Bogumil Dawison#

Metadaten#

Herausgeber
  1. Wolfgang Rasch
Fassung
1.0
Letzte Bearbeitung
03.12.2019

Text#

373 Bogumil Dawison.#

Lessing spricht im Anfang seiner Dramaturgie einfach und nüchtern, wie seine Weise war, dieselbe Wahrheit aus, welche eine spätere Zeit, die einen blumenreicheren Ausdruck liebte, dahin bezeichnete, daß dem Mimen die Nachwelt keine Kränze flechte.

Man kann nicht sagen, daß Lessing seine Analysen der in Hamburg angetroffenen Spielweisen, besonders Ekhofs, in der sentimentalen Absicht schrieb, das Andenken dieser Künstler zu erhalten. Es ist wahr, in seinen Berichten geht sein jugendlicher Feuereifer zuweilen selbst bei dem klaren und verständig denkenden Kopfe so weit, daß man fragen möchte: Wo will das hinaus? Die Betrachtung z. B. über die Art, wie Ekhof Sentenzen behandelte, diese ruhig einwarf und hoffentlich (denn das ist allein das Richtige) als Theile der Handlung betrachtete, verliert sich in Labyrinthe der Psychologie, wo man dem originellen Denker kaum nachfolgen kann!

Gewiß gehört es zur Verfeinerung der Bildung eines Volkes und zur Belebung des ästhetischen Verkehrs, wenn der Grundsatz angenommen wird, daß, wenn man einmal die Feder führt, man auch verpflichtet ist, über das Leben und die Kunst berühmter Darsteller zu berichten, mit denen uns das Leben zusammenführte. Und nicht einmal um die Kunstgebilde handelt es sich, sondern um den ganzen, vielleicht von Niemand so, wie von irgend einem Eingeweihten, belauschten Charakter. Dawisons Leben, Extravaganzen, Thorheiten erzählen, heißt seine Spielweise charakterisiren. Wer braucht eine Schilderung der Art und Weise, wie einst die Clairon spielte! Man liest einfach ihre Memoiren, ihren originellen Lebenslauf, ihre in Ansbach über ein Land, einen Fürsten, dessen rechtmäßige Gemahlin ausgeübte Herrschaft, eine Herrschaft wie mit der Reitgerte, und hat das ganze Bild der Dejazet des vorigen Jahrhunderts vor sich. Sie 374 wird die des unsrigen gewiß bei Weitem sowol im Leben wie auf den Brettern an Caprice und herausforderndem Humor übertroffen haben. Das tägliche Spielenmüssen machte leider zuweilen die Dejazet recht schläfrig.

Glückliche Stunden, die ich Jahre lang im vertraulichsten Verkehr mit Dawison verlebte, sollen sie verrauscht sein im Strom der Zeiten? Soll sich nicht die Pflicht des Schriftstellers regen, Annalist zu sein von allem, was die Zeit auch hier in seine unmittelbare Nähe rückte? Und zumal, da die Berichte, die beim Tode des leider an Geisteskrankheit gestorbenen Künstlers fast durchgängig gegen ihn gerichtet waren, mehr seine Schwächen, als seine Vorzüge hervorhoben, und wie von neidischen „Collegen“ geschrieben schienen. Die junge Feuilletonistik hat meist Theaterstücke auf dem Lager und witterte die beifällige Aufnahme ihrer abfälligen Artikel bei einer in Theatersachen machtbegabten Instanz, die auf Dawison einen speciellen Haß geworfen hatte.

Die Lebensumstände Dawisons sind bekannt. Er war kein Pole. Er war im Deutschsprechen aufgewachsen, wie alle Juden in Polen. Es handelte sich bei ihm nur darum, die gemeine Sprechweise des Deutschen zu verlernen und sich den gebildeten Ausdruck unserer Schrift anzueignen. Daß er eine Zeit lang seine Kenntniß der polnischen Sprache ausnutzte und Schauspieler in Lemberg wurde, brachte ihm den Vortheil, eine Gattin zu gewinnen, die am Lemberger Theater, unter dem Grafen Skarbek, die ersten Liebhaberinnen spielte und Anmuth sowol wie klares Verständniß ihrer Rollen und ein strenges ästhetisches Gewissen besaß. Diese slavischen Stämme um die Donau herum bilden sich alle nach Frankreichs Beispiel! Dieselben Regeln werden dort befolgt, derselbe Stil wird eingehalten! Die junge Gemahlin, jeune première der polnischen Bühne in Lemberg, wurde Dawisons erster Instructor. Sie legte, er gestand es mir oft, selbst wenn er mit ihr zankte, den Grund zu jener ernsten, nichts über’s Knie brechenden, gewissenhaften Spielweise, die ihm eigen war und allerdings z. B. in seinem Hamlet, in seinem Philipp II. in eine akademische Haltung ausarten konnte, welche dem Wort mehr einräumte, als ihm gebührte und der ganzen Leistung etwas Ungelenkes und Steifes gab.

Ich habe den trefflichen, vorzugsweise gewissenhaften Künstler mehrere Jahre lang fast jeden Abend, wo derselbe eine neue oder irgend bedeutende Rolle spielte, in seinem kleinen Ankleidestübchen besucht, ehe ich in den Zuschauerraum ging. Es war in Dresden, in einem versteckten Winkeleingang des abgebrannten Semperschen Theaters. Mit Bescheidenheit ließ er sich mustern, ob sein Bart als Alba nicht zu lang sei, ob die Andeutung des Höckers in Richard III. nicht zu schwach hervortrete. Immer bekamen darauf die dienenden Hände, die seinen großen Stehspiegel umkreisten, Anweisungen, da oder dort zu ändern, hier zu mäßigen, dort zuzusetzen, die Ausmalung des Gesichts zu ändern oder zu vervollständigen, 375 bis er endlich mit einem gewissen Zagen hinausging, und in der Scene die Minen abbrannte, die er auf der Probe gelegt hatte.

Denn ich habe viel Theaterproben in meinem Leben durchgemacht, schätze viele Darsteller, hege viele im dankbarsten Gedächtniß, aber das muß ich bekennen, nie kam mir ein Schauspieler vorbereiteter, fertiger, mit allen Anzeichen des vorausgegangenen Studiums versehener auf die des Vormittags ach! so nüchternen, so unheimlichen, so unpoetischen Bretter. Dort der sich erst an einem Lämpchen aus dem Buch langsam orientirende Regisseur! Da die ewig mit dem Souffleur zankenden, kaum das Nothwendigste ihrer Rollen wissenden Schauspieler! Dawison allein durchaus fertig in seinem Part, sicher in jeder Stellung, die entweder er selbst oder seine Mitspielenden einzunehmen hatten. Es gab zuweilen harte Kämpfe. Die Mittelmäßigkeit glaubt bekanntlich bedeutend zu werden, wenn sie sich aufbäumt. Es ist die gewöhnliche Theatererfahrung, gegen die sich ein guter Bühnenlenker früh zu wehren lernen muß. Manches bittre Wort flog von des polnischen Juden witzbelebten Lippen. Er war von hoher Gestalt, gerade wie die Schauspieler den Shylock zu spielen lieben, obschon Polen die Gestalten des Orients schwerlich häufig zeigen mag. Seine Mutter hatte einen hohen stolzen Wuchs wie eine Fürstin, eine Prophetin. Sie war zum Besuch in Dresden. Kommen Sie, rief mir Dawison in der Wilsdruffer Gasse entgegen, ich will meiner Mutter eine goldne Uhr kaufen! Er zog mich fort, ich mußte ihn begleiten. Charakteristisch für seine Schwankungen, für seine künstlerischen Velleitäten, die jedoch den Reiz jeder poetischen Natur machen können, wenn sie nicht überwuchern, war sein Wort am Eingang des Uhrmacherladens. Goldne Uhr? Was meinen Sie? Nicht wahr? Eine silberne thut’s auch! - Hätte ich mit Emphase gesagt: Nein, eine goldne ziemt sich! er würde dem Worte gefolgt sein. Ich war mitleidig genug mit seiner Schwäche und erleichterte ihm die Inconsequenz durch ein Allerdings! Die Frau gehörte ja ganz dem ungebildeten Volke an.

Dawison trat seine Dresdener Stellung mit den freudigsten Hoffnungen, wie eine Erlösung aus Ketten und Banden an. Er hatte am Burgtheater zu keiner Geltung kommen können; denn die zweiten Rollen standen ihm nicht. Es gibt Schauspieler, die nicht ergänzend wirken können, aber vortrefflich am Platze sind, wenn sie ein Stück zu tragen haben. Der Episodenspieler, der Ensemblecharakteristiker hat eine andere Begabung, als sie der „Virtuose“ besitzt, wie man die Schauspieler genannt hat, die in Folge ihres angeborenen Naturells nur erste Rollen, Titelrollen spielen können. Einem vernünftig geleiteten Theater muß alles zu Gute kommen. Man quälte Dawison in Aufgaben hinein, denen seine hohe Gestalt, seine scharfbetonende Sprechweise, sein Bedürfniß, dem Publikum eindringlich zu sein, widersprach. Dieser Trieb zur Ueberredung, zur Gewinnung des Antheils für die Fabel ist wahrlich nicht zu unterschätzen und geringer zu 376 achten, als das Vermögen achtbarer Mittelmäßigkeiten, im Wallenstein einen Buttler, im Lear einen „nicht störenden“ Edgar durchzuführen. Der Künstler wollte aus dieser Stellung heraus. Die maßgebende Macht versagte die Entlassung. In einer Scene der äußersten Heftigkeit rief der Verzweifelnde, der die Lösung seiner Contracte verlangte: Ich sterbe, wenn ich bleiben muß! Die Antwort soll gelautet haben: Sterben Sie! Dies Wort, wenn es gefallen, war angethan, dem gereizten Hirn des Künstlers, der in Geistesschwäche starb, den ersten Stoß zu geben. Denn zerstörend, furchtbar vernichtend wirken im Menschen die Vorstellungen dessen, was Andere zu thun, in ihrem Interesse zu unterlassen vermögen! Nicht um ein Eignes handelt es sich dann, nicht um den persönlichen Wunsch, den vielleicht nur der erkannte Eigensinn begehrte; es wird die Weigerung, der nie zu überwindende Widerstand, die kalte Betrachtung der glühendsten Erregung geradezu zu einer Einbuße des Lebens. Da bringt man mir eben das Zeitungsblatt! Es gibt sogleich ein Beispiel! Man denke an Tschech, den schlesischen Bürgermeister! Auch Michael Kohlhaas liegt von jenem „Sterben Sie!“ nicht zu fern.

Dresden brachte allerdings sogleich wiederum die Störung durch Emil Devrient. Sogleich die erste Rolle, Hamlet, gab Anlaß zur Vergleichung. Geistreich hat Emil Devrient den Hamlet nie gespielt. Dann sprach nur der Dichter, die gelernte Rolle aus ihm, wenn die Schauspieler vorgeführt wurden oder Polonius gar zu weise schwatzen wollte. Aber Anmuth konnte sich Dawison nicht geben, nicht die Verbindung seines dramatischen Spiels mit den Monologen. Letztere blieben, ich nannte es damals, unvermittelte Parabasen. Er zürnte darum nicht, überraschte mich vielmehr mit der eingehendsten Kenntniß meiner Schriften und urtheilte nur in sarkastischer Laune darüber, wobei er manchen kleinen versteckten Tadel anbrachte, den ich aufzugreifen verstand und wohlbenutzte. Wie ein so scharfsinniger, theaterkundiger Schriftsteller, wie der kürzlich verstorbene Verfasser von „Geistige Liebe“ und andern kleinen Stücken, Dr. Lederer, einen solchen Haß auf Dawison hat werfen können, daß er regelmäßig behauptete: „Sie werden erleben, er kommt noch mit dem Hut in der Hand, bettelt und macht Collecte!“ glaube ich zu verstehen und zwar aus den Tantièmeverhältnissen des Burgtheaters. Aber die meisterhafte Darstellung des „Spielwaarenhändlers“ machte in der That die Vision des frivolen Witzhaschers zur Wahrheit. Auch Dawisons „Heinrich“ im „Lorbeerbaum und Bettelstab“ schilderte den Wahnsinn mit einer erschreckenden Versenkung in die Nachtseiten der Natur und des menschlichen Geistes. Der Schmerz, der den Künstler, als wir seine erste Gattin begruben, bewog, in die Gruft nachzuspringen, wie Hamlet bei Ophelien that, war nicht affectirt. Er kam von einem Menschen, der unendlich viel erlebt und mit der Todten verloren hatte; er kam von der Reue über tausend Uebertretungen dessen, was die übliche Moral voraussetzt und was in der 377 christlichen Todtenfeier eine so bewältigende Verklärung empfängt. Es drückte ihn nieder zum wesenlosen Schatten. Daß er dann doch wieder lachen, scherzen konnte, das sind eben die Vorrechte der menschlichen Natur.

Zwei Dinge sind es besonders, die Dawisons Geist zuletzt umdüsterten, und von denen ich mich entsinne, in den Nekrologen, die nach seinem Tode erschienen sind, auch nicht die Spur einer Andeutung gefunden zu haben. So gering ist der Apparat von Thatsachen, mit welchem unsere junge Feuilletonistik an die Spaltenfüllung unserer zahllosen Zeitungen geht! Es war der Mord, den sein eigner Diener auf seinem eignen Grundstück an einem jungen Kaufmannsgehülfen beging, und ein Duell mit einem nur noch wenig genannten Schriftsteller Robert Heller in Hamburg.

Dawison hatte sich von den Erträgen seiner glänzenden, oft auf zwanzig Abende gesteigerten Gastrollen ein kleines Vermögen erworben, das ihm der geist- und gemüthvolle Advocat Fasoldt treulich verwaltete. Er erwarb der Blindenanstalt gegenüber einen ansehnlichen Flächenraum, um darauf eine Villa, eine Remise, einen Stall zu bauen. Diese Schöpfung, die Anlage eines kleinen Gartens war seine Erholung. Seinem stürmischen Temperament konnte nicht rasch genug die Vollendung folgen. Endlich war das Ganze ein reizender Aufenthalt für seine leider todtkranke Gattin, sein eigenes, von einer reich ausgestatteten Bibliothek unterstütztes Studium und die Erholung seiner zahlreichen Freunde, für welche die sinnigsten Veranstaltungen zur Bewirthung getroffen wurden. Nichts anregender als eine Kaffee- und Cigarrenstunde bei dem vielseitig gebildeten Künstler, der immer etwas las, immer über die Schwierigkeiten einer Rolle sich aussprach, gern fremde Ansichten hörte, rasch vom Bücherbrett ein theures Werk herabnehmen und vergleichen konnte und dabei nach allen Richtungen hin, der politischen und socialen Bewegung der Zeit, Empfänglichkeit besaß. Zwei, drei Stunden anzuordnen und sich und seiner Gattin allein ein neues Stück vom Autor desselben vorlesen zu lassen, verschlug ihm nichts. Er freute sich über die Gelegenheit zur Discussion. Auf Wahrheit, wenn auch aus Wohlwollen negativ vorgetragen, konnte man gefaßt sein. Wo wollen Sie die Darsteller finden? Ein solches Wort sagte sogleich alles. Denn nur der französische Schauspieler setzt die Arbeit des Dichters fort, greift den Faden der Handlung da auf, wo der Autor endete, und macht die Arbeit, die er darzustellen hat, zu seiner eignen. Und in diesen stillen Frieden, in diese geschmackvoll gepflegte Blumenwelt brach der Mord mit seinen unmittelbaren nachhaltigen Schrecken! Ein junger Bankiergehülfe brachte jeden Sonnabend auf einen nahegelegenen Bauplatz den Lohn der Arbeiter, einen Vorschuß seines Principals von etwa 250 Thalern, wie der Unvorsichtige dem mit ihm über den Gartenzaun plaudernden Factotum der Villa erzählte. Dieser lockt dann das Opfer eines teuflischen Mordplanes in den inneren Gartenraum, in den Stall und wirft ihm eine in Bereitschaft gehaltene Schlinge um den Hals. Der 378 unglückliche entseelte Jüngling wird zuerst in einer dunkeln Ecke des kleinen Parkes verscharrt (die Herrschaft war verreist), dann bei Nacht über einen andern Theil der Mauer geschleppt und dort an einem Baum, zum Schein einer Selbstentleibung, aufgehängt. Roßhaare, die sich an den Kleidern des Erhängten befanden, führten auf die Spur des Ursprungs der That, die Niemanden so ergriff, wie den, von der Reise zurückeilenden, man möchte sagen, phantasieüberladenen Künstler. „Ich war stündlich mit dem Unseligen allein,“ sagte er zitternd, „ich plauderte im Stall mit ihm, ich ging mit dem Mörder durch die dunkeln Gänge des Gartens, ordnete, zimmerte und bohrte im Keller mit ihm, alles vertrauensvoll und wie an einem Haar hing mein Schicksal! Ich fass’ es nicht! Der Aufenthalt ist mir unheimlich geworden! Ich sehe auch, er liegt in der That zu isolirt, zu unbewacht, man vergiftet meinen Hund und macht mit mir was man will!“ So klagte er mit bebender Stimme, die kaum eine zusammenhängende Rede hervorbringen konnte. Immer sah er das Schleppen des Opfers über die Mauer seiner schönen Wein-Veranda, das Aufhängen desselben an einen Blüthenbaum, der dicht unter seinem Fenster stand. Obschon unser gemeinschaftlicher Freund, der Director des Blindeninstituts, der sinnige Dichter Karl Georgi, sich erbot, bei ihm zu wachen und zu schlafen, so hatte er doch keine Ruhe mehr, bis er in Zschachwitz bei Pillnitz, wo sein Advocat Theodor Fasoldt eine kleine Besitzung bewohnte, sich neben dem Hüter seiner Vermögensverhältnisse ansiedelte und die Villa gar nicht mehr betrat.

Einen zweiten Stoß auf Dawisons Hirn führte das in den Nekrologen ganz vergessene Robert Hellersche Duell! Ich war Zeuge der furchtbaren Wirkung einer Verpflichtung, der er sich, das war die Pointe seines Schmerzes, als jener kühne Matador, für welchen er seither so gern gelten mochte, nicht entziehen konnte. Wenn die Velleität des täglichen Lebens die Segel streicht, so lacht man und das Komische kann da niemals tragisch werden. Dawisons Angst aber vor dem Gedanken, eine Kugel des Hamburger Journalisten säße ihm in der Brust, war in der That tragisch. Er lag an meinem Halse und weinte wie ein Kind. Sein besonderer Schmerz war der, daß man gerade ihn, den „Polen“, der größten Entschlossenheit für fähig hielt und daß seine bisherige Art des Auftretens ihn eine Duellforderung wie eine Bagatelle hätte betrachten lassen müssen. Letztere war die Folge eines in einer Zeitung erschienenen Dawisonschen Briefes, in welchem er die kritischen Urtheile Robert Hellers zurückgewiesen und mit Persönlichkeiten zurückgewiesen hatte. Dann bereitete er sich noch den besonderen Kummer, über die Rolle zu verzweifeln, welche in diesem Handel der bekannte Schauspieler Heinrich Marr spielte. Dieser, auch in anderen Fällen ein Mephisto, hatte die Absendung des Briefes erst gebilligt und war dann doch auf die Seite des tonangebenden mächtigen Hamburger Kritikers getreten. Mein Rath, an die sächsische Grenze zu 379 reisen und das Erscheinen der Hamburger Partei, die gewiß nicht ohne Friedensvorschläge kommen würde, ruhig abzuwarten, wurde mit den Ausdrücken des äußersten Schmerzes und dem ständigen Ausruf: Er schießt mich todt! aufgenommen. Die Lippen bebten, die Brust hob und senkte sich krampfhaft, der ganze Mensch war in Furcht und Zagen aufgelöst.

Und man darf hier nicht geradezu von Feigheit reden, sondern nur von einem überreizten Vorstellungsvermögen. Die Phantasie des Unglücklichen sah geschehen, was doch nur im Reich einer traurigen Möglichkeit lag. Das Hirn war schon krank, die Nerven waren zu zerrüttet. Er raffte sich noch zu jener anstrengenden Reise nach Amerika auf, lebte aber schon machtlos ganz unter dem Schutz und der steten Obhut einer vortrefflichen zweiten Gattin, die er gefunden. Bald war der irrsinnige „Spielwaarenhändler“ - er selbst!

Den Tadel mancher seiner Leistungen bestreite ich nicht. Die Form, wie das Dämonische innerhalb der germanischen Welt hervortritt, war ihm versagt. Er bedurfte des rhetorischen Beiwerks. Er hatte nicht jenen Ton passiver Leidenschaft, die englischen, die deutschen Schauspielern eigen ist. Sein Verstand mußte gestalten, das Gegebene erschöpfen können. Der Zusatz einer latenten Schönheit, die wir Poesie nennen, war in der Regel bei ihm fraglich. Und doch waren sein Richard III., sein Othello, Franz Moor hinreißende Gebilde, wie selbstverständlich alles in der rein verständigen Sphäre Liegende, Carlos im Clavigo, Marinelli, Riccaut de la Marlinière, französische Chargen, wie sein Bonjour. Eine absolut seltsame und ganz vergriffen herauskommende Rolle war die des Philipp im Don Carlos. Hier wollte er die spanische Bigotterie, die steife Andächtelei charakterisiren, aber das Gebilde wurde darüber düster, aschgrau, langweilig. Sein hochliegendes, oft zur Fistelstimme greifendes Organ störte ihn überall, besonders wo schon im Ton die breite Pinselführung edler Leidenschaft, tragischer Würde liegen mußte. Er war kein Wallenstein. Immer kam die Rede spitz und eckig heraus. Dennoch war sie durch die klare Darlegung des Inhalts der Rollen hinreißend für den wahren Freund der dramatischen Muse. Man sollte nur auf das Lobens- nicht Tadelnswerthe im Gedächtniß dieses großen Künstlers halten. Dawison war ein Muster von Gewissenhaftigkeit und als Mensch, wenn auch schwach und allzu biegsam, doch liebenswürdig für die, die überhaupt zu lieben verstehen.

Apparat#

Bearbeitung: Wolfgang Rasch, Berlin#

1. Textüberlieferung#

1.1. Handschriften#
1.1.1. Übersicht#

Es sind keine handschriftlichen Überlieferungsträger bekannt.

1.2. Drucke#

Gutzkows Erinnerungen an seinen langjährigen Freund, den 1872 verstorbenen Schauspieler Bogumil Dawison, brachte im September 1878 die Monatsschrift "Nord und Süd", die Paul Lindau im Jahr zuvor gegründet hatte und herausgab. Der Beitrag gehört zu den letzten Arbeiten, die Gutzkow schrieb. Ein weiterer Abdruck oder Nachdruck ist nicht nachgewiesen.

J Karl Gutzkow: Bogumil Dawison. In: Nord und Süd. Berlin. Bd. 6, Heft 18, September 1878, S. 373-379. (Rasch 3.78.09.1)

2. Textdarbietung#

2.1. Edierter Text#

J. Der Text folgt in Orthographie und Interpunktion unverändert dem Erstdruck. Textsperrungen werden übernommen. Silbentrennstriche (=) werden durch - wiedergegeben. Die Seitenzählung wird mit Klammern [ ] an den betreffenden Stellen in den Text eingefügt.

Die Liste der Texteingriffe nennt die von den Herausgebern berichtigten Druckfehler sowie die Emendationen. Fehlende oder überzählige Spatien im Erstdruck wurden stillschweigend korrigiert.

Die Seiten-/Zeilenangaben im Apparat beziehen sich auf die Druckausgabe des Beitrags im Band: Kleine autobiographische Schriften und Memorabilien. Hg. von Wolfgang Rasch. Münster: Oktober Verlag, 2018. (= Gutzkows Werke und Briefe. Abt. VII: Autobiographische Schriften, Bd. 3.)

2.1.1. Texteingriff#

278,22 kommen. kommen

Kommentar#

Der wissenschaftliche Apparat wird hier zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht.