegen ein Volk zu predigen, von dem wir, wenn nicht 280 wirklich lernen, doch uns, unsern heimischen Verhältnissen gegenüber, die Miene geben sollten, etwas zu lernen. Abgesehen von der Klugheit, fand er auch in der Art, wie Menzel seine Vaterlandsliebe begründete, etwas, das sein Gefühl beleidigte. Empört über die Begriffsbarbarei, die Menzel in einem weit verbreiteten Blatte den Deutschen zuzumuthen wagte, schrieb er seinen Menzel, der Franzosenfresser.

Der Hauptgedanke dieser kleinen, in Frankreich, Deutschland und der Schweiz mit Enthusiasmus aufgenommenen Schrift, ist der, die Vaterlandsliebe als eine Tugend darzustellen, die an sich schön, doch nur einem allgemeineren Antheile an der Geschichte unterzuordnen wäre. Börne weist nach, daß dem Publizisten in gegenwärtiger Zeit eine ganz andre Aufgabe gestellt sei, als die, die Völker gegen einander aufzuhetzen. Der politische Gedanke unsrer Epoche liegt nicht in der Rivalität der Staaten, sondern in ihrer organischen, innern Ausbildung. Wenn eine solche Art, über öffentliche Angelegenheiten zu schreiben, wie die Menzel’sche, in Deutschland um sich griffe, so würde die Publizistik zwanzig Jahre hinter der Aufgabe, die sie jetzt zu lösen hat, zurückbleiben. Börne zeichnet dieser einen ganz andern Wirkungskreis vor, als den, 281 einer nur zu leicht in Abspannung verfallenden Nation zu schmeicheln. Alle diese Erörterungen sind mit den witzigsten Seitenblicken auf einzelne Erscheinungen der politischen und literärischen Gegenwart untermischt. Es war eine Gabe, die den Reichthum verrieth, über welchen Börne noch kurz vor seinem Tode gebieten konnte.

Was aber noch mehr als der Gedankengang und die verdiente Geißelung des auf dem Titel genannten Schriftstellers, diesem Werke die Herzen aller Leser gewann, war der wehmüthige, elegische Ton, der das Ganze durchwehte. Selbst die Satyre verrieth, daß sie hier nicht aus dem Uebermuthe der richtigeren Einsicht, sondern aus dem Schmerze über die Verblendung und den Irrthum der Menschen geboren wurde. Kamen die Leser vielleicht dem Buche entgegen, daß es so versöhnend wirkte? War es die Enttäuschung über so viele Hoffnungen, welche die Geschichte der letzten Jahre in uns geweckt hatte, und die mit der schmerzlichen Resignation dieses Buches so befreundet zusammen stimmte? Den trüben Horizont, unter welchem es geschrieben schien, sahen wir Alle; die Hoffnung auf eine Zeit, wo die Wahrheit sonnenlicht durch die Wolken brechen würde, theilten wir Alle. Diese Schrift tödtete zwiefach Menzel’s Schriftstellerehre; sie 282 fand keinen Widerspruch und Börne besiegelte sie durch seinen Tod.

Ehe wir uns der Catastrophe nähern noch einige Lebensmomente!

„So lange ich Börne gekannt habe,“ erzählt E. Kolloff*), „bewohnte er ein kleines viereckiges Zimmer, mit einem einzigen Fenster, von wo man, Winters, eine Aussicht in die Rue Lafitte und gegen den Montmartre, Sommers, die Aussicht auf den Place d’armes in Auteuil hatte. Ein gewöhnliches Stehpult zum Arbeiten, an dessen Seiten zwei Handleuchter mit Wachskerzen eingebohrt waren, ein fauteuil à la Voltaire von rothem Maroquin, eine nicht sowohl zahlreiche, als ausgewählte Bibliothek mit deutschen, italiänischen, spanischen, englischen und französischen Werken, ein Tisch mit Journalen und Brochüren bedeckt, eine Art Schrank mit numerirten Schubkästen für Briefe, Manuscripte u. s. w. - Diese Gegenstände bildeten nebst einigen Fußteppichen das vollständige Ameublement des Wohnzimmers, worin Börne den größten Theil des Tages verweilte. In dem ganzen Kabinett waren nur noch zwei Plätze über [283] dem Fächerschrank und über dem Arbeitspult leer; den ersteren füllte eine bronzene Büste J. J. Rousseaus, den letzteren ein weibliches Porträt, voll Milde und Anmuth in den regelmäßigen begeisterten Zügen.“

„Börne fesselte mehrere französische Gelehrte und Journalisten gleich nach der ersten Unterredung. Eines Tages machte Nisard zufällig seine Bekanntschaft. Dieser Kritiker wurde im Laufe des Gesprächs von dem Ideenreichthum, welchen Börne ihm erschloß, so sehr überrascht, daß er sinnend Abschied nahm, und den folgenden Tag Börne bitten ließ, ob er ihm nicht die Hauptäußerungen seiner gestrigen Conversation aufschreiben wolle.“ Die Redakteurs des Reformateur mußten Börne in Auteuil besuchen, um ihn zu Beiträgen aufzufordern.

Aus dem letzten Winter Börne’s schreiben sich die interessanten Aeußerungen her, welche E. Beurmann in seiner Schrift „Ludwig Börne als Charakter und in der Literatur; Frankfurt 1837“ mit einer dem Kenner durch die Färbung derselben verbürgten Wahrhaftigkeit verzeichnet hat. Dieser durch lebhafte, schnelle Auffassung und feinen Takt für alles Charakteristische bekannte Schriftsteller regte, da er eben aus dem lauten Gewirr deutscher Bildungsfragen nach Paris kam, 284 Börnen zu treffenden Urtheilen über eine Menge damals besprochener Zeiterscheinungen, über Eckermann, Goethe, Strauß und Vieles Andre an. Börne bedauerte nur, durch die mangelhaften buchhändlerischen Verbindungen zwischen Frankreich und Deutschland sich auf Hörensagen da beschränken zu müssen, wo er so gern aus eigner Anschauung selbst geprüft hätte. Er bereitete damals seinen in Auteuil geschriebenen „Franzosenfresser“ zum Druck vor. Mit dem Beginne des Jahres 1837 verschlimmerte sich Börne’s Körperzustand so sehr, daß er seinen medizinischen Experimenten entsagen mußte. Dr. Sichel aus Frankfurt und mit ihm, ganz zuletzt, Dr. Hörle behandelten ihn, als es schon zu spät war. Die Grippe, die damals in Paris herrschte, gab den ersten Anstoß zu einem Leiden, das sich in ihm jetzt als unheilbare Brustkrankheit tödtlich ausbildete. Börne hatte die vollkommenste Gewißheit seines nahen Todes und erwartete ihn mit einer Ruhe, die eines Philosophen würdig war. Herzen, die ihm so nahe standen, nun betrüben zu müssen und nicht mehr trösten zu können, that ihm am meisten weh. Doch behielt er die Heiterkeit seines Geistes bis zur letzten Stunde. Als ihn der Arzt fragte: Was haben Sie für einen Geschmack? scherzte er und sagte: Gar 285 keinen, wie die deutsche Literatur. Wo bleiben denn die Jungen? hatte er noch einige Tage vor seinem Tode gefragt. Er verstand darunter seine jüngern Freunde, die ihn sonst zu besuchen pflegten. Als der letzte Augenblick am 12. Februar immer näher kam, umstanden ihn seine nächsten Umgebungen mit thränendem Auge. Ein Lichtschirm fiel um. Zu seiner Freundin, Mad. St. sagte er mit einem langen liebevollen Schmerzensblicke: Sie haben mir viel Freude gemacht! Abends um neun Uhr fühlte er sich erleichtert, aber die Aerzte erklärten dies für den Beginn der Todesstunde. Der Friedensengel nahte sich leise, hauchte noch einmal eine sanfte Erleichterung über den Ringenden und nahm ihn still in die Gefilde der Seligen hinüber. Um zehn Uhr war Börne todt.

Die Nachricht verbreitete Trauer unter allen, die seine Freunde, Bestürzung unter allen die seine Feinde waren. Man kam und sah den Todten; wie der Heimgang in’s Jenseits sein Antlitz verklärt und jeden Schmerzenszug aus ihm verwischt hatte. Man verabredete eine Leichenfeier, die des herrlichen Mannes würdig war, einfach und doch von der Liebe und Verehrung zeugend, die ihm ins Grab folgte. Ein Trauerzug von mehr als hundert Deutschen geleitete den 286 Sarg von der Rue Lafitte über den größten Theil des Boulevards langsam nach dem Gottesacker des Père Lachaise.*) Hier angelangt, trugen die nächsten Freunde des Dahingeschiedenen den Sarg zur Ruhestätte. Feierliche Stille, ein unbeschreiblicher Ernst bezeichnete den Augenblick, wo die Erde die Hülle des Vollendeten aufnahm. Venedey und Berly, jener ein Flüchtling, dieser ein in Frankreich etablirter Kaufmann aus Frankfurt, sprachen aus tiefster Seele einige ergreifende Worte. Dann trat Raspail, der Gelehrte, Raspail der unerschütterliche Republikaner, vor und sprach:

„Ich glaubte nur Thränen auf dieses Grab weinen zu können, das Sie mit Blumen umkränzt haben. Aber die Freundschaft, welche über der unbelebten Hülle unseres großen Schriftstellers wacht, fordert mich auf, ihm einige Worte der Erinnerung mit in die Gruft zu geben; in diesem Augenblick einer so traurigen Feier hat die Freundschaft die Kraft eines letzten Willens: ich gehorche, meine Herren, und Sie werden meinem Beispiele folgen, indem Sie mir Ihre 287 Nachsicht bewilligen; ich hatte mich nicht zu so großem Schmerz vorbereitet.“

„Meine Herren, ich habe die Hälfte unseres Philosophen, die diese Erde binnen Kurzem bedecken wird, nur wenig gekannt, und ich rechne dieses Mißgeschick zu meinen unglücklichen Ereignissen. Aber was die andere Hälfte betrifft, die uns bleibt, die tiefer als in Bronze gegraben ist, welche seine Feder getröstet hat, o! was diese unzerstörbare Hälfte betrifft, so habe auch ich sie genau gekannt, auch ich habe mich für würdig gehalten, sie zu lieben; und ich kann mit Ihnen sagen, ich habe nicht Alles verloren.“

„Nicht, meine Herren, daß ich die Anmaßung hätte, Ihnen den Charakter des Genies Börne's zu enthüllen, Ihnen die magische Kunst dieses Styls zu analysiren, welche ihn zum populärsten Schriftsteller Deutschlands gemacht hat; die Macht dieses tiefen Gedankens zu schätzen, eines Gedankens, der unter dem tiefen Schleier der glücklichsten Einfachheit so viel zu jener friedlichen Umwälzung beigetragen hat, die Deutschland an seinem Busen erwärmt. Bei der ersten Zusammenkunft mit Ihnen würde ich Sie darum bitten, mich diese letzte Pflicht erfüllen zu lassen, wenn die mangelhafte Erziehung, die wir in Frankreich er-288halten, es mir möglich machte, die Schönheiten einer Sprache zu empfinden, die so süß zum Ohre und zum Herzen tönt.“

„Leset, leset! würde ich Ihnen zurufen, wie man an Molière’s Grabe den Misanthrop und Tartüffe las, an Börne’s Grabe einige jener auserwählten Stücke, die Deutschland in funfzehn Bändchen gesammelt hat, anscheinend eine umfassende Sammlung und doch zu kurz für den Leser. Wie manche nächtige Lampe des im Lesen dieser Sammlung Vertieften erlosch erst beim Beginn des Tages! Wiederholt uns eine jener Allegorien, in welchen Börne mit jedem Federzug eine Wurzel des werdenden Despotismus abschnitt, wiederholt uns, zumal an diesem Orte, wo Thränen fließen, eine einzige jener tausend Seiten, in welchen Börne die Armen die Ergebung und die Reichen die Wohlthätigkeit, die Geächteten die Liebe zu einem Vaterlande lehrte, das sie zu vergessen schien; bewundernswürdige Werke, die man bei Ihnen in den Palästen, wie in der Hütte findet; denn sie zeichneten eine Zukunft, die keine andere Kategorie unter den Menschen gestatten wird, als die der guten Menschen unter einander, die sich gegenseitig hienieden unterstützen.“

289 „Aber, meine Herren, auch ohne Ihre Sprache zu verstehen, wurde mir das Glück zu Theil, Börne zu lesen und zu begreifen, und ich besitze ihn eben so gut, wie Sie. Er willigte eines Tages darein, in Frankreich die Sprache zu reden, durch welche er deutsche Herzen so tief bewegt hat, und er that Wunder; er wurde in Frankreich, wie in seinem Vaterlande verstanden, er hatte sich selbst übersetzt; und seit seinem Debut hatte er in der ersten Reihe unserer Original-Schriftsteller Platz genommen. Mißgönnen Sie mir nicht ein Gefühl, das aus Dankbarkeit sowohl, wie aus Eigenliebe fließt, es war in dem Reformateur, wo Börne sich als französischer Schriftsteller zeigte. Hätte ich geahndet, in Ihrer Mitte das Wort zu nehmen, ich würde jene kostbaren Fragmente mit mir hierher gebracht haben, deren Andenken meinen Kummer verdoppelt. In seinem Style fand man Béranger und Paul-Louis Courier vereint; aber sein Gedanke war zehn Jahr jünger; und zehn Jahre sind in der Revolution, in der jeder von uns begriffen ist, ein Jahrhundert des Fortschritts. Sie haben bemerken müssen, daß seine Feder im Französischen diesen unbeschreiblichen Zauber bewahrt hatte, der sich in geistreicher, oft sarcastischer Weise angekündigt und mit 290 einem tiefen Gedanken und einem hochherzigen Gefühle endet, gleich jenen ausländischen Früchten, die mit einem piquanten und fremdartigen Geschmack beginnen und sich in Wohlgeruch auflösen. Börne, Israelite von Geburt, war in seinen Schriften meiner, unserer Religion, der Religion der guten Menschen aller Länder; er glaubte an die allgemeine Verbrüderung, an die Gleichheit die man annimmt und die man nicht auferlegt; der Krieg der Völker unter einander schien ihm ein Verbrechen; einzig und allein zum Vortheil Einzelner begangen; die Nationalität ein ärmlicher Gedanke. Die Natur hatte in seinen Augen der Geselligkeit keine Grenzen in schwarz oder roth gezogen; auf der Oberfläche einer Erdkugel waren die Säulen des Herkules eine Chimäre; er sah den Koloß des Fortschrittes beide Ufer des Flusses, der zwischen Frankreich und Deutschland fließt, überschreiten und den Völkern beider Ufer, indem er ihnen die Hand zur Versöhnung reichte, es in’s Gedächtniß rufen, daß sie einem Geschlecht angehören, und daß sie denselben Pflichten unterworfen sind. Und er sagte das Alles, ohne sich in einem Lande etwas zu vergeben, wo die Gastfreundschaft Ihnen nur unter stets beunruhigenden Bedingungen gewährt ist, und wo die wenige Sonne, 291 um welche Sie uns bitten, mit einem Schleier verhüllt wird, dessen äußersten Saum zu lüften, Ihnen nicht gestattet ist, wollen Sie sich nicht einem Sturm aussetzen. Es bedarf eines großen Talentes, um einen Schein von Freiheit inmitten so vieler Hindernisse zu bewahren, und große Dinge unter dem Degengeklirre so kleiner Geister in gehöriger Weise zu besprechen. Dieses Talent hat Börne in Frankreich zur höchsten Stufe der Vollendung getragen. In diesem durchsichtigen und ärmlichen Körper, der sich über die Erde, wie über ein Vaterland schleppte, das ihm nicht angehörte, wohnte eine Seele, die für das Gute brannte, für das Schlechte litt, für die Vertheidigung der heiligen Sache des Volkes kämpfte; dieser Körper gehörte einem in sein Schicksal ergebenen Kranken an, einem tiefdenkenden und bescheidenen Schriftsteller, einem Märtyrer, bereit zu jeglichem Leid und jeglicher Duldung, und der sich den unglücklichsten Verhältnissen weihte; das Emblem der Tugend, die sein Talent ausmachte, malte sich in diesem unter Leiden lachenden Antlitz, in diesem satyrischen Ausdruck, den ein von der ausgesuchtesten Sensibilität entlehnter Blick belebte.“

292 „Doch Ihre Literatur wird alle diese Dinge besser zu sagen wissen, als ich, und ich werde mich nicht so weit vergessen, das Gemälde vervollständigen zu wollen. Frankreich, in dessen Namen ich leider allein sprechen muß, und das meinen Worten nicht widersprechen wird, Frankreich wird Börne Gerechtigkeit widerfahren lassen, die bei uns immer spät kömmt, aber die niemals am Grabe ausbleibt. Börne ist weniger bei uns bekannt gewesen, weil man, um bei uns von sich reden zu machen, Genossen haben muß, und Börne hatte nur Bewunderer. Aber der Tod versöhnt das Genie mit dem undankbaren Ruf, und unsre Literatur wird, so hoff’ ich, eine ihrer schönsten Kronen auf dieses Grab heften, welches die Natur mit den einfachen und natürlichen Blumen schmücken wird, mit denen sie stets am Grabe des Armen und an dem des Freundes der Armen so freigiebig ist.“

„Was mich betrifft, der ich hier nur den Tribut meines Schmerzes darbringe, so grüß’ ich dich, o Börne, nicht in dieser Gruft, die bald drei Fuß Erde decken werden, sondern in jenen lichten Räumen, wo unzählige Welten in unerforschter Harmonie über dieser kleinen Erde rollen, die wir unser Universum nennen; ich grüße Dich in jener großen Werkstatt der Intelli-293genz, wohin deine Seele emporstieg, wie zu ihrer Quelle. Du empfängst jetzt unsere Ehrenbezeugungen, nicht als leere Formen, sondern als den Tribut der Gerechtigkeit; Du würdigst jetzt Deine Schriften mit demselben Auge, mit welchem wir sie stets gewürdigt haben, Du hast Deine Bescheidenheit mit ins Grab gegeben, indem Du selbst in die Heimath der Wahrheit übertratst. Mögest Du selig sein, o Börne! mögest Du Dich selbst erkennen! Und wenn zwischen den Todten und Ueberlebenden ein Gesetz geistiger Mittheilung von den Regionen herab, wo Du wandelst, besteht, so sende uns auf den Schwingen der Ahnung einige jener trostreichen Wahrheiten, die Du jetzt im offenen Buche liesest, für die Zukunft, die uns verborgen ist. Inmitten des Schauspiels so vieler systematischer Verderbniß, so vieler treulosen Freundschaft, das von Tage zu Tage mehr hervortritt, wird dieser Traum den Kummer mildern, der uns drückt, den Kummer, daß wir Dir noch nicht gefolgt sind, nach Oben!“

Der Bildhauer David, der ein Freund Börne’s war, machte den Entwurf eines Denkmals: einen Marmorsarg, an dessen oberm Ende eine Pyramide mit Börne’s Bildniß stände. Ein Versuch für die Errichtung eines solchen Monuments Börne’s Freunde 294 zu Theilnehmern zu machen, scheiterte vorläufig noch an der Furcht der Meisten, sich als Freunde Börne’s offen zu bekennen. Sehr nahe Freunde, in Frankfurt namentlich, trifft in dieser Rücksicht der Vorwurf einer gar matten Feigheit. Einstweilen begnügte sich die Familie, in deren Schooß Börne sein Leben aushauchte, den Hügel, der seine sterblichen Reste bedeckte, mit Blumen und einem Kreuze zu bezeichnen. Der Sturm, der die Höhen des Père Lachaise oft bestreicht, soll dieses Friedenszeichen eines Tages entwurzelt haben. Die Einen werden sagen, dies wäre eine Mahnung gewesen, daß das Kreuz dem nicht gebühre, der in seinem Unmuth einmal erklärte, ihn reue das Geld, das ihm seine Taufe gekostet. Die Andern werden sagen: Es war ein unpassendes Symbol für einen Denker, dessen religiöses Glaubensbekenntniß über alle positiven Formen der Religion hinübergriff. Mögen beide Ansichten sich vereinigen, wie sie können! Wir wollen denken, daß jenes umgeworfene Kreuz keine Mahnung für Börne, sondern für uns sein sollte. Der Sturm wollte sich in Erinnerung bringen. Er wollte Blumen und Zeichen des Friedens von einem Grabe wehen, das uns nicht zur Klage, sondern zur That auffordert. Nicht mit Thränen will der 295 Vollendete seinen Hügel benetzt sehen, sondern aus dem Sturme ruft er uns zu, wach zu bleiben. Eine eiserne Lanze sollte man in dies Grab stecken und zwey freischwebende metallene Schilde daran aufhängen. Ewig vom Spiel der Winde bewegt, würde ihr Ton das redendste Denkmal eines Grabes sein, um welches kein Schweigen herrschen darf.

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Börne war klein und hager von Gestalt. Seine Haltung war nachlässig. Gern hielt er die Hand auf den Rücken gelehnt. Seine Gesichtsfarbe bleich, das schwarze Haar dünn, das Auge hellglänzend. Ein spärlicher Bart bedeckte die eingefallenen Wangen. Das in Lithographieen und Stahlstichen verbreitete Gemälde des Malers Oppenheim wird als sehr ähnlich gerühmt, David arbeitete ein Medaillon, das dem Gemälde an Aehnlichkeit nicht gleichkommen soll.

Ein Freund des Verstorbenen schreibt mir von ihm: „Börne war von kräftigem, aber zartem Körperbau. Seine Stimme war angenehm wohlklingend, mehr hoch als tief und nicht stark. Sein Auge dunkel und feurig; sein Gesicht von den Blattern entstellt, aber 296 regelmäßig geformt. An seinem feinen und schönen Munde erkannte ein Physiognomiker leicht die Kraft seiner Ironie. Börne war ungemein sauber, aber man sah es nur nicht immer. Die Spuren des Tabacks entstellten die gewählte, saubre Wäsche. Wenn er sorgfältig auf die Pflege seiner schönen Hand hielt, so war dies mehr aus Gewohnheit, als aus Absicht. - Aeußerlich von einer ruhigen Gemüthsart, erschien er auch selbst dann ruhig, wenn es heftig in der Brust kochte. Die Ruhe war einmal seine Art, nicht anerzogen oder erlernt. - Er war sehr mäßig, aß wenig, trank nie Wein und hatte überhaupt wenig Bedürfnisse. Nichts desto weniger verbrauchte er auf Kleinigkeiten viel Geld. Wenn er an einem Laden vorbeigieng und es gefiel ihm etwas, so kaufte er es, selbst wenn es Spielereien waren, die er verschenkte. Er hatte oft die Taschen voll Naschwerk, um Frauen und Kinder damit zu füttern. Für seinen Umgang mit Frauen und Kindern machte ihn besonders auch seine unermüdliche, nur zu oft auf die Probe gestellte Geduld fähig. - Als ich Börne kennen lernte, war er sehr hypochondrisch. Zum Theil hatte diese Hypochondrie einen körperlichen Grund. Er litt, sehr blutreich, an Congestionen nach Kopf und Brust. Zum Theil lag 297 die Hypochondrie damals an dem Triebe, sein Talent durch irgend etwas geltend zu machen, während ihm dafür das rechte Material fehlte, bis sich später das Volksleben an ihn drängte und er sich von den Wogen der Zeitgeschichte treiben ließ; die Sorge um das Allgemeine ließ nun den eignen Körper vergessen; die Klage um das eigne Unbehagen verhallte im Schmerzruf der Allgemeinheit. Mein eignes prosaisches Verdienst dabei ist dies, daß ich ihm das Rauchen empfahl. Nun blies er seine Grillen in die Tabackswolken und wurde ein so leidenschaftlicher Raucher, daß darüber seine Hypochondrie in Dampf aufgieng. - Durch seine Hämorrhoidalcongestionen hatte Börne mehrmals Anfälle von Bluthusten, welche ihn öfters in Lebensgefahr brachten. Organische Veränderungen in den Lungen fanden dabei nicht statt und immer glückte es, ihn wieder herzustellen, bis in den letzten Jahren, wo diese Anfälle wegblieben, sein Leiden einen Charakter annahm, der ihm den Tod brachte.“

In die voranstehende Erzählung der einfachen Begegnisse, die Börne’s Leben bildeten, ist die Beurtheilung seines sittlichen und schriftstellerischen Charakters bereits verflochten. Börne sah das Loos, das ihn als Jude geboren werden ließ, als ein Glück an; denn 298 er behauptete, er wäre dadurch vor dem „Philisterwerden“ geschützt gewesen. Die unbestechliche Reinheit seines Willens, die Uneigennützigkeit seiner Handlungen, seine Wohlthätigkeit und Wahrheitsliebe werden selbst von seinen Feinden eingeräumt. Stellen wir seine sittliche Entwickelung in eine Parallele mit andern Bildungsgängen, die, gänzlich verschieden von ihm, nicht minder ehrenwerthe Charaktere erzielten, so würden wir nachstehende Betrachtung uns nicht versagen dürfen. Halten wir ein ernstes Todtengericht!

Börne’s Gemüthsbildung bekam durch die Unbefangenheit, mit der er sich zur Welt stellen durfte, eine eigne Färbung. Man wird in dem einfachen, in diesen Blättern aufgerollten Leben eine harmlose Ruhe und eine Glückseligkeit finden, um die man Börne beneiden möchte. Geboren von vermögenden Eltern, bevormundet von einem Vater, der sein Bestes wollte, der Sorge für die Zukunft durch Aussicht auf künftige Erbschaft überhoben, ohne den Ehrgeiz, in der Gesellschaft oder im Reich der Geister glänzen zu wollen, nahm er das Leben, wie es sich ihm bot, unbefangen und unbekümmert um Gegenwart und Zukunft. Erst wenn man ein Leben voller Mühe und Sorge dem Leben Börne’s gegenüber hält, wird man 299 aus dem Unterschied den Eindruck ermessen, den Börne's glückliches Schicksal auf seinen Charakter hinterließ. Er kannte es nicht, wie man in Armuth geboren wird, früh einen höhern Beruf in sich fühlt und schon als Knabe durch die Verzweiflung, von den Hülfsmitteln dazu verlassen zu sein, heimgesucht wird. Börne hat dieses Streben eines feurigen, über seine Geburt hinaus ringenden Geistes nicht gekannt. Fremd war ihm der Eifer des Jünglings, sich im Leben eine Stellung zu erwerben, einer Geliebten das Gefühl zu schenken, etwas Bedeutendes in ihre Arme zu schließen, fremd war ihm die verzehrende Gluth nach Auszeichnung und der Zwiespalt, in welchen hier Ehrgeiz und Stolz gerathen. Er konnte seine Grundsätze mit einer Ruhe pflegen, wie man eine schöne Hand pflegt. Er zitterte nicht vor dem leeren Nichts einer Zukunft, die uns verschlingen wird, wenn wir nicht rührig sind, emsig streben, aufwärts, vorwärts, immer ein Ziel im Auge, unverrückt, wie es kräftige Geister von Natur thun, und minder kräftige durch ihr Schicksal zu thun gezwungen sind, da sie anders zu besorgen hätten unterzugehen. Das Bild des Horaz: die dunkle Sorge, die gespenstisch den athemlosen Reiter peitscht, kannte er aus eigner Erfahrung nicht. Nicht Weib, nicht 300 Kind hiengen sich an sein eignes Dasein und schrieben seiner Handlungsweise Gesetze vor, die dem Biedermann das Herz abdrücken können da sie dem Gefühl oft widerstreben und doch von der Nothwendigkeit geboten werden. Nicht einmal als Schriftsteller verfolgte Börne ein Ziel. Er ließ sich vom Leben, von den Ereignissen bestimmen. Er hatte Muße und Bequemlichkeit genug, um sich aus hundert ihm angebotenen Lagen diejenige auszuwählen, die ihm am besten gefiel.

Kann aber dieser Mangel einer bedeutenden und poetischen Individualität, der Börne’s Leben bezeichnet, einen Vorwurf begründen? Nimmermehr. Das rastlose Streben eines Genius fehlte ihm; er sah’ sich dadurch vor vielem Unglück bewahrt. Auch sieht man aus jener Vergleichung, daß ihm in seiner Verfassung manches leichter werden mußte, als es gemeiniglich Andern wird. Seine Ruhe ist nicht die Frucht eines Sieges, das Resultat einer weisheitsvollen Betrachtung und Ueberwindung seiner Leidenschaften gewesen, sondern eine angeborne Heiterkeit, die von einer glücklichen Lage unterstützt wurde. Seine Harmlosigkeit und Herzensgüte, die wir rühmend anerkannten, war eine mehr negative Tugend, da sie sich ihrer selbst nicht bewußt 301 war und mehr im Unterlassen, als im Handeln offenbarte. „Manche bittre Erfahrung hatte sein Gemüth verstimmt“ - schreibt der Verfasser der oben erwähnten „Erinnerungen an Börne.“ Börne’s Freundin widersprach gegen mich dieser Aeußerung und sagte: Nein, sie wisse davon nichts, er wäre immer heiter und ruhig gewesen. Ich gestehe, daß ich mich in diese Stimmung Börne’s wohl versetzen kann; sie ist mir aber mehr eine Thatsache, als ein besonderer Ruhm. Ein wenig mehr Unruhe, Sorge, Thorheit würde man dem warmen Herzen eines edlen Menschen schon nachgesehen haben. Das Ruhmvolle für Börne liegt darin, daß er seine Indolenz kannte und an die Beurtheilung fremder Persönlichkeiten mit bescheidener Prüfung gieng. Meinungen verwarf er mit Entschiedenheit; Menschen zu beurtheilen, schien ihm schon bedenklicher. Er ließ fremde Bildungsprozesse mit großer Nachsicht gelten und nahm, wenn er Irrthümer verdammte, doch nicht selten die Art, wie sie entstanden, in Schutz. Er verwarf die Bestrebungen mancher Convertiten, die von Wien aus für die Restaurationsideen schrieben; aber von dem Bildungsgange derselben sprach er mit einer Mäßigung, die errathen läßt, wie wenig er sein eignes, vom Zufall bestimmtes, von bürgerlich erträg-302lichem Glücke angelächeltes Dasein, ein Dasein behaglich-heitrer Abspannung, für normal halten durfte.

Der materielle Werth der Schriften, die Börne hinterlassen hat, liegt zunächst in ihrer Beziehung zur Zeitgeschichte. Der künftige Geschichtsschreiber unsrer Epoche wird sie zwar nicht als Aktenstücke brauchen können, um aus ihnen Thatsachen festzustellen; aber den Pragmatismus der Begebenheiten wird er aus ihnen entlehnen dürfen: die Lichter und Schatten seines Gemäldes; nicht die Melodie, wohl aber die Harmonie seiner Tonsätze. Denn diese Schriften spiegelten nicht immer die ewigen Sterne der Wahrheit ab, sondern oft auch die Dunstwolken, die sich zwischen den Himmel und die Erde legen. Die Sage, das Gerücht drängte dem Verfasser die Feder in die Hand; oft hatte die Sage wahr gesprochen, oft ist aber auch nur das Urtheil und die Gesinnung, die sie hier hervorrief, wahr, sie selbst wurde berichtigt. So breitet sich in diesen Schriften die ganze gleichzeitige Epoche aus, mit ihren Hoffnungen und Wünschen, mit ihren Schmerzen und Thorheiten, so weit nur ein freies, vom bösen Willen nicht umflortes Auge trug. Zu diesem Quellen-Werth kömmt die Natürlichkeit der in diesen Schrif-303ten niedergelegten Weltanschauung. Sie sind ein Unterpfand, daß man auch ohne die Weisheit der Hörsäle ein System haben kann. Sie beweisen, daß die beste Philosophie in der Schule des Lebens gelehrt wird. Börne war nicht eingeweiht in die Geheimnisse der Kathedersprache, und dennoch erschrak er vor einer Frage nach dem Höchsten nicht. Fanden die Gelehrteren Gott im Grunde alles Seins, so fand er ihn in der Geschichte; wußten jene das Räthsel des Lebens in eine Formel zu bannen, so sprang es ihm aus einer That entgegen. Börne war Naturalist in dem Sinne wie es Lessing war. Lessing wollte keine Wahrheit, er war zufrieden mit dem Streben darnach. Börne’s Schriften sind ein Stahlbad, in das man, entnervt durch Abstraktion und Dachstubenweisheit, niedertaucht und zu neuer Lebensfrische sich stärkt. Irgend einer seiner politischen oder ästhetischen Grundsätze mag einer höhern Spekulation weichen müssen, aber die Unmittelbarkeit, mit der hier selbst das Irrthümliche frisch aus dem Herzen hervorquoll, hat etwas wunderbar Stärkendes und wird diese Kraft so lange bewahren, als unsre Literatur diese jeweilige Lüftung ihrer Atmosphäre, diesen Anblick einer in Gottes freier Natur gewonnenen, 304 auf dem Felde blühenden subjektiven Ueberzeugung noch immer manchmal bedürfen wird. Die geistreiche Form dieser Schriften ist endlich das Salz, das ihnen für alle Zeiten die Frische des Augenblicks sichert. Ergebnisse einer Journalisten-Laufbahn, sind diese kleinen Einzelheiten doch im feinsten ästhetischen Proceß so crystallisirt, daß selbst die winzige Tagesfliege, die gerade in dem Schöpfungsmoment zwischen die flüssige Masse gerieth, mit der schönen Gestalt des Ganzen bleiben und noch der Nachwelt ein Anlaß der Erheiterung sein wird. Das Zufälligste wird hier in seiner an der Luft abgekühlten, sichern Form verharren. Selbst das Unbedeutende blieb in Pompeji und Herculanum in seiner zufälligen Form, da ein Gott es überraschte; so bleibt auch im Reich der Geister jede noch so zufällige Stellung, wenn sie der Künstler überrascht.

Dafür hat Börne mit der größten Gewissenhaftigkeit an seinen Werken gearbeitet. Er warf nie etwas nachlässig aufs Papier, sondern selbst der kleinste Brief trug den Stempel einer, sich auch in seiner winzigen aber festen Handschrift kund gebenden Bedachtsamkeit. Mit den Vorarbeiten zum Nieder-305schreiben war er länger beschäftigt, als mit dem letztern selbst. Die Gedanken boten sich ihm in bunter, neckender Fülle dar; aber er wählte nur die, welchen sich ein schönes Kleid überwerfen ließ. In züchtiger Schönheit mußte bei ihm das Wort auftreten. Einen wild wuchernden Styl, einen Gedankengang über Stock und Stein, haßte er. So trug er das, was er niederschreiben wollte, lange mit sich herum und formte tagelang an einem Satze, wenn er ihm nicht gleich die gewünschte schöne Rundung abgewinnen konnte. Es war dies nicht Koketterie, sondern die ihm angeborne Achtung vor dem Werth der Sprache. Er wußte, daß, auch um Gedanken an den Mann zu bringen, man ihnen eine reiche stylistische Mitgift geben muß. Die schönsten Ideen bleiben, wenn sie äußerlich arm sind, sitzen. Börne brauchte oft zu einer kurzen Kritik vierzehn Tage. Um einen Druckbogen zu füllen, rechnete er gewöhnlich eine Woche.

Wenn es die Aufgabe unsrer Literatur sein sollte, sich in eine encyklopädische Thätigkeit zu zersplittern und nur noch die Thatsachen der Geschichte und des Völkerlebens widerzuspiegeln, dann würde Börne für diese Richtung werden, was Goethe für die schöne 306 Literatur aus rein formellem Gesichtspunkte ist. Aber auch selbst dann, wenn die Literatur sich einer speculativeren Begründung ihrer Prinzipien unterordnen sollte, würde Börne seine Stellung als Vertreter des reinsten Ausdrucks unmittelbarer Verstandeswahrheit, eine Stellung von großer supplementarischer Bedeutung, behaupten. Oder, was das Wahrscheinlichste ist, wenn die deutsche Literatur sich vereinfachen und ihre gegenwärtige Anarchie von künstlerischer Formenschönheit beschworen werden sollte, selbst dann wird Börne sich erhalten; denn, ob er gleich nicht Dichter war, so wußte er doch die Stoffe der Dichtkunst weise zu sichten. Er empfiehlt diejenigen Formen und Behandlungsweisen, die dem Volke verständlich sind; er vertritt der ästhetischen Selbstgenügsamkeit den Weg und fordert, daß der Dichter sich dem Ideale, nicht das Ideal seiner Eitelkeit opfert. In allen diesen Beziehungen, mag die Zukunft nun das Schicksal unsrer Literatur entscheiden, wie es die Musen wollen, hört Börne’s Zusammenhang mit ihr nicht auf. Seine Schriften stecken unsrer Literatur kein Ziel auf; aber sie werden ein Weg bleiben, den sie nicht wird umgehen dürfen, um zu irgend einem zu gelangen.

307 Wenn wir die vergangenen Zeiten überblicken, und im Reich der Geister für Börne eine Parallele suchen, so finden wir nur einen Namen, der mit ihm passende Vergleichungspunkte darböte, Jonathan Swift. Wunderbar, daß selbst in äußern Lebensverhältnissen eine Aehnlichkeit zwischen Börne und dem witzigen Dechanten von St. Patrik statt findet. Beide standen sie zu weiblichen Wesen in einem Verhältniß, das sich im Bewußtsein seiner höheren Weihe kühn dem Urtheil der Welt aussetzte. Beide verfolgten ihre entscheidendste Wirksamkeit aus einer Art von Verbannung; denn auch Swift war in Irland den politischen Händeln, denen er eine so große Aufmerksamkeit widmete, persönlich selbst entrückt. Freunde, die es bestätigen können, daß Börne niemals etwas von Swift gelesen hat, waren erstaunt, in der schriftstellerischen Art dieser beiden Männer so viel zutreffende Aehnlichkeiten zu finden. Beide kämpften sie gegen politische Mißbräuche, beide knüpften ihre Geisteserzeugnisse an Erscheinungen des Tages, beide besaßen sie das Talent, höchst komische Situationen und Staffagen für ihre Ideen zu erfinden. Auch darin trifft die Aehnlichkeit zu, daß Börne und Swift, beide beschuldigt wurden, daß sie ihren Zorn 308 über die Mißbräuche der Welt nur ihrer Hypochondrie verdankten; ein Vorwurf, der freilich bei dem Dechanten begründeter war, als bei Börne. Denn Börne starb mit lächelnder, wenn auch schmerzlicher Resignation, Swift aber in geistiger Entkräftung. Auch der Styl beider Schriftsteller ähnelt sich in der Naivität, mit der sie in ihren Darstellungen anzusetzen pflegen, um dann allmälig zu den ergreifendsten Consequenzen zu kommen. Beide erkannten, daß das Geheimniß des Witzes in dem plötzlichen Losschlagen einer harmlos angelegten Mine liegt. Freilich sind sie auch wieder in Anderem sich völlig unähnlich. Swift übertraf Börnen an combinatorischem Talent (Poesie kann man seine Allegorieen nicht nennen, am wenigsten die für Erwachsene zu kindischen und für Kinder zu ernsten Gulliver-Reisen). Börne übertraf ihn an sittlichem Ernste und Charakterfestigkeit. Swift war unendlich gelehrter als Börne, aber Börne’s Darstellung hat auch darum um so weniger Ballast; man muß nicht so viel Langeweile in Kauf nehmen, bis man an eine erquickliche, grüne Oase kommt. Swift schrieb mit einem Cynismus, für den ein heutiger Schriftsteller gesteinigt würde. Swift ist der ganze Börne, wenn man etwas hinfügt, das 309 Börne nicht kannte, Leidenschaft und Ehrsucht. Die schriftstellerische Haltung Swift’s ist weit unruhiger, als Börne’s, der, wenn auch mit allen Hunden und Rezensenten gehetzt, doch immer eine würdevolle Ruhe behauptete. Swift’s schriftstellerische Beweglichkeit geht sogar in Grimasse über, wenn er die Manieren anderer Schriftsteller nachahmt und ihre Bescheidenheit oder ihre Anmaßung, ihren Ungeschmack (Wotton) oder ihre moralisirende Heuchelei (Dryden) lächerlich zu machen sucht. Börne’s Witz ist auch deßhalb treffender, als der Swift’s, weil jener mehr gegen Einzelnes, dieser gegen ganze Massen gerichtet ist. Braucht doch Swift fast immer die Menschen in ihrer Gesammtheit, um in seinen reformatorischen Humor zu kommen! Er ist ein hypochondrischer Pessimist, der als Folie seiner Satyre die Schlechtigkeit des Universums nimmt. Bei Börne kommen sehr selten die Fälle vor, wo der Schriftsteller den gewissenhaften Menschen- und Zeitbeurtheiler überwältigt, wo er dem formellen Gelüst an einer witzigen Wendung eine Idee oder einen Menschen geopfert hätte; Swift verräth aber überall, daß sein Humor nicht würde bestehen können, gäb’ es nicht so viel zu tadeln und schamroth zu machen. 310 Swift’s moralische Entrüstung und politische Freimüthigkeit entstand zum großen Theil auch daher, weil er wohl wußte, daß der Negirende immer auch in einer witzigeren Position ist. Swift wurde am Ende seiner Tage von allen Geistesgaben plötzlich verlassen und athmete schon lange vor seinem Tode seinen ganzen innern Menschen aus. Börne dagegen wurde, je älter, je reifer und starb nur daran, daß das irdische Gefäß zu klein für die überschäumende Fülle seines Geistes wurde.

Apparat#

Bearbeitung: Martina Lauster, Exeter#

1. Textüberlieferung#

1.1. Handschriften#
1.1.1. Übersicht#
Es sind keine handschriftlichen Überlieferungsträger bekannt.
1.2. Drucke#

Gutzkow schrieb seine Börne-Biographie als Supplement zu Börnes „Gesammelten Schriften“ für den Verlag Hoffmann & Campe, dessen ausschließliche Rechte auf diese Werkausgabe 1839 ausliefen. Der Verleger Julius Campe wollte durch den Supplementband einen Anreiz bieten, Restbestände der Ausgabe zu verkaufen und Börnes Nachlassverwalterin Jeanette Wohl-Strauß zur Verlängerung der Rechte und Bereitstellung unpublizierter Materialien zu bewegen. Das Erscheinen des Bandes verzögerte sich bis August 1840. Eine um neue Quellen erweiterte und berichtigte Ausgabe von Börne’s Leben erschien 1845 in Band 6 von Gutzkows eigenen Gesammelten Werken; dazu siehe die Übersicht unter 2.2. Gutzkow nahm die Börne-Biographie 1876 nochmals in Band 12 seiner Gesammelten Werke auf.

E. Börne’s Leben. Mit Börne’s Bildniß in Stahl gestochen und einem Facsimile. Hamburg: Hoffmann und Campe, 1840. (Rasch 2.21)
A1. Börne’s Leben. (Aus Börne's ungedrucktem Nachlasse reich vermehrt.) In: Gesammelte Werke von Karl Gutzkow. Vollständig umgearb. Ausgabe. Bd. 6. Frankfurt/M.: Literarische Anstalt, 1845. S. 3-288. (Rasch 1.2.6.1)
A2. Börne’s Leben. In: Gesammelte Werke von Karl Gutzkow. Erste vollständige Gesammt-Ausgabe. Erste Serie. Zweite vermehrte und verbesserte Auflage. Bd. 12. Jena: Costenoble, [1876]. S. 205-429. (Rasch 1.5.12.3)

2. Textdarbietung#

2.1. Edierter Text#

E. Der Text folgt in Orthographie und Interpunktion unverändert dem ersten Buchdruck. Textsperrungen werden übernommen. Silbentrennstriche (=) werden durch - wiedergegeben. Die Seitenzählung wird mit Klammern [ ] an den betreffenden Stellen in den Text eingefügt. Die Seiten-/Zeilenangaben im Apparat beziehen sich auf die Druckausgabe des Werkes im Band: Börne’s Leben. Hg. von Martina Lauster und Catherine Minter. Münster: Oktober Verlag, 2004. (= Gutzkows Werke und Briefe. Abt. IV: Schriften zur Literatur und zum Theater, Bd. 5.)

Die Liste der Texteingriffe nennt die von den Herausgebern berichtigten Druckfehler sowie die Emendationen. Fehlende oder überzählige Spatien im Erstdruck wurden stillschweigend korrigiert.

2.1.1. Texteingriffe#

1,4 in’s Stocken in Stocken berichtigt nach A2

13,32 überein, daß überein, das

20,26-27 In-den-Tag-Hineinlebens In-den Tag-Hineinlebens

22,22 Paragraph Paragraphe

25,20 Dichter- und Dichter und

26,7 Montesquieu Montesquien

35,20 so gern sogern

36,1 was ihn was ihm

37,4 herrschen herschen

38,22 und un ausgefallene Letter am Zeilenende

39,12 Herzlosigkeit Herz losigkeit nicht gesetztes Trennungszeichen

39,14 zu [37] vertheidigen zu-[37]vertheidigen  falsch gesetztes Trennungszeichen

41,25-26 Ehrfurcht vor Ehrfurcht von

48,17 Rektor des Rektor, des

48,32 noch nach

49,11 uns aus berichtigt nach A1

51,27 maaßlos maaslos

60,19 Studenten-Lebens Studenten-Leben

61,14-15 Preußischen Preußichen

66,7 handeln handeln

68,34 baierische baiersche

71,22 rings um ringsum

73,22 Zukunft die Zukunft, die

74,5-6 unterdrückte; [95] gewissenhaft unterdrückte; [95] Gewissenhaft

84,11 das daß

84 Fußnote, Zeile 4 daß er sich das er sich

85,6 Immermann Immerman

86,26 niemals nimals

89,14 Uebersichten Ubersichten

89,17 Publizisten Puplizisten

101,18-19 Herrn von Malesherbes Herrn von Malesherbes

104,26 in seinen in seinem

108,24 das daß

108 Fußnote, Zeile 1 daß es ihm das es ihm

123,19 Suppe. Décazes Suppe Décazes nicht gesetztes Satzzeichen

129,6 Stellung Sellung

130,1 wissen. Es wissen. Es ausgefallenes Satzzeichen

131,29 Frauen. Die Frauen Die ausgefallenes Satzzeichen

136,19 seinem seinen 

137,14 Zu bedauern Zubedauern

138,32 Hohenstaufen Hofenstaufen

153,5 daß das

162,1 das daß

173,32 20. Juli 20 Juli

175,1 daß das

175,7 La Mennais’ beurtheilte La Mennais, beurtheilte

176,22 ihm ihn

180,19 Schriftsteller Schrifsteller

180,24 Reformateur Roformateur

182,22 Sie sie

186,24-25 Kolloff*), „bewohnt Kolloff*),“  bewohnte

186,30 fauteuil fauteueil

191,6 Paul-Louis Courier Paul-Louis-Courier

195,20 ließ; ließ,

196,1 verflochten verpflochten

197,22 Auch sieht man Auch man sieht berichtigt nach A1

201,20 aussetzte. aussetzte,

Errata#

Zur Buchausgabe (GWB IV, Bd. 5) sind folgende Textkorrekturen zu vermerken:

47,18 Ernst lies: Ernst

47,24 Marx lies: Marx

77, Fußnote, Zeile 1 der- lies: der

67, Fußnote, Zeile 3 einrücken lies: einrücken.

133,21-22 Ho-frath lies: Hof-rath

100,14 Zwey der berühmtesten Kritiken Mit Absatz-Einzug

159,8 viele lies: viel korrigiert anhand des → Brief-Facsimiles, dessen Original Gutzkows Transkription zugrunde lag

2.2. Faktische Berichtigungen, Erweiterungen und Kürzungen des Textes von E in A1#

106,5-7 als plötzlich das fernere Erscheinen der Zeitschrift in Offenbach verhindert und Börne auf Großherzogliches Hessisches Ansuchen gefänglich eingezogen wurde.

Dies wird berichtigt durch die Schilderung von Börnes Rheinreise im Herbst 1819, auf der er mit Görres, Schleiermacher, A. W. Schlegel und Arndt zusammentraf, und seines ersten Parisaufenthaltes. Beide gingen der Inhaftierung voraus. (A1, S. 135-136.)

107,16-18 Er äußerte später noch oft die Absicht, einmal diese Geschichte seines Gefängnisses zu schreiben. Es würden sicher sehr humoristische Mi prigione geworden seyn.

Auf die tatsächliche Existenz dieser humoristischen Gefangenschaftsskizze wird nun verwiesen; sie war im zweiten Band von Börnes „Nachgelassenen Schriften“ erschienen. (A1, S. 138.)

108,15-16 deren Strafbarkeit ihn nur allein treffen dürfte.

Nach diesem Absatz findet sich eine Ergänzung, die Börnes Aufenthalte in Stuttgart und München schildert. Sie wurden für seine publizistischen Kontakte wichtig. (A1, S. 140.)

118,17-18 Börne konnte damals, als er zum ersten Male in Paris lebte

Berichtigt zu: Börne konnte damals, als er (zum zweiten Male) 1822 in Paris lebte (A1, S. 152).

119,1-6 Aus jener Zeit reihen wir hier einige Brieffragmente an, die aus Börnes Verkehre mit Friedrich Murhard in Kassel stammen, einem Publizisten, der ihm nicht bloß als Herausgeber der politischen Annalen, sondern auch aus näherm Zusammentreffen in Frankfurt befreundet war.

Dieser gesamte Passus ist, wie auch die folgenden Briefstellen bis einschließlich 124,14, gestrichen. Gutzkow hatte erfahren, dass diese Mitteilungen in den von Murhard redigierten „Politischen Annalen“ bereits veröffentlicht worden waren. An Stelle des gestrichenen Textes finden sich eine Reihe von Aeußerungen Börnes [...], die nach mündlichen Gesprächen ohne sein Wissen niedergeschrieben wurden (A1, S. 153). Der ersetzende Text geht in A1 bis einschließlich S. 156.

124,17 Als Börne im Jahre 1822 Paris verließ

Die Jahreszahl ist berichtigt zu 1824. (A1, S. 156.)

135,7-8 Ein witziger Prospektus lud das Publikum zur Subscription ein.

Hier folgt ein Zusatz, der die Vorbereitungen für die „Gesammelten Schriften“ im Sommer und Herbst 1828 erwähnt, als Börne und Jeanette Wohl sich in Gesellschaft des Komponisten Aloys Schmitt und seiner Familie zunächst am Rhein, dann in Hannover aufhielten. (A1, S. 181.)

135,9-136,27 Auf der Reise nach Hamburg [...] reiste er allein nach Hamburg.

Diese Passage, die sich auf Börnes Aufenthalt in Kassel konzentriert, erscheint in modifizierter Form an späterer Stelle, nämlich nach dem zweiten Hannover-Aufenthalt (138,7 folgend). Nach 139,8-9: Diesen Sommer aber von 1829 sollte er wenig Kirschen essen folgt ein Hinweis auf die Rückreise von Hannover, die Börne nach Kassel zum befreundeten Murhard führte. Außerdem korrigiert Gutzkow die Aussage über Börnes Bedienten in einem Zusatz zu 136,19-21, in dem er klarstellt, dass Konrad nach Börnes Tod zuerst in den Dienst Meyerbeers trat, dann als Begleiter des Landschaftsmalers Bertin nach Italien reiste und schließlich nach Paris zurückkehrte, wo er eine Französin heiratete (A1, S. 181-185). Die Erwähnung einer ungeklärten gemüthlichen Aufregung, die Börne in Hannover erlebte, entfällt (136,25-27).

163,12-16 Eine weitere Schilderung dieses sehr beklagenswerthen Mißverhältnisses zwischen Börne und Heine wünschten wir durch eine von Heine versprochene Darstellung desselben nicht hervorgerufen zu sehen. Sie kann für das Publikum nur von geringem Interesse sein.

Dieser Passus ist ersetzt durch weitere Informationen zum ‚Missverhältnis‛ der beiden Kontrahenten anlässlich der von Richard Otto Spazier und Eugen v. Breza ab 1834 herausgegebenen Sammlung „Die ausgezeichneten Israeliten aller Jahrhunderte, ihre Porträts und Biographien“. (A1, S. 217.)

174,29-34 Er ließ das kleine Buch auf seine eigne Kosten drucken und hatte die Freude, fast die ganze Auflage in Frankreich und der Schweiz abgesetzt zu sehen. Nur ein einziger Buchhändler in Leipzig wagte es, in Deutschland damit Geschäfte zu machen. Er kaufte Börnen aber auch gleich 500 Exemplare baar ab.

Korrektur: Börne schickte seine Übersetzung von Lamennais’ „Paroles d’un croyant“ zum Drucken in die Schweiz, ohne Honorar zu verlangen. Diese Auflage wurde fast ausschließlich in der Schweiz und in Frankreich abgesetzt, wobei Börne selbst einige hundert Exemplare [...] an die deutschen Arbeiter in Paris verschickte. Es folgte eine zweite Auflage durch einen deutschen Buchhändler in der Höhe von 1000 Exemplaren, von denen Börne 500 als Honorar erhielt. (A1, S. 231-232.)

3. Quellen, Folien, Anspielungshorizonte#

3.1. Quellen#

Die Wage. Eine Zeitschrift für Bürgerleben, Wissenschaft und Kunst. Hg. von Ludwig Börne. 2 Bde. Frankfurt/M.: Hermann, 1818-1820 (Bd. 1), im Selbstverlag bzw. Tübingen: Laupp, 1821 (Bd. 2).

Zeitschwingen. Hg. von J. B. von Pfeilschifter (Nr. 53-81, 1819, hg. von Ludwig Börne). Leipzig: Weygand, 1817-1818; Offenbach: Wilmans, 1818-1819.

Ludwig Börne: Gesammelte Schriften. 8 Bde. Hamburg: Hoffmann und Campe, 1829–1834.

Ludwig Börne: Briefe aus Paris. 6 Bde. Hamburg: Hoffmann und Campe, 1830-31 (Bd. 1-2), Offenbach / Paris: L. Brunet, 1832-1834 (Bd. 3-6) [= Gesammelte Schriften, Bd. 9-14].

Ludwig Börne: Menzel der Franzosenfresser. Paris: Barrois, 1837 [= Gesammelte Schriften, Bd. 15].

Correspondenznachrichten aus Paris. [Ludwig Börne ist nicht mehr unter den Lebenden.] In: Blätter für literarische Unterhaltung. Leipzig. Nr. 69, 10. März 1837, S. 279-280.

Eduard Beurmann: Ludwig Börne als Charakter und in der Literatur. Frankfurt/M.: Körner, 1837.

Eduard Beurmann: Erinnerungen an Börne. In Telegraph für Deutschland. Hamburg. Nr. 93, [ ] Juni 1838, S. 738-743; Nr. 94, [9.] Juni 1838, S. 745-749; Nr. 97, [15.] Juni 1838, S. 771-776; Nr. 98, [16. Juni 1838, S. 778-784; Nr. 100, [20.] Juni 1838, S. 797-800; Nr. 101, Juni 1838, S. 804-808; Nr. 104, [ ] Juni 1838, S. 827-831.

Eduard Kolloff: Börne in Paris. In: Jahrbuch der Literatur. Erster Jahrgang. 1839. [Mehr nicht ersch.] Hamburg: Hoffmann und Campe, 1839 [ersch. bereits Ende 1838], S. 143-160.

5. Rezeption#

5.1. Dokumente zur Rezeptionsgeschichte#

Die (auszugsweise) Textwiedergabe der Rezeptionsdokumente folgt zeichen- und buchstabengetreu der Vorlage; anders als in den Edierten Texten der Ausgabe werden Druckfehler jedoch stillschweigend berichtigt, ausgefallene Lettern in eckigen Klammern ergänzt.

1. -g., Hamburger Nachrichten, 9. Oktober 1840#

– g.: Börne’s Leben von Karl Gutzkow. (Mit Börne’s Bildniß in Stahl gestochen und einem Facsimile.) Hamburg bei Hoffmann u. Campe, 1840. Auch unter dem Doppeltitel: Ludwig Börne’s gesammelte Schriften. Supplementband. In: Priviegirte wöchentliche gemeinnützige Nachrichten von und für Hamburg. Hamburg. Nr. 235, 9. Oktober 1840, S. 3. (Rasch 14/21.40.10.09N) 

Lange lasen wir kein Buch mit solcher steigenden Theilnahme und lange legten wir keines mit solcher Befriedigung aus der Hand. Diese Theilnahme war doppelter Art: sie beruhte erstlich auf dem Interesse, das Börne, dessen persönlicher Bekanntschaft wir uns erfreueten, als Literat und als Mensch uns einflößte, und zweitens auf dem Verdienst, das sich der Biograph durch die treffliche Darstellung des literarischen und menschlichen Charakters des edlen Todten erworben. Wir hatten uns überdem durch Heine’s Schrift über Börne tief verletzt gefühlt, objectiv durch die Kleinlichkeit und theilweise Unwahrheit und Entstellung der Thatsachen, subjectiv durch den Schmerz, die gute Meynung, die wir trotz mancherlei Ausstellungen von Hrn. Heine hegten, so wesentlich herabstimmen zu müssen; durch Gutzkow’s Schrift wurde uns die Genugthuung, das Recht des Todten, der sich nicht mehr vertheidigen konnte, vindicirt und dies auf eine würdige Weise, nicht mit alltäglicher Leidenschaft, bewirkt zu sehen. Wir wünschen jedem literarisch und menschlich Verkannten einen solchen Biographen, der, wenn sogar selbst betheiligt, sich selbst vergessend, Gerechtigkeit übt und die Wahrheit höher stellt, als sein Ich. Gutzkow zeichnet sich gleich in der Vorrede (S. X) die biographisch-psychologische Behandlungsweise seiner Aufgabe, seine Richtung und seine Grenzen selbst vor, indem er sagt: „Von früh an habe ich die Neigung gehabt, mich in fremde Individualitäten heineinzuleben. – Ich bin immer erschrocken, wenn ich irgend einen unbedingt  verurtheilen hörte; denn meine eigene Lebensentwickelung zeigte mir nur zu sehr, daß wir in unserm Gemüth von der ganzen Welt abweichen können, ohne deshalb Ursache zu haben, uns weniger gut und gerecht zu erscheinen. Was ich mir selbst geschenkt wissen wollte, dies Vertrauen auf individuelle Selbstgerechtigkeit des Menschen, habe ich andern nie entzogen, ja mit Leidenschaft mir darin gefallen, mich in die Denk- und Fühlweise Anderer hineinzuleben. Adern und Geflechte in fremden Seelen tief zu verfolgen und die Menschen von innen heraus zu beurtheilen etc.“ Und S. 258 u. 59, wo er von Börnes Abneigung gegen die Tendenz des jungen Deutschlands spricht, drückt er sich folgendermaßen aus:

„Die neue sociale Bewegung der sogenannten jungen Literatur, das Leben Jesu, von Strauß, nahm er mit sehr getheilter Empfindung auf. Alles, was er gegen erstere geschrieben, und gegen letzteres gesagt haben soll, hat wohl hauptsächlich den Rückhaltsgedanken, daß durch eine solche Wendung des Neuerungsgeistes die Sache der Freiheit verallgemeinert und der Widerspruch gegen die herrschenden Thatsachen auf ein Gebiet gespielt wird, wo über dem Streben nach dem Ganzen vielleicht das Einzelne verloren gehen könnte. – Doch auch von dieser äußern Berechnung abgesehen, zu der sich allerdings die Besorgniß gesellte, das Volk könne, durch diese Ausdehnung der Opposition auch auf kirchliche Gegenstände gegen die Neuerung mißtrauisch werden, mochte seinem Gemüthe eine Richtung nicht zusagen, die für das Zerstörte nicht so schnell etwas Neues zu geben hatte. Vollends empörte er sich gegen das, was ihm in der neuern Richtung, zum Theil wohl mit großem Unrecht, als unsittlich erschien. – Obgleich an diesem Mißverständnisse selbst betheiligt, werde ich jene religiöse Verklärung Börne’s, die in den letzten Lebensjahren über sein leidendes und vom Schmerz über das Vaterland zerrissenes Gemüth kam, nie verdächtigen oder die Spöttereien billigen, die sich Heine gegen „„den kleinen Simson““ der den Namen Herr! Herr! nicht gelästert haben wolle, erlaubte.“

Diesen hier ausgesprochenen Ansichten und Grundsätzen bleibt der Verfasser im Verlauf des ganzen Buches treu und vereint darin das Objective mit dem Subjectiven auf eine eben so seltene als lobenswerthe Weise. Bei einer Pietät für Börne, die den Biographen, wie den Beschriebenen gleich sehr ehrt, weil sie augenscheinlich aus Ueberzeugung und Gefühl fließt, erlaubt er sich doch niemals, die ihm vorliegenden Thatsachen und die politischen, literarischen und artistischen Ansichten Börne’s, sey es in Gunst oder Ungunst, zu verdrehen, zu deuteln und auf seine Weise zu modeln. Er betrachtet seinen Stoff nicht durch die gefärbte Brille vorgefaßter Meynung, entsagt aber keineswegs darum einem eigenen und selbstständigen Urtheile. Nirgends erscheint seine Darstellung, wie so viele Biographien, als eine farb- und charakterlose Compilation – vielmehr behaupten wir, daß das Subjective im Buche, der höhere intellectuelle und moralische Stand- und Gesichtspunct, von welchem aus er Börne als Menschen, als Politiker, als Kritiker beleuchtet und beurtheilt, dem Interesse des Objectiven vollkommen die Wage hält, aber durchaus nicht störend eingeift, vielmehr durch seine innige Verschmelzung den wohlthuenden Eindruck des Ganzen nur erhöht. Können wir im Einzelnen nicht allen Urtheilen Gutzkow’s und Börne’s, namentlich in der dramatischen Literatur beitreten, wie wir z. B. das Verdammungsurtheil über Houwald und Müllner durchaus nicht unbedingt unterschreiben können; divergiren wir auch noch weit mehr von Börne’s excentrischen Ansichten und Hoffnungen in der Politik, die ihm so vielfache Selbsttäuschung und schmerzliche Gefühle, ja tiefen Gram bereitete, so respectiren wir doch nicht nur die Unabhängigkeit der Ansichten beider, sondern auch besonders die Wahrheitsliebe, die sich darin überall ohne Menschenfurcht und Eigennutz kund thut. Könnte man dieß von allen Staatsmännern und von allen Gelehrten sagen, so würde es um das Wohl der Staaten und der Völker, wie um den bedauerlichen Zustand unserer Literatur besser stehen, denn die Wahrheit würde durch gewechselte Gründe hervortreten und der individuelle Egoismus, der absichtliche, wie der unwillkührliche, von selbst mit aller seiner Charlatanerie in Nichts zerfallen.

Höchst interessant ist schon die Beschreibung der Jugend- und Bildungszeit Börne’s und der Richtung, die das Resultat theils seines originellen Charakters, theils der Zeit- und Familien-Verhältnisse, die diese Bildung bedingten, war. Für spätere Zeit wären dem Verfasser wohl mehrere Materialien und besonders zu wünschen gewesen, daß er ihn persönlich gekannt hätte, was er in der Einleitung auch selbst bemerkt und bedauert; er sagt in dieser Hinsicht selbst: „Ich zweifle nicht, daß diesem Buche viele Berichtigungen und Erweiterungen bevorstehen. Erst wenn viele persönliche Freunde Börne’s lesen werden, wie sich in seinem Leben eine gewisse Ordnung nachweisen läßt, werden sie sich angeregt fühlen, diese Ordnung zu vervollkommnen etc.“ Wir stimmen darin vollkommen überein und bemerken pflichtmäßig, daß auch in diesem zu erwartenden Erfolge ein Verdienst für ihn liegt, weil er es ist, der diese Ordnung psychologisch und literarisch nachgewiesen hat. Alle Urtheile über den Menschen sind scharfsinnig motivirt, alle Notizen über Börne als Gelehrten und Literator mit seinen Schriften belegt, mit welchen sich Herr Gutzkow auf das sorgsamste vertraut gemacht hat. Man bedauert zwar unter andern, daß man nicht mehr über die Freundin Börne’s, die ihm noch seine letzten Lebensstunden versüßte, erfährt; aber man erfährt genug, um dieß ganz exceptionelle Verhältniß mit der innigsten Ueberzeugung für edel und rein anzuerkennen, zumal da manche ehrenwerthe Rücksicht (m. s. S. 155) die eheliche Verbindung erschwerte und ihr nachmaliger Gatte im schönsten Sinne in diesem Bunde der dritte wurde.  In der That kann man also den nur bedauern, der nach eignem trivialen oder unsittlichen Maaßstabe es anders beurtheilt. Dieser Gemeinheit klagt Gutzkow, S. XXXII seiner Vorrede, Heine mit strengen Worten an und sagt mit Recht: „Wenn dieser zügellose Mißbrauch der Presse fortfrißt, welches sittliche weibliche Gefühl wird nicht zittern vor einer Berührung mit Dichtern und Schriftstellern? etc.“ Und in herzinnigen und herzergreifenden Worten spricht sich der Verf. S. 154 darüber aus: „Es ist ein so schöner Trost, Herzen zu wissen, die den Pulsschlag unserer eigenen Stimmung mitempfinden und sich eine Gewissenspflicht daraus machen, auf unserer Stirn zu lesen und Wünsche von unsern Lippen zu stehlen. Und die, welche mit der Welt im Hader leben, werden das Bedürfniß, einen felsenfesten Punct der Anlehnung in den Wogen einer in ihren Gesinnungen zweifelhaften Gesellschaft zu haben, um so dringender empfinden. Es muß Herzen geben, die die geheime Werkstatt unsers Innern kennen und auf uns schwören, selbst wenn die ganze Welt uns verläßt!“ Goldene, nur einem reinen Herzen entquellende Worte, auf welche jeder Edle in tröstendem Glauben schwört, und woran zweifeln zu sehen, nur tiefes Mitleiden erwecken kann – denn wer auch nicht findet, was er suchte, hat dennoch nicht geirrt. Freude kann es nur gewähren, daß dem edeln Todten schon hienieden dieser Trost wurde.

Gern möchten wir den großentheils excentrischen aber geistreichen und wohlgemeynten politischen Ansichten Börne’s und den Erklärungen und scharfsinnigern Meynungen und Beurtheilungen Gutzkow’s beleuchtend folgen, wäre es nicht Zeit, die Feder niederzulegen. Wir wären versucht, das halbe Buch abzuschreiben; aber diese Anzeige hat einen andern Zweck: sie soll dem Publicum nicht das Lesen des Buches ersparen – dieser Irrthum würde nur sein Schade seyn, – sondern sie hat vielmehr nur den Zweck, jeden, dem das Herz für das Wahre, Gute und Schöne schlägt, zum Lesen des Buches aufzufordern, und wir sind überzeugt, daß jeder Leser es uns danken wird. Schließlich machen wir noch auf die geist- und gefühlvolle Rede aufmerksam, die an Börne’s Grabe der gelehrte Raspail hielt (s. S. 286-293). Der ganze von deutschen und französischen Notabilitäten gefeierte Leichenact ehrt so den Todten, wie die Lebenden, den Gefeierten wie die Feiernden, und muß jedem wahrhaft deutschen Herzen wohlthun.

2. [Anon.:] Allgemeine Zeitung, 2. November 1840#

[Anon.; Chiffre] Leipzig, 24. Oct. [Darin:] Das vor längerer Zeit angekündigte … In: Allgemeine Zeitung. Augsburg. Nr. 307, 2. November 1840, S. 2455. (Rasch 14/21.40.11.02) 

Das vor längerer Zeit angekündigte Werk: „Börne’s Leben,“ von Karl Gutzkow, ist als Supplementband zu Börne’s sämmtlichen Schriften bei Hoffmann und Campe in Hamburg erschienen. Es gibt von dem merkwürdigen Verstorbenen allerdings ein treueres und edleres, weil mit Liebe gezeichnetes Bild, als das bekannte Buch von H. Heine, welches, so witzig und geistvoll es in Einzelheiten seyn mag, doch im Ganzen – auch Heine’s beste Freunde können es sich nicht verhehlen – für den Verfasser so wenig, als für den verzerrt Geschilderten einen wohlthuenden Eindruck in der Seele des Lesers zurückläßt. Gutzkow tritt gegen Heine mit scharfer Polemik auf, und scheint, gewiß sehr zum Vortheil seiner litterarischen Thätigkeit, von der frühern Jungdeutschländerei mehr und mehr zurückzukommen.

3. J…., Kölnische Zeitung, 15. November 1840#

 J…: Litteratur. Börne’s Leben von Karl Gutzkow. Hamburg, bei Hoffmann und Campe. In: Kölnische Zeitung. Köln. Nr. 321, 15. Novemver 1840, [S. 2-3]. (Rasch 14/21.40.11.15N)

 Venio iterum crucifigi!

Unsere Zeit ist keine Zeit der großen Verbrechen, auch nicht besonderer Sittenlosigkeit; das Schlechte derselben liegt nicht auf der Oberfläche, und [3] es bedarf mehr, als der zehn Gebote und der trivialen Gemeinplätze einer allgemeinen Moral, um den ihr eigenthümlichen Wurm zu entdecken und zu bezeichnen. Wir werden zwar keinen Christus mehr kreuzigen, aber sterben würde er an gebrochenem Herzen, sterben, wie Börne starb, in der Fremde, verkannt, verhöhnt in seinen edelsten Motiven, im Tode noch von der Gemeinheit mit Koth beworfen. O, es ist schrecklich, mit einem Herzen voll brennender Liebe, mit einer Sensibilität, wie die Börne’s war, das ganze Leben hindurch zu kämpfen, zu rufen, zu mahnen, und Alles umsonst, umsonst wenigstens, so weit man mit einiger Gewißheit sehen konnte. Die Mattherzigkeit unserer Zeit, die Lauigkeit, die Indifferenz in allen höchsten Interessen der Menschheit, dieses eigenthümlich fressende Gift des gegenwärtigen deutschen Lebens, erheben sich gegen einen solchen rüstigen Kämpfer; denn er hat sie aus ihrer trägen Ruhe aufgestört, und das soll er büßen. Da wird der Eifer der Liebe – Haß, das männliche Schelten – Lieblosigkeit genannt; keine Waffe, auch die allergemeinste nicht, wird geschont; man hängt sich an seine Person, man findet, daß er Jude gewesen: Triumph! Nun lege man alle menschlichen Tugenden in die andere Wagschale, der Jude wiegt sie alle auf. – Doch Börne ist todt, und wie Gutzkow sagt, alle Principien senkten ihre Fahnen vor dem Sarge des edlen Todten, nur Einer wagte es, diesen Sarg mit Koth zu bewerfen, und das war Heine, ein sonst in Deutschland so beliebter Name. Doch die Nemesis ist über ihn gekommen, sein Gedächtniß ist für ewig in Deutschland gebrandmarkt. Der Haß hat sich also gelegt, man erkennt Börne’s Verdienste an, man nennt ihn einen Charakter. Und warum verfolgt man ihn nicht mehr? Hören wir auch auf mit der Opposition gegen einen Gentz, Adam Müller etc., weil sie todt sind? Werden wir auch die Fahnen senken vor dem Andenken eines Menzel und Anderer, wenn sie dahin geschieden sind? Nimmermehr! Der Kampf wird und muß fortdauern; denn ihre Principien sind leider nicht mit ihnen gestorben, und die werden wir hassen und verfolgen, so lange sie nicht überall untergegangen sind. – Aber Börne’s Principien sind auch nicht gestorben, ja, sie werden ewig leben, und doch verfolgt ihr ihn nicht mehr? Ihr, die ihr früher nicht Schmähworte genug hattet, ihn damit zu bedecken, ihr sprecht mit Achtung von ihm? Woher diese Erscheinung? Gutzkow will sie nicht erklären, und läßt die Frage (ob sie ein günstiges Zeichen unserer Zeit sei) unentschieden. Wir aber nehmen sie auf und antworten: Nein! Nein, ihr waret zu schwach, mit Börne zu lieben und begeistert zu sein, ihr seid auch zu schwach, zu indolent, ihn zu bekämpfen. Um seine Principien ging es euch nicht; denn hätte er in der wolkenlosen Höhe der Philosophie sich mit der Abstraction seiner Ideen begnügt, ihr hättet ihn ruhig gewähren lassen, aber er hatte die euch so fatale Methode, Alles in Fleisch und Blut, in die concreteste Gegenwart, bis vor eure Füße zu bringen, und da ward die Materie zornig, daß die Idee ihren behaglichen Schlummer zu stören wage, und so verfolgtet ihr ihn. Jetzt, da die Stille des Grabes über ihn gekommen ist, ist auch der Kampf gegen ihn eingeschlummert; denn der Schwache kämpft nur um Haut und Kragen, ja, das Andenken seines Drängers imponirt ihm, und so schmeichelt er dasselbe. Börne war allerdings ein Charakter, und zwar der edelsten einer; daß man ihm dies aber jetzt allgemein zugesteht, ist eben ein Zeichen, daß unsere Zeit keinen Charakter hat.

Gutzkow hat Börne’n ein schönes Denkmal in diesem Buche gesetzt, er hat den edlen Mann vollständig begriffen und gewürdigt. Es freut uns dieses in doppelter Hinsicht, einmal um des geliebten Todten willen, und dann wegen des Lebenden. Gutzkow hat hier mit seinem außerordentlichen Talente ein reines Werk geliefert, unbeschmutzt von dem Gezänke und Gewirre der Gegenwart. Sein verbissener Ingrimm, den wir leider nur zu oft in seinen Werken finden, ist hier der Liebe gewichen, der aufrichtigen Liebe zu Börne, die sich denn auch wie ein guter Genius über das ganze Werk gebreitet hat. Möge Gutzkow sich an ihm ein Beispiel nehmen, der, wo er am meisten zu hassen schien, am meisten liebte, dann wird es ihm, dem es wahrlich an Talent nicht gebricht, auch an einem glänzenden Nachruhm nicht fehlen.

 4. –nn., Didaskalia, 30. November 1840#

-nn.: Börne’s Leben, von Karl Gutzkow. In: Didaskalia. Frankfurt/M. Nr. 335, 30. November 1840, [S. 3]. (Rasch 14/21.40.11.30)

Börne ist ein Charakter, an dem wenigstens schon jetzt die Jugend unverholen tieferes Interesse nimmt, als man von einem, der im Leben durch das Jahrhundert in den Vorgrund der Parteien gedrängt wurde, vermuthen möchte. Aber die Jugend, in der Börne, wie alle großen Männer, die Zukunft des Vaterlandes erblickte, liebt es, das Edle und Freie zu erforschen, und läßt sich nicht täuschen von den kleinen Zufälligkeiten, die einem Charakter anfliegen, der im Kampfe mit den Menschen für die Menschheit fällt. Es klingt fast kleinlich, wenn man sich fortwährend verwahrt, man wolle den thatsächlichen Raisonnements des ungestümen Mannes nicht beipflichten, wenn man auch geneigt sey, seinen Namen einzuschreiben in das Gedächtniß der Nation; aber es hält schwer, schon jetzt über einen edlen Todten ein edles Wort zu sagen, ich meine ein Wort, das der Wahrheit in jeder Hinsicht die Ehre giebt, wenn dieser Todte überall noch, hier von den Regierungen, dort von den Parteien, als ein Stein des Anstoßes angesehen wird, als ein Name, der durch jede Feier leicht eine praktische Bedeutsamkeit erhalten könne. Indeß jene sind überall mild und tolerant und vor allen Dingen versöhnlich geworden, während sich diese der Ehrerbietung vor dem gefallenen Helden nicht entschlagen können, dem Einzigen vielleicht von Vielen, die schrieben und starben, welcher auf seinem Schilde zu Grabe getragen wurde; und somit war denn allerdings die Zeit vorhanden, über einen großen, edlen Geist ein großes, edles Wort zu sagen. Das konnte aber nicht wohl geschehen, ohne diesem bewegten Leben in seinen tiefsten Beziehungen nachzuspüren und es von der Wiege bis zum Grabe zu verfolgen. Daher Börne’s Leben, von Karl Gutzkow. Wir glauben, daß sich diese Biographie an Ernst, Würde und heiliger Gluth, an Allgemeinem und Besonderem, kurz, an jenen Eigenschaften, die eine Biographie über ihre Unmittelbarkeit erheben, mit dem Besten im biographischen Fache messen kann. Es gehörte die ganze Feinheit Gutzkow’scher Darstellungsweise und die ganze Feinheit Gutzkow’schen Scharfsinns dazu, um von einem ihm persönlich Unbekannten, dessen Charakter nur von Augenzeugen, aus Ueberlieferungen und aus seinen freilich sehr klaren Werken geschöpft werden konnte, ein so lebendiges und denen, die dem Verstorbenen näher standen, aus der Seele geschriebenes Bild zu entwerfen, dessen Hintergrund weder Partei noch Parteivorurtheile sind, sondern Philosophie, Geschichte und Kritik, ein Hintergrund, den die Liebe zu warmem Leben verklärt. Wenn der Referent dieses Herrn Heine in der Eleganten Zeitung zu erklären und zu entschuldigen versuchte, so erinnert er diejenigen, die nicht genug Schimpf und Schmach auf jenen herabbeschwören können, nur daran, daß Männer, die solche Biographen finden, wie Gutzkow, Biographen, die ihren moralischen Werth in ihren Werken an den Tag legen, der Nachwelt gegenüber dem Spott und der Satyre überhoben seyn werden, die ein moderner Aristophanes über sie verhängte und die nur deßhalb einigen Nachdruck erhalten, weil man nicht genug Worte über sie machen zu können glaubt, zum Besten eines Todten, der hoch über dem kleinen Gewirre der Persönlichkeiten, der Genrebilder und der Medisance steht. Karl Gutzkow ist in dieser Hinsicht mit seinem Leben Börne’s gerade zu rechter Zeit in die Literatur eingetreten. Mögen sich nun auch die allzu persönlichen Freunde Börnes beruhigen; denn es steht zu erwarten, daß, wenn man nach hundert Jahren Heine lesen wird, Gutzkow’s Buch nicht minder auf jene Unsterblichkeit Anspruch machen kann, die dem Wahren und Schönen stets zu Theil werden wird, wäre nicht Börne schon aus seinem Leben, seinem Wirken und seinen Werken als Charakter gerechtfertigt.

5. Heinrich Laube, 10. Dezember 1840#

H[einrich] L[aube]: Politische Zeichen in der Litteratur. II. Börne. In: Allgemeine Zeitung. Augsburg. Beilage zur Allgemeinen Zeitung, Nr. 345, 10. Dezember 1840, S. 2745-2746. (Rasch 14/21.14.12.10.1)

Wir haben neulich (Allg. Zeitung vom 5 Dec.) einiger neuern Schriften über Börne, namentlich der von K. Gutzkow herausgegebenen, gedacht. Gutzkow, die specielle Biographie beabsichtigend, schildert Börne durchaus vom Standpunkt der jugendlichen Stimmung und Einsicht, wie sie bis gegen die Mitte der dreißiger Jahre in Deutschland vorherrschend war. Ihr ist der gediegene Charakter, die entschiedene Gesinnung, das bezaubernde Darstellungstalent Börne’s das zweifellos Vorausgesetzte – und darin wird ihr sicherlich die bei weitem überwiegende Mehrheit des Vaterlandes beistimmen. Dieser Biographie ist es darum zu thun, in solchem Sinne chronologisch Börne’s Leben zu erzählen, und was dabei Widerwärtiges begegnet, in Börneschem Geiste zu beseitigen. Der Verlauf von Börne’s Leben war folgender: er wird als Löb Baruch den 22 Mai 1786 zu Frankfurt a.M. geboren, und wächst unter jüdischen Beschränkungen auf. Diese fordern frühzeitig seine Verstandeskräfte zur Opposition heraus, und zwar zur Opposition gegen Juden wie gegen Christen. Die freudlose Jugend fand eine bessere Wendung, als er mit vierzehn Jahren nach Gießen in ein Erziehungsinstitut kam. Er verlor die jüdische Welt mehr und mehr aus den Augen, wurde indessen von den christlichen Lehrern eben nicht für einen besondern Kopf gehalten. Mediciner sollte er werden, und ward nach der Gießen’schen Vorschule zu Marcus Herz in Berlin gegeben, um die Herz’schen Vorlesungen zu hören und die Berliner Kliniken zu besuchen. Aber weniger die Wissenschaft als Leben und Geist bemächtigten sich seiner in dem damals sehr aufgeweckten Berlin, und 1804 erst ging er ganz um der Medicin willen nach Halle. Dort verbrachte er drei Jahre lieblichen, emsigen, wenn auch nicht allzu angestrengten Studiums, und vielfach angeregt vom Leben und von freier Wissenschaftlichkeit. Er verließ es also auch mit dem Gedanken, dem medicinischen Brodstudium nicht bis ans Ende nachzugehen, und richtete sich in Heidelberg, zum Schrecken seines Vaters, unabhängiger ein, als er bisher gethan, dort und 1808 wieder in Gießen der Cameralistik zugewendet. Hier ward er denn auch promovirt, und verfaßte eine Schrift „über die geometrische Vertheilung des Staatsgebiets,“ die auf eine Vereinigung Deutschlands und Frankreichs hinausging. Wahrscheinlich durch Betrieb seines Vaters wurde der junge Dr. Louis Baruch 1811 als Polizeiactuarius in Frankfurt angestellt. Er schrieb wohl einige Aufsätze für jüdische Freimaurerlogen, dachte aber noch nicht an eigentliche Schriftstellerei. Johannes v. Müller und Voltaire waren übrigens, merkwürdig genug, für eine solche seine geliebtesten Vorbilder. Im Frankfurter Journal schrieb er zuerst während der Freiheitskriege gegen Napoleon, und als der Feind besiegt war, erfuhr er als Jude durch Zurücksetzung die Früchte eines Sieges, zu dem er mitgewirkt. Dadurch aufs Allgemeine aufmerksam gemacht, erkannte er bald eine allgemeine Reaction, und waffnete sich, dagegen und für manches Gute der französischen Regierungszeit aufzutreten. Die Zurücksetzung der Juden veranlaßte ihn 1816 zu einer „Actenmäßigen Darstellung des Bürgerrechtes der Israeliten in Frankfurt a. M.“ und zu einer Broschüre: „Die Juden und ihre Gegner,“ welche der eigene Vater aus Aengstlichkeit unterdrückte. So näherte er sich mehr und mehr dem schriftstellerischen Amte, verbrachte aber doch in suchender Muße noch ein paar Jahre, bis er 1818 eine Zeitschrift „Die Wage“ begann, und um dieselbe Zeit, vielleicht zum Theil deßwegen, die Taufe und den Namen Börne annahm. Sie begrundete für immer seinen Ruf, sie zeigte einen so anziehenden, witzigen und doch innerlichst grundernsten Autor, daß selbst die abgebrauchte Theaterkritik interessant und für politische Meinung wichtig wurde. 1819 versuchte er es denn auch, eine „Zeitung der freien Stadt Frankfurt“ herauszugeben, gab aber schon nach vier Monaten diesen steten Kampf mit der Censur auf. Ein anderes Journal „Zeitschwingen,“ das wöchentlich erscheinend die Monatsschrift „Wage“ beflügeln sollte, wurde in demselben Jahr verboten, und Börne selbst aus Irrthum für einen Andern vierzehn Tage verhaftet. Nach so unangenehmer Erfahrung ging er gern auf Cotta’s Vorschläge ein, für dessen Institute von Paris aus zu schreiben, und von Anfang 1821 an finden wir ihn dort in Begleitung einer Freundin, mit welcher er in einem innigen, unbefangenen Verhältnisse bis an seinen Tod geblieben ist, auch als diese in letzter Zeit sich zum zweitenmal verheirathete. Mit ihr ist er 1822 in Heidelberg; sie pflegt treulich den heftig Erkrankten, und von da an den fortdauernd Kränklichen, der seit 1824 fast jedes Jahr in Ems zu finden war, und seinen Wohnort wieder in Frankfurt genommen hatte. Er schrieb für Journale, und wurde erst 1827 durch den Tod seines Vaters ökonomisch unabhängig. Mit 1200 fl. Rente konnte er sich freier bewegen, und machte im Winter zu 28 wieder eine Reise nach Berlin. Die freundliche Aufnahme und das Lob seiner Schriften, was er dort fand, reifte in ihm den Plan, diese zu sammeln. Er ging deßhalb nach Hamburg, schloß mit Campe das Geschäft, und redigirte die Ausgabe in Hannover. Das Jahr 29, das durch Erscheinung seiner gesammelten Schriften ihn erst allgemein bekannt machte, obwohl sie anfangs sehr spärlich gekauft wurden, fand ihn krank und kränker. In dem kleinen Bade Soden unweit Frankfurt erfuhr er die Juliusrevolution. Das richtete ihn auf, und im Herbste 30 ist er auf dem Wege nach Paris. Bekannt ist, daß von nun an seine Pariser Briefe alles erzählen, was ihm begegnet, daß er von nun an alle Beschränkung seiner politischen Ideale aufgibt, daß ihn ferner das Mißlingen zu immer leidenschaftlichern Forderungen treibt. – – Nur einmal noch, im Sommer 32, kam er zum Hambacher Fest nach Deutschland, und ging nach Baden und durch die Schweiz nach Paris zurück. Hier versuchte er noch einmal eine deutsch-französische Wage – la balance – (Gutzkow irrt hier über Börne’s Fertigkeit in der französischen Sprache: sie war gering), und schrieb noch „Menzel der Franzosenfresser.“ – Das Mißlingen aller Erwartung beugte den schwachen Körper immer mehr, die Wintergrippe Anfang 37 kam dazu, und am 12 Februar 1837 starb er sanft und ruhig. Deutsche Flüchtlinge und französische Republicaner begruben ihn auf dem père la Chaise und sprachen schmerzlich ergreifende Worte am Grabe dieses Kämpfers.

In größerem Styl, größeren historischen Blicks und genialerer Auffassung, aber leider von dem verletzendsten Beiwerk begleitet, hat Gutzkows Gegner die Aufgabe gefaßt, ein Buch über Börne zu schreiben. Wer heute noch in der falschen Kategorie befangen ist, Börne und Heine neben einander zu stellen, weil sie eine Zeit lang und in einem Punkte gemeinschaftliche Wünsche für Zeitinteressen ausdrückten, den belehrt dieß Buch für immer, daß sie ein Paar von einander grundverschiedenen Naturen sind und von einander grundverschiedenen Aufgaben nachtrachten. Sogar [2746] Börne wußte das von lange her; Briefe von ihm, deren jetzige Herausgabe wahrscheinlich wahrscheinlich jene Freundin Börne’s in Frankfurt zur Abwehr gegen das neue Heine’sche Buch veranlaßt hat, zeigen die gründliche Abneigung Börne’s gegen Heine. Dieser, ein Dichter, die bürgerlichen Gränzen, in welchen Börne’s Sinn begnügt ist, weit überwachsend, unfähig ein Genosse im Speciellen zu seyn, hatte nur bis zur Juliusrevolution den vagen, allgemeinen Wunsch mit Börne gemeinschaftlich, es möge Freies und Neues sich entwickeln. Wie hätte er sich im praktischen Demagogenthum ausgenommen, wie hätte er darin seine viel größere Fähigkeit vernichtet! Dieses Resultat wird denn auch in unserer Culturgeschichte in Bezug auf beide Männer stehen bleiben. Das widerwärtige Spiel mit den Schwächen und Lagen der Zeit und Börne’s, was zwischen den großgefaßten Urtheilen in dem Buch umhergepeitscht wird, wird verblassen, versinken, wird den üblen Beilagen von des Verfassers eminentem Talent zufallen, wie die garstigen Geleitsstoffe vom Platen’schen Angriff abgefallen find, aber die cultur- und litterargeschichtliche Position, welche inmitten der Unbill Heine’s Genius dem Börne’schen charaktervollen Talent anweist, wird bestehen. Wie Börne’s Freunde jetzt mit Recht erbittert sind über die verletzende Form des Buchs, nach fünf Jahren schon werden die einsichtigeren dieselbe Stellung Börne’s als etwas Fragloses, geschichtlich Festes angenommen haben. Denn nicht die gutmüthige Liebe und Dankbarkeit und Pietät, sondern Verstand und Geist bestimmten den historischen Platz. […] – Die Freunde Börne’s werden Gutzkow die ausführliche Darstellung Börne’s danken, aber Stellen, wie über Gervinus, in der Vorrede müssen sie schon jetzt über das Vorübergehende des eigentlichen Urtheils darin stutzig machen. Desselben Gervinus litterarische Wirksamkeit lobte vor einiger Zeit Gutzkow mit Lebhaftigkeit, weil die Göttinger Abdankung von tüchtigem Charakter zeugte. Jetzt entdeckt der Biograph Börne’s erst, daß Gervinus einer der heftigsten Angreifer Börne’s ist, und nun wird der Geschichtschreibungsberuf ihm völlig abgesprochen, und wiederum übertrieben abgesprochen. Dieses Urtheilen von gestern zu heut wird die einsichtigen Freunde Börne’s auch bei diesem Buch umsichtig und sie fähig machen, selbst das verletzend gebotene Urtheil über Börne näher einzusehen.

Das Resultat bleibt: die Lästerung in der einen Schrift wird untergeben, das geniale Urtheil wird als historisches verbleiben; das andere Buch aber, die lobenswerthe Darstellung, wird als Beitrag zum abschließenden Urtheil und zur ausführlichen Zeit- und Litterargeschichte dankbar aufgenommen seyn, den Abschluß über eine politische Zeit und einen politischen Autor vielfach erleichternd.

6. Georg Herwegh, 21. Januar 1841#

[Chiffre, d.i. Georg Herwegh:] Göthe. Börne. Gutzkow. In: Die Waage. Stuttgart. Nr. 15, [21.01.1841], S. 57-59. (Rasch 14/21.41.01.21; eine Fortsetzung erschien nicht)

Das längst versprochene Leben Börnes von Karl Gutzkow ist vor einigen Monaten ausgegeben worden, und fordert Jeden, dem es mit seinem Haß und seiner Liebe ernst ist, auf, die vielen Für und Wider gegen den verstorbenen Verfasser der Pariser Briefe von Neuem wenigstens mit Ehrlichkeit abzuwägen. Doch ehe ich auf das fragliche Buch selbst eingehe, erlaube man mir einige nothwendige Vorbemerkungen, die mir schwer auf dem Herzen liegen.

Die Gelehrten sind darüber einig geworden, mit dem stolzen Namen „junges Deutschland“ alle diejenigen zu belegen, die unerschrocken und thöricht genug waren, ihre tiefste Subjektivität, ihre waghalsigsten Gefühle vor einem Publikum preis zu geben, dessen Kritik Maßstäbe besaß, bei denen der redlichste Geist in Gefahr kam, mißkannt zu werden und durchaus Niemand sicher seyn kann, ob man ihn nicht heute oder morgen zum Hochverräther stemple. Die Lächerlichkeit der utilitarischen Kritik, die immer sagt: die Rose ist hübsch, aber ich lobe mir die Camille, die bei Erkältung treffliche Dienste leistet – ist zu groß, als daß ich ihrer hier des Breiteren erwähnen möchte; ich habe hauptsächlich die Manier im Auge, die jedes momentane Gefühl eines Autors zum starren Dogma verfestigen will, das sich als solches dann natürlich mit einem gar geringen Aufwand von Pfiffigkeit und in der Regel mit einem Anschein von Recht verdammen läßt. Die einzelne Aeußerung wird hartnäckig als einzelne festgehalten, und nicht aus dem inneren Kern des Autors erklärt, mit anderen Worten: man sucht den Mittelpunkt des Kreises auf der Peripherie. Man mißt mit der Elle eigener Begriffe, die keineswegs über alle Anfechtung erhaben sind, die Begriffe eines seiner tiefsten Natur nach verschiedenen Geistes; man meistert an einer Natur, statt sie zu deuten und gelten zu lassen, man betrachtet nichts in seinem eigenen Lichte, sondern kommt mit seinem Studierlämpchen herbei, um der Sonne die gehörige Beleuchtung zu geben. Noch viel weniger als aus ihm selbst erklärt diese Kritik einen Autor aus seiner Zeit und läßt ihm darnach Schonung und Nachsicht angedeihen. Es ist ein prächtiger Griff von Immermann, wenn er in einer seiner letzten Arbeiten „Düsseldorfer Anfänge“, Görres, den Redakteur des rheinischen Merkurs, das Gewissen seiner Zeit nennt, und ich möchte dieses Prädikat noch für manchen verfehmten Schriftsteller und Dichter reklamiren. Die Humanität verlangt, daß wir die reine Quelle nicht für den trüben Himmel verantwortlich machen, der sich in ihr spiegelt.

Leider ist die sogenannte gründliche Kritik in Deutschland, sobald sie sich von Fachwerken zur Beurtheilung der Schriften eines Dichters oder Publizisten herabläßt, bei denen es eben so sehr auf das Subjekt als auf das Objekt ankommt, die verkehrteste; statt das Verständniß des Buches einzuleiten und den Standpunkt anzugeben, von dem aus es gelesen seyn will, wird sie zu einer Art Nachdruck, die, im besten Fall, die Lektüre desselben erspart, weit öfter aber im Voraus Jedermänniglich zu entleiden sucht. Ihr Kunstgriff, um das Letztere zu erreichen, besteht einfach darin, den Autor immer und überall beim Worte zu nehmen, und aus der fliegenden Stimmung des Augenblicks Konsequenzen für die Ewigkeit zu ziehen, die den armen Schriftsteller bei den Unkundigen allerdings recht bedenklich darstellen müssen. Sie ist auf diese und jene Wendung erpicht, oder wie Reinhold Lenz sagen würde, bestürzt, und urtheilt getrost nach Einem Satze über zehn Bände ab. Wehe dem, der das Organ seiner Zeit ist und durch den sie sich mit ihren Wahrheiten und Irrthümern ausspricht – er mag sich darauf gefaßt machen, auch ihr Opfer zu werden! Das ringende Gemüth, wenn es nur einmal gegen die Ordnung des Tages verstößt, findet keine Gnade vor dem Stuhle unserer Gelehrten, die wohl begreifen, wie man über die Quellen des Styls, nicht aber, wie ein Mensch über sich selbst in’s Klare zu kommen trachten kann. Unter einer solchen Kritik, wie ich sie eben geschildert, hat Niemand mehr gelitten, als Börne, der humane Börne, der selbst über die Verirrungen eines Zacharias Werner und Friedrich Schlegel oft so milde geurtheilt hat, und sie nur bedauerte, nicht verdammte, weil an diesen Verirrungen seiner Ansicht nach ein wahrheitdürstiger Geist mehr Antheil hatte, als eine bestochene Hand. Man erstaunt, wenn man hört, wie Friedrich Gentz in Wien für Börne sich enthusiasmirte, und einer der Göttinger Sieben, Gervinus, dieser fürchterliche Feind alles eigenen Wesens (man denke an sein Urtheil über Bettina), Börnes Schriften geradezu Verbrechen und Tollheiten nennt. So lieblos könnte kein Staatsmann seyn.

Doch – Börne ist todt; er braucht keine Liebe mehr, er verlangt nur Recht. Von feindlicher Seite hat man ihm dasselbe auch auf die schönste Weise angedeihen lassen, und die, die unseren Börne im Leben am meisten gehaßt und gefürchtet, haben auf sein Grab ihm das ehrenvolle Zeugniß eines Charakters niedergelegt. Das hieß doch seinen Freunden deutlich zu verstehen geben, sie dürfen immerhin schon jetzt es wagen, mit einer Biographie des trefflichen Mannes hervorzutreten, damit sein Leben beweise, wie heilig ihm die Sache gewesen, an der er gestorben, und wie entfernt von aller Frivolität auch das herbste und grausamste Wort, das über seine Lippen gekommen, wie seine politischen Ansichten bei ihm religiöse Ueberzeugungen waren, die überall doch auf einige Toleranz Anspruch machen dürfen.

Wer aber hatte nun vorzugsweise den Beruf, das Leben Börnes zu schreiben? Um diese Frage zu beantworten, muß ich abermals etwas weiter ausholen.

Alle Stichwörter sind nur halb wahr. Wenn man immer und ewig von Göthes Objektivität spricht, so berücksichtigt man bloß das rein Formelle seiner Schriften, die Art der Darstellung, die Fassung der Edelsteine, nicht die Edelsteine selbst. Göthe ist im Gegentheil der Ahnherr der vielgescholtenen, der vielbelobten, mo-[58]dernen Subjektivität, und Heine und Börne sind nirgends in ihren Werken so subjektiv, als Göthe in seinen ersten Werken, Göthe, bei dem die Wahl der Stoffe immer von den Schicksalen seines Herzens bestimmt war. Will er doch selbst irgendwo seine Schriften zusammen nur als die Confession einer eigenthümlichen Natur angesehen wissen! Man lese den Briefwechsel mit der Gräfin Bernstorf, um sich zu überzeugen, wie nahe verwandt, dem Prinzip nach, Göthe mit der neuen Literatur ist, wo sich dieselbe wirklich treu geblieben, und nicht, wie die Herren Laube und Mundt, die Nebenbranchen Heines, aus innerer Armuth auf Reisen geht, und französische Lustschlösser und Wallfahrten schreibt, oder, wie Kühne in seinen irischen Rebellen, sich Helden zu historischen Romanen nimmt, denen der Boden unter den Füßen fehlt, das heißt, deren nächste lokale Umgebung schon für den Dichter ein böhmisches Dorf seyn muß. Göthe sagte nicht, ich will bis zur Ostermesse ein Buch schreiben, er schrieb nur, was ihm von dem sokratischen Dämon in seiner Brust geboten wurde; er nennt seine Lieder seine abgethanen aufbewahrten Leiden und Freuden, und klagt einmal der Schwester der beiden Stollberge sehr rührend, daß er zu Grunde ginge, wenn er nicht gerade Dramen schriebe. Der Dichter der Wahlverwandtschaften suchte vor Allem mit sich selbst fertig zu werden, und es war ihm dann im höchsten Grade gleichgültig, ob er es auch mit der Welt würde. So unterthänigst objektiv er sich auf der Straße geberden konnte, zwischen seinen vier Wänden blieb er der alte Titan, der mit Himmel und Hölle bis an sein Ende forthaderte. Es gibt keinen subjektiveren, keinen im besten Sinne revolutionäreren Dichter, als Göthe, nur, daß er die Freiheit mehr verallgemeinte und es vorzog, zunächst an sich und am einzelnen Menschen zu reformiren, während z. B. Börne die Reformation mit den politischen Verhältnissen beginnen wollte, um von da aus die socialen und die Familie umzugestalten; ein Verfahren, welches allerdings an das der französischen Demokraten erinnert, bei Börne und für die deutsche Literatur aber auch eine gesunde, für den Augenblick höchst wohlthätige Reaktion gegen eine Art Hyperidealismus und jenen Götzendienst mit bloßen schönen Worten, der seinen Culminationspunkt in dem neuen Heine, dem Hellenen, findet, hervorrief. Börne brachte gewiß ein tüchtiges Element in unsere Literatur, wenn es auch nur das Feuer war, in dem er Alles siebenfach läuterte.

Ich wollte durch die Behauptung, daß Göthe ein so subjektiver Dichter gewesen, als es irgend einer der neueren ist, nur gleichsam einige Erde in den tiefen Graben werfen, den man zwischen Börne und Göthe gezogen hat, und darthun, daß sie, so verschiedenartig ihre beiderseitigen Naturen seyn mögen, doch unter der Fahne eines Prinzips gefochten haben und demnach einerlei Maßstab von unserer Kritik ansprechen können. Es muß für diese scheinbar so auseinander strebenden Linien irgendwo, wenn auch nach rückwärts, einen Coincidenzpunkt geben, das geht schon aus dem Umstand hervor, daß ein und derselbe Schriftsteller (und zwar ein Schriftsteller, bei dem wir jede Arbeit als eine Manifestation seines tiefsten Wesens ansehen dürfen), daß Gutzkow es unternommen, sowohl Göthen als Börnen ihre bestimmte Stellung in der deutschen Literatur und Geschichte anzuweisen, und die beiden betreffenden Bücher: „Göthe, ein Wendepunkt zweier Jahrhunderte,“ und: „das Leben Börne’s“ schwerlich bloß als literarhistorische Monumente, sondern hauptsächlich auch als Momente seiner eigenen individuellen Entwickelung betrachtet wissen will. Göthe und Börne sind Extreme, ja! der Eine geht von der Familie, der Andere von der Geschichte aus – aber im Geist und Gemüth des Dritten berühren sie sich; es läßt sich ein Land zwischen Beiden entdecken, und wäre es auch nur der im Blut der Subjektivität gefärbte rothe Faden. Extreme haben immer etwas Gemeinsames und theilen wenigstens den Charakter der Einseitigkeit miteinander.

Ich kann schon hier einen Gedanken nicht unterdrücken, der sich mir bei der Lektüre der Biographie Börnes von Gutzkow aufgedrängt hat. Man hat mich oft gefragt, wo oder was denn eigentlich das Muttermal oder der Kainsstempel sey, an denen sich die neueste Literatur erkennen lasse, was die letztere wolle und bezwecke, woran sie glaube und verzweifle, worein sie ihre Aufgabe setze, von der sie so viel und so räthselhaft rede. Guter Gott! wie brachten mich diese Zumuthungen in Verlegenheit! Ich verstand mich wohl herrlich darauf, zu erläutern, was die neueste Literatur nicht sey, woran sie nicht glaube und woran sie nicht verzweifle, kurz, ihre negative Seite so ausführlich zu entwickeln, als man es nur immer von ihr verlangen konnte; die positive ahnte und fühlte ich selbst mehr, als daß ich sie klar begriff und im Stande gewesen wäre, in sichere unzweideutige Worte zu fassen. Wer wollte überhaupt die Verschwörungsparole jener Männer angeben, die man unter der Firma: „junges Deutschland“ in Bausch und Bogen verurtheilte, obgleich jeder mit seinen eigenen Artikeln handelte und nur die Herren Mundt und Kühne bis heute treue Associés geblieben sind, obschon der Eine rechts, der Andere links wollte, der Eine dem Fürsten Pückler, der Andere dem Herrn v. Varnhagen zu Hofe ritt. Die ganze Erscheinung war zunächst ein Komet, der mehr Schweif als Kern besaß; viel schöne, aber, wie sich bald auswies, viele taube Blüthen. Als fruchtbare Keime für die Zukunft sind nur Wienbarg und namentlich Gutzkow zurückgeblieben; die Uebrigen liefern von Zeit zu Zeit artige Stylübungen, aber nichts, was eine großartig ringende Natur verriethe; es ginge ihrer wohl keiner zu Grunde, wenn er heute oder morgen die Feder hinlegte.

Gutzkow – seit ich mich ernstlich mit Literatur beschäftigte, knüpfe ich an diesen Namen meine sonnigsten Träume, meine strahlendsten Hoffnungen; die Literatur ist für Gutzkow ein Kultus, eine Leidenschaft, und ich rechne den Verfasser des Saul sammt seinem Saul selbst unbedenklich unter die Propheten; der Stein, den Wolfgang Menzel verworfen hat, wird gewiß zum Eckstein der künftigen, oder ist vielmehr schon der Eckstein der werdenden Literatur. Gutzkow schreibt nichts, was nicht dazu beitrüge, unserer Zeit zur Klarheit über sich selbst zu verhelfen, und das ist doch das Beste, was man von einem Schriftsteller sagen kann. Daß seine Bücher oft nicht bloß erhellt, sondern auch gezündet und manch sorglose Hütte in Brand gesteckt haben, wer möchte es läugnen? aber wer will ihm länger einen Vorwurf machen, daß er zuweilen zu seiner eigenen Rettung sein Gemüth der schwülen Wetter sich entladen ließ, unbekümmert darum, ob ein Strohkopf mehr oder weniger in Flammen aufgehen würde?

Auch das neueste Buch Gutzkows hat seine produktive Kraft, wenigstens an mir, wieder trefflich bewährt, und Gedankenreihen in mir hervorgerufen, mit deren Hülfe sich das Geheimniß der neuesten Literatur nun ohne große Mühe und in wenig Worten offenbaren läßt.

Das Leben Börne’s mußte geschrieben werden. Nächst der äußeren Veranlassung, welche der Buchhändler und die Pietät gegen den Dahingeschiedenen boten, schlummerte ein anderweitiger unabweisbarer Drang dazu in dem Gemüthe Gutzkows, ein Drang, dessen Realisirung wie ein Blitzstrahl in die dunklen Wirren der Literatur fallen sollte. Was das Buch im literarischen Zusammenhange und im Entwicklungsgange Gutzkow’s bedeutet, schlage ich fast noch höher an, als was es in biographischer Hinsicht ist, so sehr Gutzkow selbst sich vielleicht dagegen sträubte. [59] Möglich, daß er nichts Anderes, als einen Akt der Pietät zu vollziehen glaubte, sehr möglich; das Leben Börnes ist aber für jeden Dritten, welcher weiß, daß Gutzkow auch einen Göthe im Wendepunkte zweier Jahrhunderte geschrieben, mehr als eine Biographie. Das Leben Börnes und die Schrift über Göthe aus der Feder Eines Schriftstellers sind für mich zwei Sätze, aus denen ich den dialektischen Schluß ziehe: „die Versöhnung von Göthe und Börne ist die nächste Aufgabe, das nächste Ziel unserer Literatur;“ darauf hat sie bereits in einem ihrer würdigsten Repräsentanten hingearbeitet, darauf wird und soll sie namentlich in der Zukunft hinarbeiten. Recht klar geworden und zum Bewußtseyn gebracht ist diese Aufgabe erst durch die Biographie Börnes von Gutzkow, in dessen Geist Göthe’sche und Börne’sche Elemente von Jahr zu Jahr zu einer friedlicheren, schöneren Einheit sich zu verbinden streben. (Wird fortgesetzt.)

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Stellenerläuterungen#