Die Schule der Reichen#

Metadaten#

Herausgeber
  1. Martina Lauster
Fassung
1.0: Juli 2023
Letzte Bearbeitung
07.2023

Text#

113 Die Schule der Reichen.#

Schauspiel in fünf Aufzügen.#

115 Personen. #

Walter Thompson, ein reicher Handelsherr in London.

Mary, dessen Frau.

Harry,

Eliza,

Cäsar,

Jeffry,

dessen Kinder.

Davy Fielding, ein Geschäftsmann aus Bristol.

Lord Maxwell.

Letticia, dessen Schwester.

Lord Pickington,

Lord Dorset,

Wyse,

Smith,

junge vornehme Herren.

George Phillips,

Bakel Gerundium, Hofmeister,

im Hause Thompsons.

Ein Notar aus Bristol.

Nichols, ein Gärtner.

Jenny, dessen Tochter.

Bluette,

Fantaisie,

zwei Tänzerinnen.

Ephraim, ein Jude.

Ein Sheriff.

Ein Leichenführer.

116 Tom

Toby,

Bediente bei Thompson.

Ein Gerichtsbote.

Zwei Nachtwächter.

Erster

Zweiter

Dritter

Vierter

Gast.

Erster

Zweiter

Dritter

Ausrufer.

Ein Postbote.

Kellner.

Zwei Kammermädchen der Frau Thompson.

Zwei Gerichtsdiener.

Zwei Leichenträger.

Bediente der Lady Maxwell.

Diebe, Gäste, Bediente

Ort der Handlung: In den ersten vier Akten London. Im letzten Bristol.

Zeit der Handlung: Kurz nach der Restauration des Königthums im siebzehnten Jahrhundert.

117 Erster Aufzug.#

Erste Scene.#

In der Kron- und Anker-Taverne zu London. Das Ganze hat einen bessern Anstrich, als gewöhnliche Wirthshäuser. Man muß annehmen, daß an diesem Orte auch Kaufmannsgeschäfte gemacht werden. Rechts und links die Coulissen offen, hinten ein großer Eingang. Anständig gekleidete Gäste sitzen auf Bänken, trinkend oder Würfel spielend. Andere gehen auf und ab und unterhalten sich über Geschäfte. Kellner bedienen mit Anstand und Höflichkeit. Die ganze Scene darf nichts Ruhendes haben, sondern muß gleich mit Aufgehen des Vorhangs ein lebendes, laut bewegtes Bild zeigen, das man hinter den Coulissen noch fortgesetzt denkt. Dies rege Treiben dauert auch während der Handlung fort.

Gäste, Kellner, Ausrufer, Postbote.

Postbote (tritt durch die Mittelthür und ertheilt in großer Geschäftigkeit auf jeden Tisch größere Zettel, dabei sehr laut rufend:) Die Post aus den Colonieen! Süd-Wales! Florida! (von Tisch zu Tisch) Virginien, Kentucky, vom Cap, hier 118 vom Cap, ostindische Compagnie, neuste Preisliste der ostindischen Compagnie! Baumwollen-Auction in Madras! Theeliste! Opium! (Die Gäste greifen die Zettel begierig und lesen darin.)

Erster Ausrufer (geht langsam über die Bühne von links nach rechts und klingelt). Morgen früh um vier Uhr das regulaire Packetschiff nach Hull. Um fünf Uhr die Yacht Gazelle nach Calais, gute Plätze noch im Ober- und Unterdeck. Fracht trocken gelagert (verliert sich nach rechts).

Zweiter Ausrufer (von rechts ihm entgegen kommend, klingelt). Die Königin von England! Geboten 80 Pfund vom Herzog von Norfolk! Blaßroth, dreifache Krone, wer bietet mit auf die Königin von England? 80 Pfund für die Königin von England, neueste blaßrothe Holländische Tulpe, blüht über’m Meer und auf dem Lande, 80 Pfund geboten (verschwindet nach links).

Dritter Ausrufer (puritanisch gekleidet, durch die Mitte, klingelt). Im Namen des Herrn! Sieben neue Predigten des Jeremias Himmelsthau gegen den Aktienschwindel, Zeitkauf mit Holländischen Tulpen-Zwiebeln und den französischen Unglauben. Liebe Christen, kauft! (sich an einen Tisch wendend) Auch gottselige Traktate gegen die Kleiderpracht.

119 Erster Gast. Ich bin ein Schneider.

Dritter Ausrufer (zu einem Andern). Gegen die Spanischen Weine.

Zweiter Gast. Ich handle damit!

Dritter Ausrufer. Traktate, liebe Christen, gegen das höchst verderbliche eingerissene Laster, Tulpen auf Zeit zu kaufen, von Jesaias Ephraim Somirgott –

Zweiter Ausrufer (schlägt ihm ganz von ungefähr im Vorübergehen den Blätterkram aus der Hand). Die Königin von England! 90 Pfund. Gebot des Sir Walter Thompson, ersten Kaufmanns der City. Neunzig Pfund. (Geht vorüber, während der Puritaner seine Blätter wieder zusammensucht.)

(Man lacht.)

120 Zweite Scene.#

Walter Thompson, Davy Fielding. Beide kommen rasch von vorne links (links und rechts immer vom Zuschauer zu verstehen). An ihrer freudigen Aufregung bemerkt man, daß sie sich eben erst begrüßt haben. Gäste.

Thompson *). O schämt Euch, schämt Euch! Davy Fielding kommt nach London und Walter Thompson muß ihn in der Kron- und Anker-Taverne aufsuchen.

Fielding (lachend). Ei, Ihr kommt mir zuvor Mister Walter! Heut mit dem Morgennebel erst angekommen, war ich eben auf dem Weg, von allen meinen Freunden, Euch zuerst meinen Gruß zu bringen.

Thompson (ihm in die Hand schlagend). Nun, wir sind die Alten, die wir waren und bleiben wollen in Ewigkeit. Hörte an der Börse kaum Euren Namen nennen; es hielt mich nicht, ich mußt’ Euch sehen. Aber wie, was? Warum wohnt Ihr nicht bei mir! Geht, geht, das habt Ihr nicht recht gethan, hier in dem unruhigen Hause.

121 Fielding. Laßt mich, werther Freund! Seht, mein Geschäft führt mich mehr mit den kleinen Kaufleuten zusammen, die verkehren hier. Es scheint, als wär’t Ihr hier ganz fremd?

Thompson. Mein Seel, die Handelsleute machen mir’s leicht, sie kommen zu mir. Des Morgens sieht’s auf meiner Diele fast so aus wie hier; aber nicht so lustig. Es könnte mir wirklich – es könnte mir manchmal eine Erholung sein, so an dem muntern Treiben Theil zu nehmen. Ist man reich, muß man viel entbehren.

Fielding. Entbehren? Haha! Wer’s dahin gebracht hat, wie Ihr, Mister Walter, der braucht keinen Ort, den Andere nur besuchen, um zu vergessen, daß sie nichts sind.

Thompson (in Gedanken). Meint Ihr, Mister Davy? meint Ihr?

Fielding. Wenn ich Euch jetzt so sehe, und denke mir, wie wir angefangen haben! Jetzt mit der reichste, vielleicht der Erste unter Londons Kaufherren, und damals als wir jung waren, haha! Wißt Ihr noch, was wir für Augen machten, wenn unsers Lehrherrn Söhne auf die 122 Jagd gingen, Hunde koppelten, Schlittenfahrten hielten, den reichen jungen Lords Bälle gaben und von mancher vorüberfahrenden Gräfin verstohlene Kußfinger eroberten, und wir standen da, haha, nehmt mir’s nicht übel, wie die Affen, und wollten manchmal so ein bischen davon mitmachen und konnten’s nicht. Nun, jetzt seid Ihr eben so weit und noch weiter! Was wird Eure Frau in dem Glück schwelgen! Was macht sie denn die Gute?

Thompson (kurz ab). Danke! danke!

Fielding. Und Eure Kinder? Ein schmuckes Mädchen, und ein Sohn und, wie ich höre, seit ein Paar Jahren noch was; zwei Buben? oder Mädchen?

Thompson (in Gedanken). Drei Buben! Nein zwei! Oder: ja, ja, ein Bube!

Fielding. Hahaha! Da sieht man den Geschäftsmann. Weiß nicht, wie viel Kinder er hat. Schmucke Kinder? wohlerzogen? gutmüthig, artig? Nun gebe Gott seinen Segen dazu! Ihr seid ein reicher, ein glücklicher Mann!

Thompson (in sichtbarer Verwirrung). Kommt, kommt – – Ihr wolltet mir ja wohl 123 etwas von unserm gemeinschaftlichen Geschäfte sagen? Wie ist es denn ausgefallen? Ich hab’ Euch zu zahlen? Nicht? (zieht ihn nach rechts ab.)

Dritte Scene.#

(Man hört schon während des vorigen Gesprächs, in der Entfernung, den Lärmen eines lustigen Aufzuges, mit Peitschenknallen, Hundebellen, Schellenrasseln und dazwischen geschmetterten Trompetenstößen; allmälig kommt dieser Aufzug näher, und verschwindet dann wieder.)

Zweiter Gast. Sieh, sieh! Ist das der Hof?

Erster Gast (der Schneider). Es ist die Livrée vom französischen Gesandten.

Dritter Gast. Was giebt’s denn da?

(Alle Gäste stehen neugierig auf und drängen sich nach rechts und lachen.)

Zweiter Gast. Das sind ja die jungen lustigen Lords zu Pferde.

Dritter Gast. Hübsches, übermüthiges Volk.

124 Erster Gast. Mehrere unbezahlte Rechnungen darunter. Nicht wahr, das ist Lord Buckingham junior.

Dritter Gast. Prächtige Cavaliere! Sie reiten um den Platz herum!

Erster Gast. Sieh ’nmal, voraus ein Mohr auf einem Schimmel! zwei nachgemachte Türken; Kleider machen Leute! Das da, Marquis Douglas, eben erst von Paris gekommen, voll Schelmenstreiche. Lord Maxwell, Lord Pickington – was bin ich froh, daß ich für diese Leute nicht zu arbeiten habe.

Zweiter Gast. Sie leben vom Spielen und den jungen Kaufmannssöhnen. Die drängen sich an die Adlichen heran und halten sie frei. So’n Master Wyse ist froh, von einem Maxwell gegrüßt zu werden und die Ehre zu haben, Gläubiger von einem jungen Herzog zu sein. Die in der Mitte sind aber wahrhaftig schlechte Reiter! (Mehrere lachen.)

Erster Gast. Das wollen Cavaliere sein. Reiten ist keine Kunst, aber man muß sie gelernt haben. Straf’ mich Gott, das sind –

Zweiter Gast. Ihr versteht Euch auf den Schnitt, haha! mir däucht – zum Henker –

125 Alle. Haha! Das sind Weiber!

Erster Gast. So wahr mir Gott helfe, Tänzerinnen aus Drurylane! Pfui der Schande, achtbare Lords mit solchen Gauklerinnen.

Zweiter Gast. Böse Zeiten!

Dritter Gast. Schlechte Sitten!

Vierter Gast. Man möchte glauben, der jüngste Tag ist da –

Der puritanische Ausrufer (ruft überall dazwischen). Ephraim Waltegotts neueste Predigt über die fünfte Zornschaale und die Wahrzeichen des ewigen Gerichts.

Zweiter Gast. Sprengt mir die Ohren nicht!

Vierter Gast. Schert Euch hinaus, Schreier!

Erster Gast. Seitdem man weiß, daß am jüngsten Gericht geblasen wird, scheint es, als freuten sich besonders die Trompeter darauf! (Die Gäste haben sich allmälig wieder an ihre Plätze begeben, der Lärm des Aufzuges ist verhallt.)

126 Vierte Scene.#

Thompson und Fielding (kommen wieder von rechts).

Fielding. Was soll ich viel Worte machen, Mister Walter? Ich hasse Schwindelgeist, Wechselkram, Holländische Blumenspielerei, Windhandel, Zeitkauf, Wetten und Entdeckungsreisen ins neblige Meer und die blaue Luft hinaus. Vertrauen, Mister Walter, ist ein Ding, wo’s Reden nichts nutzt. Man muß es glauben. (Etwas verstimmt über den nachdenklichen Thompson) Wenn ich um ’ne ehrliche Sache erst lange reden muß und soll über meine Zuverlässigkeit so unmenschliche Lobsprüche auskramen, seht, dann komm’ ich mir gleich selber wie ein Spitzbube vor und habe über Alles, was ich verspreche, einen wahren Todesschreck, ob ich’s auch halten kann.

Thompson. Ei, ich höre ja! Wir reden darüber. Was will der Verlust sagen!

Fielding (etwas verstimmt). Ihr seid sehr sonderbar, Mister Walter! Verlust! Euer Haus in Madras hat mir zu zahlen. Es wird so viel nicht sein. Aber ich bin deshalb hergekommen. Habt Ihr schon Avis?

127 Thompson. Was Avis? Ich zahl’ Euch jetzt, was Ihr wollt, Rechnet's aus! Die Ostindische Post hält kaum Monate ein, viel weniger Tage.

Fielding. Ich seh’s – es verstimmt Euch, daß ich Schwätzer aus der Provinz gleich mit meinem Vortheile komme, und mir den Mund verbrenne. Mister Walter, ich bin ein armer, Ihr ein reicher Mann.

Thompson. Zum Henker, mit Eurem Reichsein! Hört doch endlich damit auf!

Fielding. Ihr wollt nicht, daß man von Eurem Reichthum redet?

Thompson. Reich sein ist eine Freude, denkt Ihr? Einen Mühlstein an den Hals, wenn einer anfängt, in die Höhe zu steigen!

Fielding. Mister Walter! Mister Walter!

Thompson. Walter Thompson, der reiche Kaufherr in London, sagt: Reich sein heißt: arm an Liebe, arm an 128 Glauben, arm an Hoffnung, arm, bettelarm an Allem, was man nicht für Geld erkaufen kann.

Fielding (betrachtet Thompson lange). Mister Walter! – Ei, ei – Mister Walter!

Thompson. Ihr seht mich an, Alterchen! Nicht wahr? Schneeweißes Haar? Recht verfallen? Lest Ihr im alten magern Gesicht etwas? Zählt ’nmal die Runzeln! Gelt, mehr Runzeln als Jahre?

Fielding (theilnehmend und verwundert). Mister Thompson, das seh’ ich jetzt erst.

Thompson. Als ich Euch so wiedersah, altes Herz, hab’ ich mich recht gefreut. Es kam mir im Augenblick, als ich Eure Hand so drückte, ganz jung und frisch wieder ins alte Blut, und ich dachte so bei mir: Hab’ mit dem guten Jungen da dem Handelsgott Mercurio zu dienen angefangen, und Gott! da blickt Einen so manche frohe und wehe Stunde wieder an, als wenn es gestern wäre, damals, wo wir Beide als arme Lehrlinge uns weidlich tummeln mußten, bei unsern Principalen viel Bäume blühen sahen, haha, die uns keine Kirschen bringen sollten!

Fielding. Mister Thompson, Ihr habt was Räthselhaftes an Euch, aber Ihr thaut mein ganzes Herze auf.

129 Thompson. Kommt! – – kommt! Ihr sollt davon – ausführlich hören. Ich hab’ Euch etwas – Was soll der arge Lärm? Ich passe wirklich nicht hieher. Kommt Alterchen, es scheint ein Auflauf: hat sich’s verzogen, so gehen wir mit einander und reden weiter davon und ja, ja – ja, ja – auch von Eurer Forderung! He! He! Es wird was Rechtes sein! (Beide ab.)

(Der Lärmen des Aufzuges hat sich inzwischen wieder genähert, die Gäste sind wieder aufgesprungen. Das Toben und Rufen draußen nimmt zu.)

Fünfte Scene.#

(Man hört hinter der großen Eingangsthür, daß die Mitglieder der besprochenen Cavalcade im Begriff sind einzutreten. Unter Lachen, Toben, Poltern, tritt eine Gesellschaft von jungen geckenhaft gekleideten und gekräuselten Gentlemens mit großen Hetzpeitschen und halb vornehmem, halb lüderlichem Anstande herein.)

Lord Maxwell, Lord Pickington, Dorset, Wyse, Smith. Harry an der Spitze. Die beiden Tänzerinnen Bluette und Fantaisie als junge Dandies gekleidet. Alle Gäste ziehen sich furchtsam zurück, 130 nur der erste Gast, der Schneider, bleibt vorn ganz keck sitzen. Ehe die Ruhestörer eintreten, rufen sie alle draußen

Hurrah!

Lord Maxwell (vornehm kommandirend). Zwei Lammviertel!

Lord Pickington. 14 Pfund Roastbeef!

Harry (der gleich nach ihnen ungemein keck und arrogant hereintritt). Das Fleisch für unsere Hunde draußen! Für mich – ein Glas Wasser!

Die Uebrigen (lachen).

Bluette. Harry sein ein groß Verschwender.

Harry. An Zeit und (dem Gast, der sitzen geblieben ist, hart ins Ohr schreiend) Geduld.

Erster Gast (sich erschrocken umdrehend). Wie so?

Harry (mit ruhiger Malice befehlend). Aufgestanden!

131 Gast. Warum?

Harry (schlägt mit der Reitgerte auf den Tisch). Weil ich hier sitzen will.

Gast (bekommt einen solchen Schreck, daß er ruhig aufsteht und sich zurückzieht. Die Andern aber, die rings die Bühne einnehmen, lassen ihn mit kalter Malice nicht durch. Von jeder Oeffnung, wo er durch könnte, wird er mit ruhig kalter Gleichgültigkeit zurückgewiesen).

Wyse. Nicht hier.

Smith. Nicht hier.

Maxwell. Nicht hier.

Pickington. Drüben.

Dorset. Dort rechts.

Wyse. Dort links.

Gast (entrüstet). Meine Herren!

132 Harry (auf dem Stuhl sitzend und die Beine schlenkernd). Master, Ihr seid ein Schneider.

Gast. Wie so?

Harry. Weil Ihr krumme Füße und spitze Ellenbogen habt! (Auf Fantaisie zeigend) Meßt mir da dem jungen Gentleman ein Paar Beinkleider an!

Alle (lachen).

Gast. Mylords und Gentlemen, dem Herrn? (Fantaisie lange betrachtend) Ich bin kein Damenschneider.

Alle (lachen).

Harry. Gut gemessen, Schneider! Scharfes point de vue! Sehr gutes Augenmaaß! Wie heißt Ihr?

Gast. Tobias Laane.

Harry. Laane? Laßt den Esel passiren.

Fantaisie (läßt ihn durch). Passez, Monsieur lane!

133 Gast. Bitte, bitte! Ohne Complimente! (für sich im Abgehen) Verfluchtes Volk!

Sechste Scene.#

Die Gentlemen unter sich. Ein Kellner bringt den verlangten Becher Wasser auf einem Teller. Pickington, Maxwell ziehen Würfel aus der Tasche und fangen sogleich an zu spielen.

Harry. Jetzt, Dorset, wie ist’s mit unserm neuen Bund, den wir stiften wollen? (Zu dem Kellner) Wer hat das Wasser geschöpft?

Kellner. Ich, Mylord.

Harry (Nimmt die rechte Hand des Kellners, betrachtet sie nach allen Seiten, riecht auch in einiger Entfernung daran, legt dann ein Geldstück auf den Teller und winkt dem Kellner zu gehen).

Kellner. Wollen Euer Gnaden nicht trinken?

134 Harry (winkt vornehm, er solle gehen. Für sich mit Ekel). Die Hand war wirklich rein gewaschen, aber so rein, daß man – die Seife roch! (Zu Bluette) Mohrenkopf, setz’ Dich zu mir und Du, Fantaisie, zeige mir Deine Augen! Die drüben haben nur Sinn für die Augen der Würfel. Maxwell, setz’ für mich mit. Ich zahl’ es morgen, Pickington. Schleppe mich ungern mit Geld. Daß man noch immer kein Geld erfunden hat, so leicht wie Luft oder noch leichter, so leicht wie Deine Füße, Fantaisie!

Fantaisie. Harry, gieb mir schwer Geld, ick werden es lehren, leicht springen.

Harry. Dorset! Also unser Bund? was schlagt Ihr für einen Namen vor?

Smith. Clubb – zur Erholung.

Harry. Klingt wie eine Handwerksressource.

Wyse. Clubb zur Zerstreuung.

Harry. Bah! So mag sich eine Gesellschaft von Hypochondern nennen.

135 Maxwell. Nenn’ ihn: Union raffinirter Selbstmörder.

Harry. Sehr gut; ausnehmend gut! Was der Maxwell für treffende Einfälle hat! Morgen nach unserer großen Wasserparthie auf der Themse, entwerfen wir unsre Statuten. Fancy, tanzst Du morgen?

Fantaisie. Nein. Wir machen Morgen mit Euch Parthie Wasser.

Bluette (sie verbessernd). Wasser-Parthey!

Harry. Wasser-Parthie! Eure Sprachmeister kosten mich viel Geld. Mehr Grammatik, Kinder, und weniger Liebe! Zwanzig Gondeln sind gemiethet, alle bunt chinesisch erleuchtet; um zehn Uhr stoßen wir ab. Maxwell, Du führst das Admiralschiff.

Maxwell (hat eben im Spiel verloren, ohne Harry gehört zu haben). Verdammt, ich bin leck.

Harry. Junge, ich bezahl’ ja den Einsatz. Du hast mein Geld und ich habe Deine Schwester und Deine Ahnen!

136 Bluette. Wann ist Dein Hochzeit, Harry? Miß Lätizia sein mir gut, applaudir sehr stark, wenn ick tanz’!

Fantaisie. Sie will zeigen, daß ein englisch Dam’ muß haben Philosophie.

Harry. Nein, Kinder, sie applaudirt Euch nur, um zu zeigen, daß sie weiße Hände hat. (Sich umblickend) Ich finde, daß es hier nebenan sehr laut ist. Was thun wir überhaupt hier in diesem schlechten Kasten, wo sie schachern und sich die Vortheile der Concurrenz abluchsen! Für unsre morgende Wasserfahrt steht meine ganze neue französische Garderobe zu Diensten. Wir müssen etwas Prächtiges aufführen. London muß davon reden und Paris muß London beneiden. Seitdem die Stuarts zurück sind, ist doch erst wieder pli in den englischen Gentleman gekommen. Pereat Cromwell! (Mit vornehmer Arroganz in die Coulissen blickend) In der That, ich finde, daß man hier nebenan sehr laut ist. Ruhe da, meine Herren. (Gemurmel antwortet ihm von draußen.)

Harry. Ich glaube gar, man widerspricht dort. (Zu den Spielenden) Laßt doch n’mal Euer Spiel.

137 Wyse, Smith, Dorset (zusammen). Benimmt sich dort Jemand unanständig?

Harry (da das Gemurmel des Unwillens mehr zunimmt, den Bedienten rufend). Jack! Brown! tretet herein!

Alle. Peitschen her! (Es treten sehr glänzend costumirte Bediente mit lachendem Uebermuthe herein und bringen Peitschen und Jagdgewehre.)

Fantaisie und Bluette. Mon dieu! Tenez donc! Que voulez vous faire?

Harry (mit kalter Ruhe die Wände des Zimmers übersehend). Wollen wir dem status quo dieses Zimmers einmal ein anderes Arrangement geben?

Maxwell (noch immer ruhig mit Pickington fortspielend). Dann würden wir morgen in der Constablerei sitzen, und unsere Wasserfahrt im Trocknen halten.

Einige Gäste (wollen dreist heraustreten, Harry führt sie mit einem gewissen Anstande zurück.)

138 Gäste (durcheinander). Was soll das heißen?

Harry (mit sehr vornehmer Ruhe). Das sollt Ihr die Ehre haben, zu sehen. (Er baut mit seinen Gesellen und Bedienten eine förmliche Barrikade auf.) Hier der Tisch, hier drüben der andere und der – und der – so – hier die Stühle, noch mehr; nun noch einen, noch einer! So, jetzt ist es gut. Jack, gieb mir doch einmal die Flinte!

Gäste (fahren alle mit Ausrufungen zurück). Wie, was untersteht Ihr Euch? seid Ihr des Teufels?

Harry (nimmt von seinem Diener Jack die Flinte. Die übrigen Cameraden umstehen ihn gespannt). Mylord Pickington, Ihr habt vorhin in aller Stille von meinem künft’gen Schwager und guten Freunde Maxwell und mir 3000 Pfund gewonnen. Ich wettete heut’ noch nicht, und möchte das Geld wieder haben.

Pickington. Worauf?

Harry. Von dem goldenen Schild da drüben schieß’ ich den Punkt von dem zweiten I weg.

(Tobender Unwille hinter den Coulissen.)

139 Pickington (liest). „Chirurgische Heil-Anstalt.‟

Maxwell. Wenn ein Unglück geschieht, ist wenigstens Hülfe da.

Pickington (mißt begierig mit den Augen die Distanze und ruft) Es sei!

Harry. Köpfe weg! (zielt und schießt).

Alle (rufen mit unmäßigem Gelächter). Gewonnen!

Harry (zu den Gästen). A dieu Messieurs! A revoir! Serviteur! hahaha! (Sie gehen laut lachend und tumultuarisch ab. Pickington folgt verdrießlich nach.)

Die Gäste (drängen hervor, werfen die Tische und Stühle, die ihnen den Weg versperrten um, und rufen durcheinander) Haltet die Banditen! Wache! Wache!

Einige. Schlagt sie! Mord!

Andere. Merkt ihre Namen! Rebellion!

140 Erster Gast (der Schneider). O lebte nur Cromwell noch!

(Im allgemeinen Tumult drängt Alles hinter den Aufrührern her, während dem tritt Thompson und Fielding heraus.)

Fielding (im höchsten Zorn). Das ist das junge England? Schande! Schande! Schande! Wer war dieser freche Mensch an der Spitze des Haufens? Ein abschreckend empörendes Beispiel nichtswürdigster Entsittlichung! Hat dieser freche Bube einen Namen, und sei’s ein Sproß der Richards, ein Erbe der Plantagenets, Fluch ihm!

Thompson. Still, still. Das (Fielding mit dem Ausdruck des tiefsten Schmerzes ansehend und ihm kopfschüttelnd zuraunend) ist ja mein Sohn!

Der Vorhang fällt.

141 Zweiter Aufzug.#

Erste Scene.#

(In Thompsons Hause. Es ist schon Abend. Lichter auf dem Tische.)

Bakel Gerundium, Cäsar und Jeffry*) treten herein, alle Drei haben Bücher in den Händen. Später Toms und Toby.

Bakel. AmóAmásAmát.

Jeffry (schnell). Amâmus, Amâtis, Amánt. (Grob)Nehmt uns doch nicht immer das Wort aus dem Munde.

142 Cäsar (ebenso). Die Stunde ist um. Jetzt haben wir genug. (Wirft das Buch in eine Ecke.)

Bakel. Ich bitte, erst neunzehn ein halb Minuten.

Jeffry. Und neunzehn dreiviertel zu viel. Wir brauchen kein Latein, sagt die Mutter.

Cäsar. Wenn Ihr noch französisch verstündet und Tanzen und Fechten –

Jeffry. Abschaffen soll Euch der Vater. Krummbein! Krummbein! Wir brauchen kein Latein.

Bakel. Seit den drei Tagen, wo ich hier im Hause bin, bin ich harthörig geworden. Wir fahren fort. Wie heißt das futurum exactum: wenn ich geliebt haben werde?

Cäsar. Wir geben keine Antwort mehr; wir brauchen kein Latein, kein Griechisch, keine Mathematik, Activum und Passivum, sagt die Mutter, ist das Einzige, was wir brauchen für die Activa und Passiva.

143 Jeffry. Und überhaupt – Ihr seid ja auch durch’s Examen gefallen.

Bakel. Ich? Durch’s – Examen gefallen?

Cäsar. Wir wissen’s recht gut; Ihr steht lieber in der Küche und seht, ob die Speisen nicht versalzen sind. Hehe!

Jeffry. Geht des Abends spät aus dem Haus’, und kommt am folgenden Morgen erst wieder; wir werden Alles dem Vater sagen.

Bakel. Ich bin harthörig! Also: Wenn ich geliebt haben werde. Nehmt Eure Bücher; lernt was, so wißt Ihr was! Non scholae, sed vitae discimus. Construiren wir mal gleich diesen Satz! Non

Jeffry und Cäsar. Heißt nein; und abermals nein!

Jeffry. Heda Toms!

Cäsar. Toby!

(Die beiden Bedienten kommen.)

144 Jeffry. Wir wollen auf den Jahrmarkt fahren.

Cäsar. Das heißt: erst wenn die Mutter auf dem Ball ist!

Bediente (wollen mit tiefen Verbeugungen gehen).

Bakel (sein Ansehen gebrauchend). Meum est, hier zu sagen: Nein! (zu den Bedienten) Ihr bleibt hier, hic, hic terrarum, hic loci, Ihr werdet mir Grammatik lernen.

Toms. Aber Herr Magister, fahrt doch die jungen Herren nicht immer so an!

Bakel. Zu Euch hab’ ich geredet.

Toby. Es sind ja so gute junge Herren (sich künstlich die Thränen wischend). Es geht mir immer in die Seele, wenn einer mit so vornehmen Kindern –

Toms. Mit so schönen jungen Herren –

Toby. So fleißigen und respectablen Gentlemens –

145 Bakel (heftig). Wo habt Ihr die Bücher gelassen?

Toms und Toby (treten verstohlen auf die Bücher). Was denn für Bücher?

Bakel (außer sich). Servi, Servissimi, – bringt mich nicht –

Toms (heftig). Schlagt doch die jungen Herren nicht.

Bakel. Schlagen?

Toby. Ihr sollt Euch was schämen, Herr Magister. Die Hand gegen Eure Herrschaft aufzuheben.

Bakel. Meine Hand?

Toms. Es müssen blaue Flecken da sein, den Kindern so ’nen Stoß zu geben.

Bakel. Einen Stoß?

Toby. Ihr werdet diese guten Kinder durch Eure täglichen Mißhandlungen noch ums Leben bringen.

146 Bakel. Soll ich den Verstand verlieren? Und Ihr lacht noch dazu (zu den Kindern)Ihr Beiden – beiden – beiden –

Toms (heftig einfallend). Schimpft doch nicht!

Bakel. Ich schimpfen?

Toby. Wie könnt Ihr Euch denn solcher ehrenrührigen Ausdrücke bedienen?

Bakel. Ausdrücke? Was hab’ ich denn schon gesagt? O, o, – Ihr lacht noch über mich alten Mann? Dreißig Jahr bin ich Hofmeister gewesen, und erst drei Tage bin ich mit meiner ausgesuchten Bibliothek in dieses Haus gekommen, aber lieber will ich auf dem Lande als Vikar sterben, und auf den Tod eines vierundzwanzigjährigen Jünglings von Pfarrers warten, lieber will ich Brod von Kleie und Sägespänen essen und mir meine Lectionen mit den Ueberbleibseln eines halben wöchentlichen Freitisches bezahlen lassen, lieber will ich sieben Treppen hoch in die Wolken ziehen und mit den Bewohnern eines Sperlingsnestes einen Contrakt eingehen, um mit ihnen auf gemeinschaftliche Kosten zu sterben, 147 als noch länger Schule zu halten mit Euch – Euch – Euch – (retirirt sich) Euch – Euch – Euch (ab).

Toms und Toby (verfolgen ihn drohend).

Cäsar. Laßt ihn nur, die Mutter will ihn so nicht behalten.

Jeffry. Wir fahren auf den Jahrmarkt. Künftig reiten wir.

Cäsar. Bruder Harry soll uns reiten lehren. (Beide ab).

Bakel (ruft noch einmal schnell durch die Thüre). Euch – Gänsköpfen! (Ab.)

Toby (verjagt ihn). Will er wohl!

Toms. Ha, ha, ha – wenn der geht, das ist der vierzehnte Hofmeister! Die Kinder taugen nichts; wer sich aber mit reichen Leuten in der Jugend hält, hat sie, wenn sie alt werden (folgen Beide).

148 Zweite Scene.#

Frau Thompson, Eliza, ihre Tochter, Georg Phillips, Lettice Maxwell, einige Kammermädchen. (Alle außer Phillips im Ballstaate.)

Frau Thompson. Nicht wahr, liebe Schwiegertochter, wie die Herzogin von Bedford?

Lettice. Schöner, schöner, liebe Mutter! Die Herzogin hat Alles, aber es steht ihr nichts.

Phillips (vertraulich zu Eliza). Freilich, ein junger, schöner, vornehmer Lord Maxwell –

Eliza (blickt etwas beschämt nieder).

Frau Thompson. Laßt es nur gut sein, Master Phillips. (Mit einem hochfahrenden Blick) In’s Comptoir!

Phillips (geht mit niedergeschlagenem Blick ab).

149 Frau Thompson. Wenn ähnliche Vertraulichkeiten noch einmal vorkommen, wird dieser junge Mann das Haus verlassen müssen.

Lettice. Ich glaube, meine liebe Schwägerin fordert ihn heraus.

Eliza. Hübscher ist er gewiß als Dein Bruder.

Frau Thompson. Enfin, er ist eines Bäckers Sohn.

Eliza. Also von gutem Schrot und Korn.

Lettice. Nimm mir nicht übel, liebe Eliza, Du weißt selbst nicht, was Du willst.

Frau Thompson. Sie ist eine vollendete Närrin! (Zu den Kammermädchen) Ordnet mir doch noch ein wenig meinen Kopfputz! (setzt sich).

Lettice. Acht Tage vor der Hochzeit noch unentschlossen sein, liebe Schwägerin, ist stark.

150 Eliza. Zehn Nähterinnen sitzen drei Monate und arbeiten an meinem Brautstaat und meiner Aussteuer. Sind die Kleider da, wär’ es ja lächerlich, wenn die Braut fehlte.

Lettice. Du nimmst meinen Bruder also nur wegen der Aussteuer?

Eliza. Liebe Lettice, – weshalb – nimmt er mich denn?

Frau Thompson. Eliza! Was für ein Geschwätz? Einmal für Allemal! – Die Schleife ein wenig höher.

Eliza. Beurtheile mich nicht nach Dir, Lettice, Du scheinst allerdings nicht überzeugt von meines Bruders Liebe.

Lettice. In acht Tagen Hochzeit! Hat man da noch Muße, sich darüber Geständnisse zu machen! Ich muß Dir aber sagen, liebe Eliza, daß ich gar nicht wüßte, wodurch Du Dir das Vorrecht erworben hättest, sonderbar zu sein.

Eliza. Wie so?

151 Lettice. Sieh, mein Kind, bizarr sein – auch dafür muß man – geboren werden.

Eliza. Hochgeboren meinst Du?

Lettice. So etwas der Art. Du willst, daß Alles über Dich lachen soll, willst die Gesellschaft blenden, drängst Dich vor und vergißt, daß Du Ursache hast, in den höhern Cirkeln nur durch Deine Brillanten aufzufallen.

Frau Thompson. Sehr gut, sehr gut, liebe Tochter! Sagen Sie ihr, was sich für die feine Welt schickt! Nimm an mir ein Beispiel, vorwitziges Kind! Heut Abend beim Herzog von Devonshire wirst Du finden, daß ich ganz still sitze, nur durch meine Stoffe glänze, und Witz und ähnliche Ueberflüssigkeiten zu verrathen gänzlich verschmähe.

Eliza. Als Wachsfigur geh’ ich nicht mit. Ich muß lachen, scherzen, mich zerstreuen, die ganze Welt lächerlich finden. (Will sich etwas von ihrem Schmuck abnehmen.) Gut, so bleib’ ich hier –

Frau Thompson (steht auf). Trotziges Kind! Was kannst Du Gott danken, daß 152 wir in der einzigen Tochter Lord Maxwells einen Schlüssel zur höhern Societät gefunden haben, gleichsam einen Auszug aller Regeln höchst conventionellen Anstandes? Gehorche!

Eliza. Ich geh’ nicht mit.

Frau Thompson. Reiz’ mich nicht.

Eliza. Ich bleibe hier.

Frau Thompson. Bring’ mich nicht auf.

Eliza. Geht nur allein.

Frau Thompson. Bösewicht! – Ach wär’ ich nur nicht zu fest geschnürt.

Lettice. Das, liebe Schwiegermutter, war doch wieder nicht ganz der feine Ton! Entweder verfällt man bei solchen Exaltationen gleich in künstliche Anfälle von Wahnsinn und Ohnmacht, oder man macht dergleichen nicht mit Worten, sondern mit durchbohrenden Blicken ab.

153 Frau Thompson. Was ist vornehmer?

Lettice. Blicke, vielsagende Blicke! So, das ist vortrefflich! So, charmant! Immer noch drohender, immer noch strenger, sehr gut, sehr gut. Bravo, wie die Königin Elisabeth.

Eliza. Hahaha, liebe Mutter, die Blicke sind gar zu komisch.

Frau Thompson. Ich überzeuge mich immer mehr, daß Du eine vollendete Närrin bist. (Zu Lettice) Das darf ich doch sagen?

Lettice. Eine Närrin, o ja. Vollendet – ist gut.

Eliza (springt ans Fenster). Ha! Mutter, Mutter, seht den prächtigen Aufzug. Der Harry – zu Pferde.

Frau Thompson. Wo, wo? der Harry? Gott; wohl an 30 Cavaliere –

Lettice. Bitte liebe Mutter, zwanzig davon sind bloße Jockeys.

154 Frau Thompson. Bloß? Sie haben ja Uniformen an!

Eliza. Sie reiten um den Markt herum, prächtig; sieh nur, Master Wyse, Smith, Marquis Dorset –

Lettice. Und Deinen Bräutigam bemerkst Du nicht?

Eliza. Ich finde, daß der von Allen am schlechtesten reitet.

Dritte Scene.#

Thompson und Fielding (treten unbemerkt ein).

Frau Thompson. O das Reiten! wenn ich wüßte, daß sich mein Körper dazu eignen würde –

Eliza. Nein Mutter; ein so starkes Pferd hat man gar nicht.

Frau Thompson. Unartiger Ausfall oder – (zu Lettice) War das vielleicht zu heftig?

155 Lettice. Etwas, Mistriß! Mehr mit Blicken.

Frau Thompson. Warum soll ich nicht reiten, mein Kind, wenn es fashionable ist? Wir haben 8 Pferde und wenn Harry und das Theater nicht wären, wüßten wir sie keinem Menschen zu zeigen. Ich denk’ es mir sehr vortheilhaft, so in der Luft zu sitzen, sich zu wiegen, eine Reitgerte lose und schwungreich in der Hand zu halten, eine lange sammtne Robe bis an die Knöchel, des Pferdes mein’ ich, einen grünen Schleier in dem Winde flatternd und dann im Gallopp, hopp – hopp – hopp (reitet gerade auf ihren Mann los, den sie jetzt erst sieht).

Thompson (zu Fielding). Das Pferd ist meine Frau.

Fielding. Sehr erfreut, Miß Sophy in einer so guten Laune anzutreffen.

Frau Thompson (Fieldings Rock betrachtend). Bitte, lieber Mann, willst Du nicht unten in Deinem Comptoir –

Lettice (ihr heimlich zuraunend). Gegen Fremde ist jeder Vornehme freundlich.

156 Frau Thompson. Ach sehr erfreut, Master – Sir – Lord –

Thompson. Kein Lord, mein alter Freund Mister Davy Fielding aus Bristol –

Eliza (stößt am Fenster einen grellen Schrei aus). Ha!

Alle (eilen erschrocken zu ihr hin). Was ist?

Eliza. Harry hat ein Kind übergeritten.

Thompson (außer sich). Um Gotteswillen!

Fielding. Todt?

Eliza. Ich kann’s nicht sehen; o Gott, o Gott, sie tragen’s fort. –

Thompson (hält sich schwindelnd an Fielding. Für sich). Immer zu, immer zu!

157 Lettice. Was haben auch die Kinder unter die Pferde zu laufen?

Frau Thompson. Man sollte die unvorsichtigen Aeltern bestrafen lassen. Es müßte mal ein Beispiel statuirt werden.

Lettice. Es war noch ein ganz kleines Kind.

Eliza. Ein liebes kleines Kind.

Thompson. Die unglücklichen Aeltern!

Frau Thompson.

Ach man kann’s ja wieder gut machen; solche Leute sind froh, wenn sie auf irgend eine honnette Art zu Geld kommen.

Lettice. Ich höre Harry.

Eliza. Er ist’s, er ist’s.

158 Vierte Scene.#

Harry stürzt ganz blaß, mit Blutspuren an den verwilderten, prächtigen Kleidern herein, Toms und Toby hinter ihm, darauf Maxwell. An der Thüre hört man, daß Leute draußen stehen. Die Vorigen.

Harry (ärgerlich in seinen Taschen suchend). Verdammt! Wo ich nur meinen Geldschlüssel habe; verloren oder in meinen gestrigen Kleidern. Wir haben einen dummen Spaß gehabt, Vater; gieb mir Geld, das Kind lebt, todt ist’s nicht, Gott behüte, nur der Schreck, Geld, Geld, Vater.

Thompson (geht an einen Pult, um einen Schlüssel zu holen).

Harry. Das Lumpenvolk wird reich dadurch. Wer die Aeltern sind, weiß der Henker. Hundert Pfund, 200 sollen sie haben für den Schreck. So viel kostet morgen mein Admiralschiff! Das soll eine Wasserfahrt werden. Vater, macht, daß ich die Geschichte aus dem Kopf bekomme. Nun; 300 Pfund auf sechs Jahr, dann meint’ ich sollten sie’s verschmerzt haben (nimmt den Schlüssel). 159 Ich nehme 200 Pfund aus der Kasse, Papa Rechenmeister, merkt’s Euch, schreibt's Euch auf, haltet mir eine Predigt darüber – o die ewige Philisterei! Nachher erzähl’ ich Euch von der Wasserparthie und von unsern Späßen in der Anker-Taverne; hahaha! Wer ist denn der Fremde da? (geht hinein).

Maxwell (kommt). Erbärmliches Gesindel! Der Harry macht einen Lärm davon, als wäre ein Blutbad angerichtet. Er war’s nicht einmal; da spielen Kinder auf der Straße, er will ihnen ausweichen, mein Pferd macht einen Seitensprung, drängt seines rechts hinüber und beim besten Willen, es war geschehen.

Harry (kommt mit einem Beutel Geld, wirft den Schlüssel hin, den Eliza aufnimmt und dem Vater giebt). So das für’s Erste. Maxwell, da gieb’s ihnen. Trage’s hinaus.

Maxwell (geht mit dem Beutel hinaus).

Harry. Meine feinen Pariser Handschuhe könnten unter den dankbaren Händedrücken leiden. Und nun genug! Nichts widerwärtiger, als unangenehme Eindrücke eine Ewigkeit andauern lassen und sie ausbeuten wie ein 160 Nachmittagsprediger. (Zur Thür hinaus) Heult nicht, keine Weitläuftigkeiten, trollt Euch, packt Euch, drückt Euch! Gott befohlen! (Zurückkehrend) Jetzt kommt hinüber! Zum Ball ist noch Zeit, ich erzähle Euch kostbare Dinge, hahaha, wir haben mehr als April-Spaß gehabt, hahaha! (Zu Maxwell, der inzwischen zurückgekommen ist) Die Chirurgische Anstalt! hahaha! (Ernster) Ob sie wohl das Kind dorthin gebracht haben. Es ist nicht todt. (Leichtsinnig.) Unsere Wasserfahrt morgen, London soll die Augen aufreißen. Hussa, Kinder, kommt hinüber, hahaha, aus der Kron- und Anker-Taverne, nein der Schreck! Wie Kater prusteten die Philister auf! Erst Hasenfüße und als wir weg waren, brüllten sie wie die Löwen: Constabler! Constabler! (Stößt seine Mutter an) Wer ist denn der fremde Tuckmäuser da? (Führt seine Schwester schnell hinein.)

Lettice (piquirt). Er hätte wohl mich führen können.

Maxwell (bietet der Frau Thompson den Arm).

Frau Thompson (graziös lächelnd ihn nehmend, zu Maxwell). Und Ihr, meine Tochter (zu Lettice, die sich an den linken Arm ihres Bruders hängt). Nicht wahr, mein Harry ist doch ein himmlischer Junge! (Ab.)

(Drückende Pause.)

161 Fielding. Lebt wohl!

Thompson. Wohin?

Fielding. Ich hab’ in der Vorstadt einen Vetter: ein armer Gärtner, den will ich noch ein wenig besuchen. Vielleicht erhaltet Ihr die indische Post und ich sprech’ vor Nacht nochmal wieder vor. Lebt wohl. (Ab.)

Fünfte Scene.#

Thompson allein, zuletzt Toms.

Thompson (sitzt am Tisch, stützt den Kopf auf und seufzt). Ja, ja! – – Das ist meine Familie! – hm hm hm hm hm – Dreißig Jahr an nichts gedacht als an den Mammon. Nun seh’ ich erst, daß es am Rechten fehlt! Ich war – recht heimisch – – – in China, in Kingston, in Calcutta, – hm hm hm (mit einem eigenen Ausdruck von lächelnder Bestimmtheit). Es kann aber nicht so bleiben! Oh, mit dem Kummer, mit dem 162 kann ich nicht in die Grube fahren. – In acht Tagen soll die Hochzeit sein. 100,000 Pfund dem Jungen? Und eben soviel dem Mädchen? Und das Alles so in den Strudel hinein? Wo das Laster mit Polypen-Armen Alles herunter zieht? Nein! – – Walter Thompson hat Mucken. – Solch ein Volk in unser Blut aufnehmen? Diese Maxwells, der Alte ein Spieler, die Mutter ein Pfau, die Kinder von Grund der Seele verdorben, und auf alle Ewigkeit mein zeitliches und himmlisches Gut und Blut in den Pfuhl dahinein? – – – Geld, Geld; du schlechtes Wort! – – Es hat meine Frau schlecht gemacht, es hat die Kinder schlecht gemacht und Gott weiß es, sie gingen rein und gut aus ihres Schöpfers Hand! Es gährt in mir etwas, – es kocht so was, es will was werden, – o Gott behüte mich vor Wahnsinn! Hm, hm – – Nein, nein, noch mag ich nicht daran denken. Vielleicht läßt sich in Güte ein letzter, väterlicher Versuch machen, vielleicht zündet noch ein Seelenwort; der Herr ist ja in jedem Menschen, wenn ihn auch der Teufel so für den Augenblick geknebelt hält. Sieh, sieh! Das Unglück mit dem Kind! Vielleicht hat sie’s weich gestimmt; sie wollen sich’s nur nicht gestehen; so sind ja die Menschen, kämpfen immer gegen ihr bessres Herz; zum Letztenmal. Du sprichst, ja, ja du sprichst mit ihnen ein gutes treues Vater-Wort (geht an den Tisch, klingelt, und bleibt mit niedergeschlagenen Blicken, die Hand auf den Tisch stemmend, stehen).

163 Toms (tritt ein).

Thompson (sich sammelnd). Meine Frau, meine Kinder!

Toms (will eben ab, da kommen sie ihm alle, wie zum Ausfahren entgegen).

Sechste Scene.#

Thompson, Frau Thompson, Harry, Lettice, Maxwell, Eliza, Cäsar und Jeffry.

Thompson (mit künstlicher Ruhe und Gleichgültigkeit). Wo wollt Ihr hin? Ihr Lieben!

Frau Thompson. Ihr fragt immer Alles doppelt. Auf den Ball des Herzogs von Devonshire! Ist acht Tage lang davon die Rede gewesen.

Thompson (recht traulich und milde). Gott, ich meinte immer; es ist doch besser, in seinem eigenen Hause der Erste zu sein, als auf dem Ball eines Herzogs der Letzte.

164 Frau Thompson. Ach, fang’ Du wieder die alten – wir haben uns Mühe genug gegeben, zugelassen zu werden.

Thompson. Bleibt zu Hause, Kinder! Was? Ihr thut mir eine Liebe damit!

Lettice (zu Frau Thompson). Wenn wir noch länger – werden wir zu spät kommen.

Thompson. Gehst wohl auch hin, Harry?

Harry. Später. Gewiß, Vater.

Thompson. Hm hm! Sieh mal Harry, da ist noch das Blut an Deinen Kleidern. (Pause) Nun Kinder, zwingen will ich Euch nicht, aber von Stunde zu Stunde fühl’ ich mehr, daß Euch Allen besser wär’, Ihr wäret nie geboren!

Lettice und Maxwell (wollen sich empfehlen).

Thompson. Bleibt Ihr Beiden, und wenn Ihr von den Römischen Kaisern abstammtet, so soll mich nichts hindern, 165 da Ihr meine Kinder werden wollt, Euch auch wie meine Kinder zu behandeln.

Harry. Vater, Ihr werdet mir doch vor meiner Braut, und meiner Schwester vor ihrem Bräutigam keine Vorlesung halten wollen?

Thompson. Bube!

Harry (sieht ihn zornig an, setzt sich dann ans Fenster, und sieht zur Straße hinaus).

Thompson (nach einer Pause, und sich überwindend). Nein, nein, ich will Euch nicht drohen, ich will in Liebe zu Euch sprechen. Kinder, wehe dem, der in Armuth geboren wird. Armuth macht bitter, verhärtet das Herz. Aber dreimal wehe dem, den das Geschick mit Gütern segnete, die er nicht zu genießen weiß. Ihr starrt mich an? Ihr hüpft im Herzen schon durch die bunten Reihen Eures Festes, Ihr spottet des alten Mannes, der zu Euch redet! Ich sage Euch aber, Eure Spangen und güldenen Ketten sind im Grunde doch nur Empörung gegen die Ordnung der Natur. Was habt Ihr wohl schon gethan, um den Zorn des Himmels, daß Ihr von seiner Ordnung als Reiche abweicht, zu versöhnen, 166 was werdet Ihr thun, um durch Euer Herz, Eure Tugend, eine freundliche Uebereilung des Geschickes wieder gut zu machen?

Frau Thompson. Ach – geh – das alte Lied –

Thompson. Tausendmal gesungen und heut zum Letztenmal. Ueberwindet Euch oder ich (etwas ahnen lassend) ich überwinde mich.

Frau Thompson. Schämt Euch, vor – den – Fremden!

Thompson. Fremden? die in acht Tagen die Erben meines Fleißes sein wollen? Nein, nein, nein, ich will nicht im Zorne reden. Weib, Kinder, stoßt meine liebende Hand nicht zurück; verhöhnt mich nicht, den Schöpfer Eurer Freuden nicht. (Er macht einen Gang durch’s Zimmer.) – – Ich, der reiche Thompson, bin eines armen Landmanns Sohn. Meinen armen Vater hab’ ich nie gesehen. Die Mutter lebte dürftig von Allmosen, lag vierzehn Jahre gelähmt im Bett – und wir sieben Kinder mußten die Reih’ herum in den Häusern guter Freunde uns sättigen. Meine Brüder starben jung, eine Krankheit raffte meine Schwestern fort; ich der Jüngste, der Letzte, das Einzige, was meiner Mutter übrig blieb, 167 war ihr eine schwere Last. Wenn sie weinte, streckte sie ihre Hand aus dem Siechenbett und segnete mich, und ließ mich die Sprüche der Bibel lesen und erzählte mir, was sie auf ihrem Krankenlager von Gottes Herrlichkeit träumte. Die karge Nahrung, die mein Geist finden konnte, mußt’ ich mir drei Stunden weit von unserm Ort, wo eine Schule war, suchen. In Morgenfrühe und Abendspäte, in Sturm und Ungewitter mußte der arme Knabe den einsamen Weg wandern, dann hatte der Strom die Brücken fortgerissen, der Sturm verschüttete im Winter die Wege, im tiefsten Schnee stand das arme Kind, fror und weinte, weil es rings nur blaue Luft und weißes Feld sah und den Weg nicht finden konnte. Ich sage nicht, fühlt etwas für die Thränen Eures armen Vaters, der mit entblößten Knieen, ohne wärmenden Mantel, ohne andern Trost als sein zages, wehmüthiges Kindesherz auf der Haide stand und zitterte. Denkt an den Lehrling, den zuerst eine kleine Handelsfirma zu sich nahm, der unter einer Dachkammer schlief, wo der Athem ihm gefror und an sein damals schwarzes Haupthaar der Reif des Winters sich setzte. Denkt an die ersten Jahre einer Ehe, der Ihr Euer Dasein verdankt, an Eure Mutter, die, eines armen Bürgers Tochter, in einem kleinen Hause wohnte, und sich freute, zum schweren Miethzins vom häuslichen Bedarf zu sparen. Fünf jammervolle Jahre lang kam das Winterholz später als der Winter, und Ihr armen Würmer 168 lagt in Euren armseligen Betten, die Mutter krank, ich trug Euch, ich pflegte Euch, ich sang Euch liebevoll in den Schlummer. Denkt an Alles, was meiner Reise nach Indien, meinem erblühenden Glück und dem Segen Gottes Trübes voranging; denkt, wenn Euch nichts rührt, an Euren kleinen Bruder Johannes, den sein Schöpfer von dem Schooß der Mutter zu sich nahm, und der nun längst, ein himmlischer Seraph, bei seinem Gotte weilt! Denkt an Alles das, ich rath’ Euch nicht, ich zwing’ Euch nicht, ich sage dies nicht, sage nicht das, denkt, daß in meiner Brust etwas reifen will, denkt daran! – Geht nun oder bleibt! Thut wie Ihr’s jetzt fühlt. (Geht ruhig ab.)

(Es herrscht eine lautlose Stille).

Maxwell.

Ich bedaure, ich habe beim Herzog ein Versprechen, ein Stelldichein, ich – würde nicht hingehen, aber (Harry ansehend.)

Harry. Ja wohl Maxwell, wir müssen ja; ach wenn der Vater in seine alten Geschichten kommt –

Maxwell. Ich will Dich übrigens nicht –

Harry. Ich bitte Dich, hältst Du mich für so unselbststän-169dig? (Sieht die Seinigen an) Ja, Kinder, seht wie Ihr loskommt, Maxwell und ich, wir können nicht bleiben. Auf Ehre, wir können nicht bleiben. (Gehen Beide ab.)

Lettice. Sage mir ein Mensch, wie man den Ueberfluß besser anwenden kann, als wenn man ihn genießt?

Eliza. Der Vater ist gar gut und lieb, ging er nur selber mit, es würd’ ihm schon gefallen. War’s denn früher wirklich so – so –

Frau Thompson. Er ist ein Narr, wir haben jederzeit unser schönes Einkommen gehabt, vor Fremden so etwas zu reden! Ich denke, ich sollt’ in die Erde sinken, wie er vom Winterholz anfing.

Lettice. Also, wir gehen.

Frau Thompson. Der Abend ist wirklich verdorben.

Eliza. Schad’ um unsre schönen Bänder.

Frau Thompson (aufstehend). Wir gehen, ich werd’s schon wieder mit ihm gut 170 machen, er hat seine schwachen Seiten und rührt sich gern selbst. Winterholz, armselige Betten! Bitte, bitte, liebe Lettice, Ihr wartet schon so lange! Jetzt mein’ ich, die Herzogin von Bedfort möchte doch wohl Augen machen, wenn sie mein Kleid sieht, das ihr zu theuer war, und Harry, der gute Junge, wird uns erwarten, und Ihr Kleinen, wolltet ja noch auf den Jahrmarkt fahren, ja, ja, Euer Hofmeister, ich hab’s schon gehört, der Bakel Gerundium schlägt immer nach Euch. Morgen ist er fort. Toms, Toby, den Wagen vor! Ein angenehmer Abend. Carl Stuart wird nicht fehlen und mit uns sprechen. O, ich habe Diamanten, die sich vordrängen! Kommt Ihr Lieben; morgen früh um drei, vielleicht vier, sind wir da, doch müssen die Pferde um zwölf kommen. Wozu hat man die Pferde, wenn man sie nicht sehen läßt! Der Kutscher kann ja auf dem Bocke schlafen; es ist freilich schon kalt des Nachts, aber (zu Lettice) nicht wahr? Wir machen Fortschritte im Vornehmen? Kommt, meine Lieben! Eliza, nicht bizarr! Nicht zuviel Geist! Mehr Stoff! (an ihren Kleidern fühlend) Doch Alles bei mir? Den Fächer? Die Börse? Doch nichts vergessen? (sich umsehend) Doch nichts liegen geblieben? Doch Alles hübsch verschlossen?

Lettice. Die Umständlichkeit ist nicht fashionable.

171 Frau Thompson. Nicht? (befehlend) Nun denn! Wagen vor! (Alle ab. Die Bedienten folgen.)

Siebente Scene.#

Thompson tritt heraus. Dann Fielding.

Thompson. Sie sind fort – dochdoch?! Es muß wohl ein erbärmliches Zeichen von Geduld auf meiner Stirn geschrieben stehen? Sie spotten meiner Worte, lachen meiner Thaten – – Thaten? –

Fielding (an der Thür). Ich war bei meinem Vetter, Mister Walter! Was sind doch Arme gut und glücklich!

Thompson. Ha, seid Ihr’s Fielding? Haltet Ihr mich – für geschickt, jetzt unser – unser Geschäft zu machen?

Fielding. Mister Walter, Ihr zittert an allen Gliedern?

Thompson. Geht in mein – in mein Zimmer – in mein 172 Zimmer – da, dort – ich habe mit Euch ein großes Geschäft, Fielding –

Fielding (geht und wendet sich noch einmal). Was habt Ihr?

Thompson (herrschend). Geht. (Begütigend) Geht, geht, ich komme Euch nach!

Fielding (ab zur Seite).

Thompson (stürzt ans Fenster indem er ruft). Sie gehen! (Seine Brust hebt sich krampfhaft) Ich hab’ – ihr Glück – geschaffen – ich kann es – (Streift krampfhaft den rechten Aermel seines Rockes auf und streckt die Hand gen Himmel) Gott, diese Hand, zerschmettre sie! Gefordert wird von mir einst nicht mein Glück, gefordert werden die mir anvertrauten Seelen! Darf ich?

Fielding (mit einem großen Briefe, tritt wieder heraus). Da liegt ja die Post aus Madras auf Euerm Pult!

Thompson (steht noch eine Weile in der Mitte der Bühne sinnend, fährt auf, besinnt sich, da er Fielding sieht). Ha, Eure Forderung! Tretet voran! Wir wollen rechnen. (Folgt.)

Vorhang fällt.

173 Dritter Aufzug.#

Erste Scene.#

In Maxwells Hause.

Maxwell mit einem geöffneten Portefeuille und einem Bleistift. Pickington treten von innen heraus.

Pickington. Ich spiele ungern, doch verstoßen Spielschulden gegen den guten Ton.

Maxwell. Da habt Ihr vorläufig 100 Pfund.

Pickington. Bin gänzlich abgebrannt. Die Gondelfahrt hat viel gekostet, und wenn Ihr Weiber bei Euch habt, seid Ihr zu nichts zu brauchen. Sehn wir uns morgen?

174 Maxwell. Heut’ Abend denk’ ich.

Pickington. Nein, heut’ Abend hab’ ich – – könnt Ihr mir nicht mehr geben?

Maxwell. Unmöglich.

Pickington. Ich brauche 1000 Pfund.

Maxwell. Habe sie nicht.

Pickington. Meine Ehre steht auf dem Spiel.

Maxwell. Unmöglich.

Pickington. Dann morgen! Lebt wohl. (Ab.)

Maxwell (allein) Verdammte Heirath! Was sind 100,000 Pfund? Man schlägt diese Kaufleute so hoch an und doch sieht man wenig Baares bei ihnen. Ein Glück noch, daß ich auf das Doppelte Credit haben werde. Ich muß mit 175 Ephraim sprechen. Und wenn Harry erführe, daß der Inhalt des Beutels, den ich für das verwundete Kind geben sollte, draußen auf der Flur in meine Tasche wanderte und die Leute sich mit fünf Guineen begnügen mußten! (blättert in dem Portefeuille) Spielschulden, alte Reste aus Paris, Marguérite in Calais, daß sie die Pest hole, Tausend Livres! Für Mary’s Kind dreijährige Zehrung, die Leute verlangen noch immer Geld, und ich weiß kaum, ob dies Zeugniß besserer Tage, wo ich unschuldig lieben konnte, wirklich noch am Leben ist. (notirt und rechnet.)

Zweite Scene.#

Harry mit Eliza und Lettice.

Harry (ist während der ganzen Scene blasirt und verräth selbst im übermüthigsten Scherz, den er sich erlaubt, eine innere Zerrissenheit und Lebensmüdigkeit).

Lettice. Ah, Rechenmeister, immer Zahlen im Kopf.

Maxwell. Zahlen im Kopf und Nullen im Beutel.

176 Lettice (zu Harry). Und Ihr? So langweilig und verstimmt? woran denkt Ihr denn?

Harry. An unsere Hochzeit.

Eliza (lacht). Nehmt Platz, wir wollen von der Ehe sprechen!

Lettice. Nehmt Stühle, wir wollen über unser künftiges Schicksal träumen. (Alle setzen sich.) Eliza, wie denkst Du Dich einzurichten?

Eliza. Einrichten? Ich meine, wir wollen von der Liebe sprechen. Was ist die Liebe?

Lettice. Einbildung.

Maxwell. Und was ist die Ehe?

Lettice. Vorsicht.

Eliza. Dann wirst Du mit meinem Bruder oft Nachsicht haben müssen. – Du bist so verstimmt, Harry.

177 Harry. Es nebelt heute. Ein wahrer Hängetag!

Eliza. Ich glaube, um gleich mit einer entschiedenen Aufrichtigkeit anzufangen, daß von uns Allen keiner den andern liebt.

Lettice (steht auf). Schon wieder bizarr?

Harry. Sie hat Recht. – Sieh Maxwell, unsre Bekanntschaft ist jetzt sechs Monat alt. Wir haben uns kennen gelernt, wo doch?

Maxwell. Bei Besichtigung der blonden Emmeline.

Eliza und Lettice (wollen aufstehen).

Harry. Bleibt doch! Die blonde Emmeline gehörte dem Herzog von Nottingham. Sie trug stark. Beruhigt Euch nur, die Emmeline ist ein Pferd.

Maxwell. Wir waren Mitglieder einer Comité zur Einführung arabischer Zuchthengste –

Eliza. Still! Still! Still! Von den Pferden still!

178 Harry. Ich lernte Dich damals bewundern, Maxwell! Du wußtest von Pferden wie ein gefühlvoller Menschenkenner zu reden. Du hattest Schulden, das war zwar nicht originell, aber Du hattest einen feinen Anstand, Dich nicht damit zu brüsten, was ich für sehr exquisit halte. Wir wetteten einmal, wer dem Andern das größte Opfer bringen könnte und ich gewann, denn ich entschloß mich zu heirathen. Daß ich Deine Schwester wählte, geschah, weil sie von allen Damen meiner Bekanntschaft die wenigsten Vorurtheile hat. Sie ist nicht eifersüchtig –

Lettice. Oh, oh.

Harry. Sie ist nicht leidenschaftlich.

Lettice. Ich bitte –

Harry. Sie widerspricht mir nicht.

Lettice. Ich widerspreche –

Harry. Sie wird meine Freiheit anerkennen, mir in Gesellschaften nicht zumuthen, sie immer am Arm zu haben, 179 sie wird mich reisen lassen, wohin ich will, und wenn man von ihrem Gatten spricht, wird sie sich über die Stirne fahren, um sich zu besinnen, wer damit gemeint ist –

Maxwell. Das bringt mich auf Dein Versprechen, eine neue Philosophie des Lebens zu schreiben.

Harry. Ich habe zwei Philosophieen. Eine Nachmittagsphilosophie und eine Dämmerungslehre. Die Erste ist für Vollblütige, die Zweite für Verwesende.

Lettice. Harry, hört auf!

Eliza. Laß ihn! Ich hör’ ihn so ungemein gern reden.

Harry. Seht, ich halte unser irdisches Dasein für den unbewußten Traum einer dunklen Macht, die zuweilen in Verlegenheit ist, wie sie sich die Zeit vertreiben soll. Unser Erdball hat sehr viel Laster, nächst dem Raum ist die Zeit sein größtes. Mit der angenommenen Miene der äußersten Flüchtigkeit schleicht diese Betrügerin Zeit so träge dahin, daß man vor Unmuth sterben möchte, und stirbt man wirklich, so ist man von der maskirten Schnecke betrogen: sie lief schneller als ein Windspiel.

180 Eliza. Und die Ehe, Philosoph?

Harry. Ich heirathe, weil ich durch den Tod meines Vaters einmal in die größte Verlegenheit kommen werde, mein Geld in das allgemeine Fließen und Strömen der Dinge wieder umzuschmelzen. Ich muß eine Frau haben, die statt meiner verschwenderisch und vergnügungssüchtig ist. Ich bin es nicht mehr. Liebe Lettice, mein Bedienter entdeckte seit einigen Tagen graue Haare auf meinem Scheitel.

Lettice. So nehm’ ich Euch zu Zeugen, daß es nicht dereinst heißt, die Ehe hätte ihm den ersten Kummer verursacht.

Harry. Ehe! Liebe! Leben! (gähnend) Ihr haßt mich doch, weil ich kein Herzog bin, und liebt mich nur, weil ich Edelsteine habe.

Lettice. Jetzt werden wir wohl die Statuten Eures neuen Clubbs zu hören bekommen.

Harry. Ihr lacht! Ihr nehmt es für Scherz; gut, (steht erregt auf) – ich bin nicht glücklich. Stürmend fassen mich die Wirbel dieser gräßlichen Herzensöde und schleu-181dern mich im Kreise umher. Daß uns die Schöpfung doch einmal etwas Neues böte, einen herunterdonnernden Stern, eine Verwirrung der Planeten! Ich möchte zur Abwechselung einmal die Bäume roth haben, die Luft grün, die Flüsse gelb. Die Völker müßten hinten aus Asien kommen und Alles verwüsten und verwildern und die Menschen müßten in den Wäldern auf die Bäume klettern und die Affen, ja die Affen müßten die Welt regieren. (Die Andern lachen Alle.)

Eliza. Es scheint, Harry, als wenn Dir ein Abenteuer heut mißglückt ist.

Maxwell. Errathet Ihr denn seine Absicht nicht? Er ist auf dem Wege, ein Schauspieler zu werden.

Lettice. Um Gotteswillen!

Harry. Ja, ja, das wär’ es vielleicht! In einer ungeheizten Bühne lachen, unter einer grinsenden Maske weinen, als Jüngling Greise nachstöhnen, als Greis sich die Larve mit feuerrother Jugend bemalen und König, Bettler, Schurk und Engel an einem Abend – ich werde Schauspieler – wenn ich nur ein besseres Gedächtniß hätte!

Dritte Scene.#

Toms, dann Toby, zuletzt Ephraim. Die Vorigen.

Toms (schnell und ängstlich zu Harry). Gnädiger Herr, der Herr Vater lassen bitten –

Harry. Mein Vater befiehlt. Bist Du meines Vaters Bedienter? Du trägst Dich wie ein Bettelvogt.

Toms. Gnädiger Herr, ich beschwöre Euch, es ist eben etwas vorgefallen –

Harry. Ein Riegel vor das Schloß Eurer Diebereien wahrscheinlich?

Toby (stürzt ebenso aufgeregt und verwirrt herein). Gnädiger Herr, der Herr Vater bittet dringend, daß Ihr kommt –

Harry. Verlangen, Bursch.

Eliza (besorgt). Was ist denn?

183 Ephraim (tritt ein und bleibt an der Thüre stehen).

Harry. Sieh da Ephraim, Geschäfte mit meinem Schwager? Da will ich nicht stören. (zu den Bedienten) Geht, ich werde kommen. (Bediente gehen zögernd ab.)

Harry. Lebt wohl, lieben Freunde.

Eliza. Was mag der Vater so dringend –

Harry. Ich weiß, was es sein wird. Als der Vater vor einigen Monaten tobte, daß ich so viel Nächte durchschwärmte, sagte ich ihm im Scherz: Vater, ich habe gehört, daß in Indien ein reicher Nabob, der besonders des Nachts von der Stimme seines Gewissens geplagt wurde, einen Trank erfunden hat, wochenlang hinter einander zu schlafen. Er sagte, er woll’ ihn mir in Calcutta bestellen lassen! Ach, mich sehnt darnach, lange, lange zu schlafen! Er wird wohl angekommen sein, der wunderbare Trank. (lächelnd) Gute Nacht, Kinder, vielleicht bis zur Hochzeit, Letticia! Ein Schlaf, ein langer, langer Schlaf! gute Nacht, Eliza, gute Nacht, Ephraim, gute Nacht, Alle! Gute Nacht! (geht sinnend ab.)

Eliza. Ich bin so erschrocken, was mag denn –

184 Lettice. Komm – der Hebräer Ephraim! Mein Bruder hat mit ihm Geschäfte. (Beide zur Seite ab.)

Vierte Scene. #

Ephraim. Maxwell.

Ephraim (tritt langsam hervor, und spricht wohlbehaglich lächelnd mit Beziehung auf Harry). Gute Nacht! gute Nacht! gute Nacht!

Maxwell. Guten Abend! könnt’ ich wohl sagen, so lange habt Ihr mich warten lassen.

Ephraim. Nun man kann auch sagen: gute Nacht, wenn die Sonne scheint und sie geht mannigmal unter bei hellem lichten Tage! haha, gute Nacht! Mylord wollten ja machen –

Maxwell. Wichtige Geschäfte, Ephraim. In fünf Tagen ist die Hochzeit.

185 Ephraim. Geschäfte machen? Hochzeit mit wem? Mylord werden sagen: gute Nacht Hochzeit! Und Ephraim wird sagen: gute Nacht Geschäfte!

Maxwell. Meine künftige Frau bekommt 100000 Pfund Mitgift. Diese werden ausreichen, die Schulden unsrer Familie zu tilgen. Mester Thompson hinterläßt seiner Tochter eine Million; der Mann ist alt, überarbeitet sich; Ihr werdet mir ein angemessenes Darlehn um so lieber geben, als Ihr auch mit Sir Harry, dem Sohn, in Geschäften steht.

Ephraim. Ich hab’ doch manchmal recht meine Freude daran, was London ist eine große Stadt.

Maxwell (ärgerlich). Redet doch nicht ohne Verstand. Ihr gebt für Geld immer Worte aus.

Ephraim. Nu, ich kenne reiche Leute, auch ohne Verstand, die gäben viel Geld, wenn sie könnten ausgeben viel Worte!

Maxwell. Zur Sache!

Ephraim. Was ist? Ich sage, London ist ’ne große Stadt –

186 Maxwell. Größer als Jerusalem. Wozu das?

Ephraim. Man kann in London gehen eine einzige Straße entlang, und unterwegs erlebt mer eine Verschwering, einen Krieg, zehn Häuser weiter ein Erdbeben, neben an die Pest. Mylord, ich wünsch’ Euch Glück, Ihr werdet nicht heirathen.

Maxwell. Ich glaube, Du sprichst im Fieber.

Ephraim. Das Fieber ist vorüber. Wie ich heut früh ausging in Geschäfte und hörte das Sauseln und Zauseln und Brauseln und sah die Köpfe zusammenstecken, denk’ ich, der Schlag soll mich rühren; der reiche Thompson, ein Mann nach der Uhr, ein Mann, der weiß von Ebbe und Fluth, von Sonn’- und Mondfinsterniß –

Maxwell. Schurk’, Du folterst mich.

Ephraim (für sich). Ein Jud einen Christ foltern? Etwas Neues! Der reiche Thompson ist nicht bankerott, aber habt Ihr schon gesehen auf’m Meer ein Schiff, wenn’s stürmt?

Maxwell. Laß Deine Bilder! Bankerott?

187 Ephraim. Rechts und links schwankt’s, oder Einen, der ertrinken will – auf und ab, und oben und unten –

Maxwell. Ich bring’ Dich um –

Ephraim. Ein einzig Pfund? Um nichts bringt Ihr mich, Mylord. Euer Schwiegervater – was weiß ich, wenn ein Haus nicht recht steht – und wankt und schlenkert – so kommt der Wind man weiß nicht wie, man weiß nicht woher, aus der Erde, aus der Luft, aus oben, aus unten – Der Harry war mir schuldig 11000 Pfund. Ich hab’ gezeigt mein Papier, und habe gekriegt baar ausgezahlt.

Maxwell. Ein Mißverständniß!

Ephraim. Mißverständniß. Die Kaufleute verstehen sich Alle sehr gut; die Türken verstehen die Holländer, die Holländer die Perser –

Maxwell. Unglücksprophet, Du lügst.

Ephraim (will gehen). Prophet? Keiner von den vier großen und keiner von den zwölf kleinen. Ich lüge, Mylord? Holt Euch 188 die Wahrheit selbst. (wendet sich zum Abgehen) Werdet Ihr heirathen?

Maxwell. Kein Gedanke!

Ephraim. Das Mädchen war heut früh ein Bild, in einer Stunde, wie ist sie häßlich geworden!

Maxwell (in Verzweiflung). Kein Gedanke!

Ephraim. Es giebt viel reiche Kaufmannstöchter, Mylord. Ihr habt ein Talentchen, Weibern zu gefallen. Als ich jung war – was red’ ich? Macht neue Geschäfte (schlägt auf die Rocktasche). Ich bin nicht abgeneigt. Mit Empfehlung! Mylord, noch viel zu thun. (sich umsehend). Es ist wohl 3 Uhr. Was die Sonne so hübsch aus dem Nebel herauskommt! Ja, Ja! Schöner Sonnenschein! (mit satirischem Nachdrucke) Gute Nacht, Mylord! (Ab.)

189 Fünfte Scene.#

Lettice, Eliza treten erwartungsvoll herein. Maxwell steht wie angedonnert. Zuletzt Phillips.

Eliza (ängstlich). Ihr seid so verstört.

Lettice. Was ist Bruder? Der Vater ist schnell ausgefahren, – die Mutter hat mir eine Mittheilung gemacht. –

Eliza. Mein Himmel –

Maxwell. Euer Vater, Miß (auf den eben eintretenden Phillips zeigend) Höret da –

Eliza (stürzt auf Phillips zu). Gott im Himmel, mein Vater – ist todt?

Phillips. Mehr als todt! Er ist ein Bettler.

Eliza (sieht erstarrend Phillips groß an).

Phillips. Eine Unternehmung, von der Niemand etwas wußte, 190 machte ihm zur Pflicht, mit einem Kaufmann aus Bristol zu theilen. Die Nachricht kam so überraschend, daß man unsre Kassen überlief, Tausende von Rechnungen einreichte, die wir bezahlten. Wir handelten so, daß man in Eurem Vater den ehrlichen Mann bewundert, aber auch in ihm den armgewordenen bemitleidet. (Eliza sinkt an Letticens Brust.)

Maxwell. Es ist ein sehr bedauerlicher Vorfall. Liebe Schwester, die Mutter wird – man wird sie doch vorbereiten müssen – wirklich es ist – was kann man anders sagen: es ist – kolossal überraschend – und in der That, schon als bloßes Ereigniß, als – nackte Thatsache betrachtet – jeder – jeder Ueberlegung werth. (ab.)

Lettice. Liebe Mistriß Thompson, erholt Ihr Euch? Wie hätte man das träumen, vielweniger wirklich erleben können! – – erlaubt mir, liebe Miß – mich – über diesen höchst eigenthümlichen, jedoch nicht – erwarteten oder vielmehr – mit einem Worte, über diese Thatsache mich zu sammeln, meine Liebe! (geht ab).

191 Sechste Scene.#

Eliza. Phillips.

Eliza. Sie verlassen mich, die harten fühllosen Seelen! – – Aber arm – ist es denn möglich? arm? Sagt, lieber George, was nennt man arm?

Phillips. Nichts besitzen. Alles entbehren.

Eliza. Entbehren? Ich entbehre nichts.

Phillips. O Miß, Ihr kennt des Lebens Widersprüche nicht. Eliza, Ihr verschmähtet einst diese Hand; darf das innigste Gefühl – (tritt heftig auf sie zu)

Eliza (halbweinend). St! St! Wenn man arm ist, Mester Phillips, darf man uns auch so auf die Schleppe treten?

Phillips (beleidigt). Man kann es nicht; denn Ihr werdet keine mehr tragen.

192 Eliza (erschreckend). Das ist arm? (Nach einigem Besinnen) Sir George seid Ihr auch arm?

Phillips. Ich war es. Denn jetzt fühl’ ich den fürchterlichen Abstand nicht mehr.

Eliza. Der Vater hat oft von der Armuth gesprochen. Wir wollen nun sehen, was das ist. Seid heut Abend bei uns, in unserm grünen Zimmer, Sir George, ich habe Euch noch auf so Vieles zu antworten. Beim Schein der Kerzen am Kamine läßt sich traulich plaudern.

Phillips. Ihr werdet das grüne Zimmer, ihr werdet die Kerzen und den Kamin nicht wieder finden.

Eliza. Wie? – – – Auch die Blumen nicht, die heut auf meinem Tische standen?

Phillips. Mußtet Ihr erst arm werden, um diese Euch so oft gebrachte stille Huldigung meiner Liebe zu bemerken! – – Auch diese Blumen findet Ihr nicht.

193 Eliza. (erstarrt, bricht dann in Thränen aus, sammelt sich aber wieder und reicht ihm die Hand). Lebt wohl, Sir George! Nun weiß ich – was Armuth ist! (Ab.)

Phillips (allein). Sie liebt mich! Nur das Glück hatte ihres Herzens freien Strom gehemmt! – – – Und doch! Ewiger Himmel, zürne mir nicht, wenn ich nicht mehr in der Armuth lieben kann, was mich im Glanz verschmähte! Erdengüter wollte ich ja nicht. Aber des Elends frostiges Almosen, eine Liebe, die nur das Schicksal aufthauen konnte, muß ich – – (still in sich hinein) verachten! – Gieb ihnen, Gott, den Glanz ihres Daseins wieder und zerschmettre mich, wenn sie glücklich sind, wie sie es waren ohne mich. (Ab.)

Verwandlung.

194 Siebente Scene.#

Freie Straße vor Thompsons Hause. Rechts und links sind Häuser. Vorn ein allein liegender großer Stein. Es ist Nacht.

Zwei Nachtwächter. Dann Harry.

Die Nachtwächter (pfeifen, sehen sich dann an und fragen Beide zu gleicher Zeit). Warum rufst du nicht?

Erster. Ich habe heute früh zuletzt gerufen.

Zweiter. Dann ist die Reihe an mir. Sieh, sieh, hier den reichen Thompson! Als wir ihm das vorige Neu-Jahr Neu-Jahr wünschten, wer hätte das gedacht?

Erster. Und wir auch nicht, daß wir das nächste Neu-Jahr um fünf Guineen Neu-Jahr kommen würden, zweimal fünf ist zehn –

Zweiter (ruft). Zehn ist die Glock! (Beide pfeifend ab.)

195 Harry (tritt in fiebernder Erregung auf). Wie ich aus Maxwells Hause trete, fällt mich rings die Neugier, in allen Straßen das boshafte Mitleid aus tausend Kehlen an. Jeder Hund, jeder Mensch, der Sonnenschein wußt es schon. Entsetzt vor diesen erstarrt glotzenden Augen flücht’ ich in die entlegensten Gassen; die Krämer, die Pfandleiher, die Wirthe, Alle wissen’s. Ich flüchte mich in die Spelunken der Diebe. Keiner will mich mehr bestehlen. Verfolgt von der mordenden Neugier blieb mir nichts mehr übrig als die Kirche; ich stürzte in die Sanct Pauls-Kapelle und versteckte mich hinter dem Altar, um dort ungestört zu fluchen. – – – Ist es denn wahr? Furchtbares Schicksal! Jetzt, hier sieh mir in’s Antlitz, Schlangenumwundenes Medusenhaupt! Die Nacht giebt mir Muth, deinem schadenfrohen Gelächter Trotz zu bieten! Da, da liegt das Haus wie ein Sarg. Sonst blitzend von hundert Lichtern. Jetzt wie ein Nest für Eulen! Ich will hinein, will die grause Gewißheit von den kahlen Wänden lesen, und ihr fluchen. Nein, nein, nicht Fluch, ich verachte die Welt, und wer noch dem Einen fluchen kann, der muß ein Anderes noch lieben können; ich liebe nichts, nicht das Leben, selbst nicht den Tod!

196 Achte Scene.#

Ein Sherif mit Begleitern, die Fackeln tragen, tritt aus Thompsons Hause. Harry.

Sherif. So! das Haus und all Geräth ist versiegelt! Jetzt auch das Portal! (Man versiegelt es.)

Harry. Laßt mich ein!

Sherif. Achtung vor dem Gesetz. Nur der König kann diese Siegel lösen.

Harry. Laßt mich ein.

Sherif. Sir Harry, der Sohn des armen Thompson? Euer Vater hat gegen Abend sein Haus verlassen und wohnt in der Vorstadt St. Giles. Da lag ein Brief für Euch auf dem Comptoirtische. Guten Abend! (giebt Harry einen Brief und geht mit seinen Begleitern ab.)

197 Harry (hält einen von den rothgekleideten Fackelträgern zurück). He, Glühwurm, leuchte! (Erbricht den Brief, liest ihn, erschrickt und winkt dem Träger zu gehen. Dieser erwartet ein Trinkgeld. Harry sucht in den Taschen und findet nichts.) Ich bin abgebrannt, wie Deine Kerze. Es steht ja auch Vollmond im Kalender, guter Freund. Ein Andermal. (Der Gerichtsdiener ab.)

Harry (stürzt vor. In dem Briefe lesend, bitter.) „Euer Herrlichkeit werden um ein armes Waisenkind, das der Huf Eures Rosses verwundete, nicht vor Gericht – fünf Pfund – ein Almosen – das der Ehre und Würde Eures Standes –‟ Fünf Pfund?! Und um das Uebrige bestahl der Schurke Maxwell die blutige Wunde eines Kindes und das Gewissen eines Freundes? Das arme Kind! Das Kind! – – Und wär’ ich einem Wucherer Millionen schuldig, ich könnte ihm lachend in diesem Augenblick meine leeren Taschen zeigen, aber die Schuld an ein armes Kind? – Nur noch hundert Pfund! Wo nehm’ ich sie her? Soll ich spielen? Ich habe keinen Einsatz. Hundert Pfund. Wo nehm’ ich sie her? Hab’ ich noch Freunde? Ha hier – hier wohnt Ephraim. Ephraim, hörst Du, Ephraim. (Aefft Ephraim nach.) Einen Handel, einen guten bei Gott, Ephraim, ’nen guten Handel.

198 Ephraim (erscheint am Fenster eines Hauses im Vorgrunde). Wer ruft?

Harry. Ephraimchen, 50 Procent von einem Freund.

Ephraim. Ihr äfft mir nach; Witz aus leerem Magen ist frostig.

Harry. Kennst Du mich, Ephraim? Werd’ ich wieder reich, wir schlachten zusammen ein goldenes Kalb.

Ephraim. Ein goldnes Kalb? Sir Harry. Euch Geld geben? Daß ich jetzt schon Hörner hätte!

Harry. Hundert Pfund, Geld! Geld! Ich hab’ eine Schuld, Ephraim, eine Seelenschuld. Mensch, mach’, daß ich schlafen kann!

Ephraim. Sind wir Juden doch Menschen? Trinkt den Schlaftrunk von dem indischen Nabob! Gute Nacht! (Schlägt oben das Fenster zu.)

Harry (allein). Die Welt kehrt sich um. Ich werde wahnsinnig. 199 Hundert Pfund für das Kind; ich möcht’ sie aus der Erde scharren. Sonst kannt’ ich kein Echo, als eins, das Alles bejahte, jetzt antwortet mir nichts, als der Wiederhall meiner Flüche. Horch, da kommen Weiber! Die Weiber Londons kennen mich, und die hübsch sind, haben mir zu danken. Weiber haben Herzen. Es sind Leichtfüße – – sie springen über das Getafel des Markts. Es sind Tänzerinnen. Ha! Fantaisie, Bluette, guten Abend, Ihr Kinder, kennt Ihr mich?

Neunte Scene.#

Fantaisie und Bluette (in Mänteln, jedoch die tänzermäßig weißen Füße sichtbar). Zwei Männer mit Fackeln begleiten sie.

Fantaisie. Ah, Monsieur Harry, wir kommen aus der Opéra.

Bluette. Aben heut nikt gemakt, furore, parcequ'on ne parle que de Monsieur Harry.

Harry. Von mir, von mir?

200 Fantaisie. Von Ihr Vater sein groß Unglück.

Harry. Nicht so groß, wie Ihr denkt, Kinder. Ich war gestern Abend bei Euch, und vergaß eine goldene Kette mitzunehmen.

Bluette. Stand mir heut schon sehr gut.

Harry. Ich vergaß bei Euch meine Börse.

Fantaisie. Schön gestickt! Von Perlen gestickt! Kann sie haben wieder, Sir Harry.

Harry. 41 Guineen darin!

Bluettte. Pfui. Eine so schöne Cavalier und zählen so genau ihren Geld. (Beide ab.)

Harry. Elende, die Ihr Eure Seele in den Fußzehen habt! Eure falschen Blicke machten einst meine Goldhaufen flüssig, erstickt daran! Hundert Pfund! Auf jeden Stern da oben am Himmel ein Pfund! Ha, wer ruft 201 da? ruft man mich? (Zieht sich an die Häuser, man hört auf der linken Seite einen grellen Diebspfiff, den ein Anderer auf der Rechten beantwortet.) Horch! so grüßen sich die Hersteller des bürgerlichen Gleichgewichts. Die Diebe sind des Teufels Zunge an der Wagschaale des Geschicks. (Man hört wieder pfeifen.)

Zehnte Scene.#

Drei Diebe schleichen mit einer Leiter heran. Sorgfältig sich umspähend, lehnen sie die Leiter an Ephraims Fenster, zwei beobachten noch eine Weile das Terrain und ziehen sich allmälig zurück. Einer macht Anstalt, die Leiter zu besteigen. Harry.

Harry (für sich). Das Gesicht des Schurken ist entstellt, und doch sollt’ ich ihn kennen. Hundert Pfund! Wenn ich seinen Raub mit ihm theilte! Ehrlich ist’s, einen Dieb bestehlen. (Tritt auf den eben die Leiter besteigenden Dieb zu und faßt ihn an der Kehle) Halt da! Ist diese Kehle galgenfest? Du scheinst auch Gesichter stehlen zu können? Oder bist Du’s selbst, ein Edelmann, ein Edelmann von Zufallsgnaden, ein Lord, dessen Grafschaften in dem Würfelbecher liegen, Lord Pickington?

202 Pickington. Ihr werdet doch keinen Lärm machen, Sir Harry, wenn sich ein Gentleman die überflüssigen Prozente holt, die ein Wucherer in Zeiten der Noth von ihm stahl?

Harry (sich auf seine vorige Aeußerung beziehend). Des Teufels Zunge! Des Teufels Zunge! Gebt mir hundert Pfund.

Pickington. Hätt’ ich sie, ich würde sie mir nicht holen wollen (steigt hinauf).

Harry. Hundert Pfund!

Pickington. Haltet die Leiter! Wir wollen Halbpart machen. Kommen Häscher, so sagt: ich sei verliebt, ha, ha! Hamlet sagt: Es geschehn mehr Dinge unter dem Monde, als wovon unsre Schulweisheit sich träumen läßt.

Harry. Ihr legt den Shakespeare sehr eigenthümlich aus!

Pickington (oben aus dem Fenster). Wartet! Ich komme bald zurück.

Harry. Ich beginne die Schule des Lebens, womit Andere aufhören. Hundert Pfund noch und dann betteln! 203 Betteln bei den Fischen in der Themse. Um hundert Pfund – ein Dieb! Zum erstenmal hör' ich, daß mein Herz ängstlich schlagen kann. Zum erstenmale wälzt die Angst alle Blutatome durch meinen Körper. Horch, naht sich etwas? Ha – was soll das Glöcklein? (Man hört in der Ferne ein kleines Glöcklein schallen.)

Eilfte Scene.#

Ein Leichenführer kommt langsam, hinter ihm tragen Einige einen kleinen Sarg. Es folgen noch zwei oder drei Begleiter. Harry.

Harry (sich umsehend). Ein Sarg? Eines Kindes Sarg? (Stürzt von einer Ahnung ergriffen, auf die Träger zu) Ha, Weß ist das Kind?

Leichenführer. Stört den Zug nicht! Das Kind ist Gottes. Die Mutter todt, den Vater kennt man nicht.

Harry. Wo kommt Ihr her?

Leichenführer. Vom Monte pietatis, der frommen Anstalt für Verwundete.

204 Harry. Das Kind?

Leichenführer. Ward schwer verwundet, vom Pferdehuf eines rohen Edelmanns. Laßt uns gehen. Die Armen haben Alles weit, auch ihren Kirchhof. (Der Zug geht vorüber.)

Harry. Das Kind ist todt? Der Frühling todt, um meinen Winter todt? (Stößt die Leiter um) Fluch mir! Nein, nein – nicht fluchen mehr! Ihr Sterne droben, was winkt ihr mir, was zittert ihr so, ihr flackernden Lichter? Wollt ihr den Weg, den Weg mir weisen, wo ich weilen darf? Ja ich versteh’ Euch, ihr prangenden Himmelsleuchten, am frischen Grab des Kindes will ich beten. (Geht dem Zuge nach.)

Der Vorhang fällt.

205 Vierter Aufzug.#

Erste Scene.#

Eine ärmliche niedrige Wohnung, mit einem Fenster, wo Blumen stehen, und mehreren Eingängen.

Eliza (allein; nimmt eine goldene Kette vom Halse). Ein solcher Schmuck steht nicht mehr zu einem einfachen Kleide. (Am Fenster) Der gute Phillips liebt mich nicht mehr. Wohl bringt er mir Blumen, aber seine Blicke deuten sie nicht. Er haßt mich, und darum verwelken sie.

Zweite Scene.#

Cäsar, Jeffry (kommen zankend aus dem Nebenzimmer). Später Thompson.

Cäsar (hinter der Scene). Du giebst den Brief.

206 Jeffry (stürzt herein und läßt eine Menge Briefe fallen). Den Alison mag ich nicht; ich zerreiß’ den Brief. (Zerreißt einen Brief.)

Cäsar (wirft sich in die Brust). Ihr untersteht Euch, mein Herr! Das soll man mir nicht umsonst gethan haben.

Jeffry. Ich mag den Alison nicht, und wenn aus dem ganzen Ball nichts würde!

Eliza (tritt dazwischen). Was habt Ihr nur?

Cäsar. Mylord Alison ist mein Freund, mein Bruder, eine Intimität von mir. Er oder ich.

Jeffry. Heb’ die Briefe auf!

Eliza. Schämt Euch, so zu zanken! Von welchem Ball redet Ihr denn?

Cäsar. Ich werde Euch zeigen, was ein Ball ohne mich 207 ist! Ich blas’ Euch die Lichter aus, mach’ Euch den Fußboden so glatt, daß Ihr hinstürzt, ich werf’ Euch die Fenster ein –

Jeffry (fällt über ihn her). Du schlechter Bursch! (Schlägt ihn.)

Eliza (dazwischen). Wollt Ihr wohl!

Thompson (tritt heiter herein). Was giebt es denn hier? Was liegen da für Briefe auf der Erde? Hebt sie auf!

Jeffry (ruft). Toms!

Cäsar (lacht übermäßig). Da kannst Du lange rufen.

Eliza (will sie aufheben). Ihr bösen Buben.

Thompson (hält sie zurück). Laß sie! Hebt mir Alles auf!

Cäsar und Jeffry (thun es murrend).

Thompson (sieht die Briefe an und liest die Aufschriften). „An den jungen Lord Pembroke.‟ „An Sir William 208 Oxford, Baronet.‟ „An Miß Harriette Pembroke, die liebenswürdigste ihres Geschlechts unter der Sonne.‟ Was sollen die Briefe?

Jeffry. Am nächsten Freitag ist Cäsars Geburtstag, und die Mutter hat erlaubt, daß wir von allen jungen Gentlemens und Ladies unsrer Connaissance, einen Rout –

Cäsar. Einen Ball.

Jeffry. Nein, einen Rout! –

Thompson. Wann hat sie das erlaubt?

Cäsar. Vor 14 Tagen.

Thompson (liest einen Brief). „Liebenswürdige Miß Harriet! Ich habe die Ehre, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß der Geburtstag meines Bruders, des ehrenwerthen Cäsar Thompson Esquire, nächsten Freitag verabredetermaßen gefeiert wird, bemerke jedoch, daß die Familie Thompson ihre Wohnung aus der City in die Vorstadt St. Giles am Dominikanerpförtchen zwei Häuser weit von der 209 Ecke der Lohgerbergasse verlegt hat. Mit unerkalteter Hochachtung und anbetungsvoll Jeffry Thompson Esquire.‟ (für sich) Sollte man’s glauben? (laut) Kinder, recht gern! Mit Vergnügen! Ich wünsche viele Unterhaltung. Aber sagt mir, wer besorgt denn die Briefe an die Addressen?

Cäsar. Toby.

Jeffry. Wie dumm!

Thompson. Diener haben wir nicht. Seht, das ist nun wirklich schlimm. Aber wie, gebt die Briefe selber ab!

Cäsar. Selber ab?

Jeffry. Da hätten wir ja nicht zu schreiben brauchen.

Thompson. Ah so! Dann freilich! Zum Schicken haben wir Niemanden und selbst abgeben, das wäre just nicht fashionable –

Eliza. Und Ihr albernen Jungen glaubt, daß ein Einziger von ihnen in unsere arme Hütte kommen wird?

Cäsar und Jeffry (zusammen). Sie haben’s ja versprochen.

210 Eliza. Vor 14 Tagen, als wir noch reich waren.

Cäsar und Jeffry (zusammen). Hoho! Gentlemens und Ladies halten ihr Wort.

Eliza. Schämt Euch über Euren Unverstand.

Thompson (zu Eliza). Laß sie, gute Eliza! Die Armuth mag sie lehren, daß wir entbehren müssen, möge ihnen aber niemals den Glauben an die Menschen nehmen! (sehr zutraulich und fröhlich) Wißt Ihr was, Jungen? Die Briefe sind nun einmal nicht abzugeben, wir wollen den Geburtstag anders feiern.

Cäsar und Jeffry (verstimmt). Wie denn?

Thompson. Wir gehen hinaus in’s grüne Feld, und nehmen die Mutter und Eliza mit, und weit, weit, wo uns niemand sieht, lassen wir, was meint Ihr wohl, in die Luft steigen –

Cäsar und Jeffry. Juchhe, einen Drachen!

Thompson (in die Hand klatschend). Brav! Das soll in der freien Luft eine ganz andere 211 Freude sein, als so ein langweiliger Ball. Ein Drache, hoch über die Londoner Kirchthürme weg!

Cäsar. Heißa. Aber woher kriegen wir ihn, Vater?

Thompson. Den mach’ ich Euch. O Ihr sollt Eure Freude haben, was ich aus meiner Jugendzeit noch für Wunderdinge weiß!

Jeffry. Quer eine Stange und Bindseile hinüber und bunt Papier –

Thompson. Und drauf groß gemalt (zu Eliza) von dem guten Mester Phillips – das englische Wappen! Löwe rechts, Einhorn links, oben drüber die Krone! So lustig haben wir Euren Geburtstag noch nie gefeiert.

Cäsar und Jeffry (sich umarmend). Juchhe!

Cäsar. Sage mal Vater, ist’s wahr? So ein Drache, wenn er recht steigt und steigt, kann Einen mit fortziehen?

Thompson (macht die Geberde des Anziehens). Wir ziehen an, halten fest aus Leibeskräften und stemmen den wilden Kerl zurück.

212 Jeffry. Heißa ein Drache!

Cäsar. Ein Drache! ein Drache! (springen beide lustig hinaus).

Dritte Scene.#

Thompson, Eliza, darauf seine Frau.

Eliza (steht eine Weile und stürzt sich dann an ihres Vaters Brust). Mein guter Vater!

Thompson. Mein gutes Kind. Wüßt’ ich nun, wo Harry ist, so wär’ ich bei all’ der Noth doch ein überglücklicher Mann!

Frau Thompson (tritt heraus, ihr ganzes Benehmen zeigt einen komisch affektirten Schmerz, sie spielt die Leidende, die Zerstreute, die in ihre neue Lage sich nicht finden kann). Steigen? Fallen? Wen willst Du steigen lassen, lieber Mann.

Thompson (sie umarmend). Dich nicht, mein Engel! Hier war von einem Drachen die Rede.

213 Frau Thompson. Ihr lacht den ganzen Tag, Sir Walter! Ich kann mich in das Elend nicht finden.

Thompson. Elend? Wir sind einfache Bürgersleute, aber keine Bettler geworden.

Frau Thompson (setzt sich). – – – (zu Eliza) Kind, bring’ mir ein Glas Wasser.

Eliza (geht hinaus).

Thompson (setzt sich an den Tisch, um in Rechnungsbüchern zu notiren). Mach’ mir keine Vorwürfe! Wind und Wetter lassen sich nicht gebieten, ich hab’ um Euretwillen viel gewagt, um Euretwillen mußt’ ich viel verlieren.

Frau Thompson. Ich will nicht mehr vom Herzog von Devonshire sprechen; aber daß wir die Verbindung mit den Maxwells aufgeben mußten –

Thompson. Vergiß doch Deine eigne Würde nicht! Diese Maxwells sind an Allem schuld. Sie vermochten Dich, Deine Mittel zu überbieten, und wie schamlos, vom Traualtar wegzutreten, jetzt, wo ihnen das Jawort der Liebe nicht mit Wechseln verbrieft wird!

214 Frau Thompson. Laß es nur Eliza nicht hören, die grämt sich im Stillen –

Thompson. Um den Fant, den Maxwell? Schwerlich. Das Kind hat ein sonderbar Herz. Es glaubte nie an sich und suchte sich in Zerstreuungen zu verlieren. Jetzt erst steht sie ihrem, dem Himmel sei Dank, nicht verdorbenen Gemüth’ Rede und ich hoffe viel von ihrem Herzen.

Frau Thompson. Doch nicht um des jungen Phillips willen? Nimmermehr.

Thompson. Du glaubst, dieser edle junge Mann würde die Liebe eines armen Mädchens annehmen, das ihn im Reichthum verschmähte? Was mich so bitter gekränkt hatte, war, wie ich sah, daß sie den herrlichen Jüngling liebte und aus schaalem Weltsinn, aus Liebe zur vornehmen Bizarrerie einem Gecken die Hand reichen wollte, den sie verachtete. Sie kommt, störe sie in ihrem innern Jammer nicht!

Eliza (bringt das Glas Wasser).

Frau Thompson (nimmt das Wasser). Ach Du gutes Kind! Dies (an das Wasser) ist das 215 Letzte, was mich an unsern frühern Stand noch zuweilen erinnert. Einen Millionair zu besuchen und von allen Erfrischungen, die man angeboten erhält, nur ein Glas Wasser begehren, ist doch immer das Nobelste!

Eliza (lächelnd). Möchten wir alle unsere Erinnerungen so wohlfeil haben!

Frau Thompson. Setze Dich mein Kind. Was werden wir nun in unsrer neuen Lage anfangen? Der Harry hat uns verlassen, weil sein großer Geist ihm nicht erlaubt, in einer so kleinen Sphäre zu wirken.

Thompson. Bei seinen guten Freunden wird er sich verborgen halten, oder sich irgendwo vor sich selbst verstecken.

Frau Thompson. Ohne Taschengeld, ohne französische Wäsche! Ach! es gehört Tapferkeit dazu, sich so im Spiegel seines Nichts zu erblicken. Haben wir noch einen Spiegel? Wie heißt die Straße, in der wir jetzt wohnen?

Thompson. Lohgerbergasse.

Frau Thompson (affektirt leidend). Was ist das für eine Familie Lohgerber?

216 Thompson. Vor dreißig Jahren war ein Vetter von Dir Lohgerber.

Frau Thompson. Ein Vetter von mir? Du irrst wohl, lieber Walter. Was haben diese Lohgerber im Staat jetzt für eine Stellung?

Thompson. Die allerehrenvollste; denn wenn einer von ihnen stirbt, fällt er noch im Tode nicht zusammen. Ihre Haut ist gut gebeizt, sagt Shakespeare.

Frau Thompson. Ja, ja, die Edelleute haben doch immer etwas voraus, selbst unter der Erde! Ich finde, daß ich in den Jahren unsers Glücks sehr viel vom gewöhnlichen Leben verlernt habe. Das Einmaleins, die Regula de Tri, die allgemeinen Naturgesetze und die jährlichen Jahrmärkte, glaubst Du wohl, daß ich noch weiß, um welche Uhr des Morgens in der Regel die Sonne aufgeht? Eliza, Du bist so still. Deine Mutter muß sich durch Plaudern die Zeit vertreiben. Man verlernt die einfachsten Regeln der Naturlehre und des körperlichen Gleichgewichts. Wenn ich einen Topf in die Hand nehme, ich weiß nicht, ob er fest sitzt oder nicht, und indem ich’s denke, fällt er mir aus der Hand.

Thompson. Auch wenn etwas d’rin ist? Hoho, da bist Du 217 aus alter Zeit noch Hausfrau genug, ihn nicht fallen zu lassen.

Frau Thompson. Aus alter Zeit! Ich weiß nicht, Du kannst Dich merkwürdig leicht in die neue Lage finden. Freilich bist Du nur mit Zahlen umgegangen! Wer aber mit Leuten verkehrte –

Thompson. Die nichts zählen –

Frau Thompson. Mit Leuten, die den guten Ton haben –

Thompson. Und doch keinen guten Klang!

Frau Thompson. Mit Leuten, die angeschrieben stehen –

Thompson. Beim Wirth mit doppelter Kreide!

Frau Thompson. Dem wird es schwer, wieder in die allgemeine Oberfläche der Natur zurückzukehren – (aufspringend) Eliza, wir sind ja zu morgen bei der Marquise von Somerset eingeladen. Auf meinem schwarzen Barret sind vom Herzog von Devonshire noch Wachsflecke, um Gotteswillen –

218 Eliza. Mutter! Wo bist Du mit Deinen Gedanken?

Frau Thompson. Ja so! O hat man einmal die höh’re Bestimmung seines Daseins gefühlt, so ist es schwer zu – zu – o Gott, wie geistreich drückt’ ich mich früher aus! Jetzt fehlen mir die Bilder, fehlt mir das Sprachorgan, und auch der höhere Geist, er kehret niemals wieder. (Fällt erschöpft in den Sessel.)

Thompson (bei Seite). Ich will doch sehen, ob die Hausfrau sich durch nichts mehr wieder anregen läßt. (steht auf und giebt ihr scheinbar recht.) Ja, ja, es ist doch nicht so leicht, aus sieben Himmeln so in den Vorschmack der Hölle zu kommen. Um nur die Küche zu nehmen, früher konntest Du jede Speise bereiten, Mary; wußtest, wie viel Mehl man braucht, wie viel Eier, ob man das Weiße zurückbehält oder blos das Gelbe quirlt, und hattest es am Schnürchen, ob man zwei oder drei Finger voll Salz oder Deine nette ganze Hand voll in die Suppe schüttet. Ich glaube nicht, Mary, daß Du mehr weißt, wie man Osterfladen backt.

Frau Thompson. Was fällt Dir ein?

Thompson. Oder einen Eierkuchen?

219 Frau Thompson. Ich bitte Dich.

Thompson. Auch mir wird’s schwer, die alten Gewohnheiten ganz aufzugeben. Heut Mittag will ich ’mal eine Guinee springen lassen, nach Cheapside reiten, mir einen Fasan schießen lassen, den verzehren in guter Gesellschaft, die sich da zusammen findet, und wohlgemuth die Nacht nach Hause kommen.

Frau Thompson. Eigner Einfall.

Thompson. Ja, wenn ich da zu Pferde ankomme, Kind, kann ich mir doch keinen Eierkuchen bestellen. Ein Fasan, das wird’s wohl sein müssen.

Frau Thompson. Reite, reite! Das wird nicht die erste Krähe sein, die man Dir in Cheapside für einen Fasan ausgiebt.

Thompson. Mary, Mary! Die Leute da verstehn sich auf die Küche.

Frau Thompson. Ich kenne das! Da nehmen sie so alte Thiere, die die Sonntagsjäger schon todtmüde abgejagt haben, und spicken sie so stark, daß vom Fasanen-Geschmack nichts 220 mehr übrig bleibt, und machen dann ein so unmenschliches Feuer darunter, daß so ein Thier an der Haut ganz braun gebraten, aber am Knochen noch roh ist.

Thompson (bei Seite). O sie versteht noch die Küche! (laut) Was hilft’s! In’s Wirthshaus drüben mag ich um einen Eierkuchen nicht schicken! Unsre Magd zieht erst heute Abend zu. Was bleibt übrig? Ich reite nach Cheapside (als wollte er gehen) und laß’ mir einen Fasanen schießen.

Frau Thompson (springt auf). Das ist nicht nöthig. Fasanenbraten!

Eliza. Laß doch den Vater, gute Mutter.

Frau Thompson. Daß Dich! Ein Eierkuchen ist keine Kunst. Mehl ist da, Eier sind da, Butter ist da. Ich weiß wie man Geflügel braten muß, ich weiß was es heißt: Fleisch kochen, Fleisch dämpfen, Fleisch braten, Fleisch rösten (krämpt sich in der Hitze die Aermel auf und bindet sich eine auf dem Tisch gelegene Schürze vor). Ich kenne Beefsteak, Kalbssteak, Rumpsteak, ich kenne Friteau und Fritellen, Fricandeaux und Fricandellen (bindet sich im Zorn eine gewöhnliche Haube auf). Rouladen, Marmeladen, Carbonaden, und Braunkohl und Grünkohl und Weißkohl und Wirsching-Kohl und und und das wäre eine Wirthschaft, 221 ins Gasthaus gehen, über Land reiten und Fasanen essen! Ich war, ich bin die Hausfrau und will doch sehen, wer sich hier untersteht und mir meine gesunde und gute und nahrhafte und schmackhafte bürgerliche Hausmannskost verachten will! (ab.)

Eliza. Ich bin ganz erstarrt. Was ist der Mutter?

Thompson. Haha, die alten Zeiten regen sich. So war sie vor dreißig Jahren, als unser kleiner Johannes noch lebte.

Eliza (fällt ihm um den Hals). Vater, wo ist Harry?

Thompson (wendet etwas den Kopf nach dem Fenster). Sieh; unser guter Phillips. Athemlos über die Straße! Er bringt sicher gute Botschaft von Harry. War er’s nicht?

Eliza. Er ist’s, ich hör’ ihn an der Thür.

222 Vierte Scene.#

Phillips, Thompson, Eliza.

Eliza (stürzt auf Phillips zu). Nachricht von Harry?

Phillips (sich erholend). Ich sucht’ ihn überall. Seit den acht Tagen keine Spur. Man will ihn an dem verhängnißvollen Tage, spät Abends, noch vor Eurem – vor Eurem Hause gesehen haben.

Thompson (bestürzt). Als bei Ephraim eingebrochen wurde?

Phillips. Um diese Zeit. Später ist alle Spur verschwunden. Aber Mister Thompson, hier ist schon wieder ein Brief aus Bristol angekommen, von Eurem Freunde, wie Ihr noch immer den Mörder Eures Glückes nennt.

Thompson. Ruinirte Spieler und Kaufleute von gutem Ton hassen denjenigen niemals, der an ihnen reich wurde. Was 223 quält mich nur Fielding! Ha, ha! Schon der sechste Brief (erbricht ihn und erblaßt). Was ist das? Wie? (sieht die Addresse an) ja, ja – für mich – hm – erlaubt doch einen Augenblick! (geht zur Seite ab).

Eliza. Was ist dem Vater?

Phillips. Ich begreife nicht, der Brief kam mit einem Expressen aus Bristol.

Thompson (kommt mit Hut und Stock und will fort).

Eliza. Vater, was enthält der Brief?

Thompson. Für Euch nichts, vielleicht nur für mich. (Will gehen und kann sich kaum aufrecht halten.)

Phillips. Mister Walter, um Gotteswillen, was habt Ihr?

Thompson. Wie ein Blitz aus heiterm Himmel – eine Nachricht – Fielding soll auf den Tod liegen; wenn es wahr wäre, wenn er stürbe! – ich muß in die Bristoler Factorei; beruhigt Euch, beruhigt Euch – ich bin bald zurück. (Ab.)

224 Eliza. Um Gott, was kann ihm sein?

Phillips. Euer Vater hat ein großes Herz. Um den geizigen Handelsmann in Bristol, der ihm alle seine Habe raubte, noch diese Theilnahme?

Eliza (holt den Schmuck, den sie vorhin ablegte). Thut mir den Gefallen, Mister George. Ich kann den Schmuck ohne bitteres Gefühl gegen mich selbst nicht mehr ansehen. Verwerthet ihn!

Phillips. Miß!

Eliza. Erweist mir die Gefälligkeit – – wir bedürfen es.

Phillips. O Gott! – Verlaßt Euch darauf. (Nimmt den Schmuck.)

Eliza. Zürnt Ihr mir noch?

Phillips (mit abgewandtem Gesichte). Ich Euch zürnen?

Eliza. Warum verbergt Ihr mir Euer Auge?

225 Phillips. Sonst habt Ihr die Richtung meiner Blicke nie bemerken wollen.

Eliza (blickt zur Erde nieder, ihre Brust hebt sich, sie seufzt tief auf, und wendet sich zum Abgehen).

Phillips (steht eine Weile und ergreift stürmisch ihre Hand). Eliza!

Eliza (zieht sie langsam zurück und geht ab).

Phillips (allein). Sie liebt mich! Ruft mir’s nicht mein Herz mit siebenfachem Echo nach? Und ich trotze noch? Der Stolz des Armen wurzelt in der hartnäckigen Brust noch tiefer, als der Uebermuth des Reichen? Ich fühl’s, ich muß es lernen, diesen Stolz überwinden. (Ab).

Verwandlung.

226 Fünfte Scene.#

Der Vorplatz eines freundlichen Gartens. Links ein kleines Haus mit Eingang, vorn ein Schemel mit Tisch. Im Hintergrunde Obstbäume und Blumenbeete.

Jenny tritt mit Blumen, Guirlanden und einem Myrthenkranz, an dem sie noch windet, aus dem Hause. Hinten im Garten arbeiten ihr Vater, der Gärtner Nichols und Harry, der halb in einem Graben steht und fleißig den Spaten führt. Nichols beschneidet die Blumen.

Jenny (vorn allein). Von Tag zu Tag haben sie die Heirath verschoben, nun soll sie morgen sein. Unser Garten ist kahl geworden von den vielen Guirlanden und Sträußern, die bei dem Feste prangen sollen. Der Kranz für die Braut ist auch bald fertig und niemand läßt sich sehen und fragt darnach. (Setzt sich.) Eine schöne und reiche Braut, die junge Lady Maxwell, und doch im Haar, vor dem segnenden Priester, wollen Perlen und Edelsteine nicht so viel bedeuten, wie ihr da, meine weißen Myrthenblüthen! Es ist doch schön, daß der Arme und der Reiche, wenn sie das Höchste ausdrücken wollen, nur eine und dieselbe Sprache haben, die 227 Blumen. – Wie fleißig der Fremde arbeitet! Es ängstigt mich – die feinen Hände, der vornehme Wuchs und diese harte Arbeit! Er kann nichts verbrochen haben; sein Auge blickt so treu und so wehmüthig. Es ist von den Augen, die zwar nicht selber weinen, aber die weinen machen.

Sechste Scene.#

Nichols und Harry treten vor. Jenny arbeitet an dem Kranze fort.

Nichols. Müssen uns auch mal ausruhen, Sir. Stellt Euren Spaten weg, Sir.

Harry. Nennt mich Harry. Ich heiße Harry.

Nichols. Haha, wer Ihr auch sein mögt, einen guten Gärtner hättet Ihr nie gegeben.

Harry. Schaff’ ich nicht genug?

228 Nichols. Zu viel, zu viel, guter Sir Harry! Wenn Ihr mein Gesell werden wollt, so scheint’s fast, als wolltet Ihr Eure Lehrjahre nachholen, haha!

Harry. Ich war an Arbeit nie gewöhnt.

Nichols. Seh’ ich wohl. D’rum versteht Ihr auch gar nichts von der Natur. Ein Kind weiß mehr davon, haha.

Harry. O, wie glücklich wär’ ich, hätt’ ich stets an ihrem Busen gelegen.

Nichols. Ja wohl, ja wohl, Natur ist ein lebendes Wesen. Natur hat Adern und Lungen wie wir. Wenn’s recht still ist, kann man sie athmen hören, haha.

Harry. Was muß man thun, um sein Ohr so zu schärfen?

Nichols. Nichts hören vom Treiben da draußen, von Schmeicheleien, falschem Lob. ’S hat was auf sich, wenn man sagt: man kann’s Gras wachsen hören. Jenny einen Trunk Bier.

229 Harry. Mir Wasser.

Nichols. O, nicht doch! Der Arbeiter ist seines Lohnes werth.

Harry. Laßt, guter Nichols. (Mit Nachdruck) Es kühlt besser.

Nichols. Versteh’, versteh’, Ihr meint Euren innern Brand. Na, ich forsche nicht, Sir Harry. Als ich Euch auf des kleinen Gilbert – Wohl dem armen Kind, daß es bei seiner ärmeren Mutter ist! – auf dem frischen Hügel liegen sah, mit erstarrten Gliedern, das schöne schwarze Haar ganz weiß gereift vom Morgenthau und die vollen Locken über die blassen, für Eure Jugend viel zu blassen Wangen, hangen sah, ich wußt’ es wohl, daß Ihr Frieden sucht, und redete Euch, den Unbekannten, traulich an. Ihr gingt mit, wie ein willenloses Kind.

Jenny (bringt zwei Krüge und Gläser und setzt sich wieder zur Arbeit).

Nichols. Soll ich Euch sagen, wovon ich weiß, daß Ihr was Vornehmes seid! Euer Rock, Euer Wesen, o ja, 230 das sagt schon was, aber an einem – haha, habt Ihr Euch ganz verrathen. Nein, wißt doch nun auch rein gar nichts von Wachsthum, von Regen und Sonnenschein, seht Kirschenbäume für Zwetschenbäume an, wißt nichts von Kraut, Salat und Rüben und im Felde da am Zaun ha ha ha, habt Ihr nicht mal gewußt, was Hafer und was Gerste ist.

Harry. Lehrt mich’s kennen, guter Nichols.

Nichols. Ja, Ihr wißt aber auch vom Abendstern nichts, vom Monde nichts, vom Sirius nichts. Seht ich bin nur ein ganz schlichter Gärtner, in Bristol ging ich mit meinem Vetter Fielding in die Schule –

Harry. Fielding?

Nichols. Kennt Ihr ihn?

Harry. Fielding sein Vetter?

Nichols. Ein Landmann weiß wie ein Steuermann und Sternkundiger, wo am Firmament die hellsten Lichter stehen, und was Sternschnuppen sind, und wenn man 231 säen, wenn man erndten muß. Na, Ihr werdet schon lernen. Die vier Elemente sind uns immer nah, und mit der Erde fangen wir ja hier an.

Harry (in Gedanken). Und hören mit ihr auf.

Nichols. Auch richtig, auch wahr. (Zu Jenny) Bald fertig mit dem Kranz?

Harry. Für wen wird der Kranz?

Jenny. Für mich.

Harry. So seid Ihr Braut?

Nichols. Braut? Haha! Daß das Myrthen sind, weiß Er doch! Aber was schnackst Du, Jenny. (Es klingelt draußen.) Der Kranz ist für eine vornehme Lady. Es soll ihre Hochzeit sein. Wir warten jeden Augenblick. (Sieht sich um) Seht da kommt sie selbst.

Harry (erschrickt und zieht sich ganz scheu, vorne an die Seite).

232 Siebente Scene.#

Lettice Maxwell, mit einem Bedienten. Die Vorigen.

Nichols. Gewiß schon wieder verschoben, Fräulein.

Lettice. Nein, lieber Nichols – allerdings – wir werden den Kranz nicht brauchen können –

Nichols (mißverstehend). Ja? und doch Nein? Ei, ei, sieh einmal, hahaha, nun dann nehmen wir weiße Rosen –

Lettice. Ihr versteht mich nicht. Ich komme selbst, lieber Nichols, weil ich Euch nicht ungehalten wünsche. Mein Vater wird alle Mühe erstatten.

Nichols. Wie?

Lettice. Meine Vermählung mit dem jungen Sir Harry Thompson ist zwar nicht – obgleich allerdings –

233 Nichols. Was fällt mir denn ein? Mester Thompson, der Reiche, hat ja – ah so – nun versteh’ ich; ja die Heirath findet nicht statt.

Lettice. Allerdings, das – Verhältniß ist abgebrochen.

Nichols. Aber zum Henker, meine Blumen sind auch abgebrochen. Steht mir jetzt der ganze Garten kahl. Funfzehn Pfund für meine Blumen und die Mühe.

Jenny. Den Kranz, Vater, wollt’ ich der Lady schenken.

Lettice. Funfzehn Pfund ist viel. Mein Vater schickt Euch hier Einiges darauf. Könnten die Blumen nicht noch acht Tage liegen, – wo sich vielleicht eine andre Aussicht für mich – ?

Nichols. So schnell?

Lettice. Oder ich habe ja gehört, daß man aus Blumen in Laboratorien die Wohlgerüche zieht –

Nichols. Eine schöne Hochzeit, die in einer Apotheke endet!

234 Lettice. Oder könnten nicht Bienen noch Honig daraus saugen.

Nichols. Aus welken Hochzeitsblumen?

Lettice. Nein? Ich verstehe nichts davon. Ich werde Euch im besten Andenken behalten und vergeßt nicht manchmal im Jahre uns Veilchen zu bringen. Lebt wohl. (Geht ab).

Nichols (sie hinausbegleitend). Manchmal im Jahre? Ha, ha, Fräulein, Veilchen und Unschuld giebt’s nur einmal im Jahre und im Leben. Ich muß mich über die vornehmen Leute ärgern und doch lachen. O Naturgeschichte (folgt ihr).

235 Achte Scene.#

Harry. Jenny.

Harry (der die vorige Scene mit der größten Spannung und Aufregung beobachtet hatte, stürzt Lettice nach, und kehrt mit Vernichtung zurück). Ist es möglich? So kalt und herzlos geopfert zu werden?

Jenny. Ihr schient die Dame zu kennen?

Harry. Jenny, würdet Ihr mit dieser Kälte über den Bruch eines Verlobungsringes sprechen?

Jenny. Vielleicht war sie gezwungen. Oder ihr Geliebter war ihrer Liebe nicht würdig.

Harry. Ihrer Liebe?

Jenny. Oder sie hat ihn nie geliebt. Denkt doch von den Frauen nicht so schlecht.

236 Harry. Und Du, Jenny, wolltest ihr den Kranz zum Geschenk machen!

Jenny. Glaubt mir, Harry, ich kann mir das wohl denken, wie es ging. Dieser Harry Thompson –

Harry. Harry Thompson?

Jenny. War ein wilder verrufener Mensch, ein Uebermüthiger, der sich einbildete, jede Frau müßte schon dem Blick seines Auges erliegen. O Harry, es giebt böse junge Männer! Aus Eitelkeit, wo sie ein unbewußtes Frauenherz entdecken, schüren sie mit rascher Leidenschaft das Feuer der Liebe, und ist das arme Herz des Weibes in zehrendem Brand, löschen sie es aus mit kaltem Spott und der Untreue schadenfroher Lache. Wie ein Wurm schlingen sie sich um die Wurzel einer Pflanze, saugen all ihr Leben, alle Liebe der armen Blume ein, sie welkt, die Welt weiß nicht, warum sie ihre Blüthenkrone neigt, warum sie stirbt.

Harry (erstaunt). Jenny, woher kennst Du solche Männer?

Jenny. Hier neben uns wohnte eine Unglückliche. Sie hat 237 die Liebe eines solchen Unholds mit einem gebrochenen Herzen, mit dem Tod gebüßt. Die Mutter des Kindes, auf dessen Grabe wir Euch fanden.

Harry. Ich habe sie auch gekannt, die arme Mary Wilson, Maxwells Geliebte, die Mutter des Kindes, das Maxwell, der eigne Vater, tödtete. – Und Letticia – und Ihr – Ihr wolltet ihr den Kranz winden? Das Alles zusammen – O Himmel, wie bindest du die Herzen, wie lösest du sie!

Jenny. Was ist Euch nur, guter Harry? Ihr verwirrt mich selbst. Kanntet Ihr die Dame?

Harry. Ich will wieder an meine Arbeit gehen. (Nimmt seinen Spaten.) Wie tief sagte der Vater, müßte dort die Grube werden?

Jenny. O Harry, es war ein Scherz.

Harry. Wie tief sagte er?

Jenny. Ach was! So tief wie eines Menschen Grab.

238 Harry. So will ich gehen und sie graben. (Geht langsam in den Hintergrund).

Neunte Scene.#

Jenny. Dann Nichols. Harry arbeitet im Hintergrund. Jenny steht eine Weile und sieht Harry wehmüthig nach.

Nichols (kommt schnell zurück mit einem großgesiegelten Brief). Sieh Jenny! Da geht der Postbote eben über die Straße und reicht mir den Brief ins Fenster. Er kommt von Bristol. Gott, wenn nur nicht unserm Vetter Fielding –

Jenny (betroffen). Es ist ein Advokatensiegel.

Nichols. Fielding klagte und verließ uns so plötzlich ohne Abschied (erbricht den Brief). Lies, lies Jenny!

Jenny (liest). „Unterzeichneter Notar hat die Ehre, Euch anzuzeigen: 239 daß Euer leiblicher Vetter Mester David Fielding seit drei Tagen auf den Tod krank liegt.‟ –

Nichols. Mein Heiland! Er ist schon todt! Mein guter Vetter, gewiß, er ist schon todt!

Jenny (liest ängstlich weiter). „Da jeden Augenblick seine irdische Auflösung bevorsteht, so wollte unterzeichneter Notar nicht unterlassen, Euch darauf aufmerksam zu machen‟ –

Nichols (schlägt auf den Brief). Verdammter Federfuchser! Noch nicht kalt, und schon wetzen die Raben ihre Schnäbel.

Jenny (weinend). Der gute liebe Vetter!

Harry (kommt schnell vor). Was habt Ihr? üble Nachricht? Ihr seht so blaß? Ein Brief?

Nichols. Les’t, les’t! O mein guter Vetter!

Harry (sieht in den Brief und erschrickt). David Fielding! Durch den der reiche Thompson ins Elend gekommen ist?

240 Jenny. O lästert ihn nicht. Er ist gewiß schon todt.

Harry. Todt? (liest in dem Briefe weiter:) „Aufmerksam zu machen, daß das Vermögen Eures Vetters seit seiner letzten Londoner Reise sich unermeßlich vergrößert hat. Dem Rechte nach seid Ihr der einzige Erbe.‟ (Unterbricht sich wie schwindelnd) Ihr? (Sammelt sich wieder und liest weiter:) „Doch, wie oft der Sinn kranker Leute ist, so hat er ein Testament gemacht, das zu Gunsten des Londoner Kaufmanns Thompson wunderliche Dinge enthalten soll. Nach diesem Testament würdet Ihr nur Erbe des kleinen Vermögens werden, welches er vor seiner Londoner Reise besaß, das Uebrige fiele an Thompson zurück.‟ –

Jenny. Vater, dann hab’ ich den Kranz nicht vergebens gewunden, dann wird ihn Lettice Maxwell doch tragen.

Harry (heftig). Nimmermehr!

Nichols. Er lebt ja noch.

Harry (zeigt den Brief). Er lebt? Da seht die Nachschrift, er ist todt.

241 Nichols und Jenny (zusammen). Gott!

Harry. Klagt Ihr in einem Augenblick, wo Euch Millionen zufallen?

Nichols (zornig aus Verlegenheit, sich zu fassen). Ich glaube, Ihr wollt mich wahnsinnig machen?

Harry. Ihr seid des Fielding einziger Erbe. Was ihm gehört, ist Euer. Des Erbes Ursprung kümmert nie den Erben.

Nichols. Meint Ihr, guter Sir Harry?

Harry. Das Recht, schreibt Euch ein Rechtskundiger, habt Ihr für Euch.

Nichols. Ja Menschenrecht!

Harry. Hier ist es Gottes!

Nichols (findet sich). Sieh, sieh! Jenny, den Acker da drüben, den hätt’ 242 ich ja längst gern gekauft, und auf meiner alten Tage Abend hätt’ ich unser Wesen hier so um ein Paar Morgen gern vergrößert.

Jenny. Vater, es wird so viel nicht sein.

Nichols. Und am Ende, hahaha, thät wohl gar die Königin ihre Blumen von uns kaufen, Jenny. Sir Harry, gebt mir die Hand; der Vetter ist einmal todt. Morgen haben wir großen Markt in der Stadt – Wißt Ihr was, Sir Harry? Wollt Ihr für mich nach Bristol reisen? Wir miethen ein Pferd, Ihr reitet mir nach Bristol, bringt mir das Ding, versteht Ihr, ins Reine, nämlich so zu sagen – – daß nicht Thompson, daß ich der Erbe bin.

Harry (kämpft mit sich).

Nichols. Reut’s Euch schon wieder? Soll es der Thompson haben?

Harry. Thompson? Hört; der Thompson ist ein edler Mann. Er wurde arm durch Fielding. Fielding gedachte seiner im Tode. Die Form, schreibt der Notar, wäre nicht gültig. Aber wollt Ihr dem armen Thompson 243 von Eurer Erbschaft einen Theil abgeben? Zehntausend Pfund? Es ist für Eure Umstände wenig, viel für Thompson. Wollt Ihr?

Nichols. Herzlich gern!

Harry. Aber mit einem Beding.

Nichols. Beding?

Harry. Daß, nach dem Tode des Thompson und seiner Frau, das Geld an Euch zurückfällt, und Thompsons Kinder darauf keine Ansprüche haben.

Nichols. Wie versteh’ ich das?

Harry. Euch das ganze Licht des Glücks; dem armen Thompson ein erquickender Schatten für seinen Lebens-Abend.

Jenny und Nichols (zusammen). Und die Kinder?

Harry. Das Erbe schuf den Unterschied und falschen Rang der Menschen. Das Erbe gab uns Haß, den Krieg; 244 denn es empört den freien Sinn, daß Ungeborne schon sich auf dem breiten Teppich nicht selbst erworbener Güter lagern dürfen. Das Erbe schuf den Augenblick zur Ewigkeit und gab dem Zufall widerrechtlich die Allmacht der Nothwendigkeit.

Nichols. Wunderlich, Harry! Harry!

Harry. Giebt die Natur dem Kinde Güter mit? (Auf den Garten deutend) Kommt eine Blüthe schon mit der Frucht zur Welt? Ihr bedenkt den armen Thompson. Seine Kinder aber, die sollen auch die leere Hand des Schicksals freudig fassen und sich die Dornenbahn des Lebens selber lichten! So sey’s und nun auf nach Bristol! (Winkt Nichols; Ab.)

Nichols (folgt ihm mit Verwunderung in die Hütte).

Jenny (setzt sich den Kranz auf, den sie gewunden).

Der Vorhang fällt.

245 Fünfter Aufzug.#

Erste Scene.#

Im Hause des Notars zu Bristol.

Ein Diener des Notars. Dann Thompson. Zuletzt der Notar.

Diener (ruft in die Coulisse). Tretet nur hier herein! Der Herr Notar wird sogleich erscheinen. Wir haben in Bristol nicht so viel Advokaten, aber auch weniger Prozesse als in London (geht ab).

Thompson (tritt ein, er sieht ganz eingefallen aus. Sein Aeußeres verräth die Aufregung seines Gemüths).

Notar (tritt ein mit vieler Förmlichkeit). Mister Thompson?

246 Thompson. Seid Ihr der Notar? Ist Fielding todt?

Notar. Mister Walter Thompson?

Thompson. Wozu die Förmlichkeit? Er hat ein Testament hinterlassen, zu meinen Gunsten. Ich bin der Thompson, dem er seine ganze Habe, als Erb’ und Eigenthum verschrieben hat.

Notar. Schritt vor Schritt! Mischt nicht Alles zusammen, Sir Walter. Das Testament ist da, aber nicht gültig, nicht gültig.

Thompson. Der Wille eines Sterbenden?

Notar. Sind Erben da. Der Todte ist noch nicht kalt. Die Leichenbeschauer stellen heut Abend erst den Schein aus; doch Fieldings Willen in Ehren, die Erben können geltend machen, daß ihr seliger Erblasser, sag’ ich, Notarius publicus in Bristol – acht Tage vor seinem Ende, nicht mehr im intelligenten Gebrauch seiner natürlichen Kräfte oder vielmehr nicht mehr im natürlichen Gebrauch seiner intelligenten Kräfte gewesen ist.

Thompson. Fielding?

247 Notar. Sintemal er aus London mit einem ungeheuren Vermögen auch einen partiellen stillen Wahnsinn mitbrachte, nicht mehr wußte, was er thun und lassen sollte, nullam noctem, keine Nacht mehr ruhig hat schlafen können, in seinem Hause herum gewankt ist, ad instar lunatici, wie ein Nachtwandler, und kurz vor seinem Tode, noch fürgestern, als er frisch und gesund schien, immer gerufen habe: moriturus sum, ich muß sterben, Thompsons Kindern zu Lieb’!

Thompson (sinkt athemlos zusammen).

Notar. Das Testament ist im zweideutigen Zustand verfaßt. Forma legalis ist da, aber testandi libertas von Aerzten, Notaren und Zeugen so bezweifelt, daß die Erben in London sothanen letzten Willen zwar nicht (lächelnd) gratis, aber auch nicht frustra werden angreifen können.

Thompson (schlägt die Hände zusammen). Allmächtiger Gott!

Notar. Die rechtmäßigen Erben haben einen Bevollmächtigten anhero gesandt.

Thompson. Ich muß ihn sprechen, ich muß mich ihm entdecken.

248 Notar (vertraulich). Mister Thompson, ich hatte gehofft, die Erben in London würden zu mir, Notario publico in Bristol, mehr Vertrauen hegen, und erstaune, daß sie mir einen zwar nicht juris consultum aber doch juris peritum anherosenden. Wenn man nun doch erwiese, daß der Selige allerdings bei Verstande, wenn auch nicht amentia, doch auch nicht dementiasensu qualicumque – haha – hm – hm –

Thompson. Wo ist der Bevollmächtigte, ich muß ihn sprechen.

Notar. Werd’ ihn rufen, Mister Thompson. Was ist Verstand? Jedes Ding in der Welt verlangt seine eigene Beleuchtung und das Recht, Sir Walter, wißt Ihr wohl, hängt immer von (wendet sich zum Abgehen und streckt nach hinten die offene Hand aus) Umständen ab.

Zweite Scene.#

Thompson allein. Dann Harry.

Thompson. Noch ist nicht Alles verloren. O Gott, wie fühl’ ich Deine strafende Hand! Wehe dem Frevler, der in 249 die Rechte des Schicksals greift und es wagt, Deiner Allweisheit Bahnen vorzuzeichnen! Silber, nie ist dein Klang mir so lockend, Gold, dein Besitz mir so süß vorgekommen. Ich muß mich entdecken, muß meinem Gegner die Wahrheit schildern, wie sie aus meinem Herzen kam und im Buche des Schicksals verzeichnet steht. Er kommt. Brich nicht Herz. Halte fest.

Harry (tritt ein und bleibt eine Weile stehen).

Thompson (wendet sich um und sieht seinen Sohn mit großen Augen an).

Harry (stürzt auf ihn zu). Mein Vater!

Thompson (sieht ihn befremdet an). Wie kommst Du hieher? Ich hab’ hier ein Geschäft, das im Augenblick – ich erwarte hier Jemand –

Harry. Mein Vater, daß ich Euch wieder habe!

Thompson. Laß mich, geh, geh; was willst Du von mir?

Harry. Vater, nichts als Liebe!

250 Thompson. Ich brauch’ jetzt Geld; geh’.

Harry. Vater! – – Sagtet Ihr nicht sonst, ein Fluch klebte am Metall.

Thompson. O mein gemünztes Glück, mein geprägter Fleiß! Ich erwarte hier Jemand, geh –

Harry. Der Jemand bin ich, Vater.

Thompson. Du?

Harry. Der Bevollmächtigte der rechtmäßigen Erben Fieldings.

Thompson. Du? Du mein Gegner?

Harry. Ich komme im Namen eines armen Mannes, den Fieldings Tod zum Reichsten gemacht hat; eines armen Gärtners aus der Lond’ner Vorstadt.

Thompson. So geh, geh! Denn wisse, das Testament des Fielding spricht für Deinen Vater.

251 Harry. Das wußt’ ich, Vater.

Thompson. Das – wußtest Du?

Harry. Ich kenne Fieldings letzten, aber seiner Geistesschwäche wegen ungültigen Willen.

Thompson. Und Du willst Deinen Vater an den Bettelstab bringen?

Harry. Seid Ihr nicht schon arm? sind wir’s nicht Alle durch Euch geworden? Und habt Ihr nicht oft das Glück der Armuth über Alles gepriesen.

Thompson. Wie? Was? Wer redet da? Zurück Bube, ich kenne Dich nicht!

Harry. Vater, ich erkenne Euch nicht wieder. Hat Euch die Armuth so verwandelt?

Thompson (wie irr). Mein guter Harry, mein lieber Sohn, mein goldiges Kind, sieh! Mein guter Harry, das Geld ist mein, mein gutes Kind! Sieh, sieh, ich bin der reiche Thompson 252 aus London, ich war’s, und bin’s, und werd’ es wieder sein, mein gutes Söhnchen!

Harry. Vater, Ihr entsetzt mich. Aber Ihr werdet nicht darben. Der rechtmäßige Erbe wird Euch eine ansehnliche Summe als Geschenk auswerfen. Die Stunde schlägt. Ich muß ins Gericht. Lebt wohl!

Thompson (packt ihn wie wahnsinnig). Geschenk! Verfluchtes Geschenk.

Harry. Was habt Ihr nur?

Thompson. Willst Du die Deinigen morden?

Harry. Ich höre, sie sind Alle so brav und gut geworden, und leben still und zufrieden in der Vorstadt St. Giles.

Thompson. Willst Du Dich selbst morden?

Harry. Vater, ich lebe jetzt erst auf.

Thompson (reißt eine Schrift aus der Brusttasche). Harry, lies diese Schrift!

253 Harry. O nie hätt’ ich gedacht, als Ihr uns von den Gefahren des Reichthums spracht, daß ich sie hätte an Euch selbst sollen kennen lernen.

Thompson. Du glaubst nicht, daß jeder überflüssige Schilling Fieldings mein ist? Glaubst nicht, daß ich um Eures Seelenheiles willen mein Gold in Eisen, mein Silber in Blei verwandelte, mich vor der Welt und meiner verworfenen Familie nur scheinbar arm erklärte, und das Elend einiger Jahre dem Elend einer Ewigkeit vorzog?

Harry (bestürzt). Scheinbar?

Thompson. Glaubst nicht, daß ich mit diesen meinen eigenen Händen mein Glück nur scheinbar zerstörte, um Euch opfern zu lehren auf dem Altar der Entsagung und eine verjüngte Zukunft nur zu hoffen von der Asche und der Trauer über Eure Vergangenheit?

Harry. Vater!

Thompson. Und nun soll der Bettelstab, den ich mir als Zauberruthe Eures inneren Menschen dachte, in meiner Hand ein dürrer nackter Stab bleiben, mein Silber Blei, mein 254 Gold Eisen bleiben, mein künstlicher Zufall schaudervolles Verhängniß durch Dich bleiben –? Fluch Dir, Bube!

Harry (ermannt sich allmälig, sieht den Vater lange an und beginnt dann). Daß wir reich geboren wurden, war nicht unsre Schuld, daß wir reich erzogen wurden, war die Eure. Wenn ich etwas begehrte, bekam ich’s. Die Diener schmeichelten mir, weil sie rechneten, daß ich einst ihr Herr würde. Wohlthaten lehrte man mich spenden, aber nicht aus Mitleid, sondern weil es die Sitte der Vornehmen so mit sich brachte. Die Mutter wurde nicht durch sich allein von ihrem Glück geblendet, der Vater gab uns nichts als Lehren und Vorwürfe. Nur wenn er sich erholen wollte, sah er uns. So beschäftigte ihn die Sorge um seinen Reichthum! Der Abend brachte die besten Vorsätze, kam der Morgen mit seinem rauschenden Gewühl von Pflichten, so tauchte sich der Handelsherr, unser Vater, in seinen Beruf unter, hört’ und sah nichts mehr von uns, die wir derweilen das Leben nahmen, wie man’s uns bot.

Thompson (mit erstickter Stimme). Wahr, wahr!

Harry. Wurden wir erzogen für des Reichen hohen, benei-255denswerthen Beruf? Der Reiche gleicht des Schicksals Launen aus; er ist der einzig Glückliche, der nie versucht ist, an ewiger Gerechtigkeit zu zweifeln. O reich zu sein, ist das ein Fluch? Der Reiche kann schaffen, wirken, beleben. Er kann die Pläne des Genies mit hundert Armen ausrüsten und den Gedanken des Denkers geflügelte Rosse vorspannen. Lernten wir diesen Segen des Reichthums kennen?

Thompson. Wahr!

Harry. Nun ist unsre Ehre hin. Den unglücklichen Freund, den Ihr zu diesem Wagstück verleitetet, habt Ihr um sein Leben verkürzt. Was wird ihn getödtet haben, als die Verzweiflung, Theil nehmen zu müssen an einer so furchtbaren Verantwortlichkeit? Ihr seht jetzt in mir da nichts, als einen armen Arbeiter, der am Busen der Natur sein kaltes Herz wieder zu erwärmen hoffte. Aber durch Eure That hättet Ihr mich auch finden können, dort, schwebend am Pfahl der Schande. Denn der Sohn des Reichen, den Ihr ausgestoßen in die Armuth, ohne die Kraft, arm zu sein, hatte schon die Hand ausgestreckt, um am jäh erworbenen fremden Eigenthum den jähen Verlust des Eigenen wieder auszugleichen. Vater, mein Herz schlägt für Euch in kindlicher Liebe, aber Ihr habt das Schicksal herausgefordert; ich 256 kann den Lauf der Dinge nicht mehr hemmen. Darben soll mein Vater, meine gute Mutter nicht. Das Nothwendige wird Euch werden, aber der Ueberfluß ist hin, bleibt hin. (Wendet sich zum Abgehen).

Dritte Scene.#

Schon während Harry’s letzten Worten öffnete sich hinten ein Vorhang.

Fielding erschien in ganz schwarzer Tracht im Hintergrunde, ging vorüber, kommt wieder und bleibt zuletzt unbeweglich stehen. Die Vorigen.

Thompson. Harry! Dein erwachter edler Geist giebt Dir einen Tugendstolz, der ein grausamer Frevel ist. Den Schatten meines todten Freundes ruf’ ich an, das Zeugniß eines seligen Geistes (erblickt Fielding). – Sieh, sieh, Harry, die Geister – steigen – aus der Erde – zu zeugen – wider Dich! Weß ist das Erbe? Du dunkler Schatten?

Fielding. Eures, Thompson.

Harry und Thompson (fahren Beide zurück).

Fielding. Erstaunet nicht, reicht mir die Hand, Sir Walter und Ihr, Sir Harry.

257 Thompson. Ich fühle – warmes Leben – den Druck – der Liebe – es ist – ein Engel! – Fielding, mein Geist – ist schwach – was – wie – seid – Ihr’s denn – Fielding?

Fielding. Euer Schuldner, Sir Walter.

Thompson (Fielding umarmend). Ihr lebt?! Zeigt doch, – warme Adern – warmes Leben – ein treues Auge –

Fielding. Und ein treues Herz. Erholt Euch. Hört mich. Es spricht ein wahrer Freund. – Als ich nach London kam, Mister Walter, hatten wir eine Abrechnung. Ich gewann ein Weniges von Euch. Ihr seufztet und sagtet: Ach wär’ es Alles! Ich achtete dessen nicht und bot Euch an, mit mir ein gemeinschaftliches Geschäft zu machen. Ich fand in Euch einen freudelosen Mann. Ein so hoch erklommener Gipfel, und Ihr wagtet nicht vor-, nicht rückwärts zu sehen, und ich fand bald, daß Ihr Euer Haus nicht wohl bestellt hattet. Wär’ es Alles! Wär’ es Alles! seufztet Ihr, und wie ich meine kleine Summe einstreiche, legt Ihr mir mehr Geld hin, als ich wollte, und wieder mehr, und wieder mehr. Ich leg’ es zurück, aber Ihr ginget wie im Wahnsinn an alle Eure Schränke und seht mich mit großen geisterhaften Augen an und 258 tretet mit einem Plan hervor, der mir das Haar sträuben machte. Ich sollte als wahres Fideicommiß Euer ganzes Gut und Wesen zu eigen nehmen, so lange, bis Ihr es mir wieder abfordern würdet! Ich wußte nicht, was ich thun sollte, aber die Urkunde lag schon vor mir. Ihr zeigtet gen Himmel und wie von selbst, Gott! – da stand mein Name als Unterschrift! Ich wollte doch einen Rechtskundigen beiziehen, aber es sollte nur zwischen uns dies schwere wunderbare Geheimniß sein. Ihr setzt die falsche Botschaft Eures Untergangs in Umlauf; erfindet ein räthselhaftes Euch gescheitertes und mir geglücktes Unternehmen, da bin ich reich, überreich. Die Welt sieht mich mit Neides-Augen an, ich kehre nach Bristol heim, von einem Glück, das mir doch keines war, erdrückt. Ich war so reich und war’s doch nicht, ich wollte schweigen, wem die Tausende gehörten, und sprach’s doch Jedem aus; wie ging es zu, mir fiel’s wie Wahnsinn ins Gemüth. Des Nachts, da hatte ich keine Ruh. Wohin ich sah, es fehlte überall. Ich zählt’ und rechnete und stellte Beutel auf Beutel, und wie ich so in meinem glänzenden Jammer sitze, fällt mir ein, ich hörte Eure Frau weinen und Eure Kinder weinen. Da dacht’ ich, und wenn du stürbest? Ich habe Erben, der Tod überrascht mich dort, im Hafen, in meinem Waarenlager, die Urkunde nicht beglaubigt, ich rufe in halb irrem Zustand einen Notar und vermach’ Euch mein ganzes, luftiges, erträumtes Eigenthum. Da fällt mir ein, 259 daß ich könnte falsch geschrieben haben, statt zu weinen, lachte ich, die Gedanken tanzten in tollen Wirbeln vor meinen – mir selbst wie sichtbaren Augen, ich schreib’ an Euch, Ihr antwortet nicht, ich bitt’ Euch zu kommen, Ihr kommt nicht, Ihr haltet noch immer den größten bewundrungswürdigsten Gedanken, der je aus einem edlen, warmen Menschenherzen gekommen ist, gefangen, – so blieb mir nur noch ein Mittel übrig, mein Gewissen von einer entsetzlichen Verantwortung, von einem Eingriff in Gottes Rechte, zu befreien. Ich schloß mich ein, ein treu erfund’ner Diener war der Einzige, der bei mir blieb, – – ich sterbe (lächelnd). Mister Walter, ich war ein guter Maulwurf, die Mine war für Euch doch zu tief. Ihr fielt hinein, habt Euch verrathen! Jetzt nehmt von meinen Schultern die Last, die mir zu schwer! Euch ist sie leicht, denn Ihr habt sie erworben.

Thompson (umarmt ihn unter Thränen). Mein treuer Bruder! – – Ich habe Alles wieder?

Fielding (zu Harry). Alles, – – nur, seh’ ich, Euren Sohn nicht?

Harry (stürzt auf Thompson zu, verzweiflungsvoll und von Wehmuth durchdrungen). Mein Vater! Gieb mir Lebensmuth! Ich gehör’ mir selbst nicht mehr an.

260 Vierte Scene.#

Frau Thompson, Eliza, Phillips, Cäsar, Jeffry, die Vorigen.

Frau Thompson (schon hinter der Scene). Bristol hat meinen ganzen Beifall, obgleich mir unser Londoner Ton, unsere feinen Manieren, die Equipagen –

Thompson. Meine Familie!

Frau Thompson (eintretend). Alterchen, Du zürnst doch nicht? Wir sind Dir nachgereist (umarmt Thompson).

Eliza, Cäsar, Jeffry (gleichfalls). Vater! Vater!

Frau Thompson. Der wunderliche Phillips ließ uns keine Ruh. Er hätte Briefe von Sir David Fielding (zu Fielding). Ei seht, Mister, so wohl auf?

Eliza (erblickt Harry und stößt einen freudigen Schrei aus). Harry!

Harry (umarmt die Seinigen).

261 Frau Thompson. Also das war die Ueberraschung?

Harry. Gute Mutter! Aber nein, um mich allein ist es nicht, sieh, sieh doch ’mal den Vater an! (lächelnd) Was mag er wohl haben?

Frau Thompson. Was geht hier vor?

Thompson. Hört, lieben Kinder, hör’ liebe Mary. Wenn Ihr noch nicht gewußt habt, daß Euer Vater ein eigener Mann ist, heute sollt Ihr ihn kennen lernen. Nein, nein, nein, nein, ich halt’ Euch keine Reden mehr und Mister Fielding darf bleiben, ich habe kein Geheimniß für ihn, und um ihn handelt es sich. Der Mister David ist ein gewaltiger Freund von Euch, ein gefährlicher Fürsprecher, der nie etwas auf Euch kommen ließ, und meinte, ich würde an Euch noch große Freude erleben und seht, an dem Abend, wo – laßt’s, laßt’s – es war ein Abend wie tausende, die wir hatten – fragt’ ich ihn im Zorn, ob das sein Ernst wäre, und da er dabei blieb, ging ich im Grimm die größte Wette ein, es wäre nicht der Fall, und seht, mich plagte der Ueberdruß an diesem Leben so, daß ich ihm eine Wette auf Alles anbot, was ich nach meinem Gefühl überflüssig besaß.

262 Frau Thompson (erschrickt heftig). Ha!

Die Uebrigen (erstaunen).

Thompson. Ja ja, so ist’s. Ist meine Familie, sagte ich, keiner Umänderung fähig, so nehmt mein Vermögen, ich bin dann arm; werden mir aber meine Kinder treu und fleißig, zeigen wir uns würdig der Güter, die uns der Himmel schenkte, so ist – ja, ja – so ist – ja –

Frau Thompson. Was? Unser Wohlstand wieder da?

Thompson. Wir sind wieder im Guten, was wir im Bösen waren. (Eine Reihe galonnirter Bedienten tritt ein).

Frau Thompson. Thompson –

Thompson. Wohl gemerkt, wenn die Bedingung der Wette –

Frau Thompson. Ihr Kinder, gleich hier dem Vater auf der Stelle ein heiliges Versprechen gegeben –

263 Eliza. Vater, mach uns arm oder reich. Ich habe gelernt, auch arm zu sein.

Thompson. Harrys edle Seele kenn’ ich und Ihr Kleinen (gutmüthig drohend) werdet wohl gehorchen müssen. – Du aber Mutterchen –

Frau Thompson. Ach Alter, – Siehe dort die Fremden!

Letzte Scene.#

Nichols und Jenny.

Nichols (seine Tochter Jenny an der Hand). Nun Vetterchen, eben geht die Landkutsche nach London ab, und morgen früh werden die ersten Erbsen gebrochen.

Jenny. Lebt wohl lieber Vetter! Weiß Gott, ich kam, um Euch mit bangem Herzen her, und gehe nun mit 264 leichtem – (sich verbessernd, weil sie Harry erblickt) mit erleichtertem! Laß Euch der Himmel noch lange auf der schönen Erde, und wollt’ Ihr sie recht genießen, so kommt zu uns, zu unsern Blumen!

Fielding. Freunde, ich weiß wohl, ich habe mir Vorwürfe zu machen, daß ich Euch aus Eurem zufriedenen Dasein mit falschen Hoffnungen aufschreckte. Diese Schuld – (Harry tritt rasch entschlossen vor und ergreift Jennys Hand).

Harry. Ich will sie abtragen. Vater, Du frägst mich, warum ich zögernd und traurig vor den goldenen Pforten unsers wiedererrungenen Glückes stand? Mein Geist fühlte sich noch nicht stark genug, von glänzenden Gestirnen erst herab in düstre Nacht zu sinken und nun wieder hinauf zu steigen, aus Reue, Verzweiflung und Armuth in die Sonnenhöhe eines irdischen goldenen Vorzugs. Aber jetzt seh’ ich einen Führer, der mich das Gesetz des Lebens halten, einen Engel, der mich dieses Glück genießen lehren wird! Dort steht er. Jenny, sei die Meine! Gieb mir für Anbetung Liebe!

Jenny (steht beschämt und schlägt die Augen nieder).

Frau Thompson. Wie? des Gärtners Tochter?

265 Thompson (ihr halblaut drohend). Die Wette! Die Wette!

Jenny (mit bescheidenem Blick zur Erde). Sir Harry Thompson ist wieder reich, und komm ich heim, hat wohl Letticia Maxwell sich schon den Kranz bestellt.

Harry. Vergebens Jenny! Du hast mich gelehrt, arm sein, ohne Dich will ich auch nicht wieder reich werden.

Phillips. Lettice Maxwell feiert heute ihre Verlobung mit Lord Pickington.

Frau Thompson. Pickington? Ein feiner Herr, aber wovon will sie dieser Gentleman ernähren?

Harry (mit Humor). Liebe Mutter, laß sie! Dieser Mann wird noch einmal im Staate eine hohe Stellung einnehmen (für sich). Verrathen will ich den Gauner nicht! Diese Rache an Lettice wäre doch zu hart. Jenny!

266 Jenny. Wenn es meiner Liebe möglich ist – (freudig) ja. (Stürzt in seine Arme.)

Thompson. Ihr habt meinen Segen, Kinder (zu seiner Frau) und auch Deinen?

Jenny (stürzt auf Frau Thompson zu).

Frau Thompson (schluchzend). Ich bin sehr für das Rührende! Von ganzem Herzen!

Thompson. Aber was ist denn das, Mister Phillips! Ihr seid ja so still?

Harry. Eliza, folg’ unserm Beispiel. Vertrau’ dem eigenen Gefühl.

Eliza (wendet sich verlegen ab).

Phillips (ebenfalls). Ich will zwar nicht – daß ich Miß Eliza – läugnen – oder vielmehr – liebe – aber –

267 Eliza. Mister Phillips denkt immer – an – das –

Phillips. Nein Miß Eliza – der Stolz – eines – armen –

Eliza. Das Gewesene allerdings – aber nun – da wir ja wieder reich –

Phillips. O nein Miß Eliza – wegen Ihres Reichthums – keinesweges –

Eliza. Mister Phillips hat ein überaus gewissenhaftes Gedächtniß – aus Mitleid allerdings – möcht’ ich denn doch auch nicht –

Phillips. O Miß – in heiligen Stunden hatt’ ich mir – gelobt – jetzt sind Sie wieder reich – um so weniger also darf ich – mir gelobt –

Harry (dazwischen tretend). Geloben hin, geloben her! (Führt sie zusammen) Macht Euren Wettstreit mit einer mir noch nie vorgekommenen Zartheit des Ehrgefühls, nach der Hochzeit aus.

268 Phillips. Eliza, liebst Du mich?

Eliza. Mein theurer George!

Frau Thompson (halblaut). Wie? Eines Bäckers Sohn?

Thompson. Die Wette!

Phillips und Eliza (umarmen die Mutter). Theure Mutter! (Hornfanfare, die sich immer mehr steigert).

Thompson. Auf, nach London! Die Königliche Post wird uns in sechsspännigen Prachtwagen hinführen; und wenn die Hörner und Trompeten in ihrem lustigen Schmettern Pause machen, dann wollen wir nachdenken über das Zauberwort, das uns den Reichthum würdig genießen und die Armuth edel tragen läßt. (Die Hörner hören auf.)

Nichols (stößt Harry heimlich an, und macht mit Humor die Pantomime des Grabens).

269 Harry. Vater, wir haben schon das Wort, es heißt: Bete und arbeite!

Thompson. Brav, mein Sohn! Brav! Das ist die Schule der Armen! Das ist die Schule der Reichen.

Der Vorhang fällt.

270 Anmerkung. #

Die Schule der Reichen ist nach eigner Erfindung gearbeitet. Mehre Blätter hatten geglaubt, es läge ihr eine alte englische Novelle zum Grunde.

Apparat#

Bearbeitung: Martina Lauster, Exeter#

 

1. Textüberlieferung#

1.1. Handschriften#
1.1.1. Übersicht#

Es sind keine handschriftlichen Überlieferungsträger bekannt. 

1.2. Drucke#

Gutzkows fünfaktiges Stück Die Schule der Reichen wurde am im 25. Oktober 1841 im Hamburger Stadttheater uraufgeführt; die Wiener Premiere folgte einen Tag später am Burgtheater. Ein vermutlich Ende Februar 1841 in Hamburg angefertigter Manuskriptdruck befindet sich in zwei Exemplaren im Österreichischen Theatermuseum Wien. Das Exemplar 848.325-A (https://onb.digital/result/103C78CB) trägt die handschriftliche Verzeichnung der Rollenbesetzung in der Hamburger Aufführung und weist im Text Änderungen u. a. von der Hand Gutzkows auf, während es sich bei 848.326-A (https://onb.digital/result/103C78B2) um die Strichfassung der Wiener Aufführung handelt; auch hier ist außer der Wiener Besetzung auch die der Hamburger Aufführung eingetragen. Im Dezember 1841 erschien ein Teilabdruck des Dramas, der erste Aufzug mit seinen sechs Szenen, in Lewalds „Europa“. In Gutzkows Dramatischen Werken erlebte die Schule der Reichen zwischen 1842 und 1872 fünf Auflagen. Ab der vierten Auflage von 1862, einer durchweg neuen Gestaltung des Stückes (Anmerkung zur vierten Auflage, 5.8.), änderte Gutzkow den Untertitel von Schauspiel zu Lustspiel

M      Die Schule der Reichen. Schauspiel in fünf Aufzügen von Karl Gutzkow. Als Manuscript gedruckt. Hamburg: Voigt, 1841. (Rasch 6.41.1)
J        Teilabdruck: Die Schule der Reichen. Schauspiel in fünf Aufzügen von Karl Gutzkow. [1. Aufzug, 1.-6. Szene.] In: Europa. Karlsruhe u. Baden. 1841, Bd. 4, [Dezember,] S. 529-540. (Rasch 3.41.12.1)
B1      Die Schule der Reichen. Schauspiel in fünf Aufzügen. In: Karl Gutzkow’s dramatische Werke. Bd. 2: Patkul. Die Schule der Reichen. Leipzig: Weber, 1842. S. 113-269. (Rasch 1.1.2.2)
B 1a    Die Schule der Reichen. Schauspiel in fünf Aufzügen. In: Karl Gutzkow’s dramatische Werke. Bd. 2: Patkul. Die Schule der Reichen. 2., verb. Aufl. Leipzig: Lorck, 1846. (Dramatische Werke von Karl Gutzkow.) S. 125-268. (Rasch 1.1.2a.3)
B1b      Die Schule der Reichen. Schauspiel in fünf Aufzügen. 3. Aufl. In: Karl Gutzkows dramatische Werke. Bd. 2. Abthl. 2. Leipzig: Brockhaus, 1854. (Rasch 1.1.2.2b)
B2      Die Schule der Reichen. Lustspiel in fünf Aufzügen. 4. Aufl. Leipzig: Brockhaus, 1862. (Dramatische Werke. Bdchn. 10). (Rasch 1.3.10)
B3      Die Schule der Reichen. Lustspiel in fünf Aufzügen. 5. Aufl. Jena: Costenoble 1872. (Dramatische Werke von Karl Gutzkow. Bdchn. 18). (Rasch 1.4.18) 

2. Textdarbietung#

2.1. Edierter Text #

B1. Der Text folgt in Orthographie und Interpunktion unverändert der Druckvorlage. Textsperrungen werden übernommen. Silbentrennstriche (=) werden durch – wiedergegeben. Die Seitenzählung wird mit eckigen Klammern [ ] an den betreffenden Stellen in den Text eingefügt.

Die Liste der Texteingriffe nennt die von den Herausgebern berichtigten Druckfehler sowie die Emendationen. Fehlende oder überzählige Spatien im Druck wurden stillschweigend korrigiert.

Sprechernamen vor Figurenreden, in der Druckvorlage durch zentrierten, gefetteten Satz kenntlich gemacht, sind in Kapitälchen wiedergegeben.

2.1.1. Texteingriffe#

Personenverzeichnis  Bluette Blnette

11,2 Erster Gast Zweiter Gast berichtigt nach B1a

12,12 jüngsten jünsten

22,4 wißt Ihr was wißt Ihr war

22,11 dem Ball den Ball

28,14 Eliza (stößt Eliza. (stößt

32,16 Eliza Elisa

32,17 Thompson (mit Thompson. (mit

32,24 der des

46,20 Himmel – Himmel

47,19 Eliza Cliza

48,26 frostiges frostigen berichtigt nach B1a

51,23 wahnsinnig wahnsinig

51,24 der der der Wortwiederholung im Zeilenumbruch

51,25 als als als Wortwiederholung im Zeilenumbruch

52,9 Kinder. Kinder? berichtigt nach B1a

70,9 ab). ab.).

87,14 des das

4. Entstehungsgeschichte#

4.1. Dokumente zur Entstehungsgeschichte#
 4.1.1. Gutzkow an Johann Ludwig Deinhardstein, 18. Februar 1841#

Karl Gutzkow an Johann Ludwig Deinhardstein, Hamburg, 18. Februar 1841. (Österreichische Nationalbibliothek, Autogr. 52/5-1)

Wollen mir Ew. Hochwohlgeboren die Hand zu einer Ueberraschung Wiens u. des übrigen am Theater interessirten Deutschlands geben? Können Sie im Monat April, während kein Mensch davon etwas ahnt, ein neues 5 aktiges Schauspiel von mir in Scene setzen und damit wie aus heiterm Himmel hervortreten? In 8 Tagen send’ ich das Manuscript ab. Es enthält meiner Ueberzeugung nach kein einziges der Censur anstößiges Wort, keine einzige verfängliche Situation; die Idee des Stückes ist ein[e] allgemein moralische. Costüm: 1680 in England. Glanzrollen für Ihre besten Kräfte.

Sagen Sie mir die Möglichkeit dieses Experimentes zu, so soll Ihre Bühne das Stück zuerst aufführen. Es heißt: Die Schule der Reichen. Können Sie nicht, (natürlich wird die Censurrücksicht Sie nur zu einer bedingten Zusage vermögen können) so beginnen Cornet u. Mühling ihre neue Direktion mit dem Stück. Aber Wien ist mir in jeder Hinsicht lieber. Die freundliche Aufnahme des Werner hat mich so vertrauensvoll gemacht, wie gegen kein einziges deutsches Publikum.

Haben Sie nun für den Monat April schon Pläne und können diese acht Tage lang noch in suspenso halten, so thun Sie’s, falls es Ihnen Vergnügen macht, mir in dieser Angelegenheit dienlich zu seyn.

 4.1.2. Gutzkow an Emil Devrient, 25. Februar 1841#

Karl Gutzkow an Emil Devrient, Hamburg, 25. Februar 1841. In: Heinrich Hubert Houben: Emil Devrient. Sein Leben, sein Wirken, sein Nachlass. Ein Gedenkbuch. Frankfurt/M.: Literarische Anstalt Rütten & Loening, 1903. S. 194-195; Auszug S. 195.

Das Stück [Patkul] ist freisinniger gerathen, als ich hoffte u. wollte: indessen werden es doch einige Hoftheater geben. Redern [Generalintendant der Königl. Schauspiele in Berlin] hat es gleich gefordert. Hier haben wirs nur 3 mal gegeben, weil Baison nicht mehr spielen soll, damit sich Hendrichs bevestigt. Der arme Autor ist hier das Opfer der Theaterpolitik.

Ich wünschte, ich könnte ein populäreres Drama cursiren lassen. Meine Kasse wird sehr unter diesem Patkul leiden.

 4.1.3. Gutzkow an Johann Ludwig Deinhardstein, 1. März 1841#

Karl Gutzkow an Johann Ludwig Deinhardstein, Hamburg, 18. Februar 1841. (Österreichische Nationalbibliothek, Autogr. 52/5-2)

Wie bin ich so unentschlossen! „Die Schule der Reichen“ liegt neben mir und doch zögr’ ich, sie abzuschicken. Es ist ein Stück nur für den Winter. Vor Mai könnten Sie es schwerlich geben. Die Ferien kommen dazwischen und das Stück litte darunter. Unterdieß les’ ich in den Blättern soviel von Veränderungen, die in der Verwaltung des k. k. Burgtheaters vorgingen, daß ich in’s Gedräng zu kommen fürchte. Also bitt’ ich, haben Sie Nachsicht mit mir, wenn ich mit meinem jüngsten Brief selbst in Widerspruch gerathe.

Damit Sie aber nicht ganz ohne Kenntniß meiner neusten Leistungen bleiben, erfolgt sous bande ein Exemplar des Patkul. Daß Sie das Stück herrlich besetzen könnten, wäre wohl keine Frage, aber die Censur? Und doch, legen Sie es ihr vor: ich wäre doch begierig, wie man in Oesterreich das dem Stück zum Grunde liegende Faktum ansähe.

 4.2. Entstehungsgeschichte, Übersichtskommentar#

Anfang 1841 trug sich Gutzkow angesichts des beschränkten Erfolgs seiner breit angelegten historischen Tragödie Patkul mit dem Gedanken an ein finanziell einträglicheres, populäreres Drama (3.1.2.). Ihm schwebte ein Stoff vor, der sich für eine Volksbühne eignen würde. Er dachte sogar daran, als Mitpächter eines Volkstheaters einzusteigen, das sich soeben auf dem damals so genannten hamburger Berge, dem heutigen Sankt Pauli, im Bau befand (5.8.). Die Parzelle lag am Spielbudenplatz, also direkt im ,theatralischen‘ Bereich des hafenstädtischen Amüsierviertels. Gutzkow besichtigte den Rohbau während eiseskalte[r] Wintertage vermutlich im Januar / Februar 1841, zusammen mit Carl Schütze, dem Direktor des Altonaer Theaters, und bevölkerte das ansehnlich große Auditorium im Geiste schon mit Matrosen, Bürgersleuten, Dienstboten, Soldaten und mit Stücken im Geschmack seiner „Schule der Reichen“ (5.3.8.). Aus dem Gedanken an eine gemeinsame Pachtung wurde zwar nichts (Schütze übernahm des Theater, das am 30. Mai 1841 eröffnete, allein), doch gewann Gutzkows ,Volksstück‘ Gestalt.

Schon am 18. Februar, also eine Woche bevor er Emil Devrient seinen Wunsch mitteilte, ein populäreres Drama cursiren zu lassen, hatte Gutzkow Die Schule der Reichen dem Vizedirektor des Wiener Burgtheaters, Johann Ludwig Deinhardstein, angeboten und die Fertigstellung für Ende des Monats in Aussicht gestellt (4.1.1.). Gutzkow wollte mit der Uraufführung eines ,populären‘ Stücks auf keiner geringeren als der Wiener Hoftheaterbühne eine Ueberraschung der ganzen deutschen Theaterwelt erzielen, in welcher – wo die Zensur es erlaubte – der Patkul noch über die Bühnen ging. Nach Wien hatte Gutzkow Patkul erst gar nicht geschickt, da er von einem Veto der dortigen Zensur ausging. Nun schlug er aber Deinhardstein den Knalleffekt seines nächsten Schauspiels vor, das die Zensur nach seiner Einschätzung mühelos durchlaufen sollte und mitten im Frühjahr, einer ungewöhnlichen Saison für Neuproduktionen, Aufsehen erregen werde. Er setzte dem ihm wohlwollenden Deinhardstein geradezu die Pistole auf die Brust: Könne er das neue Stück bereits innerhalb weniger Wochen, d. h. im April, auf die Bretter bringen und ihm damit einen großen Gefallen tun? Am 1. März lag Die Schule der Reichen offenbar im Manuskriptdruck vor (4.1.3.), aber nun nahm Gutzkow von seiner Idee einer Publikumsüberraschung Abstand. Er wolle nun doch lieber bis zur Wintersaison warten, wenn die – in den Zeitungen berichtete – Umstellung in der Verwaltung des Burgtheaters abgeschlossen sei und die Aufführungen zudem nicht durch die sommerlichen Theaterferien unterbrochen würden. Er vertröstete Deinhardstein mittlerweile durch die Sendung des Patkul: zur Information über den Stand des eigenen dramatischen Schaffens und, sollte die Wiener Zensur ihr Gutachten dazu abgeben, zur eigenen Information über dortige Verbotsbegründungen.

5. Rezeptions- und Wirkungsgeschichte#

 5.1. Aufführungen#

Uraufführung: Hamburg, Stadttheater, 25. Oktober 1841, unter der Leitung von Julius Mühling (dramatische Regie) und Julius Cornet (musikalische Regie), mit einer musikalischen Einlage, der Ouvertüre von Webers „Oberon“ (https://www.stadttheater.uni-hamburg.de/spielplan). Die Vorstellung wurde „zum Benefiz-Antheile“ des Schauspieler-Ehepaares Lenz gegeben; Johann Reinhold von Lenz spielte selbst die Hauptrolle des alten Thompson. Nach dem eklatanten Misserfolg der Uraufführung wurde das Stück in Hamburg nicht wiederholt.

Weitere Aufführungen (vgl. Rasch 15/4):

Wien, Hofburgtheater, 26. Oktober 1841, unter der Regie von Franz von Holbein; das Stück wurde an diesem Theater laut Vermerk auf dem Vorsatzblatt des Manuskriptdruckes 848.326-A (vgl. 1.2.) vom 26. Oktober 1841 bis zum 17. Mai 1842 insgesamt 18 Mal gegeben.

Wiesbaden, Herzoglich Nassauisches Hoftheater, 5. Dezember 1841

Prag, Ständisches Theater, 21. Januar 1842; mindestens 4 Aufführungen

Grätz (Graz), Januar oder Februar 1842

Pesth, Deutsches Städtisches Theater, 3. Februar 1842

Linz, Ständisches Theater, 11. Februar 1842

Riga, ca. Oktober 1842

Zürich, Stadttheater, Dezember 1842, unter der Direktion von Charlotte Birch-Pfeiffer; zwei Aufführungen

Brünn, Königlich Städtisches Theater, 14. Januar 1843

Köln, 25. Dezember 1846

 5.2. Dokumente zur Rezeptionsgeschichte#

Die (auszugsweise) Textwiedergabe der Rezeptionsdokumente folgt zeichen- und buchstabengetreu der Vorlage; anders als in den Edierten Texten der Ausgabe werden Druckfehler jedoch stillschweigend berichtigt, ausgefallene Lettern in eckigen Klammern ergänzt.

5.2.1. Private Äußerungen#
5.2.1.1. Karl Seydelmann an Gutzkow, 16. Mai 1841#

Karl Seydelmann an Gutzkow. Berlin, 16. Mai 1841. In: Heinrich Theodor Rötscher: Seydelmann’s Leben und Wirken, (nebst einer dramaturgischen Abhandlung über den Künstler). Mit Benutzung und Veröffentlichung des handschriftlichen Nachlasses und der Briefe desselben. Berlin: Duncker, 1845. S. 313-314. (Rasch 7.45.1)

Ich müßte doch sehr irren, wenn Ihr frisches, buntes, wunderbares, mährchenhaftes Stück „die Schule der Reichen,“ das ich so eben ohne Zwischenacte gelesen habe, von der Bühne herab nicht ein ungewöhnliches Interesse erregen sollte! Ich muß mit Ihnen reden, gleich! so tiefen Eindruck hat es auf mich gemacht. O ich möchte Sie bitten: fahren Sie auf diesem Wege fort! Mit noch zwei Schauspielen dieses Werthes werden Sie Ihr Glück begründet haben. Sie dürfen dann nach Lust und Laune bringen, was Sie wollen. Lächeln Sie in Gottesnamen, daß ein Schaupieler Ihnen, dem Dichter und Kritiker! – auch seine Meinung sagt.

Aus dem vorliegenden Stücke bei Weitem mehr als aus Richard, Werner und aus Patkul geht mir, der ich Sie wohl zu kennen glaube, Ihr Innerstes entgegen. Ich sehe die Grundfarbe – ich höre die Töne Ihres tiefsten Lebens. Schreiben Sie nur diese Dissonanzen (wie ich sagen möchte) fort, auf künstlerischem Wege aus sich fort, wie hier! Ursprünglich reiche, seltne Kraft und rascher Andrang, Hindernisse, Zwiespalt, bitterer Unmuth, ungesunde Schärfe, Unlust, Abgespanntheit: Alles zeigt der Knäuel, den dieß Stück vor uns entwickelt. (Alles zeigt uns auch zugleich Sie selbst!) Wahrheit liegt in diesem künstlerisch-verbundnen, bunten Schutt und Graus. Und diese Wahrheit wird das Stück auch wurzeln lassen.

Sie selber aber, lieber Freund, Sie werden, was Sie so zu Tage fördern, als ein poetisches Reinigungsmittel für Seel’ und Leib [314] benutzen und zur Versöhnung, Milde, Heiterkeit – zum Siege über sich und Alle kommen.

Sind Sie böse? (ob ich irre, oder nicht.)

Daß diese „Schule“ in England steht, in London, in diesem alten, wohlbekannten Neste grauser, und auch schöner Wunder, giebt ihr volle Rundung, schlägt die Bürste dumm-gelehrter Zweifel kritisirenden Bedienten aus der Hand.

Frei heraus: wie ich’s erkenne, haben Sie nichts Besseres, nichts Tieferes, nichts, was so eindringt in das Leben (weil es aus dem Kern des Lebens aufgegangen ist – ) geschrieben. Und könnte ich, was ich möchte, müßte dieses Stück heraus, und gleich!

Die ersten drei sind Dämmerung; dies vierte aber ist der schöne goldne Saum von Ihrer Ruhmessonne.

Lachen Sie in Jesus Namen, wenn Sie anderer (d. h. gescheidterer) Meinung sind als ich! Aber, wie das immer wieder nagt und frißt in mir: wir haben kein Ensemble, können es nicht spielen. Hieher gehört schon wieder, was wir auf den Brettern nur sehr selten sehen: Talent und Bildung, Einklang, Ernst!

Die Wolf kann prächtig – prächtig sein als Mary (wenn sie sich hübsch selber spielt –). Wären alle Andern dann ihr ähnlich – ähnlich nur! dann ging es wohl; dann wollten wir die Freude sehen! Dann hätt’ ich recht! Und wie!

Ich danke Ihnen! Herzlich! Kann mir aber nicht erklären, daß Sie so gezögert haben, mir das Stück zu zeigen. Sind denn die Dichter – die gescheidten, notabene! – Sängerinnen am Klavier? Und dann bin ich ja weder ein Hallesches Jahrbuch, noch sonst ein kritisches Schemelbein. Ich bin ein Mensch, der lieber Freude fühlt und Freude zeigt, wenn ihn ’was Wahres, Tüchtiges im Innersten berührt.

Das hat Ihr Stück gethan und darum nochmals, lieber, reicher Gutzkow, Dank!!

 5.2.1.2. Karl Seydelmann, 4. November 1841#

Karl Seydelmann an seinen Sohn, 4. November 1841. In: Heinrich Theodor Rötscher: Seydelmann’s Leben und Wirken, (nebst einer dramaturgischen Abhandlung über den Künstler). Mit Benutzung und Veröffentlichung des handschriftlichen Nachlasses und der Briefe desselben. Berlin: Duncker, 1845. S. 315, Fußnote.

Gutzkows Schule der Reichen hat in Hamburg ein trauriges Schicksal gehabt, in Wien hat sie gefallen. Das Eine, wie das Andre ist begreiflich, konnte sogar nicht anders sein. In Hamburg dominiren die in dem Stücke blosgestellten Kaufleute und die dortigen Schauspieler sind ziemlich aus der Art geschlagene Nachkömmlinge des verewigten Schröder. In Wien wird es der ebenfalls verletzte Adel nicht so entsetzlich schwer genommen haben und gewiß haben die Schauspieler gut gespielt. Eine Komödie ist das Stück eigentlich nicht, sondern ein Gemälde; ein lebendiges obendrein, ein sprechendes! Nur müssen die Redenden keine Esel, sondern Menschen sein. Licht, günstiges Licht! Danach schreien Maler und Dichter mit gleichem Recht.

5.2.1.3. Ottilie Assing an Varnhagen von Ense, 3. Dezember 1841#

Ottilie Assing an Karl August Varnhagen von Ense, Hamburg, 3. Dezember 1841. In: H. H. Houben: Ein Theaterskandal in Hamburg. Hamburger Fremdenblatt. Nr. 306 A, 4. November 1930, S. 1-2.

Von der empörenden Behandlung, die Gutzkows „Schule der Reichen“ erfahren hat, [2] wirst Du wohl gehört haben; alle Unbefangenen stimmen darin überein, daß dies sehr hübsche Stück, dessen an sich ganz unerhebliche Fehler nicht einmal mit dem Organismus des Ganzen zusammenhängen, eine ganz andere Aufnahme verdient hätte, wenn auch unsere Privatmeinung ist, daß Gutzkows eigentlicher Beruf die Tragödie ist. Der Stoff ist gut, die Ausführung und der Dialog geistreich und schlagend, so daß es ein gebildetes Publikum, wie es das Hamburger leider nicht ist, gewiß hätte ansprechen müssen; aber von Anfang bis zu Ende war die infamste Intrigue tätig, vieles war vor Scharren und Zischen gar nicht zu verstehen; die Anstifter hatten das Manuskript gelesen und machten nicht nur nach, sondern auch vor jeder Hauptszene den abscheulichsten Lärm, so daß oft ausgezischt wurde, was erst kommen sollte. Ein Schauspieler, der eine Hauptpartie hatte, wußte seine Rolle nicht, und dazu kam noch, daß den Reichen manche nur zu treffende Wahrheiten gesagt wurden, die man hier in Hamburg nicht gern hört. In den ersten Tagen war Gutzkow und auch wir nicht wenig erschüttert und verletzt, besonders da er, und daher auch wir, durch seine Zuversicht beruhigt, gerade diesmal vor der Vorstellung weniger ängstlich und gespannt als sonst waren; man hatte uns zwar vorher gesagt, daß es Lärm geben würde – denn so offen trat die Intrigue auf – doch hatten wir die Sache nicht so ernst genommen und waren deshalb doppelt bestürzt.

5.2.1.4. Charlotte Birch-Pfeiffer an Gutzkow, 4. Februar 1843#

Charlotte Birch-Pfeiffer an Karl Gutzkow, Zürich, 4. Februar 1843. UBFM, Nachlass Karl Gutzkow, A 2 II, Nr. 43,34 (maschA).

Daß mein Personal ein tüchtiges ist, bewies die Sensation die – wie ich vorher sagte – Ihre Schule der Reichen machte, die gewiß ein gutes Ensemble braucht, um mit Erfolg dargestellt zu werden, denn Sie lieben es, jedem Schauspieler, auch dem untergeordneten mit der kleinsten Rolle ein Bein zu stellen! – Daß ich das Stück sogleich, u zwar zum Benefiz der Armen repetiren konnte, wo es den selben Beifall wie das erste Mal fand – ist doch wohl ein Beweis, daß ich Ihre Stücke geben kann.

 5.2.2. Theaterkritiken#
5.2.2.1. Hamburger Uraufführung#
5.2.2.1.1. Staats- und Gelehrte Zeitung, 27. Oktober 1841#

[Anon.:] Hamburg. – Gutzkow’s neues Schauspiel ... In: Staats- und Gelehrte Zeitung des Hamburgischen unpartheiischen Correspondenten. Hamburg. Nr. 254, 27. Oktober 1841, [S. 6].  (Rasch 15/4.41.10.27)

Hamburg. – Gutzkow’s neues Schauspiel: „die Schule der Reichen“, wurde am 25 Oct. zum ersten Male vor einem übervollen Hause im Stadtteater gegeben. Schon nach dem zweiten Act wurde Hr. Lenz, der die Rolle des alten Thompson meisterhaft spielte, hervorgerufen.Vom dritten Acte jedoch an, namentlich in der Nachtscene, in der Hr. Hendrichs etwas unsicher spielte, fand eine, höchst wahrscheinlich verabredete, Opposition Gelegenheit, methodisch jede Scene zu unterbrechen und die Aufmerksamkeit des Publicums zu stören. Nichtsdestoweniger wurde das Stück zu Ende gespielt und Hr. Lenz nochmals gerufen. Ganz vortrefflich war auch Mad. Fischer. Bei dem stürmischen Kampfe zweier Parteien ist es ganz unmöglich, ein bestimmtes Urtheil zu fällen, da bei einem solchen Treiben Niemanden eine Totalanschauung werden kann. Einräumen müssen wir dem Verf, daß dieß sein erstes Stück ist, in welchem er nicht für den äußern Effect und auf sogenannte Abgänge geschrieben hat, sondern das ein still beobachtendes und ruhig genießendes Publicum voraussetzt.

5.2.2.1.2. Frankfurter Konversationsblatt, 1. November 1841#

E. G. O.: Aus Hamburg. Stadt-Theater. In: Frankfurter Konversationsblatt. Nr. 301, 1. November 1841, S. 1203-1204. [Nachdruck aus der „Hamburger Neuen Zeitung“ (Rasch 15/4.41.11.01)

„Die Leiche liegt, die Raben steigen nieder.“

In der That liegt uns die traurige Pflicht ob, eine Rede am Grabe eines fünfactigen Todten zu halten und wir wollen unser Möglichstes thun, die Raben redlich abzuwehren, die wir schon im Geiste herniedersteigen sehen, die gefallene „Schule der Reichen“ von Dr. Carl Gutzkow, am 24 [recte: 25.] October zum ersten Male, zum Benefiz-Antheile des Hrn. und der Mad. Lenz gegeben – zu zerfleischen. Das ist das Loos des Schönen auf der Erde, das ist der Dank, wenn ein talentvoller Mann der vornehmen und reichen Welt von seiner Weisheit ablassen will; ach, in der „Schule der Reichen“ lernten wir recht die bittre Armuth kennen! – Gutzkow hat in diesem Drama wiederum einen großen Schritt vorwärts gethan; es ist der vierte Schritt und er steht schon am Grabe; mit solchen Riesenschritten legt nur das Genie seine Laufbahn zurück. „Die Schule der Reichen“ wurde mit 50 Personen aufgeführt und die interessantesten Individuen bewegten sich vor den Augen der undankbaren Schüler. Außer dem Familiencirkel des reichen Sir Walter Thompson, sahen wir unter Andern zwei französische Tänzerinnen in Männerkleidung, einen Juden, drei Diebe, fünf Leichenträger, zwei Nachtwächter, einen Schneider, zwei Gerichtsdiener mit Windlichtern, einen Notar, einen Sheriff, drei öffentliche Ausrufer (außer die im Parterre waren) – was ließ sich da nicht Alles Interessantes erwarten! – und doch dieses Lynchgesetz! – O es ist haarsträubend! – Sir Thompson ist ein Parvenü, der unter einer lärmenden Wirthshausscene dreimal mit seinem Geschäftsfreunde Fielding auftritt und ihm (d. h. den Reichen) demonstrirt, welch ein armseliges, verachtungswürdiges Ding der Reichthum sey, mit dem man Alles, nur keine wahrhafte Glückseligkeit erkaufen könne. Welche neue, erhabene, christliche Wahrheit! Während dieselbe in erbaulicher, salbungsreicher Länge gepredigt wird, werden Tulpenzwiebeln und Tractätchen ausgeboten, Barricaden errichtet und Prügel ausgetheilt. Welch’ eine lebendige Exposition! Die Seele von dem Allen – vornehmlich der Prügelei – ist der Wüstling und Sohn des Sir Thompson, Harry; einen Löwen würde man ihn heute in Paris nennen; im siebzehnten Jahrhundert kannte man indeß diese Gattung von Katzen noch nicht. Der nächste Act läßt uns einen Blick in das Hauswesen des reichen Mannes thun, der uns wiederum und zwar jetzt ad oculos demonstrirt, daß der Reichthum ein Unglück ist, weil – Sir Thompson so einfältig war, seine Kinder schlecht zu erziehen und so unglücklich, eine Närrin zur Frau zu haben, der sogar die Lust anwandelt, trotz ihrer 300 Pfund Gewicht zu reiten und im Vorgefühl dieser Wonne eben im Zimmer vor ihren Kindern courbettirt, als der Papa mit seinem Freunde hereintritt und diesem die höchst geistreiche Bemerkung macht: „Dieses Pferd ist meine Frau!“ O die Reichen können außer der Moral auch bon ton in dieser Schule lernen! Daß Thompson sein ganzes Vermögen, bis auf einen kleinen Rest, dem ehrlichen Freunde Fielding ohne Unterpfand zuschreibt und sich so auf eine recht verschmitzte Weise zum armen Manne macht, um seine Familie zu bestrafen, ist die Pointe des Stücks. Bevor es aber zur Catastrophe kommt, wohnen wir noch einer obscön-philosophischen Unterredung zwischen Harry und seinem Freunde Maxwell in Gegenwart zweier sich die Ohren zuhaltenden Damen bei. Jude, Diebe, Gerichtsdiener, Nachtwächter und Leichenträger treten in Activität und der armgewordene Harry erfährt zu seiner nicht geringen Qual, daß das von Letzterem vorübergetragene Kind jenes von ihm übergerittene ist; ja mehr: daß sein Freund Maxwell von den den Aeltern gespendeten 100 Pf. nur fünf abgegeben und den Rest untergeschlagen hat. Diese Entdeckung macht ihn und zugleich den Zuschauer sehr unglück-[1204]lich. Später finden wir Harry als Gärtner wieder, der ein Grab gräbt, schwer philosophirt, aber keinen Zwetschen- von einem Kirschenbaum zu unterscheiden weiß. – Eine Küchenscene, wo erstaunlich viel von Eierkuchen geredet wird; der fingirte Tod des Freundes Fielding, Verzweiflung und dann Freude beim Wiedererscheinen desselben unter allgemeiner Heiterkeit des Publicums, Versöhnung, Heirath und Moralpredigt, Alles das ging dann in dem Pfeifen und Pochen eines undankbaren Publicums unter, das sich über solche Schule längst erhaben dünkt. – Wir bedauern den talentvollen Verfasser, – der sich durch seine Kritiken ja stets als einen so tief Eingeweihten, das Drama’s bekundeten – aufrichtig, und behaupten, sein Stück hätte ein anderes Loos, als dieses, verdient, nämlich: – gar nicht aufgeführt zu werden, denn man kennt die Reichen ja, sie lieben die Schule nun einmal nicht. – Gespielt wurde übrigens mit großem Fleiß. Außer Hrn. Gloy, der diesmal ein schlecht lachender Gärtner war, that Jeder, vor Allem die Herren Lenz und Hendrichs, seine Pflicht; an den Künstlern liegt deshalb die Schuld nicht, auch wurde der Beneficiant unter Zeichen des Beifalls gerufen. – Wir fürchten, es wird der Flor sehr theuer werden.

5.2.2.1.3. Didaskalia, 2. November 1841#

Hamburg, 27. Oct. – (Korresp.). In: Didaskalia. Frankfurt/M. Nr. 306, 2. November 1841, [S. 2-3]. (Rasch 15/4.41.11.02)

[Es handelt sich um einen z. T. beträchtlich abgewandelten Nachdruck der Notiz aus der Hamburger „Staats- und Gelehrten Zeitung“ (5.2.2.1.1.)]

Hamburg, 27. Oct. – (Korresp.)

Gutzkow’s neues Schauspiel: „Die Schule der Reichen“ wurde am 25. Oct. zum ersten Male vor einem übervollen Hause im Stadtteater gegeben. Schon nach dem zweiten Act wurde Hr. Lenz, der die Rolle des alten Thompson meisterhaft spielte, hervorgerufen. Vom dritten Act jedoch an, namentlich in der Nachtscene begann eine verabredete, systematisch geordnete und auf niedrigen Intriguen basirte Opposition, jede Scene zu unterbrechen, und die Aufmerksamkeit des Publikums auf eine gemeine, den lauten Unwillen aller Bessergesinnten erregende Weise zu stören. Nichts destoweniger wurde zu Ende gespielt, obgleich leider die letzten Acte nur theilweise und sehr mangelhaft zum Verständniß gelangen konnten. Das Stück hat nach unserer Ansicht große Schönheiten, aber auch einzelne schwache Partieen. Wir selbst glauben unsere auswärtigen Leser am besten zu befriedigen, indem wir in diesem Berichte eine möglichst getreue Analyse des Stückes zu geben versuchen. [Es folgt die von Gutzkow selbst anonym veröffentlichte Analyse (5.2.), eine Inhaltsangabe von Akt zu Akt.]

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5.2.2.1.4. Joseph Mendelssohn, 5. November 1841#

J[oseph] M[endelssohn]: Hamburger Stadt-Theater. Die Schule der Reichen. Schauspiel in 5 Acten, von Karl Gutzkow. In: Panorama der Gegenwart. Hamburg. Nr. 2, [5. November] 1841, Sp. 14-16; Nr. 3, [5. November] 1841, Sp. 22-24. (Rasch 15/4.41.11.05N)

Ich muß diesen Zeilen einige durchaus nothwendige Bemerkungen voranschicken. – Alles, was in diesen Blättern über die Leistungen des Hamburger Stadttheaters gelesen wird, darf nicht als imperatives, hochmüthig einhertrottirendes Urtheil, als gewaltig wichtig und allweise thuendes Absprechen – wie das hier und anderswo täglich, in Journalen aller Art, der Fall ist – es darf nur als anspruchslos, aber mit dem Bewußtsein des redlichsten Willens, des lautersten Strebens, der vollkommensten Unabhängigkeit gegebene individuelle Ansicht betrachtet werden. Eben in jenem Bewußtsein nehme ich nicht den mindesten Anstand, Aufsätze, welche man gewöhnlich „Theaterkritiken“ nennt, mit heiligthuender Hast in die Welt schleudert, als unendlich wichtig für das Fortbestehen unseres Planeten betrachtet und doch nicht mit Namensunterschrift zu vertreten wagt, getrost zu unterzeichnen. Ich gehöre indessen nicht zu den Glücklichen, welche bei Theaterkritiken den Aristoteles, den Cicero und den Quintilian, oder sonstige Autoritäten des Römer- und Griechenthums citiren können, wenn es ihnen unheimlich graut vor der Leere im eigenen Kopfe. Ich habe nicht das dünnste Capital ausstehen bei den Griechen, und auch die Lateiner borgen mir nichts, will ich sie nicht zuvor selbst einem ihrer zahlreichen Uebersetzer abborgen. Nichts habe ich, als hinreichenden Muth, um zu schreiben, wie ich denke, irrig vielleicht, aber immer meiner Ueberzeugung gemäß; nichts, als einen gewöhnlich unbefangenen Blick, ein noch nicht durch Ueberreizung geschwächtes Auffassungsvermögen, vielleicht fähig, empfangne Eindrücke einigermaßen frisch und verständlich wiederzugeben.

Dieß sind die Erklärungen, welche der Berichterstatter zu geben für nöthig hielt, um von vornherein die Summe der Anforderungen und dessen, was er seinen Lesern zu bieten vermag, offen und redlich festzustellen. Nun endlich zur „Schule der Reichen.“

Zuförderst: Dieß ist das erste Stück aus Gutzkow’s Feder, welches ich gesehen und gelesen. Der Zufall spielte es mir, wenige Tage vor der ersten Aufführung, als Manuscript gedruckt, in die Hände. Ein dunkles, passives Vertrauen ließ mich glauben, daß ein dramatisches Product, dem dieser in jüngster Zeit so unendlich besprochene Autorname voransteht, auch als bloße Lectüre, ohne von dem bunten Decorationsflimmer, der Lichtschminke und dem lauten Verkörperungswirrwarr der Bühne begleitet zu sein, wahrhaft edlen Genuß bieten müsse. Ich las, fand mich zwar bitter getäuscht aber das entsetzliche Schicksal dieser sogenannten „Schule der Reichen“, diesen Keulenschlag des allgemeinen Mißfallens, des theilweisen Auspfeifens, der sie hier so gewaltig zu Boden schmetterte, daß sie wohl [15] nimmer von ihm erstehen wird, ahnte ich nicht. Das Stück besticht als Lectüre durch keckes Zusammenwürfeln bald greller, bald sentimentaler Effecte, und der Leser ist, vielleicht wider Willen, gutmüthig genug, die klaffenden Lücken des vor ihm aufsteigenden windschiefen Baues der mangelnden Action zuzuschreiben, oder sie wohl gar mit Stoffen auszufüllen, welche bei der Darstellung nicht vorhanden sind, nicht vorhanden sein können. Man merkt es diesem unglückseligen Schauspiele bei jeder Scene an, wie kläglich mühsam der Autor die buntesten Bausteine herbeigeschleppt, um seiner dramatischen Fehlgeburt einen möglichst originellen Anstrich zu geben, wie er stirnreibend, martervoll, angstschwitzend gesessen, um die schillerndsten Farbentöne zu erfinden, das Auge zu blenden wenigstens, wenn er es nicht anzuziehen vermochte. Keine Spur von Einheit und gesunder dramatischer Entwickelung in den langen fünf Acten. Oft ist’s dem Zuschauer, als würden die Scenen auf mehreren, meilenweit von einander entfernten Bühnen gespielt, so verrenkt, so zerrissen, so barbarisch gefoltert ist das Ganze, im Aeussern wie im Innern. Die Figuren gehen nicht jenen edlen, stolzen Schritt echter Kunstgebilde; bald taumeln sie wie betrunken in unnatürlicher Hast und Hitze, bald schleichen sie schlotternd, zähneklappernd und doch jämmerlich sentimental, an uns vorüber, die wir, gleich ihnen, eisig kalt bleiben. Die Figuren in Gutzkow’s „Schule der Reichen“ sind keine Wesen der reichen, warmen, lebendigen Welt, das Leben genannt, fahle, gespensterartige Truggesellen sind sie, wie durch galvanischen Prozeß einige langweilende Augenblicke hindurch mit krampfhaftem Gliederzucken und Athemholen begabt, und mit dem jedesmaligen Stichworte wieder zurückfallend in das trostloseste Nichts, in die starrste Todeskälte. Nie kann sich bei dramatischen Arbeiten die Impotenz nackter und dürftiger gezeigt haben, als es hier geschehen: Wie krümmt und windet sich der Autor, origiell und pikant zu erscheinen, wie macht er so hitzig Jagd auf die verrücktesten Contraste, und mit seiner ganzen, bemitleidenswerthen Mühe erringt er nichts, als bald über die schwindelndsten Unwahrscheinlichkeiten und Widersprüche lachen zu machen, bald in die allergewöhnlichsten und abgenutztesten Theaterplattheiten zu verfallen – wohin die Grundidee des ganzen Schauspieles „daß der Reichthum allein nicht glücklich macht“ zu rechnen ist, denn bei der in seinen kritischen Arbeiten allgemein anerkannten Geistesschärfe und Geistesmündigkeit des Verfassers, ist doch wahrhaftig nicht zu vermuthen, daß er selbst der Meinung sein könne damit ein neues psychologisches oder philosophisches Problem aufgehellt und gelöst zu haben. Man erlasse mir die gründliche Analyse des Stückes. Es wäre ein bitter trauriges Geschäft, Glied nach Glied, Knochen nach Knochen, Muskel nach Muskel eine Leiche zu seciren, anatomisch zu erklären. Wenige Fragen nur möchte ich an den Autor richten. Wo in aller Welt war jenes tüchtige kritische Talent, als er diese „Schule der Reichen“ zimmerte? So wäre es denn auch in der Dramatik wieder grauenhaft wahr, daß das Auge, den Splitter in dem des Nachbars erkennend, den Balken im eigenen nicht bemerkt? Welches Urtheil würde Gutzkow einem Stücke gestellt haben, in welchem nur ein Bursche wie dieser Harry sein Wesen triebe? – Im Reichthum ein Amalgam von kindischer Ungezogenheit und verunglückter Hamlet-Äfferei, ein übermüthiger, hochfahrender Junge, weiter nichts, den der Autor platterdings als moralisches Ungeheuer betrachtet wissen will, den wir aber mit dem besten Willen nicht hassen, nicht einmal verachten können, aus dem einfachen Grunde, weil er uns durchaus gleichgültig läßt, er, wie seine Spießgesellen. In der Armuth zuerst weinerlich klagend, wie ein Kind, dem man sein Spielzeug entrissen, dann fluchend der Welt und den Menschen in gewaltigem Pathos, dann zum gemeinen Diebes-[16]hehler herabsinkend, und am Schlusse endlich, nach einer mindestens wunderlichen Metamorphose, seinem alten braven Vater, zur moralischen Stärkung des Publikums wahrscheinlich, mit klotziger Unverschämtheit die Leviten lesend! Welch ein Glück übrigens, daß Herr Gutzkow die Londoner armen Leute aus dem 17. Jahrhundert ihre Kinder gegen Mitternacht begraben läßt. Etwas unwahrscheinlich ist das freilich, aber was verdiente wohl Sir Harry, der dem Lord Pickington die Leiter hält, damit dieser ungestört bei dem Wucherer Ephraim einbrechen kann, käme der Leichenzug des todt gerittenen Knaben nicht gerade daher? „Den Galgen!“ meine ich, wenn der alte Satz wahr bleiben soll, daß der Hehler auf einer Stufe mit dem Stehler, welcher letztere freilich ebenfalls, nach Hrn. Gutzkow’s Criminal-Gesetzbüchern, noch zur Stunde ungehängt umherläuft. Aber, da kommt mir endlich, wie aus den Wolken fallend, der Ariadnefaden in die Hände, mich diesem Diebstahlslabyrinthe zu entwinden. Der Wucherer Ephraim ist ja ein Jude. Was braucht’s da der dramatischen Gerechtigkeit oder gar der Jury? Doch bei Seite mit dem unzeitigen Scherze. Fragen wir vielmehr in bitterm Ernste, was eigentlich der Autor mit diesem Ephraim gewollt? – Denkt er, auch mit dieser Figur eine neue, pikante, geniale hingestellt zu haben? Ach, die Tubals-Physiognomien sind uns doch wahrlich bis zum Ueberdruß bekannt. In unzähligen, sich immer täuschend ähnelnden Exemplaren wurden sie aufgelegt; auch sieht man ganz deutlich, daß Herrn Gutzkow keine geringe Zahl dramatisirter Wucherjuden zur Copie vorgeschwebt, aber er vermochte nicht, dem seinigen etwas Anderes mitzugeben, als forcirten, erbärmlich hinkenden jüdischen Witz und stereotype jüdische Geldgier. So stände es denn fest, wie das Gewölbe des Himmels, daß es keine christlichen Prozentseelen, keine lutherischen oder römisch-katholischen Dukatenbeschneider, keine Wucherer nach anglikanischem Ritus auf den Brettern geben darf, so lange diese die Welt bedeuten! Selbst ein Gutzkow wagte nicht, sich da eine neue Bahn zu brechen.

[22] Auch an Sir Thompson, die einzige Figur im Stücke, welche zuweilen bei dem Zuschauer eine Art von Interesse erweckt, und für die der wackere Lenz wahrlich Alles gethan, was die Kräfte eines Künstlers vermochten, auch an Sir Thompson möchte ich eine Frage richten:

„Was hättest Du zur moralischen Besserung Deiner Familie gethan, alter Mann, wäre diese, nach Deinen in der That rührenden und auch den Zuschauer ergreifenden Vorstellungen, nicht auf den Ball beim Herzog von Devonshire gegangen? Wie, Du konntest es mit ansehen, daß Dein entarteter Junge armen Leuten, deren theuerstes Lebensgut er zerstört hatte, schnödes Geld und grobe Worte als Entschädigung hinwirft, daß er fürchtet, „sich die feinen pariser Handschuh zu beschmutzen,“ wenn er ihnen die Hand zum dankbaren Druck überließe, und Du hattest in diesem empörenden Momente nicht Entrüstung und Zorn genug zu dem energischen Entschlusse, Dich vor der Welt zu entehren, die sittlich-zerrütteten Deinen durch eine ungeheure That zurückzureißen von dem Abgrunde, an dessen Rand sie bereits taumeln? Ich dächte doch, in dem Momente gerade hätte sich die heilige Vaterpflicht, den Sohn und die Gattin zu bessern, in Dir aufbäumen müssen gegen jede andere Rücksicht, ich dächte, Du durftest den wenige Augenblicke später in Dir reifenden Entschluß nicht abhängig sein lassen von einer Handlung, die als solche (wenn auch in Betreff des eben passirten traurigen Vorfalles, nicht ganz harmlos,) doch gerade kein Verbrechen gleich der eben angedeuteten Fühllosigkeit und Roheit der Deinen, und als dramatisches Motif zu schwankend, zu unbestimmt, zu zweifelhaft, nicht ausreichend, nicht gewichtig genug ist, da keine nothwendige Folgelinie vorhanden, daß sie eintreten mußte. Ich frage daher wieder: was hättest Du getan, Sir Thompson, wäre Deine liebenswürdige Familie, Deinen ernsten Bitten nachgebend, nicht auf den Ball beim Herzog von Devonshire gegangen?“ Wahrscheinlich, ohne einen neuen Gewaltcoup des Autors, würde dann das [23] Stück mit der sechsten Scene des zweiten Actes zu Ende gewesen sein. Schade, schade, daß es nicht so gekommen. Die Pfeifer und Zischer der letzten Acte würden mindere Mühe und der Verfasser selbst minderen Aerger gehabt haben. – Da ich mich einmal so tief in die Einzelheiten des Stückes gebohrt, so muß ich doch noch im Vorübergehen bemerken, daß uns Herr Gutzkow nimmer glauben machen wird, ein so geckenhafter, kleiderprächtiger Vollbluts-Dandy, wie Sir Harry, der in der „Kron- und Anker-Taverne“ dem Kellner, der ihm ein Glas Wasser bringt, die Hände beriecht, könne mit blutbeschmutztem Seiden-Wammse zum Ball beim Herzog von Devonshire gehen. Nun hatte sich zwar Herr Hendrichs, der sich und das Publikum aus Leibeskräften mit dem Harry abmarterte, schönstens gehütet, seine saubere Garderobe mit dem vorgeschriebenen Kindesblute zu bespritzen, aber Sir Thompson sagt: „Sieh’ mal, Harry, da ist noch das Blut an Deinen Kleidern,“ und die Illusion des Zuschauers hat diesen unästhetischen Anblick, wenn auch sein Auge nicht. Herrliche, neue Ingredienzien hat übrigens der Autor gemischt zu seinen verfehlten Effecten, das muß ihm der gelbe Neid selber lassen! Man denke nur an das rührende, pechschwarz-costumierte Wiederaufleben des Biedermannes Fielding (bei dessen Erscheinen es jedesmal zweifelhaft blieb, ob der Autor oder der Schauspieler, Herr Schäfer, sich am lächerlichsten zu machen wünschte), an die behos’ten französischen Tänzerinnen, an die Schneiderwitze, an das Scheibenschießen und an die Balgerei nebst imrovisirter Barrikade im ersten Acte, an das fast poetische Eierkuchenbacken im vierten, an die hohlstimmigen Leichenträger und dito Nachtwächter in dritten. Der Dialog der letzteren ist zu pikant und dunkel-geistreich, als daß ich ihn nicht, da das Buch gerade vor mir liegt, zum Genuß der Leser, welche der denkwürdigen Vorstellung beizuwohnen verhindert waren, anführen möchte: [Es folgt der Dialog der beiden Nachtwächter: Dritter Aufzug, siebte Szene, S. 49 dieser Ausgabe.]

Was sind Shakspeare’s Todtengräber im Hamlet gegen diese Gutzkow’schen Nachtwächter?! – Doch genug endlich, und wahrlich, ich würde bereits zu viel geschrieben haben, hätte es sich nicht um ein neues Product dieses Autors, den bereits vielfach als Regenerator der deutschen Bühne ausgeschrieenen, gehandelt. Beistimmen freilich muß ich dem Ausspruche des witzigen Theaterkritikers der „Hamburger Neuen Zeitung“ [4.2.2.1.4.] wenn er sagt: „Die Schule der Reichen habe ein besseres Schicksal, als das ihr gewordene, verdient, das nämlich – gar nicht aufgeführt zu werden.“ Da diese Aufführung indessen einmal Statt gefunden, so gehörte das Stück der Kritik an; da es seit Monaten in einer Unzahl von Blättern zum Voraus angezeigt, brav gelobt, und als von vielen Bühnen angenommen, bezeichnet war, so hielt ich es für die Pflicht eines freilich nur schwachbegabten, aber gewissenhaften Berichterstatters, in einem solchen, bei der eigenthümlichen Stellung des Verfassers, ganz Deutschland interessirenden Falle, der ohne Zweifel vertuschende, ja trügende Federn finden wird, ohne Scheu und feige Rücksicht der Wahrheit allein die Ehre zu geben.

5.2.2.1.5. Der Gesellschafter, 6. November 1841#

[Anon.:] Theater Unruhen. In: Der Gesellschafter. Berlin. 180. Blatt, 6. November 1841, S. 892. (Rasch 15/4.41.11.06.1)

Jenes [Hamburger] Stadttheater brachte zum ersten Mal: „Die Schule der Reichen“, von Karl Gutzkow. Das beliebte Lenz’sche Ehepaar hatte dies Drama zu seinem Benefiz gewählt und, so lange es möglich war, vortrefflich gespielt, weshalb man es nach dem zweiten Akt rief. Gegen das Stück will man aber schon früher Andeutungen von Partei-Kampf bemerkt haben. Vom dritten Akt an wurde er lauter und tobender, so daß weder die Darstellung noch das Stück selbst zu beurtheilen ist, weil alle Haltung verloren ging. Der Stoff gehört dem „Tagebuch eines englischen Arztes“ (auch bei uns durch Uebersetzung bekannt) und wir wollen ihn hier nicht offener darlegen, um dem Stück für andere Bühnen, wo es zur Aufführung kommt, nicht das Interesse bei der Menge zu nehmen, die sich ja zumeist an die Begebenheiten hält. Wir gestehen jedoch, daß der Stoff uns für ein Drama sehr geeignet scheint, und zu dem Gebiet gehört, dessen Beherrschung wir Gutzkow wohl zutrauen dürfen. Da wir nun auch von Einigen, die, nach ihrer Behauptung, das Stück selbst kennen lernten, Günstiges darüber hörten, mögen wohl Lokal-Umstände in Hamburg mitgewirkt haben zu der Aufregung. Dies ist um so wahrscheinlicher, weil in der benutzten Begebenheit allerdings Anlaß genug ist, den Kaufmanns-Stolz heraus zu fordern. [...] Im Glauben an sein Talent ist’s uns unmöglich, vorweg anzunehmen, Gutzkow habe jenen Stoff so behandelt, daß die vorgefallene Theater-Aufregung erklärlich sey, und wir müssen sie [...] einstweilen mit Lokal-Umständen Hamburgs im Zusammenhange denken.

5.2.2.1.6. Johann Wilhelm Christern, 11. November 1841#

[Johann Wilhelm] Christern: Gutzkow’s Schule der Reichen. In: Der Pilot. Altona. Nr. 90, 11. November 1841, S. 718-719. (Rasch 15/4.41.11.11)

Gutzkow’s Schauspiel „die Schule der Reichen“ ist den 25. Oct. auf dem hiesigen Stadt-Theater gegeben worden. Vielleicht ist noch nie ein Dichter dem Publicum schärfer und bestimmter gegenüber getreten, als es diesmal in dem obigen Stücke geschehen ist. Sehen wir erstlich auf die Intention, so ist diese eben so neu als gewaltig, durchaus nobel und ehrenwerth, auch aus dem Gesichtspunkte der Humanität betrachtet. Gutzkow’s Schauspiel ist im eigentlichen Sinne ein Lehr-Drama, dessen Tendenz ist: Arbeit ist eine Schule sowohl für den Reichen wie für den Armen, oder wie es nach dem alten Epigramme heißt: Ora et labora! Um diese Worte in ihrer tiefen und wahren Bedeutung zu zeigen, hat der Dichter den Stand eines Kaufherrn, als des eigentlichen Symbol’s des Erwerbes und Reichthumes, gewählt, um daraus Wirkungen und Folgen zu entwickeln, und die Palingenesie des Menschen zu verherrlichen. Zu diesem Zweck hat das Stück zwei Theile oder Seiten, eine erste positive, wo die jüngeren und älteren Kinder des Kaufherrn als künftiges Geschlecht in ihren ganzen frechen Muthwillen, ihrer schwelgerischen Ausgelassenheit in verschiedenen Situationen auftreten, und eine negative, wo die Bequemlichkeit des Erworbenen zu wahrem, vernünftigen Lebensplan in aller Häuslichkeit und natürlichen Liebenswürdigkeit geschildert, wo besonders der Land- und Gartenbebauer im zarten Natur- und Lebensverhältniß hingestellt wird. Muß man eines Theils bewundern, wie [719] der Dichter, abgeschieden von dem bunten Verkehr der Welt, in bunten Bildern auf seiner einsamen Studirstube träumend, so viele Bemerkungen zur Satire, zum Spiegel hat einsammeln können, so drängt andern Theils die Masse, wenigstens bei der Vorstellung, so auf uns ein, daß die eine Pointe beim Hinzueilen der andern, und so fort ohne Unterlaß, verloren geht oder doch unterdrückt wird, so daß Jeder kaum wahrnimmt, wo für ihn gerade die rechte Geißel, der strafende schwarze Punkt sei. Ich meine, Gutzkow hätte mit diesen witzigen Einfällen, mit diesen Sottisen gut und gerne zwei Dramen gleichen Charakters ausrüsten können; aber ihn deshalb tadeln, weil er des Gutzen zu viel gethan, das kann man nicht. Besonders spricht uns der reiche und gemüthliche Sinnenwechsel an, das bunte mannigfaltige Leben, welches die Dichtung durchzieht. –

5.2.2.1.7. Eduard Meyen, 13. November 1841#

E[duard] M[eyen]: Feuilleton. In: Athenäum. Berlin. Nr. 45, 13. November 1841, S. 717. (Rasch 15/4.41.11.13.1)

Die Theaterkritik des Publikums ist in jüngster Zeit sehr lebendig gewesen. In Wien ist das vom Direktor Carl sowie von Saphir und Bäuerle gekrönte Preislustspiel, welches eine Nichte des Herrn Carl zur Verfasserin hatte, sammt den Preisrichtern ausgepocht, und in Hamburg ist Gutzkows Schule der Reichen nicht ausgepocht, sondern ausgelacht worden. Wir haben es bisher verschmäht, auf dies letztere Faktum hinzuweisen, weil wir erst authentische Nachrichten erwarteten, und jeden Schein der Parteilichkeit vermeiden wollten. Mancher unsrer Freunde hat uns wohl augenblicklich gezürnt um die strenge Kritik, welche wir gegen Gutzkows Stücke ausübten, indem sie wohl gar glaubten, der Fortschritt des modernen Geistes werde durch unsre Polemik beeinträchtigt. Aber wir konnten ihnen nicht nachgeben, weil wir uns der Richtigkeit unsers Urtheils zu deutlich bewußt waren, und wir mußten um so strenger gegen Gutzkow sein, weil wir es mit einem kritischen Kopfe zu thun hatten, der im Stande ist, einzusehn, was er gefehlt, und was wir wollen. Nun hat er es im größten Maßstabe erfahren, daß dieses Hingeben an eine gemachte, weichliche Sentimentalität nicht Gefühl, dieses Suchen nach Effekt nicht wahrhafter dramatischer Verstand ist. Ausgelacht zu werden ist das Fürchterlichste, was einem Schriftsteller wie Gutzkow begegnen kann. Möge er nun in sich gehen, und durch Kritik sich von der Krankheit seines Dichtens befreien, und möge er auch vor Allem die Ueberzeugung gewinnen, daß ein momentaner, auf zufällige Sympathien und auf Koteriefreundschaft gebauter Beifall nicht der wahre ist, und das Urtheil des einfach und gerade empfindenden Publikums eine durchaus richtige Entscheidung abgiebt, welche mit den Resultaten der freien und durchgebildeten Kritik nothwendig übereinstimmen muß.

 5.2.2.1.8. Wiener Zuschauer, 15. November 1841#

[Anon. aus Hamburg:] Gutzkows Schule der Reichen. In: Wiener Zuschauer. Nr. 137, 15. November 1841, S. 1369. (Rasch 15/4.41.11.15.2)

Bei der Beurtheilung dieses Schauspiels, welches das Schicksal aller hervorragenden Erscheinungen theilt: Uneingeschränktes Lob von der einen, maßlosen Tadel von der andern Seite – spricht ein Hamburger Referent unter anderm: „Am 26. d. v. M. [recte: am 25.] wurde im Stadttheater zu Hamburg „die Schule der Reichen“ zum ersten Male aufgeführt. Wir gehören keineswegs zu den blinden Verehrern dieses Schriftstellers; ohne jedoch gegen seine Mängel blind zu seyn, und trotz der nicht günstigen Aufnahme dieses Stückes, erblicken wir im Verfasser des „Werner“ einen Geist, der sich durch den Verfall der deutschen Bühne einen Schacht bricht, aus dessen Tiefe er des schweren Erzes mehr und mehr löst, und endlich nur schlackenfreie edle Metalle graben wird. Die Schule der Reichen hat sich hier keines allgemeinen Beifalls zu erfreuen gehabt, das Publikum hat sich im Gegentheil gegen dieses neue Produkt des deutschen Dramatikers ausgesprochen. Was uns betrifft, müssen wir bei dieser ersten fehlgeschlagenen Vorstellung ein nicht unbedeutendes Gewicht auf eine gewisse literarische Koterie legen, die ihre Agenten selbst im Rechnungskomptoir der Handelsstädte hält und mit leichter Mühe beim Publikum in Sachen des Geschmacks bestätigte Akkreditive zu erhalten weiß. Auch bei uns agiren diese Antiliteraten, oder besser, sie intriguiren gegen jeden Hochstehenden, jedes Emporstreben. Sie sind die eigentlichen Clacqueurs, aber, um sich ihres Beifalls zu versichern, handelt es sich nicht um Tugend und Recht, sondern um Theilnahme an ihrer sittlichen Zerfahrenheit, um Fröhnung ihrer egoistischen Tendenzen, und um, wenn auch nur erheuchelte Verehrung ihrer Talente. Gutzkow hat sich viele Feinde unter Leuten dieses Schlags gemacht; sie haben es ihm nicht vergeben, daß er sich seit Jahren in der großen Stadt isolirt gehalten, seinen Studien emsig obliegend, und ihr Treiben um sich mit Geringschätzung überblickend. Die Pfeile waren längst gespitzt, und da die Gelegenheit günstig, konnten sie den Bogen desto schraffer spannen.“

5.2.2.1.9. Sächsische Vaterlands-Blätter, 16. November 1841#

[Anon.:] Von Gutzkow, dem Red. des Telegraphen ... In: Sächsische Vaterlands-Blätter. Dresden u. Leipzig. Nr. 168, 16. November 1841, S. 700. (Rasch 15/4.41.11.16N)

Von Gutzkow, dem Red. des Telegraphen, der sich selbst zum ersten dramatischen Dichter Deutschlands erhob, ist in Hamburg ein neues Stück: „Die Schule der Reichen,“ total durchgefallen, was hoffentlich seinen Uebermuth etwas kühlt. Wir freuen uns über dieses Ereigniß, weil Gutzkow seinen schlechten Producten einen Nimbus dadurch zu geben trachtet, daß er ausbreitet, er wolle Gott weiß welche tiefen Mängel unserer Zeit aufdecken und heilen, während er nur ganz auf der Oberfläche derselben schwimmt und mit ihren Gebrechen auf Theatereffecte speculirt, ohne durch Gesinnung und Kraft die Versöhnung und Heilung jemals anzudeuten. 

5.2.2.1.10. Morgenblatt für gebildete Leser, 18.-21. Dezember 1841#

[Anon.:] Korrespondenz-Nachrichten. Hamburg. November. In: Morgenblatt für gebildete Leser. Stuttgart u. Tübingen. Nr. 302, 18. Dezember 1841, S. 1208; Nr. 303, 20. Dezember 1841, S. 1212; Nr. 304, 21. Dezember 1841, S. 1215-1216. (Rasch 15/4.41.12.18.2)

[1208] [...] Wohl nur selten hat ein talentvoller Schriftsteller einen so entschiedenen Durchfall erlebt, wie Gutzkow mit seinem letzten Stück: „Die Schule der Reichen.“ Außer dem „Tscherkessischen Paare“ [Das circassische Paar, Tragödie in fünf Akten eines anonymen Verfassers (= Johann Christian Friedrich Piper), aufgeführt am Hamburger Stadttheater 27. Oktober 1840] wüßte ich kein Drama, das von Seiten des Publikums mit so entschiedener Ungunst aufgenommen worden wäre. Dieß mußte um so mehr überraschen, da zwei beliebte Mitglieder der hiesigen Bühne es zu ihrem Benefiz ausersehen hatten; auch wurden sie, selbst nachdem das Stück durchgefallen war, gerufen. Es ist wohl nicht zu bezweifeln, daß Haß, Schadenfreude und Rachsucht mit dazu beitrugen, wenn dieses Drama auf so auffallende Weise verunglückte. Gutzkow hat sich durch sehr strenge Kritiken, namentlich in der lezten Zeit über die dramatischen Produktionen Anderer, sehr viele Feinde gemacht und diese Feindschaft trägt jezt ihre Frucht. Dann haben ihm auch einige allzu enthusiastische Freunde – denn solche besizt er – durch das seinen ersten dramatischen Versuchen gespendete übertriebene Lob geschadet, indem sie die Erwartungen allzu hoch steigerten.

[1212] Aeußerte doch ein Freund Gutzkows, noch bevor der jezt bereits vergessene „Richard Savage“ aufgeführt worden war, gegen mich: „Gutzkow werde durch dieses Stück sich den Besten, einem Shakespeare und Goethe, gleich stellen,“ und als ich einige bescheidene Zweifel zu äußern wagte, wurde es sehr übel vermerkt. Auf solche Weise wird man auch zu Andern geredet haben, die dadurch berechtigt wurden, das Außerordentlichste zu erwarten, und, als es ihnen nicht geboten wurde, das Kind mit dem Bade ausschütteten. Ein Dichterwert [...] muß in der Brust des Dichters eben so still und verborgen keimen, wie die Blume im Schooße der Erde; man wühle den Keim an’s Licht, und er verdorrt. Wäre Gutzkow ganz unerwartet, unbesprochen und zuvor unbelobt, wäre er bescheiden und anspruchslos mit seinen Schöpfungen hervorgetreten, so würden sie sich gewiß eines günstigern Erfolgs zu erfreuen gehabt haben. – Bevor ich weiter gehe, will ich eine Analyse des durchgefallenen Stücks, wie sie in den hiesigen „Nachrichten“ steht und von Vielen Gutzkow selbst, oder doch einem seiner Freunde zugeschrieben wird, in Abschrift mittheilen, und hoffe dadurch dem Leser nicht lästig zu fallen, da es ihm interessant seyn muß, den Inhalt eines Stückes kennen zu lernen, das, von einem so viel besprochenen Schriftsteller herrührend, in solchem Grade das allgemeine Mißfallen erregte.

[Es folgt die Analyse (5.2.)]

[1216] [...] Daß man es bei dieser „Schule der Reichen“ mit keiner neuen, großartigen Conception zu thun habe; daß das Drama keine frischen Ideen aufstellt und der Stoff sich weit besser zu einer moralischen Erzählung für die Jugend, als für ein Schauspiel eignet; daß die Unwahrscheinlichkeiten sehr groß sind, und der Dichter es selbst nicht verschmäht hat, nach Knallefekten zu haschen, liegt, wie mich dünkt, vor Augen. Allein trotz dem ist mir die auffallende Ungunst, die das Drama erfahren, kaum begreiflich, zumal von Seiten eines Publikums, das sich oft zum Erstaunen viel gefallen läßt und sich durchaus nicht wählig zeigt. Man glaubte sich also berechtigt, an Gutzkow ganz besondere Anforderungen zu machen, und wurde unwillig, ja sogar ungerecht, als man sich in seiner Erwartung getäuscht sah. Uebrigens ist damit, daß das Drama hier durchgefallen, das Schicksal desselben nicht entschieden. Hat doch Gutzkows „Patkul,“ der hier, wenn auch nicht entschieden mißfällig, doch sehr kalt aufgenommen wurde, in Berlin Glück gemacht und wird dort wahrscheinlich auf dem Repertoire bleiben, während es nach zwei oder drei Aufführungen von dem hiesigen verschwand. Gewiß ist es, daß man bei uns nicht, wie in Berlin, wagen dürfte, ein Drama von Sophokles auf die Bühne zu bringen.

5.2.2.1.11. Europa, Dezember 1841#

[Anon.:] Gutzkow’s neuestes Drama. In: Europa. Karlsruhe u. Baden. 1841, Bd. 4 [Dezember], S. 424-425. (Rasch 15/4.41.12.1)

Kaum erfuhr man, daß der Dichter des Savage ein neues Drama „Die Schule der Reichen“ an die Bühnen gesandt hatte, und schon haben zwei der bedeutendsten Bühnen des Vaterlandes dieses Stück zur Aufführung gebracht, und alle Blätter erzählen mit mehr oder minder Freude die Aufnahme, die es erfahren. Wahrlich der Dichter kann [425] sich Glück wünschen zu dieser Geschäftigkeit, vor Allem aber liefert dieß abermals den Beweis, daß seine Stücke den Bühnen wie dem Publikum von größerm Belang erscheinen, als Alles, was ihnen seit lange geboten wurde; denn nur dem Ungewöhnlichen ist es vorbehalten, in dieser Zeit sich rechter Feinde und tüchtiger Freunde zu rühmen. Die Schule der Reichen fiel in Hamburg durch, in Wien gefiel sie am ersten Abende theilweise, und erhielt sich bei spätern Aufführungen in scenischen Ehren. Leicht möglich, daß dieses Stück in anderen Städten noch recht beifällig aufgenommen wird. Die Geschmäcke sind einmal bei uns verschieden. Ein Fehlgriff war es offenbar, den Hamburger Börsenmatadoren, denen ihr Reichthum gar nicht lästig wird, zuzumuthen, in die Schule zu gehen, die ihnen ein deutscher Dichter eröffnet, der bekanntlich vom Reichthum keinen rechten Begriff haben kann. Die Opposition war geschaffen, ehe der Vorhang sich zum ersten Male gehoben hatte, und als nun einige grelle Lichter auf den Uebermuth reicher, junger Leute fielen, und eine vielleicht unzureichende Darstellung von komplizirten Scenen dazukam, so war der Lärm bei der Hand und störte das, was vielleicht im Stande gewesen wäre, die Gemüther poetisch zu versöhnen.Wenigstens stimmten die meisten Berichte von dorther darin überein, daß die Unterbrechungen von Seiten des Publikums kein Verständniß des Ganges der Handlung mehr zulassen wollten. Noch einmal sey es wiederholt, daß es von Gutzkow nicht klug war, sein Stück, das die Gefahren des Reichthums schildert, dort zuerst dem öffentlichen Urtheil preiszugeben, wo Jeder allein darnach strebt, reich zu werden. In Wien gefiel die erste Hälfte des Stückes sehr und nur das Ende trat gegen die glänzende Aufnahme dieser ersten Hälfte etwas zurück. Gespielt wurde hier trefflich, des Burg-Theaters würdig. Man rühmte die eigenthümlichen Schönheiten der Dichtung, pikante Situationen, originelle Karaktere und glänzende Gedanken. Wie manche Armuth wäre mit diesem Fiasco reichbeglückt? Was Gutzkow erfuhr, ist eine Chance, die bei einem ernsten Wollen für die Bühne wirksam zu seyn, früher oder später einmal eintreffen muß und wohl noch öfter eintreffen kann. Auch Werner, der jetzt überall so sehr gefällt, wurde in Hamburg bei der ersten Darstellung gezischt. Das ist die rechte Feuertaufe des Dramatikers. Wir sehen mit gespannter Erwartung den ferneren Aufführungen dieses Dramas und seiner Aufnahme an andern Orten entgegen. Ein solcher Sturz möchte jedenfalls stolzer machen, als eine mit Beifall aufgenommene Uebersetzung aus dem Französischen, selbst wenn nicht wie hier drei vorhergegangene Siege dem Dichter zu Theil geworden wären.

5.2.2.2. Wiener Aufführungen#
 5.2.2.2.1. Schlesinger, 28. Oktober 1841#

[Schlesin]ger: Theater-Salon. K. K. Hofburgtheater. Vorgestern zum ersten Male: „Die Schule der Reichen“. Schauspiel in fünf Aufzügen, von Karl Gutzkow. In: Der Humorist. Wien. Nr. 215, 28. Oktober 1841, S. 882-883. (Rasch 15/4.41.10.28)

Möchte man es meiner Aufrichtigkeit glauben, daß ich mit einem gewissen inneren Widerstreben, mit schwerem kritischen Herzen daran gehe, einem ausgezeichneten Kunstrichter wie Gutzkow, dem Verfasser des trefflichen Buches über Börne, der „öffentlichen Charaktere“ und anderer gediegener literarisch-kritischen Schriften, dem ruhmgekrönten Sieger über den kritischen Despoten – Menzel und einem der berufensten Kämpen der jüngsten literarischen Restaurations-Periode wenig des Lobes, viel des Tadels über dies sein jüngstes dramatisches Produkt sagen zu müssen. Indem ich also eingestehe, daß ich von der größten, überzeugendsten Achtung für Gutzkow’s kritisches Talent durchdrungen bin, daß selbst dieses Stück große einzelne, und noch mehr vereinzelte Schönheiten in sich schließt, so habe ich doch nicht „Pietät“ genug, ein in Bau, Tendenz, Moral und Charakteristik zum großen Theil verfehltes Werk eines jungen dramatischen Dichters, deswegen großartig und genial zu finden, weil dieser Dichter gleichzeitig ein mit Recht gefeierter Kritiker ist. Lessing hatte bekanntlich auch ein kleines kritisches Talentchen, und wenn die Fehler seiner dramatischen Dichtungen die Vorzüge seiner ewigen Kritiken waren, nämlich: Scharfsinn, Zerlegung und Durchdringung des tiefen, innersten Kerns, die größte Berechnung und Klügelei, so hatten doch auch diese Dichtungen ihre eigenthümliche, originelle Färbung und Richtung; jene Gutzkow’s aber – und Lessing ist unstreitig das kalte, verstandesdurchdrungene, raisonnementreiche Vorbild seiner dramatischen Produkte – lassen sich durchaus nicht in eine eigene Kathegorie rangiren, und tragen, abgesehen von ihrem modernen Zuschnitte, und einem gewissen frischen und kecken Anstriche, der aber auch mehr aus der Wesenheit der Sprache, als aus ihrer inneren, bedingten Nothwendigkeit entspringen mag – wenig des Selbstständigen, Originellen an sich. Wenn „Werner,“ eine den modernen Anforderungen und Bedürfnissen entsprechende, verschönerte und verbesserte Auflage der Dichtungen Iffland’schen Genres war, so ist diese „Schule der Reichen“ wieder ein theilweiser Versuch in Shakespeare’scher Manier mit einem Titelkupfer, welches eine schüchterne Perspektive in die moderne Gegenwart bietet. Auch Grabbe’s kecke und großartig skizzirte Anlage, Sheridans „Lästerschule“ und mit schwerem Herzen gestehen wir es, auch – Töpfer’s „reicher Mann“ lugt aus allen Ecken und Winkeln dieses Schauspiels hervor. – Die Handlung mit all ihren reichverzweigten Nebenhandlungen, tiefverwickelten Nebenerzählungen, welche allerdings wieder, wenn auch oft in erzwungener, gemachter Weise in das Hauptinteresse dea Ganzen eingreifen, wiederzugeben, würde den Raum, noch mehr aber die so kurze Zeit, welche uns zur Beurtheilung gegönnt ist, bei Weitem überschreiten, und wir halten uns daher nur an ihren Kern. Sir Walter Thompson, ein reicher Handelsherr in London, hat eine hochmüthige,durch seinen Reichthum dumm-stolz gewordene Frau und vier Kinder, welche von Klein bis Groß das ausgelassenste, tollste Leben führen. Die Kleinen werden uns vorgeführt, wie sie ihres Lehrers, die Großen, wie sie ihres Vaters, ihrer Mutter spotten. Die Tochter belustigt sich über das Jung- und Nobelthunwollen ihrer Mutter, der Bruder macht seine verletzenden Glossen über seine Schwester, die Braut über ihren Bräutigam, die Frau über ihren Mann, kurz es herrscht da eine vollkommene Anarchie an jeder mütterlichen, kindlichen – menschlichen Gesinnung und Empfindung. Der Vater geht durch fast ganze drei Akte, wie der griechische Chorus durch die Tragödie, und schreit und jammert und weint über den Hochmuth, die schlechte Gesittung und Herzlosigkeit seiner Frau und Kinder, und schreibt all diese Verkehrtheiten und Verderbtheiten seiner Familie – ihrem oder vielmehr seinem Reichthum zu. Die ganze löbliche Sippschaft hat beschlossen, einen herzoglichen Ball zu besuchen, der Gatte und Vater beschwöret sie in den rührendsten, ergreifendsten Worten, von dem zu lassen, sie spotten seiner und lassen den – armen, reichen Mann allein. Und nicht das sittenlose, verwilderte Wesen seiner Frau und Kinder, nicht der Umstand, daß sein Sohn unter dem verletzendsten Jubel erzählt, wie er ein Kind zusammengeritten habe, und wie er dies mit 2–300 Pfund bestens in Ordnung bringen will, nicht die eingewurzelte, zügellose Rohheit und Liederlichkeit seines Hauses spornt dieses schwachen Mannes viele Worte zur kräftigen That an, nicht die unheilbare, zur höchsten Höhe gediehene moralische Familien-Krankheit führt da die Krisis herbei, sondern der unter solchen Umständen höchst bedeutungsvolle und tragische Gegenstand, daß diese Familie nicht von einem – Ball lassen will!! Und worin besteht diese große Hilfe, das probate Heilmittel? Sir Walter gibt sein ungeheures Vermögen seinem Geschäftsfreunde, Sir David Fielding, aus Bristol, in Verwahrung, und alle Welt, selbst seine Familie ist der Meinung, er habe dieses durch unglückliche Spekulationen verloren, er sei bankerott! Nun tritt plötzlich die große, Ovidische Metamorphose ein. Der Geldmangel schmilzt das Eis von all diesen rohen Sitten und verderbten Herzen. Zurückgezogen von dem großen Palast in die dürftige Hütte, wird plötzlich Jedes zufrieden, anspruchslos, gemüthlich, wird in allen Herzen die Empfindung wach, die einen solch tiefen, unheimlichen Schlaf geschlafen. Die Tochter, verlassen von ihrem reichen Verlobten, hängt sich plötzlich mit aller Macht der Liebe an ihren alten aber armen Anbeter; die Mutter, voll des dünkelhaftesten, dümmsten Geldstolzes, sucht plötzlich ihren Stolz darin, einen guten – Pfannkuchen zu backen; der Sohn, dem es noch vor Kurzem einen „köstlichen Spaß“ gab, ein – Kind zusammengeritten zu haben, und der vor noch Kürzerem einen Diebstahl – wenn auch aus forcirt-edlen Motiven – unterstützte, wird plötzlich Gärtnergehilfe und über Alles und Alle zärtlich, edel und gemüthlich gesinnt. Und wie die Alten brummen, so thun die Jungen summen. Ja „Noth bricht Eisen!“ Und Worte, schöne, blühende, überzeugen-wollende Worte können Thaten nicht entschuldigen, können den jähen Wechsel solcher Gesinnungs- und Empfindungsweise unmöglich rechtfertigen. Die grellen, herzlosen und verletzenden Handlungen dieser Personen in der größern ersten Hälfte des Stückes haben zu tiefe Wurzeln in unserem bessern Inneren geschlagen, als daß sie schöngesprochene Entschuldigungen verwehen, geschweige herausreißen könnten. Es ist das größte Unglück im dramatischen Leben, wie im wirklichen, wenn man den Glauben an einen Menschen aufgegeben, und an diese Mutter und an diesen Sohn, und an diese Tochter muß ihn jeder besserfühlende Mensch aufgeben. Ihre Reue läßt uns gleichgiltig, denn ihre Schuld war zu groß. Die Furcht eines Rückfalles liegt zu nahe, zu verderbenbringend nahe, und die Hoffnung auf Besserung zu sehr in zweifelhafter Ferne. Wir haben keine Theilnahme mehr für sie, und das „was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr,“ setzt sich nirgends so sehr fest in dem Gedanken und der Empfindung der Zuschauer, als da, wo es sich wie hier um Mangel an – Herz und sittlichem Gefühl handelt. Und warum „Schule der Reichen?“ Haben gerade die Reichen solche an Herz und Geist verwahrloste Kinder, und ist das Geld das Urübel all’ dieser Verkehrtheiten und Verderbtheiten? Diese sind die Folge eines schwachen, willenlosen Vaters, einer dummdreisten, albernen Mutter, es sind „die Folgen einer schlechten Erziehung,“ es sind krankhafte Zustände, traurige Verhältnisse der menschlichen Gesellschaft, wie sie gottlob im Leben, weder bei Reichen [883] noch bei den Armen häufig zu finden sind, es sind Abnormitäten, und ob diese zum Vorwurf eines dramatischen Werkes dienen dürfen, welches eine gewisse allgemeine Tendenz verfolgen will, die Beantwortung dieser Frage überlassen wir dem trefflichen Kritiker, Gutzkow.

Indem wir auf diese Weise, im Verlaufe der Inhaltsanzeige die Unzulänglichkeit und Unhaltbarkeit der Grundidee nach Kräften angedeutet, die Inkonsequenz der Charakteristik, den jähen, durch Worte, keineswegs aber durch die That motivirten Uebersprung der Gesinnungs- und Empfindungsweise der Hauptpersonen dargethan und nachgewiesen, wie darin das Urgebrechen liege, daß uns diese weder erwärmen noch erheben, noch auch unsere Theilnahme anregen, haben wir nur noch den Schluß der ganzen Geschichte hinzuzufügen, der darin besteht, daß Sir Walter, nachdem er sich von der Besserung seines Weibes und seiner Kinder überzeugt glaubt, seinen Sir Fielding anvertrauten, ungeheuern Reichthum wieder flott macht, daß Tochter und Sohn jene heimführen, welche sich in Zeiten der drückenden Armuth bewährt, – diese des Vaters Schreiber und jener des Gärtners Töchterlein, bei dem er in Dienste gestanden – daß sich die Mutter und Gattin einem idyllischen Still-Leben widmet, und daß Alles in beglückender Ruhe mit einem einstimmigen „Bete und arbeite!“ endet! – Daß das Schauspiel einzelne, talentdurchdrungene Vorzüge aufzuweisen hat, wozu wir vorzüglich die Klarheit, Bündigkeit, Einfachheit und gedankenfüllige Schönheit der Sprache rechnen, und den trefflichen, scharf ausgeprägten und konsequent gehaltenen Charakter des alten Thompson, das kann für ein Gutzkow’sches Werk unmöglich hinreichend sein, und daß er diese Unzulänglichkeit des Kernes seiner Richtung selbst empfunden, daß er sich und seine Zuschauer durch eine lärmende Außenseite gewissermaßen übertäuben wollte, kann eben so wenig in Abrede gestellt werden. Welch’ Toben und Lärmen und Drängen gleich im ersten Akte? Wie viele shakespeartende Figuren, die uns die Zeit der Handlung, die englische Sitten- und Volkskunde anschaulich machen sollen? Und dann dieses Aufgebot, dieser Nothruf an die bunt untereinandergewürfelten, alle Farben spielenden Charaktere und Situationen? Ein Hofmeister „Backel-Gerundium“ genannt, und ein Notar, die mit lateinischen, zwei Tänzerinnen, die mit radebrechenden französischen Floskeln herumwerfen; ein Jude, ein Puritaner, zwei Nachtwächter, ein Schneider, ein Weinhändler, ein Vagabund, ein Kellner, der durch ein Sprachrohr, welches in die Küche geht, „Beufsteaks,“ „Roastbeef“ u. s. w. bestellt, Gerichtsdiener, Ausrufer, die den heillosesten Lärm schlagen, Leichenträger, die das von dem jungen Thompson zusammengerittene Kind bringen, gerade in dem Augenblicke, wo dieser zu einem Diebstahl behilflich, um diese seine Schuld zu sühnen, und andere der gleichen auf die Spitze gestellte, echt französirende Effekt-Szenen und Charaktere, mögen unsere Bemerkung, daß der geistreiche Dichter es selbst am Besten empfunden, wie wenig Ausbeute dieses Schauspiel der edlern Anregung unserer Gedanken, und wie fast gar keine unserer – Empfindung bietet. – Die Darstellenden, die Herren Anschütz, Fichtner, Wilhelmi, Mad. Brede, die Dlles. Wildauer, Neumann u. s. w. thaten das Wirksamste und Bestmögliche für ihre größern Rollen, und selbst die kleinsten waren mitunter von bedeutenden Künstlern besetzt, welche sämmtlich sehr gewissenhaft, und mit einer gewissen Pietät für ihren Verfasser, gespielt wurden. Und war auch der Gesammterfolg kein erfreulicher und nachwirkender, so gebührt doch der unermüdeten Direktion der wärmste Dank für die Aufführung solcher Stücke, die uns au niveau der merkwürdigsten Erscheinungen in der dramatischen Literatur setzen.

 5.2.2.2.2. Hermann Meynert, 28. Oktober 1841#

[Hermann] Meynert: K. K. Hoftheater nächst der Burg. Vorgestern, den 26. October, zum ersten Male: „Die Schule der Reichen,“ Schauspiel in fünf Aufzügen, von Karl Gutzkow. In: Allgemeine Theaterzeitung. Wien. Nr. 258, 28. Oktober 1841, S. 1133-1135. (Rasch 15/4.41.10.28.2N)

Walter Thompson, aus dem Schose der bittersten Armuth hervorgegangen und auch später noch lange mit Sorgen und Entbehrungen kämpfend, hat endlich durch Fleiß und Glück sich zu einem der reichsten Handelsherren in London aufgeschwungen. Aber ihm wird nicht wohl bei seinem Reichthume, da mit demselben Alles, was ihn umgibt, eine gleisende, fremdartige Gestalt annimmt, durch die ihm sein Haus, ja sein Selbst unheimisch wird. Seine Frau, ehedem einfach, wahr und wirthschaftlich, gefällt sich in Uiberladung, Prunksucht und Vornehmthuerei, sie stolzirt ungelenk und eitel in einer Sphäre einher, in welcher sie sich nicht zu bewegen weis, und der sie nur mit ihren Manieren und Diamanten, nicht mit ihrem Wesen angehört. Sein Sohn Harry, vom Uibermuthe des Reichthums befangen, begräbt sich in wüsten Zerstreuungen und glänzenden Tollheiten, die ihn zwar nicht befriedigen, aber Gefühl und Sitte in ihm abstumpfen und ihn näher und näher dem Ziele eines vollendeten Taugenichts zuführen. Selbst in seinen kleineren Söhnen wird, da sie, vermöge des väterlichen Reichthums, durch keine Bedürfnisse mit der übrigen Welt zusammenhängen, Fleiß und Streben frühzeitig ertödtet; Hoffahrt und Verweichlichung nehmen von den jugendlichen Herzen Besitz. Thompson sieht schmerzlich, aber unentschlossen, dieses Treiben lange mit an; bisweilen spricht er zwar ein ernstes Wort; aber er hat durch ungebührlich lange Nachsicht dies unwirksam gemacht. Ein verzweifeltes Mittel soll ihm zu Hilfe kommen. Mit einem Jugend- und Geschäftsfreunde, Davy Fielding in Bristol, schließt er einen Scheinvertrag, nach welchem er ihm, angeblich zu einer gemeinsamen Unternehmung, den größten Theil seines Vermögens abtritt. Dann sprengt er aus, die Unternehmung sey verunglückt, Fielding sey dabei reich, er arm geworden; die Gläubiger überlaufen sein Haus, er wird seinen Verbindlichkeiten gerecht, aber es bleibt ihm, wie er sagt, nur wenig übrig, um nothdürftig mit seiner Familie zu leben. [...] Die gewaltsamste Krisis bringt sie [Thompsons Parforcekur] bei seinem Sohne Harry hervor. Schon vorher hatte Harrys besseres Selbst bisweilen scheu und bittend die Hände hervorgestreckt, ohne in dem Wuste von Verblendung und wilder Vergnügungswuth bemerkt und gehört zu werden. Jetzt, da der bethörende Schimmer des Reichthums plötzlich von ihm gefallen, da seine eigennützigen Freunde, seine vornehme Braut sich treulos von ihm wenden [...] und Alles ihm zeigt, daß er Nichts mehr ist, weil er Nichts mehr hat; jetzt gewinnt er sich selbst wieder, und der fremden, unzuverlässigen Stützen beraubt, wurzelt er wieder in sein eigenes, dauerndes Gefühl sich ein. Sein Gewissen muß zuerst erwachen. Er hat erst vor kurzem bei einer seiner wilden Cavalcaden ein armes Kind überritten und verletzt. Durch Geld meinte er [...] den Vorfall abmachen und hinwegtilgen zu können; nun erfährt er, daß dieses Geld obendrein von einem seiner treulosen Freunde unterschlagen wurde. Da bricht die Ohnmacht der ungewöhnten Armuth drückend über ihn herein; schon ist er, da keine andere Aussicht sich ihm aufthun will, auf dem Punkte, gemeinschaftliche Sache mit einem Diebe zu machen [...], nur um hundert Pfund für das [...] Kind zu gewinnen; da begegnet ihm der Leichenzug des Kindes, das seines Geldes schon nicht mehr bedarf, und er eilt von dem Schauplatze des Verbrechens hinweg, um dem Leichenzuge des Kindes zu folgen, und auf dessen Grabe zu beten. – Auf sanfterem Wege sieht Thompson die Genesung der übrigen Mitglieder seiner Familie vorwärtsschreiten. Seine Frau [...] findet sich nach und nach in ihrem ursprünglichen, thörig aufgegebenen Berufe wieder zurecht, sie wird wieder eine thätige und sorgsame Hausfrau, und weiter kann sie, bei ihrer großen Mittelmäßigkeit, auch Nichts werden. Seine Tochter Eliza, die dem Treiben der großen Welt von jeher nur insoweit hold war, als es ihrer Munterkeit und ihrem Witze einen Spielraum gewährte, und die sich dagegen auflehnte, sobald es ihr Gefühl beengen wollte, steigt noch ungezwungener in die niederen Lebenskreise herab, und selbst seine beiden wilden Knaben befreunden sich schnell mit der Natur, und knüpfen ihre Spiele, die vorher unwahr und trotzig aus dem kindlichen Kreise herausstrebten, an jene an. Auch Harry sucht angstvoll sich an die bisher von ihm verkannte und aufgegebene Natur anzuschließen; den Anfang dazu macht er freilich auf ziemlich materiellem Wege, indem er sich als eine Art Gesell oder überzähliger Gehilfe zu einem braven Gärtner, Namen Nichols, verdingt; dort gräbt er mit vielem Eifer und wenig Erfolg in der Erde und führt mit ungelehriger Hand den Spaten. Je nun, er wußte bisher so wenig von der Natur, daß er nicht einmal die Wege kennt, auf denen ihr beizukommen, und meint, daß, wenn man ein tiefes, schwarzes Loch in die Erde gräbt und da lange hineinsieht, die Natur auch da von selbst zu Einem heraufsteigen müsse. – So geht in Thompsons Hause, obschon er für den Augenblick von Harrys Aufenthalt keine Kenntniß hat, Alles nach seinem Wunsche. Da droht dem fingirten, ein wirklicher schrecklicher Verlust auf dem Fuße zu folgen. Fielding in Bristol, dem Thompson sein ganzes Gut und Geld auf Treue und Glauben anvertraute, und welcher der schweren Bürde gern wieder los und ledig gewesen wäre, wird von derselben beinahe buchstäblich erdrückt. Er erkrankt an der Unruhe und den Sorgen, die ihm der anvertraute Reichthum auflastete, und stirbt plötzlich. Zwar hat er vorher ein Testament abgefaßt und in demselben, Thompson zum Erben seiner ganzen Habe eingesetzt. Doch ein schlauer Notar, der sich um Fieldings Verwandte verdient machen und zugleich an ihnen bereichern will, droht mit dem Einwurfe hervorzutreten, daß Fielding – den allerdings jene Sorgen ganz seltsam zerstört und umgewendet hatten – in den letzten Tagen seines Lebens nicht im vollen Nießbrauche seiner Sinne und Verstandeskräfte gewesen, und daß demzufolge das zu Thompsons Gunsten niedergelegte Testament ohne Rechtsgiltigkeit sey, vielmehr Fieldings Vermögen nothwendig seinen Verwandten zufallen müsse. Das ist nun kein kleiner Schlag für den guten Thompson; denn wie sehr ihm auch die Wirkungen seines Reichthums zuwider waren, so hat er doch sein Geld selbst erstaunlich lieb, und gerade am liebsten, als er in die Gefahr kommt, es wirklich zu verlieren. Zum Unglück hat er sich von Fielding zwar eine eigenhändige Verschreibung ausstellen, aber, um das Geheimniß ja keinem Dritten mittheilen zu dürfen, derselben nicht einmal die gerichtliche Beglaubigung ertheilen lassen. Seine Verschreibung kann daher, wenn es zum Aeußersten kommt, sehr leicht als untergeschoben angefochten werden. Hier kann man nun allerdings seine Verwunderung billig nicht unterdrücken, wie ein alter Londoner Handelsherr, der durch seine Kenntniß der Dinge und seinen Geschäftsact sich Millionen erworben hat, hier, wo es sich um nicht weniger, als alles zeitliche Gut handelt, die juridische Form so ganz und gar zu vernachlässigen und auf Leben und Sterben in völlig unkaufmännischer Leichtfertigkeit so übel Rücksicht nehmen konnte. Indeß, man muß gegen Dichtungen nicht zu advocatisch verfahren; wollte man ihnen nicht einige Freiheit gönnen und zu kleinen Verstößen gegen sociale und geschäftliche Formen nicht ein Auge zudrücken, so würde der Dunstkreis des gewöhnlichen Lebensschlendrians namentlich auf die Bühne zu beklemmend niederdrücken, und kaum auf irgend eine Weise zu lichten und zu sublimiren seyn. Genug, daß im Ganzen, Thompsons Verfahren, wenn auch nicht juridisch, doch menschlich und moralisch gerechtfertigt wird. Jene Verwandten Fieldings, denen, ohne ihr Wissen und Zuthun, der listige Notar die Erbschaft zuprocessiren will, sind Niemand anders, als der brave Gärtner Nichols und dessen Tochter Jenny, in deren still begnüglichem Kreise Harry eben es sich so wohl seyn läßt. Als der ehrliche Nichols durch den Notar die Nachricht von dem Ableben seines lieben Vetters Fielding und zugleich die Aussicht auf die Millionen erhält, will er Anfangs von der ganzen Erbschaft kaum Etwas wissen. Indeß Harry, der immer meint, daß sein und seiner Familie früheres Unglück und inneres Verderbniß nur von dem Reichthume selbst ausgegangen, erschrickt, da er vernimmt, daß durch Fieldings Testament die Seinigen in abermalige Gefahr kommen sollen, reich zu werden. Seinen alten Vater möchte er zwar sorgenfrei und geborgen, seine Geschwister und sich aber durchaus nicht wieder reich wissen. Er beredet daher den Gärtner, dem seine Herkunft und sein Familienname gänzlich unbekannt, die Erbschaft trotz Thompsons muthmaßlicher Concurrenz in Anspruch zu nehmen, Letzterem aber jedenfalls eine anständige, jedoch nicht übertriebene Summe zu sichern. Er erbietet sich sogar, als der Rechtswege nicht unkundig, des Gärtners Interesse an Ort und Stelle wahrzunehmen und reiset, da dieser endlich damit einverstanden, nach Bristol ab. [...] so stehen Vater und Sohn plötzlich als Gegner vor einander; denn Jener fordert den Nachlaß Fieldings für sich, und Dieser für den Gärtner Nichols. Thompson gerät beinahe in Verzweiflung, als sein eigener Sohn ihm sein gutes Recht mit allerhand philosophischen und juristischen Phrasen weg zu disputiren sucht, ja, sogar die vorgezeigte Originalverschreibung Fieldings [...] als gefälscht und untergeschoben erklären will. Als zuletzt Thompson [...] ihm mittheilt, daß er, lediglich um durch Armuth ud Entbehrung seine, vom Gifte des Mammons verderbte und verwahrlosete Familie gewaltsam zu regeneriren, sich verarmt gestellt, und daß Fieldings Schätze wirklich nur seine eigenen seyen; da entgegnet ihm Harry mit Anklagen gegen den Einfluß des Reichthums, mit Anklagen gegen die Erziehung, die er, als Sohn eines Reichen, und durch Schuld des Vaters selbst, genossen, die, indem sie jeden seiner unbesonnenen und eigensinnigen Wünsche ohne Kampf, ohne Anstrengung erfüllte, ihn hoffärtig und gefühlstumpf gemacht. [...] Der Knäuel erhält endlich seine Lösung, und zwar durch den Erblasser selbst. Fielding ist nicht todt. Er hatte, in Angst und Sorge gesetzt durch den fremden anvertrauten Reichthum, gequält als reich und doch nicht reich, und niedergedrückt von dem Scheine eines Glückes, das er nicht wirklich besaß, Thompson in dringenden Briefen, aber fruchtlos gebeten, die Bürde wieder von ihm zu nehmen. Dazu war bei ihm die Furcht gekommen, daß, im Falle seines Todes, das Geld vielleicht doch nicht zu seinem rechtmäßigen Besitzer zurückgelangen möchte. So, ein Raub der peinlichsten Unruhe (derzufolge jener Notar wirklich seine Testirungsfähigkeit mit einigem Grunde anfechten mochte), hatte er, im Einverständnisse mit einem verläßlichen Diener, das Gerücht seines Todes in Umlauf gebracht und, überzeugt, daß die angewendete Cur bei Thompsons Familie bereits angeschlagen habe, Letzteren dadurch genöthigt, sein Vermögen zurückzufordern. Der Schluß ist nun leicht abzusehen. Thompsons Frau gelobt, zumal da ihr Gatte sie mit einer auf [1134] ihre Besserung eingegangenen Wette einschüchtert, fortan verständig und bescheiden zu seyn. Harry heiratet, allen hochfliegenden Verbindungen abhold, die hübsche Jenny, des Gärtners Nichols gute und tugendhafte Tochter. Eliza, schon früher dem braven Comptoiristen Philipps gewogen, doch durch aufgezwungenen Glanz von ihm entfernt, kehrt jetzt mit Entschiedenheit zu ihm zurück und wird seine Braut. „Bete und arbeite!“ wird als das Zauberwort erkannt, „das den Reichthum würdig genießen, und die Armuth edel tragen lasse,“ und das Stück schließt.

Unverkennbar hat Gutzkow mit diesem Schauspiel einen mächtigen Schritt vorwärts gethan. Namentlich hat er jene kränkelnden fixen Ideen, jene speciellen psychologischen Spiele bei Seite gesetzt, von denen die Helden seiner früheren Stücke ausgehen [...]. Auch Thompsons Widerwillen gegen den Reichthum ist eine eigenthümliche Erscheinung, aber sie ist keineswegs eine Monomanie, welche sich gegen die dramatische Wahrheit auflehnen würde; sie ist das Ergebniß einer Uiberzeugung und einer auf dem Wege der selbstleidenden Erfahrung und Beobachtung ausgebildeten Lebensansicht. Der Verfasser ist also auf erfreuliche Weise an die Quelle der Natur und der menschlichen Geschichte zurückgekehrt, und hat sich dadurch Allen wieder näher gestellt. Thompson hat Schmerz erlitten durch Glück und Reichthum; was Wunder, wenn er, den die Gunst der Umstände doppelt empfindlich und doppelt wehrlos gemacht, dem Gegenstande zürnt, der ihm als Ursache zunächst liegt; wenn er, im Widerspruche mit der, nach Glück und Geld jagenden Menschheit, sich auf eigene Faust seine Philosophie zusammensorgt, und man nun von dem reichen Manne hören muß: wer reich, müsse Viel entbehren, und reich seyn, heiße arm seyn an Liebe, arm an Glauben, arm an Hoffnung, arm, bettelarm an Allem, was nicht mit Geld zu erkaufen. Freilich könnte man ihm einwerfen, daß er, statt des Reichthums, vielmehr sich oder die Anwendung, die er von Jenem gemacht, anklagen sollte, und daß, eben weil der Nachtheil nicht von dem Mittel, sondern von dessen Mißbrauche ausgeht, mit der Ursache vielleicht nicht einmal die Wirkung ganz verschwinden werde. Doch so sind die Menschen; sie schmollen immer nur mit dem Gegenstande, an welchen ihre eigene Unvorsichtigkeit sich stößt, und Gutzkow hat auch in dieser Hinsicht die Welt so geschildert, wie sie wirklich ist. Daß Thompson von Anfang herein den Reichthum als die unmittelbare Ursache seines Uibels ansieht, geht, außer den angeführten, noch aus manchen seiner Aeußerungen hervor, und als er Fielding seinen Saldo auszahlt, seufzet er, ärgerlich über die Geringfügigkeit der Summe: „Ach, wär’ es Alles, Alles!“ Hier treten nun einige Folgewidrigkeiten in seinem Denken und Handeln ein, auf welche wir sogleich zu sprechen kommen, wie denn überhaupt so scharfe und abstracte Aeußerungen gar leicht zu einem Thermopylä werden, durch welches die Consequenz eines Charakters nicht ganz ungekränkt sich hindurch windet. Im gewöhnlichen Leben würden solche Manifestationen leicht als bloße Uibertreibungen des Unmuthes hingenommen und ihnen keine weitere Verantwortlichkeit abgefordert werden. Aber auf der Bühne setzt man billig eine Absicht voraus, und die That muß nothwendig Rechenschaft von dem Worte geben. Er schließt nun den bewußten Vertrag mit Fielding. Was daran unwahrscheinlich oder übereilt erscheint, ist bereits im obigen Resumé angedeutet worden, und soll hier nicht nochmals als Einspruch erhoben werden; denn der Vertrag erfüllt bei all dem seinen Zweck, und dem Plane des Ganzen müssen Nebenumstände sich unbedenklich fügen. Aber wer, wie Thompson, ein so heftiges, fast grausames Heilungsverfahren gegen seine Umgebung in Anwendung bringt, müßte jedenfalls auch völlig Herr des Mittels seyn, dessen er sich bedient, nicht mehr besorgen dürfen, daß dasselbe seine Waffe gegen ihn selbst richte, und ihn dann unbewehrt, ja im ersten Angriffe schon besiegt finde. Der Lehrer muß vor Allem selbst zuerst in der Prüfung bestehen, die er über Andere verhängt. Aber das thut Thompson nicht. Wie klein, wie zaghaft erscheint er, als der von ihm erlogene sich plötzlich in einen wirklichen Verlust umzuwandeln droht, wie gemahnt da sein reiches Armseyn oder sein armens Reichseyn, worüber er früher gegrollt, ihn mit einem Male so lockend, so unentbehrlich, der Verlust, den er von Anderen ohne Weiteres verschmerzt wissen wollte, so unerträglich, wie wird da das Geld, das er gern „Alles, Alles“ an Fielding losgeworden wäre, ihm jählings zum „gemünzten Glücke!“ Beweiset er nicht dadurch, daß er, noch weit ärger, als seine übelberathene Familie, Sclave seines Mammons ist, daß er nicht einmal, wie die Seinigen, sich des Reichthums zu erfreuen, geschweige denn, was er eifernd als Lehrsatz aufstellen möchte, ihn zu entbehren versteht, kurz, daß er am allerwenigsten der Mann war, der, nach dem von ihm projectirten Zauberworte, „den Reichthum würdig genießen, die Armuth edel ertragen“ könnte? Die Planmäßigkeit, welche aus dem ganzen Schauspiele spricht, bürgt dafür, daß der Dichter hierin nicht ohne Absicht verfuhr, und auch in dieser Beziehung den Menschen mit seinen Widersprüchen, mit seiner Gleichgiltigkeit gegen den Besitz und seiner Empfindlichkeit für den Verlust schildern wollte, wie er im Allgemeinen ist, aber ein fester und unverrückbarer moralischer Anhaltspunct im Hauptcharakter, hätte nach meiner Ansicht, bei allen Schwankungen der Seelenzustände doch ins Auge gefaßt, und von ihm nicht abgewichen werden sollen. Thompson will die moralischen Eindrücke geben, und müßte daher fester auf seiner Basis ruhen; Harry soll sie empfangen, und wir finden ihn daher mit Recht im fortwährenden Zustande sittlicher Bewegung. Des Letzteren Charakter ist sowol in seiner tieferen Grundlage, als in seinen Aeußerungen und Formen mit seltener Meisterschaft angelegt und durchgeführt, selbst mit richtiger Bezugnahme auf Zeit und Oertlichkeit. Jung, übermüthig, suchend und doch nicht findend, stürzt er sich in Genüsse und Zerstreuungen, die ihn nicht befriedigen, spannt sie um so straffer und gewaltsamer, je mehr er dabei vermißt, was ihn eigentlich reizen soll, treibt sich in fremdartigen, scheinbar höheren Kreisen umher, weil er die ursprünglich ihm angewiesenen, noch keiner Bekanntschaft würdig fand, und hält bessere Gefühle zurück oder streitet sie sich ab, weil sie ihm bei seinem Treiben unbequem und belästigend vorkommen. Den Ekel, der sich ihm frühzeitig aufdringen will, überwindet eine Zeitlang die Gewohnheit, die selbst das Unbehagliche festzuhalten strebt. Es müssen heftige Schläge an sein Selbst geschehen, ehe dieses zum schreckenden Bewußtseyn gelangt. Auf dem Wege des Gewisses kämpft sein Schutzgeist sich zu seinem Herzen vor. Der unfreiwillige Todtschlag an dem Kinde lärmt sein Gefühl zuerst auf. Er möchte erstatten, vergüten, und schrecklich tritt hier dem Jünglinge, der mit den Schätzen des Glückes so übel, so unerquicklich hausgehalten, plötzlich das Rachegespenst der Armuth, des Unvermögens entgegen. Angstvoll tappt er nach Mitteln des Ersatzes um sich, und faßt in seiner entsetzlichen Hilflosigkeit die Rettung versprechende Hand eines Diebes. Ich gestehe, daß, selbst bei zugegebener psychologischer Möglichkeit, ich diese verletzende Wendung doch hinwegwünschte. Ein Mann, der, ob auch in einem Anfalle halben Deliriums, sich herbeiläßt, einem nächtlichen Diebe auf Halbpart die Leiter zu halten, der diesem Diebstahle selbst später noch gewissermaßen moralisch beitritt, dadurch, daß er ihn nicht eigentlich verhindert, den überhaupt nicht sein Selbst, sondern ein Zufall, ein vorübergehender Leichenzug, von dieser Gaunergemeinschaft zurückreißt, die außerdem wahrscheinlich zu Stande gekommen wäre; ein solcher Mann hat Mühe, unsere sittliche Theilnahme wieder für sich zu gewinnen; wir nähern uns ihm mit einiger Abneigung und Zweideutigkeit, und können uns selbst seines wiederkehrenden Glückes nicht recht freuen, da das Ehrengericht unsers Gefühls ihn freizusprechen Anstand nehmen muß. Der Blutfleck des zertretenen Kindes wird leichter von ihm weggewaschen, als der Schmutzfleck dieser Diebesberührung. Auf dem Grabe des Kindes findet er sich wieder; er lernt wieder empfinden. Er sucht durch Arbeit, durch Selbstabhärtung den bösen Geist zu bekämpfen, und sich die Rückkehr zur Menschheit zu verdienen, indem er ihre Lasten theilt. Daß er sich in der Wahl seiner Beschäftigung vergreift, und just Etwas unternimmt, wozu er den wenigsten Beruf hat, ist natürlich und sogar bezeichnend. Bis hieher kann man mit der Entwickelung dieses Chartakters vollkommen einverstanden seyn; aber von da an fällt Harry einer Art ethischen Eigensinns, einer moralischen Hypochondrie anheim, der er grübelnd nachhängt und gern über Verschlimmerung jammert. Daß er seinem Vater die Fälschung einer Urkunde zutraut, daß er dessen Erbansprüche auch da noch in Zweifel zieht, als dieser ihm die moralische und so ziemlich auch die juridische Gewißheit derselben aufdringt, hört auf, eine Unpartheilichkeit zu seyn, es wird zur offenen Ungerechtigkeit, und beweiset nur, wie dem höchsten Rechte das höchste Unrecht immer in verdächtiger Nähe liegt. Dagegen sind wir ihm Dank schuldig für die sonstigen Aufklärungen, welche er bei dieser Gelegenheit gibt, namentlich was den Antheil der Schuld betrifft, der seinem Vater hinsichtlich der Erziehung Harrys zufällt. Höchstens möchte man wünschen, daß diese Aufklärungen nicht bis zum fünften Acte hinausgeschoben worden wären, weil der Zuschauer in der ganzen vorangehenden Handlung von Thompson, als Vater und Erzieher, zum Theil eine andere Meinung hatte, und sich also gegen das Ende hin gleichsam noch einmal umstimmen muß. Jene Verhandlungen zwischen Vater und Sohn im letzten Acte, in denen die Fäden der Handlung sich nach und nach abwinden, lassen am deutlichsten erkennen, worin der Dichter eigentlich gefehlt. Es ist ein geistiges, ein psychologisches Zuviel, woran das Stück leidet; in den Motiven, wie in den Resultaten, wird nicht blos genug, sondern zu viel bewiesen, überall zu sehr die Goldwage des Gewissens und der That mit ihren complicirtesten Folgen und Möglichkeiten angelegt, so daß aus dem Ganzen weniger ein freier geschichtlicher Geist, als ein beschränkendes casuistisches Wesen spricht. Diese Casuistik, diese Gewissens- und Schicksalsspitzfündigkeit war schon in Gutzkows früheren Dramen zu erkennen; doch fiel sie dort weniger auf, weil die Personen selbst [...] mehr von gewissen Monomanien, als von geistiger Allgemeinheit ausgingen. Jetzt aber, wo an seine Menschen so unverkennbar die Natur selbst ihre schaffende Hand gelegt, springt dieser Conflikt mehr in die Augen, und dies ist wol der Hauptpunct, in welchem der Dichter noch über sich wachen muß. Uibrigens gewahrt man in dem ganzen Plane eine besonnene Sicherheit, ein wachsames, scharfsichtiges Auge in der Durchführung und ein geistiges Durchdringen des Stoffes in allen seinen Theilen. Gutzkow hat Menschen geschildert, nicht Fantome, und wir verstehen sie daher, in welche verwickelte Beziehungen sie immer gerathen mögen. Es ist, möchte ich sagen, eine deutsche Wahrheit und Lebenswärme in ihnen, die uns um so wohlthuender berührt, je mehr die gegenwärtig den Theaterolymp beherrschenden französischen oder französirten Dramen uns mit bloßen Skizzen oder Puppen abzufinden pflegen, daß man schier [...] fürchten möchte, diese unwahren, überputzten oder verzerrten Statuen würden dereinst am jüngsten Tage eine Seele gewinnen, die ihnen freilich ihre Verfasser nicht gegeben, und in ihrem schaurigen Halbleben über ihre Dichter oder Uibersetzer herfallen. Ob man, nach der bestandenen Armuthscur, der Familie Thompsons eine wirkliche und dauernde Genesung versprechen darf, darüber steht uns kein Urtheil zu. Der Dichter hat das Seinige gethan, Zeit und Glaube müssen das Ihrige thun [...]. Sind einmal die Symptome der Reconvalescenz eingetreten, so hört die Verantwortlichkeit des Dichters auf [...]. Die drei ersten Acte sind unstreitig die gelungensten; hier drängt sich Leben an Leben, und Alles steigt rasch, doch nicht übereilt, dem Gipfel seiner Katastrophe zu; dagegen ist der Fall der Handlung in den beiden letzten Acten etwas schleppend, durch Dialog und Zwischenspiele mehrfach aufgehalten. Die letzten Scenen hatten hier zweckmäßig einige Kürzungen erfahren. Die Staffage, hauptsächlich gleich in den ersten Auftritten, ist bewegt und bunt, bunt nicht blos an Röcken und Livréen, denn in dieser Beziehung fehlt es keinem unserer modernen Bühnenstücke an Buntheit, sondern bunt an Leben, Gruppirung und Volksthümlichkeit. Obgleich in steter naher Beziehung zur Gegenwart, ist doch selbst die Zeit der Handlung gut und treffend charakterisirt: die Epoche der englischen Restauration, wo nach Cromwells strengem und puritanisch ernsthaftem Regimente, der junge Adel wieder in frohem Uibermuthe aufathmete, und der Schutt der Republik unter bacchanalischem Toben hinweggeräumt wurde. Von hoher Bedeutsamkeit ist die Sprache dieses Schauspiels; geistreich, bündig, kraftvoll, poetisch nur so angehaucht, und daher jeder Blümelei fremd, aber immer gewählt und kernig im Ausdrucke, hin und wieder vielleicht voll zu scharfer Accente. – In den Preis der Darstellung theilten sich vor Allen die Repräsentanten der beiden Hauptrollen, die Herren Anschütz (Thompson) und Fichtner (Harry). Wenn, wie es hier geschah, der Dichter so recht eigentlich aus dem darstellenden Künstler heraustritt; dann erlangt die Kunst der Bühne ihre höchste Weihe, dann theilt sie unmittelbar dan Kranz der Dichtung, und vermag selbst dem Schöpfer des Gedichtes sein Werk klarer und bestimmter zu machen. Wie edel, wie ruhig und väterlich gab Hr. Anschütz die ersten Scenen; Thompson will noch immer nicht an das Schlimmste glauben, und sein Schmerz getraut sich vor sich selbst noch nicht so recht hervor. Aber dann schäumt er über, unaufhaltsam, allgewaltig. Unübertrefflich war Hrn. Anschützs Spiel im letzten Acte, in der Scene mit Harry; die geizige Angst vor dem Verluste seines weltlichen Gutes, das Entsetzen, als seinen Documenten die kalte, verneinende Form des Gesetzes, die erbarmungslosen Zweifel des eigenen Sohnes gegenübertreten. Stürmischer Beifall bezeichnete diesen Höhepunkt der Darstellung. Mit ähnlichem Berufe gab Hr. Fichtner den Harry; den tobenden Uibermuth des Jünglings, der damit die klagende Stimme seines besseren Selbst niederzulärmen strebt, der gähnende Ekel ob der Schalheit dieses Treibens, über die er sich nicht länger täuschen kann, und die sich besonders in der Scene auf Maxwells Zimmer ausspricht, dann das schreckliche Erwachen von dem betäubenden Rausche seines Glückes, als Bettler, als insolventer, zitternder Schuldner seines fürchterlich mahnenden Gewissens. Diese mächtigen, und doch eng mit einander verbundenen Contraste (die späteren Scenen thun weniger für die weitere Entwicklung des Charakters) bildeten sich in Hrn. Fichtners Spiele zur erschütterndsten Wahrheit aus. Mad. Brede, als Frau Thompson, lieferte ein ergetzliches Bild aufstrebender, und sich aufpustender Simplicität. Die Scene, in welcher die forcirte Salondame plötzlich zur geschäftigen Hausfrau zurückkehrt, spielte sie allerliebst, und wurde mit lautem, verdientem Beifalle ausgezeichnet. Auch die überigen Darsteller verwendeten auf ihre Rollen den rühmlichsten und erfolgreichsten Fleiß; so Hr. Marr als Fielding, Hr. Wilhelmi als Nichols, Dem. Wildauer als Eliza, Dem. Neumann als Jenny, und der Eifer der Mitwirkenden gab sich selbst in den anderen, unbedeutenderen oder untergeordneten Aufgaben zu erkennen. Das Stück [1135] hat gleich bei der ersten Aufführung eine höchst würdige Aufnahme gefunden, und wahrscheinlich dürfte bei den Wiederholungen der Beifall sich noch wesentlich steigern. Die Direction, welche durch die Wahl und Anordnung dieses Schauspiels wiederum bethätigte, welche Aufmerksamkeit sie nicht nur für das classische Vorhandene, sondern auch für die vorzüglichsten Erscheinungen des Tages hegt, hat ihre Ansprüche auf dankbare Anerkennung abermals vermehrt.

5.2.2.2.3. Wiener Zeitschrift, 30. Oktober 1841#

[Anon.:] K. K. Hoftheater nächst der Burg. Den 26. October zum ersten Male: „Die Schule der Reichen.“ Schauspiel in fünf Aufzügen, von Carl Gutzkow. In: Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode. Nr. 173, 30. Oktober 1841, S. 1381-1384. (Rasch 15/4.41.10.30.2N)

[Der Verfasser bringt zunächst eine Zusammenfassung der Handlung, die ähnlich wie die Meynerts (4.2.2.2.2.), aber straffer ausfällt.]

Die vorstehende Erzählung gibt den Inhalt des Stückes nur sehr mangelhaft wieder; allein ohne ermüdende Weitschweifigkeit läßt sich ein aus geistigen Motiven und Wechselwirkungen zusammengefügtes Ganze nicht wohl darstellen. Auch in meinen Bemerkungen über das Stück muß ich mich [...] auf das Nothwendigste und zunächst Liegende beschränken [...] – Zuerst möchte ich einem Einwurfe begegnen, den ich von manchen Seiten her gegen das Gutzkow’sche Stück im Anzuge sehe. Schon wieder ein Tendenzstück, wird es heißen; schon wieder ein Capitel aus der Ethik in Scenen und Acten, mit der Nutzanwendung „diese Fabel lehrt“ am Schlusse. – Ich weiß nicht, warum man in neuerer Zeit, die man die emancipirte zu nennen liebt, so unerbittlich gegen die armen Tendenzen zu Felde zieht, und was eigentlich mit den geschwollenen Redensarten von dem Selbstzweck und der Selbsttendenz der Kunst gemeint ist. Das aber weiß ich ganz gewiß und das ist mir aus der alten wie aus der neuen Kunst klar geworden, daß ich mir ohne diese verschriene Tendenz ein Kunstleben und ein Kunstwerk gar nicht denken kann, und daß das Herausfinden, das Bewußtwerden dieser Tendenz mir die einzige Bedingung des künstlerischen Genusses geworden ist. [...] Wer nichts sucht, als einen Abdruck, ein Facsimile der materiellen Erscheinung, nun, der hat nicht weit zu gehen, um das zu finden, was er suchte; mit der Kunst aber und mit der Freude daran muß er sich anderweitig abfinden. Nur in der Bedeutung, die wir einem Kunstwerke für unser inneres, geistiges Leben abzugewinnen verstehen, liegt uns sein Werth und sein Reiz. Die bloße Übereinstimmung mit der Wirklichkeit ist nur das Mittel zu höherem Zweck, und dieser höhere Zweck ist eben die Tendenz, die jedem Kunstwerke, wenn es den Namen verdienen soll, innewohnen und aus ihm hervorgehen muß; sey’s nun in der Form einer Lehre, einer Idee oder auch nur eines Gefühls; der rechte Empfänger wird schon wissen, was er bekommen, und wie er es zu nennen hat. [...] – In Gutzkow’s heutigem Werke spricht sich diese Tendenz vorzugsweise klar und faßlich aus, und dieser Leichtigkeit wegen könnte man sein Stück als das populärste von den bisher erschienenen bezeichnen. Dagegen hat er aber mit einem starken, in Menge und [1383] Gewalt gleich mächtigen Gegner angebunden; die Zahl seiner Widersacher wird so groß seyn, als die Zahl derer, die sich getroffen fühlen; ein Erfolg, reicher an Ehre als an Vortheil. Die unselige Sucht, sich über seinen Stand zu erheben, und es den Höhergestellten an Prunk, an Hoffahrt und nicht selten an Lasterhaftigkeit gleich zu thun, ist sicherlich eine der tiefsten, gefährlichsten und hülfebedürftigsten Wunden unserer geselligen Zustände. Wunden aber von so bedenklicher Natur schmerzen schon bey der leistesten Berührung; wie muß der Kranke aufschreyen, wenn der Arzt das Messer zur Hand nimmt und tief hineinschneidet in den verdorbenen Theil? Und das thut unser Dichter, manchmal ohne Schonung, ja ohne Rücksicht, aber gewiß um so wirklsamer; denn er geht dem Übel gerade auf den Leib und überzuckert seine Arzney nicht, unbekümmert, ob sie bitter schmecke wenn sie nur heilt. Muth gehört zu einem solchen Verfahren jedenfalls; möge darum dieser Muth auch seinen Lohn finden, und das Stück durch seine sittlich-künstlerische Wirkung die edle Absicht des Dichters verwirklichen helfen. Hat man nur erst angefangen, unbequeme Wahrheiten zu ertragen, so wird man damit enden, diesen Wahrheiten ihr Recht einzuräumen. –

Sind wir nun über die Tendenz und die Absicht unseres Dichters im Reinen, so fragt es sich, ob er diese seine Aufgabe auch dramatisch in allen Theilen mit gleichem Erfolge gelöst habe? In den ersten drey, ja vier Acten gewiß, denn meiner Meinung nach gereichen diese in der Erfindung wie in der Ausführung dem Dichter zu gleicher Ehre. Einheit, Wahrheit, Frische, Kraft und Leben überall, keine Floskel- und Tiradenkrämerey, sondern ächte, innere Seelenpoesie! Es kommen da Dinge an den Tag, wie man sie jetzt nicht oft mehr auf der Bühne austheilt; und sie kommen in einer Sprache zur Welt, die auch nicht mehr zu den alltäglichen Gerichten gehört. Man könnte an einzelnen Stellen und Gedanken aus dem Gutzkow’schen Stücke eine Blumenlese halten, wie sie nicht gar viele Bühnenwerke aufzuweisen haben. Bis zum Schlusse des vierten Actes wüßte ich (ein Paar hie und da wünschenswerthe Kürzungen abgerechnet) nichts hinzu, und nichts anders zu wünschen, denn bis dahin ist mir das Stück als durchaus untadelhaft erschienen. Mit dem fünften Acte tritt aber eine Veränderung ein, die ich mir [...] nicht zu erklären weiß, und die mir abermals die Überzeugung gibt, daß, um einen fünften Act zu machen, ein eigener Gnadenerlaß vom Himmel erforderlich ist. In diesem fünften Acte ist nicht allein dramatisch, sondern auch poetisch, ja beynahe moralisch gefehlt worden, und das ganze herrliche Stück fällt diesem räthselhaften Mißgriff zum Opfer. Das Erste, was als befremdlich, ja als unhaltbar auffallen muß, ist die Wendung, die der Charakter des alten Thompson nimmt, die leidenschaftliche Gier, mit welcher er sein Hab und Gut den Erben des Freundes abzankt und abstreitet. Wie kommt der bescheidene, einfache, herzliche Mann zu diesem unstillbaren Gelddurste, zu diesem widerwärtigen Kampf um das, was er verachtet hatte? Gewiß hat Gutzkow in seinem hellen, scharfen Verstande diese Wendung in dem Charakter des Kaufmanns als natürlich, als natürlich, als nothwendig erfunden; aber sein Verstand hat über sein Gefühl triumphirt und so den besseren Sieg aus der Hand gelassen, denn der Zuschauer zieht zuvörderst dieses, und dann erst, in zweyter Instanz, jenen zu Rathe. – Noch betrübender als dieser Charaktertreubruch in dem alten Thompson wirkt der Umstand, daß der Streit gegen den eigenen Sohn geführt wird, und dieser den Vater mit einer Flut von Vorwürfen über seine verwahrloste Erziehung überschüttet. Dem Verstande nach läßt sich auch hier die Richtigkeit des gewählten Weges vertreten; aber das Gefühl sträubt sich auf das unabweichlichste dagegen, und das ist und bleibt doch immer die erste, die oberste Autorität in diesem Gerichtshofe. Was das Gefühl verwirft, kann auch die consequenteste Logik nicht wieder herstellen; das Herz erkennt nur Einen Richterstuhl, und von dem gibt es keine Appellation. Die Vorwürfe, die der alte Thompson in Empfang nehmen muß, wären von jedem Andern wohl und reichlich verdient gewesen, aber von dem Sohne durften sie nicht kommen! Vor dem Vater verstummt selbst das bitterste Unrecht, das der Sohn erduldet haben kann. – Ein dritter Übelstand ist die Erscheinung des todtgeglaubten Fielding zur Entwickelung [1384] des Ganzen. Der Dichter hat das selbst gefühlt, denn er läßt den zur Erkenntniß gekommenen Harry sagen: mit dem Tode soll man nicht spielen. Noch besser aber als das Wort Harrys wäre es gewesen, wenn die Sache unterblieben wäre. Die Wiedereinsetzung Thompson’s in seinen Besitz, wenn eine solche nun schlechterdings Statt finden mußte, hätte auch ohne diesen immer mißlichen Theatercoup bewerkstelligt werden können; jedenfalls wären dadurch die mehrmals wiederholten Erzählungen und Erörterungen erspart worden, die überall unbequem, im fünften Acte aber geradezu unheilbringend sind. Die heutige Erfahrung hat dieß letztere mehr als bestätigt. Ich darf’s mir nicht herausnehmen, einem Dichter wie Gutzkow vorzuhalten, wie er es hätte besser machen sollen; aber ich kann mich auch nicht überreden, daß diesem fünften Acte nicht leicht, und ohne dem Zwecke des Stückes zu schaden, eine ganz andere, dramatisch und poetisch genügendere Wendung gegeben werden könnte. Freylich dürfte das kein Anderer als der Dichter selbst thun, und er wird es thun, wenn er sich durch eigene Anschauung auf der Bühne von der Unzulänglichkeit der jetzigen Entwickelung überzeugt hat. Dann, aber auch nur dann, werden wir in der „Schule der Reichen“ ein Bühnenwerk begrüßen, das an tiefer poetischer Bedeutung, an Geistesreichthum und Gedankenfülle den edelsten Erzeugnissen unseres Volkes und unserer Zeit zugezählt werden muß.

Die Darstellung verdient der höchst fleißigen und sorgsamen Regie wegen, die bey dieser Gelegenheit, namentlich im ersten Acte, von nicht geringem Belang ist, das ungetheilteste Lob. Auch die Darstellung der einzelnen Rollen [...] war im höchsten Grade verdienstlich. Unter den einzelnen Darstellern trat Hr. Anschütz als Thompson durch die warme, kräftige, edle Auffassung des Charakters wohlthuend hervor. Hr. Fichtner als Harry theilte mit seinem ältern, trefflichen Kunstgenossen nach Verdienst die Ehre des Abends. Höchst beyfallswürdig, in der Mäßigung wie in der Wirkung gleich verdienstlich, gab Mad. Brede die schwierige, in ihren Händen wahrhaft dankbare Rolle der Ehefrau Thompson’s. Die kleinen, aber überaus anmuthigen Mädchenrollen der Elise und Jenny fanden in den Dlles. Wildauer und Neumann die entsprechenden Darstellerinnen. Dlle. Zeiner, die HH. Wilhelmi, Herzfeld, Marr u. A. trugen zu dem Ganzen, wenn auch in kleinen Parthien, redlich bey.

5.2.2.2.4. L. Viola in „Wiener Zuschauer“, 3. November 1841#

Wiener Theater. [L.] Viola: (K. K. Hofburgtheater.) „Die Schule der Reichen,“ Schauspiel in fünf Aufzügen von Gutzkow. In: Wiener Zuschauer. Nr. 132, 3. November 1841, S. 1317-1318. (Rasch 15/4.41.11.03)

Mit tieffreudiger Anerkennung begrüßen wir ein Werk, welches würdig ist, in Deutschland geschaffen worden zu seyn; ein Werk, welches in allen Theilen von dem labenden und erhebenden Hauche eines echtdeutschen Dichtergeistes durchweht ist. In Vergleich zu einer so edlen Schöpfung, in welcher, wahr und psychologisch erfaßt und durchgeführt, jede Szene, ob komisch, ob ernst, belehrend und voll tiefer moralischer Bedeutung und Wirkung ist, wie fällt, im Gegenhalt [1318] zu ihr, der aufgeschminkte Effektkram eines französischen Dramas in ein erbärmliches Nichts zusammen. Der Zuschauer geht mit einem Schatze werthvoller Erfahrungen, möcht’ ich sagen, aus dem Schauspielhause; denn man zeigte ihm nicht willenlose Drahtpuppen, die ein moderner, effektsüchtiger Dichter recht absonderlich seltsam herumspringen ließ, er hat einen klaren Blick in das Innere der Menschen, folglich auch sein Inneres gethan; denn alle die Schwächen, welche er an den Personen des Schauspiels belachte, alle die Leidenschaften und Gewissensmahnungen, die er belauschte, hängen ihm selbst in höherem oder minderen Grade an. Da gibt es Stoff für ihn zu ernstem Nachdenken durch viele Nächte und Jahre. Das aber ist gerade des dramatischen Dichters höchste Aufgabe, den Menschen im Kampfe mit seinen Fehlern und Gebrechen zu malen, zugleich aber auch für den aufmerksamen Zuhörer den Faden der Ariadne hinzureichen, um sich in ähnlichen Fällen aus den Labyrinthen herauszufinden. – Die Schule der Reichen, nämlich der übermüthigen, herzlos gewordenen Reichen, ist, arm zu werden. Dieser Hauptgedanke des Stücks ist mit einer Meisterschaft durchgeführt, die sowohl den bühnen- als seelenkundigen Dichter in reichem Maße zu erkennen gibt. Hier ist keine Effekthascherei und dennoch vielfacher, gewaltiger Eindruck auf den Verstand und das Herz der Zuschauer; hier sind keine hochtönenden Tiraden, aber Ansichten und Lebensregeln, welche mit goldenen Lettern über der Schwelle jeder Familienwohnung prangen sollten. – Wer die Gabe der Dichtkunst, der Begeisterung, der Muse zur Belehrung und Veredlung der Menschen anwendet; wer die Laster und den Übermuth herzloser Mammonsbesitzer so treffend geißelt; wer aber mit heiliger Scheu der einfachen Tugend, der prunklosen Herzensgüte und Rechtlichkeit die Palme reicht, der hat den hohen Zweck der Bühne erkannt. Viele Stellen des Dialoges erheben sich zu einer Klassizität, sowohl in Bezug auf die Form als auch ihres gediegenen Inhalts wegen, wie es in Deutschland selten geworden ist.

Wohl könnte man hier und da etwas tadeln und markten, aber wir beugen uns vor der Größe des Dichterwerkes.

Die fromme und christlich demüthige Tendenz des Stückes spricht sich vorzugsweise in den letzten Worten der Schlußszene aus, wo der reiche Kaufherr Thompson sagt: „Ja, Beten und Arbeiten ist ein Spruch für Arm und Reich!

5.2.2.2.5. Moritz Gottlieb Saphir, 6. November 1841#

M[oritz] G[ottlieb] Saphir: Didaskalien. K. K. Hofburgtheater. Am 3. November: „Die Schule der Reichen.“ Schauspiel in fünf Aufzügen, von Karl Gutzkow. In: Der Humorist. Wien. Nr. 222, 6. November 1841, S. 910-911. (Rasch 15/4.41.11.06.2N)

Die Rührigkeit, das fruchtbare Leben und die vielseitige Vehemenz, welche die Theaterdirektion dieser hochgestellten Anstalt immer energischer und freudiger entwickelt, fordert die lauteste Anerkennung. [...]

Mit wahrer Satisfaktion sehen wir nun [...] die glänzendsten Erfolge! Das Repertoir bietet die reichste Abwechslung, die Aufrechthaltung der klassischen dramatischen Muse geht Hand in Hand mit dem Bestreben, die Novitäten der Jetztzeit, die Produkte der bessern, renommirten deutschen Dramatiker dem Publikum vorzuführen, und das Repertoir ist eben so inhaltschwer als mannigfach. Auch in den Geist der Darstellungen, in das Zusammenwirken und in den intellektuellen Nexus der Bühne ist ein flüßigeres, höheres, und beseelteres Leben gekommen, und die stets vollen Häuser mögen wohl auch nicht den letzten Refrain an dieses Lob- und Anerkennungslied bilden.

Am erfreulichsten ist namentlich der Kritik, der lebendigen nämlich, nicht der in Kirchhöfen ihre Beute suchenden, daß die Erzeugnisse der lebenden Dichter, welche in Deutschland von sich reden machen, auf die Breter kommen, und sich uns in ihrer Armuth oder in ihrem Reichthum zeigen! Niemand hat mehr Recht auf die deutsche Bühne der Gegenwart, als die deutschen Dichter der Gegenwart! [...]

Ich freute mich also sehr, wieder ein neues Stück von Gutzkow zu sehen, von diesem dramatischen Maikäfer, der im November seines Strebens zu flattern anfängt, von diesem tüchtigen Kämpen, welcher das Fuhrwesen der Kritik verließ, um dramatischer Freischütz zu werden. Bei einer Reputation, wie sie Gutzkow genießt, und mit Recht genießt, hat ein Theater auf den Erfolg des Stückes gar keine Rücksicht zu nehmen. Die Erscheinung ist interessant, und mit Dank muß man das Vorführen desselben anerkennen, auch wenn der Succeß als solcher unerquicklich ist, wie bei dieser „Schule der Reichen!“

Ich habe das Stück nun auch gesehen, und finde, daß es ein im Ganzen verfehltes, und ein in allen seinen einzelnen Theilen eben so wider-[911]sinniges als plattes Produkt ist. Ein Produkt kann verfehlt, kann verzeichnet sein, ein Produkt kann gesetz- und regellos sein, die Charakteristik kann schlecht sein; die Idee kann barock, bizarr, und bei allem dem kann es geistvoll, kann es sinnig sein, und wenigstens vom poetischen, vom geistigen Standpunkt aus lobenswerth, aber bei dieser „Schule der Reichen“ ist die Plattheit der Ausführung so ohne alle Verdeckung und Verschallung sichtbar, daß man nur mit Bedauern einen solchen Fall von einem so geistreichen Autor sehen kann!

Die Lösung eines großen Theils des Räthsels liegt schon im Titel:

„Die Schule der Reichen

Wenn Hr. G. die Idee erfaßt hätte, d. h. den Dämon, der im Reichthum wohnt, hätte er sein Stück:

„Die Schule des Reichthums

und nicht „der Reichen“ nennen müssen!

Es soll sich nicht um einige reiche Roués, um einen liederlichen Millionärssohn, um einige ungezogene Rangen handeln, die ihren Hofmeister maltraitiren, das sind Lappalien, alltägliches Misere, oberflächliches Familienwesen, unwesentliche Lappen aus dem großen Mantel des „Reichthums“ gerissen, und zu schale Komödien-Charpie gezupft!

Nein, nicht mit dem „Reichthum,“ mit dem ewigen Fatum der Menschen und Völker hat Gutzkow zu reden, bloß mit einigen „Reichen,“ mit einem reichen Handelsmann, welcher eine alberne Frau und zwei ungezogene Regenwürmer hat, hat er es zu thun, mit einem solchen lebendigen Schachersack und seinen todten Geldsäcken hat er es zu thun, und mit der matten, albernen, alltäglichen Jammergeschichte, wie Jemand Geld hat und wieder keins hat, und wie man seine Kinder heirathen will wenn sie Geld haben, und sitzen läßt, wenn sie keines haben, und wie die bis zum Ueberdrusse abgespielten Variationen auf das Thema:

„Es ist mir alles eins, ob ich Geld hab oder keins!“

alle heißen mögen!

Bulwer’s „Money,“ Töpfer’s „reicher Mann,“ Leutner’s „Geschwister“ und der „Gamin de Paris“ haben die Fäden hergegeben, aus welchen G. diesen mattlackirten Canevas zurechtbrachte! Harry (Hr. Fichtner) ist nichts als ein „Gamin de Londres,“ ein schlecht englisirter, schleppender Abdruck des französischen Prachtexemplars! Der Gedanke, daß der alte Thompson (Hr. Anschütz) sein Geld an Fielding zum Schein abtritt, ist aus Bulwer’s „Money,“ wo der Reiche sein Geld an den Spieler zum Schein überläßt; die Szene im fünften Akte, wo der Sohn dem Vater die Leviten lies’t, ist aus den „Geschwistern,“ mit dem Unterschiede, daß es dort nicht so verletzend ist, da es ein Neffe ist, welcher seinem Onkel die Leviten lies’t! Mad. Thompson ist das leibhafte Conterfey der Mad. Leipziger in den „Luftschlössern,“ und selbst Ephraim, der Jude, ist ein Doppelgänger des Tubal im „Kaufmann von Venedig“ und kündet auch mit schleppendem Humor den Untergang des Schiffes an! Sogar die kleine Figur des „Bakel Gerundium“ mit seinem „amo, amas“ ist ein fahler Nachdruck von tausend ähnlichen Gestalten! Im ersten Akt sollen wir Volksszenen sehen, allein wir sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht! Staub und Gepolter, und das burschikose Lärmen einiger reicher junger Bengel geben eben so wenig ein Gemälde der Zeit oder des Volkes, als ein Paar ausgeschlagene Zähne und eine Hand voll ausgeraufte Haare ein Gemälde eines Menschen und seines Charakters geben! Der zweite Akt ist lang und schleppend und die Handlung geht nicht um einen Zoll vorwärts; im dritten Akte geschieht die Schenkung an Fielding und die angebliche Armwerdung der Familie, und die Schlußszene dieses Aktes ist die unnatürlichste, die affektirteste, die unwahrste!

Dieser Harry, welcher im ersten Akte von dem Niederreiten des Kindes sprach, wie von einem zertretenen Gartengeschirr, reißt sich nun unbegreiflicher Weise die Haare aus, um 100 Pfund für das Kind zu bekommen, will sogar ein Dieb werden, um 100 Pfund für das Kind zu erhalten! Diese ganze Szene ist ein Aufeinanderhäufen von Gewalteffekten, von denen einer unwahrer ist, als der andere! Endlich kommt der Sarg des Kindes, und wir fragen, warum der Verfasser dieses unschuldige Kind getötet? Bloß um einen rührenden Aktschluß zu haben! Und mit welcher falscher, geschwollener Sentimentalität putzt sich Harry in dieser Schlußszene auf! Er spricht nur von der „Zunge des Frevels auf der Wage des Schicksals“ und dann „flammen blaue Lichter oben, und scheinen hernieder u. s. w.,“ und all der Apparat von laugewaschener Gemüthlichkeit, dem alle innere Geltung und Wahrheit fehlt. Wie falsch oft Hr. Gutzkow nach Effekten sucht, mag auch die Rede des Todtengräbers beweisen, welcher sagt: „Die Armen haben Alles weit, auch den Kirchhof!“ Das sieht aus wie Etwas, und ist – nichts!! Die Armen haben gar nicht weit zum Kirchhof, sie wohnen meist ganz nahe bei!

Im zweiten Akte aber ist die höchste Höhe von Alltäglichkeit und ordinärer Redensart! Wir hören eine halbe Stunde lang die travestirte Mad. Leipziger reden von „Carbonadel, Cervelate, Rostbraten, von Schmalz und Eier, von Bohnen, Linsen u. s. w.“ Kurz es ist ein wahrer Tritschtratsch! und von dieser Szene an bis zum Ende dieses Aktes ist ein Fehlschuß nach dem andern, ein falscher Effekt nach dem andern!

In diesem Akte hat Hr. G. alle Effekte untereinander an die Haut des Publikums hingehalten, alle diese Effekte züngeln, lecken bald da, bald dort, aber sie packen nicht, man glaubt, allein sie können nicht packen, weil alle diese Effekte keine frischen sind, weil sie schon anderseitig und früher ihre Schuldigkeit gethan und gesogen haben!

In diesem Akte scheint der Verfasser einen Flaschenkeller von den verschiedensten Schriftstellermustern aufgepfropft zu haben! Da ist Iffland’scher 97ger! Da ist Kotzebue’scher Eilfer, da ist Raupach’scher 24ger, da ist Paalzow’scher 40ger u. s. w.

Alle Figuren und Charaktere aus den bekanntesten Familien- und Ackerbau-Stücken halten hier die große Heerschau!

Und Alles das ist mit so unpassender Sentimentalität, mit so verschossener, abgetakelter Gemüthlichkeit verbrämt, daß man staunen und schweigen muß! Harry ist nun Gärtner und – Advokat! Erst gräbt er, dann ist er Anwalt! Welche Unwahrheit! welche Gewaltsamkeit in der Zusammenschleppung aller dieser Situationen! und um wieder einen Beweis zu geben, mit welchen Diktions-Erbsen der Verfasser auf den Zuhörer schießt, führen wir an, daß Harry fragt: „wie tief soll ich das Beet im Garten graben?“ und die Gärtnerin antwortet: „so tief wie ein Grab!“ Kann man koketter sich schminken? Kann man den Zinnober röther und höher an die Augenlieder reiben?

Am Ende des Aktes wird Harry, welcher nichts gelernt hat, nichts weiß, nichts ist, Rechtsgelehrter, er raisonnirt über Giltigkeit des Testaments, über juristische Form, und läßt sich, um gegen seinen Vater zu prozeßiren, nach Bristol schicken! Das ist so gewaltsam, so spektakelhaft, so phantastisch, so ganz lamentabel!

Endlich im fünften Akte nimmt der Sohn dem Vater die moralische Zuchtruthe, mit welcher dieser ihn züchtigen wollte, aus der Hand, dreht die Ruthe um und schlägt mit dem Stil unbarmherzig auf den armen Vater los!

Der junge, ungeleckte, unstudirte Wiedehopf wird zur alten Nachteule, krächzt Weisheit und Moral, und besteht, wie man in Berlin sagt: „per tutemang“ drauf: Der Vater müsse an dem blöden Schicksal erliegen, das blinde Ungefähr müsse sein Opfer verschlingen, und der Irrgang des ganzen Lamentabiles müsse in der Sackgasse von einem blinden Schicksal ausmünden! Endlich kömmt Fielding, welchen man todt glaubt, lebend zur Thür herein, der große, ungezogene Gamin sperrt Maul und Augen auf, ist so gütig zu erlauben, daß sein Vater sein rechtliches Vermögen wieder annehme, hat auch nichts dagegen, daß er selbst wieder etwas Geld bekömmt, und ist ein ganz guter, lieber junger Mann! Am Ende geht die gewöhnliche Quadrille an, eine Doppelheirath, und das ist

Die Schule der Reichen!“

Das Stück endet mit den Worten: „Bete und arbeite.“ Ein Refrain, den wir gerne überall hören, nur nicht als ex voto am Ende eines Schauspiels, wo es grad so hinpaßt, wie eine Faust auf’s Auge. So viel ist gewiß, daß man nicht einsieht, warum dieser Satz aus dem ABC-Büchlein, aus dem Entenei dieses Schauspiels herauskriecht.

Man hat bisher gesagt, es läge stets eine Zeittendenz in G’s. Stücken. In diesem Stücke liegt weder Zeit noch Tendenz! Unsere Zeit schon gar nicht, und nur in England kann’s vor so und soviel Jahren so gezeittendenzelt haben! Und ist es wahr, haben unsere reichen Leute solche ungezogene Bengel? solche infame Jungens zu Kindern? Nein, es ist nicht wahr! So roh, so bis auf die Haut geschält und geschunden liegt der Fluch des Reichthums nicht offen vor uns. Bei unserm Reichthum ist alles tiefer, innerlicher, und nichts ist so flach, so platt, so ordinär, als es in dieser „Schule der Reichen“ mit alltäglicher possenhafter Flachheit vor uns liegt!

Selbst in der sonst so gerühmten Sprache ist hier nichts als Alltägliches, ja Triviales zu finden!

Gespielt ward vortrefflich! Insonders ist Hr. Anschütz vollkommen, und im fünften Akte riesenhaft wahr und ergreifend. Eben so herrlich gibt Hr. Fichtner den Harry, obwohl der Rolle aller Halt und alle Konsequenz fehlt. Nicht angenehm ist Dlle. Wildauer als Eliza.

5.2.2.2.6. Frankfurter Konversationsblatt, 8. November 1841#

[Anon.:] Gutzkow und die Bühnenkritik. In: Frankfurter Konversationsblatt. Nr. 308, 8. November 1841, S. 1230-1231. (Rasch 15/4.41.11.08.1)

„Wenn die Könige bau’n, haben die Kärrner zu thun.“ Kaum ist aus dem Kleeblatt: Savage, Werner, Patkul, durch die „Schule der Reichen“ über Nacht ein vierblättriges geworden, so braust [1231] auch schon von der Elbe und der Donau her ein Strom von Anfechtung und Beifall auf das jüngste Erzeugniß des Dichters, der eine Restauration der deutschen Bühne im Sinne führen soll. [...]

[Es werden die Elemente einer fachgerechten Kritik dargelegt, u. a. eine „unpartheiische Absonderung des Werks von dem Autor“]

Es ist schwer zu glauben, daß irgend einer von denen, welche bereits über die „Schule der Reichen“ berichtet haben, sich seine Aufgabe so hoch stellte. Was bis daher von Hamburg und Berlin laut geworden, waren Urtheile nach der Aufführung, nach dem Eindruck auf die Zuschauer, nach der Anlage des Stücks, nach vorgefaßten Meinungen, nach Gunst und Ungunst. Der Autor darf sich jedenfalls Glück wünschen; sein Werk hat rasch erlangt, was nicht immer durch innere Vorzüge verbürgt wird, – Spannung nemlich der Aufmerksamkeit, drängend zu eigner Prüfung. Der Kernspruch: „Volksstimme, Gottesstimme!“ gilt am wenigsten in der Literatur, selbst nicht bei Dramen, die doch auf die Menge wirken sollen. Darum will wenig bedeuten oder nichts, daß die „Schule der Reichen“ in Hamburg durchgefallen und zu Wien dreimal nach einander zur Aufführung gekommen seyn soll. Aber auch die Urtheile Spruchberechtigter geben in dem vorliegenden Fall keinen Haltpunkt, dieweil sie sich schnurstracks entgegen stehen. Hier nur, zum Beweis des Gesagten einige kritische Fragmente aus den Wiener Referaten. Der „Humorist“ [4.2.2.2.1., Schlesinger] beklagt an dem neuen Gutzkowschen Stück: Unzulänglichkeit der Grundidee, Inconsequenz der Charakteristik, jähen, durch Worte, nicht durch die That motivirten Uebersprung der Gesinnungs- und Empfindungsweise der Hauptpersonen, die weder erwärmen, noch erheben, noch zur Theilnahme anregen. Kurz, das Werk soll, obschon einzelner großen Schönheiten nicht entbehrend, ein verfehltes seyn. Dagegen fordert die „Wiener Zeitschrift“ [4.2.2.2.3., Anon.] nur eine Umschmelzung des fünften Acts, um in der „Schule der Reichen“ ein Stück zu begrüßen, das an tiefer poetischer Bedeutung, an Geistesreichthum und Gedankenfülle, den edelsten Erzeugnissen unseres Volks und unserer Zeit zugezählt werden müsse. – Das Urtheil in Bäuerle’s Allgemeiner Theaterzeitung [4.2.2.2.2., Meynert] lautet nicht minder günstig. Der Berichterstatter erklärt, Gutzkow habe mit dem neuen Schauspiel einen mächtigen Schritt vorwärts gethan. [Es folgt ein Zitat] – Noch entschiedener und wahrhaft überschwänglich im Lobe ist das „Oesterreichische Morgenblatt.“ Diese kritische Autorität will von keiner Entschuldigung hören für die Gebrechen des Stücks und schlägt jeden Tadel nieder mit der Kraftphrase: „In einem Dichter [...] dürfen [...] Flecken vorkommen, ohne daß seine Vorzüge darum minder leuchten [...] diese Schule der Reichen ist kraft ihrer edlen Volksthümlichkeit eines jener deutschen Schaupiele, welche das deutsche Herz immer verstehen wird.“ Claudite jam rivos, pueri; sat prata biberunt [lat. aus Vergil: Schließt nun die Schleusen, ihr Jungen; die Wiesen haben genug getrunken].

5.2.2.2.7. Europa, Dezember 1841#

[Anon.:] Wien. November. In: Europa. Karlsruhe u. Baden. 1841, Bd. 4 [Dezember], S. 477. (Rasch 15/4.41.12.2)

Wien. November.

Bis heute (6) ist „die Schule der Reichen“ bereits viermal mit dem besten Erfolge gegeben worden. Die Darstellung war vortrefflich. Freunde und Kenner der spanischen Literatur wollen eine große Aehnlichkeit mit dem „No mas mostrador“ des D. Mariano José de Larra finden, freilich aber durch Gutzkow’s vergeistigende Retorte getrieben. Bei dem spanischen Dichter bewegt sich das ganze in weit niedrigerer Sphäre. Bei Gutzkow ist alles schwerer, ernster, ich möchte sagen nordischer gehalten. Was die Anfangs zweifelhafte Aufnahme verursachte und die scharfe Kritik in ihrem Gefolge hervorrief, ist nicht weit zu suchen. Das Stück verstößt gegen die Ansichten kluger Leute, deren Zahl in unsern Tagen so groß ist, der Leute, die Jeden, der zu verstehen gibt, Wissen, Kunst, Talent, Reinheit des Herzens, Gefühl, Geschmack, dürften gegen Geld in die Wagschale gelegt werden, für einen naseweisen, mit dem Leben unbekannten Moralisten erklären, den man durch Vornehmthun an seine Nichtigkeit erinnern müsse.

5.2.2.2.8. Wiener Zuschauer, 14. Januar 1842#

[Anon.:] Correspondenz der Redaction. In: Wiener Zuschauer. Nr. 6, 14. Januar 1842, S. 55. (Rasch 15/4.42.01.14)

Ein ganzer Regenguß von Ausfällen und stumpfen Witzpfeilen gegen den Verfasser der „Schule der Reichen.“ Was Ihr für sonderbare Leute seyd, ihr kleinen, leberkranken Rezensentchen! Kommt eine Reihe französischer Übersetzungen auf das Theater, so spreizt ihr die Beine, schlägt die Hände über den Kopf zusammen und zwickert mit den Äuglein, voll des Jammers über die Armuth der deutschen Bühne und den Schlaf ihrer Dichter. Tritt aber nun ein Talent – ein junges, tüchtiges, vielversprechendes Talent – vor Euch hin mit einem echten deutschen Versuche – wie zermartert Ihr euch, das lebendige Werk nur gleich todt zu schlagen und mit noch zuckenden Gliedern auf euren unflätigen Sezirtisch zu werfen, um auch den kleinsten Makel mit grober Zange zu fassen! Da seyd Ihr alle Helden, schreit euren Tadel in die Welt hinein, verderbt durch euer Geschrei Unbefangenen die Freude an manchem eigenthümlichen, braven Werke, und verbittert den Autoren, die Ihr ermuntern sollt, die Lust, Neues zu schaffen. Wollte Gott, wir hätten mehr deutsche Stücke, wie die „Schule der Reichen,“ – Schauspiele, welche in die Fasern des bürgerlichen Lebens eingreifen, welche die Gebrechen der Gesellschaft an der Wurzel erfassen, und mit mahnendem Ton zu ihrer Zeit sprechen! Es ist wahr, dieses Schauspiel hat Fehler, welche das schärfere Auge des Kritikers finden und in der Absicht, den Dichter auf der schönen Bahn zu leiten, nicht verhehlen mag; aber noch mehr wahr bleibt es, die „Schule der Reichen“ ist ein gutes, treffliches Stück, das viel leistet und für die Zukunft von ihrem Verfasser noch weit mehr des Tüchtigen und Schönen uns hoffen läßt. Wenn ein bekannter Kritiker den Dichter schärfer faßte und bekriegte, befand sich dieser im Falle der Selbstvertheidigung gegen einen voraus gegangenen Angriff, der jedenfalls ein Ausfluß menschlicher Schwäche war; denn der wahre Dichter bleibt stumm gegen jede, gegen die gerechte wie ungerechte und leidenschaftliche Kritik. Aber was habt Ihr, Nachtreter, erbärmliche Nachbeter, ohne Kenntnisse, ohne Prüfung und Sichtung der Dinge und Verhältnisse, in dieser Sache zu thun? bedarf es eures gellenden Chorus, um eine Wunde unsers literarischen Lebens noch weiter klaffen und die Trauer der Unbefangenen und wahren Freunde des Schönen noch größer zu machen?

 5.2.2.2.9. Ost und West, 4. Februar 1842#

[Anon.:] Notizen. (Das Hofburgtheater in Wien.) In: Ost und West. Prag. Nr. 10, 4. Februar 1842, S. 40. (Rasch 15/4.42.02.04N)

[Nachdruck aus der Leipziger Zeitschrift „Der Komet“ über die Leistungen des Wiener Hofburgtheaters in den vergangenen Monaten.]

Die Leipziger Zeitschrift: „Der Komet“ enthält folgende interessante Uebersicht der Leistungen dieses ersten deutschen Kunstinstituts: [„] [...] Aber den schönsten Sieg hat Herr von Holbein mit Gutzkows neuestem Schauspiel: „Die Schule der Reichen“ davon getragen, über welches bekanntlich in Hamburg, wo doch weder Kälte noch Ungerechtigkeit gegen Gutzkow wahrzunehmen war, ein förmliches Pereat ausgesprochen wurde. Wenn wir gleich gestehen müssen, daß wir Gutzkows Savage, Werner und Patkul in der Kraft der Idee diesem letzten Werke weit vorziehen müssen, so hat dieses doch einen ganz eigenthümlichen, auf die Masse wirkenden Reiz in dem ungeheuern Reichthum und der Mannigfaltigkeit der – mitunter mehr als billig heterogenen – Elemente, aus denen es zusammengesetzt ist. Dadurch wurde aber auch zugleich die Mise en scène so ungeheuer erschwert, daß es wahrlich nicht nur eines so zahlreichen Personals, als die Wiener Hofbühne besitzt, sondern auch eines Mannes von Holbeins Gewandtheit und Geschmack bedarf, der zugleich auf eine so zweckmäßige Weise zu streichen und zu kürzen versteht, daß weder Dichter noch Zuschauer beeinträchtigt wird, und daß er dies hier mit beneidenswerthem Glück gethan, zeigt eine flüchtige Vergleichung des dargestellten ersten Aktes mit jenem des Buches. Es wäre undankbar, wenn Gutzkow das große Verdienst nicht anerkennen wollte, welches sich Herr von Holbein um das jüngste Kind seiner (diesmal etwas bizarren) Laune erworben, und demselben die Bahn auf alle deutschen Bühnen eröffnet hat; denn gerade dieses große Beispiel wird die Regisseurs anderer Bühnen anspornen, die höchste Sorgfalt auf dasselbe zu wenden, da bereits bewiesen wurde, daß es möglich sei, dasselbe selbst einem Publikum annehmlich zu machen, das mit den Interessen und Zuständen dieses Drama’s nur wenig Sympathie fühlen kann.“

5.2.2.3. Wiesbadener Aufführungen#
5.2.2.3.1. Allgemeine Theater-Chronik, 27. Dezember 1841#

[Anon.:] Correspondenz. Wiesbaden, am 11. Decbr. 1841. In: Allgemeine Theater-Chronik. Leipzig. Nr. 154, 27. Dezember 1841, S. 615. (Rasch 15/4.41.12.27)

5.2.2.4. Prager Aufführungen#
 5.2.2.4.1. Beiblätter zu „Ost und West“, 22. Januar 1842#

Ern.: Die Bühne. [Darin:] Freitag den 21. [Zur ersten Aufführung der Schule der Reichen in Prag.] In: Beiblätter zu „Ost und West“. Prag. Nr. 13, 22. Januar 1842, S. 54-55. (Rasch 15/4.42.01.22N)

Unser vielgefeierte, und um unsere Theaterfreuden hochverdiente Veteran Bayer, hatte zu seinem heutigen Benefiz die erste Vorstellung von Gutzkow’s vielbesprochener „Schule der Reichen“ gewählt, ein Stück, das großen Zwiespalt der Kritiker hervorgerufen hat, bei uns mit großer Sorgfalt in Scene gesetzt gesetzt worden, und daher auch mit schön gerundetem Spiele und unter dem Beifalle eines vollen Hauses über die Bühne ging. Die Vorstellung war eine sehr gute, der man mehre sorgfältige Proben anmerken konnte. Hr. Bayer (Sir Thompson) wurde mit lang anhaltendem, herzlichem Beifalle begrüßt. Er spielte mit steigender Glut von Anfang bis zu Ende. Von gleichem Eifer waren Mad. Binder (Thompson’s Frau) und Hr. Binder (Harry) belebt. Alle übrigen in diesem Stücke Beschäftigten waren mit Umsicht gewählt, und führten ihre Partien recht gut durch. [Es folgt eine kurze Inhaltsangabe des Stücks mit der Ankündigung (S. 55), bei der nächsten Aufführung ausführlicher auf „den Werth dieses Dramas“ einzugehen.

5.2.2.4.2. Beiblätter zu „Ost und West“, 3. Februar 1842#

Az.: Die Bühne. [Darin:] Mittwoch den 2. „Die Schule der Reichen“, Schauspiel von Gutzkow. In: Beiblätter zu „Ost und West“. Prag. Nr. 20, 3. Februar 1842, S. 82. (Rasch 15/4.42.02.03N)

Wenn wir auch hie und da manches Verfehlte in diesem neuen poetischen Produkte des geistreichen Verfassers von „Werner“ finden, im Ganzen zeigt sich ein dramatisches Talent, dessen Streben preiswürdig ist. Die zeitgemäße Tendenz, daß die Schule des Reichthums die Armuth ist, wird hier auf eine poetische Weise durchgeführt. Die Sprache ist kraftvoll und manche Szenen wiegen ein Dutzend französische Fabrikate des Hrn. Scribe et Compagnie auf, die sich auf den Bühnen herumtummeln. Die Aufnahme der „Schule der Reichen“ war heute eine noch lebhaftere, und das Publikum sprach seinen Beifall laut und lauter aus. [...]

 5.2.2.4.3. Wiener Zeitschrift, 17. Februar 1842#

[Anon.:] Correspondent-Nachrichten. Prag, im Jänner 1842. In: Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode. Wien. Nr. 34, 17. Februar 1842, S. 270-271. (Rasch 15/4.42.02.17N)

„Die Schule der Reichen“ [...] ist in diesen Blättern so gründlich und erschöpfend beur-[271]theilt worden [4.2.2.2.3., Anon.], daß mir nur übrig bleibt, über die hiesige Production und Aufnahme zu berichten. Die letztere war entschieden günstig, die Reprise fast noch gefüllter, als die erste Aufführung, und die Prager Theaterliebhaber haben sich also dießmal nicht dem Hamburger, sondern dem Wiener Publicum angeschlossen. Was die erstere betrifft, so muß vor Allem Mad. Binder (Mary) erwähnt werden, welche ein eben so treffendes als glänzend colorirtes Charakterbild aufstellte, und sich sogar in dem gefährlichen Kochbuchmomente einen stürmischen Beyfall zu erringen wußte. Hr. Bayer (Thompson) gab die Rolle in der zweyten Vorstellung viel vorzüglicher als das erste Mal *). Hr. Dietz (Henry) war zu wenig genial. Mad. Schwanfelder (Jenny) erschien etwas zu larmoyant und deßhalb schwer zu verstehen. Ausgezeichnet stellte Hr. Preisinger den Juden Ephraim dar.

5.2.2.5. Pesther Aufführungen#
 5.2.2.5.1. Der Humorist, 9. Februar 1842#

[Anon.:] Der Theater-Telegraph. Pesth. In: Der Humorist. Wien. Nr. 28, 9. Februar 1842, S. 114. (Rasch 15/4.42.02.09)

Ueber Gutzkow’s „Schule der Reichen,“ welche am 3. d. M. im hiesigen deutschen Theater gegeben wurde, sagt der geist- und urtheilsvolle Berichterstatter im „Pesther Tageblatte:“ „Wir haben nichts dagegen, daß das Drama ein sogenanntes Tendenz-Stück“ seyn soll – in dem Sinne nämlich, daß in jedem Kunstwerke eine Idee veranschaulicht werde, muß doch zuletzt die Bühnenpoesie eine Tendenz einschließen – allein wir fragen, und mit uns gewiß alle Zuhörer, die mit Theilnahme, aber unbefriedigt und unerquickt bis zu Ende blieben, welche Tendenz dem Schauspiele zugrunde liege? Wir können unmöglich glauben, daß des Autors Absicht gewesen sei: das Sündliche des Reichthums und die absolute Verworfenheit der Reichen darzuthun; das wäre wohl für einen Gutzkow zu absurd und zu läppisch: und doch ist aus der Anlage, aus der Durchführung, aus den eingestreuten Episoden, aus vielen hierauf anspielenden Sentenzen kein anderer Schluß zu ziehen. Wir könnten aber doch im Irrthume sein, und wollen wir zugeben, daß der Dichter bloß jenen Reichen einen Warnungsspiegel habe vorhalten wollen, welche von erworbenen Glücksgütern einen Mißbrauch machen, und auf Kosten des häuslichen Glückes und innerer Zufriedenheit dem Moloch des äußern Glanzes ihr besseres Selbst zum Opfer bringen, so wissen wir nicht, ob die Inkonsequenz der geschilderten Individuen, die Unmaße von willkürlichen, gewaltsamen, unwahrscheinlichen Vorgängen, die fast an’s Lächerliche streifende Katastrophe auch in diesem Falle von wirksamen Erfolge sein könne. Wollte Gutzkow nicht mit Recht den Verdacht auf sich laden, daß er absichtlich die Reichen verletzen wollte, so hätte er einen, in ethischer wie in ästhetischer Beziehung wirksamen Gegensatz anbringen sollen, indem er das Konterfei eines vernünftigen Reichen, oder eines edel und würdig benützten Reichthumes, diesen Verderbtheiten und Ausschweifungen gegenüber, gegeben hätte: allein er hat nur die Schattenseiten in der grellsten Zeichnung hervorgehoben, und selbst der alte Thompson, den doch der Dichter, als Hebel zur Förderung seiner Zwecke, etwas weniger an Reichthumskrankheit leiden läßt, hat doch noch von dem Kontagium so viel in sich, daß er in die schrecklichste Rezidive verfällt, und durch die Verzweiflung, die er bei dem wirklichen Verluste seines Mammons empfindet, allen Glauben an seine bessere Gesinnung bei den Zuschauern vernichtet. Doch gesetzt den Fall, die ersten Akte veranschaulichten eine allgemeine oder spezielle Wahrheit, ist die ersonnene Kur eine rationelle, ist sie eine durchgreifende und radikale, ist sie eine die vorgebliche Tendenz fördernde, ist sie von psychologischem und moralischem Gesichtspunkte betrachtet, eine richtige, ist sie, endlich, am Schlusse des Stückes, eine gelungene oder als nachahmungswerth anzuempfehlende? Wir glauben kaum. Wir dächten, ein kluger und einsichtsvoller Hausvater sollte zu ganz andern Maßregeln seine Zuflucht nehmen, wenn er seine Familie am Rande des verderblichen Abgrundes retten will. Das erdachte Heilmittel zeigt von Schwäche des Charakters, und erweis’t sich durch den ganzen Verlauf des Stückes als ungenügend. Was Harry im ersten Moment des hereingebrochenen Unglückes unternimmt, ist – ein Diebstahl; wohin der führen könnte, wenn nicht zufällig die komödienhaft eintretende Beerdigung des von ihm getödteten Kindes Statt fände, das läßt sich von selbst errathen. Die Besserung Harry’s ist also eine zufällige, und nicht aus der eingeleiteten Kur entsprungene. Daß die alte Mary eine Närrin bleibt, wie zuvor, das hat der Dichter gar nicht bemäntelt, daß Elisa ihre Rolle eben so farblos fortspielt, wie zu der Zeit, als sie noch vom Glanze des Reichthumes umgeben war, wird jedem Einsichtigen klar, wie wenig Muth aber Thompson selbst besitze, um wirkliche Armuth ertragen zu können, das geht aus der krampfhaften Verzweiflung hervor, die er beim Verluste seines Vermögens unverholen und in fast kindischer Weise äußert.

War Harry früher bis zu dem Grade der Abspannung lebensmuthig und genußsüchtig – so schlägt jetzt sein Charakter in das Extrem um, und eine krankhafte und unerquickliche Reizbarkeit und Hypochondrie geben keineswegs die Ueberzeugung, daß er mit sich im Klaren, und daß er sich der wahren Bestimmung des Menschen bewußt geworden sei. Wir sehen also, daß die bloße Armuth auch nicht das Arcanum sei, das zum Glücke und zur Tugend führt, und wenn Gutzkow den schlichten Fielding sagen läßt: „was doch die Armen gut und glücklich sind!“ so ist das eine Floskel, die eben so läppisch als hyperbolisch ist. Weder Reichthum noch Armuth machen an und für sich die Menschen gut und glücklich: der Gebrauch, den man von jenem macht, der bescheidene Sinn, in dem man sich in die letztere fügt, dies bestimmt die Möglichkeit des Glückes und des tugendsamen Wandels. Wir reden nicht von der widerwärtigen Weise, in der Harry seinem Vater eine Predigt hält, die dieser wohl vom Kritiker verdient, die aber im Munde des Sohnes höchst verletzend klingt. Wir reden nicht von der lächerlichen Entwirrung des Knotens, indem Fielding von den Todten aufersteht, wir reden nicht von dem schwachen Eindrucke, den der Schluß des Schauspiels hervorbringt, indem – die Möglichkeit einer Rezidive höchst wahrscheinlich ist, da alle diese gerügten Fehler zu sehr in die Augen springen, und auch dem oberflächlichen Beurtheiler von selbst einleuchten müssen.

Trotz dem ist das Stück reich an geistvollen Pointen, und wenn man gelungene Skizzen für ein Ganzes, treffende Charakterzüge für einen tiefdurchdachten Charakter, pikante und witzreiche Wendungen für wohlersonnene Motive gelten lassen will, so verläugnet sich auch in diesem Werke der Scharfsinn des Verfassers nicht: allein als poetischem Werke fehlt ihm Gemüthlichkeit und Seele, als theatralischem Produkte organische Gliederung und Entäußerung subjektiver Ansichten, die zu Paradoxien werden.

Die Aufnahme war eine sehr laue, die um so mehr erkaltete, je mehr das Stück dem Ende zuging.“

 5.2.2.5.2. Dr. Némethy in „Der Humorist“, 11. Februar 1842#

Dr. Némethy: Pesther-Ofner Kourier. In: Der Humorist. Wien. Nr. 30, 11. Februar 1842, S. 123. (Rasch 15/4.42.02.11)

Gutzkow’s „Schule der Reichen“ versammelte eine äußerst geringe Anzahl abonnirter Zuhörer. Diese Reichenschule hatte zu klare, logisch erwiesene Armuthsateste in unserem beliebten, akkreditirten „Humoristen“ vorangesendet, als daß es ihr hätte gelingen können, ein zahlreiches Auditorium anzulocken. Viele wollten behaupten, – und ich gestehe meine Schwäche, auch ich – Gutzkow hätte nur aus bekannter Großmuth einem dürftigen Dramatiker seinen Namen zu dieser „Schule der Reichen“ hergeborgt. Daß Gutzkow, der geistvolle Kritiker, Produzent eines so durch und durch mittelst Spinnengewebe verbrauchter, unmotivirter Moralsentenzen konstruirten Stückes sei, konnte Niemanden einleuchten. Ich enthalte mich jedes Raisonements, weil in jeder Szene die Bewunderung, wie diese „Schule der Reichen“ aus Gutzkows Gehirn entsprungen – meine Aufmerksamkeit verdrängte. Man muß vortreffliche und hyperverfehlte Piecen zwei Mal anhören um wahr und gerecht hierüber zu raisonniren. – Ich beschränkte mich heute auf das Urtheil unseres sonst leicht erregbaren Publikums, und dieses nahm sämmtliche fünf gestreckte Akte mit einer größeren Kälte auf, als unser Theater-Barometer an diesem Abende zeigte. Ich müßte lügen, wenn ich die Darstellung als eine schlechte bezeichnete. Wagner und Mad. Grill, Harry und Elisa, hatten sogar viele gelungene, studierte Szenen geboten. Freilich war unser Dietrich, Thompson mal placé, und eine Alternative mit Berg, Fielding, hätte vielleicht Gutzkow’s Reichenschule vor der gänzlichen Sinkung bei uns retten können. Wieder traten die Coriphäen der deutschen Bühnenkunst aus der Hochschule des k. k. Hofburgtheaters in unsere Erinnerung. Wenn man so lies’t, dort hat ein solches dramatisches Spinnengewebe Anklang gefunden, kann man den Glauben an höhere Kunstweihe nicht verlieren. Ich werde, wenn die „Schule der Reichen“ eine Wiederholung erlebt, woran ich aber zweifle, auf dieselbe in diesen der Wahrheit geweihten Blättern zurückkommen.

 5.2.2.6. Linzer Aufführungen#
 5.2.2.6.1. Rossi, 16. Februar 1842#

Rossi: Theater in Linz. Am 11. d. M. zum ersten Mal und zum Vortheil der Schauspielerin, Sängerin und Tänzerin Madame Korner: „Die Schule der Reichen,“ Schauspiel in 5 Aufzügen von C. Gutzkow. In: Die Warte an der Donau. Linz. Nr. 26, 16. Februar 1842, S. 104. (Rasch 15/442.02.16N)

Am 11. d. M. zum ersten Mal und zum Vortheile der Schauspielerin, Sängerin und Tänzerin Madame Korner: „Die Schule der Reichen,“ Schauspiel in 5 Aufzügen von C. Gutzkow.

Dies neue Product des genialen Doctors hat auch in Linz, wie überall, wo es bis jetzt seine Runde machte, die verschiedensten Ansichten erregt, und während es von einigen Seiten hoch gepriesen wurde, suchten Andere gefließentlich die organischen Defecte und Schwächen desselben an’s Licht zu stellen. [...] so kann ich [...] bloß eine Thatsache berichten, daß hier nämlich dieses Gutzkow’sche Lehrsystem über die „Schule der Reichen“ keine besondere Theilnahme bei den meisten Zuhörern erweckte, welche dasselbe als unausführbar im gewöhnlichen Leben zu finden glaubten. Die Idee, daß große Reichthümer das Herz verderben, und die bessern menschlichen Gefühle im Busen ersticken; daß entartete Reiche durch die Armut geschmeidig, sogar tugendhaft geworden, ist überdies gar zu oft unter tausenderlei Formen und Verhältnissen da gewesen, um jetzt noch irgend ein lebhaftes Interesse einzuflößen. [...] Uebrigens hat dieses Drama wunderschöne Einzelnheiten aufzuweisen, wie überhaupt der reiche Geist Gutzkow’s in seinen Werken immer glänzend hervorzutreten pflegt. Vor Allem ist hier von der bündigen, kernigen, scharf gedachten Sprache, von dem warmen, pulsirenden Leben zu sprechen, dessen Hauch an mehreren Stellen großartige Wirkung äußert. Die Charaktere des Thompson und des Harry erscheinen freilich in ihren Vorsätzen schwankend und inconsequent, allein die Planmäßigkeit, welche aus dem ganzen Schauspiele spricht, scheint uns zu beweisen, daß der Verfasser hierin nicht ohne Absicht verfuhr, und auch in dieser Beziehung den Menschen mit seinen ewigen Widersprüchen [...] schildern wollte. Die ersten Acte, hauptsächlich der dritte, sind unstreitig die gelungensten; die letzten Scenen des fünften Actes ziehen sich etwas schleppend in die Länge. [...] Die eigentlichen Träger und die Seele des Drama waren die Herren Hörtel (Thompson), Korner (Harry) und Mad. Haßloch (Frau Thompson), welche uns heute wieder eine überaus klare, treffende, durchgehends charakteristische Conception ihrer Aufgaben zeigten. Schauspieler, welche so oft die heterogensten Charaktere, und zwar mit solcher Kunst darstellen können, haben auch wahrlich mit Recht alle Ansprüche auf das Prädicat: Künstler. [...] Die Darsteller der Hauptpartien wurden wiederholt gerufen.

5.2.2.7. Rigaer Aufführungen#
 5.2.2.7.1. Oswald in „Abendzeitung“, 29. November 1842#

Oswald: Korrespondenz-Nachrichten. Aus Riga. Am 1. November 1842. In: Abendzeitung. Dresden u. Leipzig. Nr. 285, 29. November 1842, S. 2295. (Rasch 15/4.11.29)

 5.2.2.8. Züricher Aufführungen#

Vgl. 5.2.1.4. Charlotte Birch-Pfeiffer an Gutzkow, 4. Februar 1843.

5.2.2.9. Kölner Aufführungen#
 5.2.2.9.1. Kölnische Zeitung, 28. Dezember 1846#

[Anon.:] Theater-Notiz. In: Kölnische Zeitung. Nr. 362, 28. Dezember 1846, [S. 2].

Am 25. sahen wir zum ersten Male „Die Schule der Reichen“ von K. Gutzkow, ein Stück, das an mehreren Orten und auch hier einen nur zweifelhaften Erfolg hatte. Es hat allerdings viel Unwahrscheinlichkeiten, die des Effects willen beliebt sind; das Ganze ist kein rechter lebenskräftiger Organismus, sondern etwas willkürlich Zusammengestelltes: aber unserer Ansicht nach könnte es mit wenigen Strichen in ein spannendes und interessantes Bühnenstück, wie es schon jetzt ein geistreiches und rasch bewegtes ist, umgewandelt werden. Der Autor müßte nur auf einige Effecte und mehrere überflüssige Personen verzichten. Die Hauptrollen des Thompson und Harry wurden durch die Herren W. Gerstel und Schwarz recht brav dargestellt.

 5.3. Rezeptionsrelevante Zeugnisse Gutzkows#
5.3.1. An Emil Devrient, 18. Juli 1841#

Karl Gutzkow an Emil Devrient, Hamburg, 18. Juli 1841. In: Heinrich Hubert Houben: Emil Devrient. Sein Leben, sein Wirken, sein Nachlass. Ein Gedenkbuch. Frankfurt/M.: Literarische Anstalt Rütten & Loening, 1903. S. 196-197; Auszug S. 196-197.

Mit Patkul ist es natürlich nichts in Dresden; aber „die Schule der Reichen“ sei Dir bestens empfohlen. Hauptrollen sind: Pauli u. Du. Vater u. Sohn. Harry ist eine interessante Aufgabe. I. Akt: Frechster Uebermuth eines vornehm erzogenen Patriziersohns. II. Akt: Diesselbe Element auf die Spitze getrieben. III. Akt: Zuerst excessive Blasirtheit und dann tragischer Umschwung. Eine dämonische Nachtscene. Aktschluss. IV. Akt: Lyrische Wehmuth, innere tiefste Erschütterung u. rührende Reflexion. V. Akt: Hohe sittliche Wiedergeburt, höchster Aufschwung u. männliche Kraft. Der Sohn steht grösser da, als sein Vater. Genug, diesen Harry musst Du mir ja recht lieb gewinnen u. frühestens in Dresden herausbringen. Wohin soll ich Dir das Buch schicken? In Dresden will man mir nicht wohl, deshalb reich’ ich es vor Deiner Rückkehr nicht ein.

5.3.2. Analyse der Schule der Reichen, 27. Oktober 1841#

[Anon.:] Die Schule der Reichen. Eine Analyse. In: Privilegirte wöchentliche gemeinnützige Nachrichten von und für Hamburg. Nr. 255, 27. Oktober 1841, S. 4. (Rasch 3.41.10.27.2N)

Erster Act. Wir befinden uns in der Kron- und Anker-Tavern zu London und lernen den eigenthümlichen Geist vormaliger Handelsverhältnisse, besonders die Entdeckungssucht und Lust an furchtbaren gewagten Unternehmungen kennen. Ein reicher Kaufherr, Thompson, begrüßt seinen Geschäftsfreund Fielding, der ihn aus Bristol einer Geschäftsangelegenheit wegen besucht. Ihr Gespräch stört ein draußen vorübertobender Zug von wilden jungen Lords, die bald darauf selbst die Scene betreten und in der hochfahrendsten Art die anwesenden Gäste mißhandeln und ihren Uebermuth, so wie alle sittlichen Gefahren des Reichthums zur Schau tragen. Der Anführer dieser Rotte geht in seiner Wildheit sogar so weit, über die Köpfe der Gäste weg ein Gewehr abzufeuern. Allgemeiner Tumult. Fielding und Thompson treten wieder heraus. Jener frägt: Wer war dieser verruchte Mensch an der Spitze des wilden Haufens? Thompson antwortet mit dem Ausdruck des tiefsten Schmerzes: Mein Sohn!

Zweiter Act. Im Hause Thompson’s. Wiederum werden uns die Gefahren des Reichthums geschildert. Zuerst an den jüngsten Kindern Thompsons im Umgang mit ihrem Hofmeister, dann an dem weiblichen Theile seiner Familie. In dem Augenblick, als der Vater und sein Geschäftsfreund eben eingetreten sind, ereignet sich draußen das Unglück, daß der im ersten Aufzug gehörte Umzug vornehmer junger Lords ein unbekanntes Kind überreitet. Harry, der älteste Sohn Thompson’s, ist nicht ohne Schuld daran. Er tritt ein, giebt Maxwell, dem eigentlichen Thäter, seinem künftigen Schwager, einen Beutel mit 200 Guineen, die dieser den Angehörigen aushändigen soll und führt in lustigem Jubel die Seinigen, die auf einen Ball bei einem Herzog gehen wollen, ab. Fielding sagt, erstarrt über alle diese Vorgänge, Thompson Lebewohl und erklärt, bis zur Ankunft der Post, wo er sein Geschäft mit Thompson abmachen wolle, einen Vetter in der Vorstadt, einen armen Gärtner, besuchen zu wollen. Thompson ist allein. Der sittliche Zustand seiner im Ueberfluß schwelgenden Familie bringt ihn in Verzweiflung. Er sinnt über einen ungeheuren Gedanken nach, den er, um das Seelenheil seiner Angehörigen zu retten, ausführen mögte. Doch noch einmal will er in Güte reden und ruft seine Familie. Sie begegnet ihm, eben im Begriffe, auf den Ball eines Herzogs zu gehen. Thompson macht den Seinigen die innigsten Vorstellungen, sich zu bessern, er bittet, er fleht, er warnt. Sie hören nicht. Da tritt Fielding mit der indischen Post zu ihm heran. Er sieht, daß die Forderung seines Freundes sehr groß ist und winkt ihm, zum äußersten, zum furchtbarsten Entschlusse gebracht, voran zu gehen, in sein Zimmer, zur Abrechnung.

Dritter Act. Einer von Harry’s wilden Genossen ist in Geldnoth. Maxwell, Harry’s Schwager, kann ihm nicht helfen. Er geht. Maxwell verräth, daß er jene 200 Guineen, die für das verwundete Kind bestimmt waren, für sich genommen und den Angehörigen nur 5 gegeben hätte. Indem kommen Harry’s Schwester und Harry. Harry ist im Zustand höchster moralischer Zerrissenheit. Blasirt, philosophirt er über das Leben und läßt eine Zerrüttung seines Gemüthes ahnen, die nur durch ein gewaltiges Schicksal wird geheilt werden können. Das Schicksal ist da. Ein Jude, Ephraim, verkündet es. Der reiche Thompson hat fallirt. Wir erblicken Harry vor dem öden Vaterhause. Alles ausgestorben. Er ist arm! Er fühlt noch die Armuth nicht. Da hört er, daß das verwundete Kind von Maxwell nur 5 Pfund erhielt. Diese Nachricht erschüttert ihn entsetzlich. Hundert Pfund! ruft er. „Auf jeden Stern dort oben am Himmel ein Pfund!“ Er bittet Ephraim. Umsonst. Er bittet zwei Gefährtinnen seines frühern Luxuslebens. Umsonst. Er sieht einen seiner Genossen bei Ephraim einsteigen und ist nahe daran – ein Dieb zu werden! Da thönt eine Glocke. Man trägt einen kleinen Sarg. Das Kind, das verwundete Kind, ist todt! Harry, vernichtet, aufgelöst vor Schmerz, hat nun die Umkehr seines Innern erfahren und ruft aus: „Am frischen Grab des Kindes will ich beten.“

Vierter Act. Wir erblicken jetzt die einst so reiche Familie Thompson’s in einer armen Hütte. Eliza, Thompson’s Tochter, die Kinder, die Mutter lernen wir in neuen Verhältnissen kennen. Sie gewöhnen sich an das Gefühl, arm zu seyn. Es wird ihnen schwer, aber sie müssen und sie können es. Da erhält Thompson einen Brief. Fielding liegt auf den Tod. Diese Nachricht erschüttert ihn so furchtbar, daß wir ahnen, hier müsse etwas Tieferes angelegt seyn. Inzwischen ist Harry vom Grabe des Kindes zu einem Gärtner in der Vorstadt geirrt, dem Vetter Fielding’s. Hier sieht er zum ersten Male wahre Natur. Die Tochter des Gärtners zieht ihn inniglich an. Er ist ein Arbeiter geworden, der sein Herz am Busen der Natur wieder erwärmen will. Da kommt ein Brief aus Bristol. Fielding ist todt und hat ein ungeheures, unglaubliches Vermögen hinterlassen, das er zwar – an Thompson vermacht hat, das aber durch juristische Hülfe leicht dem eigentlichen Erben, diesem Gärtner, zugewandt werden kann. Harry sieht hier die Möglichkeit, wieder reich zu werden: aber da der Gärtner ihn bittet, statt seiner nach Bristol zu reisen und ihm die Erbschaft in Ordnung zu bringen, so bemächtigt sich seiner ein solcher Haß des Reichthums, daß er zwar seinem armen Vater einen Antheil an der Hinterlassenschaft Fielding’s bedingt, sich aber, in begeisterter Entsagung, selbst enterbt.

Fünfter Act. Wir befinden uns in Bristol. Thompson, halb wahnsinnig, kommt, um Fielding’s Erbschaft für sich anzutreten und dem Gegner, dem Gärtner, die Ansprüche zu entreißen. Wer tritt ihm als Anwalt seines Gegners entgegen? Sein eigner Sohn! Alle Verhältnisse haben sich nun umgeworfen. Thompson, der alte Mann, verräth, daß es unmöglich ist, sich von seinem selbsterworbenen Eigenthum zu trennen; Harry, sein gebesserter Sohn, macht ihm mit Recht Vorwürfe, daß der Vater ihn nicht gelehrt hätte, seines Reichthums würdig zu genießen. Die tragische Situation, wo Besitz und Heroismus mit einander streiten, scheint unlösbar, als plötzlich der für todt erklärte Fielding geisterhaft zwischen die Streitenden tritt. Jetzt kommt der ganze Plan Thompson’s zum Vorschein. Er hatte, um seine Familie zu retten, sie nur künstlich arm gemacht und Fielding seine Habe zur Verwahrung übergeben. Fielding, sich sträubend gegen diesen Eingriff in Gottes Rechte, hatte kein anderes Mittel gewußt, sich von dieser entsetzlichen Verantwortlichkeit zu befreien, als das, – sich für todt zu erklären. Thompson’s Familie ist gebessert und wieder reich. Thompson hatte geglaubt, Armuth wäre die Schule der Reichen. Nein, heißt die Moral des Schlusses und des ganzen Drama’s: die Armen und die Reichen haben eine und dieselbe Schule, die Arbeit.

5.3.3. Erklärung, 13. November 1841#

Karl Gutzkow: Erklärung (Hamburg, den 12 November 1841). In: Staats- und gelehrte Zeitung des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten. Nr. 269, 13. November 1841, [S. 6].

Volksredner und dramatische Schriftsteller sind in der Lage, für ihre Worte und Werke mit den reizbarsten Stimmungen des Gemüthes, mit der Ehre und Würde der eignen Persönlichkeit einstehen zu müssen. Unter einigen bekannt gewordenen Verhältnissen kann man mir daher wohl nicht verdenken, daß ich auf die Ansprache, die mein Drama: „Die Schule der Reichen“ am K. K. Hofburgtheater zu Wien gefunden hat, einen großen Werth lege. Jene scandalsüchtige Coterie, die seit den vier Jahren, wo ich in Hamburg lebe und wirke, allen meinen Schritten und Schicksalen, wie es kommt, neidisch oder schadenfroh, immer aber mit beispielloser Entstellungssucht nachschleicht, giebt sich in einigen hiesigen Journalen jede nur erdenkliche Mühe, die mir von Wien gekommene Genugthuung in Abrede zu stellen. Um nun diesen von ihr ausgestreuten Lügen ein Ende zu machen, bin ich, meiner eignen Ehre wegen, gezwungen, hier auszugsweise eine authentische Mittheilung zu allgemeiner Kenntniß zu bringen. Der würdige Vorstand des K. K. Hofburgtheaters schreibt an mich vom 3. Nov.: „So eben hörte ich, daß Ihre Schule der Reichen in Hamburg den Eindruck nicht gemacht haben soll, den sie verdient, und fühle mich daher verpflichtet, Ihnen noch nachträglich zu berichten, daß dieses Stück seit wenig Tagen heute das vierte Mal bei uns gegeben wird und der Beifall, obgleich schon in der ersten Vorstellung entschieden, doch in der zweiten höher, in der dritten, gleich der Einnahme, am höchsten stieg. Das meiste Applaudissement und die größte Einnahme in der dritten. Diese Worte mögen Ihnen, wenn auch prosaisch, doch schlagend und ad oculos beweisen, wie es hier mit Ihrer werthvollen Dichtung steht. – Wenn diese Zeilen Ihnen Freude machen, so haben sie ihren Zweck erreicht! (Gez.) v. Holbein.

 5.3.4. Miszelle, 24. November 1841#

[Anon.:] Miscellen. In: Telegraph für Deutschland. Hamburg. Nr. 188, [24.] November 1841, S. 751-752. (Rasch 3.41.11.24.1)

(Gutzkows Replik auf die Kritik Saphirs an der Schule der Reichen [5.2.2.2.5.])

Der Redakteur dieser Blätter ist seit zehn Jahren der Meinung gewesen, daß die moderne Poesie ihre Aufgabe in großen Zwecken zu lösen habe. Er hat sich den wenigen Geistern unsres Jahrhunderts, sie rühmend und ihnen nacheifernd, angeschlossen, welche ihre Subjektivität der Menschheit, ihre Gefühle dem Gedanken opferten. Als er: Die Schule der Reichen schrieb, wußte er, daß er darin den Reichen theilweise, den Schmeichlern der Reichen ganz mißfallen würde. Er wußte es, daß ihn nicht die verdammen würden, die reich sind, wohl aber die, die reich werden wollen. Er rechnete auf den Beifall aller der Schriftsteller, die mit dem Harfner in Göthes Meister singen können: Wer nie sein Brod in Thränen aß, der kennt Euch nicht, Ihr himmlischen Mächte! – auf [752] den Widerspruch jener Schriftsteller, die ihr Talent herabwürdigen zur Schmeichelei der Großen und der Privilegien. Seine Erwartung ist eingetroffen, bestätigt in jeder seiner Voraussetzungen. Er fühlt sich glücklich, die Feuertaufe seines Berufes als Dramatiker empfangen zu haben, so wie er sich glücklich fühlte bei allen herben Weihen, die das Leben und sein Maaß seinem maaßlosen Triebe nach Wahrheit schenkte. Der Widerspruch der Reichen, der Trost des Armen ist ihm geworden und wenn er die wüthende Erwiderung der Schmeichler, die nackte Entrüstung der Schmarotzer lesen will, so braucht er nur zu den Artikeln des Wiener Humoristen, zu den Artikeln des Herrn Saphir, zu greifen. – Der Humorist brachte deren zwei. Der erste [5.2.2.2.1., Schlesinger] war nach dem flüchtigen Eindruck einer ersten Vorstellung von einem Herrn Schlesinger feindselig, aber nicht ohne Zusammenhang, absprechend, aber nicht ganz ohne Motive abgefaßt. Der zweite ist von dem Herrn Ex-Intendanzrathe selbst. Wenn ich diese zweite Kritik des Herrn Saphir feig nenne, so ist es, weil sie zu spät kommt, wenn ich sie dumm nenne, so ist es, weil sie mir unklug scheint. Unklug ist es, die zuweilen unreine Quelle zu verrathen, aus der man seine Überzeugungen schöpft. Diese Quelle ist hier der Appetit und die Tasche. Ich habe hier den Widerspruch eines Schriftstellers gefunden, der seit zwanzig Jahren durch Deutschland wandert mit einigen geselligen Talenten im Räthselaufgeben und Charadenlösen, den Widerspruch eines Schriftstellers, der, behaftet mit dem Ehrgeize aller Rouerie, sich früher an die Großen drängte, und da ihn diese verschmähten, es mit den Reichen hält. Es giebt Menschen, die ohne Einladungen nicht leben können. Wo man im Lustspiel bisher Schmarotzer aufgeführt hat, haben die Dichter den glücklichen Instinkt gehabt, ihnen ein Talentchen für Gelegenheitsgedichte beizulegen. Denn wenn die Schmarotzer aussterben werden in allen Ständen, in der Literatur wird man noch immer davon Exemplare finden. Der Widerspruch Saphirs ist nicht der Widerspruch der Reichen, sondern derer, die den Reichen schmeicheln. Jede Zeile seiner Kritik ist ein Compliment für die Bissen, die für ihn von den Tischen der Reichen gefallen sind. Jede Zeile ist eine Quittung für die Generosität der „Großhandlungshäuser,“ ein Gelegenheitsgedicht für den Geburtstag der Tochter vom Hause, ein Bonmot, mit dem ein witzelnder Schmarotzer die Tafelfreuden zu vermehren nicht etwa für erlaubt hält, sondern verpflichtet ist. Ein Schriftsteller, der den Adel vertheidigt selbst gegen seine billigen Gegner, der die ehrwürdigen Häupter der deutschen freisinnigen Nationalbestrebungen mit Hanswurstenwitz besudelt hat, ein Schriftsteller, der für ein Ragout fin mit Wortspielen und Anekdoten danken muß, konnte nicht anders, als sich zum Vertheidiger der Reichen aufwerfen. Er mußte seine Diners, seine Einladungen, seine Digestionen bezahlen mit der kleinen Scheidemünze, die unter dem Prägstock seiner verworrenen Bildung aus unedlem Metalle geschlagen wird. Was wir ihm für diese gedruckten Schmeicheleien zur Belohnung wünschen? Einen ganzen Spiegel voll Einladungen für den beginnenden Winter, hundertfache Gelegenheit, in hundert Salons einen und denselben Witz zu wiederholen, dutzendweise Aufforderungen, auf den Schoßhund der Frau vom Hause „wilde Rosen“ zu dichten, und für alle diese veralteten Witze und verwelkten Blumen außer einem Douceur, das der Liberalität reicher Kaufleute Ehre macht, ein zahlreiches Abonnement auf jene sogenannten Akademieen, die, nach den darin vorgetragenen Plattheiten und Lascivitäten zu schließen, dem Geschmack der feinen und schönen Welt in Wien wenig Ehre machen würden, wenn sie, wie dies aber nicht der Fall ist, von der Elite der Wiener Gesellschaft wirklich besucht würden.

5.3.5. An Emil Devrient, 28. Oktober 1841#

Karl Gutzkow an Emil Devrient, Hamburg, 28. Oktober 1841. In: Heinrich Hubert Houben: Emil Devrient. Sein Leben, sein Wirken, sein Nachlass. Ein Gedenkbuch. Frankfurt/M.: Literarische Anstalt Rütten & Loening, 1903. S. 202-203.

       Lieber Freund,

Du hast desshalb so lange nichts von mir gehört, weil ich die Aufführung der Schule der Reichen hier abwarten wollte. Diese ist denn erfolgt u. nicht glücklich ausgefallen. Die Absicht meiner Gegner, längstgenährt, mich einmal zu Falle zu bringen, ist diesmal gelungen. Das Stück wurde vom 3ten Akt fortwährend verspottet, unterbrochen etc. etc.

Meine gesunde Vernunft hätte mir sagen sollen, dss dies Stück für keine Handelsstadt wie Hamburg passt. Die Reichen wollen nicht in die Schule gehen. Dieser dumme Witz hat dem Stück den Hals gebrochen. Enfin, es ist vorbei damit.

Du hattest Recht, als Du mir von Verworrenheit schriebst. Mir selbst schwebte der Plan ganz klar vor, auch giebt die Ausführung das, was ich wollte. Aber das Personal ist zu zahlreich, der Wechsel komischer und tragischer Szenen zu grell u. s. w.

Unter diesen Umständen mag ich die hiesige Katastrophe nicht anderwärts wiederholt sehen u. bitte Dich daher, Dir das Buch zurückgeben zu lassen, u. meinen Wunsch, auf die Darstellung zu verzichten, als völligen Ernst anzunehmen. Selbst wenn ich Dir ein so gestrichenes Exemplar schickte, wie es hier für eine Repetition nöthig werden würde, selbst dann ist’s nicht beruhigend für mich. Darum also basta damit! Ich habe mich in dem Stück von meinem Gemüth verleiten lassen, etwas anziehend zu finden, was es schwerlich für andere ist und somit streck’ ich recht gern das Gewehr. Ich muss meine Freunde auf die Zukunft, auf Besseres vertrösten.

Wenn ich jezt Hamburg verliesse, würde dies einer Flucht ähnlich sehen. Deshalb muss ich meinen Wunsch, einen Theil des Winters bei Dir zu sein, aufgeben. Du kannst Dir wohl denken, in welcher gemüthlichen Verfassung ich bin; indessen hoff’ ich auf die Heilkraft der Zeit.

[...] Der heisse Wunsch dieser Töpfer, Bärmann, Wollheim, Herrmann, Lotz usw. ist erfüllt, endlich ist der grosse Wurf gelungen, aber ich werde mich aufraffen und hoffe, dss mir auch diese Erfahrung zum besten dienen soll.

Leb wohl, lieber Freund, lass den Harry in Rauch vergehen; seit ich Hendrichs in der Parthie sahe, hab’ ich auch von der Rolle eine – sehr leidige Vorstellung bekommen. In der grossen Scene des 3ten Aktes hat er gestöhnt u. gewinselt, wie ein angestochenes Kalb. Kein Wort wusste er; ächzend stiess er die paar unzusammenhängenden Worte heraus, die ihm aus dem Souffleurloch verständlich wurden. Statt zu rühren erregte er Mitleid, im negativen Sinne des Wortes u. man zischte. Da war denn schon alles vorbey.

Doch reiss’ ich die Wunde auf. Sie muss vernarben! [...]

5.3.6. An Emil Devrient, 7. September 1842#

Karl Gutzkow an Emil Devrient, Hamburg, 7. September 1842. In: Heinrich Hubert Houben: Emil Devrient. Sein Leben, sein Wirken, sein Nachlass. Ein Gedenkbuch. Frankfurt/M.: Literarische Anstalt Rütten & Loening, 1903. S. 212-214; Auszug S. 213.

Allmälig ist mein Theatersinn wieder erwacht. Der Missmuth über meine Hamburger Schicksale hat sich verloren; in dem grossen Brande ist auch theilweise mein Groll zu Asche geworden. [...] Patkul u. die Schule der Reichen lass’ ich im 2ten Bande meiner dramat. Werke erscheinen. Das leztere Stück hab’ ich überall, wo ich konnte, hintertrieben, wie ich denn überhaupt nichts für leichtsinniger halten könnte, als um einen Geldgewinnst sein Renommé aufs Spiel setzen. Möglich aber auch, dss ich zu ängstlich geworden bin.

5.3.7. Vorwort zur zweiten Auflage, 1846#

Karl Gutzkow: Vorwort zur zweiten Auflage. In: Karl Gutzkows Dramatische Werke. Bd. 2. Patkul. Die Schule der Reichen. Zweite verbesserte Auflage. Leipzig: Lorck, 1846. S. V-X. (Rasch 1.1.2a.1)

[V] Der Verfasser hat bei Allem, was er für die Bühne schrieb, die Darstellbarkeit seiner Stücke vor Augen gehabt. Diese praktische Bestimmung ist ihnen selbst nicht immer förderlich gewesen. Nicht, daß der Autor nur aus Ehrgeiz seine Stücke hätte wollen darstellen sehen. Dies praktische Bedürfniß war tiefer begründet. Es ging ebenso sehr aus einer Prüfung der bestehenden deutschen Bühne hervor, wie aus dem wärmsten Verlangen, nach Kräften beizutragen, daß der Ausländerei gewehrt, die Herrschaft einer eingerissenen seichten Fabrikation beschränkt und endlich auch bewiesen würde, daß der der damaligen deutschen [VI] Literatur gemachte Vorwurf, sie könne der Bühne nichts Darstellbares bieten, sich thatsächlich widerlegen ließe.

Es galt einen Wettkampf mit dem bestehenden Repertoire. Es galt zunächst nur die Palme der Anerkennung zu erringen, daß man die Bühne so gut verstände, wie Die, welche sie damals allein beherrschen wollten. Als diese Anerkennung errungen war, erst da ließ es sich für unsre Bühne, wie sie war und ist, mit größrer Ruhe und Sammlung schaffen. [...]

[IX] [...] Minder gefährlich wurde die Breite dem zweiten Stücke dieses Bandes, die Schule der Reichen, einem Drama, das ich gegen die junge Hamburger Plutokratie geschrieben habe und thöricht genug war, diesen Hamburger Thompsons und Harrys die auf sie selbst bezügliche Dichtung zur Beurtheilung vorzuführen. Dies Stück fiel in Hamburg an demselben Tage [recte: an dem vorigen Tag] durch, wo es in Wien ansprach. Ich möchte jedem dramatischen Autor rathen, nie ein Stück, in welchem Wechsel, Fallissements, Börsenverhältnisse vorkommen, in einer Handelsstadt aufführen zu lassen, es sei denn, daß ein guter Rechenmeister diese Motive erst geprüft und mit der doppelten italiänischen Buchhaltung vermittelt hätte.

Für die Darstellung muß jedenfalls der fünfte Akt mit seinen weitläuftigen Auseinandersetzungen gekürzt werden. Sonst hab’ ich diese, nicht nach einer Novelle, [X] sondern selbsterfundene Dichtung als Ausfluß des Gemüthes in ihrer ursprünglichen Naivetät gelassen und will nicht läugnen, daß die Moral desselben zuweilen an die Sphäre des Katechismus streift.

Ich kann endlich schließlich nicht unterlassen, über dieses Stück auf Aeußerungen Seydelmanns zu verweisen, die sich in Rötschers „Leben u. Wirken Seydelmanns“ S. 313 flgg. finden. [5.2.1.1.]

  5.3.8. Vorwort zur dritten Auflage, 1854#

Karl Gutzkow: Vorwort [zur dritten Auflage]. In: Karl Gutzkows dramatische Werke. Bd. 2. Abthl. 2. Die Schule der Reichen. Schauspiel in fünf Aufzügen. 3. Aufl. Leipzig: Brockhaus, 1854. S. V-VII. (Rasch 1.1.2.2b)

[V] [...] Die Erfindung und Durchführung dieses Dramas ist ein Gemüthserguß von einer dem Verfasser [VI] jetzt selbst unerklärlichen Sorglosigkeit. Auf einem Volkstheater aufgeführt in irgend einer äußersten Vorstadt wär’ es sicher am Platze. Ich gedenke dabei der Zeit, als ich ein eben auf dem hamburger Berge im Bau begriffenes kleines Theater mir zu dem Zwecke ansah, ob ich es nicht mit einem Schauspieler in Pacht nehmen sollte. Herr Schütze, der es später allein übernahm, und ich, Beide stiegen wir in den dunkeln, noch unfertigen Mauern umher; Jener pries die Räumlichkeiten der Garderobe und der Zuschauerränge, die Akustik und die solide Bauart; ich bevölkerte mir das Haus schon mit Matrosen, Bürgersleuten, Dienstboten, Soldaten und mit Stücken im Geschmack dieser „Schule der Reichen“. Es waren eiseskalte Wintertage, als diese baulichen Untersuchungen angestellt wurden, die Worte erfroren am Munde und von dem Volkstheatertraume blieb auch, als der Frühling kam, nichts übrig als der Name, den ich schon unserer Bühne gegeben hatte, Urania-Theater, und der Plan zu dem folgenden Stück.

[VII] Wenn man das letztere auf graues Papier druckte und für einige Groschen auf den Jahrmärkten verkaufte, fände es sein eigentliches Publicum. Den vornehmen Söhnen der großen hamburger Handelsfirmen, den Regattafahrern auf der Alster, den Mitgliedern des wandsbecker Rennclubs hätte man, um ihnen eine Lehre zu geben, suchen müssen, in minder naiver Form beizukommen.

 5.3.9. Anmerkung zur vierten Auflage, 1862#

Karl Gutzkow: Anmerkung [zur vierten Auflage]. In: Dramatische Werke von Karl Gutzkow. Vollständige neu umgearbeitete Ausgabe. Bdchn. 10. Die Schule Der Reichen. Lustspiel in fünf Aufzügen. 4. Aufl. Leipzig: Brockhaus, 1862. S. 101-102. (Rasch 1.3.10.2)

[101] [...] Sie [die auf die Hamburger Thompsons und Harrys [...] bezügliche theatralische Lehre] fiel [...] im hamburger Stadttheater an demselben Tage durch, wo sie im wiener Hofburgtheater, bei guter Darstellung und mancher nützlichen Scenennachhülfe durch Franz von Holbein’s Regie, ansprach. [...]

Die Erfindung und Durchführung des Stücks war ein Gemüthsact. Seydelmann sagte und schrieb dem Verfasser, er wäre in diesem Stück „auf dem rechten Wege“ [5.2.1.1.]. Auf einem Volkstheater aufgeführt, in einer Vorstadt, ist es am besten Platze. [...]

[102] [...] In dieser durchweg neuen Gestaltung wurde das Ganze, allerdings gewagterweise, zum „Lustspiel“. Auf dem romantischen Gebiete, wo der Anblick des vor dem Messer des Shylock mit entblößter Brust stehenden Antonio manchen Theaterzettel nicht hindert, auch noch jetzt den „Kaufmann von Venedig“ ein Lustspiel zu nennen, ließ sich die Umänderung des Titels versuchen. Trotz eines im dritten Act vorkommenden Leichenzugs ist das Ganze in der That ein Lustspiel, Verkehrung gegebener Prämissen in ihr Gegentheil. Ob jedoch in einer Zeit, wo’s im „Lustspiel“ nur possenhaft hergehen soll, eine neuversuchte Bühnenbelebung nicht wieder den Titel in „Schauspiel“ umändern müßte, dürfte vom Repertoirecharakter einer solchen Bühne und dem Bildungsgrad ihres Publikums abhängen.

 5.3.10. Rückblicke auf mein Leben, 1875#

Karl Gutzkow: Rückblicke auf mein Leben, GWB VII, Bd. 2, S. 295-299; S. 301-302.

Erst eine ganz unverfängliche Arbeit: „Die Schule der Reichen“ – Zeitalter: das 17. Jahrhundert; Schauplatz: London; die handelnden Personen: Kauf- und Gewerbsleute – da war alles wie in den „Gebrüdern Foster“ von Ehrn Töpfer („von“, d. h. übersetzt, aber frischweg wie ein Original auf seinen Namen verbreitet). Den bei diesem Stück angewendeten „Kitt“ [die Eingriffe des Burgtheaterdirektor Holbein in den dramatischen Text] bekam ich nicht einmal angezeigt. Ich erfuhr nur, daß „Meister Anschütz“ die Hauptrolle mit der vollen überzeugenden Kraft seines Gemüths gespielt haben sollte. Die Wiederholungen verloren sich erst, als Anschütz längere Zeit erkrankte und nach seiner Genesung die Wiederaufnahme dadurch gehindert wurde, daß sich inzwischen für die übrige Besetzung Schwierigkeiten ergeben haben würden. [...].

Der Erfolg, dessen sich „Die Schule der Reichen“ in Wien zu erfreuen hatte, verkehrte sich an demselben Tage [recte: am vorigen Tag] in Hamburg in das vollkommene Gegentheil. Auf dem Terrain, wo ein Dramatiker mit einem Dutzend Anderer von gleicher Berufsthätigkeit, mit einem Dutzend tonangebender Recensentenfedern zusammenlebt, wird zuletzt der Boden immer mehr unter ihm wankend werden. In meinem Falle gesellte sich zum Neide der Namen, die ich nicht wiederholen will, die fortgesetzte – „Rempelei“, wie ich die Händelsucht der burschikosen Clique nennen möchte, die sich aus jungen, kaum von der Universität gekommenen Medicinern oder Juristen gebildet hatte und ihr Schulwissen auch in ästhetischen Anschauungen auslaufen lassen wollte. Die Einen waren Romantiker, die Andern Classicisten in dem Sinne, wie wir jetzt auf den Gymnasien Schiller, Goethe, Lessing und was dazu gehört zu einer Art Philologie gemacht haben. Ja die Theaterdirection selbst, aus welcher der „alte Schmidt“ geschieden war, um einem ehemaligen Tenorsänger, einem verschmitzten und in Intriguen seinen Lebenshumor findenden Welschtyroler, Julius Cornet, Platz zu machen, gönnte mir aus Uebermuth in Folge glänzender Kassenerfolge, womit sie debütirte, ein Fiasko. Cornet vertrat die Oper und haßte das Schauspiel. Wenigstens wollte er dem Schauspiel eine veränderte Richtung geben durch den damals zuerst auftretenden Uebersetzer W. Friedrich, der das Pariser Boulevardzugstück „La Grace de Dieu“ unter dem Titel: „Muttersegen oder die neue Fanchon“ auf die deutsche Bühne verpflanzt hatte. Der Erfolg dieser Novität war beispiellos. [...] Ueberdies waren neue Opern im Anzuge. Sogar Weber’s „Freischütz“ mit einer fast zur Hauptsache des Abends erhobenen neuen Wolfsschlucht, einem Schauspiel im Schauspiel, machte volle Häuser. Die dramatische Novität des „ewigen Opponenten“ in seiner Zeitschrift „Telegraph“ [...] konnte getrost für die Kasse fehlen. Schließlich hatte man verbreitet, ich wollte den respectabeln Größen der Hamburger Börse eine Lektion geben und vorzugsweise den Söhnen derselben, den Regattaruderern, Jungfernstiegreitern, Sachsenwaldschützen oder wie sich die junge Kaufmannsgentry Hamburgs etwa nach dem Standpunkt des pariser Jockeyclubbs bezeichnen läßt. In der That, als der Vorhang nach dem ersten Acte gefallen war und [...] Hermann Hendrichs, eine bildschöne Erscheinung, den Geist des Uebermuths der Söhne dieser Millionäre anschaulich gemacht hatte, da mußte Fama Recht gehabt haben, man sah, die Comödie des Kaufmannsstandes war bestimmt zu fallen. Man sah einen reichen Vater, der unter dem Uebermuth seiner Kinder litt! Noch eroberten die Wohlwollenden einen stürmischen Hervorruf des alten Lenz. Dieser brave Schauspieler machte den Vater eines solchen sich noch obenein zur servilsten Deferenz an den Adel neigenden Sohnes – Englands Geschichte unter der Restauration der Stuarts unterstützte ja meine Erfindung in jeder Weise. [...] Von der Mitte des dritten Actes an begannen methodische Unterbrechungen, die bis zum Schluß dauerten und zuletzt das Ganze wie einen Trümmerhaufen erscheinen ließen. [...] Jedem, der zur Condolation an mich herantrat, sagte ich: „Nein, nein, lassen Sie nur! Heute erhalte ich die Feuertaufe des Dramatikers! Diese Lection muß einmal jeder richtige Dramatiker bekommen!“ Von einer Wiederholung, einem Auflehnen gegen die Stimme des Publikums war in jenen Zeiten noch keine Rede. Sie hätte in aller Ruhe stattfinden können. Schon der Curiosität wegen hätte man zehn Vorstellungen nacheinander gehabt. [...] Aber [...] mein „Freund“ Cornet, der nimmer ruhende Welschtyroler, hatte den „Muttersegen“ und die Lortzing’schen neuen Opern.

[...]

[301] [...] Praktisch hatte ich den guten Gedanken, den Inhalt meines Stückes, die einfache Fabel, auf’s Papier zu setzen und die gelesenste Hamburger Zeitung zu ersuchen, dies Referat des Ideenganges ohne Lob oder Tadel abzudrucken. Das geschah; der Inhalt schien Unparteiischen nicht unverständig; der Artikel ging in andre Zeitungen über [5.2.2.1.2., 5.2.2.1.8.]. Inzwischen kam auch manche Botschaft, die nur von Intrigue sprach, von muthwilliger Absicht u. s. w. Bei alledem verließ ich die Wohnung vor einigen Tagen nicht. Im Blick jedes Menschen hätte ich eine Mahnung an das Erlebte erkennen müssen. Ich war auf dem Wege zu erkranken.

5.4. Buchrezensionen#
 5.5. Literarische Adaptionen#

„In Frankfurt a.M. soll eine Parodie des Stückes mit dem Titel ‚Die Schule der Armen‘ aufgeführt worden sein.“ (Rasch, Bibliographie, Bd. 2, S. 291.)

 5.6. Rezeptions- und Wirkungsgeschichte, Übersichtskommentar#

 6. Globalkommentar#

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