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Ein deutsches Dichterleben#

Metadaten#

Herausgeber
  1. Wolfgang Rasch
Fassung
1.2: Ergänzung Apparat
Letzte Bearbeitung
05.12.2022
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Text#

765 Ein deutsches Dichterleben.#

Das Leben unserer ältern Dichter verlief größtentheils sehr einfach. Sie hatten meistens studirt, dann ein Amt angetreten und dichteten in ihren Mußestunden. Wessen Genius höhere Flüge versuchte, der sah sich zeitig nach „Gönnern“, „Mäcenen“ um und fand sie im höhern Adel und Fürstenstande. Es wurde keinem unserer großen Geister verdacht, wenn er ambirte, petitionirte, Huldigungsgedichte schrieb, Widmungen seiner Werke erließ und sich in den Besitz eines Amts, einer Pension in den üblichen Formen der unterthänigsten Devotion zu versetzen suchte. Die vielen Bittbriefe dieser Art, Briefe, die von Klopstock an bis auf Jean Paul genugsam existiren, verdenkt diesen großen Namen jetzt Niemand. Im Gegentheil: sie rühren uns.

766 Mit der Gegenwart ist es anders. Die Dichter des Tags theilen sich in zwei Classen: in harmlose und anstößige. Harmlos sind die Poeten, die in ihrer frühesten Entwickelung, in ihrem Naturell, in den Umständen ihrer allmäligen Ausbildung vor dem Zusammenhang mit den Kämpfen der Zeit bewahrt blieben. Anstößig sind diejenigen, die ihr Naturell, ihr Bildungsgang früh auf die Arena der Zeitkämpfe führte und denen sich ihr Dichten und Trachten mit den philosophischen, kirchlichen und politischen Debatten des Tags versetzte. Sie werden, wie 1853 der Geschmack ist, immer seltener. Die Zeit hat Warnungstafeln aufgestellt.

Der Lebenslauf „harmloser“ Schriftsteller geht größtentheils noch immer mit der Gunst derjenigen Beförderung, die sie vor Mangel und Entbehrung schützt. Schwieriger verwickelt sich dem Autor sein Dasein, wenn er an den sich bekämpfenden Ideen der Zeit betheiligt war. Er bleibt, wenn er zu einer Richtung gehört, die man von oben her verwirft, fast sein Lebenlang auf sich angewiesen. Aemter, Unterstützungen der Großen sind ihm verschlossen. Wachend über die Lauterkeit seiner Ueberzeugungen darf er kaum nach irgend einer Seite hin Schritte zur Verständigung wagen. Er ist der moderne geistige Proletarier, den wol einmal ein Erfolg über die Sorgen einiger Jahre hinwegführen kann, der aber immer wieder aufs Neue bedacht sein muß, für seine fernern Hülfsquellen selbst zu sorgen und sich sein Talent wie nur irgend möglich ergiebig zu machen.

Wer unsere Zeit mit philosophischem Blick beurtheilt, wird in der Entstehung eines solchen subtilern Schriftstellerproletariats ein tieferes Moment unserer Entwickelung nicht verkennen. Er wird daraus Schlüsse ziehen auf die Literatur wie auf die Zeit. Aehnliche Erscheinungen hatte man in der Literatur Englands im vorigen Jahrhundert, nur mit dem Unterschied, daß dort die unruhigen Autoren zwei mächtige Parteien vorfanden, die gleichberechtigt mit einander rangen, sich verdrängen konnten und selbst wenn sie unterlagen, von ihrer Partei mit den nöthigen Gütern des Lebens ausgestattet und von Denen, die mit ihnen gestritten hatten, schadlos gehalten wurden. Auch Frankreich hatte eine anstößige Literatur. Die Encyklopädistenschule gehörte zu ihr; aber ehe die Revolution ihre blutigen Tribunale aufgeschlagen hatte, gingen Thron und Altar, Alles, was auf Bildung Anspruch machte, mit den Grundbegriffen der Revolution, ihren Wortführern und Propheten. Diderot bewegte sich in der höchsten Gesellschaft, wurde von der Kaiserin von Rußland glänzend empfangen und beschenkt, Rousseau konnte sich vor Herzoginnen und Marquisinnen, die ihm mit Gewalt sein Leben auf seidenen Kissen betten wollten, nicht bergen.

Alles Das hat sich geändert. Wie sehr ein liberaler Schriftsteller ein Paria der Gesellschaft ist, wie schwer es ihm wird, selbst bei Erkenntniß etwaiger Irrthümer oder zu geringer Befähigung umzukehren und andere Lebensberufe zu erwählen, wie sehr ihn sein Schicksal treibt, auf der Bahn eines solchen Wirkens und Schaffens, wie es hintennach die Kritik oder Literarhistorie gewöhnlich verurtheilt, fortzugehen, beweise ein Rückblick auf das Leben des kürzlich verstorbenen Dichters Eduard Duller.

Eduard Duller war ein Oestreicher. Ihn wie viele seiner Landsleute ergriff früh die Sehnsucht, mit dem Regen eines poetischen Dranges auch die Heimat aufzugeben und sich von der Kraft seiner Flügel nach den deutschen Gegenden versetzen zu lassen, wo den jugendlichen Hoffnungen Ruhm und Erfolge winken. Es drängt die bald Enttäuschten meist nach Sachsen. Duller wanderte in den dreißiger Jahren nach München. Ein gewisser katholischer, mittelalterlich gestimmter Sinn führte ihn zur Pflanzstätte der neuern Kunst und engverbunden mit seinem Landsmann und Freunde Moritz von Schwind, der die mittelalterliche Auffassungsweise seiner Kunst bis zur höchsten Meisterschaft ausgebildet hat, versuchte sich Duller in der damaligen Modepoesie, der Nibelungenstrophe, in dem damaligen Modedrama, dem Künstlerdrama, in dem damaligen Moderoman, der Spindler’schen Romantisirung des Mittelalters. Es ist nun eine gewöhnliche Erscheinung des modernen Literatenthums, in dem wir eine charakteristische Erscheinung der Zeit anerkannt beanspruchen, daß man vier, fünf Jahre lang einen Scheinruhm, eine Quasiberühmtheit haben kann, ja sogar bedeutende buchhändlerische Erfolge. Wer sich an irgend eine Schule, eine Parteiung, an eine Mode auch nur anschließt, findet Anerkennung und Anerkennung in jeder Beziehung. Die eigenthümliche Verfassung unsers Buchhandels macht es eben möglich, daß ein Verleger drei Jahre lang über das wahre Schicksal eines Verlagsartikels im Unklaren ist. Der junge Autor zieht davon Nutzen. Eduard Duller schrieb Gedichte und Romane mit immer größerm Entgelt. An günstigen Recensionen von Freundeshand fehlte es nicht. Er durfte sogar eine eigene Zeitschrift begründen. Sein Lebensloos schien gesichert.

Bald aber stellte sich heraus, daß es auf dem poetischen Gebiete in Deutschland zweierlei Literatur gibt: eine für das Publicum und eine für die Literaten. Es ist auffallend, wie lange es verborgen bleiben kann, daß beide Kreise völlig verschiedene sind. Es gibt Namen, die Lebenslang nur von Denen, die selbst schreiben, 767 gekannt und anerkannt wurden und Niemand liest sie, und andere, die Lebenslang von Denen, die schreiben, immer nur angegriffen wurden und Jedes, was sie unternehmen, interessirt das Publicum. Zeitschriften, die in jeder Nummer Angriffe bringen, die den Literaten von Fach amüsiren, werden vom Publicum übersehen, während Zeitschriften, die dem Manne von der Feder langweilig vorkommen, der Lesewelt Freude machen. Dem Publicum ist die Literatur für Literaten geradezu widerlich; denn fast jede deutsche Stadt trägt ein Exemplar irgend eines solchen eingebildeten Journalscribenten zur Schau, von dem man so viel Proben seines auf Nichts begründeten Besserwissens und des falschen Effects, der im gedruckten Buchstaben liegen kann, täglich vor Augen hat, daß man von andern Städten gleiche Voraussetzungen hegt und sich gegen die Privatvergnügungen der Schriftsteller unter sich so viel wie möglich abschließt.

Eduard Duller hatte schon eine Familie begründet, als er zu der Erkenntniß kam, daß seine Gedichte und Romane nicht gelesen wurden. Er hatte die achtbarsten Beweise von poetischer Anschauung gegeben, von lebendiger Phantasie, aber es lag ein unabweisbarer Typus von Unreife auf Allem, was er schrieb. Er dictirte in wildester Aufregung einem Schreiber Romane, die in Allem, was sich auf ein fleißiges Anschauen alter Bauwerke, auf ein Blättern in alten Miniaturen und Holzschnitten begründen ließ, in Allem, was legenden- und sagenhaft aus dem Glauben und Träumen des Mittelalters mit unterlief, anerkennenswerth waren, die aber in Dem, was an wahrem menschlichen Interesse und sittlicher Fesselung der Theilnahme geboten wurde, unter dem Gewöhnlichsten standen. Da trat denn eine Krisis ein, die ihm vorschreiben mußte, sich vorläufig auf die Journalistik zu beschränken.

Die Lebensansprüche eines solchen deutschen Autors sind so gering. Eine kleine Wohnung in Frankfurt am Main, ein Gärtchen, mindestens ein grüner Rasenplatz mit einem Hollunderbaum, unter dem man mit einigen Freunden Cigarren rauchen, bescheiden deutschem Gerstentrank zusprechen und von Krieg und Frieden auf politischem und literarischem Gebiete plaudern kann, ein regelmäßiger Spaziergang um die Thore, ein gutes Lesezimmer, alle Wochen einmal eine Wanderung in den anmuthigen, quellenreichen Taunus, alle Jahre ein kleiner Ausflug einige Meilen weiter an den Rhein; dazwischen eine möglichst lebhafte Correspondenz mit Buchhändlern, Redactionen; dann noch die damalige Quälerei und Hetzjagd mit der Censur, auch wol eine gekündigte Aufenthaltskarte, ein langes Mühen und Schreiben und Gequältwerden um Pässe und Heimatscheine - das ist so das Leben eines deutschen Schriftstellers im 19. Jahrhundert, der sich von Monat zu Monat, von Vierteljahr zu Vierteljahr hinarbeiten muß und sich im Stillen nur tröstet, daß einst der Tod ihm doch wol Friede und vielleicht einige Unsterblichkeit bringen werde.

Eduard Duller hatte einen preußischen Leutnant kennen gelernt, der einen großen Einfluß auf seine Richtung gewann. Es war in Trier beim Besuche seiner Braut, wo er mit einem jungen, ernsten, poetisch angeregten Manne im blauen Rock mit rothem Kragen und dem silbernen Porte-épée am Degen bekannt wurde. Es war dies Friedrich von Sallet. Noch war in diesem zu jung verstorbenen, eigenthümlichen Dichter nicht die speculativ grübelnde Verstandesmystik aufgegangen, die ihm später sein Laienevangelium eingab; Sallet versuchte sich in kleinen epischen, selbst scherzhaften Gedichten. Aber schon beförderte er Duller’s Trennung von dem mittelalterlichen Bann, in dem dieser bisher gelebt hatte, die Trennung von den Todtentänzen, Beguinen, Vehmbünden, Hexensabbathen und jener ganzen chronikalischen Welt des Mittelalters, in der sein älterer Freund Moritz von Schwind sich damals im Badnerlande, an dem sagenreichen „Mummelsee“ mit seinen weißen, glänzenden Mondscheinnixen immer mehr befestigte. Duller ging zu den neuen Anschauungen der Zeit über und ergriff mit einer ihm eignen, mehr krankhaften als sichern Lebhaftigkeit die damals lichtfreundliche Debatte, die Polemik um den trierer Rock und den Deutschkatholicismus. Sorge um seine Existenz trieb ihn vom theuern Frankfurt nach dem wohlfeilern Darmstadt. Er arbeitete mit rastlosem Eifer vom Morgen bis zur Nacht bald für eine Zeitung, das „Vaterland“ genannt, bald für eine populäre „deutsche Geschichte“, die er zu veröffentlichen gedachte. Letztere erschien auch und machte Glück. Man wird die beiden kleinen, mit vielen Holzschnitten gezierten Bändchen kennen, die man gern seinen Söhnen am Weihnachtsabend zur Bescherung aufstellt. Das Misgeschick des deutschen Schriftstellers ist aber auch dies, daß, wenn ihm einmal etwas glückt, er doch nur geringen Vortheil davon hat. Duller hatte diese schon in vielen Auflagen erschienene Geschichte unter ungünstigen Bedingungen verkaufen müssen. Nun ruhte er nicht, diesen Erfolg einzuholen. Er befreite sich von Allem, was an ihm noch „belletristisch“ war. Er vereinfachte seinen bilderüberladenen Stil. Er befleißigte sich populärer Natürlichkeit. Er schrieb Ergänzungen zu Schiller’s Geschichte des Abfalls der Niederlande, er reiste nach Wien, um 768 Materialien zu einem Werke über Erzherzog Karl zu sammeln. Doch diese fernern Unternehmungen wollten wiederum nicht recht glücken und wieder stand ein rastloses, bescheidenes Streben an einer neuen Krisis. Ewig die Feder führen, Bogen auf Bogen füllen, wer erträgt das! Wer sehnt sich nicht nach einem Augenblick, wo endlich nur der Genius, nur der gereifte, geläuterte Geschmack die Feder ergreift, nur das Gefeilte, Gelungene, vielfach Geprüfte in die Oeffentlichkeit tritt! Auch unser Duller sah sich um, ob Niemand ihm eine helfende Hand bot, ob er ewig nur allein auf sich angewiesen sein sollte, ob Niemand von Denen, die reich und mächtig sind, an ihm übersehen würden, daß er zu Denen gehörte, die für die Bewegung geschrieben! In Darmstadt war manche Gelegenheit, seinen bescheidenen Ansprüchen entgegenzukommen. Man gab ihm das Zeugniß eines achtbaren, gutmüthigen, freundlichen Mannes, der sich edel und rein seinen bürgerlichen Namen erhielt. Allein er ging mit den Deutschkatholiken. So verschloß sich ihm jeder Beistand, jedes Entgegenkommen.

So wurde Eduard Duller getrieben, sich nun ganz nur noch an seine nächsten Gesinnungsgenossen anzuschließen. Er unterwarf sich einem Candidatenexamen und wurde deutschkatholischer Pfarrer. Nirgends aber wollte man ihn bestätigen, in Darmstadt, in Mainz nicht. Endlich fand er, müde und krank, in Wiesbaden ein Asyl. Er raffte seine letzte Kraft zusammen, eine umfassendere deutsche Geschichte zu schreiben. Zwei Bände des fleißigen, warm und edel gehaltenen Werks sind erschienen. Mitten in der Ausarbeitung dieses sogleich von zwei Concurrenzwerken (Pfaff und Venedey) bedrohten und vorzugsweise von der Minorität seiner Gesinnungsgenossen unterstützten Werkes kam der Tod, der ihn schon lange umkreiste, immer näher und näher. Er starb, wie ein Schriftsteller des 19. Jahrhunderts stirbt, mit der Feder in der Hand, mit dem letzten Correcturbogen seines gerade im Drucke befindlichen Werkes auf der Decke seines Krankenlagers, mit dem letzten schmerzlichen Seufzer des zurücksinkenden Hauptes und zusammenbrechenden Körpers: Ich kann nicht mehr!

Wenn ihr nun wieder so allgemeine und Alles in Allem zusammenfassende Verurtheilungen der neuen Literatur lest, wie deren genug geschrieben werden, so vergegenwärtigt euch den Lebenslauf eines solchen im Alter von 45 Jahren abscheidenden braven, liebevollen, kindlichen Gemüths und eines wahrhaft „armen Poeten“ und aus dem dunkeln Walten der Zeit wird euch Manches doch in anderm Lichte aufgehen, als man in den grellen Gaslaternen unserer Herren Kritiker und Literarhistoriker angesteckt findet.

Apparat#

Bearbeitung: Wolfgang Rasch, Berlin#

1. Textüberlieferung#

1.1. Handschriften#
1.1.1. Übersicht#

Es sind keine handschriftlichen Überlieferungsträger bekannt.

1.2. Drucke#

Gutzkows Beitrag Ein deutsches Dichterleben wurde zuerst in den „Unterhaltungen am häuslichen Herd“ veröffentlicht und - minimal überarbeitet - 1857 in Gutzkows Textsammlung Die kleine Narrenwelt aufgenommen. Dieser Abdruck unterscheidet sich von der Zeitschriftenfassung vor allem durch eine veränderte Absatzgestaltung; sind es im Journaldruck nur elf, so bringt es der Buchdruck auf 41 Absätze. Noch einmal leicht überarbeitet erschien der Text schließlich 1875 im Rahmen der zweiten Ausgabe von Gutzkows Gesammelten Werken. Wiederholt änderte er die Absatzgestaltung, die er aber jetzt auf 16 Absätze reduzierte. Hier erschien Ein deutsches Dichterleben unter dem Titel Eduard Duller innerhalb der erweiterten Neuausgabe der Oeffentlichen Charaktere im Band 9 der Werkedition.

Zwei erst 2022 entdeckte Nachdrucke in österreichischen Periodika (J2, J3) sind von Gutzkow mit Sicherheit nicht autorisiert worden und daher für die Textgeschichte irrelevant.

Die Sigle ›Rasch‹ im Apparat verweist auf Wolfgang Rasch: Bibliographie Karl Gutzkow. (1829-1880.) 2 Bde. Bielefeld: Aisthesis Verl., 1998. Eine bibliographische Kennziffer mit dem Zusatz N am Ende bezieht sich auf die → Nachträge zur Bibliographie.

J1 [Anon.:] Ein deutsches Dichterleben. In: Unterhaltungen am häuslichen Herd. Leipzig. Bd. 1, Nr. 48, [27. August] 1853, S. 765-768. (Rasch 3.53.08.27)
J2 Gutzkow: Ein deutsches Dichterleben. In: Ost-Deutsche Post. Wien. Nr. 203, 31. August 1853, [S. 3]. (Rasch 3.53.08.31N)
J3 Gutzkow: Ein deutsches Dichterleben. In: Carinthia. Klagenfurt. Nr. 71, 3. September 1853, S. 281-283. (Rasch 3.53.09.03N)
E Ein deutsches Dichterleben. In: Karl Gutzkow: Die kleine Narrenwelt. Bd. 3. Frankfurt/M.: Literarische Anstalt, 1857, S. 75-86. (Rasch 2.33.3.2)
A2 Eduard Duller. In: Karl Gutzkow: Gesammelte Werke. Erste vollständige Gesammtausgabe. Erste Serie. Bd. 9. Jena: Costenoble, [1875]. S. 208-235. (Rasch 1.5.9.35)

2. Textdarbietung#

2.1. Edierter Text#

J1. Der Text folgt in Orthographie und Interpunktion unverändert dem Erstdruck. Textsperrungen werden übernommen. Silbentrennstriche (=) werden durch - wiedergegeben. Die Seitenzählung wird mit Klammern [ ] an den betreffenden Stellen in den Text eingefügt.

Die Liste der Texteingriffe nennt die von den Herausgebern berichtigten Druckfehler sowie die Emendationen. Fehlende oder überzählige Spatien im Erstdruck wurden stillschweigend korrigiert.

2.1.1. Texteingriffe#

7,17 Jahrhunderts Jahrhunders

5. Rezeption#

5.1. Dokumente zur Rezeptionsgeschichte#
1. Vincenz Rizzi, 3. September 1853#

Anm. d. Red. [d.i. Vincenz Rizzi], Fußnote zum Titel „Ein deutsches Dichterleben“. In: Carinthia. Klagenfurt. Nr. 71, 3. September 1853, S. 231. (Rasch 3.53.09.03.3N).

Wir theilen diese ergreifende von Gutzkow’s Meisterhand gezeichnete Skizze aus seinen „Unterhaltungen am häuslichen Herde“ unsern Lesern in der festen Ueberzeugung mit, daß dieselben den richtigen Standpunct der Beurtheilung auch ohne unsere Andeutung einnehmen werden. Die schärfste Bekämpfung des Irrthums soll nie unsere reinmenschliche Theilnahme an dem Irrenden schwächen. Der arme Duller, der nach einem vielfach bewegten Leben in dem inhaltlosen Deutschkatholicismus Beruhigung suchte, ist ein tieftrauriges Bild unserer Zeit. Duller’s mit etwas weniger Talent und weniger Entschiedenheit, gibt es aller Orten.

2. Ferdinand Gustav Kühne, 8. September 1853#

[Ferdinand Gustav Kühne:] Das Proletariat in der Literatur. In: Europa. Leipzig. No. 74, 8. September 1853, S. 592. (Rasch 9/4.53.09.08)

– Bei Gelegenheit eines Rückblicks auf den verstorbenen Eduard Duller gibt Gutzkow in seinen Unterhaltungen am häuslichen Heerd ein ergreifendes Bild vom Proletariat in der heutigen Literatur. Mit gelinder feiner Hand, aber doch mit der einschneidenden Schärfe der Instrumente über welche diese Hand gebietet, legt Gutzkow eine wunde Stelle blos. Aber er irrt sich, wenn er die Kategorie einer ,,Literatur für Literaten“ für so höchst beklagenswerth erklärt. Es gibt ein literarisches Proletariat das für Leihbibliotheken schreibt; das, dünkt mich, ist noch weit beklagenswerther. Es gibt ein literarisches Proletariat das im Sold und im Knechtsdienst des Buchhandels arbeitet, Journale auf Speculation des bloßen Wuchers schreibt, ganze Zweige der Literatur nach Bestellung versieht. Dies Proletariat ist jedenfalls das schlimmste. Die Illusion, für die Nation zu schreiben, und mit seiner Stimme doch nur den engen Kreis der Genossen oder Gleichstrebenden zu erfüllen, mag ihre schmerzlichen Enttäuschungen haben. Aber für diesen engeren Kreis von Kunst- und Literaturfreunden zu arbeiten, hat dieselbe Berechtigung wie die Existenz politischer Parteiorgane die sich freiwillig auf die Übereinstimmung der Genossen beschränken. Welche deutsche Feder darf sich denn einbilden, für die Nation zu schreiben, solange diese Nation noch nicht da ist, erst mit dem Zusammenfassen ihrer großen Interessen Existenz gewinnt? Sind es die Auflagen die einen „Schriftsteller für die Nation“ bezeichnen ? Dann wäre ein Herr Oscar v. Redwitz der nationalste und universell deutscheste der jetzigen Autoren. Wer zufällig in seinen Gedanken und Empfindungen mit einer ephemeren Krankheit in irgendwelcher Sphäre der Gesellschaft harmonirt, dessen Geistesproducte haben einen wuchernden Erfolg, aber das Symptom kann die Krankheit nicht überdauern, und der angeblich universellste Autor hat dann plötzlich aufgehört zu gelten. Wenn die Auflagen den Schriftsteller für die Nation bezeichneten, so würden die Lyriker jezt die einzig nationalen sein. Aber sie arbeiten mit Goldschnitt nur für die lässig müßig bequeme Genußluft die am Nipptisch blättert, auf der Otomanne halbwach gähnt, die Musik des Abendcirkels einmal mit literarischer Musik vertauscht. Wenn Erfolge so motivirt sind, und das die Nation erfassen heißt, dann ist auch Gutzkow noch kein „Schriftsteller für die Nation,“ trotzdem er seine Schriften sammelte, seine Ritter vom Geiste in erhöhter, keineswegs in zweiter Auflage erschienen, mehrere seiner Dramen wiederholt gedruckt wurden, weil die Theater die sie zur Zeit gespielt, sie für die Dauer in ihren Bibliotheken aufstellten. Was Literatur für Literaten unter Gutzkow’s früheren Arbeiten ist, dürfte an Scharfsinn der Fassung, an Glanz der Darstellung weit mehr Dauerkraft haben als was er in der grillenhaften Angst um populäre Wirkungen schief und hastig, wie in mehreren seiner Dramen, in die Welt geschleudert. Eine Literatur für Literaten ist in der That noch kein Unglück, wenigstens keine Corruption. Im Gegentheil; wir erinnern uns eines Wortes von Schleiermacher der es just für das größte Heil am deutschen Schriftthum rühmte, für die Genossenschaftlichen, an Bildung Ebenbürtigen zu schreiben um allmählig die Menge zu zwingen, an dem Kreise der Ideen, umdererwillen es allein sich lohnt die Feder zu führen, sich nach Maß eigener Befähigung zu betheiligen. Populär sein wollen, heißt gemein sein müssen. Über Duller irrt sich aber Gutzkow speciell, so tiefe Blicke er thut in das Wesen seiner Natur. Duller machte nie Literatur für Literaten; er hat nie der Kritik genügt. Der Schwulst seiner Romane in Entwurf und Diction war für die wüste Romantik der Leihbibliothek; er wollte mit Kaiser und Papst, mit Ketten und Kronen wie Spindler wirken, ohne wie Dieser die breite Kraft Rubens’scher Malerei zu besitzen. Seine Illusion, populär zu wirken, bestrafte sich zur Genüge. Was er als Patriot und Freund der Wahrheit schrieb, trug ihm sicherlich den Gewinn eines guten und edlen Bewußtseins. Freilich kann man auch an seinen Überzeugungen zu Grunde gehen. Aber das wird man am Thun und Wirken der Literatur nicht als das Beklagenswertheste schildern wollen.

Kommentar#

Der weitere wissenschaftliche Apparat wird hier zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht.