Ordenssucht#

Metadaten#

Herausgeber
  1. Wolfgang Rasch
Fassung
1.0
Letzte Bearbeitung
05.12.2019

Text#

5 Ordenssucht.#

Durch die Zeitungen geht eine Notiz über meine letzte Auslassung, F. W. Hackländer betreffend. Sie ist dem Berliner Börsencourier entnommen, trifft aber durchaus nicht das punctum saliens meiner Einmischung in die verhimmelnden oder verkleinernden Nekrologe. Mir ist vollständig gleichgiltig, ob dem Verstorbenen ein Denkmal errichtet wird, ob die Liederkränze närrisch genug sein könnten, sein Andenken zu feiern, ich habe nur beweisen wollen, daß die Behauptung des pseudonymen „Hans Morning“, der so viel Aufsehen gemacht hat, „Hackländer müßte wohl nie literarisch geprüft worden sein“, auf einer Unkenntniß der neuern Literatur beruhe. Die genannten Vertreter des literarischen, so hoch angerechneten Werthes der Erzeugnisse seiner nun auf immer ruhenden Feder oder des Diktando, das er vorzog, scheinen sich zwar bei Lebzeiten des Geschiedenen die Beweise der Theilnahme an Entfaltung eines besonderen Talents des Geschiedenen, des Sinnes für Gastronomie, haben gefallen zu lassen, thun aber nichts für die Aufrechthaltung ihrer ehemaligen und jetzt angefochtenen Wahrsprüche. Ganz modern das!

Ich werde Todten niemals nachreden, was ich nicht den Lebenden gesagt hätte. Und da gerade über Mosenthals Ordenssucht eine Geschichte durch die Blätter geht (die jüdische Synagogenverwaltung in Kassel hat sich geweigert, die Orden des Verstorbenen, wie derselbe gewünscht haben soll, in der Synagoge aufzuhängen), so will ich eine Geschichte erzählen, die ich dem heimgegangenen Dichter der „Deborah“ am allerwenigsten geheim gehalten haben würde.

Ich war einst Dramaturg, d. h. das fünfte Rad am Wagen eines königlichen Thespiskarrens. Es war in Dresden, und Eduard Devrient hat mir in seiner deutschen Theatergeschichte bezeugt, daß ich, wenn ich länger im Amte geblieben wäre, das ganze deutsche Theater würde umgeändert haben. Natürlich (nach seinen Ansichten über Vortrag) zum Schlechten. Ich meine dagegen: zum Guten und stütze mich auf die eigene bekannte Unzulänglichkeit der Eduard Devrient’schen Spielweise, an der ja Berlin vor Jahren genugsam zu leiden gehabt hat! Richard Wagner, Semper, Röckel, Bakunin zerstörten die Kontrakte des königlich sächsischen Hoftheaters. Der Intendant von Lüttichau gab im Mai 1849 allen Mitgliedern den Laufpaß, selbst einem Tichatschek und einer Johanna Wagner! Auch ich mußte gehen. Doch als ich, amtlos, wiederkehrte, blieben mir zwei schöne Plätze des Amphitheaters im ersten Rang, von wo ich Alles sehen, hören, beurtheilen konnte, was nach mir geschah. Einer der liebenswürdigsten Aristokraten, die je gelebt, Fürst Lynar, war ein ständiger, plauderhafter Nachbar. Eines Abends wurde zum ersten Male Mosenthals „Sonnwendhof“ gegeben. Das Haus war mäßig besetzt, aber der ganze Hof, der noch nicht so unglücklich um sein Leben gekommene Friedrich August an der Spitze, fehlte nicht. Die Gemahlin desselben war eine Schwester der damaligen preußischen Königin, eine Schwester Ludwigs II. von Baiern, eine Schwester jener Erzherzogin Sophie, die längst in Oesterreich angefangen hatte, dem Geist des Jahres 1848 die Theorie von „Blut und Eisen“ entgegenzusetzen. Als die für einen Juden, der Jude blieb und auf sein Judenthum etwas hielt, etwas starke Szene vorüber war, wo die aus der Schule kommenden Kinder dem gerade Daherwandelnden, meines Wissens gar nicht in die Handlung eingreifenden Herrn Pfarrer des Ortes, wo der „Sonnwendhof“ liegt, sämmtlich die Hände küssen und er die Kleinen mit einer Handbewegung halb und halb segnet, entstand in der königlichen Loge eine gewisse Bewegung. Es war die der äußersten Theilnahme und Ergriffenheit. Der Vorhang fiel. Applaus wurde wenig gespendet. Aber der Logendiener näherte sich mir plötzlich und flüsterte mir ins Ohr: ich sollte in den Logengang kommen. Dort stand ein königlicher Lakai und befragte mich, ob „der Dichter“ zugegen wäre. Ihre Majestäten wünschten es zu wissen.

Glücklicher Mosenthal! Ich war nicht neidisch auf eine Auszeichnung, die ihm der Handkuß eines katholischen Priesters eingetragen hatte! Ich bedauerte (Dingelstedt hätte die Anfrage mit Recht durch einen Kammerherrn verlangt, aber ich kannte ja diese alten Herren mit den steifen Beinen, die erst aufstanden, wenn das Stück zu Ende ging!) von einer Anwesenheit des Dichters nichts zu wissen, würde aber Veranlassung nehmen, ihm die so ehrenvolle Anfrage Ihrer Majestäten anzuzeigen.

Vielleicht hätte sich ein Andrer gesagt: Quod non. Ich schrieb aber Mosenthal, was geschehen, und es vergingen keine acht Tage (der Buchbinder konnte ja mit den Goldschnittexemplaren dem Enthusiasmus des Dichters nicht gleichen Schritt halten) und der Dichter des Sonnwendhofs erschien in Dresden, vierzehn Tage später las man im Dresdener Journal, daß derselbe eine goldene Medaille bekommen hatte. Aber seine Hoffnungen stiegen höher und höher! Die Medaillenzeit war bei ihm vorüber. Er hatte deren eine Masse mit Hülfe eines geschmackvollen Buchbinders, selbst von Kopenhagen eine. Sein Oheim, der menschen- und weltkundige Regierungsrath Karl Weil, bekanntlich früher Reptilienfonddirektor für Oesterreich, Vater einer von Mosenthal geehelichten und wahrhaft angebeteten Tochter, wies ihn wahrscheinlich auf die ergiebigeren Pfade und eine andere Praxis hin. In Dresden hatte Mosenthal vernommen, daß literarische Dinge, wenn solche vom Hofe beurtheilt werden sollten, Prinz Johann 6 zu begutachten hatte. Da widmete er denn eine der insipidesten, unsinnigsten, rasch wie aus dem Aermel geschüttelten „Dichtungen“ unter dem Titel „das gefangene Bild“ (es sollte die Sixtina sein), dem gelehrten geistreichen Einsiedler auf Schloß Weesenstein und siehe da! ein sächsischer Orden traf alsbald ein und hätte nun auch in der Synagoge zu Kassel aufgehängt werden können zum ewigen Gedächtniß, wie man, um zu etwas in der Welt zu gelangen, auch als Literat das „Geschäft“ betreiben muß.

Apparat#

Bearbeitung: Wolfgang Rasch, Berlin#

1. Textüberlieferung#

1.1. Handschriften#
1.1.1. Übersicht#

Es sind keine handschriftlichen Überlieferungsträger bekannt.

1.2. Drucke#

Der Beitrag wurde im "Deutschen Montags-Blatt" veröffentlicht, das im Juni 1877 als Beiblatt des "Berliner Tageblatts" gegründet worden war und - überwiegend mit feuilletonistischen Artikeln - einen Ersatz für die montags nicht erscheinende Hauptausgabe der Zeitung lieferte. Redigiert wurde es von Arthur Levysohn. Gutzkow hatte für das junge Blatt die Sparte Zeitfragen und Anregungen ins Leben gerufen und schrieb in bunter Folge die ersten (anfänglich noch bezifferten) Artikel dafür. Die fünfte Folge Ordenssucht enthält einen sinnentstellenden Druckfehler, der in Nr. 8 des Blattes vom 20. August 1877 berichtigt wurde (Rasch 3.77.08.20). Weitere Abdrucke des Beitrags sind nicht nachgewiesen.

J Karl Gutzkow: Zeitfragen und Anregungen. V. Ordenssucht. In: Deutsches Montags-Blatt. Berlin. Nr. 7, 13. August 1877, S. 5-6. (Rasch 3.77.08.13)

2. Textdarbietung#

2.1. Edierter Text#

J. Der Text folgt in Orthographie und Interpunktion unverändert dem Erstdruck. Textsperrungen werden übernommen. Silbentrennstriche (=) werden durch - wiedergegeben. Die Seitenzählung wird mit Klammern [ ] an den betreffenden Stellen in den Text eingefügt.

Die Liste der Texteingriffe nennt die von den Herausgebern berichtigten Druckfehler sowie die Emendationen. Fehlende oder überzählige Spatien im Erstdruck wurden stillschweigend korrigiert.

Die Seiten-/Zeilenangaben im Apparat beziehen sich auf die Druckausgabe des Beitrags im Band: Kleine autobiographische Schriften und Memorabilien. Hg. von Wolfgang Rasch. Münster: Oktober Verlag, 2018. (= Gutzkows Werke und Briefe. Abt. VII: Autobiographische Schriften, Bd. 3.)

2.1.1. Texteingriffe#

272,25 aufzuhängen). aufzuhängen)

274,1 nicht auch Korrigiert nach der "Berichtigung" in Nr. 8 des "Deutschen Montags-Blatts" vom 20. August 1877

Kommentar#

Der wissenschaftliche Apparat wird hier zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht.