Ludwig Tieck#
Metadaten#
- Herausgeber
- Wolfgang Rasch
- Fassung
- 1.1
- Letzte Bearbeitung
- 14.02.2020
- Druckansicht des Textes
- Haupttext als PDF
Text#
543 Ludwig Tieck.#
Der Tod versöhnt. Ludwig Tieck, nicht in überraschend rührender Vorfrühe sterbend, sondern achtzigjährig dem Maße des Menschlichen erliegend, wird in den Nachrufen, die man über ihn liest, nur mit dem Andenken an seine Tugenden, nicht an seine Schwächen gefeiert. Nur Frühling und romantische Erinnerung umsäuseln sein Andenken. Selbst Gegner seines Standpunkts wissen nur vom „Zerbino“, vom „Phantasus“ und seiner Shakspeare-Liebe zu erzählen.
Es ist dem greisen Dichter von der neuern Kritik viel Unrecht geschehen. Die Ruge’sche Schule, der neudeutschen Romantik nachwühlend durch moderne Kirche und modernen Staat hindurch bis zu ihren ersten Anfängen in den poetischen Richtungen des endenden vorigen Jahrhunderts, glaubte es möglich machen zu können, daß alle und jede ästhetische Berechtigung in Tieck’s Wirken verworfen würde. „Meister Ludwig“ sollte sogar nicht einmal Witz, Laune und Humor besessen haben. All sein Erscheinen in der Literatur wurde verdächtigt und die Stellung, die ihm dann Gervinus eingeräumt hat, ist auch nicht eben fest und rückhaltig genug, um ihn gegen solche Art von Polemik sicherzustellen. Der bekannte Terrorismus jener Ruge’schen Schule verschüttete das Kind mit dem Bade. Wer für die Anfänge der Tieck’schen Muse, für die ersten Klänge der neuen Romantik, die zauberhaft durch Deutschlands Wälder rauschte, kein Herz und kein Ohr hat, zeigt sich entweder aller poetischen Empfänglichkeit überhaupt bar oder zwingt sein Gemüth unter eine Principientyrannei, wo man zuletzt seine fünf gesunden Sinne zu brauchen verlernen muß.
Etwas Anderes ist es freilich mit Tieck’s Ausgang. Wäre das Andenken dieses Todes nicht noch zu frisch, wir würden keinen Anstand nehmen, auch die Schattenseiten einer eigenwilligen, der unbequemen Welt und der Zeit sich abschließenden Natur ebenso ausführlich aufzuzählen, wie man jetzt die Lichtseiten aufzählt. Die Gefahr, daß jene Schattenseiten in Vergessenheit kämen, ist an sich gering. Die Literaturgeschichte wird dann und wann doch noch zuweilen von einem objectiven Standpunkte und ohne Sentimentalität geschrieben werden. Die Literaturgeschichte läßt sich nicht blenden, weder von der Kunst des Vorlesens, noch von dem Nimbus einer liebenswürdigen Persönlichkeit, noch von dem abendrothen schönen Glanze einer letzten schwindenden Tasso-Zeit, die hier noch ein Dichterdasein wie in Belriguardogärten gehütet, gehegt und königlich gepflegt hat. Die Literaturgeschichte wird prüfen, was so lange Jahre bei der Empfehlung der Gunst oder dem Widerrathen der Ungunst bei Tieck aus seiner bequemen, eigentlich schwunglosen und tiefinnerlich sich dem wahrhaft Ergreifenden (wie z. B. Schiller gegenüber) unzulänglich und schwachfühlenden Begabung herzuleiten war. Nur 544 so ganz sollte man selbst für den Augenblick mit der nur versöhnten Auffassung den Act der letzten Ehre und Huldigung nicht schließen. Wem so die Literatur nur etwas Formelles und Treibhausgezogenes war wie Tieck, wer so wenig Sinn und Stimmung für die Ueberzeugung hatte, daß die relative Methode der kritischen Werthschätzung, das Vergleichen des Neuen immer nur mit dem entsprechenden Alten nicht die ganze Befähigung zur objectiven Würdigung des Neuen ausdrückt, und wer endlich so kalt und oft gehässig sich dem Leben der Zeit, ihren Ideen und Gestaltungen entzog, von dem muß im Tode wenigstens so viel festgestellt werden, daß sein gleichsam hinterlassenes Testament, das poetische Facit seines Lebens ebenso wenig maßgebend sein darf wie seine noch etwa auftauchenden Meinungen und Urtheile über die von ihm oft nach Laune und persönlichem Eindruck erfaßte Bestrebung der Mitwelt. Die Berufung auf Tieck’s Autorität hat schon während seines Lebens manchem Talente, das nur gerade nicht in seine Welt- und Literaturauffassung paßte, unsägliche Störung und Hemmniß bereitet, während das Meiste von Dem, was Tieck als Kritiker oder Dramaturg oder Rathgeber eines Fürsten zu fördern sich geneigt zeigte, spurlos vorüberging. Selbst „Antigone“ und „Sommernachtstraum“ würden nicht die glänzenden Ausnahmen dieser Thatsache sein, wenn nicht Mendelssohn’s Musik diese Experimente zu selbständigen Schöpfungen erhoben hätte, die zuletzt dem Geiste der eigentlichen Tieck’schen Absicht entrückt wurden.
In nächster Nummer einige Worte über Sydow’s vortreffliche, den Dichter wie den Sprecher ehrende Gedächtnißrede.
Apparat#
Bearbeitung: Wolfgang Rasch, Berlin#
1. Textüberlieferung#
1.1. Handschriften#
1.1.1. Übersicht#
Es sind keine handschriftlichen Überlieferungsträger bekannt.
1.2. Drucke#
2. Textdarbietung#
2.1. Edierter Text#
J. Der Text folgt in Orthographie und Interpunktion unverändert dem Erstdruck. Textsperrungen werden übernommen. Silbentrennstriche (=) werden durch - wiedergegeben. Die Seitenzählung wird mit Klammern [ ] an den betreffenden Stellen in den Text eingefügt.
Kommentar#
Der wissenschaftliche Apparat wird hier zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht.