Ein Kind der neuen Zeit#
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- Herausgeber
- Martina Lauster
- Fassung
- 1.1
- Letzte Bearbeitung
- 17.04.2025
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Text#
329 Ein Kind der neuen Zeit.#
So ging es mir mit Georg Büchner, einem strebenden Jünglinge aus dem nahen Darmstadt, dessen Freundschaft ich mir durch die That erworben hatte und der sie mir leistete mit vollem, ideenreichem Herzen, einer Knospe, deren Entfaltung ein herrliches Farbenspiel am Sonnenlicht gespiegelt hätte, die die volle Ahnung eines nicht bloß genießenden Frühlingslebens 330 in sich trug, sondern auch das Versprechen eines durch ausserordentliche Fähigkeiten gesicherten Gewinnes für seine Nation. Noch glaubt’ ich einen jungen Titanen aus widerwärtigen Verhältnissen sich losringend zu wissen; und in dem Augenblicke barg ihn schon der kühle Schooß der Erde. Ich sah ihn seine Waffenrüstung zum Kampfe mit der Unbill der Zeiten schmücken – und schon schlummerte er in jenem ewigen Reiche des Friedens, wo die Widersprüche versöhnt und der Egoismus des Zeitalters in kalte Asche verwandelt ist. Mein Herz bebte vor Rührung. Ich kann jenes tiefe, grausame Weh verstehen, auf dem Todtenbette mit seiner Liebe zum Leben und seinen Zukunftsträumen zu ringen, sich trennen zu müssen von dem Großen und Edlen, was man noch von sich bewahrheiten und bewähren wollte, und in jener Hand, die sich eben ausstreckte, um ein Reich des Ruhmes und der Ehre zu erobern, den lähmenden Tod zu fühlen! Junger Kämpe, vielleicht warst du ergeben, als sich die Sinne und dein Bewußtsein lösten, vielleicht lächeltest du, schon verklärt über der Menschen ehrgeiziges Rennen und Treiben und dachtest seelig, daß Alles eitel wäre und auch die Irrthümer, die du bekämpfen wolltest, ja selbst die Dichterträume, die wie Lorbeer schon auf deiner Stirne lagen, an der Pforte der Ewigkeit zerschellen und wie bunte Farben sich in Vergängliches auflösen. Vielleicht vermißtest du, schon im Vorhofe der Ewigkeit, den Nachruf deiner Freunde nicht. Aber dennoch sind sie ihn dir schuldig; sie müssen dein Andenken mit frischem Rasen belegen und einen Kranz von Immergrün um das bescheidne Kreuz hängen, welches deine Grabstätte bezeichnet. Du gehörtest in die Legion der edlen Streiter für die Sache des Jahrhunderts. Die Menschen, die du haßtest, sollen wissen, wer du warst; und die du liebtest, sollen hören, was sie an dir verloren haben.
In den letzten Tagen des Februar 1835, dieses für die Geschichte unsrer neuern schönen Literatur so stürmischen Jahres, war es, als ich einen Kreis von ältern und jüngern Kunstgenossen und Wahrheitsfreunden bei mir sahe. Wir wollten einen Autor feiern, der bei seiner Durchreise durch Frankfurt am Main nach Literatenart das Handwerk begrüßt und lange genug zurückgezogen gelebt hatte, um uns zu verbergen, daß er im Begriff war, Bücher herauszugeben, welche, ob sie gleich jüdischen Inhalts waren, dennoch von der evangelischen Kirchenzeitung kanonisirt werden sollten. Kurz vor Versammlung der Erwar-331teten erhielt ich aus Darmstadt ein Manuscript nebst einem Briefe, dessen wunderlicher und ängstlicher Inhalt mich reizte, in ersterem zu blättern. Der Brief lautete:
Mein Herr!
Vielleicht hat es Ihnen die Beobachtung, vielleicht, im unglücklicheren Fall, die eigne Erfahrung schon gesagt, daß es einen Grad von Elend gibt, welcher jede Rücksicht vergessen und jedes Gefühl verstummen macht. Es gibt zwar Leute, welche behaupten, man solle sich in einem solchen Falle lieber zur Welt hinaushungern, aber ich könnte die Widerlegung in einem seit Kurzem erblindeten Hauptmann von der Gasse aufgreifen, welcher erklärt, er würde sich todtschießen, wenn er nicht gezwungen sei, seiner Familie durch sein Leben seine Besoldung zu erhalten. Das ist entsetzlich. Sie werden wohl einsehen, daß es ähnliche Verhältnisse geben kann, die Einen verhindern, seinen Leib zum Nothanker zu machen, um ihn von dem Wrack dieser Welt in das Wasser zu werfen und werden sich also nicht wundern, wie ich Ihre Thüre aufreiße, in Ihr Zimmer trete, Ihnen ein Manuscript auf die Brust setze und ein Allmosen abfordere. Ich bitte Sie nämlich, das Manuscript so schnell als möglich zu durchlesen, es, im Fall Ihnen Ihr Gewissen als Kritiker dieß erlauben sollte, dem Herrn S.. zu empfehlen, und sogleich zu antworten.
Ueber das Werk selbst kann ich Ihnen nichts weiter sagen, als daß unglückliche Verhältnisse mich zwangen, es in höchstens fünf Wochen zu schreiben. Ich sage dieß, um Ihr Urtheil über den Verfasser, nicht über das Drama an und für sich, zu motiviren. Was ich daraus machen soll, weiß ich selbst nicht, nur das weiß ich, daß ich alle Ursache habe, der Geschichte gegenüber roth zu werden; doch tröste ich mich mit dem Gedanken, daß, Shakespeare ausgenommen, alle Dichter vor ihr und der Natur wie Schulknaben dastehen.
Ich wiederhole meine Bitte um schnelle Antwort; im Falle eines günstigen Erfolgs können einige Zeilen von Ihrer Hand, wenn sie noch vor nächstem Mittwoch hier eintreffen, einen Unglücklichen vor einer sehr traurigen Lage bewahren.
Sollte Sie vielleicht der Ton dieses Briefes befremden, so bedenken Sie, daß es mir leichter fällt, in Lumpen zu betteln, als im Frack eine Supplik zu überreichen und fast leichter, die 332 Pistole in der Hand: la bourse ou la vie! zu sagen, als mit bebenden Lippen ein: Gott lohn’ es! zu flüstern.
G. Büchner.
Dieser Brief, den ich abdrucke, um gleich ein Bild von der Aufregung des Charakters zu geben, dessen Erinnerung wir feiern, den ich auch, unbekümmert um seine noch lebenden, vermöglichen Eltern, abdrucke, weil wir die kleine Affektation und das unmotivirte Elend darin bald erklären werden, reizte mich, augenblicklich das Manuscript zu lesen. Es war ein Drama: Dantons Tod. Man sahe es der Produktion an, mit welcher Eile sie hingeworfen war. Es war ein zufällig ergriffener Stoff, dessen künstlerische Durchführung der Dichter abgehetzt hatte. Die Scenen, die Worte folgten sich rapid und stürmend. Es war die ängstliche Sprache eines Verfolgten, der schnell noch etwas abzumachen und dann sein Heil in der Flucht zu suchen hat. Allein diese Hast hinderte den Genius nicht, seine ausserordentliche Begabung in kurzen scharfen Umrissen schnell, im Fluge, an die Wand zu schreiben. Alles, was in dem lose angelegten Drama als Motiv und Ausmalung gelten sollte, war aus Charakter und Talent zusammengesetzt. Jenes ließ diesem keine Zeit, sich breit und behaglich zu entwickeln; dieses aber auch jenem nicht, nur bloß Gesinnungen und Extravaganzen hinzuzeichnen, ohne wenigstens eine in der Eile versuchte Abrundung der Situationen und namentlich der aus der köstlichsten Stahlquelle der Natur fließenden krystallhellen und muntern Worte. Dantons Tod ist im Druck erschienen. Die ersten Scenen, die ich gelesen, sicherten ihm die gefällige, freundliche Theilnahme jenes Buchhändlers noch an dem bezeichneten Abend selbst. Die Vorlesung einer Auswahl davon, obschon von diesem oder jenem mit der Bemerkung, dies oder das stände im Thiers, unterbrochen, erregte Bewunderung vor dem Talent des jugendlichen Verfassers.
337 Kaum hatte Georg Büchner ein Resultat, so erfuhren wir, daß er auf dem Wege nach Straßburg war. Ein Steckbrief im Frankfurter Journal folgte ihm auf der Ferse. Er hatte in Darmstadt, vor seiner Familie sogar, verborgen gelebt, weil er jeden Augenblick fürchten mußte, in eine Untersuchung gezogen zu werden. Er war in jene unglückseligen politischen Wirrnisse verwickelt, welche die Ruhe so vieler Familien untergraben, so vielen Vätern ihre Söhne und Frauen ihre Gatten genommen haben. Ob ihn Verdacht oder eine vorliegende Beschuldigung verfolgte, weiß ich nicht; man versicherte, daß er den Frankfurter Vorfällen nicht fremd gewesen. Vielleicht hatten ihn auch nur seine in Straßburg früher fortgeführten Studien verdächtig gemacht. Jedenfalls ergab sich, daß Büchner die Partie der Flucht gern ergriff. Er war mit einer jungen Dame in Straßburg versprochen; das Exil, für Andre eine Plage, war Wohlthat für ihn. Er gestand mir ein, daß er die Theilnahme seiner (wahrscheinlich loyalen) Eltern durch seine tollkühnen Schritte auf eine harte Probe stelle, und daß er nicht den Muth hätte, diese abzuwarten. Dies spornte ihn an, sich selbst einen Weg zur bürgerlichen Existenz zu bahnen und von seinen Gaben die möglichen Vortheile zu ziehen. Daher das verzweifelnde Begleitungsschreiben des Danton: daher das Pistol und die unschuldige Banditenphrase: la bourse ou la vie!
Mehre der aus Straßburg an mich gerichteten Briefe Büchners sind mir im Augenblicke nicht zur Hand. Ich hatte indessen große Mühe mit seinem Danton. Ich hatte vergessen, daß solche Dinge, wie sie Büchner dort hingeworfen, solche Ausdrücke sogar, die er sich erlaubte, heute nicht gedruckt werden dürfen. Es tobte eine wilde Sanscülottenlust in der Dichtung; die Erklärung der Menschenrechte wandelte darin auf 338 und ab, nackt und nur mit Rosen bekränzt. Die Idee, die das Ganze zusammenhielt, war die rothe Mütze. Büchner studirte Medizin. Seine Phantasie spielte mit dem Elend der Menschen, in welches sie durch Krankheiten gerathen; ja die Krankheiten des Leichtsinns mußten ihm zur Folie seines Witzes dienen. Die dichterische Flora des Buches bestand aus ächten Feld- und Quecksilberblumen. Jene streute seine Phantasie, diese seine übermüthige Satyre. Als ich nun, um dem Censor nicht die Lust des Streichens zu gönnen, selbst den Rothstift ergriff, und die wuchernde Demokratie der Dichtung mit der Scheere der Vorcensur beschnitt, fühlt’ ich wohl, wie grade der Abfall des Buches, der unsern Sitten und unsern Verhältnissen geopfert werden mußte, der beste, nämlich der individuellste, der eigenthümlichste Theil des Ganzen war. Lange zweideutige Dialoge in den Volksscenen, die von Witz und Gedankenfülle sprudelten, mußten zurückbleiben. Die Spitzen der Wortspiele mußten abgestumpft werden oder durch aushelfende dumme Redensarten, die ich hinzusetzte, krumm gebogen. Der ächte Danton von Büchner ist nicht erschienen. Was davon herauskam ist ein nothdürftiger Rest, die Ruine einer Verwüstung, die mich Ueberwindung genug gekostet hat. An dem merkantilischen Titel jedoch: „dramatische Bilder aus Frankreichs Schreckensherrschaft“ bin ich unschuldig. Diesen setzte der Verf. der fortgesetzten Döring’schen Phantasiegemälde darauf. Verklärter Geist, hier wasch’ ich meine Hände in Unschuld!
Büchner schrieb im Sommer 1835 an mich:
„Straßburg.
Verehrtester!
Vielleicht haben Sie durch einen Steckbrief im Frankfurter Journal meine Abreise von Darmstadt erfahren. Seit einigen Tagen bin ich hier; ob ich bleiben werde, weiß ich nicht, das hängt von verschiedenen Umständen ab. Mein Manuscript wird unter der Hand seinen Kurs durchgemacht haben.
Meine Zukunft ist so problematisch, daß sie mich selbst zu interessiren anfängt, was viel heißen will. Zu dem subtilen Selbstmord durch Arbeit kann ich mich nicht leicht entschließen; ich hoffe, meine Faulheit wenigstes ein Vierteljahr lang fristen zu können, und dann sterbe ich mit meiner Geliebten.“
339 Der wilde Geist in diesem Briefe ist die Nachgeburt Dantons. Der junge Dichter muß seinen Thiers und Mignet loswerden; er verbraucht noch die letzten Reste auf seiner Farbenpalette, mit welcher er, wie der prosaische Titelgeber gesagt: die „dramatischen Bilder aus Frankreichs Schreckensherrschaft“ gemalt hatte. Der Ausdruck ist ihm wichtiger als die Sache. Die revolutionäre Phraseologie reißt ihn hin, für sie nach idealen Unterlagen zu suchen. Er wird bald andere Ansichten haben und sich von jener Unruhe befreien, die man besonders dann spürt, wenn man eben vom Reisewagen absteigt. Der Puls schlägt öfter in der Minute, als man Gedanken für jeden Schlag hat. G. Büchner hörte bald auf, von gewaltsamen Umwälzungen zu träumen. Die zunehmende materielle Wohlfahrt der Völker schien ihm auch die Revolution zu verschieben. Je mehr jene zunimmt, desto mehr schwindet ihm eine Aussicht auf diese. Wir geben die Erinnerung an ein Kind unsrer Zeit und halten die Geständnisse G. Büchners, der, obschon deutscher Flüchtling, sich nicht der jeune Allemagne in der Schweiz, sondern der vieille Allemagne der Leibnitz, Wolf und Kant anschloß, für einen Beitrag zur modernen Culturgeschichte.
Inzwischen hatte ich den erschienenen Danton nach Verdienst im Phönix gewürdigt. Büchners Bescheidenheit schmollte, daß ich ihn zu hoch gestellt; er käme in Verlegenheit, meine in seinem Namen gegebenen Versprechungen zu halten. Meine Kritik hatte aber noch eine andre Folge, die für unsre Zustände nicht uninteressant war. Ich erhielt nämlich aus der Schweiz einen anonymen Brief, der allem Anscheine nach von der dortigen jeune Allemagne herrührte und worin mir über mein Lob eines patriotischen Apostaten, wofür Büchner nun schon galt, die heftigsten Vorwürfe gemacht wurden. Es war zu gleicher Zeit der Neid eines Schulkameraden, der sich in dem Briefe aussprach. Den Verf., den ich wohl errathe, ärgerte das einem ehemaligen Freund gespendete Lob und um seine kleinliche Empfindung zu verbergen, hüllte er sich in pädagogische Vorwände. Der geärgerte Schulkamerad schrieb: „Bei der unbedingtesten Gerechtigkeit, die ich Büchners Genie widerfahren ließ, ist es mir doch nie eingefallen, mich vor ihm in eine Ecke zu verkriechen.“ Darauf folgte ein Erguß über die Eitelkeit, in der nun der Kamerad bestärkt werden würde, eine Versicherung, daß er 340 Büchners wahrer Freund wäre und in einem Postscript – ob ich nicht eine Antikritik abdrucken wollte! Mir schien dies anonyme Treiben so verdächtig, daß ich Büchnern einen Wink gab und von ihm Aufklärung erhielt. Ich will die betreffende Stelle hersetzen; nicht, weil das ganze Verhältniß von Bedeutung ist; sondern weil ich darin eine Abspiegelung von Jugenderinnerungen sehe, die gewiß in vielen Lesern dieses Gedächtnisses auftauchen. Wer hätte nicht in Beziehungen gestanden, wo brechen so schwer, fast unmöglich ist und wo man durch das freundschaftliche Verhältniß doch nicht erquickt, sondern im Gegentheil nur belästigt wird, und mit Freuden jede Gelegenheit ergreift, sich mit gutem Grund die Last abzuschütteln! Büchner antwortete: „Was Sie mir über die Zusendung aus der Schweiz sagen, macht mich lachen. Ich sehe schon, wo es herkommt. Ein Mensch, der mir einmal, es ist schon lange her, sehr lieb war, mir später zur unerträglichen Last geworden ist, den ich schon seit Jahren schleppe und der sich, ich weiß nicht aus welcher verdammten Nothwendigkeit, ohne Zuneigung, ohne Liebe, ohne Zutrauen an mich anklammert und quält und den ich wie ein nothwendiges Uebel getragen habe! Es war mir wie einem Lahmen oder Krüppel zu Muth und ich hatte mich so ziemlich in mein Leiden gefunden. Aber jetzt bin ich froh, es ist mir, als wäre ich von einer Todsünde absolvirt. Ich kann ihn endlich mit guter Manier vor die Thüre werfen. Ich war bisher unvernünftig gutmüthig, es wäre mir leichter gefallen ihn todtzuschlagen, als zu sagen: Pack dich! Aber jetzt bin ich ihn los! Gott sei Dank! Nichts kommt Einem doch in der Welt theurer zu stehen, als die Humanität.“
345 Weil sich Büchner mit allen Kräften auf eine akademische Stellung vorbereitete, so konnte er seine Mußezeit nur leichten Arbeiten widmen. Er übersetzte in der Serie von Victor Hugos Werken die Tudor und Borgia mit ächt dichterischer Verwandtschaft zu dem Originale. Einen seiner Briefe, wo er die Schwächen Victor Hugos mit feinem Auge musterte, kann ich leider nicht wiederfinden. Alfred de Musset zog ihn an, während er nicht wußte, „wie er sich durch V. Hugo durchnagen“ solle, Hugo gäbe nur „aufspannende Situationen“, A. de Musset aber doch „Charaktere, wenn auch ausgeschnitzte.“ Wie wenig er auch arbeitete und erklärte, für den Danton, der so hurtig zu Stande gekommen, wären „die NN’schen Polizeidiener seine Musen gewesen;“ so trug er sich doch mit einem Lustspiele, wo Lenz im Hintergrund stehen sollte. Er wollte viel Neues und Wunderliches über diesen Jugendfreund Göthes erfahren haben, viel Neues über Friederiken und ihre spätere Bekanntschaft mit Lenz. Ich höre, daß sich in seinem Nachlaße Einiges von der Ausarbeitung dieses Stoffes vorgefunden haben soll. Möchte es in fromme Hände gekommen sein, die es durch geordnete Herausgabe zu ehren wissen!
Die deutsche Revue, welche von Wienbarg und mir herausgegeben werden sollte, ließ’ eine interessante Geschichte ihres Auf- und Unterganges zu. Ich hatte Lust, sie unter dem Titel: Lebenslauf eines Embryo herauszugeben, wollte aber discreter sein, als die noblen Herren waren, die darin hätten aufgeführt werden müssen. Die Materialien liegen jedoch geordnet dazu da, autographisches Zeug, von welchem bei den Protestationen nur das Unterfutter, welches man plötzlich herauskehrte, sichtbar wurde. G. Büchner sprach dem Unternehmen Muth zu. Er wollte hülfreiche Hand leisten. Seine 346 Motive zu dem Glauben an einen guten Fortgang sind aber zu persönlich, als daß ich sie wiedergeben könnte. Die auf mich hereinbrechenden Wallystürme machten dem sorglosen Streben für eine Sache, die in ihrem Grunde besser war, als ihr öffentlicher Widerschein, ein frühes Ende. Allein auch in Mannheim blieb Georg Büchner dem Freunde treu. Seine Besorgniß irrte um die Haft, welche ihn traf, wie eine Braut umher. Er wandte List über List an, um ihm zu rathen und gleichsam aus der Ferne mit einem Tuche zu winken. Er kannte die Lokalität und schilderte sie mit einer Einbildungskraft, als wär’ er selbst zugegen. Wär’ ich seinem ängstlichen Mißtrauen gefolgt, so würd’ ich ihm, dem frühvollendeten, vielleicht mit eigner Hand Züricher Erde als frommen leidtragenden Tribut der Freundschaft auf seinen Sarg nachgeworfen haben.
Büchners spätre Briefe beschäftigen sich meist mit seinen Zukunftsplänen. Sein Herz war gefesselt, er suchte eine Existenz, als Schmied seines Glückes. Er hatte die Medizin verlassen und sich auf die abstrakte Philosophie geworfen. Er schrieb (wie gewöhnlich ohne Datum)
„Straßburg.
Lieber Freund!
War ich lange genug stumm? Was soll ich Ihnen sagen? Ich saß auch im Gefängniß und im langweiligsten unter der Sonne, ich habe eine Abhandlung geschrieben in die Länge, Breite und Tiefe. Tag und Nacht über der ekelhaften Geschichte, ich begreife nicht, wo ich die Geduld hergenommen. Ich habe nämlich die fixe Idee, im nächsten Semester zu Zürich einen Kurs über die Entwickelung der deutschen Philosophie seit Cartesius zu lesen; dazu muß ich mein Diplom haben und die Leute scheinen gar nicht geneigt, meinem lieben Sohn Danton den Doktorhut aufzusetzen.
Was war da zu machen?
Sie sind in Frankfurt, und unangefochten?
Es ist mir leid und doch wieder lieb, daß Sie noch nicht im Rebstöckel, (Straßburger Gasthof) angeklopft haben. Ueber den Stand der modernen Literatur in Deutschland weiß ich so gut als nichts; nur einige versprengte Broschüren, die, ich weiß nicht wie, über den Rhein gekommen, fielen mir in die Hände.
Sie erhalten hiermit ein Bändchen Gedichte von meinem Freunde Stöber. Die Sagen sind schön, aber ich bin kein Ver-347ehrer der Manier à la Schwab und Uhland und der Parthei, die immer rückwärts ins Mittelalter greift, weil sie in der Gegenwart keinen Platz ausfüllen kann. Doch ist mir das Büchlein lieb; sollten Sie nichts Günstiges darüber zu sagen wissen, so bitte ich Sie, lieber zu schweigen. Ich habe mich ganz hier in das Land hineingelebt; die Vogesen sind ein Gebirg, das ich liebe wie eine Mutter, ich kenne jede Bergspitze und jedes Thal und die alten Sagen sind so originell und heimlich und die beiden Stöber sind alte Freunde, mit denen ich zum Erstenmal das Gebirg durchstrich. Adolph hat unstreitig Talent, auch wird Ihnen sein Name durch den Musenalmanach bekannt sein. August steht ihm nach, doch ist er gewandt in der Sprache.
Die Sache ist nicht ohne Bedeutung für das Elsaß, sie ist einer von den seltnen Versuchen, die noch manche Elsässer machen, um die deutsche Nationalität Frankreich gegenüber zu wahren und wenigstens das geistige Band zwischen ihnen und dem Vaterland nicht reißen zu lassen. Es wäre traurig, wenn das Münster einmal ganz auf fremdem Boden stünde. Die Absicht, welche zum Theil das Büchlein erstehen ließ, würde sehr gefördert werden, wenn das Unternehmen in Deutschland Anerkennung fände und von der Seite empfehle ich es Ihnen besonders.
Ich werde ganz dumm in dem Studium der Philosophie; ich lerne die Armseligkeit des menschlichen Geistes wieder von einer neuen Seite kennen. Meinetwegen! Wenn man sich nur einbilden könnte, die Löcher in unsern Hosen seien Pallastfenster, so könnte man schon wie ein König leben, so aber friert man erbärmlich.“
Dies Ganze ist die Zusammensetzung zweier Briefe, der letzte Theil ist älter, als der erste. Der Umzug nach Zürich brachte eine momentane Störung hervor. Die Habilitation beschäftigte Büchner, der übermäßig arbeitete; ich drang auf keine Nachrichten, weil ich hoffte, die Zürcher Niederlassung würde gute Wege haben. Inzwischen erkrankte Büchner und starb.
Beweisen nicht schon diese von mir mitgetheilten Brieffragmente, um welch einen reichen Geist mit ihm unsre Nation gekommen ist? Alles, was er berührte, wußte er in eine bedeutsame Form zu gießen. Er hatte die Rede und den Gedanken stets in gleicher Gewalt und wußte mit einer an jungen Gelehrten so seltenen Besonnenheit, seine Ideen abzurunden und zu krystallisiren. Seine Inaugurationsabhandlung wird 348 als ein seltner Beleg von Gelehrsamkeit und Scharfsinn gerühmt; wie es denn nichts geben kann, was dem Denker mehr einen Erfolg sichert, als eine solche Freiheit des Geistes, eine solche dilettantische Unbefangenheit von Vorurtheilen, wenn sie sich einmal auf einen gegebenen Stoff wirft und eine Tradition todter Fakultätsbegriffe in ihrer lebendigen Weise prüft und sichtet. Büchner würde, wie Schiller, seine Dichterkraft durch die Philosophie geregelt und in der Philosophie mit der Freiheitsfackel des Dichters die dunkelsten Gedankenregionen gelichtet haben. Alle diese Hoffnungen knickte der Sturm. Ein frühes Grab war der Punkt, in welchen sich all die frischen, kühnen Perioden, die wir von einem Jünglinge in diesen Mittheilungen gelesen haben, enden sollten. In dem Trotze, der aus diesem Charakter sprach, lachte der Tod. Der Friedensbogen, der sich über diese gährende Kampfes- und Lebenslust zog, war die Sense des Schnitters, von welcher so frühe gemäht zu werden, uns schmerzlich und fast mit einem gerechten Scheine die Unbill des Schicksals anklagen läßt. Könnt’ ich diese Erinnerungsworte ansehen, als in Stein und nicht in Sand gegraben, daß sie vom Winde nicht verweht werden! Könnt’ ich in künftigen Darstellungen unsrer Zeit, wie sie war, rang, litt und hoffte, wenigstens den Namen: Georg Büchner in der Zahl derjenigen, welche durch ihr Leben und ihr Arbeiten die Entwickelung unsrer Uebergangsperiode bezeichnen, dauernd und mit goldnem Scheine erhalten! Wenn die Fluth der Vergessenheit über uns Alle kömmt, möcht’ er einer der ersten sein, von welchen, wenn der Zorn Gottes verronnen ist, ein grünes Blatt die Friedenstaube in die Arche der dann entscheidenden Gerechtigkeit trägt!
Apparat#
Bearbeitung: Martina Lauster, Exeter#
1. Textüberlieferung#
1.1. Handschriften#
1.1.1. Übersicht#
Es sind keine handschriftlichen Überlieferungsträger bekannt.
1.2. Drucke#
Gutzkows Nachruf auf Georg Büchner (gestorben am 19. Februar 1837 in Zürich) erschien unter dem Titel Ein Kind der neuen Zeit im Juni 1837 in Gutzkows „Frankfurter Telegraph“. Ein Jahr später nahm Gutzkow den Text unter dem Titel Georg Büchner in die Sammlung Götter, Helden, Don-Quixote auf und reihte ihn unter die Götter ein. Hier setzte er die politisch expliziten Stellen in Büchners Briefen hinzu, die im Journaldruck der Zensur zum Opfer gefallen waren. Bei der so vervollständigten Fassung handelt es sich um einen eigenständigen Text, der in unserer Ausgabe separat ediert wird (→ Götter, Helden, Don-Quixote, Georg Büchner). In dieser erweiterten Form von 1838 und unter demselben Titel fand der Nachruf in die Sammlung Oeffentliche Charaktere Eingang, die 1845 als zweiter Band der Gesammelten Werke und nochmals dreißig Jahre später als neunter Band der Gesammelten Werke letzter Hand erschien.
1845 fügte Gutzkow dem Text einen Nachtrag hinzu. Dort wies er auf die Abschriften aus dem Nachlass hin, die ihm Büchners Braut Minna Jaeglé übergeben hatte und die er in Gänze („Lenz“) oder in Auszügen („Leonce und Lena“) im „Telegraph für Deutschland“ veröffentlicht hatte. Der Nachtrag von 1845 besteht zusätzlich aus einem Zitat aus Georg Herweghs Gedicht „Zum Andenken an Georg Büchner, den Verfasser von Dantons Tod“ (1841), das zuerst 1841 in Lewalds „Europa“ mit einer Widmung an Gutzkow veröffentlicht worden war und dann ohne die Widmung in Herweghs „Gedichte eines Lebendigen“ (1841) aufgenommen wurde. 1875 fügte Gutzkow dem Titel Georg Büchner das Erscheinungsjahr des Nachrufs, 1837, hinzu und kürzte im Nachtrag das Gedichtzitat.
2. Textdarbietung#
2.1. Edierter Text#
J. Der Text folgt in Orthographie und Interpunktion unverändert dem Erstdruck. Textsperrungen werden übernommen. Silbentrennstriche (=) werden durch - wiedergegeben. Die Seitenzählung wird mit Klammern [ ] an den betreffenden Stellen in den Text eingefügt.
Die Liste der Texteingriffe nennt die von den Herausgebern berichtigten Druckfehler sowie die Emendationen. Fehlende oder überzählige Spatien im Erstdruck wurden stillschweigend korrigiert.
2.1.1. Texteingriffe#
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3. Quellen, Bezugstexte #
3.1. Karl Buchner: Georg Büchner#
Karl Buchner: [Todtenschau.] Georg Büchner, gestorben den 19. Februar 1837. In: Literarische und kritische Blätter der Börsen-Halle. Hamburg. Jg. 13, H. 1359, 22. Mai 1837, S. 488; H. 1360, 24. Mai 1837, S. 493- 494.
Dreizehn Jahre sind ein kurzer Zeitraum im Leben, und doch ein langer vom Leben zum Leben. Dreizehn Jahre jünger war Georg Büchner als der Schreiber dieser Zeilen und niemals hat ihn der Letztere gesehen. Das Wohnen in der nämlichen Stadt, in derselben Straße, sollte nicht Brücke werden zum bewußten Ruhen der Augen auf dem Andern. Vielleicht, daß ich einmal hörte, der älteste Sohn des Medicinalraths Büchner sey ein talentvoller Mensch und habe ein Prämium bekommen. Vielleicht! [...] Auch vergißt sich so etwas geschwind. Ein Steckbrief vergißt sich schon weit weniger. „Ein Steckbrief? Warum gerade ein Steckbrief?“ Weil es noch keine zwei Jahre sind, daß ich einen Steckbrief in den Zeitungen gelesen habe, den ich jetzt als Portrait brauche, um mir Georg Büchner’s Züge zu versinnlichen.
Der Steckbrief ist vom 13. Juny 1835. „Der hierunter signalisirte Georg Büchner, Student der Medicin aus Darmstadt, hat sich der gerichtlichen Untersuchung seiner indicirten Theilnahme an staatsverrätherischen Handlungen durch die Entfernung aus dem Vaterlande entzogen. Man ersucht deshalb die öffentlichen Behörden des In- und Auslandes, denselben im Betretungsfalle festnehmen und wohlverwahrt an die unterzeichnete Stelle abliefern zu lassen. Darmstadt u. s. w.“ So lautet der Steckbrief [...] „Alter: 21 Jahre.“ Ach, noch sehr jung! „Größe: 6 Schuh, 9 Zoll neuen hessischen Maaßes.“ Demungeachtet kein Riese, denn das neue hessische Maaß ist das alte rheinische im Hohlspiegel. [Es folgen weitere witzelnd-kritische Bemerkungen über das nichtssagende offizielle „Signalement“.]
Aber um dieselbe Zeit, als Georg Büchner aus dem Vaterlande sich entfernte, erschien ein Buch von ihm im Druck, welches weder Augenbraunen, noch Nase, noch Gesichtsfarbe hatte und also durchaus zu keinem Signalement zu brauchen war. Nicht einmal eine achtbare Größe konnte es in Anspruch nehmen, denn es hatte nur gewöhnliches Octavformat. Als besonderes Kennzeichen galt höchstens, daß das Buch mit einem Titel versehen worden. Signalisirte haben regelmäßig gar keinen Titel. Wie sollten auch obscure Menschen, die geraubt, gestohlen oder politisch delinquirt haben, zu einem Titel kommen? Wer einmal einen Titel hat, raubt, stiehlt und delinquirt politisch nicht mehr. Aber das Buch! „Danton’s Tod“ war sein Titel, und, als heraldisches Zierwerk hing noch drum herum: „Dramatische Bilder aus Frankreichs Schreckensherrschaft.“
Wer so mitten in die französische Revolution hineingreift und Weltereignisse mit Weltcharakteren vor sein poetisches Forum zieht, muß Muth, wer es mit Glück thut, muß ausgezeichnete Fähigkeiten haben. Georg Büchner that es mit Glück. Zwar hatte ihm die Geschichte schon viel vorgearbeitet, da und dort hatte er kaum mehr zu thun, als typographisch zum Dialog umzugestalten, was im Uebrigen schon vorher Dialog war; aber dafür machte ihm auch wieder die Geschichte eine Menge Unbequemlichkeiten. Wo sie mit reichen, breiten Farben gemalt hatte, blieb ihm nur, bei eng gemessenem Raum, die Scheere des Silhouettschneiders; wo sie mit kühnem Adlerschnabel ihre Gegenstände gepackt und auf die Alpenspitzen starren Erstaunens getragen, stand ihm nur ein Storchschnabel zu Gebote, um im ungeschmückten, vorüberfliegenden Auftreten der Männer selbst und in leicht skizzirten Volksscenen den Moment zu schildern, welcher zwischen dem Sturze der Girondisten und dem Sturze Robespierre’s sich riesig erhebt und so vielleicht die Spitze der ganzen Revolutionsgeschichte bildet. – Aber ich kann mich bei dieser Gelegenheit von einem Tadel nicht lossagen. Büchner hob die cynische Partie jener Zeit in einer Weise hervor, welche das ästhetische Gefühl verletzt und nicht einmal besonders richtig ist. Denn die Dantonisten waren lasciv, sie waren liederlich, aber sie waren, besonders Damen gegenüber, keine gemeine Zotenreißer. [...] Wer [...] angewiesen ist, viel Licht und Schatten in starken Contrasten zu gebrauchen, schlägt da am Leichtesten und am Unangenehmsten über, wo er dem aufgetragenen Fleische haut-gout verleihen will und wo im flüchtigen Griffe stellenweise Gestank daraus wird. Auch konnte das als Concession, als irdischer Tribut Büchner’s an eine Zeit gelten, die Geschlechtsverhältnisse noch auf andere Art aufgeputzt und namentlich in Philosopheme verarbeitet hatte, den Schweinskopf zur Citrone gesellend, statt die Citrone zum Schweinskopf. –
[493] Georg Büchner war von Straßburg nach Zürich gegangen und hatte dort medicinische Vorlesungen begonnen. Das Publicum war gespannt, was er nach „Danton’s Tod“ nun bringe; Manche hofften, Andere zweifelten. Da erscholl die Nachricht von Büchner’s lebensgefährlicher Krankheit und bald nachher von seinem Tode. – Nachstehend folgt wörtlich der Nekrolog Büchner’s, wie er in der Züricher Zeitung abgedruckt stand:
[Es folgt auf S. 493-494 ein Wiederabdruck des Nachrufs im „Schweizerischen Republikaner“, den Büchners Freund Wilhem Schulz noch im Todesmonat Büchners dort veröffentlichte: Wilhelm Schulz: Nekrolog. In: Schweizerischer Republikaner. Zürich. Nr. 17, 28. Februar 1837, S. 71-72.]
„Im Verlaufe weniger Tage hat der Tod zwei ausgezeichnete deutsche Männer den Reihen ihrer trauernden Landsleute und der Genossen ihres Schicksals entrissen. Am 15. Februar wurde Ludwig Börne zu Paris, am 21. Februar Georg Büchner zu Zürich beerdigt. Beide ruhen in fremdem Lande, denn Beiden hatte sich das Vaterland verschlossen. Wenn Börne im heiligen Kampfe für Licht und Recht ein lang erprobter Streiter war, der mit steter Ausdauer die scharfen Geisteswaffen gegen Unterdrückung und Knechtschaft, gegen Heuchelei und Lüge gerichtet hatte, so begrüßten Alle, welche G. Büchner näher kannten, in diesem die frische Jugendkraft, der eine weite Bahn des Ruhms und der Ehre offen lag. Große Hoffnungen ruhten auf ihm, und so reich war er mit Gaben ausgestattet, daß er selbst die kühnsten Erwartungen übertroffen haben würde.“
„G. Büchner, der Sohn eines angesehenen Arztes zu Darmstadt, wurde am 17. Oktober 1813 zu Goddelau bei Darmstadt geboren. Nachdem er das Gymnasium dieser Stadt besucht, widmete er sich zu Straßburg vom Herbste 1831 bis zum August 1832, sodann vom October dieses Jahres bis zur Mitte des Jahres 1833 dem Studium der Naturwissenschaften, besonders der Zoologie und vergleichenden Anatomie. In dieser Zeit von einer Unpäßlichkeit befallen, fand er sorgsame Pflege im Hause seines Verwandten, des Pfarrers Jägle zu Straßburg. Während dieser [494] Krankheit verlobte er sich mit der Tochter dieses würdigen Geistlichen, welche durch Geist und Herz in jeder Beziehung seiner würdig war. Die Gesetze seines Heimathlandes riefen ihn im Herbst 1833 auf die Universität Gießen, wo er sein Studium der Naturwissenschaften fortsetzte, und zugleich, nach dem Wunsche seines Vaters, mit der practischen Medicin sich befaßte. Durch eine Hirnentzündung im Frühjahr 1834 erlitten diese Studien einige Unterbrechung; doch kehrte er nach kurzem Aufenthalte in Darmstadt nach Gießen zurück wo er bis zum Herbst 1834 verweilte. Von da begab er sich abermals in sein älterliches Haus zu Darmstadt, wo er fortwährend mit Naturwissenschaften, so wie mit Philosophie sich beschäftigte, und zugleich, im Auftrage seines Vaters, anatomische Vorlesungen hielt.“
„In der letzten Zeit seines Aufenthalts in Gießen wurde Büchner, mit vielen andern Jünglingen seines Sinnes und Alters, in die politischen Bewegungen jener Zeit verwickelt. Der gegen ihn eingeleiteten Untersuchung entzog er sich im März 1835 durch seine Abreise nach Straßburg. Hier gab er entschieden die practische Medicin auf, und widmete sich mit rastlosem Eifer dem Studium der neueren Philosophie. Besonders tief drang er in die Lehren von Cartesius und Spinoza ein. Eine gleiche Thätigkeit, die ihn häufig seine Arbeiten bis tief in die Nacht fortsetzen ließ, wendete er auf die Naturwissenschaften. Im Dezember 1835 begann er die Vorarbeiten für seine Abhandlung: „Sur le système nerveux du barbeau,“ welcher er die Ernennung zum correspondirenden Mitgliede der naturforschenden Gesellschaft zu Straßburg verdankte. Durch Einsendung derselben Abhandlung an die philosophische Facultät zu Zürich erwarb er sich die philosophische Doctorwürde. Von den ausgezeichnetsten Kennern der Naturwissenschaften ist diese Schrift für eine meisterhafte Arbeit erklärt worden, die zu den höchsten Erwartungen berechtige. Gleich bedeutend kündigte er sich durch seine Probevorlesung und seine akademischen Vorträge über vergleichende Anatomie an der Hochschule zu Zürich an, wohin er sich am 18. October vorigen Jahrs zu bleibendem Aufenthalte begeben hatte.“
„Aber nicht bloß die Natur, auch das reiche innere Leben der Menschen, ihre Leidenschaften und Neigungen, ihre Schwächen und Tugenden zogen ihn mächtig an, und was er mit scharfem Blicke aufgefaßt, gestaltete sich seinem productiven Geiste zu poetischen Schöpfungen. Besonders hatte ihn das große Drama der neueren Zeit, die französische Revolution, lebhaft ergriffen. Er studirte gründlich die Geschichte derselben, und bemächtigte sich eines ihrer bedeutendsten Stoffe. In politische Untersuchungen verwickelt, unter mannigfachen Störungen und Beschäftigungen verschiedener Art, vollendete er in wenigen Wochen, während seines letzten Aufenthaltes zu Darmstadt, sein dramatisches Werk: „Dantons Tod; dramatische Bilder aus der Zeit der Schreckensherrschaft.“ Einer der strengsten und geistvollsten Kritiker Deutschlands bezeichnete dieses Drama als das Werk des Genie’s, und pries sich glücklich, der Erste zu sein, welcher das deutsche Publicum auf den so hervorragenden Geist aufmerksam mache. In Straßburg gab sodann Büchner sehr gelungene Uebersetzungen der beiden Dramen Victor Hugo’s, Lucrece Borgia und Marie Tudor, heraus. In derselben Zeit und später zu Zürich vollendete er ein im Manuscript vorliegendes Lustspiel, Leonce und Lena, voll Geist, Witz und kecker Laune. Außerdem findet sich unter seinen hinterlassenen Schriften ein beinahe vollendetes Drama, so wie das Fragment einer Novelle, welche die letzten Lebenstage des so bedeutenden als unglücklichen Dichters Lenz zum Gegenstande hat. Diese Schriften werden demnächst im Druck erscheinen.“
„Der so reich begabte junge Mann war mit zu viel Thatkraft ausgerüstet, als daß er bei der jüngsten Bewegung im Völkerleben, die eine bessere Zukunft zu verheißen schien, in selbstsüchtiger Ruhe hätte verharren sollen. Durch seinen frühe gereiften Geist auf eine heitere Höhe gestellt, blieb er indessen in seinen politischen Ansichten von manchen Täuschungen frei, welchen sich die Jugend willig hinzugeben pflegt. Ein Feind jeder thöricht unbesonnenen Handlung, die zu keinem günstigen Erfolge führen konnte, haßte er doch jenen thatenlosen Liberalismus, der sich mit seinem Gewissen und seinem Volke durch leere Phrasen abzufinden sucht, und war zu jedem Schritte bereit, den ihm die Rücksicht auf das Wohl seines Volkes zu gebieten schien. So haben denn in gleicher Weise die Wissenschaft, die Kunst und das Vaterland seinen frühzeitigen Verlust zu beklagen. Dieses Vaterland hatte er verlassen müssen, aber der Genius ist überall zu Hause. In Zürich hätte er eine zweite Heimath gefunden; dafür bürgt die Anerkennung, die ihm seine Talente erwarben, dafür die Theilnahme, die von so vielen der ausgezeichnetsten Bewohner dieser Stadt seinem Andenken am Tage der Beerdigung bezeigt wurde.“
„Keiner seiner Freunde hatte diesen Tag noch vor wenigen Wochen nahe geglaubt. Außer einigen leichten Unpäßlichkeiten war Büchner während seines Aufenthalts in Zürich stets gesund geblieben. Sein Aeußeres schien mit seinem Innern in Harmonie zu stehen, und die breit gewölbte Stirne schien noch lange seinem umfassenden Geiste eine sichere Stätte zu seyn. Doch mochte er selbst ein Vorgefühl seines frühen Endes haben. Wenigstens vergleicht er in einem hinterlassenen Tagebuche den Zustand seiner Seele mit einem Herbstabende, und schließt seine Bemerkung mit den Worten: „Ich fühle keinen Ekel, keinen Ueberdruß; aber ich bin müde, sehr müde. Der Herr schenke mir Ruhe!“ –
„Am 2. Februar mußte er sich zu Bette legen, das er von jetzt an nur für wenige Augenblicke verließ. Trotz der Sorgfalt der Aerzte und der Pflege seiner Freunde machte die Krankheit unaufhaltbare Fortschritte, und bildete sich bald zum heftigen Nervenfieber aus. Am zwölften Tage fingen die Delirien an. Der Gegenstand seiner Phantasien waren seine Braut, seine Eltern und Geschwister, deren er mit der rührendsten Anhänglichkeit gedachte, und das Schicksal seiner politischen Jugendgenossen. – [Im Nachdruck zensiert, also in der Gutzkow zugänglichen Quelle nicht enthalten: „[...], die seit Jahren in den Kerkern seiner Heimath schmachten. Wie vor seiner Krankheit, so sprach er auch jetzt in bitteren aber wahren Worten, die im Munde eines Sterbenden ein doppeltes Gewicht haben, über jene Schmach unserer Tage sich aus, über die verwerfliche Behandlung der politischen Schlachtopfer, die nach gesetzlichen Formen und mit dem Anschein der Milde in Jahre langer Untersuchungshaft gehalten werden, bis ihr Geist zum Wahnsinne getrieben und ihr Körper zu Tode gequält ist. „In jener französischen Revoluzion,“ so rief er aus, „die wegen ihrer Grausamkeit so verrufen ist, war man milder als jetzt. Man schlug seinen Gegnern die Köpfe ab. Gut! Aber man ließ sie nicht Jahre lang hinschmachten und hinsterben.“] Später, als ihm der Tod näher gerückt war, schien er sich bereits von allen irdischen Banden losgerissen zu haben, und mit gehobener Sprache, deren Worte die erhabensten Stellen der Bibel ins Gedächtniß riefen, ergoß sich seine Seele in religiöse Phantasien.“
„Auf die erste Nachricht von seiner Krankheit eilte seine Verlobte an das Krankenbett ihres Bräutigams. Die Nähe der Geliebten leuchtete freundlich in seine Träume hinein, und seine sichtbar freudige Bewegung weckte einen letzten Schimmer der Hoffnung bei denen, die ihm nahe standen. Aber es war nur ein kurzes Aufflackern des verglimmenden Lebens! Von Landsleuten und Freunden umgeben, starb er am 19. Februar, Nachmittags gegen 4 Uhr, und seine treue Braut schloß ihm das gebrochene Auge. Sein Verscheiden war schmerzlos und sanft, denn der Segen der Liebe ruhte auf ihm!“ –
4. Entstehungsgeschichte #
4.1. Dokumente zur Entstehungsgeschichte #
4.1.1. Karl Gutzkow: Ein Kind der neuen Zeit#
Karl Gutzkow: Ein Kind der neuen Zeit, eGWB IV, Bd. 6/2, pdf 1.0, S. 1.
Der Briefwechsel stockt. Man ist ohne Sorge über den still fortglimmenden Freundschaftsfunken und tritt eines Tages an einen Ort, wo sich das Echo der tausend Tagesgerüchte, der Irrthümer und der Verfolgungen in Zeitungen durchkreuzt. Man ergreift sorglos eine derselben und liest, daß der Freund, der hoffnungsvolle, strebende, muthige, schon seit Monaten hinübergegangen ist in das Reich des Friedens, sanft entschlummert im Arme einer Geliebten, ausgelöscht aus dem jungen Nachwuchsregister unsrer Hoffnungen, todt – ja mehr als todt – schon seit Monden verstorben!
4.2. Entstehungsgeschichte #
Gutzkow erfuhr vom Tod seines Freundes Georg Büchner mit drei Monaten Verspätung und zufällig. Es war an einem öffentlichen Ort, wo Zeitungen auslagen, wie er in seinem Nachruf schreibt (4.1.1.). Er muss dort ein Heft der „Literarischen und kritischen Blätter der Börsen-Halle“ aufgegriffen haben, wo Karl Buchner als erster in Deutschland am 22. und 24. Mai 1837 unter der Rubrik „Todtenschau“ Georg Büchners gedachte (3.1.). Buchner war ein Darmstädter Jurist und Schriftsteller, dem nach eigener Aussage die in seiner Heimatstadt, ja sogar in derselben Straße wohnende Familie des Medizinalrats Büchner bekannt war, obwohl er dem ältesten Sohn Georg nicht begegnet war. Buchner wiederum druckte im zweiten Teil seines Textes den allerersten Nachruf, den „Nekrolog“, den Büchners Freund und Mitemigrant Wilhem Schulz noch im Todesmonat Februar 1837 im „Schweizerischen Republikaner“ veröffentlicht hatte. Gutzkows Nachruf, der dem Buchners drei Wochen später im „Frankfurter Telegraphen“ folgte, zeigt deutlich eine Kenntnis desjenigen von Schulz, der ihm über Buchner vermittelt worden war.
5. Rezeption #
5.1. Dokumente zur Rezeptionsgeschichte #
5.1.1. Zeitung für die elegante Welt, 11. Juli 1837#
[Anon.:] Notizen. Gutzkow über Georg Büchner. In: Zeitung für die elegante Welt. Leipzig. Nr. 133, 11. Juli 1837, S. 532. (Rasch 9/2.37.07.11)
In der neuesten Nummer des frankfurter Telegraphen Nr. 42 u. flg. steht unter dem Titel „Ein Kind der neuen Zeit“ eine schöne Gedächtnißtafel für das Grab Georg Büchners. Georg Büchner war eines jener gährenden Gemüther, die der Wogensturm der Zeitideen heraufgetrieben und der Drang des Augenblicks, die Enge des Lebens vernichtet. Ohne Calcul über die Wiege, in der ein neues Jahrhundert zu schaukeln ist, in der fliegenden Hitze der Entzückung schrieb er jenes Trauerspiel ,,Danton’s Tod,“ dessen jacobinische Ausgeburten Gutzkow mit besorglicher Freundeshand tilgte und glättete. Georg Büchner aber, betheiligt bei den Frankfurter Unruhen, verließ seine Heimath, Darmstadt; in Straßburg erwartete ihn das Glück der Liebe. Er warf sich auf die abstracte Philosophie, er gedachte in Zürich den Lehrstuhl zu besteigen. Die Anstrengungen und die harten Widersprüche des Strebens und der Bedürfnisse rieben ihn schnell auf. In seinen Papieren vermuthet man den Entwurf zu einem Lustspiel, in welchem der unglückliche Lenz die Hauptfigur abgeben sollte. Georg Büchner’s Briefe an Gutzkow athmen den Drang einer großartigen Natur.
5.1.2. Jahrbücher für Drama, Dramaturgie und Theater, 1837#
[Anon.:] Georg Büchner. In: Jahrbücher für Drama, Dramaturgie und Theater. Leipzig. Bd. 1, 1837, S. 80. (Rasch 9/2.37.4)
Gutzkow gibt in einem vortrefflichen Aufsatze unter der Ueberschrift: „Ein Kind der neuen Zeit“ im Frankfurter Telegraphen, Notizen über diesen zu früh verstorbenen Dramatiker. Büchner sendete zu Anfange des Jahres 1835 sein Drama „Dantons Tod“ an Gutzkow. Ein Brief voll leidenschaftlicher Aufregung begleitete das Manuscript, in dem Gutzkow alsbald die Spuren eines außerordentlichen Talentes erkannte. Seiner Verwendung haben wir allein den Besitz dieses Drama’s zu verdanken, in dem er die zu starken Schlaglichter mit freundschaftlicher Sorgfalt milderte. Büchner mußte jedoch schon wenig Tage nach jenem Briefe landflüchtig werden, da er an den Frankfurter Unruhen betheiligt war. Er ging nach Straßburg, wo er am Busen der Geliebten Ruhe und Befriedigung zu finden hoffte. Später wandte er sich nach Zürich, um an der dortigen Universität sich zu habilitiren. In dieser Zeit blieb er mit Gutzkow im Briefwechsel, von denen [sic] charakteristische Bruchstücke mitgetheilt werden. Ein Jahr später machten die Zeitungen seinen Tod bekannt. Aus all’ den einzelnen Zügen, die Gutzkow mit feinem Tact zu einem Ganzen zusammenzufassen wußte, geht die schmerzliche Gewißheit hervor, daß wir an Büchner eins jener bedeutendsten Talente verloren haben, durch deren Ausdauer dem deutschen Drama vielleicht eine Zukunft erwachsen kann.
5.2. Rezeptionsgeschichte#
Gutzkows Text Ein Kind der neuen Zeit bildet an sich schon ein erstes Element in der Geschichte der Rezeption Georg Büchners in Deutschland. Die Reaktionen auf seinen Nachruf wiederum dokumentieren die Wirkung, welche die Darstellung seines freundschaftlichen Kontaktes mit Büchner und seine hohe Einschätzung von dessen literarischem Potential ausübte. Die Vermittlung Büchners durch Gutzkow wurde weitervermittelt.
In den anonymen Besprechungen von Gutzkows Erinnerungstext wird einerseits das Element der Zeitkritik aufgenommen: Der frühverstorbene Büchner gilt als „eines jener gährenden Gemüther, die der Wogensturm der Zeitideen heraufgetrieben“ habe und dann an den „harten Widersprüche[n] des Strebens und der Bedürfnisse“ zerschellen ließ (5.1.1.). Mit anderen Worten: Für einen solchen ideell und schöpferisch ,Strebenden‘ ließen die Verhältnisse keinen Raum. Vor allem Gutzkows Darstellung der Bedrängnis und Hast, in welcher der alsbald politisch Flüchtige sein Revolutionsdrama „Danton“ verfasste – und welche für Gutzkow auch aus Büchners erstem Schreiben an ihn sprach –, teilt sich den Rezipienten seines Nachrufs mit: Büchner habe ohne „Calcul“ der weiteren Umstände, „in der fliegenden Hitze“ revolutionärer „Entzückung“, ein Drama verfasst, aus dem die „jacobinische[n] Ausgeburten“ durch Gutzkows redaktionelle „Freundeshand“ zu entfernen waren (5.1.1.). Büchners erster Brief an Gutzkow, „voll leidenschaftlicher Aufregung“, habe diesen dann in dem beiliegenden „Danton“-Manuskript „die Spuren eines außerordentlichen Talentes“ erkennen und „die zu starken Schlaglichter mit freundschaftlicher Sorgfalt“ mildern lassen (5.1.2.). Gutzkow wird in beiden Fällen als Helfer gesehen, der Büchners subversiven Drang mit den restriktiven Erfordernissen der Gegenwart in Einklang zu bringen suchte. Von Gutzkows Hinweis, der ächte Danton sei wegen der von ihm vorgenommenen Eingriffe nicht erschienen (6,20), sondern nur die Ruine einer Verwüstung (6,21-22), bleibt in der Rezeption des Nachrufs nichts zurück.
Die von Gutzkow mitgeteilten Auszüge aus Büchners Briefen an ihn werden – ganz in seinem Sinn – als eigenständige Ausdrucksmomente erkannt, als Zeugnisse einer literarisch-wissenschaftlich-politisch bedeutsamen Persönlichkeit: „Georg Büchner’s Briefe an Gutzkow athmen den Drang einer großartigen Natur“ (5.1.1.). Die „charakteristische[n] Bruchstücke“ des Briefwechsels fügen sich in ein Gesamtbild ein (5.1.2.), das vor allem ein großes dramatisches Talent erhoffen ließ. Die „Jahrbücher für Drama, Dramaturgie und Theater“ weisen ausdrücklich auf Gutzkows Rolle bei der Publikation von „Dantons Tod hin: „Seiner Verwendung haben wir allein den Besitz dieses Drama’s zu verdanken“. Darüber hinaus erzeuge sein Nachruf die „Gewißheit“, dass „dem deutschen Drama“ eine bedeutende Kraft verloren gegangen sei (5.1.2.).
6. Globalkommentar#
Der wissenschaftliche Kommentar befindet sich in Arbeit und wird fortgesetzt.