[Über Dramen Edward Lytton Bulwers]#
Metadaten#
- Herausgeber
- Martina Lauster
- Fassung
- 1.2
- Letzte Bearbeitung
- 12.01.2021
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Text#
[Über Dramen Edward Lytton Bulwers]#
[1.]#
* Bulwers Lyoneserin ist ein gutes Bühnenstück mit einigen Albernheiten, zu denen besonders die Französischen Brocken des Dialogs in einem Stücke gehören, das in Frankreich spielt. Es ist fast so, als wenn Seydelmann den Ossip, 1519 einen Russen, in Rußland gebrochen Deutsch sprechen läßt. Die Vorstellung auf hiesigem Stadttheater spielt gut ineinander, obgleich die beiden Hauptpersonen, Pauline und Melnotte viel zu wünschen übrig lassen. Herr Baumeister giebt seinen Helden mit vieler Liebe und einem ihm immer schön stehenden Eifer wieder, aber feines, durchdachtes Spiel, geistreiche Nüancirung ist seine Sache nicht. Er versah es in sehr wichtigen Momenten gänzlich mit den Modulationen seiner Stimme; wo gleich im ersten Akte der Brief zurückkommt, mußte er am allerwenigsten den tragischen pathetischen Ton: O Du Schändliche! u. s. w. anwenden, um so weniger, als der Bote ihm sagt: Du bist traurig? Herr Baumeister war aber nicht traurig, sondern wüthend. Überhaupt hinkoisirte Herr Baumeister ein wenig. Die Stellen, wo er an die militairische Carrière dachte, mußten immer mit Sinnen und Grübeln vorgetragen werden; wenn Damas davon sprach, mußte Melnotte wie aus Träumen auffahren und gleichsam an ein Geheimniß, das er im Stillen bei sich trug, erinnert werden. Die spätern Stellen gelangen besser, da in ihnen der Affekt vorwaltete. Dem. Enghaus giebt die Lyoneserin nicht vornehm und stolz genug; sie schwimmt gar zu leicht mit ihrem Gefühl davon, das weit seltner hervorzubrechen hat. Im Original bei Bulwer ist der Contrast beider Empfindungen auch schroffer gehalten; wir glauben fast, daß im 3ten Akte, sehr mit Unrecht, Manches vom Bearbeiter gemildert worden ist. Den Moment, wo Pauline klar sieht und sie sagt: Das also ist das Schloß am Comersee? u. s. w. wußte Dem. Enghaus nicht auszubeuten. Sie fand hier den Ton nicht, der die Verzweiflung und die Entrüstung ausdrückte; er lag grade eine Octave höher, als der, den Dem. Enghaus anschlug. Die Stimme mußte das höchste Register anziehen, das Tragödienregister des 5ten Aktes, die Scala der schreienden Verzweiflung; was sie gab, war matt und leblos. Die spätern empfindenden und thränennassen Stellen gelangen besser, ob wir gleich die junge Dame fragen möchten, ob sie denn keinen Freund auf der weiten Welt Gottes hat, keinen ergebenen Diener ihres Talentes, keinen, der es ehrlich mit ihr meint und ihr es beibringt, statt 1520 Lieba zu sagen: Liebe, statt Reua, Reue u. s. w. So kneifen Sie doch, junge Dame, den Mund ein, wenn Sie ein E zu sprechen haben und legen Sie sich förmlich ein Gebiß an, bis Sie es können. Hat Demosthenes nicht Steine in den Mund genommen, um das R und Jerrmann nicht Kalbsknöchel, um Französisch sprechen zu lernen? Der Ruf, eine erste tragische Liebhaberin zu seyn, muß durch Mühe und Fleiß errungen werden, wenn das Genie fehlt. Herr Fehringer hatte wieder seinen ungrammatikalischen Tag. Er sagte: ihm kämen die Thränen in den Augen. Uns kamen sie darüber in die Augen.
[2.]#
* Wenn eine spannend angelegte Handlung, überraschende Aktschlüsse, klar gezeichnete Charaktere und ein geläufiger Dialog die Erfordernisse eines guten Theaterstückes sind, so verdient Eugen Aram von Rellstab (gegenwärtig auf dem Hamburger Repertoir) eine freundliche Erwähnung. Die innere psychologische Motivirung des Stoffes mag Bulwer verantworten, dem Rellstab zum größten Theil das Material entnommen hat. Herr Baison giebt die Titelrolle mit denkendem Ernst und mit einem glücklichen Anflug von Melancholie, ganz geschaffen, die Zuhörer in einer wehmüthig gespannten Theilnahme zu erhalten. Von den übrigen Rollen ist keine eigentlich brillant, d. h. dem Talente der Darsteller einen weiten Spielraum lassend; doch ist jede in den geeignetsten Händen und wird mit rühmlicher Sorgfalt ausgeführt.
[3.]#
- Man hat Herrn Jost als Brandom in Rellstabs Eugen Aram tadeln wollen und doch steht uns grade dieser Charakter in den markantesten Zügen unauslöschlich vor den Augen! Was uns an dieser Zeichnung verfehlt scheinen möchte, kommt wohl eher auf Herrn Rellstabs, als Herrn Josts Rechnung. Was sich nur irgend aus dem Bilde schaffen ließ, hat Jost meisterhaft getroffen. Brandom, sittenlos, nicht ganz schlecht, aber auch nicht gut, mit jenen weichen Regungen versehen, die auch das Thier mit dem Menschen gemein hat, die Liebe zu seinen Jungen, Brandom, ein Mensch, nicht niedrig genug, um nicht einmal einen Ansatz zu Arams Freundschaft gehabt zu haben und doch wieder im Gemeinen stecken geblieben, Brandom, ein Verbrecher, der sein Gewissen in Grog und sinnlichen Genüssen erstickt, wie Aram in Büchern und edlen Sentiments, Brandom in der Abhängigkeit vom Genie, selbst mit der Wahrheit in den Händen zitternd vor der Übermacht eines imponirenden Blickes aus Eugens Auge und zuletzt im visionären Wahnsinn zusammenknickend - so zeichnete ihn Jost, so führte er ihn durch. - Besonders gut war Jost im dritten Akt in der Scene mit dem Schenkmädchen. Die Art, wie er sich von Dem. Spahn im Haar krauen ließ, wie er die Wollust, von ihr geschlagen zu werden, malte, verräth das tiefste Studium der menschlichen Seele auf allen ihren Stufen. Auch der Accord mit Aram und besonders die Gerichtsscene mit dem erschütternden: „Jesus Christus“ waren treffliche Leistungen. - Als Schauspieldirektor Bock in Richard Wanderer sahen wir leider Herrn Jost nur in der ersten Scene. Wir hätten gewünscht, beim Kartenspiel ihn mehr dem Gespräche Wanderers mit dem Wirth lauschen zu sehen; denn wie kann er dabei so gleichgültig seyn, wenn er in der Nähe einen berühmten Acteur hat, von dessen Gastspiel er sich für seine Scheune gute Einnahme verspricht? Als Bonoil machte uns Jost herzlich lachen. - Eugen Aram selbst ist bekanntlich eine der besten Leistungen unsers Baison und in diesen Blättern schon mehrfach besprochen. Im Räuberhauptmann nahm Herr Burmeister seine Rolle edelmüthig sentimental; quod non - Im Wanderer ist Herr Brüning so in seiner Sphäre, daß er zweimal gerufen wurde. Er spielte diesen Deklamationsnarren mit dem liebenswürdigsten Humor. - Therese Elsler tanzte eine Scene aus Sylphide mit dem ganzen Aufwand von Kunstfertigkeit, der ihr eigen ist. Dem. Dobritz unterstützte sie. Warum denn immer so mürrisch und apathisch? Eine Tänzerin muß uns hold anlächeln, wenn auch nicht so übertrieben freundlich, wie Herr Benoni, der in seinen Mienen gar zu viel Süssigkeit verschwendet.
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Apparat#
Bearbeitung: Martina Lauster, Exeter#
1. Textüberlieferung#
1.1. Handschriften#
1.1.1. Übersicht#
Es sind keine handschriftlichen Überlieferungsträger bekannt.
1.2. Drucke#
2. Textdarbietung#
2.1. Edierter Text#
J. Der Text folgt in Orthographie und Interpunktion unverändert dem Journaldruck. Textsperrungen werden übernommen. Silbentrennstriche (=) werden durch - wiedergegeben. Die Seitenzählung wird mit Klammern [ ] an den betreffenden Stellen in den Text eingefügt.
6. Kommentierung#
6.1. Globalkommentar#
Der englische Schriftsteller Edward Lytton Bulwer (→ Lexikon) war in den 1830er Jahren in Deutschland so populär, dass seine Werke zugleich in drei verschiedenen Übersetzungsausgaben erschienen. Für Gutzkow, der an der ‚Übersetzungsindustrie‛ heftige Kritik übte, da sie das Aufkommen einer eigenen deutschen Literatur nach dem Ende der ,Kunstperiode‛ behinderte (→ Die Deutschen Uebersetzungsfabriken), war Bulwer sowohl ein Konkurrent als auch ein Vorbild. Als enzyklopädisch belesener Autor und ,man of letters‛ lebte dieser ausschließlich vom Schreiben, verdiente dabei allerdings sehr viel mehr als seine deutschen Berufsgenossen und wandelte sich – wie Gutzkow selbst ab 1839 – vom Prosaschriftsteller zum erfolgreichen Dramatiker.
Als Redakteur des bei Hoffmann & Campe erscheinenden „Telegraph für Deutschland“ wohnte Gutzkow ab Ende 1837 in Hamburg und schrieb für den „Telegraph“ u. a. regelmäßig Theaterkritiken. Die Zusammenstellung von drei solchen Beiträgen Gutzkows (vom November 1838, Oktober 1839 und April 1840) zeigt die Bedeutung Bulwers für das deutsche Schauspiel um 1840. Das Hamburger Stadttheater, eine der führenden Bühnen im deutschen Sprachraum, brachte in der Spielsaison 1838-39 zwei neue Bulwer-Stücke. Das im Februar 1838 in London uraufgeführte Lustspiel „The Lady of Lyons; or, Love and Pride“ wurde in der zügig erfolgten Übersetzung und Bearbeitung Georg Nikolaus Bärmanns (für die Zwickauer Bulwer-Werkausgabe) unter dem Titel „Die [schöne] Lyoneserin oder: Hoffahrt und Liebe“ in Hamburg zuerst im Juli 1838 aufgeführt. 1839 folgte ein Trauerspiel, das auf Bulwers Verbrecherroman „Eugene Aram“ von 1832 basierte und von dem der englische Autor selbst schon eine fragmentarische Bühnenfassung hergestellt hatte. Die ab August 1839 in Hamburg aufgeführte Tragödie „Eugen Aram“ war eine neue, aus demselben Jahr stammende Bearbeitung durch Ludwig Rellstab. Beiden Stücken liegt ein historischer Stoff zugrunde, dessen soziale Aktualität Bulwer ausschöpfte: die ins Wanken geratene Klassendifferenz zwischen Adel und Kleinbürgertum in der republikanischen Phase der Französischen Revolution („The Lady of Lyons“) und die dünne Linie zwischen Gelehrtentum und Kriminalität, bürgerlicher Respektabilität und Verbrechersphäre im Schicksal des 1759 hingerichteten Eugene Aram.
Gutzkow war im wörtlichen Sinn in die Rolle Bulwers geschlüpft, als er 1837 seine panoramatische Bestandsaufnahme der europäischen Gegenwart, → Die Zeitgenossen, als Übersetzung aus dem Englischen des E. L. Bulwer veröffentlichte. Zensurgründe, d. h. die dem Bundestagsbeschluss gegen das Junge Deutschland folgenden Repressionen, waren das Hauptmotiv zu dieser Mystifikation, aber eine Wunsch-Affinität mit dem englischen Kollegen, der sich so glänzend als ‚public character‛ behauptete, war nicht von der Hand zu weisen (→ Die Zeitgenossen, Globalkommentar). Mit Richard Savage, einem Stück, das die Blütezeit der frühbürgerlichen Öffentlichkeit im London des 18. Jahrhunderts zum Hintergrund hat, erlebte Gutzkow im Juli 1839 seinen Durchbruch als Dramatiker am Frankfurter Stadttheater. Er verfolgte sein vormaliges alter ego Bulwer aufmerksam in der Entwicklung seiner Bühnenkunst. Gutzkows Hamburger Theaterkritiken verraten die Einfühlung eines Schriftstellerkollegen in die psychologische Motivierung der Figuren, und der Kritiker hält nicht zurück mit Lob und Tadel der Schauspieler bei der Erfassung solcher Nuancen.
Mit dem satirischen Drama „Money“ (uraufgeführt im Dezember 1840) wandte sich Bulwer der zeitgenössischen Londoner Finanzwelt zu. Auch hierüber erschien im „Telegraph“ sehr bald, am 27. Februar 1841, unter der Rubrik „Miscellen“ eine Notiz, die allerdings nicht von Gutzkow stammt, denn es handelt sich um den Nachdruck einer Londoner Korrespondenz aus dem Cottaschen „Morgenblatt“. Hier wird Bulwer scharf dafür kritisiert, dass er mit dem Thema ,Geld‛ auch selber zum Farcenproduzenten und Kassenfüller geworden sei (in der Tat wurde „Money“ zu einem seiner durchschlagenden Erfolge). Gutzkow nahm die Notiz vermutlich nicht aufgrund dieser Wertung in seine Zeitschrift auf, sondern aus Interesse an der Professionalität Bulwers und seiner satirischen Durchdringung der Charaktermasken, die das Geld produziert. Ohne Zweifel besteht ein Zusammenhang von Gutzkows eigenem Stück „Die Schule der Reichen“ und Bulwers „Money“, allerdings nicht in Bezug auf den Publikumserfolg bei der Erstaufführung. In der Handelsstadt Hamburg fiel das Drama wegen seiner Kritik des Profitstrebens am 25. Oktober 1841 spektakulär durch.