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Weltberühmt oder gar nicht#

Metadaten#

Herausgeber
  1. Wolfgang Rasch
Fassung
1.1
Letzte Bearbeitung
13.02.2020
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Text#

1 Weltberühmt oder gar nicht.#

Eugene Sue ist meiner guten Freundin Mad. Birch-Pfeiffer zuvorgekommen und hat seine Mystères de Paris selbst auf die Bühne gebracht. In Paris ist das Dramatisiren von Romanen nicht so leicht, wie in Deutschland. Georg Döring hat bei uns gut zusehen gehabt, als sein „Junker Sonnenberg“ unter dem Namen des „Pfefferrösels“ Mad. Birch-Pfeiffer glänzende Einnahmen verschaffte. Ludwig Storch hat an „Hinko“, der seinem „Freiknecht“ entlehnt war, keine Ansprüche machen dürfen. Mad. Birch-Pfeiffer hat die Verfasserin von „Thomas Thyrnau“ nicht gefragt, ob sie ihren Roman für die Bühne benutzen dürfe; sie hat ihr die Bearbeitung desselben, die demnächst in Hamburg gegeben werden soll, vorgelesen, das ist alles, was Frau von Paalzow von den „guten Geschäften“ der Mad. Birch-Pfeiffer mitgenießen wird. In Frankreich aber herrscht keine solche Anarchie auf dem Gebiet des geistigen Eigenthums; nichts ist dort vogelfrei, was einen Herrn hat. In Frankreich muß Mad. Birch-Pfeiffer an Döring, Storch und Frau von Paalzow einen verhältnißmäßigen Antheil ihrer Einnahmen abtreten. Warum diese gerechte Rücksicht? Es ist eben Frankreich.

Eugene Sue hat nicht warten mögen, bis ihm Dinaux, Pyat, Bouchardy und andere dramatische „Mitarbeiter“ kamen und sein Werk auf der Porte St. Martin oder im Ambigu comique in die Scene setzten. Diese Herren hätten ihm nach den vernünftigen, billigen und gerechten literarischen Gesetzen Frankreichs seinen Stoff erst abkaufen müssen. Er durfte sagen: der Maître d’Ecole, der Chourineur, die Goualeuse, die sind mein, die habe ich erfunden, die habe ich in die Welt gesetzt; die darf mir Niemand in Lohn und Brod verdingen, die sind meine geistigen Leibeigenen, die dürfen auf der Bühne nicht anders arbeiten, als zu meinem Vortheil! Erfindet Euch selbst etwas, kann Eugene Sue zu den „Bearbeitern“ sagen, setzt Euch hin, schlagt an Eure hohle Stirn, entdeckt etwas, macht Euch selbst einen Maître d’Ecole, einen Chourineur, eine Goualeuse, und seid Ihr dazu nicht geistreich, nicht erfinderisch genug, so gönne ich Euch herzlich gern den Verdienst Eurer „Bearbeitung“, Eures „Zurechtschneidens“, Eures „Wurstmachens“ (wie Kühne neulich gesagt hat); aber dem Autor des Stoffes, dem, der Euch der Mühe, selbst etwas zu erfinden, überhob, dem gebührt ein Antheil Eurer, meiner Erfolge! Und die französische literarisch-artistische Gesetzgebung ist verständig und gerecht genug, daß sie Herrn Eugene Sue diesen Antheil sicherte; ja, sogar die Verwaltung hat eine Behörde niedergesetzt, welche diesen Antheil auf allen Bühnen Frankreichs gesetzlich einzutreiben hat.

Wie gesagt, Frau von Paalzow, wollt’ ich sagen, Eugene Sue wollte diesmal die ganze Einnahme haben und verarbeitete seine Mystères selbst. Man lies’t nun in deutschen Blättern, diese Bearbeitung wäre durchgefallen. Wer behauptet dies? Herr Börnstein in Paris. Herr Börnstein hat es mit denselben Worten nach Augsburg, Nürnberg, Frankfurt, Trier und Hamburg geschrieben, die Mystères wären auf der Porte St. Martin durchgefallen. Es ist darum noch nicht erwiesen, daß sie durchgefallen sind. Es kann darum noch immer heißen: Ich habe es gehört, daß sie durchgefallen sind, ich habe es im Lesecabinet Montpensier gelesen, daß sie durchgefallen sind; ja, noch mehr, es kann heißen: Sie sind nicht durchgefallen, ich habe aber keine Zeit, sie zu übersetzen oder ich möchte Theodor Hell, W. Friedrich, C. W. Koch, B. A. Herrmann in Deutschland abschrecken, sie zu übersetzen, bis ich sie übersetzt habe und dann nach Augsburg, Nürnberg, Frankfurt, Trier und Hamburg schreibe: Die Vorstellungen auf der Porte St. Martin gefallen doch, das Stück hat sich gebessert, das Publicum stürmt es, der Maître d’Ecole ist eine Prachtrolle für Döring, Grunert, Jost, hier ist jetzt die Uebersetzung, meine Uebersetzung kauft, wohlfeil, kauft! Dies Manöver - doch ich spreche ja nicht von den Mysterien der deutschen Presse, sondern von den Mystères de Paris, nicht von Herrn Börnstein, sondern von Eugene Sue.

Auch nicht eigentlich von Eugene Sue, sondern von einem Beurtheiler seines dramatisirten Romanes, der von dem Verfasser, staunend über seinen Weltruhm, so eben in einem Feuilleton hat drucken lassen: Will Einer berühmt sein, so muß ers gleich ordentlich, eine Phrase, die man auch so ausdrücken könnte: Weltberühmt oder gar nicht.

Und man muß sagen: Das nenne ich berühmt sein, wie der Verfasser der Mystères de Paris! Zwei Jahre lang mehr beschäftigen, als die ganze gebildete Welt; denn auch die ungebildete hat die Mystères gelesen. Daß es in der Literatur noch einen Succeß geben konnte, der die Fußspitzen-Triumphe der Taglioni und Elßler, die Finger-Triumphe der Liszt und Thalberg überflügelte, wer hätte das gedacht! Die Literatur hat die Kunst überwunden, die Virtuosen können keine gedrückten Concerte mehr geben. Eugene Sue, ein kleiner schnurrbärtiger Franzose, im Sackpaletot, die Cigarre im Munde, schlendert über die Boulevards, trinkt eine Tasse Chocolade im Café Cardinal, bezahlt, gibt dem Garçon zwei Sous; Eugene Sue, ein Mensch auf zwei Beinen, wie wir, im Sackpaletot, wie wir, mit der Cigarre im Munde, wie wir, kurz, ein Wesen - wie wir, aber er hat die Mystères de Paris geschrieben! Das ist der Unterschied: ein zufälliger Unterschied. Ein zufälliger? Wirklich nur ein zufälliger? „Du sprichst ein großes Wort gelassen aus!“ Denken wir einmal darüber nach!

Eugene Sue war von jeher bekannt als ein geist- und erfindungsreicher Erzähler. Er hatte sogar, wie George Sand und Emil Souvestre, eine Tendenz, nicht bloß die Tendenz aufs Wasser (seine Romane spielten früher meist auf der See), sondern auch eine moralische Tendenz, nämlich die, zu beweisen, daß auf Erden nur die unmoralischen Menschen glücklich sind. Genug, er war ein geistreicher Schriftsteller, und man wird sich in Deutschland lange umsehen, bis man einen Kopf findet, der sich ihm vergleichen läßt. Von den Nachäffern der Mysterien kann natürlich nicht die Rede sein: steigen wir höher; der verschollene Emerentius Scävola? Erfindung ohne Esprit. Wilibald Alexis? Bei allem Geist etwas zu breit und im Gefühligen zu weich. A. von Sternberg? Durch sein rhapsodisches Arbeiten mehr mit Balzac zu vergleichen, dem er oft nahe kommt, zuweilen ihn übertrifft. Dennoch - versetze man solche und ähnliche deutsche Talente auf den Boden von Paris, lasse sie sich unter den Bedingungen entwickeln, unter denen sich der Dichter in Frankreich entwickelt, und jener Beisatz: zufällig, wird minder auffallend erscheinen.

Es ist wahr, was ist deutscher Ruhm? Göthe hat sich erst seit zwanzig Jahren ein kleines Publicum in England erworben. Schiller 2 ist in Frankreich, trotzdem, daß er übersetzt wurde, so unbekannt, daß Alexander Dumas ihn actweise plündern kann, ohne daß es ein Kritiker merkt; ja, der Uebersetzer Schiller’s, Herr von Barante (der französische Gesandte in Petersburg und London), steht nur dem Namen nach auf einer Uebertragung, die er schwerlich selbst einmal ganz durchgelesen hat. Was ist von unserm reichen Geistesleben nach Italien und Spanien gedrungen? Deutscher Ruhm ist ein kleines Gärtchen, still an unser Häuschen sich lehnend; französischer und englischer Ruhm ein Park mit rauschenden Baumgipfeln, stürzenden Cascaden, Felsengrotten und Wildgehege.

Aber auch wirklich das Talent selbst gewinnt auf dem Weltboden von Paris und London an Kraft, an innerm Reichthum, an glänzenderer Entfaltung und Bewährung. Bleiben wir bei Paris stehen, kann es einen anregenderen Mitarbeiter für den Schriftsteller geben: als diese Weltstadt? An den Romanen und Bühnenstücken Frankreichs arbeitet Paris wirklich mit; d. h.: der Dichter macht dort eine Schule durch, die sein Talent von Stufe zu Stufe höher steigert, seine Ideen einer schnellen, praktischen Kritik unterwirft und ihm, wenn er irgend Empfänglichkeit für das, was nicht aus ihm allein kommt, besitzt, fördernd und ergänzend in die Hände arbeitet. Man hat die Entwickelung französischer Talente oft so dargestellt, als könnte sie nur dann gedeihen, wenn der Sonnenstrahl des Zufalls oder die Gunst einer Coterie auf sie fällt. Man hat Beispiele von Dichtern erzählt, die verhungerten oder sich das Leben nahmen, weil sie nicht durchdringen konnten. Fälle solcher Art, wo sich die grausame und harte Seite des Schicksals ungerecht genug offenbarte, mögen wohl vorkommen. Ihre Vertheidigung mögen sie in der Theodicee finden. Frankreich ist durch diese Schwierigkeiten sicher, daß sich nur dasjenige Bahn bricht, was wirklich Talent hat. In Deutschland, wo die Mittelmäßigkeit der Durchschnittscharakter der Literatur ist, wo Alles zu schreiben und drucken zu lassen die Dreistigkeit hat, in Deutschland währt es oft Jahre, bis Jemand zu der Erkenntniß kommt, daß er keinen Beruf für die Literatur besitzt. Er hat zehn Werke drucken lassen, er hat zehn Buchhändler um ein Capital gebracht, er hat sich hundert günstige Kritiken zu verschaffen gewußt, bis es herauskommt, daß allerdings ein solcher Autor sich in Paris nicht sechs Wochen Literat nennen dürfte. Nun kommen in Deutschland die kleinen Städte mit ihren Sonderinteressen, die zerstreuten Journale. Der Stümper gewinnt in irgend einem Winkel des Harzes oder des Odenwaldes festen Fuß, und erhält sich bis an sein Lebensende als Wortführer, Mitsprecher, Absprecher, wie es kommt. Unter so viel Spreu braucht sich in Deutschland, so zu sagen, der Weizen nicht zusammen zu nehmen. Das wirkliche Talent läßt sich gehen in dem allgemeinen Schlendrian, während in Paris die Concurrenz den Autor zur höchsten Anstrengung seiner Kräfte anspornen muß. Ein so gedankenloses Produciren, wie wir es in Deutschland selbst bei hübschen Talenten antreffen, wäre in Paris unmöglich. Unsere Taschenbücher-Novellistik, unsere Journal-Erzählungen, unsere lyrische Gedichtmacherei (um „Nichts und wieder Nichts“) wäre in Paris unmöglich. Die Ehre, nur einmal genannt zu werden, muß man in Paris mit einem weit größern Aufwande von Talent erkaufen, als in Deutschland erforderlich ist, zu den so genannten „geachteten“ Schriftstellern gezählt zu werden. Da steigert sich denn freilich die Kraft, die Beobachtung des Lebens verfeinert sich, die Selbstkritik wird schärfer, das Streben nach Erfolg reizt, Originelles zu erfinden, und das Bedürfniß der Zeitschriften sowohl wie der Buchhändler verbietet ein für alle Mal, auf Altes und Verbrauchtes zurück zu kommen. Auf die pariser Theater darf man keinen Stoff bringen, den schon ein Anderer, und wäre es vor zehn Jahren gewesen, benutzt hat. Schaffen, erfinden, créer, das ist das Kennzeichen des wahren Talentes, wenigstens für Paris, und ich sehe nicht ein, warum nicht für die ganze Welt. Natürlich muß sich unter so strengen Bedingungen der Schriftsteller in Frankreich stäts das höchste Ziel stecken und allmählich erkennen lernen, was dazu gehört, um des Erfolges auf die reißend zunehmende Menge der an der Literatur Antheilnehmenden gewiß zu sein. Daß über das Ziel hinaus gegangen wird, ist Thatsache. Fern sei es, den Uebertreibungen der französischen Production eine vorschubleistende Lobrede zu halten, aber eben so gewiß ist es auch, daß, abgesehen von der Gediegenheit oder Verwerflichkeit der Mystères de Paris, das zu ihrer Abfassung verwandte Talent nicht eben specifisch dem deutschen Talente voraus ist, sondern sich nur unter Verhältnissen entwickelt hat, die zum Nachtheil unserer Literatur sich bei uns nicht vorfinden. Warum sollte ein Talent wie das des Herrn von Sternberg es nicht eben so zu einem „pyramidalen“ Erfolge bringen können, wenn er schon gleich nach seinen ersten Versuchen: „Die Zerrissenen“, „Lessing“, „Eduard“, die pariser geistige Luft eingeathmet hätte und auf der Arena der berufenen Geister in einen seine ganze Elasticität antreibenden Wettkampf wäre verwickelt worden?

Berlin und Wien könnten einiger Maßen Aehnliches erzeugen, wenn - ja, wenn! Da steht man vor einem Chaos von Bedingungen, die sich in wenige Worte nicht fassen lassen. Vielleicht veranlassen aber diese Bemerkungen manchen Deutschen, der mit Recht bewundernd zu der auf die Mystères de Paris verwandten geistigen Kraft hinauf blickt, weniger mitleidig auf die vaterländischen Talente herab zu blicken.

Apparat#

Bearbeitung: Wolfgang Rasch, Berlin#

1. Textüberlieferung#

1.1. Handschriften#
1.1.1. Übersicht#

Es sind keine handschriftlichen Überlieferungsträger bekannt.

1.2. Drucke#
J Karl Gutzkow, Frankfurt a. M.: Weltberühmt oder gar nicht. In: Kölnische Zeitung. Köln. Nr. 62, 2. März 1844, [S. 1-2]. (Rasch 3.44.03.02)

2. Textdarbietung#

2.1. Edierter Text#

J. Der Text folgt in Orthographie und Interpunktion unverändert dem Erstdruck. Textsperrungen werden übernommen. Silbentrennstriche (=) werden durch - wiedergegeben. Die Seitenzählung wird mit Klammern [ ] an den betreffenden Stellen in den Text eingefügt.

Die Liste der Texteingriffe nennt die von den Herausgebern berichtigten Druckfehler sowie die Emendationen. Fehlende oder überzählige Spatien im Erstdruck wurden stillschweigend korrigiert.

2.1.1. Texteingriffe#

6,20 Herrn Hern

Kommentar#

Der wissenschaftliche Apparat wird hier zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht.