Der deutsche Roman#
Metadaten#
- Herausgeber
- Wolfgang Rasch
- Fassung
- 1.1
- Letzte Bearbeitung
- 10.02.2020
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Text#
285 Der deutsche Roman.#
Entweder ist der Roman in Deutschland mit seinen eigenthümlichen Motiven immer zu früh oder immer zu spät gekommen. Am seltensten war er die Initiative, am häufigsten der Absud unsrer Culturgährungen. In dem ersten Falle sind jene philosophischen Romane, welche aus speziellen Interessen hervorgingen, wo sich zwei Herzen verliebten, um eine Kategorie der Kantischen Philosophie zu beweisen, oder jene humanistischen, eklektischen Romane, wie Haller’s Usong oder Meyern’s Dya-Na-Sore zu ganz verschiedenen Zeiten, oder endlich eine Gattung, welche tiefer griff, jene Romane Göthe’s mit ihrer didaktischen Tendenz, ihren bildungsuchenden Kaufmannssöhnen (Wilhelm Meister war ein Frankfurter Weinreisender, der sich kultiviren wollte), mit ihren Tagebuchschriftstellerinnen und einseitiges Kopfweh habenden Ottilien, und um diese Gattung herum die phrygisch-wollüstigen und künstlerisch-raffinirten Romane Heinse’s und Friedrich Schlegels. Hier ist Tonangabe, primäre Absicht, hier ist der Roman die Blendlaterne des Ideenschmuggels. Die zweite Gattung ist der Roman, welcher die Kulturkeime von fremdher empfängt und sie nun zeitigt ins Ungeheure hinaus, in üppig-wuchernde, das Saatkorn fast verläugnende Erfindungen durch Kalkül und Raffinement; der vorzugsweis epische Roman, der die guten fremden Ideen breitschlägt, aus der Manie eines Genies sogleich Manier macht, der Vermittelungsroman, der in der Leihbibliothek am schnellsten schmutzig wird, der aus Götzen von Berlichingen einen Haspar a Spada für die Masse, aus Werther einen Siegwart für die Nähterin, aus dem Geisterseher einen Hechelkrämer für die Spinnstube machte. Dieser triviale Roman hat in Deutschland immer das meiste Glück gemacht; denn er schuf das Neue ins Bequeme und das Geniale ins Genießbare um. So war es im goldnen Zeitalter, so im silbernen, so im kupfernen und eisernen; wird es auch in unserm so sein, im quecksilbernen Zeitalter?
Wir müssen einige Worte sagen von Hoffmann, Clauren, Vandervelde und Spindler. Hoffmann stand schon auf der Stufe von der Initiative zum Absud. Er vermittelte sich selbst an die Masse. Er übersetzte das selbst in die Sprache der Menschen, was er in der Sprache der Götter gefunden hatte. Hoffmann fing an, sich selbst breit zu treten, als er anfing, sich selbst nachzuahmen. Er nahm keine Commissionäre an, welche mit seinem Genie einen Detailhandel hätten treiben können, sondern er verkaufte selbst en gros und nach der Elle. Hoffmann hatte deshalb ein großes Publikum; aber er verlor es auch desto früher; denn dem Ungebildeten war Einiges an ihm doch zu gebildet, und dem Gebildeten zuletzt doch das Meiste zu ungebildet. Clauren war auch eine Initiative; nur war zufällig das, was er erfand, eben der Absud selbst. Clauren war ein Genie der Gemeinheit: man kann 286 sagen, daß er in seiner Sphäre klassisch war. Clauren konnte, was Klopstock von seiner Idee, von der Unsterblichkeit, sprach, eben so gut von der seinigen sagen: „Gemeinheit ist ein großer Gedanke, und des Schweißes der Edlen wert!“ Er hatte doch etwas erfunden, er war ganz neu darin, und es ist nur Schicksalsbeschluß gewesen, daß Eines und das Andre, Ziel und Mittel, das Originelle und das Triviale, das Schöpferische und das Nichtswürdige bei ihm zusammenfiel. Bei Clauren hörte der Roman auf, aus dem Bereiche der Ideen zu schöpfen. Die Spätern sind nur formell, die Hülle ist das Wesentliche, sie vermitteln nichts mehr, als eine Intrigue, welche spannend durch drei Bände hindurchzuführen den Künstler verrathen soll: wenn sie nur interessant sind! Der historische Roman hat Alles erlaubt; denn es kommt nur darauf an, ein Stück harter Geschichte zu zermalmen, und gleichgültig bleibt es, ob dies durch Thränen à la Lafontaine oder durch Scheidewasser aus den Ritterromanen (was ist ein Ritterroman ohne Scheidewasser! und doch wurde dies ätzende Gift erst im vorigen Jahrhundert entdeckt!) oder durch Phantasterei à la Hoffmann oder endlich durch Jean-Paul’sche Formlosigkeit geschieht. Es ist in dieser Hinsicht eine höchst vollkommne Unvollkommenheit, ein Eklekticismus eingerissen, der Alles erlaubt. Kann man Walter Scott eine geniale Initiative nennen, so haben ihn Vandervelde und Spindler hinreichend verpflanzt, um nicht zu sagen breitgetreten. Spindler ist übrigens nahe daran, schon wieder vergessen zu werden. Er füllt nur eben das Bedürfniß aus. Undankbare Zeit!
Die Aspekte für den deutschen Roman konstelliren sich jetzt anders. Seit einigen Jahren haben sich einige mehr oder minder vorzügliche Romane herausgegeben, welche von den Herren König, Rehfues, Steffens, Tieck, Rellstab und W. Alexis herrühren. Ich weiß, daß mehr oder minder poetische Kraft, innere und äußere Kraft, Kraft im Einzelnen, in diesen Schöpfungen hervorgehoben zu werden verdient; doch kann ich nicht umhin, dies Eigenthümliche derselben vorzugsweise in dem Ausdruck: Bildung und Reife zu finden. Himmel, darauf kommt sehr viel an! Wir sehen fertige, vollkommene Menschen, welche ihres Gegenstandes Meister sind, ihn mit plastischer Ruhe beherrschen und so viel Phantasie besitzen, daß sie auf die Wirkung ihrer Arbeiten spekuliren können. Hier ist zwar keine Idee mehr, auch keine Poesie, was man eigentlich Poesie nennt, Poesie mit dem Anlaufe eines Titanen, elastische Poesie; aber Interesse und Unterhaltung und gute Gesellschaft. Die Werke dieser Herren kann die Keuschheit in die Hand nehmen, und der Gelehrte und Gebildete, der Überdruß empfindet an der bisherigen nur auf Kinder und Pöbel berechneten Romanenliteratur, läßt sich wieder mit einer Gattung versöhnen, welche die verrufenste in der Literatur war. Dieses hier muß vornehmlich geschätzt werden, und ich werde immer erst den Hut abnehmen, wenn ich jenen Herren in diesen Blättern etwas im Vertrauen zu sagen habe.
Das Ächte und wahrhaft Classische bleibt freilich immer die Idee. Die Idee muß den Roman regieren; aber man frage mich nicht, welche? Nur dies eine Merkmal kann ich angeben, daß sie etwas Ähnlichkeit mit einer Leidenschaft haben muß; auch hab’ ich nichts dagegen, wenn man deutlicher sagen will: die Leidenschaft muß den Roman regieren. Das dritte Wort, das hieher gehört, ist die Kunst; und nun will ich sagen, daß in dieser Gattung, welche die allein literarhistorische ist, erst drei Autoren geschrieben haben unter den Neueren; 1) ich, 2) Heinrich Laube und 3) Emerentius Scävola. Alle drei haben bis jetzt noch Fehler gemacht: der Erste, weil er einen Roman schrieb (Maha Guru), der aus Idee und Kunst zusammengesetzt war, dem aber die Leidenschaft fehlte: der Zweite, weil er eine Novelle schrieb (das junge Europa), die aus Idee und Leidenschaft zusammengesetzt war, der aber die Kunst fehlte: der Dritte, der alle drei Erfordernisse in sich verbindet, und doch nicht für klassisch gelten kann, weil er ohne Weihe ist und die Klippe des Ordinären nicht immer vermeidet, welche die beiden ersten niemals zu fürchten haben.
Emerentius Scävola hat Idee, Leidenschaft und Kunst; aber jedes leider in einem depotenzirten Grade. Die Idee geht nur bis zu der Linie des Sonderbaren und Auffallenden, die Leidenschaft ist ohne das Feuer der Subjektivität und Jugend, die Kunst beschränkt sich auf eine Fertigkeit, die lange nicht an Rehfues’ Meisterschaft reicht. Die Idee ist hier eine kalte Conception von Außen im Interesse der Neuheit, die Leidenschaft ergreift den Autor nicht selbst, sie bleibt immer nur bald die Wirkung, bald die Ursach seiner Combinationen, und endlich ist die Kunst etwas profan, ja sogar mehr Brodstudium, als Entzücken, sie dehnt, um vier Bände zu machen.
Emerentius Scävola wählt immer glühende, stark mit Leidenschaft versetzte Süjets, psychologische Phänomene, welche finstre Schlagschatten werfen, ja sogar Situationen, die, wenn man sie ganz unabhängig von der Fabel betrachtet, der Ehrbarkeit das Blut in die Wangen treibt. Die Heldin seines neuesten Romans Leonide, ist zu gleicher Zeit die Gattin zweier Männer. Wie sich das anhört! Jedes Eheweib wird die Augen senken, und doch ist Alles sehr interessant, sehr rein und tugendhaft ausgeführt. Wir erleben nur eine Verirrung der Verhältnisse, weniger der Leidenschaft, wenigstens wird diese durch jene immer gemildert. Dazu kömmt eine vollendete Reife der Auffassung, ja sogar poetisches Detail, wie im ersten Theile des Romans, in welchem sich die überraschenden Parthien drängen. Die Armuth Auverrieres, die Mutter Leonidens, - das ist Alles hinreißend schön. Wären nur die drei folgenden Bände unter einem bessern Gestirn geboren! Diese sind merkantilisch, dann und 287 wann sogar ordinär, der Autor fällt in den Schlendrian der gewöhnlichen Erzählungsweise und nimmt die Aufmerksamkeit seines Lesers mit Rettungsscenen in alter verspotteter Manier ein. Dies ist das Gemeine, was Emerentius Scävola vom Tische der Götter ausschließt.
Eine Bemerkung möge hier noch Raum finden. Ich glaube nämlich, daß sich eine besondre Meinungsunvollkommenheit an Emerentius Scävola gerächt hat. Sein Roman fängt in demselben Augenblicke, wo er auf loyal-royalistische Gesinnungen basirt ist, auch an, gewöhnlich zu werden. Sowie der Verfasser seinen Abscheu vor einer großen Thatsache der Geschichte, die man statt zu verdammen, immer, wenn nicht entschuldigen, doch erklären sollte, vor der französischen Revolution ausspricht, sowie seine Helden die weiße Kokarde des Servilismus aufstecken, sind auch die Schwingen seines Fluges gelähmt und er klatscht nur noch unten auf dem gemeinen Boden der Wirklichkeit. Man sieht dann keinen Genius mehr in ihm, sondern einen ganz gewöhnlichen Regierungsrath, der plötzlich die Marotte bekömmt, Bücher schreiben zu wollen. Man riecht den Aktenstaub seines Büreaus und hört die klingenden Zehnthalerdüten seines vierteljährlichen Gehaltes. Illusion und Poesie sind verschwunden. Nicht aus der Phantasie des Lesers; denn das könnte eine Ungerechtigkeit sein; sondern aus dem Autor selbst, aus seiner Intrigue, aus seiner Darstellungsweise, aus allem, was den ersten Theil seines Romans, der im rein Menschlichen, von der Parthei unabhängigen Lebenskreisen sich bewegt, so besonders auszeichnet. Wir wissen es schon, welches der Fluch des Servilismus in der Poesie ist. Es ist die Langeweile. -
Apparat#
Bearbeitung: Wolfgang Rasch, Berlin#
1. Textüberlieferung#
1.1. Handschriften#
1.1.1. Übersicht#
Es sind keine handschriftlichen Überlieferungsträger bekannt.
1.2. Drucke#
Gutzkows Beitrag Der deutsche Roman wurde zuerst im "Literatur-Blatt" zum "Phönix" veröffentlicht. Diese Arbeit verwendete Gutzkow 1836 in seinen Beiträgen zur Geschichte der neuesten Literatur, wo er im Abschnitt Roman zwei längere Passagen des Aufsatzes einarbeitete.
2. Textdarbietung#
2.1. Edierter Text#
J. Der Text folgt in Orthographie und Interpunktion unverändert dem Erstdruck. Textsperrungen werden übernommen. Silbentrennstriche (=) werden durch - wiedergegeben. Die Seitenzählung wird mit Klammern [ ] an den betreffenden Stellen in den Text eingefügt.
Die Liste der Texteingriffe nennt die von den Herausgebern berichtigten Druckfehler sowie die Emendationen. Fehlende oder überzählige Spatien im Erstdruck wurden stillschweigend korrigiert.
2.1.1. Texteingriffe#
4,26 versetzte versetzter
Kommentar#
Der wissenschaftliche Apparat wird hier zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht.