Die neuen Serapionsbrüder. Dritter Band#
Metadaten#
- Herausgeber
- Kurt Jauslin
- Fassung
- 2.5: Transfer von Text und Kommentar nach TEI
- Letzte Bearbeitung
- 03.2022
Text#
Die neuen Serapionsbrüder.#
Roman in drei Bänden.#
Dritter Band.#
1 Erstes Kapitel.#
Ueber den unheimlichen Tiefen des Gebirges, an den Felsenklippen entlang, den Abgründen und waldigen Schluchten blühte die holde Blume der Geselligkeit auf Hochlinden fort und fort.
Alle sahen die Gefahren, in denen sich ringsum die Herzen befanden, und Niemand floh sie!
Niemand entrang sich der verstrickenden, überlistenden Gelegenheit!
Diese Verführerin zur gedankenlosen „Sünde“ schien siegen zu wollen.
Selbst Ottomar, der sich doch sein Leben von allem rosigen Schein des Idealismus befreien zu wollen oft erklärte, der nur Ringen nach Existenz, nach Aufgehen in die große Allgemeinheit unsrer Zeit für einzig erstrebbar hielt, erlag dem Rapport zum Welträthsel, das in der beseligenden Liebe liegt.
Er sprach von Geschäften, von der Nothwendigkeit abzureisen, und doch folgte er nicht!
2 Der Graf kam des Morgens im leichten Rock und mit der Cigarre auf sein Zimmer. Die frisch angekommenen Zeitungen gaben Stoff zur Unterhaltung. Als Generalconsul in weiten Landen hatte Graf Udo vielerlei Merkwürdiges erlebt und gesehen, das ihn über die Maßen beredt machen konnte. Nichts Unbedeutendes kam über seine Lippen.
Dabei war Ada wie Undine. Sie tauchte behaglich in ihrem Elemente, Verklärung des Gewöhnlichen, auf und nieder. Sie, die seit den Schuljahren schon angefangen hatte, sich einer vollständigen Blasirtheit zu ergeben, Alles zu begähnen, Alles zu bespötteln – es war das eben die allgemeine Mode – sie fand nun jedes Zufällige wunderbar, jedes Hergebrachte erstaunlich, jede Gewöhnlichkeit überraschend. So ist die menschliche Seele! dachte Ottomar. In seiner „Philosophie des Unbewußten“, die er sich zu studiren mitgenommen hatte, fand er Alles aus Trieben erklärt, die nicht die eingestandenen waren. Und in der That, Alles, was an Ada Ueberzeugung und Wahrheit schien, war nur Ueberspannung durch die Liebe, nur Glück, der Muth, Glück und Liebe zu bekennen.
Die Gräfin Schwiegertante hatte vom Jahrmarkt in Weilheim reden hören.
Das sollte ein Fest, ein fröhlicher Auszug werden!
3 Ada dachte sogar an einen förmlichen Ausritt durch die Budenreihen im phantastischen Costüme mit hinausgeworfenen Bonbons, Geldmünzen und ähnlicher Wildheit.
Gräfin Constanze mußte ihr solche Extravaganzen untersagen. Diese faßte den Plan nach ihrer Weise. Sie wollte Menschen glücklich machen, Verkäufer und solche, denen sie das Eingekaufte schenkte. Die ehrwürdige Matrone füllte am Tage der wirklichen Ausführung dieses Plans ihr Portemonnaie reichlich mit Geld. Sie hatte Hochlindner genug, denen sie mit Tand, und noch mehr, denen sie mit nützlichen Dingen Freude machte. Auf dem Lande nimmt man mit kleinen Ereignissen fürlieb! Ein Jahrmarkt, eine Kirchweih – es sind Weltbegebenheiten! Kommt gar ein Kunstreiter durch’s Dorf, eine Zigeunerbande läßt sich nieder und fordert die kupfernen Pfannen zum frischen Löthen zusammen und bettelt um den bei den Zigeunern unerläßlichen Tribut an „Schmalz“, oder es tönt auch nur ein Orgelkasten unter unseren Fenstern, so hängt man auf dem Lande wieder mit dem Leben der Zeitgenossen zusammen und hat Fühlung mit dem Jahrhundert!
In den beiden aufgeschlagenen Equipagen, die jedoch zum Schließen eingerichtet waren, da es zu regnen drohte, was von den Landleuten schon wieder für den 4 Aufgang der neuen Saat und für die neue Ernte ersehnt wurde – „nie schweigen seine Wünsche still!“ kann man wohl vom Landmann sagen – stieg die Gesellschaft so getheilt ein, daß zur alten Gräfin sich Martha und Ottomar, die beiden Gäste, setzten, in den zweiten Wagen der Graf, Helene und Ada.
Alles war angeregt. Die Mittheilung wurde die lebhafteste; selbst Ottomar wurde gesprächig. Naturumgebung regt ja an! So die muntern, krystallklaren Bächlein verfolgen, wie diese durch die grünen Wiesen rinnen und trotz ihrer Unscheinbarkeit doch irgendwo so abgeleitet und gesammelt sind, daß sie ein starkes Gefäll bilden und große Mühlräder in Schwung bringen können, da wird man ja angenehm zerstreut! Auch sieht man an einer schroffen Felsenwand dort ein leuchtendes Tempelchen! Graf Wilhelm hatte dort diese Gloriette, ähnlich dem Vestatempel in Tivoli bei Rom, hinstellen lassen zum – Nameneinkritzeln von hundert reisenden Schullehrern und Schulknaben! Das Holz an den Säulen wird an sich vielleicht nicht wurmstichig, sagte Ada, aber die hineingeschnittenen Unsterblichkeiten machen die Säulen allmälig wankend! O, wie viel Müller und Schulze, fuhr sie fort, sind da schon oben eingeschrieben! Der Graf wollte behaupten: Vielleicht auch inzwischen herangereifte Humboldts und Liebigs!
5 Aber Ada schüttelte den Kopf und recitirte schon laut ihre Liste von Bedürfnissen, die sie durch den Jahrmarkt befriedigen wollte; Helene dachte denn doch über die Herkulesse nach, die schon alle die Thüren zum Tempel der Unsterblichkeit eingedrückt haben, ohne hinein gelangt zu sein – das Beispiel Raimund Ehlerdts lag nahe! Sie sprach auch davon und es that dem Grafen wohl, daß man Rücksicht auf seine Einfälle nahm.
Man begegnete überall schnelleilenden Menschen aus den kleinen Ortschaften. Ottomar hatte an den treuherzig beschränkten Gesichtern besonders deshalb seine Freude, weil man den Leuten ansah, daß sie noch nicht vom Geist der socialen Bewegung angesteckt waren. Noch waren sie für freundliche Anrede, fröhlichen Gruß empfänglich und zeigten nicht jene böse, tückische Miene, die beim Volke immer mehr überhand nimmt. Die beiden Wagen waren in dem Städtchen von Menschen umringt, die das mit Silber ausgelegte Geschirr der Rosse anstarrten, die Livrée der Bedienten bewunderten. Die Gräfin-Wittwe liebte ihren alten fürstlichen Glanz zu entfalten. Die Bedienten, in Tressenhut, mit kurzen Pantalons, in Schuh und Strümpfen, mußten die Winke der Herrschaften zum Halten, zum Aussteigen, Einsteigen streng und hurtig beobachten. Alles das geschah in dem Oertchen, vor den Buden, vor dem Wirthshause zum 6 Ochsen, ohne daran geknüpfte Glossirung des Publikums, wie sie etwa Mahlo angestellt haben würde, der sich hämisch auf seinen Knotenstock würde hingestellt und gefragt haben: Warum sitze ich nun nicht da drinnen in dem Eckpolster? Warum kann ich nicht sagen: Jean, wo ist die Trüffelpastete?
Aber im Gegentheil, hier ging Alles sehr einfach zu. Nur der Eifer, Freude zu machen, war rege. Graf Udo überließ seinem La Rose die Bezahlungen für seine Einkäufe, die er reichlichst und um die Wette mit den beiden Gräfinnen machte.
Es verdüsterte sich leider in der That der Horizont. Ein Sturmwind drohte sämmtliche Buden in die Luft zu entführen. Ein Kreischen, ein Laufen, Rennen durcheinander. Man konnte einen baldigen gewaltigen Regensturz erwarten. Die Freude war aus. Man wollte noch buntlackirte Spielsachen kaufen, wollene Strümpfe und Jacken, allerlei Voraussichtliches schon auf den Winter, aber es war zu spät. Die Frauen, die es überhaupt zu sehr statt mit dem Prometheus mit dem Epimetheus halten, das heißt, nicht mit dem Gott des Vorausdenkens, der Eventualität (manchmal berechnen sie nicht die Zahl ihrer Messer und Gabeln, wenn sie ein Diner geben), machten sich Vorwürfe, daß sie nicht eiliger eingekauft, nicht Marthas Rath befolgt 7 hatten, die sogleich schlechtes Wetter geahnt und Eile angerathen hatte! Und was wußte sie für eine Menge Persönlichkeiten, die sie als arm und gebrechlich in Hochlindens Umgebung schon kennen gelernt hatte! Da war noch dieser oder jener ganz versteckte Gegenstand in dieser oder jener Bude zu kaufen! Martha machte jedoch noch Manches möglich. Die Gräfin war ganz glücklich, sich so am Gängelbande der Intelligenz und des guten Herzens geleitet zu sehen. Ihre Blicke sprachen ihre ganze Freude über diesen Gewinn aus, während Martha an eine Leinwandbude rannte, noch die vorgelegten Ballen prüfte, den Baumwollengehalt genau herausforschte und über das Aechte und Zuverlässige entschieden unterhandelte.
Aber der Regen machte der Freude wirklich ein Ende. Ada rief weinerlich: Die armen Pfefferkuchen! Diese Waare hatte unter der Veränderung der Temperatur am meisten zu leiden. Sie kaufte sich auch noch rasch Könige und Kaiser, Feldherren und Schornsteinfeger, wie sie rief. Im Wagen spannte man die Schirme auf. Einige Blitze zuckten schon durch die grauen Regenwolken. Man mußte sich entschließen, im „Ochsen“ einzukehren und die Wagen, wenn es beim Regen blieb, in einer Remise unterzustellen und aufzuschlagen.
Das war nun Alles im Leben der alten Gräfin schon oft vorgekommen. Der Jugend aber waren diese 8 Freuden der vie champêtre neu, und mit wahrer Wonne nahm man in der oberen „Putzstube“ des Ochsenwirths Platz unter den gläsernen Schränken mit allerlei versilberten Trinkgefäßen oder vergoldeten Tassen, geheimnißvoll drehbaren Büchsen, Püppchen und sogar unter einer Kuckucksuhr.
Großmama ist komisch! sagte Ada leise. Denn Gräfin Constanze übte sich bei all diesem Durcheinander mit La Rose in französischer Conversation, gleichsam als dächte sie jetzt erst in die Welt zu treten.
Ada war ganz ausgelassen. Sie fand reiche Gelegenheit, über die niedlichen Sächelchen zu lachen, die hier aufbewahrt wurden. Das vollständige grüne Gewölbe! rief sie an einer Servante voll Nippsachen aus. Kommen Sie doch, Herr Althing, erklären Sie mir diese erhabenen Raritäten! Wir sind jetzt Beide im Dresdener Schlosse! Auf der Brühl’schen Terrasse! Geben Sie mir doch den Arm, mein Herr! Sehen Sie! Da strömt die Elbe! Sie zeigte auf die Regengüsse und wollte nur Ottomars Arm drücken. Zeigen Sie jetzt Ihr Talent als Cicerone! sagte die verschmitzte Verführerin.
Ueberhaupt führte Ada die Verstellungsrolle so gewandt durch, daß der Graf dem Gang über die Brühl’sche Terrasse applaudirte und Ottomar alle Bedenken über Bord werfen mußte, um nicht gar verdutzt 9 und unbeholfen zu erscheinen. Man mußte über den Staub, der durch die mannichfache Bewegung erregt wurde, trotz des Regens die Fenster öffnen. Auch pflegt die Luft in solchen ländlichen „Putzstuben“ nicht die beste zu sein.
Helene ergötzte sich an dem bunten Bilde, wie sich da unten beim strömenden Regen Alles zu bergen, seine Waare zu schützen suchte. Und Martha wagte sich sogar in die unterste Region des Wirthshauses, in ein Summen und Brausen von Menschen, die sich geborgen hatten. Es sollte doch etwas auch der Herberge, die man gefunden, zu Gute kommen. Man war mit dem Einfachsten zufrieden, hörte aber im Gegentheil von wahren Wunderdingen, die heute auf dem Speisezettel stünden, von Saurem, Geselchtem und allerlei kühnen Anläufen an ein geregeltes Kochbuch, wozu denn aber doch nur die Männer den Appetit des Versuchens hatten.
Der Regen währte so lange, bis darüber die Abenddämmerung hereinbrach. Die Gräfin-Tante hatte sich sogar der Schinken und Eier, die sich die Männer geben ließen, enthalten und bekam Sehnsucht nach ihrem Thee. Die Nachhausefahrt konnte eine kleine Stunde dauern. Es mußte schon vollkommen Nacht sein, wenn man im Schlosse ankam. Die Diener hatten alles Gekaufte sorgfältig in die Kutschkästen verpackt. Die aus der Ochsen-10küche gelieferten Speisereste wanderten noch zur Dienerschaft. Schon begann etwas von moderner Straßenbeleuchtung mit Petroleum in der Stadt zu dämmern, ein Fortschritt, der die conservative alte Gräfin mehr mit Schrecken als mit Freude zu erfüllen schien. In die unterm Thorweg vorfahrenden Wagen stieg man rasch ein. Es war noch immer ein Gedräng von Menschen zu vermeiden. Lange konnte man mit den Sitzen und Personen nicht wählen. Und so ergab sich denn die Fügung, daß sich in den ersten Wagen zur alten Gräfin wieder Ottomar, Martha und ihre Schwiegertochter Ada gesetzt hatten. Der Wagen fuhr ab, während man noch über eine Aenderung parlamentirte. Das Gedränge und die Rinnsale von nassen Regenschirmen ließen es als zweckmäßig erscheinen, daß die zufällig Zurückgebliebenen, Helene und Udo, jene beim Suchen ihres Shawls, der Graf beim Berechnen der Zeche mit La Rose in den offenen Schlag sprangen und die Pferde, die vor Begierde stampften nach Hause zu kommen, anzogen.
Solche Situationen, wie die sich nun ergebende, hatte Helene seit den glücklichen Wochen, wo sie hier mit klarer und verständiger Regelung ihrer Gefühle gelebt hatte, immer zu vermeiden, Graf Udo herbeizuführen gesucht. Schon so weit war sein Geständnißdrang gediehen, daß 11 er Helenen zu sagen wagte, er wäre mit einer tiefen Verstimmung und Enttäuschung aus Italien zurückgekehrt. Nichts hätte sich für Ada sympathisch wirkend dort gestalten wollen. Ihre Parteilichkeit für ihre Mutter (deren unwürdiges Betragen, auf die künftige Vermählung ihrer Tochter hin Schulden zu machen, sie doch zu beurtheilen Verstand genug gehabt hätte –! eine Aeußerung gegen Ottomar) hätte den ersten Anstoß zu Differenzen gegeben, die bis zum gegenseitigen Vorwerfen der Willenlosigkeit, eines passiven Müssens gegangen wären, denen man sich eben gefügt hätte. Auch Ada selbst hatte gelegentlich zu Helenen gesagt: Wie soll ich mir nur diesen schlechten Charakterzug abgewöhnen, den meines Wissens alle Frauen haben, immer, wenn der Anstoß dazu gegeben wird, sich über einen einzelnen Gegenstand zu beklagen, sogleich die Veranlassung zu ergreifen, einen ganzen Waschkübel voll Bosheit auszuschütten! Helene hatte lachend erwidert: Liebe Freundin (so wollte Ada von ihr genannt sein), das erklärt sich aus einem zu lange zurückgedrängten Triebe zur Meinungsäußerung! Die Bildung legt uns diesen Zwang auf! Selbst meine gute Mama, die gewiß ein Engel ist, weil sie sonst (unter uns gesagt) mit dem Vater nicht ausgekommen wäre, geht gewöhnlich, wenn es eine Differenz giebt – und das kann des Morgens beim Kaffee kommen – 12 über die Schnur und packt mehr Dinge aus, als die zur Sache gehören!
Helene erschrak nicht wenig, als sie sich mit dem Grafen in dem dunkeln, noch von keiner Laterne erleuchteten Wagen allein befand. Die Landstraße war wenig belebt. Das zartgebaute Mädchen, das sich überdies vor der veränderten Temperatur zu schützen hatte, drückte sich in eine Ecke und wickelte sich in einen schönen türkischen Shawl, ein Geschenk der Gräfin. Das zarte Gewebe bedeckte den ganzen Körper. Man sah nur den lieblichen Kopf mit den sprechenden braunen Augen, das geschmackvoll geordnete, goldblonde Haar, den Hut, der allerdings nur eine Idee von einem Hut war. Nicht einmal einem an einer Mauer klebenden Schwalbennest läßt sich eine solche moderne Kopfbedeckung vergleichen. Die starken Haare waren niederwärts gewunden.
Der Graf hatte beim Einsteigen Cigarren geraucht.
Rauchen Sie nur fort! sagte Helene. Sie haben dann einen Gewinn von der Verwechslung!
Verwechslung? Wie so? fragte der Graf.
Welche Dummheit! sagte Helenens Gewissen. Was brauchst du gleich von Verwechslung zu sprechen!
Graf Udo beutete aber den Ausdruck aus. Wie kommen Sie auf Verwechslung, Fräulein? sagte er, die 13 Cigarre zum Schlage hinauswerfend. Es ist immer so, als wenn Sie sich vor mir fürchteten! Ich habe Ihnen das schon oft vorgeworfen!
Helene lachte. Sie wußte nur nicht, wie reizend ihr dies Lachen stand, das doch nur ein Lachen der Verlegenheit, ein künstliches war.
Schon in der Stadt, fuhr der Graf fort, wenn da im Atelier nicht Ihr Vater oder der Vegetarianer zugegen war, bekamen Sie regelmäßig vor mir Furcht! Das Kaninchen, sans comparaison, fühlt so in der Nähe der Klapperschlange! fuhr er fort, durch sein gewagtes Bild andeutend, wie sehr ihn dies Ausweichen, das sich Helene auferlegte, kränkte und reizte.
Helene hatte eine weise Regel von ihrer Mutter mit auf die Reise bekommen. Vermeide alle Erörterung von Seelenzuständen! Bleibe mit dem Grafen immer nur bei Aeußerlichkeiten! Die meisten jungen Mädchen machen sich unglückliche Schicksale, indem sie mit den Herren zu denken anfangen, Gefühle, Ansichten ausspinnen, auszupfen, philosophiren! Der letzte Paragraph solcher Erörterungen ist dann regelmäßig eine Liebeserklärung, die besser unterblieben wäre!
Helene begann vom Jahrmarkt und der bevorstehenden Freude verschiedener Personen, die bedacht worden waren. Der Frau Pfarrerin, sagte sie, wird das schöne Tischtuch 14 für die Servirung bei einem Kaffeebesuch besondere Freude machen.
Bah! der Frau Pfarrerin! wiederholte der Graf fast ärgerlich.
Auch wohl dem Herrn Pfarrer! sagte Helene, die harmlose Unterhaltung forcirend. Die Männer wissen jede geschenkte Mehrung des Hausstandes zu schätzen! Sie that, als wenn sie das Staunen und den Verdruß über diese Unterhaltung nicht verstünde, nicht die Spottrede des Grafen über den Pfarrer. Früher oder später, fuhr sie in ihrem Gedankengange fort, kommt die Hausfrau und begehrt dergleichen als nothwendig.
Fräulein Althing, wie schade, daß Sie Goethe noch nicht gekannt hat! sagte der Graf über dies Ausweichen aufwallend.
Wie so? Ich spreche Ihnen zu sehr wie ein Buch? Oder wie eine alte Haushälterin? Ich würde ihm keine bessere Vorstellung von den Frauen beigebracht haben, als er gehabt zu haben scheint! Goethe dachte gar nicht gut von uns!
Schon mußte sich die Bedrängte eine andere Lage geben, da ihr Hütchen in Gefahr kam, zerdrückt zu werden. Der Shawl glitt allmälig nieder, weil er ihr zu heiß machte und die schöngeformte Gestalt trat immer deutlicher in ihren Umrissen hervor. Die Landstraße 15 entbehrte hier der Anpflanzung von Bäumen. Alles war dunkel und still. Man hörte nur das Knirschen der Räder im neuaufgeschütteten Kieselsande der Chaussee.
Ich meine dies, sagte der Graf – sein Lächeln konnte Helene nicht sehen – Sie würden Goethen einige seiner Charaktere recht bestätigt haben! Par exemple! Die wohlmeinende Therese aus dem Wilhelm Meister!
Da haben wir’s ja! sagte Helene halb verletzt, aber doch lachend. Die absolute Prosa! Die ist aber ganz nützlich, Herr Graf! Ueber diese Goethe’schen Personnagen sollten Sie einmal meinen Vater reden hören! Der hat überhaupt eine Literatur- und Kunstgeschichte ganz für sich! Wenn ich aus der Schule kam und meine Weisheit auskramte, lachte er immer laut auf. Goethes Frauen nennt er sämmtlich verhutzelte, alte weimar’sche Hofdamen und Hofräthinnen! Sogar, denken Sie sich, nimmt er die Dorothea, ja selbst die Leonoren und Iphigenien nicht aus! Alle hätten nur Reflexionen im Munde, Tiraden über Frauenwürde! Es wären aber keine Frauen! Sie hätten gar kein Blut in den Adern! Und sogar die Dorothea wäre blos Basrelief! Keine Statue voll wirklichen Lebens! Sie sei vom Dichter gewollt, er hätte sie aber nie gesehen, ebenso wie den Hermann! Immer spielte Dorothea die Nausikaa aus 16 der Odyssee und träte mit bewußter antiker Attitüde auf. Goethe hätte sich blos auf Damen verstanden wie – Nun regte sich das kleine Teufelchen, das in allen Frauen steckt, auch in Helenen; sie war eine Evatochter wie Alle. Wie mit lang verhaltenem Mißtrauen platzte das Wort heraus: Wie das Fräulein Edwina Marloff!
Der Graf schwieg. Er staunte und überlegte nur. Eifersucht ist denn doch Liebe! dachte er. Im Gefühl, vollkommen unschuldig und rein von dem Verdacht zu sein, den vielleicht Helene ausgesprochen haben wollte, sagte er: Ei, ich wünschte, ich kennte die merkwürdige Dame! Nicht nur sie selbst – sie soll bildschön und geistreich sein, sondern auch die Person, die ihr die Wirthschaft führt. Diese ist mir als unendlich lächerlich geschildert worden, aber vielleicht ist mir ihre Lächerlichkeit sympathisch. J’aime le sublime! Sie soll das Erhabene vortragen wie Talma! Der Atelierstaub Ihres Papas kommt ihm doch wohl zuweilen in die Augen und er urtheilt – blind!
Sie werden bitter, Herr Graf! sagte Helene gereizt und richtete den Blick auf die Landstraße hinaus, indem sie sich zugleich eine Wendung ihres Körpers gab. Vergessen Sie aber nicht, setzte sie gutmüthig hinzu, daß Sie die kleine Fehde angefangen haben und ich bin doch nicht Goethes Therese!
17 Nein! Nein! wollte der Graf im Tone des höchsten Entzückens aufwallen, aber Helene zog das Glas der Wagenthür auf, der Graf beherrschte sich und schwieg. Es ist mir durch jenen Namen, den Sie nannten, begann er nach einer Weile des Bereuens, daß er zu weit gegangen, – nicht Therese, sondern – wie heißt sie doch? Enfin – Aspasie! Cocottille –
Edwina! ergänzte Helene.
Richtig! fuhr er fort. Durch diesen Namen war die Veranlassung gegeben, das Geheimniß zu berühren, das die Tochter eines Feldmessers umgiebt. Es wird Ihnen nicht unbekannt geblieben sein. Entzieht es sich auch unserer Conversation, so kann ich doch sagen, aus dem schriftlichen und theilweise persönlichen Verkehr, den die aufopfernde Güte Ihres Bruders vermittelte, ist mir ein Wort unvergeßlich gebliebender Mann hätte das Bedürfniß nach dem : „Weibe an sich“, nach dem Ideal, wie ich’s nennen möchte, dem Bilde unserer glücklichen Träume! Glauben Sie, daß ich in Ihnen nur eine Schwester, eine Tochter, eine mögliche Mutter, eine Frau Hofräthin oder dergleichen sehe und nicht vielmehr – jetzt steigerte sich wieder des Grafen Stimme – einen Blumenkelch, der Alles in sich schließt, was es nur Geheimnißvolles im Bunde beider Geschlechter geben kann?
18 Helene wollte auf dies rücksichtslose Wort des Grafen laut auflachen. Aber sie vermochte es doch nicht recht. Ihr Lachen wurde nur ein Ansatz zum Erzittern ihres ganzen Seins; auch zum Erzittern vor Furcht. Denn Neues sagte ihr dies Bekenntniß nicht, nur das Alte in sinnlicherer, die äußerste Gefahr drohender Form.
Der Graf war kaum wiederzuerkennen. Er spielte förmlich mit seinem Opfer, das ihm heute gewiß erschien. Denn der Regen strömte. Es mußte das geöffnete Fenster des Wassers wegen wieder geschlossen werden. Der Regenschirm des Dieners, der auch den Kutscher zu decken hatte, verhinderte jeden Einblick in den Wagen, der völlig dunkel blieb und kaum beide auf den schwellenden Kissen ruhende Gestalten in Umrissen erkennen ließ.
Nicht Mitleid, Uebermuth, mindestens Seligkeit und Glück waren es, wenn Graf Udo im Stande war, nach einem so gewagten Worte ganz, als wäre Nichts geschehen, wieder auf Goethes Frauengestalten zurückzukommen und zu sagen: Ihr Vater zerstört wirklich Alles! Sogar, was er selbst geschaffen hat! Er wird noch das Monument meines Onkels zerstören!
Und nach Allem, was man hört, mit Recht! entgegnete Helene, sich Muth fassend. Es ist wieder sein „Amor und Psyche“, die in Thon zusammenbrachen, das Schöne, das am Gemeinen scheitert! Aber Papa 19 findet sich jetzt in Alles viel leichter! Er denkt mit Schiller: Die Welt gehört dem Narrenkönig!
Das ist Ihr Glaube nicht! rief der Graf wie berauscht. Oder glauben auch Sie, daß Jener, der da sang: Was hinter uns liegt und was Alle bändigt, das Gemeine! nicht das Allgemeine, die Gewohnheit, das Gewöhnliche verstanden hat? Selbst die berühmtesten Actricen betonen dies „Gemeine“ immer so, als handelte es sich um eine Collegenintrigue oder um einen nichtswürdigen Zeitungsartikel! Es ist zum Lachen! Das Gemeine ist ja hier die Sitte, die Gewohnheit, etwas ganz Anständiges, das uns Alle bändigt! Ich bin ganz für dies „Gemeine“, aber gebändigt soll es mich niemals haben!
Der Graf rückte dem bedrängten Mädchen bei diesen Plaudereien immer näher. Im Aufruhr der Elemente fühlte sie ihre Schwäche. Der Wind peitschte die Bäume. Es standen doch jetzt endlich wieder welche am Wege.
Den Grafen schien alle Fassung verlassen zu haben. Der Gedanke, es rücke das Geheimniß eben dieses Hochlinden, eben dieser kleinen Stadt, von wo Marloff die naheliegenden Eisenbahnen vor Jahren vorgezeichnet hatte, immer mehr heraus und Graf Wilhelm hätte die richtige Philosophie des Lebens gehabt, den Schmerz über die unterdrückte Natürlichkeit der Empfindungen, den Schmerz 20 über Zwang und Vorurtheile, diese Ideenverbindung gab ihm einen Schwung, der im Stande war, auszurufen: Widersprüche ringsum! Incompatibilitäten! Hahaha! unterbrach er sich. Das Wort verstehen Sie nicht! La Rose! Er hört nicht. Ich erkläre Ihnen das halsbrechende Wort ein andermal!
Der Kutscher fährt so schnell, sagte Helene wahrhaft angsterfüllt. Der Graf wurde immer wunderlicher.
Denken Sie bei diesem Regen an die Verleumdung in der Welt, Fräulein! Wie das rinnt! Wie das fluthet! Und immer neue Wolken ziehen heran! Und die Nebel wallen, besonders die, die aus den Thälern nicht herauskönnen! O, wo doch Etwas noch vorhanden ist, eine Wahrheit, eine Liebe, sie muß entstellt werden! Glauben Sie nicht, Fräulein, schloß er dreist, daß es einmal heißen könnte: Sie würden meine rechtmäßig mir angetraute Gemahlin?
Helene verstand diesen Humor nicht mehr. Er war zu diabolisch. Das Blut war dem rasend Verliebten in den Kopf gestiegen. Und demnach sprach er, wie geistesirr:
Ruhe, Ruhe! Nein, zittern Sie nicht, Fräulein! Ich mißbrauche die Situation nicht! Ich bin nicht unedel! Aber – der Abgott meiner Seele bleiben Sie! Das ist gewiß! Und das Wort Scheidung spreche ich 21 aus wie Nichts! Es ist das Allerbeste am Protestantismus, den ich sonst hasse wie alle offenbarte Religion!
Des Grafen Hand zitterte. Sie wollte die Hand Helenens ergreifen. Das erschütterte Mädchen hatte gleich Anfangs vor Schrecken vergessen, diese mit den Handschuhen zu versehen. Entsetzt zog sie ihre entblößten Hände zurück. Aber der Graf ergriff so stürmisch und drückte die wie blutlos und kalt gewordenen Finger so lange, als sollten sie durch seine Zärtlichkeit erwarmen; er drückte sie an seine Lippen und unterbrach sich, während Helene stumm blieb, während sie mit den Händen, um ihm diese zu entziehen, rang, und ihr Antlitz ganz in den Shawl verbarg, mit den Worten: Ihr Götter, lacht nicht von Eurem Olymp herab! Denn die Situation ist bei Alledem komisch! rief der Graf. Hier im Wagen, du verdammter Zauberer Merlin, das Paradies! Kaschmirs Rosengärten neu aufblühend und dabei die schwankenden nassen Wagengurte, die uns in’s Gesicht schlagen! Wenn ich könnte, würde ich über Alles lachen, göttliche, angebetete Helene! Sagen Sie nur ein Wort! Sie sollen mir nur sagen: Ich verzeihe Ihnen – und wenn Sie wollen, ich verzeihe Ihnen alle Ihre Dummheiten, die aber aus einem nur für Sie schlagenden Herzen kommen!
22 Die letzte Wendung erfolgte, weil der Graf Helenen schluchzen hörte. Sie hatte ihr Haupt in den Shawl verborgen, darüber erschrak denn doch der Graf. Sein Seelenstudium verließ ihn. Er wußte nicht, warum man weinen kann, wenn man in solcher Weise von einem steinreichen Grafen eine Liebeserklärung empfängt. Es durchfuhr ihn ein Schrecken über vielleicht verletzte Weiblichkeit, verletzte sittliche Würde, ungeziemenden Mißbrauch einer vom Zufall gegebenen Situation. Er dachte auch an Ottomar und schwieg. Sein Herz hämmerte. Er konnte nicht ganz verstehen, daß Helenen war, als bräche ihr eine Welt zusammen, daß Alles, was sie bisher für schön, gut, sittlich gehalten, schwankte, aber er ahnte dergleichen. Aus dem Grafen sprach Helenen, der Neugläubigen, in der That die alte Schlange, Luzifer, der Versucher! Sie sah Christus auf dem Berge: Falle vor mir nieder und bete mich an und ich will Dir die Schätze der Welt geben! Wie das so im Hirn hin und hergeht! Wie die Bilder auftauchen, ungerufen! Die Vorrathskammer der Jugendeindrücke öffnet sich eben! Es ist Blutandrang, Fieber! sagt der Arzt. Der Philosoph muß sich doch tiefer ausdrücken.
Der Graf hatte sich in die andere Ecke zurückgezogen und sprach still für sich, aber hörbar: Ich muß meine Zukunft retten! Ada geschieht es ja nach Wunsch! Es 23 kommt nur noch auf eine grobe Verletzung der Treue an! Das Schauspiel muß uns Einer, der daraus Geschäfte macht, erst dichten! Wir wollen Alexander Dumas fragen! Wir studiren’s ein! Das ist die Ordnung unserer civilisirten Welt! Ja, ja, sprach er dann mit wunderlichem Humor und zum klappernden Wagenfenster hin, ihr Wipfel der Bäume, hört wenigstens ihr mein stilles Hoffen! Bewahrt es stumm! Geliebt um seiner selbst willen! Nicht um schnöden Reichthum! Da ergreift mich Seligkeit, das zersprengt mir die Brust!
Damit öffnete er das Fenster. Es war die höchste Zeit, daß der Wagen anhielt. Helene wäre sonst hinausgesprungen. Noch hielt das Gefährt nicht vor’m Schlosse. Aber es fielen doch einzelne Lichtstrahlen in’s Dunkel. Der Kutscher ließ den Wagen der alten Gräfin voranfahren. Dann fuhren der Graf und Helene langsam nach. Es wurde nun kein Wort mehr gesprochen. Helene ordnete sich zum unbefangenen Erscheinen vor den Uebrigen. Daran konnte man keinen Anstoß nehmen, daß sie sich, keinen Appetit zum Nachtessen zu haben, erklärend, auf ihr Zimmer begab und sich schnell einschloß. Hier brach sie in Thränen aus vor Scham und Verzweiflung. Wie in einen schönen Garten war ein wilder Eber gefahren! Sie verwarf dies Bild. Lucifer stand vor ihr, ja er verwandelte sich in einen Engel – 24 Sie wußte sich keinen Trost als Marthas kluges Wort. Vor Ottomar mußte sie ja fliehen, weil sie ihre eigne zertrümmerte Welt auch bei ihm, wenn auch in anderer Art, vorfand. Das anerkannte sie: Die letzten Worte des Grafen – wie waren sie so tief empfunden, so edel, so ergreifend gewesen – –!
25 Zweites Kapitel.#
Am Tempel der Vesta, dicht über einer einzelnstehenden, auf die äußerste Felskante gerückten Tanne, einem Wahrzeichen der ganzen Gegend, stand geheimnißvoll der Vertraute so vieler Klagen, der stumme und doch so beredte Mond.
Unter seiner vollen goldnen Scheibe, deren mattes Licht uns so wohlthut, breitete sich dunkelschwarz der Tannenwald des Gebirges aus.
So hatten sich Sturm und Regen in eine klare Wolkenlosigkeit des Himmels verwandelt. Still war es in der Natur geworden; stiller auch in den Herzen der verschiedenen Bewohner des Schlosses.
Marthas nach allen Seiten beobachtendes Auge hatte den Stand der Dinge bald überschaut. Schon beim Thee fiel ihr eine eigenthümliche Zerstreutheit im Benehmen des Grafen auf. Helenens Abwesenheit sagte Alles.
26 Diejenige, welche die wenigsten Bürden auf dem Herzen zu tragen schien, und die am meisten Muth hatte, das Ungewöhnliche zu wagen, war Ada. Es giebt eine gewisse Absichtlichkeit im Beleben einer Gesellschaft, wo sich’s dem Menschenkenner recht verräth, daß es im Gemüth nicht mit rechten Dingen zugeht. So wenigstens verstand Martha die elastische, witzig sprühende, heute Niemanden verletzende Lebendigkeit Adas und Ottomars ergeben trauerndes Gute Nacht!
Marthas Zimmer lag im Seitenbau. Ein erquickender Hauch strömte von den Wiesen, vom Park herüber. Die Linden hatten längst abgeblüht, aber das schon zum zweiten Mal gemähte und in Haufen gestellte Heu verbreitete würzigen Duft. Der Blumengarten stand noch in alter Pracht. Centifolien waren genug mit dem Juni gekommen, leider schnell vorübergegangen; bescheidenere Arten erneuerten sich aber noch stets. Von Astern und Dahlien sagte Ada, daß sie diese gar nicht leiden möge. Sie erinnerten sie immer an das Eintreffen des Herbstes! Und mit jedem Jahre schienen sie ihr früher zu kommen! sagte sie. Sie zankte darüber die Gärtner. Ihr müßt verhindern, daß die Astern so früh aufbrechen! Die Gärtner lächelten. Eine Dahlie stand ihr darum doch im Haare ganz besonders schön. Gräfin Ada kam Martha gar nicht mehr berechenbar vor. Sie war ein Elfengeist geworden.
27 Das Schloß stand im nächtlichen Dunkel. Die vom Mond beleuchtete Seite war derjenigen entgegengesetzt, die Martha bewohnte. Sie öffnete die Fenster ihres Zimmers. Es waren hohe stattliche Räume, in denen sie weilte. Plafonds und Wände waren theilweise mit Malereien geschmückt. Die Brust konnte sich in solchen Localitäten erweitern und ausdehnen. Die Schlafzimmer waren kleinere Cabinette, die regelmäßig neben den größeren angebracht waren. Durchgehends war das die Ordnung in den Flügeln. Diese hatten ihre eigenen Eingänge und Treppen, schmuckloser und nicht so stattlich wie das große Haupttreppenhaus, das im Mittelbau zur alten Gräfin führte. Die Verbindung stellte sich durch ringsumlaufende Corridore her.
Ueberall tauchten nun die Lichter auf. Udo schlief nach der Voraussetzung der alten Gräfin wohl schon lange, seiner beliebten Morgenspaziergänge wegen. In der Regel kam er zum Frühstück schon mit irgend einer ländlichen Ueberraschung, manchmal auch mit einer erschreckenden, einem Maulwurf, einer Eule. Er war ein rüstiger Jäger. Auf den Stoppelfeldern, die es jetzt überall gab, waren die besten Trophäen frischgeschossene Rebhühner, die dann zum Frühstück oder zur Tafel bestimmt wurden. Nur das zweite Frühstück wurde gemeinschaftlich genommen. Das erste überließ man Jedem, wie er’s 28 nehmen wollte. Ada nahm das ihrige fast immer im Bett. Ich kann mit meinen Träumen und Gedanken nicht immer so schnell in’s öffentliche Leben treten, sagte sie.
Am liebsten hätte sich jetzt Martha, die bei Helenen die höchste Aufregung vorauszusetzen hatte, in die sie sich aber nicht hineindrängen mochte, an einen in ihr Zimmer gestellten Flügel setzen und ihre Empfindungen in Tönen aussprechen mögen. Ach! sie hatte ja ganz anders als Alle in weite, weite Fernen zu blicken, zu beten für die wohlbehaltenen Fahrten ihres geliebten Freundes durch eine oft mit Gefahren verbundene Welt! O, was ließ er auch nur so schwer zu tragen in ihr, in ihr allein zurück! Es war doch wunderlich, daß Wolny so gar nicht an sie schrieb! Er hatte sie nur durch Gustav Holl grüßen lassen! Aber herzlich und innig. Aber soviel auch der Seecapitän an Tagen, wo sie mit diesem bei den jetzt vereinsamten Althings zusammentraf, von Wolny erzählt hatte, Nichts davon ließ ein entscheidendes Interesse durchleuchten, das er für Martha empfand. Dennoch glaubte sie an ihn und sah im Monde, wie dieser da so voll und schön über dem schwarzen Tannenwald stand, den Regulator aller geheimnißvollen Lebensbeziehungen von Ost und West, Süd und Nord. Dieser seltsame Stern behütete jede Herzensverbindung, war der Bestärker im Hoffen und Glauben, machte auch Ebbe und Fluth, 29 den Herzschlag des Erdenlebens – –! Das Clavierspiel unterblieb. Sie hatte es von der Erziehung ihrer Eltern – der Vater schon trieb mechanische Kunst. Bald war sie damit der Commerzienräthin willkommen gewesen, bald hieß es: Unausstehlich! Aufhören! War Gesellschaft, dann erfolgte der Befehl: Martha, eine Sonate! Mit Schmelz und Güte gesprochen. Manchmal wurde auch in’s Ohr geraunt: Spielen Sie rasch etwas Clavier! Es war dann Stillstand in der Conversation eingetreten, die Servirung des Soupers war noch nicht zur Reife gediehen. Ein ander Mal hieß es wieder: Um Gottes willen, nur keine Musik! Meine Nerven ertragen sie nicht! Martha mußte dann mitten in einem Chopin’schen Notturno, das sie sich besonders eingeübt hatte, aufhören. Alles das – Leiden einer Gesellschafterin!
Heute konnte sich Martha nicht für berechtigt halten, die Empfindungen jedes Einzelnen, die sie schon beobachtet hatte, zu unterbrechen. Von der Freundin wußte sie schon längst, daß es eine moralische Uebung, eine Seelenprüfung für diese sein sollte, daß sie überhaupt in Hochlinden verweilte. Sie wußte, daß auch Ada nur Interesse für Ottomar hatte. Diese Vorliebe konnte sie begreifen. Wie lieb und gut war heute wieder sein Benehmen! Der Bruder ihrer Freundin war darin in der That anziehender als der Graf. Denn war auch dieser gemüth-30reich, echt vornehm und edel, so konnte man ihm doch eine gewisse Weichheit, eine Art Unentschlossenheit, eine bloße Nachempfindung nicht absprechen. Die neuere Diplomatie hat ja ein Beispiel in einem berühmten Proceß erlebt, wo das ganze Princip der modernen Bildung auf dem Gebiete des gebotensten Ernstes die Probe nicht bestand. Graf Udo gehörte ganz dieser an sich liebenswürdigen Schule der Redseligkeit an. Ottomar seinerseits trat immer fest und bestimmt auf. Seine Urtheile gehörten einer Philosophie an, die er sich über die Menschen und Dinge im Allgemeinen gemacht hatte, allerdings etwas pessimistisch, über Vieles kalt und schonungslos. Graf Udo blieb stets am Einzelnen haften, beliebäugelte einen Spruch, den er bei Byron oder La Rochefoucauld gefunden, wochenlang, wie Ada sagte, mit demselben salzte er sich die Suppe und den Braten. Jene Schule der Diplomatie will Nichts als ausweichen, hinhalten, jagt bei Alledem nach Sensation und zieht sich, wenn der Spaß zu ernst wird, wieder zurück, immer nur bedacht, daß die Entscheidung, die Einmischung nicht in die Hände der ihr verhaßtesten Menschen, der hohen Militärs, gelangt. Helene hatte es oft liebenswürdig gefunden, wenn der Graf zu sagen pflegte: „Ich gestehe, daß ich beim längeren Verweilen in der Diplomatie und beim Avanciren nicht nur alle Staaten, sondern aus 31 übermäßig cultivirter Vorsicht und Verzweiflung über Kleinigkeiten keine Tasse Thee mehr von einem Teller Suppe würde haben unterscheiden können.“ Ada fand solche Selbstbekenntnisse nicht nur an sich ganz abgeschmackt, da man, sagte sie, nur dann von sich selbst Schlechtes sagen dürfe, wenn man die ernstliche Absicht hätte, sich zu bessern, sondern auch ihrem Inhalte nach unmännlich und vor Allem dem Staate, dem sie angehörte, durchaus nicht angemessen. In letzterem Punkte hatte sie die Theorie ihrer Mutter vom überall angebrachten: „Blut und Eisen“. Schließlich läge allen solchen Selbstanklagen, sagte die immer schärfer Beobachtende, nur Selbstgefälligkeit zum Grunde. Denn die Menschen, die sich so ausdrücklich anklagten, ließen immer ein Hinterpförtchen offen, um uns zu dem Urtheil zu bewegen: Bei Alledem ist das Alles, was Du da an Dir tadelst, sehr interessant und vielleicht gar poetisch!
Geläufig war Martha der Standpunkt, daß sie am geöffneten Fenster den dämmernden Nebelschatten auf den Wiesen, die doch nur Täuschungen waren, dennoch im Geiste sprach: Was ist das Leben, das sich aus so zahllosen versteckten Quellen der Bestimmung zusammensetzt! Was rinnt und fließt da Alles ineinander und vermischt sich, man weiß nicht, wie! Vier Seelen giebt es hier, die andere scheinen als sie sind! Unsichtbare 32 Geister umschlingen sie mit magischen Bändern! Ach! Der Pfarrer in Weilheim würde sagen, Alles sei Sünde! und doch übt Jeder sein Menschenrecht! Oder hätten die Philosophen Recht, die da behaupteten, aus dem Zwange, aus der sittlichen Kraft, das historische Unrecht zu ertragen, entstünde erst die wahre Civilisation? Schreckliches, furchtbares Wort! Dann möchte man zu den Indianern entfliehen! Ja, und Ada hatte einmal bei einer Debatte über Iherings „Kampf um’s Recht“ ergänzt: Nein, nein, zu den Mormonen! Und das ganz im Gegensatz gegen diese Schrift, die einer Zeit, die bis zum untersten Handwerker hinunter jeder edlen Rücksichtnahme ein hämisches Zähnefletschen der Weigerung entgegenhält, nun noch obenein „den Kampf um’s Recht“ als Ideal anzuempfehlen vermochte! Sie hatte die Schrift als eine Aufhetzung zu ewigen Reclamationen, Ablehnung jedes Duldens, des so nothwendigen Ertragens, des nicht zu umgehenden Rechtsverzichtes bezeichnet – ein Lieblingsthema, auf das sie öfters zurückkam und damit das Tischgespräch belebte.
Wolnys Briefe standen Martha wie am Himmel geschrieben. Sternenschrift sagte ihr: Harre und hoffe! Die Fremde, sein wieder aufgenommener gelehrter Beruf zerstreuten ihn nicht. Das wußte sie fest und bestimmt. Wenn sie einmal zweifelte, so war es, daß sie sich 33 vorwurfsvoll sagte: Schäme dich, Liebe zu verlangen für Deine Dankbarkeit! Du solltest doch Nichts für den Edlen fühlen als Dank, daß er dich erkannte, dich weggeworfenen Kieselstein am Wege, der mit Füßen getreten wurde vom Unverstand, vom Dünkel, vom augenblicklichen Gewalthaber! Laß das doch genug sein, daß er Dir ein Engel gewesen, der Allen die Binde vom Auge riß, ein Retter, der das flammende Schwert zu deiner Befreiung aus den Banden einer unwürdigen Lage erhob! Ist es nicht ein unerlaubter Egoismus, der da noch von Liebe spricht! Ach, bei solchen Gedanken feuchteten sich ihr doch die Augen.
Das Bild ihres Bruders trat ihr entgegen. Sie mußte sich mit ihm beschäftigen. Sie hatte einen langen, langen Brief von ihm bekommen. Als sie sich entschloß, ihn zu lesen, nahm sie gleichsam Abschied von allen guten Geistern, die sie umgaben und mit denen sie sonst verkehrte. Was um sie her schlummerte, Alles erschien ihr eben noch rein; jetzt verfinsterte sich der Mond. Der Tannenwald beherrschte allein den Horizont. Jetzt mochte der wilde Jäger durch den Forst rasen und seine Lagerstätten suchen. Er brauste nicht mit Sturmgeheul. Alles blieb ruhig und sanft. Aber Martha mußte sich doch die Kleider aufknüpfen, weil ihr schon beim langsamen Oeffnen des doppeltfrankirten Briefes das Herz fast 34 hörbar schlug und sich der Athem behindert fühlte. Sie war in diesem Augenblick wie eine Somnambule. Sie wußte schon und wie mit verbundenen Augen, was in dem Briefe stand! O dieser siegesgewisse, dictatorische Briefstyl, dieser österreichische Leitartikelstyl! wie ihn Ottomar nannte, der einmal eine Stelle gelesen. Alles Sensation!
„Schwester, wie bin ich glücklich! O, wohin soll ich mein Glück verkünden! Wem es anders anvertrauen, als Dir, geliebte Seele, die Du mitfühlst, immer mitempfunden hast mit meinem armen oft unverstandnen Herzen! Du, du, treue edle uneigennützige, immer nur auf mein Bestes bedacht gewesene Seele! Ach, ich habe den Himmel auf Erden erobert.“
So schrieb der Mann, der seine Schwester zuweilen wie einen Stuhl im Zimmer vor Wuth hin und her schleuderte.
Aber Martha fuhr kopfschüttelnd zu lesen fort:
„Ich liebe das Weib, wie es sein soll, die Incarnation der Gottheit in einem Geschöpf, das ihr mehr gleicht, als der Mann, und dies Wesen, das bisher nur die Mythe kannte, die von den Dichtern fortgepflanzte Sage, es lebt und es liebt mich! Himmlische Edwina! Sie sieht auch in mir die Gottheit, ein Uratom der Weltkraft! Stoff und Kraft mag der Philosoph ergründen, der Mensch hält sich an den Muth, an die Kühnheit des Titanen und dies Urmenschliche sieht Edwina in mir! 35 Mutter und Vater müssen ihr das als Erbtheil hinterlassen haben, daß sie das Weib der großen Gesichtspunkte ist. Sieh’, Schwester, Dich hat die Natur, hat das Schicksal unter andere Verhältnisse gestellt, aber auch Du würdest Dich auf die Keime der Größe verstehen! Nur das Weib hat Ahnung vom Weltzweck, nur das Weib hat Schwung und Seele; wir Männer – elend genug! – wir trocknen immer mehr zusammen. Nur das Unglück kann uns noch erheben. Ihr Götter, ich bitte Euch! Bewahrt meine gute Schwester vor dieser Zeitigung ihrer Größe; Genien Deiner Art bewähren sich nur im Kampfe mit dem Schicksal. Verzeihe mir, Schwester, was ich zuweilen Ungeziemendes gegen Dich gesprochen, wie vielleicht jetzt eben wieder!“
Martha mußte lachen. Sie sagte vor sich hin: So lauteten immer seine Briefe, wenn er Geld haben wollte! Er wird doch nicht –? unterbrach sie ihr Selbstgespräch und sah auf die letzte Seite. Dann fuhr sie fort:
„Meine Edwina sieht zu Dir empor! Wenn sie auch weiß, daß Du sagtest, sie würde mich nur in ihre Netze verstricken! O, Schwester ja, diese Netze sind da, aber sie sind goldne! Wüßte ich mehr von der verdammten alten Mythologie und von Armida von Gluck und Ariost – verwünschtes Polytechnikum, wo ich von Poesie Nichts als die Sauflieder von N. N. im Gedächtniß 36 behalten habe –! ich würde für diese goldnen Fesseln die gefälligsten Vergleichungen auffinden. Edwina ist ein Wesen allerdings voll Caprice. Aber sie ist durch und durch voll Gutmüthigkeit. Sie ist auch noch unschuldig, ich schwöre es Dir, sie ist rein, unentweiht, ganz wie sie aus der Hand der Natur hervorgegangen! Nur das ist wahr, daß sie mit Allem bekannt ist, was die Schlange gesprochen haben mag, als sie sich im Paradiese um den Baum der Erkenntniß ringelte! Sie kennt jede männliche, jede weibliche Schwäche! Sie tändelt mit der Gefahr! Sie gaukelt mit ihrer wunderbaren Phantasie, ihrem enormen Verstande und ihrem noch größeren guten Herzen über Abgründe hin! Wenn sie in den Salon rauscht im seidenen schwarzen Gewande, das Leibchen blutroth, die blonden Locken durch eine einfache goldene Spange gehalten, so bringt sie das Glück, den Aufschwung, den Muth, den Trotz, und wenn es nicht anders geht, die Größe des Untergangs mit sich. Feigheit, Unterhandeln mit dem Mißgeschick, das ist ihr fremd. Sie vertieft mich ganz wunderbar in Eure Natur, Ihr Frauen.“
Martha mußte sich doch erholen. Es stieß sie das Meiste, was sie las, ab und doch zog sie’s an. Es war ihr, als hörte sie den Fußboden erdröhnen von den mächtigen Worten des berühmten Dictators, eines 37 Sprechers ohne Gleichen. In dieser Weise redete er und schritt dabei auf und ab. Napoleon hatte dieselbe Art und wollte, daß Talma von ihm lernte.
„Natürlich bin ich der Mann nicht, der halbe Verhältnisse duldet, las Martha weiter. Noch bin ich mit Edwina nicht durch die Ehe verbunden. Aber der Tag wird ehestens kommen. Sie hat mir Opfer gebracht, die nur eine sich beglückt fühlende Braut bringen kann. Die Brennicke ist abgethan. Fahre hin, Unsinn, auf Stelzen gehende sogenannte Poesie! Das einzige Gedicht vom Gerstenkorn von Robert Burns ist mir mehr werth als zwanzig Bände deutscher Lyrik! Epik ist mir vollends unerträglich. Unsere Zeit will keine Seekönige mehr mit goldenen Harfen, keine Minstrels, die mit Drachenjungfrauen durch die Lande ziehen! Wo soll man die Zeit hernehmen, sich mit solchen alten Tröstern zu beschäftigen? Mit Hülfe von Gesangs- und Freimaurervereinen betteln sich gewisse Sänger noch durch die Lande! Auch bei Fürsten, die sich in ihren kleinen Residenzen langweilen, mögt Ihr Euch anmelden, da Orden und Pensionen ersingen! Schiller und selbst Goethe sind mir ehrwürdige epheuumrankte Ruinen! Der erste Theil des Faust, göttlich, groß im Aufbäumen gegen die Räthsel der Welt! Im zweiten Theil erbärmlich, vermittelnd, verflachend, ausglättend durch Reue, ja sogar durch Begnadigung im 38 seraphischen Heerschaarenhimmel! Die Narren und Närrinnen in allerlei Gestalt, die sich sonst bei Edwina die Tafelfreuden bekommen ließen und auf den edlen Prinzen brannten, sind fortgefegt. Man paukt nicht mehr Clavier, singt nicht mehr den schrecklichen Erlkönig, declamirt nicht mehr, faselt nicht mehr über das, was Genius heißt, ohne ihn selbst zu besitzen. Wir trinken jetzt mehr Bier als Champagner, sprechen natürlich, denken zeitgemäß, ich habe eine andere Welt um Edwina eingeführt. Die menschlichen Ahnungen werden auch ohne Musik bei uns begriffen. Fürst Rauden, Sternschnuppe durch und durch, hoffte in mir einen Agitator für seinen Zukunftsmusikjammer zu finden. Aber eine Scene, wo sich Durchlaucht auf Edwinas Verwandtschaft mit der Familie bezog, bei welcher Du Dich gegenwärtig befindest, schlug dem Faß den Boden ein. Man sah die bloße Ausnutzung der Rose und das gemeine fürstliche Sichdrücken. Uebrigens ist diese Verwandtschaft ein Thema, das nicht ruhen darf. Edwina muß ihre volle Restitution, die Anerkennung als Tochter des Grafen Wilhelm von Treuenfels und eine demgemäß modificirte noch größere Abfindung haben.“
Da zuckte Martha auf. Da stach sie die Schlange. Da war die ihr wohlbekannte Gemeinheit des Bruders! Die Gemeinheit, die nicht einmal Edwina hatte! Und 39 die ihr Pflegevater, wie ein Fanatiker seiner Ehre, ebenfalls von sich fern hielt! Der großsprecherische Bruder konnte einer Familie, die ihr wohlwollte, Verlegenheiten bereiten wollen –!
„Edwina will nicht recht daran!“ las sie zitternd weiter. „Sie fürchtet sich vor ihrem Pflegevater, den ich nur einmal gesprochen habe und allerdings kann man vor dem alten, hagern Sonderling und Menschenhasser Angst bekommen. Uebrigens denke Dir die Größe dieses Mädchens! Ich kenne den Umfang nicht der Summen, die ihr zu Gebote stehen. Sie hat Gegenstände, in welche ihr Niemand einreden darf, etwa Justizrath Luzius ausgenommen, ihr Vertrauter. Wie großer Opfer Edwina fähig ist, beweise Dir, Schwester, eine Scene, die ich vor einigen Tagen mit ihr aufführen mußte – ich sage „Scene“ – verurtheile mich nicht –“
Martha mußte den Brief aus den Händen legen. Was Raimund Scenen nannte, das kannte sie! Gott im Himmel, das war immer etwas wie Weltuntergang! Sie fürchtete, wenn sie weiter läse, vor Aufregung um die Nachtruhe zu kommen. Auch schloß sie die Fenster und verriegelte die Thür; es war ihr, als könnte sie der Schreckliche überfallen. Auch durch völliges Entkleiden sammelte sie sich erst und streckte sich in ihrem Bett, um sich zu erwärmen, bis sie das große Opfer erfahren, 40 das die ihr so widerstrebende Person ihrem Bruder gebracht haben sollte. Dann las sie, den Brief gegen das Kerzenlicht, das auf dem Nachttisch stand, gehalten, weiter:
„Du weißt, ich dirigire die Rabe’sche Fabrik! Die Geschäfte gehen sehr, sehr schlecht! Das Gründungscapital war zu hoch gegriffen! Nicht die Zinsen kommen heraus! Die Actien fallen fürchterlich! Der Verwaltungsrath ist natürlich außer sich! Nun stand gar eine Generalversammlung bevor und eine allgemeine Absetzung der bisher maßgebenden Persönlichkeiten, ein Sturm bis zum erwarteten Aufgebot der Polizei. Rabe, an Händen und Füßen seit einiger Zeit gelähmt, an den Krankenstuhl gefesselt, wand sich wie ein Wurm vor Wuth und Verzweiflung. Baron Forbeck – sage aber um Gottes willen Nichts seinem Schwager, denn Beide stehen blank gegen einander und ich will keine Duelle veranlassen – drohte sich eine Kugel vor den Kopf zu schießen. Baron Cohn von Cohnheim steckt schon so tief in den Rumäniern und Türken,daß er sich die Ohren zuhielt, als man ihn bat, einige flotte Einkäufe unserer Actien an der Börse zu veranstalten und dadurch etwas Animo hinein zu bringen. Alles stand auf dem Spiele. Da fuhr mir ein Gedanke: Edwina! durch die Seele. Ich hin zu ihr! Ein altes böses Weib, das sie seit einiger Zeit als 41 Duenna sich zugelegt hat, eine Baronin Ugarti, wie sie sich nennt, eine unausstehliche Person, geschminkt, mit falschen Haaren, immer gemüthvoll boshaft mit österreichischen Redensarten, wollte mich bei Seite drängen, aber ich schob sie zur Thür hinaus, riegelte zu und fiel meinem Engel zu Füßen. Edwina! sprach ich. Deine Knie umklammere ich und beschwöre Dich bei Allem, was Dir theuer, was Dir heilig ist, bei den Manen Deines nur mit Thränen genannten „Sokrates“, laß’ es auf eine Summe von 10,000 Thalern Nominalwerth, in Wahrheit 6000, nicht ankommen, sondern greif’ Dein Vermögen an, um auf der Börse wenigstens einigen Rumor mit gekauften Rabe-Actien zu machen! Rettet man doch dadurch, erklärte ich ihr, da sie ruhig zuhörte, ein Größeres, meine und ihre zukünftige Existenz! Ich fuhr fort: Das Geschäft wäre ja an sich ein ganz gutes, aber theils der Betrug, den man beging, als die Gründer Wolnys Abfinden mit 200,000 Thalern bezeichneten, während dieser doch nur die Hälfte empfing, theils die Unfähigkeit des jetzigen Verwaltungsraths müßte durch äußerste Anstrengung vor der Generalversammlung todt gemacht werden! Denn wenn da die Majorität siegt, fuhr ich fort, so haben wir Liquidation des Unternehmens oder eine Radicalreform, wobei auch ich, der ich eine Last für das Conto, die progressive Rente, eingeführt habe, 42 über die Klinge springen würde. Lieber, setzte ich mit meinem alten Stolze hinzu, will ich freiwillig gehen, groß, unbesiegt, mit einem: Ich verachte Euch! Nicht, daß diese Canaille mich absetzt!“
Martha richtete sich im Bett hoch auf. Es war ihr, als hätte sie der Veitstanz ergriffen. Sie hätte wieder aufstehen und sich neu ankleiden mögen. Sie sah diese gräßliche Scene deutlich vor sich; ganz die ihr bekannte rasende Leidenschaft ihres Bruders, die Macht seiner halb erlogenen, halb wahren Ekstase. Und Edwina – „ruhig“? Sie hatte Mitleid mit dem armen bedrängten Mädchen! Mit zitternden Händen den Brief haltend, las sie weiter:
„Eine Liebe, sagte ich zu Edwinen, die begeistert, wird mich auch begeistern zur steten Pflicht! Ich bin arbeitsam, Edwina! Ich verachte die Anerbietungen der Politiker, die mir eine große Rolle im Staatswesen voraussagen, wenn ich ihren verhetzenden Zwecken diene! Baares Geld giebt aber Niemand! Nur Worte, Worte, Worte! Ich verstehe mein Fach. Ich will einst den Gegenstand meiner Anbetung im leichten Cabriolet von zwei edlen silbergeschirrten Vollblut-Rossen gezogen sehen! Ich will, daß sie Nichts entbehrt, daß sie Alles besitzt, was sie nur wünscht! Darum arbeite ich – und höre nun, was mein Mädchen sagte. Der Engel sprach: 43 Armer Junge, Du dauerst mich! Hierauf ging sie in ihr Toilettenzimmer, zog sich zum Ausgehen reizend an, ließ einen Fiaker kommen, fuhr zu dem widerlichen, groben Luzius, der keinem Menschen einen Guten Tag! gönnt und auch zum Glück krank im Bett lag und sie gar nicht empfangen konnte – denn sonst hätte er ihr doch wohl abgerathen – und gab nur in der Canzlei Auftrag, für 10,000 Thaler Rabe-Actien durch seinen Makler aufkaufen zu lassen auf Rechnung des Fräulein Marloff. Die Wirkung war vollständig. Das sonst colossale Geschäft der Börse ist so herunter, daß man eine Fliege summen hört. Rabe-Actien stiegen! Die Generalversammlung fand während eines wenigstens nicht sinkenden, sondern sogar steigenden Courses, der einige Tage andauerte, keinen Anlaß zu Gewaltschritten. Freilich verlief sie stürmisch – denn wer schreit jetzt nicht, wenn es sich um Geld handelt! Aber mit einer gewissen Energie konnten wir unsre Plätze einnehmen und in dem Sturm auf den Courszettel verweisen! Harry Rabe, der sich auf einem Rollstuhl hatte vorfahren lassen und neben sich den Baron Forbeck hatte, brüllte wie ein Löwe! Forbeck war ruhiger. Er hat diese malitiöse Miene, die alle Menschen von den Beinen aus beurtheilt, wo dann Jeder gleich gemacht ist, weil er denkt, seine Stiefel seien nicht recht geputzt oder hätten 44 ein Loch. Kurz wir kamen durch. Fielen dann auch leider die Actien ein paar Tage wieder wie ein purzelnder Baumstamm von einer Berglehne, so war doch die Sicherheit, uns noch ein Jährchen zu halten, gegeben. Freilich, Edwina hatte Papier, statt Geld!“
Sechstausend Thaler giebt das leichtsinnige Mädchen dem Menschen so hin! sprach Martha ganz laut vor sich aus und mußte inne halten. Eine solche Mischung von Logik, Leidenschaft und Unverstand, wie Raimund in allen Fällen zeigt, kann so wahnsinnig machen und andere Menschen anstecken! Sie mußte gedenken: Wie oft hatte so die fascinirende Gewalt ihres Bruders auch auf sie selbst gewirkt! Dem unverbesserlichen Schwindelgeist, dem er die herrlichen Namen: Genie, Titanenkraft, manchmal auch wohl Kindlichkeit, Gemüth geben konnte, beugte sie sich dann voll Vertrauen. Eine Reminiscenz aus den Schuljahren lautete bei ihm: Mein Arm ist wie der der Könige! Doch Regibus longas esse manus – hätte er vor Wolny nicht zu recitiren gewagt.
Martha hätte weinen mögen, aus Mitteid für Edwina. Koketten, sagte sie sich, sind ja überhaupt nur zu bemitleiden, denn sie stehen unter dem Einfluß ihres Naturells. Mußte auch Luzius grade krank sein! fuhr sie in ihrem Unmuth zu grübeln fort. Der strenge Mann würde ihr die Thorheit widerrathen haben! Wie 45 sprach er so oft energisch mit der Commerzienräthin! Und nach Allem, was sich hier so auf dem Schlosse ausgeflüstert hatte, konnte Edwina doch nur über ein gemessenes Vermögen verfügen. Nun diese wahnsinnige Zumuthung, sie sollte 6000 Thaler, wenn nicht mehr, rein in’s Wasser geworfen haben! Und das offene Geständniß des verübten Betruges der Gründer-Gesellschaft vor dem Publikum an Wolny! Auf Wolny hat man also geradezu eine Lüge gewälzt! Wie auf den kleinen Schlosserburschen, der jetzt als stattlicher Flottencapitän zurückgekommen ist! Diese Geschichte hatte Ottomar aus Holls Briefen und unten im Abendkreise erzählt zu nicht geringem Erstaunen der Gräfin, da Fürst Rauden dabei genannt wurde. Der entdeckte Thäter wurde von Holl nicht genannt, im Gegentheil eine interessante liebenswürdige Bekanntschaft, das Ideal eines Garçons, der reiche Fabrikant Schindler, wurde von Holl ausdrücklich als sein neuer Freund und Protector hervorgehoben. Man hatte gerade über Iherings Schrift: „Der Kampf um’s Recht“ gesprochen.
Der Schluß des Raimund’schen Briefes lautete:
„Edwina soll nicht länger verschwenden! Jetzt bin ich der Vertraute ihrer Kasse geworden! Wozu all diese Menschen um sich sehen, die nur schmarotzen und von ihrem Engelherzen Geschenke annehmen? Die Gas-46flammen zeigen jetzt monatlich einige hundert Kubikfuß weniger Verbrauch. Den Besuch des Theaters muß ich gestatten, weil sie behauptete, während der Vorstellungen fühle sie sich am glücklichsten. Lächle über den Grund! Dann wäre sie, sagte sie, ganz allein mit sich selbst, dann könnte sie am Besten träumen. Von dem Stücke behält sie freilich rein gar Nichts. Ich glaube, darum ist auch Richard Wagner bei den Frauen so beliebt geworden! Man kann bei ihm schlafen – vielleicht auch träumen – sagt Hamlet,träumen vom Liebhaber, von der Toilette, vom morgenden Mittagsmenu! Auch Edwina ist ein weiblicher Hamlet. Die Begleiterin genirt mich sehr. Ich möchte sie kaltstellen, diese Bestie, manchmal kaltmachen. Sie will eine Ungarin sein, eine alte Bekanntschaft, die Edwina schon als Kind gemacht hat. In erster Jugend war mein Engel mit auf den Reisen ihres Pflegevaters. Er besuchte die obern Donaugegenden. Die Baronin Ugarti besitzt dort Güter, machte großen Aufwand, rettete Edwinen, wie diese sagte, einmal das Leben, und affichirt hier eine wahre Affenliebe für sie. Aber es ist mir Alles an ihr verdächtig. Auch hat sie die terroristischen Manieren der österreichischen Aristokratie. Was an ihrer Haltung Verstellung, Interesse, Wahrheit ist, das kann ich noch nicht heraus bekommen. Mich scheint die Dame über Alles zu hassen. Sie sagt es 47 auch offen. Sie findet, daß Edwina durch mich in zwei Hälften getheilt sei. Sie will sie beide haben. Sie ist eifersüchtig auf mich. Sie küßt Edwinen wie ein Mann so zärtlich! Mir kommt die aus lauter Ersatzmitteln von Gutta-Percha und Stahlfedern zusammengesetzte alte Kokette wie eine Schlange vor, die durch ihren Blick erstarren macht. Mit größter Gemüthlichkeit spricht sie von einer hinreichenden Portion Cyankali, die sie besäße, um sich den Garaus zu machen. Denke Dir –! Man ist versucht zu glauben, sie werde das schreckliche Gift eher gegen Andre anwenden. Ich passe ihr auf! Sie soll mir Edwina nicht, wie die Schwalbe den Regenwurm verspeisen! Ich kenne die Schliche der Menschen! Nur das verstehe ich nicht, daß selbst Edwina zittert, wenn dies Weib so listig lächelt, daß alle ihre falschen Zähne zu zählen sind! Sie könne die Frau nicht von sich abschütteln, sagte sie mir, nicht im Theater, nicht in Gesellschaften! Den Pflegevater meines Engels setzte ich einmal vor die Thüre, und thue es wieder, wenn er nicht anständiger auftritt. Die Großmutter, die Frau Müllern, bekomme ich nur selten zu sehen. Die größten Erscheinungen hatten kleinliche Familienannexe. Cäsar, die Macedonier, Napoleon, Alle haben sie sich, wie neulich Edwina, ihrem Vater, dem Grafen Wilhelm, nachsprach, durch den Unverstand ruinirt, Bedienten- und 48 Waschfrauennaturen heben zu wollen. Frau Müller ist geistesschwach. Als sie mich fragte: Was wollen Sie eigentlich hier? hatte ich die Geistesgegenwart zu sagen: Das frage ich Sie! Wer sind Sie? Edwina kam dazwischen und trennte uns. Ich war unter den paar Gasflammen, den tropischen Pflanzen, den Möbeln, den Vorhängen, nach der stillen Straße zu, wo Edwina wohnt, wie mit einer Verrückten allein. Mein Dolchmesser führe ich aus alter Gewohnheit immer bei mir, denn ich fühle Ueberspannung, Haß, Neid rings um mich her. Manche Rivale sind geradezu lächerlich! Unser Verwaltungsrath Cohn von Cohnheim z. B. wechselt mehr als Albumsprüche mit Edwinen. Wenn es die Assessorin Rabe wüßte! Ihre Photographie hat er sich von Edwinen erbeten mit einem Spruch. Auf den Rücken ihres göttlichen, in Cabinetsformat wiedergegebenen Halbprofils hatte sie mit zierlicher Hand geschrieben: „Was Euch Comödie dünkt, ist Andern Tragödie!Du nennst den Scheiternden einen Narren, der Gerechte wird ihn einen Weisen nennen!“ Der Baron machte mit dieser Eroberung auf der Börse Glück. Alles war im Scheitern begriffen und Jeder konnte nun weise sein. Man bewunderte die Tiefe des Spruches. Der glückliche Besitzer that sogar, als läge diesen Zeilen eine Leidenschaft für seine Person zum Grunde. Er hatte lange 49 Zeit hindurch zu den Bewunderern der sogenannten Stubbenkammer-Poesie mit Mondscheinbeleuchtung, dem Styl der Erhabenheit, gehört, und machte in Begeisterung für fürstlich Rauden’sche Musik. Ach! hätten nur Edwinens Worte auf unsere Actien gewirkt! Für heute schlossen sie mit 52 und – ich, theure Schwester, schließe hiermit auch.“ Erschreckend war ein Postscript. „Ergründe das Terrain bei der alten Gräfin und dem jungen Grafen, den Edwina nicht mochte, obschon er sich ihr durch gewisse Zwischenträger aufdrängte. Denn über kurz oder lang kommt es doch zum Kampf mit dieser Familie. Mittel zum Herausrücken hat sie ja. Dein Raimund.“ Und noch diese Worte folgten: „Schreibt denn Wolny gar nicht? Ein gewisser Holl soll Dir Grüße von ihm gebracht haben. Mich hat dieser Mensch natürlich gar nicht aufgesucht.“
Wie gemein Alles das! rief Martha und wiederholte das freche erlogene: „Obschon er ihr sich aufdrängte –!“ das auf Ottomars längst klargestellte Vermittelung gehen sollte. Ach, sein ganzer Charakter spricht sich darin aus! seufzte sie. Wenn ich die Stelle, sie verwahrte den Brief sorgfältig, an den „Zwischenhändler“ Ottomar verriethe! Es könnte ein Rencontre daraus entstehen! Mit Betrübniß über das Bild einer Welt, die mit derjenigen, in welcher sie selbst lebte, so im Widerspruch stand, suchte sie den Schlummer.
50 Drittes Kapitel.#
Pfarrer Merkus aus Weilheim, der auch die Kirche in Hochlinden bediente, stellte sich oft zu den zweiten Frühstücken ein. Seine Eßstunde war die ländliche zwölf Uhr; sie folgte unmittelbar der Gewohnheit des Schlosses, die nur umgangen wurde, wenn Partieen gemacht werden sollten. Das that ihm jedoch Nichts, zweimal nacheinander den Leib zu füllen. Der Mann war noch nicht alt. Er gedachte mit seiner behäbigen kleinen Gestalt und den klug umspähenden Augen nicht in Weilheim zu bleiben, sondern weiter zu klimmen. An Allem, was nur Schule, Kirche und selbst den Staat berührte, betheiligte er sich im conservativsten Sinne. Immer wußte er der alten Gräfin etwas zu hinterbringen, was diese beschäftigte. So heute von den Verheerungen, die der gestrige Regen angerichtet hätte. Da wurden denn die Jahrmarktsgeschenke sogleich ganz anders vertheilt, als man gestern beschlossen hatte. Es sollte eben Alles bei der alten Gräfin nach des Pfarrers Anordnung 51 hergehen. Für die Tischdecke tauschte er sich in vorausgeahnter Uebereinstimmung mit seiner würdigen Hausfrau eine Rolle Damastzeug zu nützlicheren Bettüberzügen aus. Dergleichen legt man in den Kasten, sagte er schmunzelnd, wenn man es auch nicht sofort braucht, Excellenz! Er hatte ein heranwachsendes Töchterlein, über dessen Ausstattung seine würdige Hausfrau jetzt schon zuweilen Phantasieen bekam, die einzigen, die der unbedeutenden, aber manchmal anspruchsvollen Frau zu Gebote standen.
Die jungen Schloßbewohner Udo und Ada ließen den kleinen Tyrannen in ihrer ersten Zeit schalten und walten. Nur als Helene Althing angekommen war, da bekam er Stoff zur Eifersucht. Und vollends, als Martha kam. Als er dann gar hörte, daß diese auch noch später bleiben sollte, verwunderte sich der schwarze Herr nicht wenig. Er war seitdem in steter Bewegung.
Heute gab es herrlichen Sonnenschein, der die durchnäßten Wege schnell getrocknet hatte. Wie konnte Helene da der alten Gräfin mit dem Abreisenwollen kommen! Die ganze junge Welt wurde von ihr vom Frühstückstisch hinaus in den Park gezogen. Weiter hinaus noch in die Obstbaumpflanzungen, in die Felder und die Anhöhen hinauf ging die alte Gräfin nicht. Aber sie unterbrach Helenens Reden vom Packenmüssen, vom Postenlauf, dann Ottomars Fragen und Auskunftertheilungen mit 52 dem Hinweis auf die sonnenbeschienenen Höhen, das strahlende Licht einer metallnen Kugel auf der Gloriette, auf eine gestörte Nachmittagsausfahrt, auf die sie gerechnet hätte. Helene entgegnete, ihre Mutter bekäme Sehnsucht nach ihr. Diese sei verlassen und zu einsam. Martha merkte, daß etwas vorgefallen war, mochte aber nicht fragen. Nur Ottomar drängte, den vulkanischen Boden zu verlassen. Da aber wußte es das junge Grafenpaar erst recht so einzurichten, daß kein Ohr da war, darauf zu hören, keine Hand, die einen Befehl ausrichtete.
Der Umstand, daß man sich bei der nun versuchten Wanderung in die Höhe noch auf keine der durchnäßten Bänke und keinen der Ruheplätze von Stein setzen konnte, beförderte die gegenseitig zur Schau getragene Harmlosigkeit. Man mußte Alles, was man zu sagen hatte, im Gehen und Stehen abmachen. Helene ging mit Ada, Ottomar mit Udo. Ein Leben des Nichtsthuns führte Udo an sich nicht. Er arbeitete in erster Frühe nach dem Kaffee bis elf Uhr auf dem gräflichen Rentamte, wo es genug zu beobachten, zu controliren gab.
Der Graf schlug dem Freunde vor, ihn in eine hohe Partie des Gebirgs zu begleiten, wo ein Holzschlag geregelt werden sollte. Eine Strecke sollte ihren schönen grünen Kamm verlieren. Der Förster erwartete ihn an Ort und Stelle und das um Punkt Ein Uhr.
53 Auf dem Hinwege, immer im langsamen Steigen, unter Tannen und Buchen, die ein magisches Sonnenlicht einließen, machten sich beide Freunde das offne und ehrliche Geständniß dessen, was der Eine sich erlaubt hatte, und was dem Andern begegnet war. Ottomar würde nicht eine Silbe von Adas Erklärung, die sie durch ihren Gruß am Morgen und ihr Gute Nacht! am Abend, durch ihr ganzes Benehmen mehr als fortsetzte und wahr machte, sondern nur überbot, geäußert haben, wenn nicht der Graf selbst gesagt hätte: Daß Dich Ada liebt, ist mir ja kein Geheimniß! Es erleichtert mir die Situation! Es fehlt nur noch ein – Wort, das mich beglückt und dann – schaudervoll genug! – ein abscheulicher Eclat! Gegenseitige Abneigung, ruhige Erklärung lassen unsre immer anspruchsvoller auftretenden Kirchenlichter als Scheidungsgrund nicht zu –!
Beide Männer waren allein. Ottomar im hohen Grade aufgeregt. Ich komme mir vor wie der geraubte Hylas! sagte er und das voll Mißmuth. Ich werde an dem Conflicte wider Willen betheiligt und vielleicht daran zu Grunde gehen!
Wie so? fragte der Graf und nahm Alles leicht.
Die Gesinnung meiner Schwester kenne ich nicht! fuhr Ottomar fort. Du hattest ihr allerdings Eindruck 54 gemacht. Ob sich dieser erhalten hat, ob verstärkt, vermindert, vergieb mir, daß ich nie darnach gefragt habe!
Es kommt nur auf finanzielle Abmachungen an, die sich ja treffen lassen! Ich bin zu Allem bereit! sagte der Graf ziemlich zuversichtlich.
Ich sollte von Adas Abfindung leben? Du beleidigst mich! rief Ottomar, lüftete den Sommerhut, den er trug, und strich sich zornerregt das Haar – Himmel, es ist mir, als stiege mir das Blut siedend heiß zu Kopf! rief er unmuthig aus.
Freund, Freund, beruhigte der Graf, in diese Verschiebung der Verhältnisse, in ungewohnte, lege doch keine weiteren Schwierigkeiten!
Nein, fuhr Ottomar fort, Deine leichte Behandlung des Conflicts zeigt mir die Welt, aus der ihr Diplomaten stammt! Um nur das geliebte Französisch geläufig plaudern zu können, lest ihr Nichts als Französisches und handelt auch nur nach Alexander Dumas’ Ideen!
Bitte, bitte, unterbrach Udo, meine französische Romanlectüre war Jahre lang nur die Plauderei des guten La Rose –! Aber, verbesserte er sich, kann ich dafür, daß Montaigne französisch geschrieben hat?
Eure Grundsätze sind zu cavaliermäßig! Gott im Himmel –! unterbrach sich Ottomar. Mein Vater war schon außer sich, daß Helene nur überhaupt den 55 Kopf zu senken anfing, als sie von Deiner prädestinirten Vermählung erfuhr –
That sie das? That sie das wirklich? fiel der Graf mit rascher Rede entzückt ein. Sie liebt mich! Ich ahnte es! Nur die Verhältnisse müssen aus dem Wege geschleudert werden! Mache Anstalt, dann bin ich glücklich, Freund! Zögere länger nicht! Pah! Die Natur ist kein Product eines göttlichen Verstandes, nein, ich sage, und viel religiöser, sie ist mehr, sie ist mehr, das Product eines göttlichen Gefühls! In ihrer Atomenwelt unser Leben wieder mit aufgelöst zu fühlen, o Glück, o Wonne, o Seligkeit! Was wir durch Gesetze, Traditionen verhärtet, festgestellt haben, das ist Alles Thorheit!
Auf die Atomenlehre gebe ich gar Nichts! erwiderte Ottomar lächelnd; ob die Welt gleich im Anfang so war, wie jetzt, oder ob sie aus einem Keime erst wurde, und ob der Keim schon das Ganze war – wer weiß denn das! Die Atome sind nur eine Krücke im Denken!
Gut, nahm der Graf diese Behauptung, ihr zustimmend, auf, gut, ich kämpfe für kein metaphysisches System. Ich sage nur, die Menschen, die uns wohlthun, der Aether, der uns umwallt, das ist das Einzige, was wir sicher haben! Ich zerreiße jedes Hinderniß, das sich dem Zuge des Herzens widersetzt! Ada liebt mich nicht! Ich hätte mich vielleicht in mein Schicksal 56 gefunden und um Helenen ewig – getrauert! Aber Ada zeigt mir offenbaren Widerwillen. Gut! Es empört mich grade nicht. Es verletzt nicht meinen Mannesstolz, daß sie Nichts an mir findet, was sie anziehen oder befriedigen kann. Sie ist –
Doch nicht ohne Urtheil! fiel Ottomar nachdrücklich ein.
Voilà l’amoureux! rief der Graf lachend. Meine Jagdlust, mein Reiten, meine gesellschaftliche Conversation, Alles ist ihr hergebrachte Cavaliertournüre. Sie hat das, was sie mir schon in Nizza gesagt, was ich ihr Neues vorzugaukeln glaubte, Alles schon von Anderen genossen, selbst von ihrem Taugenichts von Bruder! Da sagte ich ihr: Nun, Deine eitle Mutter ließ Dich Parade machen und Sport treiben, wie einen Husarenlieutenant! Den Schnurrbart dazu hattest Du! Seitdem habe ich keinen Kuß mehr von ihr bekommen.
Eheleute sollen gegen und über einander nicht witzig sein wollen! sagte Ottomar lächelnd. Er kannte schon diesen so leichten wolligen Flaum auf Adas Oberlippe, der erst einer ganz zufälligen Stellung des Antlitzes gegen das Licht bedurfte, um überhaupt gesehen zu werden.
Der Gatte hatte also „verläumdet“.
Croisons les mains! rief nach einer Weile der Graf. Ich zürne über Nichts, Freund; verschaffe mir nur den Ersatz, der mich glücklich machen wird!
57 Ottomars Sprödigkeit äußerte sich in einem heftigen: Helene wird vorläufig morgen abreisen!
Das geht nicht, erwiderte der Graf. Die Pferde haben in der Ernte zu thun —
So requirir’ ich ein Fuhrwerk aus Weilheim –
Das compromittirt uns! Nein, wartet wenigstens bis Montag –!
Es war Sonnabend!
Nur unter der Ehrenwortversicherung, daß Du meine Schwester nie wieder bedrängst! Was gestern geschehen ist, weiß ich nicht.
Der Graf schwieg. Ottomars Ehrgefühl äußerte sich in nur zu bestimmten Ausdrücken.
Es gab Strecken des gemeinschaftlichen Weges, die nur zur Freude am Nächsten, an den Aussichten, an manchen Pflanzen, an mächtigen, allein stehenden Bäumen aufforderten. Der Harzgeruch wechselte mit dem Thymian, der vielfach am Wege stand.
Wir tragen in Alles, was uns schön erscheint, zum Beispiel in eine Aussicht, sagte der Graf und zeigte in die Gegend hinaus, unsere Vorurtheile hinein.
Die wir doch zuerst von ihr bekommen haben! ergänzte Ottomar. Nein, machte er später den Uebergang zu einer andern Gedankenreihe: Füge Dich nur! Das Leben ist eine Pflichtenaufgabe! Das historische 58 Leben ist es vollends! Wer sagt uns denn, daß wir Kinder sind, denen Alles nach Wunsch geschenkt werden müsse?
Das sind mönchische Ideen, die von Deinem Vater herstammen! sagte der Graf lachend und verlor sich in paradoxe Behauptungen: Pfarrer müßten erst Talent zum Schauspieler zeigen, ehe man sie anstellte, Diplomaten müßten den ganzen Charakter des Staates, den sie repräsentirten, wiedergeben. Er kam auf den Seecapitän Holl und meinte zuletzt: Martha könnte uns Allen helfen! Martha hat Talent, entscheidende Züge zu thun! Sie ist für Natur und Wahrheit!
Jetzt ergab sich ein reizender Anblick. Die Gleichartigkeit des Weges hatte aufgehört. Ehe man in die bedeutendere Steigung des zu fällenden Waldstrichs kam, sah man eine Thalmulde, die mitten in den Bergen wellenförmige Wege, Häuser, eines höher als das andere, zur Anschauung brachte. Es war ein Gebirgsdorf, mit einer ebenfalls vom Pfarrer Merkus versehenen Kirche. Dabei breiteten sich fernhin am Rande des Horizontes die wohlgepflegten Landstriche aus. Wie man an einem stetig fortschreitenden weißen Wölkchen ersah, waren diese von einer Eisenbahn durchzogen. Leider hatte diese ihre Haltepunkte erst in bedeutender Entfernung. Die malerische Wirkung des Dorfes Pfahleck übertraf noch bei Weitem die Umgebung von Hochlinden.
59 Als die Wanderer an der Ecke in der That eines Pfahles, wohl eines verwitterten Wahrzeichens forstlicher Cultur, den Förster, auf sie wartend, antrafen, schmunzelte dieser eigenthümlich.
Nun, Weidner, sagte der Graf, Sie haben wohl die Diana zu Hause gelassen, weil Sie drüben den Türk fürchten, den der Waldhüter immer so frei mit herumtummeln läßt? Ist aber auch Recht. Auch beim Vieh sind allzuhäufige Kindbetten kein Segen!
Weidner sagte: Herr Graf, ein Förster ohne Hund ausgehen? Das wäre schön! Die Diana ist schon lange voraus – Aber Türk neckt sie heute nicht! setzte er pfiffig hinzu.
Man konnte annehmen, der Hund hätte sich dem in der That ohne den Türk gekommenen Waldhüter, der Mann hieß Bartels, angeschlossen. Bartels war schon auf die obere Spitze, die Tannenschnippe, voraus. Dort sollte er die Anweisung erhalten, bis wieweit er die seit Jahren nicht gelichtete Höhe abholzen, das Holz in gewissem Grade klein machen und in gemächlichen Fuhren bis zur Eisenbahn schaffen lassen sollte. Leider fehlte hier ein mächtiger Bergbach zum Flötzen, fehlte auch die nahe Eisenbahnstation zum Transport. Diesen Proceduren lag bei Alledem eine umständliche Schreiberei und Rechnerei zum Grunde.
60 Die Diana hatte sich heute Niemandem anders angeschlossen, als der gnädigen jungen Frau Gräfin. Ada begrüßte die langsam heraufklimmenden Männer mit einem Büschel Wald-Erdbeeren, die sie sich noch aufgesucht hatte. In einem praktischen dunkelblauen Leinenkleide, als Bergsteigecostüm, den kleinen Matrosenhut in der Hand, hatte sie das Haar dem Winde preisgegeben und stand wie eine Siegerin da, triumphirend. Auf einem kürzern, viel steilern, aber schnell von ihr durchmessenen Wege war sie den Anderen lange zuvorgekommen.
Der Waldhüter hielt die Kappe in der Hand. Der Wind auf der Höhe ging scharf. Bedeckt Euch doch, Bartels! sagte der Graf und suchte einen Platz, um sich auszuruhen.
Ottomar sah verdrießlich drein. Die Wald-Erdbeeren lehnte er nicht ab, aß sie sogar, obschon sie nicht zu den bessern ihrer Gattung gehörten, verbarg aber nicht im Mindesten seine Verstimmung über dies wiedereingeleitete Stelldichein; denn der Graf hatte ja mit den Waldarbeitern zu thun und mußte sie allein lassen.
Die Ermüdeten wollten sich ausruhen. Aber der Boden, wenn auch mit alten Kiefernadeln bedeckt, war steinigt. Da war noch ein Rasen in einem Winkel der Bergspitze zu entdecken. Er war nicht groß. Um ihn 61 zum Ausruhen zu benutzen, mußten Anfangs alle drei dicht zusammenrücken.
Daß ich auch nicht bedacht habe, etwas zur Erfrischung mitzunehmen! begann die junge Gräfin, die sich auf dem Rasen streckte und in die sonnenbeschienene, malerische Gegend hinaussah. Sie stöberte dabei mit dem langen Stock ihres Entoutcas, den sie beim Steigen benutzt hatte, in dem Rasen und neckte die Diana. Ottomars Bedauern, daß Ada gegen den hier oben wehenden Wind keinen Shawl mitgenommen, lehnte sie mit einem „Eine Soldatentochter!“ ab. Der Graf bezeichnete seine Aufgabe. Es handelte sich um ein genau bemessenes Abstecken der zu fällenden Partie Tannen. Alle Details könnten sie nicht abwarten. Einige aber wollte er doch erledigen. Er war zerstreut.
Da Ada keine Miene machte, ihn begleiten zu wollen, und er sich erhob, um mit seinen beiden Beamten wieder einige Schritte nieder-, dann seitwärts in den dichten Forst, der eine reiche Ernte versprach, einzutreten, mußte Ottomar wohl oder übel wieder zu einem Tète-à-tète mit seiner Verführerin zurückbleiben. Denn allein lassen konnte er sie doch nicht.
Hu! Hu! begann Ada sogleich, indem sie sich aus der Lage, in die sie sich begeben hatte, erhob. Wie verdrießlich! Schon ganz wie ein Ehemann! Sie gönnen 62 mir, glaube ich, den grünen Wald nicht einmal! Da die Fernsicht, die blaue Luft! Wissen Sie? unterbrach sie sich, ich möchte immer hier oben wohnen!
Ottomar bestätigte einfach die Schönheit des gewählten Ruheplatzes.
Es haben wohl unterwegs Confidenzen stattgefunden? fragte Ada forschend. Mein Mann fuhr gestern mit Ihrer Schwester allein! Die Sehnsucht seines Herzens ist mir ja bekannt. Die Geschenke, die in den Kutschkästen verpackt lagen, haben mir Alles, was geschehen ist, wiedererzählt.
Es ist gar Nichts geschehen! sagte Ottomar. Passen Sie nur auf, liebe Freundin, daß es von uns nicht wieder heißt: Was sich der Wald erzählt!
Liebe Freundin! Ach, wie bedächtig! wiederholte sie. Warum denn nicht: Innigst geliebte Ada? Haben Sie meine neuliche Aufrichtigkeit schon wieder vergessen, lieber gestrenger Herr?
Ada fragte das mit bestrickender Lieblichkeit. Wir spielen hier Shakespeare, fuhr sie fort. Der Wald ist da! Sie sind der melancholische Jaques!
Allerdings! sagte nach einigem Besinnen Ottomar. Ich werde von jetzt an so unausstehlich wie möglich sein! Und damit gleich der Anfang gemacht wird, reise ich mit meiner Schwester zu Fuß ab. Shakespeare sollen 63 Sie mir nicht umsonst citirt haben. Das Gepäck kann uns nachgeschickt werden! Da hinunter! Sehen Sie das Wölkchen? Das ist die Eisenbahn!
Von Schmerz bewegt und doch sich zum Lachen zwingend und gefesselt von dem Reize der jungen Frau, zeigte er auf die ferne schöne Aussicht.
Jetzt wandte ihm diese schmollend ein wenig den Rücken.
Um Sie noch einmal allein zu sprechen, bin ich hier den hohen Berg heraufgeklettert! sagte sie. Seien Sie doch nun auch ein Bischen gut mit mir! Es ist ja vorläufig, vielleicht wirklich das letzte Mal, daß Sie mich hier allein sprechen! In meiner Gesinnung bin ich fest, und wenn Sie immer noch unartiger werden. Was ich dann will, setze ich durch, oder ich renne mir den Kopf ein!
Ada! Ada! Man kann uns beobachten –! bat sie Ottomar. Gott – Gott –! rief sie zum Himmel flehend und stumm seine Hand ergreifend. Ottomar mußte sich abwenden. Den Grafen und seine Begleiter hörte man so eben im Walddickicht laut reden. Sehen konnte man sie nicht. Die Diana stellte eine Vermittelung her. Ein Antheil an dem mitgebrachten Proviant war den Thieren bei den Herrschaften gewiß und zum Glück fand sich in Udos liegengebliebener Jagdtasche 64 ein reicher Vorrath von allerlei köstlichem Genießbaren, wovon dann Ada austheilte. Der Graf mußte vorhin von Adas Anwesenheit so überrascht gewesen sein, daß er ihre Bemerkung über die fehlenden Lebensmittel ganz überhört hatte.
Also hier bauen Sie sich eine Villa! sagte Ottomar, als Ada mit dem Hunde ganz nur in eine auf Wurst und Fleisch sich begründende Prosa zurückgefallen war.
Ja, sagte sie, die Tasche schließend und das Thier mit dem Entoutcas wegweisend. Wir müssen nun zu, „Wie es Euch gefällt“, wieder emporsteigen! Die Aussicht ist’s nicht, für die ich schwärme, lieber Herr! Was habe ich davon, daß da ewig ein blauer Nebel drüben liegt, der Abends eine etwas röthliche Jacke anzieht, Morgens eine violette! Ach, man wird so unendlich prosaisch in unserm neuen Kaiserreich! Von unseren Reisen her kenne ich Alles das und überschlage es, wenn’s beschrieben wird, und habe eigentlich einen Degout am landläufigen Naturgenuß. Mutter reiste gern. Wenn da die Leute immer riefen: Ha, da liegt Speyer! Da sieht man den Rhein! Da ragen die Vogesen! Das ist die Münsterspitze! Natürlich! sagte ich den Leuten immer, die Gegenstände liegen bekanntlich da! Wir sind ja hoch genug, um sie sehen zu müssen! Ach, die Leute haben gewiß gedacht, ich sei recht dumm! Es ist auch 65 besser, ich wohne im dichten Walde und sähe Nichts mehr von den Menschen und auch von Ihnen Nichts, Sie böser Mann!
Ottomar streifte an den Gräsern die Samenbüschel ab und verbarg eine Thräne. Er hörte, daß Ada weinte. Er sollte den Muth haben, sie jetzt stürmisch zu umarmen, trotz aller Gefahr sie zu küssen.
Woran denken Sie jetzt? sagte endlich Ada. Gewiß nicht an die große Katastrophe, an die ich immer denke! Das ist doch der Mangel an Muth bei den Männern! Lebenskünstler findet man selten! Sich ein Geschick, das uns dargeboten wird, muthig aneignen, das Ungewöhnliche modeln, dem Urtheil der Welt trotzen, der Fraubaserei ein Schnippchen schlagen, die Mißgunst besiegen durch Consequenz im Beharren –! das ist so selten in dieser Welt der Correctheit! Tartüfferie überall – grüner Schlamm über einem Sumpf –
Ottomar mußte im Stillen denken: So spricht ja fast Edwina Marloff auch –! Aber wenn sich Edwinas Busen vor dem Feuer der Erregung hob und ihre Wangen glühten, so blieb der Hörer kalt. Bei Ada verließ ihn alle Indifferenz.
Die meisten Menschen, sagte er nach einer Pause – er hielt sich jetzt stehend, während die Gräfin ausgestreckt lag – reisen unter dem Eindruck eines 66 Motivs, sollte es auch nur das des Heraustretens aus ihrer Gewöhnlichkeit sein. Die Geldauslage muß jedenfalls durch Enthusiasmus wieder eingebracht werden.
Solche Motive muß man stündlich und für Alles haben! fiel Ada ein. Sonst ist das Leben in der Welt schaal und unersprießlich! Ich denke mir die Aufgabe göttlich, Frau eines Mannes mit 600 Thalern Gehalt zu sein!
Ada! flüsterte Ottomar. Sie hatte den Kreisrichter und die polnischen Wölfe auf der Zunge.
Wir sprechen nicht vom Hungern und Entbehren, sondern von Straßburg und Italien! betonte Ottomar dann scharf.
Ach was, Italien! sagte Ada. Italien ist mir gleichgültig geblieben. Ich habe mich mit den Wirthen gezankt, mich über die Prellerei geärgert, habe die faullenzenden Pfaffen verabscheut, habe die trägen, eitlen, putzsüchtigen, elenden Weiber verwünscht, die den ganzen Tag auf der Straße liegen, schwatzen und schwatzen und die Bigotterie durch ihr Knixen, Kirchenlaufen permanent – machen –
Aber die Kunstschätze? fiel Ottomar lautsprechend ein. Er wollte im Walde gehört sein.
Die Gräfin machte eine Miene des Verzweifelns. Sie wollte flüstern, berathen, versichern, versichert 67 bekommen, und Ottomar entzog sich Allem! Ich kannte ja schon Alles! antwortete sie endlich laut. Die Originale zu sehen, nun das thut allerdings wohl. Aber wissen Sie, uns Frauen muß dergleichen in irgend einem Lichte aufgehen. Die Sache an sich interessirt uns nicht. Selbst die Engländerinnen, die Alles anstarren und mit dem Buch in der Hand verschlingen, werden von einer nationalen Schwärmerei getragen! Sie sind eben verrückt und rennen Kunst ihrem verrückten Volke zu Liebe. Ihre ganze Nation ist auf Staunen, Bewundern, Anstarren dressirt. Der kalte Deutsche dagegen hat rein gar Nichts als Schulbücher. Wären Sie freilich mit mir in Italien gewesen, sprach sie dann leiser, so würde ich vielleicht für Alles geschwärmt haben!
Ottomar, tiefergriffen von dem Blick in die Frauennatur, sah nur immer nach dem Forste hin.
Lassen Sie es ihn Alles hören! sagte Ada. Er ist ja Ihr Freund und er liebt Ihre Schwester! Sehen Sie, lieber Freund, wenn wir Frauen unglücklich lieben, so hängen wir die Flügel und sind matt, aber die Männer schienen sonst davon einen Schwung zu bekommen, wenigstens glaube ich, daß mein Professor der Literaturgeschichte weit mehr Dichter aufzählte, die nicht erhört wurden, als die erhört! Ich will einmal in der Stadt den Herrn Dieterici und meinen alten Professor 68 zusammen zu Tisch einladen. Professor Matz hatte nur Goethe, Prosodie und die Sittlichkeit im Munde. Er war schauderhaft langweilig.
Nun mußte Ottomar lachen. Sein Dieterici und die verfängliche Taufe fielen ihm ein.
Die Beamten näherten sich. Der Hund sprang lustig an die Jagdtasche heran. Graf Udo beklagte, daß dieser Verzehrer seines Vorraths den Trüffelinhalt seiner mitgebrachten Wurst nicht hätte würdigen können. Ottomar hatte keinen Appetit.
Die Diana wollte von Ada, die aufstand, nicht los.
Selten, daß sich das weibliche Geschlecht so anzieht! bemerkte der Graf.
Ja, in der Regel sind wir uns einander spinnefeind! bestätigte Ada. Wenn ich von Mädchenfreundschaften höre, werde ich immer traurig. Ich denke dann an die plauderhaften lieben Briefe, die ich mit Entzücken als Backfisch bekommen, an die ersten, so unorthographischen, die ich in stiller Verschwiegenheit des Pensionats selbst geschrieben. Und die geringste Veränderung im Leben der Freundin oder wohl gar ein Vorwurf und nun erst eine kleine Eifersüchtelei auf eine andere Freundin, die man gefunden hat, stürzt die ganze Herrlichkeit in Trümmer!
69 Sind so nicht auch die erwachsenen Frauen? Opfern die sich nicht einander um eine Bemerkung über die Toilette? setzte Graf Udo flüchtig hinzu, wandte sich aber sogleich wieder zu seiner Verständigung mit dem Förster und Waldhüter. Dann erinnerte er an die dritte Stunde, die inzwischen angebrochen war. Der Weg war ziemlich weit, wenn auch bergab und – die Mittagstoilette war noch zu machen! Die alte Gräfin war darin eigen. Das Essen schmeckte ihr besser, wenn Alles wie zu einem feierlichen Opfer kam. Als man aufbrach, um zurückzukehren, stützte sich Ada beim Niedersteigen auf Ottomars Arm, drückte ihm aber nur die Hand und erlaubte sich Nichts als die einfache Kundgebung einer allgemein gehaltenen wohlwollenden Gesinnung. Reisen Sie mit Gott! sagte sie, fast im Triumph, daß Ottomar über so viele überraschende Bemerkungen, die sie gemacht hatte, zu grübeln schien. Ich folge bald nach! Wenn Sie mein ewiges Unglück wollen, flüsterte sie ihm noch im Walde zu, dann folgen Sie Ihrer kalten Vernunft! Der Graf schritt schneller.
Die entscheidet nicht bei mir! entgegnete doch Ottomar. Die Acten, fuhr er fort, liegen noch bei einer andern Instanz. Beim innern Gesetz! Im gewöhnlichen Sprachgebrauch Gewissen und Selbstbeherrschung genannt! Haben Sie da auch einen Vers darauf?
70 Ja, wallte Ada auf, mit diesen alten Citaten verderben wir uns das ganze Leben! Dies Dasein ist uns nur Einmal gegeben! Wer glaubt denn noch heute an’s Jenseits, wenn er nicht Schwärmer oder ein Pfaff ist?
Ottomar blieb stehen. Er war erstarrt, sah Ada groß an und sagte leise: Ada, wenn man liebt, muß man an ein Jenseits glauben! Der Bund der Herzen muß für die Ewigkeit sein!
Gott! Gott! rief Ada wie verzweifelt aus. Ich habe meinen Vater sterben sehen! Sterben an einer Wunde, die ihm Graf Wilhelm beigebracht hat! Ich sah offenbar, daß wir Menschen vollständig wie Maschinen sind, Präparate der Natur, die still stehen, wie eine nicht mehr aufgezogene Uhr. Sich zu denken, daß aus dem Hirn, das sich schon in den letzten Augenblicken gar nicht mehr in der Gewalt hat, ein Seraph aufsteigt, der Alles das, was wir in unserer besten Zeit gewesen, in eine andere Welt hinüberträgt, das ist ja gradezu kindisch geworden! Mit den Pfarrern habe ich nur Mitleid gehabt, wenn ich ihnen das nicht offen sagte. Die Armen sind einmal für den Wahnglauben angestellt und mit ihrer Existenz angewiesen, das fortzupflanzen, was sich nur bei den wilden Völkern findet.
So hat Sie die Opposition gegen Ihre Frau Mutter in Harnisch gebracht? antwortete Ottomar voll Erstaunen. 71 Ihre Mama erkennt allerdings sogar den Teufel an, wenn ihn ein Prediger statuirt und der Hof gerade zugegen ist! Uebrigens, setzte er hinzu, hätte der unheimliche Merkus soviel zarte Rücksicht, wie Sie da äußern, kaum verdient!
Ottomar gab sein eigenes Glaubensbekenntniß dahin ab, daß er sagte: Wer giebt unserer Zeit das Recht, über die Fragen der Jahrtausende so obenhin abzuschließen!
Die spätere Wanderung ging auf geebneteren Wegen mehr gemeinschaftlich. Das Gespräch wurde dann unbefangen.
Unten im Schlosse fanden Sie zum Erstaunen und Schmerz des Grafen die Vorbereitungen zur Abreise vollkommen im Gange. Martha hatte Helenen packen helfen. Die alte Gräfin behielt ja die erstere und wollte ohnehin bald folgen. Sie fühlte, wenn ihr Merkus mit gewissen Plaudereien über das junge Ehepaar und dergleichen kam, daß es kalt zu werden anfing in den großen Räumen. Martha redete ihr das Schonheizenlassen aus.
Am Abend, dem letzten, der noch in alter Traulichkeit in Hochlinden gefeiert werden sollte, war die Gräfin-Wittwe wie in einer verklärten Stimmung, Fürst Ziska hatte ihr geschrieben. Er hatte ihr seine neuesten Noten 72 geschickt und versprochen, sie nächstens noch in Hochlinden zu besuchen. Helene spielte versuchsweise die Einsendungen am Clavier und sie mußten ja entzückend schön sein, um nicht der Gräfin die Freude zu verderben.
Sehen Sie, sagte Ada leise zu Ottomar, wie die Lüge die Welt regiert! Die Musik ist schaudervoll und Alle loben sie!
Doch nicht in einem Feuilleton! meinte Ottomar.
Graf Udo horchte, da Ada über den Treffer, den sie bekommen, wieder ernst sah. Er selbst sprach den Abend kaum ein Wort.
Helene zwang sich, heiter und unbefangen zu erscheinen. Gräfin Constanze nannte sie ihr Schooßkind und wollte damit Ada strafen, die gegen sie kalt war. Ada erklärte mit Offenheit, an Verhätschelung nicht gewöhnt zu sein, welche Aeußerung Heiterkeit verbreitete, weil man ja die Generalin genugsam kannte. Diese hatte ein schlimmes Andenken hinterlassen. Alles verwünschte sie. Nicht Einem hatte sie eine Wohlthat, keinem Domestiken ein Trinkgeld gegeben. Und dabei hatte sie überall mit ihren Aeußerungen dominiren wollen und den guten La Rose hin- und hergejagt wie einen Troßknecht. Der Graf konnte gelegentlich mit Bitterkeit sagen: Sie stellt den verkörperten Kastengeist vor, den incarnirten weiblichen hierortigen Chauvinismus, der 73 unsere Nation von der übrigen Welt so geringschätzig behandeln läßt! Denn die Russinnen haben doch wenigstens in ihrem bekannten Uebermaß nationalen Selbstgefühls noch einen Firniß französischer Bildung, die Oesterreicherinnen sind italianisirt, aber bei diesem norddeutschen, hinterelbischen Volk herrscht nur die absolute Wachtparade, rohe Anmaßung und als Bildungsschliff ein Bischen Reminiscenz an dies oder jenes Fashionable, was sie einmal, weil es mit der Aristokratie zusammenhängt, in sich aufgenommen haben!
Gräfin Constanze gab es Ada, die ihr zu kühl von der Musik des Vetters gesprochen. Ada war heiter, trällerte, ging auf und ab. Es tobten in ihr nicht die Geister der Verzweiflung, sondern Stimmen, die von Hoffnung, Glück, Erfolg sprachen. Du scheinst ja die Abreise unserer Lieben wie ein Freudenfest zu feiern! sagte die ehemalige Prinzessin.
Mamachen! antwortete Ada, indem sie trällerte. Die Welt ist rund und muß sich drehen!
Am folgenden Morgen fuhren Helene und Ottomar schon so zeitig auf die sehr entlegene Eisenbahnstation, daß die alte Gräfin und Ada ihre Abfahrt nicht bemerkten. Graf Udo und Martha fehlten aber beim Abschied nicht. Die Anwesenheit Marthas hielt den Grafen im Schach, der sonst im Stande gewesen wäre, 74 vor den Scheidenden noch einmal die ganze Wärme seines Gefühls auszusprechen.
Mit tausend Grüßen für die Eltern, mit Blumenbouqueten von den Gärtnern, fuhren sie in die schon wieder frisch geackerten und theilweise noch gar nicht einmal ganz abgeernteten Felder hinaus.
75 Viertes Kapitel.#
Herbstlich wurde die Natur. Der Wind trieb Staub und welkes Laub durch die Straßen. Der große Park vor’m Thore hatte sich in all’ die braunen Schattirungen gehüllt, die das Absterben seiner grünen Pracht zu bezeichnen pflegen.
Die Serapionsbrüder saßen wieder vollzähliger beisammen. Den meisten Gemüthern thut der Herbst wohl. Die geistige Einkehr wird lebhafter. Man rückt näher zusammen, man erwärmt sich aneinander. Wenigstens war es ehedem so, sagte der alte Bildhauer, als diese Thatsache bei den Serapionsbrüdern erörtert, erweitert, vertheidigt, bestritten wurde.
Der emeritirte Schulrector hatte als Gast einen Landgeistlichen mitgebracht. Man hatte das Woher? und den Namen ganz überhört. Es war aber Merkus. Seine Richtung war eine vollständig andere, als die seines Einführers, Weigels. Beide waren Schulfreunde. Augenleiden hatten Weigel gezwungen, seinen Abschied 76 zu nehmen und wer kommt geistig weiter auseinander als Schulfreunde!
Ein Geistlicher hatte an dem grünen Tisch noch nie mitgetagt. Wie sollte das auch! Das Disciplinargesetz hängt wie ein Damoklesschwert über Schule und Kirche. Christenthumsdebatten kamen selten vor. Ascher Ascherson hatte sogar die Judendebatte schwierig gemacht. Er hatte gesagt: Es sei besser so; denn es würde den Juden viel zu viel geschmeichelt! Das ganze Christenthum sei eine einzige Schmeichelei für die Juden! An die neueste Thatsache, daß sich durch die Ausbreitung des Judenthums in allen Bereichen der Gesellschaft, Wissenschaft und Kunst, die mannigfachsten Ueberlieferungen unseres Volksbewußtseins ändern müßten, hatte Sanitätsrath Eltester einmal angestreift, wenn er sagte: Wir bekommen noch den Zusatzparagraphen zur Verfassung: Die Christen bilden eine in Europa und mehreren Theilen Amerikas geduldete Religionsgemeinschaft. Die Christen, als eine nur noch geduldete Secte betrachtet, gaben zu komischen und ernsten Bildern Veranlassung.
Merkus saß still und horchte nur immer. Die listigen Aeuglein des kleinen Mannes gingen hin und her. Wolny hatte an Ottomar eine Aeußerung geschrieben, die sich herumgesprochen hatte. Er hätte, im Ganzen genommen, in der Welt die Tendenz vorgefunden, 77 das germanische Leben zu umgehen. Unsere Siege hätten wohl Staunen erregt, aber Niemand hätte sie uns gegönnt. Niemand hätte seitdem von unserm Charakter, unserm intellectuellen Vermögen, von den volksthümlichen Grundlagen des Militarismus eine erhöhtere Meinung bekommen. Der Romanismus beherrsche denn doch noch immer die Welt! Selbst England und Amerika, die uns doch stammverwandt sind, nicht ausgenommen. Was der Deutsche erfände, ersänne, es müßte erst in’s Romanische übersetzt werden, um Weltgemeingut zu sein.
Woran liegt das? brauste man allgemein auf und erwartete gespannt die Meinung des Sprechers, der diese Aeußerung wieder angeregt hatte, des alten Bildhauers.
Es befanden sich zwar Elemente im Kreise der Gesellschaft, die grade dasjenige vertraten, was man als Ursache der Abneigung gegen Deutschland anzuführen hatte, aber dennoch entspann sich die Debatte.
Es ist rundweg herausgesagt unser begeisterter Monarchismus, ergriff auf’s Schleunigste Triesel das Wort, diese gemüthvolle Gemeinschaft, in der unser Volk mit seinen Fürsten lebt! Die kann das revolutionäre Europa nicht ertragen! Die Briten, die doch selbst eine wahre Abgötterei, wenigstens ehemals, mit ihrer Königin getrieben haben, sollten vollends schweigen! Die Nord-78amerikaner, die jedem von den Zeitungen gemachten Ruhm, jeder Wiederspiegelung einer Tagesbegebenheit wie verrücktgeworden nachlaufen, gar nicht zu nennen! Und die Franzosen, die zu einem großen, theils gebildeten, theils ungebildeten Bruchtheil den allerkrassesten Royalismus nicht los werden können! Unsere Könige sind Nichts als unsere Herzöge, Heerführer, Vertreter unserer Wehrkraft! Jetzt sind sie auch Vertreter unserer politischen Wiedergeburt! Die kleinen Fürsten sind ja schon längst nur noch als Privatleute zu betrachten und theilen ihre Regierungssorgen mit denen für die Regie eines Theaters.
Ja aber, liebster Herr, wallte der Baumeister Omma auf, nennen Sie mir eine Nation, die außer der russischen, soviel Consequenzen der Fürstenherrschaft durchzumachen hat, als die deutsche! Das ist ja grade das Abscheuliche! Die Annexe des Fürstenwesens! Ich will von der Erbärmlichkeit und den Ansprüchen der kleinen Hofgesellschaften gar nicht reden, aber die Privatgeschichte des Hauses Hohenzollern wurde zur Geschichte Deutschlands gemacht. Wissen Sie, daß dies furchtbare Opfer, das eine ganze Nation nun schon seit anderthalb Jahrhunderten dem Ehrgeize einer einzigen Dynastie bringen muß, lange, lange nicht genug von der letzteren gewürdigt wird?
Sie hat sich dem Geist der neuen Zeit gefügt! hieß es allgemein und Niemand wagte es, den stillen Wider-79spruch, den Mancher auch für diese Behauptung zu fühlen schien, ausführlicher durchzuführen.
Nur Althing sagte: Sei dem, wie ihm wolle, unsere Ordens- und Titelsucht hat sich vermehrt, statt vermindert. Nach dieser Richtung hin spricht Alles gegen die Russen und die Deutschen! Kein Mensch bei uns will ein simpler Herr Müller heißen!
Sie haben China und unsern Verein ausgenommen! schaltete eine Stimme ein.
Ja wohl, Herr Major –! Alle Wetter –! unterbrach sich Althing. Ueber den „Major“.
Man lachte. Merkus hörte nur immer zu. Er strebte auf den Oberconsistorialrath. Vorläufig genügte eine Versetzung in die Stadt. Das Uebrige fand sich. Ihm waren diese Debatten wunderlich.
Die Fremden, fuhr Omma in seinem breiten Dialect fort, sind gewohnt, Jedermann mit einem einfachen Herr oder Madame anzureden, während wir uns die Zungen zerkauen müssen, ehe wir die langen richtigen Titel mancher Menschen herausgebracht haben! Ja, die Sicherheit, womit sich sogar bei uns die Frauen Ew. Excellenz anreden lassen, geht geradezu in’s Aschgraue! Da schreiben sie von menschheitlicher Würde und von Frauenwerth, und solche weibliche Durchlauchts und Erlauchts – sie müssen doch gar nicht wissen, wohin 80 sie ihren dummen, oft so albernen Kopf verstecken sollen, wenn sie Einer so anredet!
Merkus hatte noch nach und nach sechs bis acht weibliche Excellenzen zu besuchen. Er reckte den Hals mit dem weißen warmen „gestärkten“ Battisttuche immer länger und länger. O man gewöhnt’s! rief der früh pensionirte Schulrector, sein Freund, der ihn schon – wegzuhaben schien. Aber besonders traurig fuhr er fort, ist das Eindringen der Titelsucht in die Wissenschaft! Manche Universitäten haben durch die Hofrätherei vollständig ihre Basis verloren! Das wissenschaftliche Leben will nur die Formen der Republik!
Man widersprach auch diesen Aeußerungen nicht und stellte nicht in Abrede, daß sie die Ursachen träfen, die unsere Erscheinung vor dem Auslande so auffallend abminderten. Der Gerichtsrath Eller war bei Alledem in den Humor gerathen, noch hinzuzufügen: Sie müssen noch weiter gehen und geradezu bekennen, daß es Deutschland an großen Männern fehlt! Wie sollen wir dem Ausland imponiren! Luther – das ist doch wahrhaftig lange her! Schiller und Goethe – nun sie werden genannt, aber wenig begriffen! Und was sonst? Wen gehen Scharnhorst, Stein, Schill etwas an?
Dagegen erhob sich dann freilich ein förmlicher Aufstand. Triesel war außer sich. Selbst Merkus hatte 81 den ganzen Frühmorgen mit Besuchen bei Excellenzen zugebracht, die sämmtlich eine Anwartschaft auf historische Größe zu beanspruchen schienen.
Der Gerichtsrath ließ sich nicht werfen, sondern fuhr fort: Wer sich bei uns hervorthut, hängt doch in irgend einer Weise nur mit der Administration, mit dem Staat, wie er ist, mit der Gesetzgebung zusammen! Erscheinungen wie Niebuhr, Bunsen, Liebig, imponiren dem Auslande; warum? Weil sie den Tonnenreifen des Titels, der ihnen angehängt gewesen, gesprengt haben und sie auch Privatmänner hätten sein können. Das ist’s eben! Bei uns strebt Alles zum Geheimrath! Zum Orden! Jeder will sich, aus Ehrgeiz oder der Existenz wegen, als Radwelle in der Maschine wissen! Die großen Männer sind aber Könige und Kaiser für sich und da hapert’s!
Verlangen Sie denn, entgegnete spitz der schlagfertige Triesel, daß Franz Bopp, der berühmte Sanskritgelehrte, sich über das Ministerium Manteuffel hätte aussprechen sollen?
Die sieben Göttinger Professoren thaten’s! rief Omma.
Sie widerlegen sich selbst, meinte der Sanitätsrath Eltester, der erst jetzt leise hereingetreten war und sich bald über den Gegenstand des Gesprächs unterrichtet 82 hatte; die sieben genannten Herren wurden ausdrücklich um ihre Meinung befragt! In der That, meine Herren, große Männer giebt’s nur in Entwickelungsperioden! Meist sind große Männer Märtyrer! Unser Volk hat kein Talent für die Anerkennung von Märtyrern. Das beweisen die schlechten Geschäfte der Deutschkatholiken und der Altkatholiken. Ohne die Fürsten wäre Luther vollständig geliefert gewesen. Der Zeitgeist hat sich zu helfen gewußt! Wie der liebe Gott am siebenten Tage sagte: Siehe, Alles ist gut! so haben ja auch wir jetzt die Herrschaft des absolut Vortrefflichen! Wozu der Streit! Wir besitzen den Fanatismus der Zustimmung! Wir haben Nichts als nur große Männer! Sogar im Reichstage!
Man ging zu vereinzelten Gesprächen über und kam sogar auf die Bühne.
Einer nach dem Andern erhob sich. Auch der Rector mit seinem Gaste, der sich nach allen Sprechern erkundigte und dann immer den Kopf schüttelte. Das Christenthum war hier gar nicht erwähnt worden. Mit der Aeußerung Weigels: Bester Freund, die Religion wird immer mehr Privatsache! trennten sich die alten Freunde.
Merkus hatte sich eine eigenthümliche Aufgabe gestellt, eine, die ein minder ruhiges und selbstzufriedenes 83 Gewissen mit der Zeit zur Verzweiflung gebracht haben würde. Er aber verfolgte ruhig seinen Zweck, der kein anderer war, als aus evangelischer Liebe die alte Gräfin allmälig mit der bevorstehenden Erschütterung ihrer Ruhe durch das junge Grafenpaar bekannt zu machen, ja sogar das sonderbare Gerücht von einer natürlichen Tochter ihres Gatten, das er schon längst in Erfahrung gebracht hatte, ihr um des Herrn willen nicht zu verschweigen. Denn der Herr züchtigt ja die, so er lieb hat! war sein Wahlspruch. Wenn Trübsal da ist, dann suchet man dich, o Gott! spricht der Prophet. Allen, die um die alte Dame herumwalteten, Gleichgestellten, Dienenden, selbst der Generalin von Forbeck hätte sich das Firmament in düstre Wolken verhüllt, die Gräber hätten sich ihnen geöffnet, die Erde wäre wankend geworden in ihren Grundvesten, wenn sie die furchtbare Verantwortlichkeit hätten auf sich nehmen und der Gräfin Constanze sagen wollen: Dein geliebter Udo soll sich scheiden lassen! Dein geliebter Wilhelm war Dir untreu und brachte einige Jahre lang jeden Abend in Gesellschaft seiner Tochter zu! Aber der geistliche Herr übernahm diese Pflicht und das so leicht, wie wenn er seinen Reisesack trug, den er aus Geiz regelmäßig selbst in ein kleines Hotel zu schleppen pflegte. Die Wahrheit wird Euch frei machen! spricht ja der Herr.
84 Selbst Fürst Ziska hätte nie gewagt, der Tante mitzutheilen, warum er eine gewisse Schönheit, die sich ja lange Zeit in gutem Rufe erhalten hatte, nicht geheirathet. Und sogar der rauhe Sonderling, der alte Geometer, hatte es seiner Pflegetochter von je als gemein, erbärmlich, an die elendesten Menschen erinnernd dargestellt, Leute, die es wohlmeinen, die sich von den Folgen ihrer Fehltritte abgekauft haben, stündlich wieder mit denselben Folgen oder Nebenumständen zu quälen und zu drangsaliren. Er hatte Edwina mit den äußersten Strafen bedroht, wenn sie sich unterstände, die Ruhe der alten Gräfin zu stören. Ginge es ihr schlecht, so sollte sie sich an ihn wenden! Er gab der „alten Müllern“ weit mehr, als diese brauchte.
Die Rache eines in der Schule des Glaubens an den persönlichen Gott und die vollkommne Gottheit Christi erzogenen Theologen ließ erst leise, dann allmälig deutlicher an’s Ohr der alten Gräfin die belauschten und erhorchten Thatbestände gelangen. Es ist ja nur der weltkluge Verfasser der Sprüche Salomonis, der da Capitel 25, Vers 9, sagt: „Offenbare nicht eines Andern Heimlichkeiten!“ Für Merkus reichte im Gegentheil der Richterstuhl Christi, vor welchem einst Alles offenbar werden sollte (zweite Corinther 5,10), schon jetzt mit seinen Füßen bis zur Erde und vorzugsweise in alle Pastorwohnungen hinab.
85 Der Ehrgeiz des kleinen Mannes mit dem ihm etwas komisch stehenden wohlgepflegten Backenbarte und dem kurzgeschorenen lockigen Haare hatte es mit dem größten Aerger ertragen, daß den ganzen Sommer über die Herrschaften auf Hochlinden ihm nur einen geringen Pflichttheil der Aufmerksamkeit zuwendeten, die ihm früher geschenkt wurde. Seit die Generalin da war, die sich in der Nähe des „Volks“ vor ansteckenden Krankheiten zu fürchten behauptete und deshalb nicht in seine Kirche kam, seit die junge Gräfin, Graf Udo und dann vollends die Bildhauerkinder und die neue Gesellschafterin Martha Ehlerdt um Gräfin Constanze „Durchlaucht“ sich auslebten, wie eben ihre Charaktere Ueberzeugungen, Neigungen mit sich brachten, kam es oft vor, daß sich nur die Bedienten in dem gräflichen Kirchenstuhl befanden, manchmal auch diese nicht einmal, die alte Gräfin jedenfalls immer seltener. Sonst ließen die Fenster der Kirche keinen Zugwind ein, jetzt sollte ewig Anlaß zu Gicht und Rheumatismus gewittert werden! Der Gottestempel sei zu kalt und Aehnliches hatte der in seinen vier Wänden ausnehmend heftige kleine Mann als die Ursache des Nichtbesuches der Kirche herausgehorcht und polterte Alles seiner Gattin wieder heraus, die ihm umsonst die schönsten Hemden gestärkt und gefältelt und mit Knöpfen besteckt hatte für die Einladungen, die nicht kommen wollten! 86 Der Oberförster war doch oft entboten, der Rentamtmann sogar jeden Sonntag. Aber entschuldigt den armen Mann Gottes! Es ist ja ein eignes Gefühl, das Ignorirt- und Zurückgesetztwerden von den Großen! Triesel würde gesagt haben: Es kann sich das wie in einen Wurm verwandeln, der sich um das Herz im Leibe schlingt! Diese Mäßigung, diese Objectivität der Anschauung besaß der unselige, auf die Seligkeit vorbereitende Geistliche nicht, sich zu sagen: Es ist ja Alles in Hochlinden jetzt junges Volk! Das fliegt aus! Das kutschirt und reitet hin und her! Selbst die alte Matrone rafft sich noch einmal aus ihrer Trauer auf und macht in Erinnerung an ihre junge Zeit mit, was sie kann! Nein, der Priester forschte nur, lauerte, nahm an Allem Anstoß, was nicht in seinem Sinne gesprochen, unternommen wurde. Früher hatte er die Gräfin immer auf gewisse Bücher dressirt, die in den theologischen Journalen seiner Richtung empfohlen zu werden pflegen. Sie kaufte sie für sich, damit er sie zu lesen bekam. Solche Erscheinungen kamen gar nicht mehr zur Sprache. Wenn Graf Udo seine Predigten besuchte, so geschah es, um mit ihm darüber gleich nach den Taufen und Trauungen auf offenem Kirchhof zu streiten. Merkus sagte ihm oft: Herr Graf, Sie sind kein Christ! und in des Grafen leichter harmloser Weise hatte dieser geantwortet: Ja, in 87 Ihrem Sinne bin ich’s allerdings nicht! Ich bin aber doch ein Christ! hatte er eines Tages hinzugesetzt und das aus Dankbarkeit für meine sittliche und intellectuelle Bildung! Die historischen Vorgänge jedoch, reservirte er sich wieder, die diesen glücklichen Gang der Civilisation von Asien aus westwärts möglich gemacht haben, diese fortwährend zum Gegenstand der Erbauung und Erörterung zu machen, das ist mir unmöglich, wie ich bekenne, die Lehre von der Gnadenwahl und der Rechtfertigung nicht zu verstehen oder selbstverständlich für leere Worte zu halten. Ada hatte sich schon in der Residenz gewöhnt, diesen Glauben zu haben, blos, weil die Mutter „in die Kirchen rannte“, ohne das geringste Religionsbedürfniß. Mama, du machst dich lächerlich, wenn du von Religion sprichst! hatte es bei den ewigen Meinungsverschiedenheiten auch in diesem Punkte geheißen. Wie würde das nun erst, als Elemente in die gräfliche Existenz eintraten, die sich auf entschieden moderner Grundlage ausgebildet hatten! Ottomar brachte schon früher seiner Schwester zum Lesen manches Buch, das ihr die Mutter befahl vor dem Vater zu verbergen. Der alte Althing wollte von Affenthum, Descendenz, Kraft und Stoff, künftiger ewiger Nacht und dergleichen Nichts wissen. Er hatte sogar den Grundsatz: Möglich, daß das Alles richtig und wahr ist, aber mir fehlt der Aufschwung, daran zu 88 glauben! Martha hatte bereits bei der Commerzienräthin Rabe den Verkehr derselben mit dem Pfarrer Siegfried als eine derartige Unwahrheit erkannt, daß sie selbst zwar alles Uebermaß neuerer Anschauungen, das sie in so gefahrvoller Weise an ihrem Bruder vertreten sah, vermied, sich aber doch auf einem freiern Standpunkt erhielt. Sie sagte gelegentlich: Ich glaube, daß wir Alle in furchtbaren Täuschungen über uns selbst leben! Aber ich mag nicht, daß man über die doch immer fragliche Art, diese Täuschungen aufzudecken und zu widerlegen, so entzückt, jubelt und frohlockt!
Seit Martha allein im Schlosse waltete, war Gräfin Constanze ganz in ihren Händen. Denn ihr Vorleben bei Wolnys Gattin hatte dies seltne Wesen zu einer wahren Virtuosin in der Behandlung älterer, kränkelnder, am Geist allmälig Einbuße erleidender Personen gemacht. Sie ließ heizen und pries dann wieder die wunderbar erquickende Luft, die hereinströmte, wenn Martha in andern Zimmern die Fenster öffnete. Den Roman Marthas mit Wolny wußte die Gräfin sozusagen auswendig. Das eingehaltene Trauerjahr ohne Erklärung erschien ihr als das Edelste, Schönste, was nur aus einem Mannesherzen kommen konnte. Auf einem Grabe sogleich wieder Hochzeit machen, den Vortheil ausbeuten, den uns der Abscheidende für unsern Lebensgenuß gewährt, 89 das ist ja unedel, sagte sie, zum mindesten taktlos! Ich sagte von je, fuhr sie fort und dachte dabei gewiß an die von den Höfen eingehaltenen Trauerzeiten, es giebt auch in den Empfindungen einen gewissen Styl und leider thut unsre Erziehung so wenig, uns über den richtigen Ausdruck unsrer Gefühle zu belehren!
Beim Styl konnte Martha an Tante Dora denken. Diese wohnte in Dresden und schrieb ihr zuweilen. Aber obgleich sie alle Dresdener Bibliotheken durchlas, so schrieb sie doch so trocken und styllos, daß man erstaunen mußte, wie sich soviel literarische Aufnahme nicht besser verwerthete.
Dem Pfarrer war Martha höflich, nicht grade zuvorkommend. Er wollte, das war sein Lebensziel, in die Residenz versetzt sein und dann weiter. Dazu mißbrauchte er den Einfluß der gebornen Fürstin nach allen Richtungen hin. Es waren Empfehlungen, die auf Unwahrheiten beruhten, die sich da die besten Menschen erlaubten. Martha haßte den geistlichen Streber, der die Evangeliengeschichte mit ihren Wundern für eine von Gott ausdrücklich vorgenommene Ausnahme von der allgemeinen Naturregel erklärte. Sie sah mit Angst, daß er schon von Gräfin Adas geringer Zuneigung zum Grafen Udo zu sprechen anfing. Lächelnd träufelte er Gift in’s Ohr der alten Gräfin, die mit einem 90 ängstlichen O nein –! O nein –! einfiel. Es giebt ja Seelen, die nur das ertragen können, woran sie sich einmal gewöhnt haben. Aber dann folgten von Merkus Versicherungen über Allerlei, was er gesehen und beobachtet hätte; immer dreister wurden seine Anschuldigungen. Ja, zum Entsetzen der Gräfin sagte er einmal offen heraus: O diese Procedur der Scheidung! Daß diese auch von den Aposteln zugelassen worden ist! Unbegreiflich! Es ist gradezu eine Entheiligung der Ehe! Das verdanken wir dem Apostel Paulus! Petrus war strenger! Der hätte sie, wenn gefragt, nicht zugelassen! Aber es müssen die Erleichterungen der Scheidung gehemmt werden! Die Scheidung darf nur auf flagrante Acte der Untreue erfolgen! Es muß die Loosung über die Zeit überhaupt kommen: Ob aus dem Geiste Gottes! oder: Ob aus dem der Natur und der Sünde! Ihr Lobpreisen der Natur – fuhr er zur Martha gewendet fort – ich bin überzeugt, daß Graf Udo der Ansicht ist, daß auch eine Bildhauertochter courfähig sein könne und Gräfin Ada den Adel im Officierstande aufgegangen erklärt – Herr Althing ist ja gewissermaßen Militär.
Das war der erste offen gezielte, scheinbar humoristische, aber mörderische Schlag. Gräfin Constanze lächelte nur. Aber voll Unruhe erhob sie sich. Sie liebte diesen sanften, leutseligen, heiteren Grafen Udo von Herzen! Er 91 behandelte sie mit so viel Takt und Zartgefühl! Sie klingelte nach Martha, äußerte das Bedürfniß eines gemüthlichen Spazierganges. Ach, die Natur war herbstlich! Die Blätter welk! Wo sonst Rosen blühten, standen jetzt nur die leeren Stiele! Die Weinernte war mißrathen, das Klima war denn doch zu rauh; nur der Wald und die Wiesen standen noch in voller Herrlichkeit und der blaue Himmel lag wie eine schützende Decke darüber! Dies Wandern war ihr zu weit. Sie kehrte in’s Schloß zurück. Der zweite Schlag kam. Es sollte zum ersten Mal das Treuenfels’sche Palais in der Residenz gemeinschaftlich bezogen werden. Die Besorgniß, daß bei dieser Einrichtung, bei der Ameublirung und Vertheilung der Zimmer mit der Generalin ein Conflict entstehen könnte, bestimmte die Gräfin, noch einige Zeit zurückzubleiben. Der Pfarrer hatte in der Residenz zu thun. Lange Zettel voller Bedürfnisse gab ihm seine Gemahlin mit. Sonst half ihm dergleichen in der Residenz zu besorgen die Dienerschaft der alten Gräfin oder die des gegen ihn zwar immer in neckender Weise ungläubigen, aber weltmännisch freundlichen alten Grafen Wilhelm. Jetzt wagte er dem capriciösen jungen Ehepaar mit diesen Aufträgen nicht zu kommen. Mit dem Franzosen La Rose konnte er sich nicht verständigen. Als er dann in der Hoffnung auf eine Einladung zum 92 Diner in die vornehme Grafen- und Fürstenstraße lenkte und in weißer Halsbinde Aufwartung machte, schob ihn die massive Generalin nach kurzer Begrüßung bei Seite und sagte: Bester Herr Pfarrer! Wir sind hier jetzt im Ziehen und Einrichten begriffen, und mir wenigstens steht der Kopf, ich weiß nicht wo!
Da schon hätte Merkus in Wuth ausbrechen mögen: Ja, der Krach, Ihr saubrer Sohn steht Ihnen zu Kopf!
Er machte aber eine höfliche Verbeugung und ging mit gesteigertem Groll an die eigne Ausführung der Aufträge, die ihm unsägliche Mühe verursachte.
Gerüchte gleichen nicht den Lerchen, die in fast unabsehbarer Höhe über uns schwirren und trillern, sondern den Schwalben, die niederwärts schießen und bald hierhin, bald dorthin ihre schwanken Flügel breiten.
Den Prinzen Narziß hatte Merkus auch besuchen wollen, aber er fand nur dessen Geschäftsführer Herrn Holl, dessen ganzen Lebenslauf er von den Gesprächen aus Hochlinden her kannte. Er traf den anziehenden stattlichen Mann so, wie ihn die Gesellschaft geschildert hatte, breitschulterig, mit schönem männlichen Haupte, heller, klarer Stirn, lockigem, kurzgeschnittenem Haar, und einem Benehmen voll Artigkeit, ja sogar Freude und besonderer Genugthuung, weil Wolny zurückgekehrt war, zwar noch nicht in der Stadt, aber auf deutschem Boden. 93 Er versicherte, beim Bildhauer Althing gehört zu haben, daß nun auch Martha Ehlerdt keine Ruhe mehr in Hochlinden habe, sondern die Gräfin bitten würde, entweder selbst aufzubrechen und in die Residenz zurückzuziehen, oder sie aus einem ohne Verpflichtung eingegangenen Verhältniß zu entlassen. Denn sein Freund Wolny liebe Martha und würde diese gewiß ehelichen.
Dem hoch aufhorchenden Pfarrer, der die Verhältnisse kannte, war da Stoff zur Mittheilung in Hochlinden die Fülle gegeben. Da werde ich meine Feindin los! combinirte er mit Staunen und gab zugleich eine Probe seiner lauernd forschenden Schlußfolgerungen, wenn er dachte: Dieser interessante Mann scheint häufig bei den Althings zu sein! Ueber den Steckbrief von vor 25 oder wieviel Jahren, über den Streich, den man dem hinkenden Secretär des Fürsten gespielt, ob seine Forschungen zu einem Ergebniß geführt hätten oder nicht – er kannte das Alles – wagte er ihn nicht auszufragen.
Das Pikanteste, das dem Pfarrer bei Besuchen in Wirthschaften (er mußte doch diniren) und vom Rector Weigel und dessen Enthüllungen über die Serapionsbrüder zuflog, war das Vorhandensein einer ihm gradezu als Demi-Monde-Person bezeichneten natürlichen Tochter des verstorbenen Grafen Wilhelm. Dieselbe hätte, hieß 94 es, eine Ausbezahlung von 30,000 Thalern bekommen, wofür sie auf alle weiteren Beziehungen zur Familie des Grafen hätte verzichten müssen. Schrecklich wurde der Verkehr des Grafen mit seiner Tochter entstellt! Furchtbar fletschte hier das Unthier, die Verleumdung, ihre Tigerzähne. Milderes erfuhr der erstaunte Pfarrer erst von dem kränkelnden, ganz eingeschrumpften Luzius, den er seiner Beziehungen zum Grafen wegen als untrügliche Quelle kannte. Den sonst so rührigen Anwalt fand er wortkarger als sonst, ungeneigter über Dinge zu sprechen, die Andre Nichts angingen. Ueber den neuen Papst Alexander den Sechsten und eine zweite Lucrezia Borgia stutzte der verdrießliche Anwalt Anfangs selbst, wallte dann aber in hellen lichten Zorn auf und verwünschte diese ganze „erbärmliche Welt“, nannte das Menschengeschlecht eine „Horde von Affen“, den Lauf der Dinge ein Gespött des Teufels! Dem Pfarrer wurde angst und bange bei solchem Pessimismus. Er sah, ein Pfarramt in dieser Stadt war eine herbe Prüfung, eine Mission wie unter den Wilden. Kirchenunglaube, Leichenverbrennung, Alles hing hier zusammen. Es wurde ihm unheimlich in dem Arbeitszimmer des berühmten Anwaltes, wo ihn sonst immer so viel Freundlichkeit begrüßt hatte. Leider war er den Damen des Hauses nie vorgestellt worden. Was konnten 95 Saschas und Zerlinens gesellschaftliche Combinationen mit einem Pfarrer anstellen! Sonst hätte er vielleicht Ersatz für die brüske Aufnahme beim Vater und auch Aufschlüsse über Fräulein Marloff bekommen.
Doch hatte er genug vernommen, um in Hochlinden auch diese Mine springen zu lassen. Noch hielt er sein Material zurück, weil, als er endlich zurückgereist war, Fräulein Ehlerdt wirklich schon Abschied genommen hatte. Wolny war zurück! Da mußte sie wenigstens an die Brust Helenens, in die Umarmung der Mutter Helenens! Nun fehlte doch der Stachel, der den Mann Gottes reizte, als er seine Aufwartung machte und von den Eindrücken und Neuigkeiten der Residenz erzählte. Ganz harmlos berichtete die Gräfin, daß sie schon von Martha Briefe hätte, auch von Helenen, auch von ihrem Bruder Ottomar. Freudige Anlässe wären Ursache ihres plötzlichen Aufbruchs! Ja, schloß die Gräfin, diese Menschen sind mir Alle unendlich theuer und werth geworden! So lange Martha unvermählt bleibt, soll sie auch mein dauernder Umgang sein! Jetzt bin ich hier allein! schloß die würdige Frau. Aber so schön auch noch der Herbst ist und so sehr ich mich noch auf unsre sauere Traubenlese gefreut hatte, ich will doch bald den Andern folgen! Es ist mir wohl in diesem jugendlichen Kreise! Sind auch manche Ansichten zu gewagt, manche Behauptungen 96 zu keck, so athmet doch Alles Frische, Leben, Frohsinn! Und haben die Leute Kummer, so unterdrücken sie ihn weit mehr, als früher dergleichen Sitte gewesen –! Das ist ein Fortschritt unserer Zeit! Vielleicht, sagte die Gräfin gutmüthig neckend, Etwas von der neuen Religion, lieber Herr Pfarrer! Aber sie lobte ihn dabei für den Vollzug einiger empfangenen Aufträge so, daß er nicht schmollen konnte. Wenn sie aus der Gefühls- in die Gedankenwelt gerieth, stockte ihre Mittheilungslust ohnehin.
Die Bosheit siegte aber. Der gemeine plebejische, von Humanitätssinn nie wahrhaft angewehte Theologengeist war in Weilheim vollends verbauert. Mit schmunzelndem Lächeln und sich der stetig von ihm innegehaltenen, von der Gräfin oft abgelehnten Anrede bedienend, sagte der von Neid und Mißgunst regierte Diener am Wort, der nun in der Stadt wieder die Martha-Herrschaft eintreten sah: Nein, woher kommt das, Durchlaucht? Ich sage, von dem allgemein herrschenden Uebermuth! Das Prahlen, Prunken, Parademachen, Fahnenaushängen, Flaggen ist im Geistigen, ich sage im Reiche Satans, eben so gestiegen und eben so im Schwunge, wie im politischen! Alles glaubt jetzt am besten zu thun, immer in das allgemeine Halloh, in die wilde Jagd miteinzustimmen und die Pflege seines geistigen und moralischen Menschen zu vernachlässigen! Darum erzieht auch 97 Unglück gar nicht mehr! fuhr er fort. Der Leichtsinn und der Dünkel lügen sich jede Niederlage weg!
Er erzählte von den schroffen Aeußerungen, die er bei den Serapionsbrüdern gehört hatte.
Die Gräfin hatte diesen Sommer über gelernt, den Auseinandersetzungen des bibelgläubigen Mannes auszuweichen, so oft diese das Reich des Satans berührten. Sie fragte nur noch, nachdem sie für die Mittheilung über die Serapionsbrüder gedankt, ob er das Grabdenkmal ihres Mannes im Althing’schen Atelier gesehen hätte. Es solle nun bald fertig sein.
Darüber kam Merkus in Verlegenheit. Er hatte an Alles, nur nicht an Friedhofvorstellungen gedacht.
Schon als Kunstwerk hätte Sie doch das Monument interessiren dürfen! sagte die Gräfin etwas verstimmt. Der treffliche Althing leistete Herrliches! Ich habe die Treue, die Liebe, die Beständigkeit als drei vereinte Figuren bei ihm bestellt, die nur der Tod trennt – der Künstler verstand sich natürlich nicht zur Abbildung des Knochengerippes –
Er idealisirte! sagte Merkus als Aesthetiker, wiederholte aber ironisch: Hm! die Treue, die Liebe – Wie sagten Durchlaucht?
Die Beständigkeit – ergänzte die Gräfin.
Die Treue natürlich mit dem Anker? meinte Merkus lachend.
98 Sie lachen? fragte die Gräfin, erschreckt durch die grobe Unziemlichkeit.
Habe ich gelacht? sagte er. Der Gegenstand ist ja so heilig, aber – das Symbol bekanntlich etwas abgenutzt!
Kritisiren Sie doch nicht ewig! meinte nun die Gräfin. Wenn man sie reizte, konnte sie recht ernstlich aufwallen, ja heftig und zornig werden.
Mit einer geschickten Seitenwendung suchte Merkus diesmal noch von seiner plump eingeleiteten Denunciation, einer Rache auch an der Gräfin selbst, abzukommen. Er klagte nur, daß sich auch Graf Wilhelm nicht an’s Evangelium gehalten, aus diesem nur seine geistige Nahrung gezogen hätte und daß er jetzt wohl im Reiche der Wahrheit erkennen würde, wer zur Rechten Gottes säße und die Böcke von den Schafen sonderte?
Die Gräfin war sehr verstimmt über den Nichtbesuch des Monuments und das Belachen ihrer ganz aus dem Herzen gekommenen Ideen. Sie trug dies Merkus nach und ließ ihn einige Tage ganz links liegen, grüßte ihn sogar nur oberflächlich, wenn sie ihn sah. Sie konnte sogar den Gedanken hegen: Wenn ich ihm nur gesagt hätte, wäre Martha zugegen, die würde Ihnen erwidern: Was Sie da vorbringen, sind ja Alles nur abgenutzte Redensarten aus der alten hebräischen Poesie! Dabei grübelte sie 99 über das Belachen des Ankers. Sie hatte doch etwas von einem so bedeutenden Legate, wie 30,000 Thaler immerhin sind, manchmal munkeln hören. Sie hatte ein gewisses Geheimthun in der Rentenkammer beobachtet! Es wollte ihr nicht aus dem Kopfe, dies hämische Lachen des Pfarrers über die Beständigkeit. Sie suchte sich zu zerstreuen. Sie durchwandelte den Garten, schnitt selbst die Trauben ab, die man schnell retten mußte, ehe sie noch obenein die Spatzen verzehrten. Abends nahm sie alte Briefe vor. Der Kampf mit ihrer Familie stand ihr in grellen Zügen vor Augen. Sie vermied den Pastor, da sie der Mann so aufgeregt hatte. Sah sie ihn irgendwo in der Gegend kommen, so machte sie, wenn sie konnte, einen Umweg. Sie lud ihn nicht ein. Er haßte meinen Wilhelm immer! sagte sie sich. Das weiß ich ja! Sie erinnerte sich eines Streites bei Tisch, wo ihr geliebter Seliger zu Merkus gesagt hatte: Aber was wollen Sie denn mit diesen furchtbaren Strafen und Mahnreden des Apostels Paulus an die einzelnen Gemeinden! Wie erlauben denn diese noch eine Anwendung auf unsere jetzige Zeit! Bedenken Sie doch nur, daß jene Gemeinden sich aus ganz andern Lebensanschauungen entwickelten, aus dem grauenhaften Cultus der Diana zu Ephesus, aus den scheußlichen Opferdiensten, aus den Gräueln der Mysterien und einer antiken Lebensanschauung überhaupt, 100 die ich hier gar nicht zu schildern vermag! Das liegt ja Alles längst hinter uns und Ihr citirt das immer noch!
Merkus wählte die Form der christlichen Barmherzigkeit für sein Vorhaben, das ihm nicht im Mindesten aus dem Reiche Satans zu kommen schien. Was ihm sein Gewissen als Rache hätte benennen sollen, nannte er Züchtigung im Herrn, verdiente Strafe, auferlegte Buße. Eines Morgens ließ er sich bei der Gräfin melden. Die Herbstsonne schien freundlich. Im Kamin brannte ein kleines Feuer. Die Matrone nahm ihn an.
Was haben Sie, lieber Herr Pfarrer! rief sie ihm wohlwollend entgegen.
Es handelt sich um Ihr Portemonnaie, Durchlaucht! scherzte er und verbeugte sich tief.
Es handelte sich um eine Reihe ständiger Wohlthaten und die Ortsarmen wurden durchgenommen. Es war selbstverständlich, daß dabei die Chronik des Tages, die Chronik der Personen mitunterlief.
Und da ist immer noch in Weilheim die alte Person, sagte plötzlich der Grausamste der Grausamen, die doch damals das Kind an die Brust nahm, als die Marloff starb! Sie ist zwar lebenslänglich eingekauft mit einer Rente auf dem Weilheimer Amt – ihr Mann war doch Forstwart in Pfahleck –! Aber jetzt – das Kind ist 101 groß und stark, hat 30,000 Thaler Abfindung bekommen, lebt in Ueppigkeit und Freude –
Die Gräfin hörte nur immer. An dem Namen Marloff blieb sie hängen. Sie dachte sich zwanzig Jahre zurück.
Wer lebt herrlich und in Freuden? fragte die wie von einem elektrischen Schlage Getroffene mit bleichen bebenden Lippen.
Wie verschämt und sichtlich in Verlegenheit gesetzt blickte Merkus zu Boden und entgegnete: Nun, ich spreche ja nur von der Dubber-Tine, sie kann ja auch so zufrieden sein! Für eine Forstwartwittwe war sie abgefunden genug! Das Berücksichtigen ihres Witthums war nämlich nur zum Schein – setzte der auf Vernichtung seines Opfers Bohrende hinzu; wenn auch, verbesserte er sich, Graf Wilhelm ohnehin für seine Leute gesorgt haben würde.
Die Dubber-Tine bekommt ja genug! unterbrach die Gräfin. Aber Sie sprachen von einem Kinde! Welches Kind? Das jetzt groß und erwachsen ist?
Dem die edle Fürsorge des Vaters, sagte der Pfarrer, 30,000 Thaler – wahrhaftig – und sogar bei einiger Erziehung, die er ihr gegeben – aber freilich ohne den Grund, der da heißet Christus Jesus! Sie soll vollständig verwildert sein, die Tochter des Grafen! Sie wird den Bruder des Fräulein Martha heirathen!
102 Das Alles kam stückweise heraus und die gemarterte, wie mit einem Hammer vor den Kopf geschlagene Frau hörte da von hinter ihr Lebendem und Sichereignendem, und fing an, allmälig Alles aus eignen, ihr ehemals harmlos gebliebenen Erinnerungen, die wieder in ihr aufstiegen, zu ergänzen. Merkus erzählte von dem eigenthümlichen Verkehr des Vaters und der Tochter, von den Casino-Abenden. Die Vermählung mit dem Bruder Marthas, den diese doch oft verwünscht hatte, ließ die Gräfin trotz ihrer Jahre aufspringen von dem Sessel wie ein Reh. Sie hörte nicht mehr, was Merkus sprach. Mir ist nicht wohl! deutete sie auf ihr greises Haupt und winkte dem Pfarrer, er sollte gehen. Ihr graute vor der Nacht, in der man sie so hatte hingehen lassen.
Der Mann Gottes empfahl sich.
Als die Gräfin allein war, hätte sie vor Schmerz den grauen Rest ihrer Haare, ja die Tapeten von den Wänden reißen mögen. Denn die verletzte Frauenwürde, das getäuschte Vertrauen, die Jahre lang mit den Casino-Abenden durchgeführte Täuschung – von einem Manne, dem sie ihre Familie geopfert hatte, sah sie ohne alles Billigkeits- oder Gerechtigkeitsgefühl vor sich. Aus einem Zimmer lief sie in’s andre, warf sich von einem Sopha auf’s andre. Sie suchte Luft, beunruhigte ihre Kammermädchen, die sie rief und wieder von sich wies, weil sie 103 von keinem körperlichen Unwohlbefinden etwas wissen wollte. Sie wankte in die ehemaligen Zimmer ihres Wilhelm. Sie sah sich des Grafen Bilder an, die Graf Udo, der jüngst hier gewohnt hatte, alle im alten Stande gelassen hatte. Erst wollte sie die stummen Zeugen ihres alten Vertrauens zertrümmern, Alles umstürzen. Sie fürchtete das Aufsehen, die Beobachtung; zuletzt half ihr, da sie’s zu frösteln anfing und der Herbst da war, zwar mit schöner erwärmender Mittagssonne, aber auch mit voller Morgen- und Abendkühle, das sanfte, weiche Bett, wo sich die alte Dame unter Kissen verbarg und ihre Erbitterung, zuletzt ihr Weinen still für sich ausströmen ließ.
Die Bibel und Thomas a Kempis lagen immer auf ihrem Nachttisch. Aber der Ausdruck der Entrüstung hielt an. Sie sah Alles vor sich, erkannte die schöne, junge Frau, die Feldmesserin Marloff, die tägliche Besucherin des Schlosses und Parks; sie hatte den plötzlichen Tod der Kindbetterin damals so theilnahmsvoll miterlebt, Blumen auf ihren Sarg streuen lassen, dem Kinde alle Sorgfalt gewidmet, bis der Feldmesser in andere Gegenden zog und sie selbst in die Stadt. Und dies Kind – es war von Ihm – und es lebt! Es erhielt die große Summe und lebt an einem schwindelnden Abgrunde! O Gott – o Gott! sprach sie. Udo, Ada 104 wissen schon Alles! Das ist gewiß die Schuld, die sie trennt! Ihre Ehre ist verletzt! Ja gewiß, gewiß, auch die meinige!
Wie dankte die in ihrem Denken ganz verirrte Matrone dem Zufall, daß sie jetzt allein auf Hochlinden war, Niemand die tiefe Demüthigung sah, die sie empfinden zu müssen glaubte, die wechselnden Ausbrüche ihrer Stimmungen, die Langsamkeit ihrer allmäligen Sammlung. Denn Sammeln mußte sie sich doch! Eine gewisse Haltung vor der Außenwelt bewahren! Das stand bei ihr fest: Keine Unterhandlung mit dem Thatbestande! Ihr Stolz sagte ihr: Du zeigst Dich von Nichts berührt! Du verstehst Nichts, wenn man in Andeutungen davon spricht! Vergeben kannst Du dem argen Manne nicht! Ich habe um ihn wie eine Löwin gekämpft! Und er betrog mich um die stillen Abende, die ich ihm im Kreise der Geselligkeit gönnte! Ein Fieberfrost durchschüttelte sie, gedachte sie ihrer jahrelangen abendlichen Einsamkeit. Ich war ihm langweilig! Das sagte sie und nicht etwa um deshalb beschämt.
Um Mitternacht schlug sie die Bibel auf. Zufällig den Corintherbrief. Sie kannte die Stelle, die sie suchte: „Die Liebe begehrt nicht das Ihrige!“ Ja, sagte sie seufzend, wer es so weit gebracht hätte! Dann fuhr sie zu lesen fort: „Sie läßt sich nicht erbittern!“ „Sie 105 rechnet das Böse nicht an!“ „Sie trägt Alles, sie glaubt Alles, sie hofft Alles, sie duldet Alles!“
Es waren gewaltige Mahnungen, die in diesen Worten lagen! Die Liebe, nicht der Verstand glaubt Alles, duldet Alles – nur die Liebe! Da sah sie im Geist ihren Wilhelm vor ihr sitzen, in seinem Arbeitszimmer, traulich und zuvorkommend mit ihr plaudernd. „Die Liebe rechnet das Böse nicht an –!“
In dieser, in ihrer Widerstandskraft schon gebrochenen Stimmung ließ sie nach einigen Tagen den Pfarrer kommen und sagte zu ihm: Lieber Herr Merkus, ich mache Sie allein zum Vertrauten in dieser traurigen Angelegenheit! Nach den Versicherungen des Justizraths Luzius muß doch noch ein guter Fond in dem Mädchen sein. Mein Gewissen ist beunruhigt. Reisen Sie in die Hauptstadt! Suchen Sie sich hier, wenn auch nur für einige Tage, frei zu machen! Ich vergüte Ihnen Alles. Verschaffen Sie sich die Einsicht, was eigentlich an dem Mädchen ist! Nie will ich etwas von ihr unmittelbar wissen! Aber diese Verbindung mit dem Bruder Marthas hat für mich etwas Erschreckendes! Ich kann Martha nun nicht wieder in mein Haus aufnehmen, wie ich Anfangs beabsichtigte. Verrathen Sie aber um’s Himmelswillen keinem Menschen, daß ich irgendwie an dem Verhältniß Interesse nehme!
106 Das war Wasser auf Merkus’ Mühle! Schon die Reise an sich! Er hoffte in die Stadt zu kommen, wußte aber, daß man bei solchen Plänen immer und immer zu bohren hatte, ganze Listen von Namen zu besuchen. Die Trennung von Martha gab die Gräfin in der Stadt wieder in seine alleinige Gewalt. Der Damen-Verein! Welche Aussichten!
Die Matrone ging an ihren Schreibtisch und holte die Reiseentschädigung für den demüthig und gerührt blickenden protestantischen Jesuiten, der die Genugthuung hatte, über die Wege des Fleisches, über die Folgen des neuen Irrgeistes zu sprechen, ohne unterbrochen zu werden. Es war nun Alles wahr, was er gepredigt hatte. Wir Menschen sind wie der gerupfte Hahn, den Diogenes dem Plato in sein Auditorium warf! dachte er frivol beim Nachhausegehen. Das Ich und seine Poesie hören auf –! Uebrig soll nur der Irrthum und die Sünde bleiben!
Für einen Geistlichen war die Aufgabe, sich Edwina zu nähern, etwas delicat. Man konnte höhern Orts seine Recherche mißverstehen. Eine Kirche, die er in der Stadt just vor sich liegen sah – er hatte die Adresse Edwinens (die Regierung hatte das Patronat auf jene Kirche) konnte auf dem Spiele stehen. Sich Jemand entdecken hieß sich selbst denunciren. Jener Schulrector hatte bei den wiederholt besuchten Serapionsbrüdern 107 Nichts von seinem Vorhaben erfahren. Die Wohnung hatte er gefunden. Aber am Tage Besuch machen, in den schwarzen Kleidern, die er doch ständig tragen mußte, und wo ihm überall Bekannte begegnen konnten – er hatte die Schwierigkeit seiner Lage vorher kaum so übersehen. Ein schüchternes zu einem Polizeidiener gesprochenes: Hat die Dame, die da oben im ersten Stock wohnt, einen guten Ruf –? hatte ein barsches: Was geht das mich und Sie an! zur Folge. Der Mann der heiligen Hermandad war an dieser Straßenecke nur für das richtige Ausweichen der Wagen und die Nichtbenutzung des berühmten Gang-Trottoirs für Handfuhrwerk postirt.
Merkus verschob seinen Besuch, bei welchem er als Motiv das Interesse einer hohen Persönlichkeit vorschützen wollte, die er nicht näher bezeichnen könnte, auf den Abend. Um sieben Uhr wurde es dunkler; um acht noch dunkler. Er ging sichrer um acht. Ein Miethwagen verbarg seine Schritte. Schon das Aussteigen war ja gefährlich in einer so angeberischen Stadt. Um den Aufenthalt zu vermeiden, hatte er den Kutscher vorherbezahlt. Traf er die Dame nicht, so hatte sich doch schon für morgen sein Wiederkommen bequemer eingeleitet.
Wie erstaunte er, als er an dem Hause anfahrend vor Fuhrwerken kaum durchkommen konnte! Die elegantesten Equipagen standen vor dem Hause!
108 Ein Herr, eine Dame in Ballcostüm nach der andern sprangen aus den Kutschen! Ja, gütiger Himmel, hier findet ein Ball statt! dachte er. Aber doch nicht gar bei meiner Bezeichneten? Als er dann rasch ausstieg, rasch in den Hausflur hüpfte, hörte er die Adresse, die er angab, als die richtige bezeichnet. Das Fräulein oben, hieß es, hält heute seine Verlobung.
Merkus! Merkus! Daß Dich nun nicht der Satan ergreift! Er ist zwar nur mächtig in den Schwachen, aber er könnte Dir’s doch anthun und Dich mit in seinem Kreise drehen! Schon auf der Treppe wimmelte das von reizenden Frauengestalten, Schauspielerinnen, Engländerinnen, was findet sich nicht Alles so kunterbunt in den Hôtels zusammen! Die Ugarti verstand es, „Cavaliere“ und elegante Damen aufzutreiben. Gnädige Frau! vorn und Gnädige Frau! hinten. Und dann hatte Raimund den ganzen Troß, Verwaltungsrath, Actionäre, Kunden, wenn nicht Alles entboten! Je höher die Treppe zum ersten Stock lag, desto mehr Glanz! Desto mehr schon Galopp! Offenbach! Pfarrerchen, was suchst Du hier? rief schon ein keckes Damenstimmchen. Sascha Luzius, die mit Mutter und Schwester auch zum Balle geschlüpft war, ob zehnmal ihr Papa das Bett hütete, diese war die Vorwitzige nicht. Um vier Uhr hatte man zu diniren angefangen und nun tanzte man 109 schon seit einer Stunde. Und wie rasend. Grade eine Galoppade war in der Action begriffen. Die abscheuliche deutsche Tanzmethode, Schulter an Schulter, Brust an Brust. Die Geigen, Bässe, Clarinetten machten mit dem Jubel der Gesellschaft, dem Geklapper des abgetragenen Diners, dem Knallen der Champagnerkorke, dem Rennen und Schreien der Lohnbedienten einen so betäubenden Lärm, daß Merkus fast die Besinnung verlor. Er war viel nervenschwacher, als er geglaubt hatte.
Sascha hatte ihn von seinem Besuch beim Vater und Einsteigen in eine Droschke erkannt. Saßen doch die Mädchen ewig am Fenster und recensirten die stillen Vorgänge der Bäckerstraße. Merkus war im Frack, im Wagen gekommen; da hielt man ihn Anfangs für einen der geladenen Gäste und wollte ihm seine Ueberkleider, seinen Hut und Stock abnehmen. Der Mann, der dies Geschäft mit einer gewissen Höhlung der linken Hand, die Vorausbezahlung, Vermeidung des Gedränges beim Abschied bedeuten sollte, besorgte, hielt sich kaum noch aufrecht vor genossenem Geistigen. Verrathen wir einfach seinen Namen, Mahlo. Josefa Ziporovius hatte erst für ihren wirklich reellen Anbeter Plümicke diesen einträglichen Posten bestimmt gehabt. Aber Plümicke siechte seit einiger Zeit sehr dahin. Der Arme schien plötzlich ein Opfer theils seiner „zurückgetretenen“, bei Leibe nicht etwa mit dem 110 Messer hantierenden Eifersucht, theils der Entziehung seiner gewohnten animalischen Kost werden zu wollen. Ich kann ja kaum noch den Schlägel im Atelier führen, und die Gruppe für Graf Wilhelm muß nun hinaus! sagte er wehklagend. Josefa traute freilich Mahlo für das Revidiren der Taschen nicht recht. Geschäftsleute sind vergeßlich, sagte sie; ein „Portefeuille mit einem Päckchen Hunderttausend-Markscheinen“ gleitet leicht in die Ueberziehertasche statt in den Gehrock! Doch schon „als Abträger der Speisereste“ hatte sich Mahlo „bei diesen schlechten Zeiten“ gemeldet und durchzusetzen gewußt. Um wie viel mehr behauptete er sich für den einträglichen Garderobierposten. Er hatte sich einen halben Jahrgang des Socialnivellirers zu diesem Ende in seinem Ueberzieher mitgebracht, nicht etwa zur Lectüre, sondern als geeigneten Kellerraum für das, was „zu retten“ war, obgleich die Frau Baronin Ugarti streng aufpaßte. An dieser Frau war Eines echt, die Nägel, mit denen sie empfindlich kratzen konnte trotz aller südlichen Gemüthlichkeit. Er hatte das bei gelegentlichen Besuchen der Josefa schon in Erfahrung gebracht.
Der Pfarrer wußte nicht, mit wem er anbinden sollte. Mit seinem Anliegen, das Fräulein zu sprechen, wagte er nicht herauszurücken. Die Tänzer flogen an ihm vorüber wie der Wind. Wo mag die Glückliche 111 sein, die einen Mann heirathen will, über dessen Leichtsinn Andere weinen? Siehe da! Da ist ja auch der Baron von Forbeck! Der Bruder unserer schnippischen Excellenz-Gräfin! Merkus dachte, daß sie den Baron längst dingfest gemacht hätten. Hier ging’s aber noch flott wie bei einem Wettrennen zu. Die Damen mit Schleppen, blaue, rosa, weiße Gestalten, aus Sphären entnommen, die mit problematischen Existenzen zusammenhängen mochten. Wer wußte das! Und immer Duida! Und blaue Donau! Es fing den Mann, der sein Prüferamt schon hinter sich hatte, an zu hungern. Aber ein still und bescheiden auf dem Corridor sitzender und ab und zu eine Schüssel Pflanzenkost verzehrender Mann war nicht gut gewählt, um dem fragenden Fremdling vom Lande Auskunft nach Nahrhaftem zu geben, Plümicke. Fehlen mochte dieser hier doch nicht ganz. Es unterstützte ihn sein Ansehen, das er bei den Blaumeißels genoß. Aber er mußte dann auch getrost mit ansehen, wie Mahlo frech die schöngeputzte Josefa in der Garderobe umarmte. Zu einer Ohrfeige, die ein Anderer an Beide ertheilt hätte, erhob sich sein Genius nicht. Nur eine sanfte brahminische Warnung an Josefa kam von seinen Lippen, eine Anrede, wie diese etwa Virgil in seine Hirten-Eklogen hätte aufnehmen können.
112 Was wollen Sie? fragte ein Herr, ein kleiner wohlfrisirter jüdischer Mann, der mit vielen Orden auf der Brust erschien und die Augen zusammendrückte und die rathlose Gestalt des Pfarrers, die ihm auffiel, freundwilligst orientiren wollte. Es war Baron Cohn von Cohnheim.
Welches ist die Braut? stotterte Merkus, statt zu sagen: Ich habe Hunger!
Schon machte der freundliche Hebräer eine verdrießliche Miene. Er hatte Mahlo bemerkt. Mit einer Länge der Tonschwingung, die sich die hier nun expatriirte gute Brennicke hätte für ihre „Abgänge“ merken können, sagte er zu Mahlo plötzlich: Sie auch hier –? Aller Humor schien ihm vergangen. Auch war eine Naht an seinen gelben Glacéhandschuhen geplatzt. Dennoch galoppirte er bald darauf mit einer Dame, die dem fragenden Pfarrer Mahlo als die Frau Verwaltungsräthin Jenny Rabe constatirte.
Endlich glaubte Merkus das Brautpaar zu sehen. Der stumme Mann zeigte mit dem Finger hinaus. Das war also der Bruder dieser Martha! Da hält er die Bewußte umschlungen und jagt dahin mit ihr wie rasend! Schön ist die Person –! Etwas schon an den Schläfen verfallen –! Dem Grafen Wilhelm sieht sie sehr ähnlich! Wie sie den Mann umklammert hält, der ganz leichenblaß aussieht, diesen Gottesleugner, der früher 113 allen Zeitungen viel Stoff für ihre Spalten gab! Jetzt sinkt die Braut, wie eine geknickte Blume in einen Sessel! Ihr Busen wallt! Das weiße Crèpekleid mit hochrothem Saum am tiefentblößten Halse und den bloßen Armen scheint zerdrückt! Es ist ihr das ganz gleichgültig! Die lange purpurne Schärpe, die sich um ihren schlanken Leib schmiegt und an der schwellenden Hüfte durch eine Ranke von wildem Wein und Epheu befestigt ist, geräth in Collisionen mit den Füßen der vom Tanze und vom genossenen Champagner Taumelnden! Ach, wie eine sterbende Mänade sitzt die Siegerin des Abends da –! Dunkle Korallen bedecken den blendenden Hals wie Blutstropfen –! Ganz wie das Weib von damals! Die Geometerin! Und Graf Wilhelm! Ich war eben auf die Pfarre gekommen! Sieht sie die alte Gräfin, so zieht sie die Person doch an sich! Wie sie lächeln kann! So süß, so bestrickend! Aber das darf nicht sein! Nein! Nein! Fort! Fort!
Da naht auch dem fliehenden Pfarrer die Verführung, aber in abschreckender Gestalt. Keine Houri des Paradieses, sondern die Domina des Hauses, die Ueberwacherin der Speisereste, eine Frau, stattlich von Ferne, aber in der Nähe Schminke, Tusche. Sie wollte ihm Champagner reichen lassen. Sie verschwindet aber wieder.
114 Und immer Musik! Walzer der Walzer! Wie bestrickst Du auch das Gemüth, versetzest die Phantasie nach den schönen Ufern des Weltstroms! Deine elegischen Ausweichungen, deine zarten Minores, wie schmeicheln sie sich kosend dem Ohre ein und lösen die Seele in Wonnen der Ahnung, in Stimmungen der Hingebung und sanfter Entfesselung der Sinne auf! Selige Stunden, wo man einst glücklich war, – sie liegen in Deinen harmonischen Schwingungen! O wie träumt sich’s vom Glück, auch wenn die Seele gar nicht an Den denkt, mit dem man sich eben im Arme schwingt! Blaue Donau! Blaue Donau!
Hoabens auch Champanier befoahlen? sagte die Alte schon wieder. Man hielt den kleinen Mann mit dem wohlgepflegten Backenbart für einen berechtigten Gast. Er eroberte etwas Braten, der ihn leidlich stärkte. Dann schlich er leise davon. Er hätte noch gern mit der Domina gesprochen. Diese verstand ihn aber nicht. Sie lächelte nur. Er sprach ihr zu hochdeutsch.
Am folgenden Morgen machte sich Merkus das ihm nicht aufgetragene besondere Geschäft, das Udo Treuenfels’sche Ehepaar zu besuchen. Er traf die Gräfin allein und erzählte ihr sein gestriges Erlebniß wie ein rein zufälliges. Er hätte Jemand im Hause besuchen wollen. Gräfin Ada hatte vorher in einem Buche 115 gelesen, lag auf dem Sopha ausgestreckt und sagte auf alles Mitgetheilte Nichts als So?
Und zum Grafen ging Merkus ebenfalls hinüber, um sich auch diesem zu empfehlen. Und auch dieser sagte, ebenfalls in einem Fauteuil, der vom Schreibtisch während des Besuches abgerückt werden konnte, ausgestreckt Nichts als So?
Sie ist besorgt und aufgehoben! rief Merkus auch der alten Constanze zu, als er nach seiner Rückkehr in die erwärmten Zimmer des Schlosses trat und sie in der Bibel lesend fand. Er erzählte ihr Alles in den grellsten Farben. Auf die gerühmte Intelligenz des Raimund Ehlerdt hindeutend meinte er: „Sie wollen Blindenleiter sein, spricht der Apostel, und sie sind selbst blind!“
So, so –! sprach auch die alte Gräfin. Und ein: Also für immer begraben! folgte hinterher.
Sie ergänzte dem triumphirenden Pfarrer seine Reisespesen.
166 Fünftes Kapitel.#
Heiliger Friede des Hauses! Beglückte Stimmung der Herzen im traulichen Verein einer nur dem Guten, Schönen, der Sittlichkeit lebenden Familie! Angehörige, Freunde, mit warmer Theilnahme verbunden! Der Bildung goldne Fessel sanft an jedes Wort, an jede Regung des natürlichen Menschen gelegt! Der Scherz als Milderung des pflichtenstrengen Ernstes und der aufwallenden natürlichen Begehrlichkeit! Der Wille, der Regent unsrer Lebensthätigkeit, die Betrachtung, die Auffassung immer unter die Herrschaft des Ohrs und des Auges gestellt! O wie sanft dann ein solches geistiges Windeswehen unter dem traulichen Dache der Familie!
Aber im Freien konnten die Althings diese ihre schöne herrliche Häuslichkeit nicht mehr genießen. Unten walteten nicht nur strenge Hausgesetze, auch ängstigte im Atelier der schreckliche Husten des armen, plötzlich ganz und gar versiechenden Plümicke. Man mußte den Aermsten, bei dem sich eine lange verborgene Schwindsucht 117 herausstellte, die durch die veränderte Ernährungsweise und die Liebe zum vollen Ausbruch gekommen, bald in ein Spital schaffen. Das Haus unter den Tannen und Birken blieb dann sich selbst überlassen. Auch war der Herbst mit seinen ernstgemeinten Schauern da.
Helene war auffallend gestärkt, ja gehoben und ausgesprochen besonnen aus Hochlinden zurückgekehrt. Die Mutter las ihr das Alles so recht aus den Augen heraus und hatte ihre Freude daran. Das geliebte Kind brauchte über Nichts näher zu sprechen. Der Vater dagegen fand Ottomar doch zu stumm, zu sonderbar und verbat sich ernstlich gelegentlich alle Aufregungen. Aber Marthas unvermuthetes Erscheinen brachte Leben und Bewegung in den stillen Kreis. Wolny war zurück! Er hat mir geschrieben! rief sie jubelnd. In Ausdrücken der treusten Liebe! O, wie verbreitete das alles Mitfreude, Mitgefühl!
Der neue Gast des Hauses, Capitän Holl, den Helene zum ersten Mal sah, hatte Alles vorher verkündigt. Nun war es eingetroffen, wie dieser liebe, gemüthliche, gern gesehene Besuch, der von den ernstesten Dingen so angenehm zu plaudern wußte, und von den komischen, die seinen Fürsten betrafen, so discret urtheilte, vorausgesagt hatte. Was hatte sich der alte Althing sonst um den nordamerikanischen Secessionskrieg gekümmert! Jetzt erst trat ihm in den langen traulichen Winterabendstunden, 118 die Holl der Familie wöchentlich mindestens ein Mal zu schenken pflegte, diese großartige Entfaltung erbitterter Leidenschaften jenseit des Oceans klar entgegen, der Aufschwung eines großen Volkes, das Bild, wie eine sich als Bürgervolk fühlende Nation, die den Frieden und die Erhaltung des Lebens liebt, allmälig erzogen wird zur kriegerischen Aufopferung, zum bereitwilligen Tode für ein auf’s Aeußerste gefährdetes Vaterland, für das Löschen eines Brandfeuers, das von Tücke, Wuth, Rache und nicht unwahrscheinlich vom Ausland geschürt wurde! Die merkwürdige Erscheinung, daß der Norden, obschon derselbe immer der Wildheit und der kühnen Taktik der südlichen Heerführer in den Gefechten und größern Schlachten unterlag, dennoch zuletzt siegte und siegte durch die allmälige Schulung zum Krieger, durch die äußersten Anstrengungen im Besiegen der Schwierigkeiten des Terrains, durch den stetigen Nachschub eines immer wieder neuen Ersatzes der beklagenswerthen Verluste an Menschen, sie trat in Holls Erzählungen so lebendig vor die Augen der Hörer, daß der Alte zuweilen aufsprang und eine besondere Flasche verlangte, um die Amerikaner leben zu lassen.
Der begeisterte Halbamerikaner schilderte oft beim Sturm des Windes, der die Bäume peitschte, bei Schneefall, der das Nachhausegehen beschwerlich machte, seinen Antheil an den Mühen dieses wunderbaren Krieges. 119 Kurz vor St. Thomas als Schiffsjunge gescheitert, gerettet mit zwei Matrosen, ging er erst auf ein anderes Schiff, machte mit diesem Reisen bis nach China und Japan, erlitt unausgesetzt Fährlichkeiten aller Art, erreichte aber durch glückliche Zufälle die Möglichkeit, sich auf der Seeschule von Sackets Harbor auszubilden, worauf ihm Anfangs die Führung von Kauffahrteischiffen als Capitän, dann beim Ausbruch des Krieges eine Offiziersstelle offen stand. Den Schuß durch’s Bein erhielt er bei jener gefahrvollen Unternehmung, Panzerboote den Mississippi hinauf wirken zu lassen unter den Mauern von Städten entlang, die von den Insurgenten besetzt waren. Der alte Bildhauer kam ganz von seinen Idealen ab. Es bleiben nur noch Phidias und Praxiteles! sagte er, so daß die lauschende Helene, die Mutter und Ottomar, wenn dieser zugegen war, laut lachen mußten. Der Alte war so gehoben durch diese Mittheilungen, daß er scherzweise, wenn seine beiden Frauen anderer Meinung über dies und das waren und er aufbrausend sie für rechthaberisch erklärte, Beide nach den beiden berühmten Panzerschiffen benannte. Seiner Frau sagte er: Du bist der Monitor! Und Helenen: Du der Merrimak!
Helene wurde allerdings allmälig ernster. Sie grübelte und rang mit sich. Graf Treuenfels kam allmälig wieder täglich! Er wußte sich immer etwas zu 120 schaffen zu machen! Ueber die von Gräfin Constanze gekommene plötzliche Ablehnung der Rückkehr Marthas nach Hochlinden, die in den artigsten Ausdrücken und mit Geschenken ausgesprochen worden war, kam es zu keiner rechten Frage und keiner rechten Antwort. Mußten doch Raimund Ehlerdt und Edwina Marloff dabei erwähnt werden! Man ahnte den Grund in diesem Mißlichen und umging lieber die Thatsache.
Den Bruder, den die Staatsanwaltschaft beschäftigte, sah man seltener, als den Capitän. Martha wohnte bei Althings. Manchmal war Alles, was so zusammen gehörte, auch beim Mittags- oder Abendtisch vereinigt. Das noch Ungelöste, Peinliche trat dann durch leichtbeflügelten Scherz in den Hintergrund. Wolnys aus der Ferne schon angekündigte Absicht, den Rabe’schen Gründern, die ohnehin liquidiren mußten, obenein den Proceß zu machen, die Verbindung Raimunds mit einem weiblichen Wesen, das tiefer zu sinken schien, als man Anfangs erwartet hatte – Alles das wurde fern gehalten, um das Glück der stillen Eintracht, das Princip des Alten: Suche man sich doch nicht selbst die erbärmlichen Quälereien des Lebens auf, sondern halte Alles fern, was unsere innere Welt der Schönheit und Harmonie aufwühlen kann! nicht zu stören. Er behauptete, manche Menschen hätten ein wahres Wohlgefallen am Aerger. Sie müßten 121 sich ärgern, sonst sei ihnen nicht wohl; wofür er regelmäßig zum Beweise die nergelnde Pedanterie seiner Hausbesitzer citirte.
Wolny kam endlich. Kräftig, frisch geröthet, zwar sein Haar stark schon mitgenommen und sogar ganz weiß geworden, aber dennoch ein Mann voll Mark und Kraft. Sein erster Gang war zu Althings. Er klingelte. Martha öffnete. Ein Blick, und Beide lagen sich in den Armen. Da war kein: Ich liebe Dich! mehr nöthig. Kein: Ich habe Dich schon damals geliebt! Der Bund der Seelen war auf ewig damals schon beim Ball auf der Haustreppe unter den tropischen Blumen und dem kunstvoll gearbeiteten leuchtenden Gasarm geschlossen worden.
Lange zehrten die Freunde von diesem endlich eingetroffenen Glück, von Wolnys Erzählungen, von seinen herzlichen Begrüßungen Holls und Ottomars, von seinen Erkundigungen nach Allem, was seitdem geschehen war. Den Gründerproceß setzte er trotz Martha, die mit Trauer dabei niederblickte, auf’s Entschiedenste in Aussicht. Raimund ist ja unbetheiligt! sagte er. Ich habe mich nach Allem erkundigt! Jetzt treffe ich endlich Rabe und Forbeck, die damaligen Einbrecher! Jetzt soll nun die Strafe kommen! Raimund, der Verführte, der wird schon Flügel haben, die ihn an eine andere Stelle heben! Die sociale Frage ist ja noch im Schwunge! Wer weiß, 122 wie hoch sie ihn noch hebt! Vorläufig hat er ja die productive Rente in der Fabrik eingeführt! Er mußte darüber laut auflachen.
Eines Tages trat auch Graf Udo ganz ungeladen in diesen abendlichen traulichen Kreis sogar. Der alte Althing erschrak nicht wenig über diese Dreistigkeit des hochgestellten, allerdings jede kalte Begrüßung entwaffnenden liebenswürdigen Mannes. Mutter und Tochter waren so artig, wie sonst. Holl, Wolny, die geladen waren, veranlaßten ein kühleres Vorgestelltwerden. Den Capitän Holl erinnerte sich der Graf schon flüchtig bei Rauden gesehen zu haben. Es war doch in ihm der Aristokrat, der Holl gleich eine dienende Stellung zu geben suchte. Es gelang ihm nicht. Man erwärmte sich allmälig; hatte ja auch Graf Udo die Welt gesehen, wenn auch nur als Leidender. Bald vermittelte er sein eigenes Vorleben mit den Eindrücken, die ihm die neuen Bekanntschaften hervorriefen. Ottomar schien der Unbefangenste und war gegen ihn vollkommen herzlich. Denn Ottomars Gewissen war ja rein. Er hatte auch nicht einen Schritt gethan, um seinem glühenden Empfinden für das Weib seines Freundes einen Ausdruck oder weitere Nahrung zu geben. Kein Brief war von ihm geschrieben, kein Besuch abgestattet, ob auch noch die Küsse der göttlichen Frau auf seinen Lippen brannten. Er entschuldigte sich für seine 123 Saumseligkeit, beim zurückgekehrten Freunde noch nicht angeklopft zu haben. Einen Berg von Arbeiten, der kaum zu bewältigen wäre, hätte ihm Staatsanwalt Stracks zugeschoben.
Meine Pflicht war es ja, fiel der Graf ein, Dir zuvorzukommen, lieber Althing! Aber manche Wogen gehen zu hoch! Ich möchte Dich nicht wieder in Strudel ziehen, die nur mich angehen. Daß ich es früher that! Wie bereue ich es! Bleibe mir gut und vertraue auf mich!
Jeder mußte da sagen: Der Graf ist doch ein edler lieber Mensch! Die hochgehenden Wogen errieth Niemand. Graf Udo meinte die nun doch an die alte Gräfin gelangte Nachricht von der Existenz Edwinens und die sonderbare Art, wie die sonst so sanfte, liebevolle Frau diese Thatsache aufnahm. Aus dem innigsten Verkehr mit der Tante war Spannung entstanden; denn seinen Onkel Wilhelm ließ Udo nicht fallen. Er hätte ihn gegen die ganze Welt vertheidigt.
Helene sprach an diesem Abend nicht grade mehr, als was zur Beantwortung der an sie gerichteten Fragen nöthig war. Der alte Bildhauer war im Geist immer in Nordamerika. Wolny, Holl, Martha sorgten für die Conversation.
Einige Tage darauf erhielt Helenens Mutter vom Grafen Udo einen Brief, worin dieser schrieb:
124 „Gnädige, hochverehrte Frau! Sie kennen die Umstände, unter denen ich meine Gattin Ada von Forbeck habe zum Altar führen müssen! Es war eine mir auferlegte Pflicht, die zu erfüllen mir süß gewesen wäre, wenn sich Herz zum Herzen gefunden hätte! Ehen, die damit beginnen, daß man einander nicht versteht, können nur Höllenqualen bereiten; denn ein gegenseitiges Verstehen im Charakter, ein Nachgeben, Dulden, gutmüthiges Belächeln unsrer Schwächen erlernt sich niemals. Dazu gehört Leidenschaftslosigkeit von Hause aus und ein weicher, immer nur auf den Frieden gerichteter Trieb des Herzens. Unsere Kirche gestattet – Gott sei Dank! – die Trennung! Diese wird, sie muß bei mir kommen! Ich will meiner Gattin das Scheiden erleichtern, indem ich mich von ihr der Untreue zeihen lasse! Meine wahre Liebe, gnädige, theure Frau, ist Ihnen bekannt! Seit den ersten Stunden, wo ich mit Fräulein Helene geplaudert habe, erschloß sich mir der Himmel auf Erden. Das Getriebe der Welt, ihre Eitelkeit, ihre Thorheit berührten mich nicht mehr. Eine reine, edle, weibliche Seele hielt mich umfangen. Wie die Blumen, die um ihre liebliche Erscheinung in Ihrem Gärtchen sproßten, wenn ich mit ihr um das Atelier ihres trefflichen Vaters schlenderte, war Alles an ihr schön, harmonisch, in seiner Art vollendet, ein Preis der Schöpfung. Wenn Fräulein 125 Helene lächelt, so ist es die Rose, die erglüht. Nie fand ich ein Uebermaß. Nie etwas, das sich mit einer bewußten eiteln Anstrengung zu behaupten suchte. O meine Gattin – daß ich den Vergleich brauchen muß – diese ist wie ein störrisches Roß. Es weicht und wankt nicht von der Stelle, es bricht eher zusammen, bis es auf unser Wort, auf Peitschenhiebe, die ich allerdings schon in Worten gebraucht habe, vorwärts geht. Dann plötzlich, aus irgend einer Caprice, geht mein Vergleich ganz ruhig und vernünftig an der Stelle vorbei, so daß man dem Thiere den Hals klopfen und sagen muß: Bist ein lieber Kerl! Es schüttelt vergnügt die Mähne und man gönnt ihm sein Brot und Zucker. Aber solche Scenen greifen mich an! Ich bin eine positive Natur, litt lange Jahre auf meinen Reisen unter den Folgen des gelben Fiebers, wurde weich, leidend, zu schonen – ich kann mit solchen Naturen nicht leben. Und dagegen die Seligkeit, immer mit der Vernunft zu verkehren, mit einer Seele zusammenzuleben, die Wohllaut in unser Dasein zu strömen sucht und diesen aus dem Nächsten zu ziehen weiß! Die wunderherrliche Kunst, Vorwürfe in milder Form aussprechen zu können –! Wer das Talent besitzt! Theure, hochverehrte Frau, ich könnte rasen gegen den Apostel, der in der heiligen Schrift die Ehe so gedankenlos, so obenhin als einen bloßen Klug-126heits- und Nützlichkeitsrathschlag empfohlen hat. Und das noch dazu zu einer Zeit, wo sich die Ausbreitung des Christenthums lediglich auf die Frauen stützte, theils auf die Frauen der Bildung, theils auf die, die mit reichen Mitteln gesegnet waren und helfen konnten, die Sache zu unterstützen, oder auch nur auf Frauen der einfachen Empfänglichkeit und Hingabe an Schwärmerisches, Neues überhaupt. Die Ehe als bloßer Lebeversuch, als eine gegenseitige Prüfung, die bis an’s Grab dauern soll, das ist doch gradezu fürchterlich! Ich will mich nicht zum Sklaven unsrer Sitten machen. Sprechen Sie ein Wort zu Ihrer unvergleichlichen Tochter! Helfen Sie, daß ich erlöst werde von meinem Schicksal, dessen praktische Resultate, ich meine die Revenüen der Generalin und Adas, ja auch nach dem Versprechen meines Onkels anders erreicht werden können. Verbinden Sie sich mit Fräulein Martha, dieser so klug, so treffend das Leben beurtheilenden jungen Dame, die jetzt so hold vom Schicksal für ihr langes Dulden belohnt worden ist! Sie soll uns etwas abgeben von ihrem Glück! Verbinden Sie sich Alle, ihren edlen Gatten zu überreden! Kann denn der treffliche Menschenkenner daran zweifeln, daß meine Gefühle aufrichtige, wahrhafte sind? Daß ich mein Leben als Pfand für meinen Entschluß einsetze? Fräulein Helene wird nie, nie ein männliches Wesen finden, das 127 sie bereits so ergründet hat, und wieder umgekehrt eines, das sie, wie mich mit meinen Fehlern und mit einigen Tugenden, hoffe ich, schon erkannte. Den Reichthum ihrer Liebenswürdigkeit, ihr Vermögen, bis an den Rand des Grabes einen Mann zu beglücken, habe ich erkannt, wie Keiner! Wäre sie nicht ewig, ewig an meiner Seite wohlgeborgen? Ich verliere den Glauben an Alles, was die Menschenbrust heben, unsern Lebensgang aufrecht erhalten kann, wenn mir diese Hoffnung zusammenbrechen, die einzige Blüthe in meinem Leben verwelken sollte –!“
Der Eindruck dieses Briefes war im ganzen Hause ein erschütternder. Die erste Empfängerin, Frau Althing, zitterte beim Lesen. Helene verbarg ihr Haupt, weinte, ja schluchzte. Selbst der Professor wischte sich die Augen. Nur Martha blieb standhaft. Diese wurde in’s volle Vertrauen gezogen und sah ruhig auf Helene, die natürlich jetzt eine Gräfin werden konnte, ein Mitglied der höchstgestellten Aristokratie. Die Erinnerung an den Eindruck, den ihr die Artigkeit des Grafen in der Stille ihres abgeschlossenen hiesigen Parklebens gemacht hatte, die Erinnerung an seine Freundschaft damals mit Ottomar, sie übermannte sie.
Und dabei war der Vater schon gerührt aus dem Atelier gekommen. Er verlangte Hülfe für Plümicke, den 128 man in’s Spital gebracht und auch da doch nicht ganz verlassen müßte! Blaumeißel hatte gestern den Halbsterbenden im Hospital in den Armen gehabt. Aber es könnte sich mit dieser plötzlich ausgebrochenen Schwindsucht noch hinziehen, hieß es. Man sollte doch Manches zusammenpacken! Von seiner Wäsche! Er selbst wollte es dann dem Armen überbringen.
Ja, ja, sagte er, so ist das Leben! Am Sterbebett selbst unsrer Lieben, mit nassen Augen, müssen wir der Pflichten des täglichen Verkehrs gedenken. Ich bin vom Lande, fuhr er fort. Auf dem Lande brüllen die Kühe, gackern die Hühner, mahnt die Gewitterwolke an’s Einfahren des Heu’s – Alles, Alles das mitten in einem tiefen Schmerz um ein eben sterbendes Kind! So war mir der alte Junge auch mein Kind! Aber was soll’s nun? forschte er ganz rath- und besinnungslos.
Die Frauen machten sich eilends zu schaffen. Alle drei. Die Magd wurde zur Besorgung eines Wagens fortgeschickt. Dem armen verschmachteten Vegetarianer sollten seine neu geplätteten Nachtjacken, alle Sacktücher, Hemden, Strümpfe zugeschickt werden. Plümicke hatte zu Blaumeißel gesagt: Ich bin ja nur etwas ohnmächtig! Das ist mein ganzer Fehler. Habe keine rechte Courage! Aber die Josefa mag nur den Mahlo nehmen! Sie wird keinen Segen davon haben –!
129 Belügen hätte man den Alten nicht dürfen. Der Zufall hatte gewollt, daß er die Ankunft des Briefes, den La Rose überbracht hatte, beobachten konnte. Er las den Brief sogleich, als er die Frauen beim Weinen antraf. Und sonderbar, er polterte nicht. Er glich nicht dem alten Miller in „Kabale und Liebe“, der die Schuld auf Louisens schmachtende Augen wirft; er sagte weich: Ueberlegt, bis ich wiederkomme. Ich werde dem Franzosen unten sagen, der Brief würde geschickt werden.
La Rose war schon gegangen.
Schon nach einigen Stunden zurückgekehrt, wollte er noch Nichts von den Seelenkämpfen wissen, die inzwischen stattgefunden hatten, sondern er berichtete: Der gute Kerl lebt noch! Acht Tage wird er’s noch machen! Ja, ändere nur Einer, setzte er beziehungsreich hinzu, in späteren Jahren seine Lebensweise und bringe sich um seine Kräfte. Er wird dran glauben müssen! Ein Steinarbeiter, der ohnehin seine Lunge und den Magen ruinirt, will plötzlich nur Gemüse essen! Paßt denn Eines für Alle, ihr Neuerer? Alles hat sein eignes Erdreich! Auch die Bildhauerstöchter!
Dann stellte er den Stock weg und sagte: Sind nun die Wasserflüsse Babylons verlaufen? Die trauernden Juden sind jetzt wieder durch den Krach in die Mode gekommen, wenn auch nicht die gemalten. Seit dreißig 130 Jahren sind die vergessen und begraben. Was soll nun werden ?
Die Frauen schwiegen.
Althing verlor noch nicht die Geduld.
Die alte Gräfin ist zurückgekehrt, fuhr er fort. Ich habe ihr meine Aufwartung gemacht. Sie war sonderbar kalt. Das Denkmal ist zum Aufstellen fertig. Ich erhielt meine volle Bezahlung und darüber. Die junge Gräfin hatte sich offenbar verleugnen lassen, als ich mich melden ließ! Kein Wunder – nach dem Benehmen Ihres – Nun, unterbrach er sich schon erregter, was wird werden? Wenn Helene Gräfin Treuenfels werden will – mir ist’s einerlei! Ueber den kurzen Skandal kommt die Welt bald hinweg –! In einem halben Jahre spricht davon, wie diese Verbindung sich gemacht hat, kein Mensch mehr –! Ich gehe ein halbes Jahr nicht – zu den Serapionsbrüdern, und im Uebrigen singt der Narr bei Shakespeare: Und der Regen, der regnet jeglichen Tag! Laßt jetzt das Weinen!
Die väterliche Liebe war es, die nun polternd sprach.
Lieber Mann, sagte mit zitternder Stimme die Mutter, wir, wir sollen den Anlaß des Aergernisses – vor der Welt und vor den Gerichten geben –?
Du wirst schon praktisch! Sieh’, sieh’ die Alte! stichelte Althing. Vor Allem kommt es auf Helenen 131 selbst an! wandte sich der Vater zu dieser. Willst Du den Grafen? Liebst Du ihn? Dann sprich Dich offen gegen uns aus! Martha gehört zur Familie!
Helene sah zum Himmel empor. Gott Vater und alle himmlischen Heerschaaren, die ja auch der protestantische Glaube in unmittelbarer Nähe zur Rechten Gottes erblickt, schienen ihr in diesem Augenblick auf dem kleinen Streifen graublauer Luft, den sie übersehen konnte, zu thronen und Gericht zu halten. Das Gericht ihres Lebens! dachte sie. Das Gericht ihrer Zukunft! Wer in diese Zukunft hätte blicken können –! Es war ihr, als schiene die Sonne der Nacht, von der sie hatte reden hören. Wer hatte davon gesprochen? Der träumerische hinkende Seecapitän –! Da zuckte ihr Auge, und sie stieg mit ihren Gedanken in den tiefsten innern Schacht der Empfindung und tastete in dieser Nacht, und endlich –! Die Umstehenden stießen sich an. Es wird hell in ihr! sagten die Lauschenden.
Martha und die Mutter erkannten, der Brief des Grafen, die entschiedne Werbung, der Ernst, den der Graf zeigte, hatte sie erschüttert. Wie hatte er sie analysirt! Wie hochgestellt! Es ist eine Wonne im Menschen, sich erkannt, sich verstanden zu wissen. Wie schön, wie hinreißend war die Sprache des Grafen über ihren Werth –!
132 Helenen rief sogar eine Stimme des Gewissens: Du bist ihm undankbar!
Und dennoch schüttelte sie zuletzt stumm und ernst ihr schönes lockiges goldblondes Haupt.
Die Mutter war überrascht, Martha nicht. Sie hatte in Hochlinden schon beim bloßen Erzählen von Holl beobachtet, sie hatte es hier gesehen, daß – der Capitän – sie Anfangs rührte und – allmälig „interessirte“.
Nun denn, so ist die Sache abgemacht! sagte der Vater nach einer Weile, wo auch er sein Erstaunen nicht unterdrücken konnte. Schreib’ ihm einen vernünftigen Absagebrief! Er soll uns nun entschieden verschonen. Nichts weiter mehr aufrühren! Am besten – unterbrach er sich und wandte sich an Martha. Am besten, Martha, Du setzest den Brief auf! Mutterchen trifft es nicht scharf genug. Martha kennt die Verhältnisse! Und die Mutter – nun scherzte schon der Vater und suchte heitere Stimmung zu befördern – hat so manche Schwärmerei für alte Orthographie, die jetzt wieder neu wird. Goethe schreibt noch gern g statt ch. „Mein Mädgen!“ Gebt dem Grafen Nichts zu lachen! Jetzt muß ich zu Blaumeißel hinunter! schloß er. Der heult um Plümicke wie ein alter Jagdhund, dem sein Herr gestorben ist!
133 Innig noch küßte der Vater Helenen, streichelte die wieder Weinende und sprach ein liebevoll beruhigendes: Nun, nun, nun, nun!
Damit war er verschwunden. Er bedurfte selbst des künstlichen Aufschwungs, den er sich gab, um seiner Stimmung Herr zu bleiben. An Ottomar mochte er nicht denken. Er hatte die dunkle Ahnung, daß die Person, bei deren Anblick er selbst gesagt: Der Reitknecht hätt’ ich sein mögen! eine Rolle in diesem Liebesroman spielte. Er stürzte sich in die Arbeit, um Nichts zu hören und zu sehen. Die Ausführung des Grafen-Wilhelm-Monuments hatte er an einige andere Ateliers vertheilt. Sich selbst hatte er noch zwei neue Gehülfen genommen. Es war lebendig um ihn her.
Die Frauen waren darüber einig, daß nur Helenens Mutter antworten konnte. Aber die Anempfehlung der Martha’schen Beihülfe war nicht zu verachten. Die gute Mama sagte lächelnd: Der böse, böse Mann! Er hatte sie mit ihrer Neigung zur Anti-Orthographie geneckt, obschon sie geläufige, wohlgefügte, gedankenreiche Briefe zu schreiben verstand. Helene stützte trauernd ihr Haupt auf und verrieth es jetzt mit Worten, daß ihr der Graf über Alles werth gewesen, daß er wie magisch auf sie gewirkt hätte, ihr Herz hätte geklopft, so wie er in den Garten getreten, sie hätte sich aber in Hochlinden an ihn 134 zu sehr gewöhnt, sein Reiz hätte sich dort abgestumpft, sie könnte jetzt nicht recht sagen, was sie eigentlich so plötzlich gegen ihn erkältet hätte. Es sei nicht die Furcht vor der Welt! Es sei – sie könne es nicht ausdrücken –
Martha erinnerte an die Rückfahrt von Weilheim.
Ach, meinte Helene, diese Anklage ablehnend. Die Männer sind ja Thoren! Manches muß man an ihnen nicht zu strenge nehmen! Wieviel Geduld hatte ich mit Jean Vogler, Dieterici und mit Deinem Bruder –!
Da lachte Helene schon, und die Mutter umarmte sie freudig.
Ich bin begierig, ob ich es in Eurem Sinne treffe! fiel Martha mit bedächtiger Miene und im Weitern unbeleidigt ein.
Sprich Du nur! Ich höre gern zu! Analysiren! Ich schreibe Alles ab! sagte die Mutter. Dann fuhr sie fort: Ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht!
Auch ihr stand plötzlich der von Schindler adoptirte, nun sogar steinreich gewordene Capitän Holl vor Augen.
Helene lächelte wieder. Sie sagte: Papa würde jetzt seinen stehenden Witz machen: Analysen mit der Apothekerstochter Anna Liese in Verbindung zu bringen! Eine Mesalliance der Art würde es ja doch gegeben haben –!
Martha ging in das ihr eingeräumte Kämmerchen und kam nach einiger Zeit mit folgendem rasch von ihr 135 entworfenen Brief zurück. Sie hatte den Grafen ganz als Standesherrn behandelt.
„Hochgeborner Herr Graf!“ hatte sie geschrieben. „Ew. Erlaucht können sich wohl denken, daß Sie mich und die Meinigen durch Ihre Hoffnungen und Wünsche sehr erschüttert haben. Ganz abgesehen von dem schmeichelhaften großen Antheil, den Sie unserer Familie zur Wiederherstellung Ihrer innern Zufriedenheit zuzuerkennen gedachten, ist ja auch unsere Verehrung und Dankbarkeit gegen Sie eine so große, daß uns schon allein das vertrauensvoll geschilderte Leid Ihres nicht nach Wunsch ausgefallenen Eheverhältnisses erschüttert und rührt. Frau Gräfin Ada ist mir nicht näher bekannt. Aber wer sie gesehen hat, schildert sie als ein Wesen voll Schönheit, äußrer und innrer. Wenn sie will, habe ich gehört, kann sie sich die bestrickendste Anmuth geben. Nur soll dieser Wille im Uebrigen zu stark sein. Sollte er sich aber nicht nach und nach mit Ihren männlichen Ansprüchen in Einklang bringen lassen? Was meine Tochter anbetrifft, so gesteht sie gern, daß sie der Freude über Ihre Besuche, über die Erheiterungen des Vaters, die Sie ihm gewährten, über die aus alter akademischer Zeit mit in Ihre neue Lebensstellung herübergenommene Freundschaft mit ihrem Bruder einen früher vielleicht zu lebhaften Ausdruck 136 gegeben hat. Sie war aber schon nach Hochlinden gekommen, nur um Ihnen zu zeigen, daß Sie doch an ihr Nichts mißverstehen sollten. Sie wollte Ihnen zeigen, daß sie wie alle jungen Mädchen wohl eine Weile in der Phantasie leben, dann aber ganz vernünftig die Verhältnisse erwägen konnte, wie sie sind. Sie gesteht, Herr Graf, Ihrer erneuten Werbung gegenüber könne sie das heilige Wort Liebe nicht für die Empfindungen der Hochachtung und Theilnahme an Ihrem Wohlergehen verwenden. Es lebe in ihrer Phantasie Nichts, was Sie betrifft, Herr Graf, störend und aufregend fort. Sie würde sich nur künstlich aufregen müssen, ja auch die Gelegenheit, eine Rangerhöhung zu erwerben, unwürdig auf sich wirken lassen, wenn sie den Roman so fortzuführen gedächte, wie Sie sich ihn, Verzeihung Herr Graf, ersonnen haben! Gestatten Sie unsrer alten Freundschaft einen Rath: Die Rückkehr in Ihren ursprünglichen Beruf kann in gewisser Form von den Bedingungen der Majoratsübernahme doch nicht ganz ausgeschlossen geblieben sein! Treten Sie nun diese wieder an, so würde diese sicher auch einen Sporn für Ihre Frau Gemahlin geben! Schwung und Beschäftigung – das ist das Entscheidende im Leben! Die Frage, warum bist Du überhaupt in der Welt? Frau Gräfin will diese Frage vielleicht beantwortet wissen. Wenn Sie 137 diese erst an Sich Selbst richten, dann Ihre Gattin veranlassen, daß auch sie es thut, dann kann gewiß noch Friede, noch Glück kommen! Verzeihung für meine Abschweifung, die ich nur mache in Hoffnung, Sie finden ein Mittel, durch Ihre so anmuthige Gattin glücklich zu werden! Mein guter Althing, ich und Helene verbinden sich in der Bitte, ein für allemal von jetzt an die Schranken der Verhältnisse zwischen uns zu beobachten und empfehle ich mich Ew. Erlaucht als Ihre ergebene u. s. w.“
Helene las den Briefentwurf aufmerksam durch, prüfte jedes Wort, verlangte hier und da eine kleine Aenderung, drückte dann der Freundin dankend die Hand und verlangte, daß die Mutter diese Zeilen abschrieb und wörtlich so absandte. Martha hat Alles getroffen, worauf es ankommt! sagte sie. Was in meinem Innern vorging, dem hat sie die richtigen Worte geliehen! Wenn sie verschwiegen hat, setzte sie mit erhobener Stimme hinzu, daß mir doch etwas Halbes, etwas Unmännliches im Grafen widerstand, so ist das gewiß ganz gut. Ich litt allmälig unter mancher Beobachtung. Er ist ja unendlich liebenswürdig, aber nur zum Umgang auf einige Zeit, nicht zum Lebensbunde. Mütterchen, fuhr sie schmeichelnd fort, nimm die Feder! Wir suchen schönes Papier!
138 Es ist ja à peu près ein Betrug, sich so mit fremden Federn zu schmücken! meinte jetzt doch die Mutter zögernd.
Aber beide Mädchen küßten die nur scheinbar sich Sträubende. Die Mutter copirte einfach den Martha’schen Brief und dieser ging am folgenden Tage in früher Morgenstunde durch einen zuverlässigen jungen Atelier-Gehülfen ab. Althing wollte den Brief erst dann lesen, wenn sein Kopf darnach stünde. Sie sollten die Urschrift aufbewahren. „Besseres machen als Martha könnte man nicht –!“ sagte er.
Viel wurde gesprochen über die sonderbare plötzliche Erkaltung der alten Gräfin gegen Martha, über die Aristokratie überhaupt. Das liebste Gespräch verweilte von jetzt an bei Ottomar, Wolny und Gustav Holl.
139 Sechstes Kapitel.#
Herbstessturm jagte das gefallene Laub durch die Wege im Parke des gräflichen Stadtpalais. Die lange nicht mehr gepflegten Götter und Göttinnen von Sandstein, denen hier und da schon irgend ein rachsüchtiger, bösartiger Diener, dem man gekündigt hatte, die Nase abgeschlagen, standen den Schauern des Herbstes und Winters preisgegeben. Strohhüllen umgaben den Hofbrunnen. Schon hatte es Schnee gegeben. Noch waren davon die Wege im großen Hofe und Garten durchweicht.
Und dennoch, selbst wenn der Wind aus Osten daherbrauste und Ziegelstücke von den Dächern mit sich führte, gab es im Palais Bewohner, die sich durch ein Beschreiten dieses Hausparks in ihren Empfindungen austoben mußten –! Ada, die sich hier im Garten, wo ringsum hohe mit wildem Wein bezogene Mauern standen, mit ihrer Mutter oder mit ihrem Bruder laut aussprechen konnte –! Die alte Gräfin, die den jetzt wirklich in die Stadt berufenen Merkus zwang, sein 140 feines Schuhwerk und seine Gesundheit auf diesen Wanderungen nach einem Diner oder Dejeuner auszusetzen –! Graf Udo –! Der Umirrende (La Rose mußte wachen, daß er allein blieb!) nun schon seit lange! Wie erst am Tage der empfangenen Ablehnung! Da hörten ihn die alten Ulmenbäume laut reden! Fast noch mehr war er außer sich über die Motivirung der Ablehnung, die Charakteristik seines Wesens. Sie empörte ihn – weil er sie an sich billigte. Sie ließ ihn das Geheimniß erkennen, das ihm oft schon in jüngeren Jahren da und dort im Frauenverkehr entgegengetreten war. Weichlich erscheine ich Euch? Dann mußte er seine Muskeln aufstemmen, stampfen mit den Füßen und rufen: Bin ich denn Prinz Narziß von drüben? Hat mir jemals Muth und Entschlossenheit im Zweikampf, zur See, auf der Jagd gefehlt? Worin liegt das Nichtswürdige, Unmännliche, was auch in diesem Brief beinahe auf Trägheit und Süßlichkeit hinauskommt? Kann Euch nur noch Brutalität imponiren, die Bildungslosigkeit unsrer Zeit, der freche Strebersinn, der links und rechts Alles mit Füßen tritt, selbst auf geistigem, selbst auf wissenschaftlichem Gebiet –? Dann wurde seine Betrachtung wieder milder, gerechter. Das Uebermaß an Geschäften, die mit dem Antritt der Erbschaft verbunden waren, sagte er, scheint Euch nur in Unterschriften bestanden zu haben! Die Cigarrenkästchen 141 habt ihr gezählt, die ich zurückstellte! Er murmelte: Was haben mir die Forbeck’schen Schulden zu schaffen gemacht! Weil ich die Forbecks nicht zur Thür hinausgeworfen, wenn sie mich um Geld anbettelten und weil ich Ottomar zum Vermittler in Dingen brauchte, wo ich selbst hätte eingreifen, selbst vielleicht handeln sollen – freilich es nicht wagte – darum bin ich Euch – schlaff, feige? Nicht wagte –! Das war’s! Er hatte sich vor jeder Annäherung an Edwina gefürchtet.
Helene hat diesen Brief nicht inspirirt! rief er laut und ging die Reihe seiner seitherigen Handlungen und Erfahrungen, soweit diese Helenen bekannt sein konnten, durch und vertheidigte sich vor sich selbst. Dann zog er eine Anzahl photographischer Abbildungen des geliebten Mädchens aus der Brusttasche, analysirte wieder die einzelnen Züge ihrer Anmuth und versank in Trübsinn, bis La Rose kam und ihn an dämonische Mächte des Verhängnisses erinnerte, die wie Gespenster dicht neben ihm standen, Standesrücksichten, Besuche, Haltung vor der Welt, vor den Dienstboten. Der Einzige, der ihn hätte aufrichten können, der ihm die Sprache der Zeit, die so Vieles und vielleicht zu Vieles zu vergessen lehrt, hätte reden können, der Einzige, der sich schon vor Jahren so treuherzig in Bonn an seinem Krankenbett bewährte, Ottomar Althing, floh vor ihm, weil er vor seinem 142 Weibe floh, wie Endymion in der Fabel! Mußte auch grade dieser der Erwählte Adas sein –!
Der rechte Flügel des Palais wurde vom jungen Grafenpaar bewohnt. Die Räumlichkeiten waren bedeutend, doch nicht so umfangreich, daß nicht die eingetretene Trennung und Vermeidung des gegenseitigen Begegnens die heftigen Scenen hätte verrathen sollen, die zwischen Ada und ihrer Mutter und gar erst zwischen Ada und ihrem Bruder stattfanden. Schon berichteten die Diener von den starken Ausdrücken der Generalin. Die Aeußerung: „Ob Frau Gräfin verrückt wäre“, beschäftigte La Rose sehr. Er schlug im Dictionnär nach und kam zu der Ueberzeugung, daß dieser Ausdruck local zu fassen sei, blos als Bezeichnung von Ortsveränderung: Möbelverrückungen hatte er genug erlebt. Selbst die Aeußerung der jungen Gräfin: Ich sehne mich hinaus aus der Moral Eurer Bagage! brachte den vorsichtigen Diplomaten, der sie gehört hatte, auf Kriegsereignisse, die vielleicht wieder bevorständen. Er ließ sich darüber mit Excursen über Napoleons III. Bagage aus und tadelte grade den Kriegsminister Ochs wegen dessen schlechter Anordnungen über die ungebührliche Größe des Trains. Von diesem Namen hatten ihm die spottenden Lakaien gesagt, für Deutschland würde dieser schon allein den Minister für seinen Posten zur Unmöglichkeit gemacht haben, worauf 143 La Rose erwiderte: Ochs? Wie so? Franzosen sind so von Gastronomie erfüllt, daß wir uns einen solchen Namen wie Leboeuf gar nicht anders als gekocht, gebraten, mit Trüffeln oder Champignons köstlich zubereitet vorstellen können –! Von seiner Nation sagte La Rose gelegentlich: Sie hat viel Geist, aber, das ist wahr, keinen Kopf.
Einige Stunden lang hatte sich der Graf dann in seinem Schmerze, beleidigten Stolze, bald gebrochenen, bald angefeuerten Muthe hin und her gewunden, als er wieder Forbecks Coupé am Palais anfahren hörte.
Forbeck mußte erst das Palais des Fürsten Rauden passiren. Dieser hatte ihn am Fenster stehend ironisch gegrüßt. Herzloser Geizhals! warf Forbeck in seiner Verzweiflung dem fürstlichen Componisten laut aus dem offenen Schlage zu. Auch den Verwalter des Reichthums, den seitherigen „Verstand des Fürsten“, den Seecapitän, der eben hinkend die große Freitreppe zum Eingange des Rauden’schen Palais betrat, mußte er grüßen. Er respectirte denn doch den kräftigen Mann, der, wie man hörte, seine Stellung zu verändern gedachte. Auf dem Vorplatz in dem Palais seines Schwagers sah er die großen Kisten noch nicht ausgepackt von der Rückkehr der alten Gräfin. Diese Dame vermied er ganz. Sie hatte ihm auf den Vorschlag einer Geldanleihe die Thüre 144 gewiesen und lud ihn niemals ein. Von Adas Zimmern herüber hörte er ein rasendes „Clavierpauken“, wie er’s nannte. Und charakteristisch genug, er schloß daraus, daß seine Mutter zugegen war. Denn diese furchtbaren Rouladen dienten dann dazu, die mütterlichen Lehren und Vorwürfe zu dämpfen und sich selbst am Hören derselben zu verhindern.
Graf Udo nahm den Schwager in der Regel nicht an. Heute, tief verstimmt, schien er Zerstreuung zu bedürfen. Forbeck unterhielt ihn. Er wußte immer Neues. In Geldsachen glaubte er ebenfalls ein für allemal den Riegel vorgeschoben zu haben.
Ist doch Mama nicht etwa im Felde? sagte der Baron gleich beim Eintreten in seines Schwagers Zimmer und mit einem Ton, der dem einsam Trauernden etwas Erheiterung einflößte.
Graf Udo saß in einer Sophaecke und reichte die Hand, die mechanisch ergriffen wurde. Der Trauernde hatte nach seinem Sturmgange durch den Park, angeregt durch einen Neptun, der früher zu einer Wasserkunst gehörte, die längst eingegangen war, angeregt auch durch die nasenlosen Götter ringsum, nach dem Homer gegriffen. Der Schwager nahm diese für ihn vollständig phantastische Lectüre für einen zu großen Beweis von Melancholie über Ada. Bester Freund, warum denn nicht Paul 145 de Kock! Zerstreue Dich! Geh’ auf’s Casino! Ich darf mich leider nirgends mehr blicken lassen!
Udo blinzelte La Rose’n.
Dieser wußte schon. Rüdesheimer.
Forbeck nahm die dargereichte Cigarre. Homer! Welche Lectüre! Und Du wirst Dir die Augen verderben! Es ist schon Dämmerung!
Als La Rose den Rüdesheimer brachte, sprach Forbeck ganz vernünftig von berühmten Augenärzten und den ersten Anfängen des Staars.
Udo merkte bald, der Schwager war bei Alledem die Verzweiflung selbst. Aber er konnte und wollte ihm nicht helfen. Von zwei Seiten, von Seiten der Actionäre und von Wolny, drohte das Aeußerste (das erzählte Forbeck auch aufrichtig), Gefängniß, möglicher Verlust des Adels, Schande. Er stellte sich aber ruhig, wie wenn sein Inneres ein sanfter See mit leichtem Windgekräusel wäre. Aber das Selbst-Einschenken des grünen Römerglases folgte diesmal zu rasch, die Cigarre war im Nu zu Ende geraucht. Er paffte das Zimmer voll. La Rose, der ab und zu ging, warf Blicke wie ein pedantischer alter Professor. Udo bekannte sich leidend, zeigte unverzagt auf seinen Homer und sagte: Das interessirt Dich eben nicht! Aber ich bewundere, wie man dergleichen in gereiftern Jahren ganz anders liest, 146 als auf der Schule! Als Secundaner quält man sich mit dem Text herum, es kommt eine Uebersetzung zu Stande, aber die Pedanterie, sagen wir das Pflichtgefühl der Lehrer, hält uns nur am Grammatikalischen fest; höchstens, daß uns die ochsenäugige Here etwas in die Debatte der Götterwelt einführt –
Ochsenäugige Here! griff Forbeck auf. Er hatte die Flasche bald leer. Ochsenäugige Here ist gut –! Er hatte die Bosheit, dabei auf seine eigene Mutter zu sticheln und zu verrathen, daß er dieser schon oft aus seinen Schulreminiscenzen den Beinamen gegeben hätte. Der Name war ja auch Ada im Geplauder mit Ottomar geläufig gewesen.
Und wie zieht mich das wieder in die Ferne! fuhr Graf Udo in wehmüthigem Tone fort. Ich sehe da wieder das blaue hellenische Meer! Die Welt der Schiffe! All die bunten Wimpel! Die auch für mich einst so zu fröhlicherem Hoffen und Wagen gewinkt haben! In Zelten habe auch ich auf so mancher einsamen Insel geruht! Eine Brisëis freilich, wie Achill, hatte ich nicht zur Seite. Der neue Secretär bei Prinz Rauden, mit dem wir jetzt ja wieder verkehren, tauschte neulich ähnliche Eindrücke mit mir aus. Was hört man denn von der Marloff? unterbrach sich der in Erinnerungen Verlorene.
147 Forbeck hielt schon die Flasche an’s dämmernde Licht, dankte jedoch für eine neue. Die Hochzeit hat immer noch nicht stattgefunden! sagte er sich den Bart trocknend. Wie ist das auch anders möglich in der schauderhaften Lage, in der wir uns mit der Rabe’schen Fabrik befinden. Die Commerzienräthin hat einen Fluch darauf zurückgelassen! Nur durch einen reinen Meineid kann ich Unglücklicher allenfalls noch durchkommen, wenn sich Wolny dazu versteht; wir müssen das Aeußerste versuchen! Solltest Du aber vielleicht – wendete er sich schmeichlerisch zu Udo und strich ihm die Haare –
Schwager! unterbrach ihn Udo fest und bestimmt. Du kennst unsre Verabredung! Wir reden nicht mehr vom Gelde! Aber – fuhr er begütigter fort. Die Cigarre hier ist besser! Die Deinige scheint keine Luft zu haben! Siehst Du – und nun lenkte er wieder auf seine Welt ein und wollte den Besuch mit den Gesetzen der Höflichkeit zwingen, am Homer ist die dramatische Kraft außerordentlich! Diese Macht der Reproduction, dieser Humor in den Erfindungen der Göttereinmischung, der uns zuweilen geradezu Offenbach im edlern Style zeigt! Ich will Rauden drüben auf eine musikalische Illustration des Anfangs der Iliade aufmerksam machen. Ich bin überzeugt, bei den Spielen der alten Griechen wurden diese Gesänge dramatisch mit 148 Gesang aufgeführt! Der Streit der Könige ist ja ein reines Drama und wurde ohne Zweifel dialogisch recitirt! Die epische Erzählung, die Alles verbindet, hatte einer der andern Sänger, der den weitern Fortgang vermittelte. Rauden hat da einen Operntext! Die Tante wird glücklich sein, ihn darauf hin herüberzurufen!
Glücklich sein? entgegnete Forbeck zerstreut. Dieser Mensch ist so undankbar, daß er Alles verleugnet. Die Tante Gräfin weiß jetzt, höre ich, von der Edwina, redet aber nicht darüber. Du wirst es wissen. Früge sie Rauden nach ihr und warum er sie nicht geheirathet hätte – er hätte es damals noch mit Anstand gekonnt – er würde sich besinnen, ob er sie je gekannt hätte. Er hat nur Sinn für ein paar Sängerinnen, die seine Lieder abplärren. Uebrigens, wandte er sich zu Udo zurück, werde Hoftheaterintendant! Ich sage das ohne alle Ironie. Die Leute, die jetzt am Theater regiren, haben Ideenmangel! Neulich las ich, es bettelte Jemand in Wien die „Gründer“ seines Theaters förmlich um „neue Ideen“ an!
Er schenkte sich den Rest der Flasche ein, verbat sich aber wiederholt die zweite.
Die Gründer! Wieder entließ Forbeck seiner Brust einen tiefen Seufzer. Den Homer ehrfurchtsvoll in die Hand nehmend, flüsterte er: Schwager! 50,000 Thaler, und ich bin gerettet!
149 Graf Udo erhob sich aber. Er war in einer Stimmung, die ihm das ganze Leben verleidete. In einem Tone, den sein Schwager an ihm noch nicht kannte, fuhr er mit den Worten heraus: Quält mich nicht ewig, Ihr unerträglichen Bettler, die Ihr Euch in unsre Familie geschlichen habt! Es ist gradezu Alles geschehen, um Euch zufrieden zu stellen! Aber vom Zuchthause kann ich Dich nicht freimachen, wenn es nun einmal im Gesetzbuch für Dich vorgesehen ist. Die von mir wohldurchschaute, tiefverachtete Art, fuhr der aufs Höchste Entrüstete auf- und abgehend fort, wie Ihr alte Schulden auf die Verabredungen zu Adas Heirath zu übertragen verstandet, hat mich gradezu unfähig gemacht, irgend einer Rechnung zu trauen, die ich über Adas Bedürfnisse bekomme! Sind das adlige Manieren? Ist das adlige Conduite?
Forbeck zuckte über diese Anschuldigungen mitleidig die Achseln und sagte mit zurückgehaltener Bosheit: Mein sterbender Vater hätte sich nur Alles hübsch schriftlich geben lassen sollen!
Dann würdet Ihr anders gegen mich verfahren, rief der Graf empört. Das der Dank für die Treue, die ich der Tradition eingehalten habe!
Eine längere Pause trat ein.
Forbeck begann im scheinbar unbeleidigten Tone: Ich höre vom ungeheuern Ertrage Deiner Abholzungen.
150 Gieb mir Stromgefälle, Schleusen, Eisenbahnen! fiel der Graf ein, dann rentirt der Holzschlag! Die Rentnerei verzeichnet ungeheure Summen für die Conservirung des Bestehenden! Ich müßte dem Borkenkäfer gleichen, wenn ich den Wald in Masse zerstören wollte!
Die 30,000 Thaler für die Marloff kamen doch wie im Kartenspiel auf den Tisch, sagte Forbeck die Cigarre abstreichend. Er wußte, daß sein Schwager gern von dem verlorenen Mädchen hörte.
Udo schwieg über eine Erinnerung, die Ada sogar schon einmal gelegentlich als Motiv ihrer Abneigung gegen den Namen Treuenfels vor Gericht aussprechen zu wollen erklärt hatte.
Siehst Du denn das Fräulein Althing noch öfter? bohrte Forbeck unverzagt weiter und weiter.
Entweihe heilige Namen nicht! wallte der Graf auf. Alle Organe seiner Empfindung wurden durch den theuren Namen berührt.
Forbeck legte seine dritte Cigarre fort. Siehst Du, für die Marloff, die immer mehr sinkt, da hast Du Sympathie! flüsterte er jetzt mit Dringlichkeit. Die Althings kannst Du in Hochlinden Monate lang beherbergen! Da hast Du Sinn für Familienehre! Bist im Stande, auch die Marloff noch einmal herauszuziehen! 151 Aber ich Aermster, ich Elender! Ich kann stöhnen, jammern und – den Revolver als letzten Tröster an der Wand betrachten –
Das Alles hatte Graf Udo schon zu oft vernommen. Es ließ ihn kalt. Ein solcher Unmuth beherrschte ihn, daß er sich zur Wiederholung der Aeußerung aufschwingen konnte: Ihr seid durch einen Fluch in unsere Familie gedrungen!
Forbeck hatte nur Ehrgeiz, wenn ihm die Umstände für eine Herausstellung desselben passend erschienen. Jetzt ließ er sich im Geiste sozusagen ruhig prügeln.
Udo, begann er schleichend, sich dem Schwager vertraulich nähernd; Du nimmst jährlich 50,000 Thaler ein! Du kannst auch die Tante gewinnen! (Er bediente sich des gemeinen Wortes: breitschlagen!) Luzius ist zwar immer krank und verdrießlich, aber auf der Börse sind wir noch nicht ganz verloren. Du willst doch die Forbecks los sein! Gut, das steht fest! Mit Ada ist kein ird’scher Bund zu flechten! Das habe ich immer gesagt. Sie bedient sich der Nägel, wenn sie ihre Meinungen in Fractur schreibt. Dein Freund Althing hat freilich nur die sanfte Taube kennen gelernt. Ihr wollt auseinander! Stelle Ada nach dem Willen Deines Oheims sicher; hilf mir, und ich helfe Dir, Dein Ideal zu gewinnen –!
152 Der Graf horchte hoch auf. Er, der eben trauerte wie um den Zusammenbruch seines Lebens, hörte noch einmal ein solches, wie er ja wußte, ganz verlorenes Wort. Er seufzte nur –
Die Bildhauerstochter, fuhr Forbeck sich umsehend fort, ist Deine ganze Sehnsucht! Ich weiß es längst! Alle Welt hat es beobachtet! Die Dame ist ja auch reizend! Ein ganz anderes Genre als Ada! In Ada Alles spanisch und wild, da Alles altdeutsch, wie Gretchen! Göttlich schönes Haar! Goldblond! Ich will sie Dir erobern – auf mein Wort – aber mehr mußt Du dafür einsetzen, als einen Korb Champagner!
Ich – staune – das – zu hören! sagte der Graf.
Was ist denn da mehr zu thun, fuhr der Schwager fort, als zuzugreifen und ein kräftiges fait accompli zu schaffen!
So weit ging Udo nicht, den Schreibtisch zu öffnen und dem unsaubern Gast das von edler Frauenhand geschriebene Billet zu überreichen. Er sagte nur: Das ist abgethan, Lieber! Sie liebt mich nicht!
Sie liebt Dich nicht? nahm Forbeck des Grafen schmerzliche Rede ungläubig auf. Hahaha! Und kommt doch nach Hochlinden, um Ada auszustechen! Glaube doch an solche Widerspenstigkeiten nicht! Die Mutter 153 wird Dir was geschrieben haben, der Vater ist ein alter Phantast –! Die Geschichte ist ja auch bedenklich. Aber macht ernstliche Anstalten! Hurrah! Dann hast Du – wie gesagt – den Erfolg von selbst! Ein Wagen – drei, vier Vertraute. Ich mit Baron Buchheim, Graf Niederwald – wir Drei die Avantgarde! Du mit einem famosen Kerl – er heißt Mahlo – machst die Arrièregarde! Das Haus liegt im Park, das Mädchen lockt man ohne viel Umstände in der Dämmerung in’s Freie – ergreift sie – und nun in Teufels Namen fort damit! Du begrüßest sie sogleich als Tröster! Liegst vor ihren Füßen! Weinst! Schmeichelst! Aber nun heidi! Nach Hochlinden! Die Eltern müssen ja zuletzt Ja! sagen und sie natürlich selbst!
Heilloser Bube! erscholl es plötzlich hinter dem Grafen her, dem die Besinnung ganz vergangen war. Er hatte wohl die Thüre sich leise öffnen hören und auch beim Umwenden die Generalin in einem dunkelbraunen verbrämten Sammtkleide hereinschleichend erkannt, er war aber vollständig besinnungslos über den Vorschlag und die dafür verlangte Bezahlung. Die Lauscherin war die Frau, die in der That in diesem Augenblick die „ochsenäugige Here“ vorstellte. Was hast Du hier vor, Elender? Was räthst Du hier zum Untergang der Deinigen an? Ich falle aus den Wolken; denn ich habe Alles gehört! 154 Giebt es denn noch Religion, Tugend, Zucht und Anstand in der Welt!
Liebe Mama, ich bitte, mich nicht – wollte sie der Sohn unterbrechen. Du störst mich im Auseinandersetzen des Plans zu einer Novelle, die ich schreiben will. Von weiter war Nichts die Rede.
Ich bin keine Mutter von solcher Schwäche, wie die Deines Cumpans Rabe, den jetzt Gottes Blitzstrahl getroffen hat –! fuhr die Generalin fort. Die Gräfin Erlaucht hat Geistliche zu Tisch geladen, und solche Verruchtheiten werden hier gesprochen! Daß Sie das auch anhören! wandte sich die Wuthentbrannte an den Grafen.
Graf Udo war um seine Tante besorgt und rief erzürnt: Meine Ohren bekam ich mit meiner Geburt!
O, schweigen auch Sie, Herr Graf! fiel ihm die zornentflammte Frau in die Rede. Ihre Buhlschaft ist allerdings stadtbekannt! Ha! unterbrach sie sich, ich sehe schon, was auf Ihren Lippen brennt! Sie wollen sagen, Ada sei des gleichen Vergehens anzuklagen? Aber Ada wird sich herausreißen, sie wird sich finden. Sie hat noch nie etwas der Vernunft Widersprechendes gethan. Aber Sie, Sie sollten sich schämen, Herr Graf, den Brand der Eitelkeit in eine Bürgerstochter zu schleudern, in so eine armselige Person, die Sie mit falschen 155 Hoffnungen nähren, überhaupt ganz aus unsrer Sphäre herauszutreten –
Ihres Sohnes Sphäre! rief der Graf mit einem förmlich wonnig gefühlten Lachen.
Mutter! Mutter! wollte Forbeck beruhigen, Du solltest uns verlassen!
Graf Udo litt aber unter dem Thatbestand der schon empfangenen Ablehnung zu sehr, und ob ihn auch die Scham und der Schmerz zu Boden drückte, er wallte auf und sagte mit einem Blick auf die Thür: Was wagen Sie, Madame?
Dich verzehre das höllische Feuer! wandte sich die Mutter wieder dem Ohr des Sohnes zu. Wie Rabe, Dein edler Genosse, seine Mutter unter die Erde brachte, so willst Du es auch mit mir thun? Giebst hier Rathschläge zur Beschimpfung Deiner Familie? Verkaufst Deine eigne Schwester! Aus meinen Augen! Ich habe Dir lange genug meine mütterliche Geduld und Liebe zu Gute kommen lassen. Aber wollt Ihr mich rasend machen, mich aus meiner ehrenvollen Stellung, die Euer Vater auf dem Sterbebette mir für’s Leben noch hat sichern wollen – leider nicht schriftlich –! so rief die empörte Frau mit prosaischer Bedächtigkeit dazwischen – durch Euern Leichtsinn und Uebermuth hinaustreiben, so setzt Ihr mir das Messer 156 an die Kehle! Ich muß mich wehren wie gegen Räuber, Mörder –
Jetzt hörte man La Rose an der Thüre klinken, als wenn diese aufgestanden hätte. Er war gut dressirt im Dienen.
Mama! wollte Forbeck wieder auf seine Novelle zurückkehren.
Hinaus! Verlaß diese Stätte! rief die durch das Thürklinken etwas erschreckte Frau, deren Gesichtszüge sich verzerrt, deren Haarflechten sich verschoben hatten. Ich bin die Mutter der Gräfin, der Herrin des Hauses – – noch habe ich einige Rechte hier! Bald werde ich Dich leider überall verleugnen müssen –!
Dann dachte sie doch an die alte Gräfin und das Diner.
Den Verzweiflungsschmerz, daß ihre beiden Kinder, Ada und Udo, die Neigung verriethen, sich zu „encanailliren“, wie sie’s nannte, zog Forbeck in’s Lächerliche und empfahl sich, um nur Ruhe zu stiften, mit den Worten: Ich gebe den ganzen Plunder meines Adels für die Bezahlung meiner letzten Schneiderrechnung! Wir besprechen den Gegenstand ein andermal! blinzelte er dem Grafen zu und ging.
Die Generalin war wirklich wie eine Theater-Niobe. Aber mit aushaltenderer Kraft als die Commerzienräthin 157 Rabe. Sie hatte Nerven und Muskeln; sie würde allerdings auch der erzürnten Juno geglichen haben, die ja vor dem Speere des Achilles nicht zitterte.
Zum Grafen gewandt, sagte sie in weniger tragischer Art: Kinder, macht mir doch keine solche Geschichten! Geht doch nicht so unter die Atheisten und Demokraten!
Der hochgewachsene, von der Abendsonne beleuchtete Schwiegersohn machte grade den stattlichsten Effect.
Graf Udo kehrte ihr den Rücken, redete Nichts und ging mit der ihm eignen Vornehmheit seiner Haltung in ein Nebenzimmer.
So mußte denn die Generalin Dasjenige leisten, worin Weltton und Weltsitte so groß sind. Der ungeheuerste Schmerz, ihren Sohn von zwei Seiten, vom zurückgekehrten Doctor Wolny und von den Actionären, auf Betrug angeklagt zu sehen, ihn für fähig halten zu müssen, seinem Schwager eine gewaltsame Entführung der Bildhauertochter als fait accompli zur Scheidung gleichsam zu verkaufen, mußte niedergekämpft werden und sich in den Schein der holdseligsten Freundlichkeit verwandeln. Sie wollte denn doch die Dinereinladung bei der alten Gräfin nicht versäumen. Es waren zwar nur Geistliche zugegen, es handelte sich vielleicht nur um Vereinssachen, aber es war doch eine 158 zerstreuende Lebendigkeit drüben bei einer ehemaligen Prinzessin. Die Diener rannten, die Teller klapperten, die kräftigsten Fleischgerüche verbreiteten sich. Es zerstreute sie sogar selbst, die alte Dame mit Erzählung mancher Tagesbegebenheit zu unterhalten.
159 Siebentes Kapitel.#
Ein flackerndes, sich anmuthig schlängelndes Feuer brannte in einem ofenartig eingerichteten Kamin und verbreitete behagliche Wärme in dem Raume, wo sich Ada gegen „Gott und die Welt“ abzuschließen und zu behaupten gedachte, und in dieser wunderbaren magnetischen Abhängigkeit, in die sie, die geborne und – unerzogene Aristokratin, von einem „Demokraten“, wie die Mutter sagte, gerathen war.
Sie hatte sich einen Fauteuil in die Nähe des großen Fensters gezogen und sah mit Erstaunen, daß schon Schneeflocken fielen. So lange hatte die alte Erlaucht in Hochlinden ausgehalten! Sie war gealtert, sehr einsilbig zurückgekehrt! Alle ihre Geschenke gehörten diesmal nur dem Küchen- und Dienstpersonal. Sie hatte sich nur Ruhe erbeten und wollte auch ihren Thee in der Regel nur allein trinken. Nichts konnte indeß Ada lieber sein.
160 Das jeweilige Aufblitzen der dunkeln Augen Adas, das Aufspringen aus dem Fauteuil verrieth die heftige Arbeit des Geistes unter der kleinen weißen Stirn. Das Zimmer war nach allen Ausgängen hin geschlossen. Sie konnte sich fühlen wie ein Vogel in seinem Neste, den Kopf unter die Flügel gesteckt. Wie schön hatte sie sich und noch mit Hülfe der Mutter grade dies kleine, in den stattlichen, bildsäulengeschmückten, mit karyatidengetragenen Laternen erleuchteten Hofe gehende Gemach als ihr ständiges Wohnzimmer eingerichtet! Die Portièren und Teppiche waren alle im türkischen Geschmack. Der dunkle Ton der olivengrün bezogenen Möbel bildete mit dem Geist von Bagdad und Damaskus, der hier zu herrschen schien, ein harmonisches Ganze. Und sie selbst, die jugendliche, schlanke Gestalt der in ihrem Gedankenleben ganz wie verirrten jungen Frau, wie stand sie im schwarzen Sammetkleide in so schönem Zusammenhange mit einer Umgebung, die sie, einem sittlichen innern Impulse folgend – aufzugeben entschlossen war.
Unruhig zog sie sich in eine Gruppe Blattpflanzen zurück, wohlbesorgt, daß der bewegliche Fauteuil näher bei einem an ein zweites Fenster gerückten eleganten Schreibtisch von Ebenholz hielt, als dem Postament einer Nachbildung des schlafenden Mädchens von Canova aus der Villa Sommariva. Ach, wie hätte dies liebliche, im 161 Sitzen eingeschlummerte Kind mit den herabhängenden Haaren, ganz in Ruhestand versetzten Armmuskeln, dem gesenkten schönen Kopfe, dem ganzen Stillstand eines übermüdeten menschlichen Organismus auf sie wirken können. Da hatte sie das Bild der Ergebung in Alles. Aber davon war bei ihr keine Rede. Diese Einrichtung hier – vielleicht folgte ihr diese auch, wenn der Graf großmüthig war. Sie wußte, daß sie nach dem, was sie heute vorhatte, den Rubikon überschritt.
Sollte sie die silberne Klingel ergreifen, die sie mit der Welt außer mehreren Schellenzügen, die da im schönsten maurischen Dessin an der Wand hingen, in Verbindung erhielt? Sollte sie ihre Kammerzofe, die ständig mit ihren Garderobe-Interessen zu thun hatte, den Diener, der ihr allein gehörte, und den das ganze Haus vermittelnden La Rose etwa befragen, wie es draußen aussähe? Ob die Arche Noäh noch schwämme auf den Gewässern? Nirgendwo Land! Land! gerufen würde? Die Generalin noch da wäre? Ihr Bruder, der für sie gar nicht mehr existirte? Noch immer nicht der Herr Assessor Althing gekommen wäre?
O dieser Ottomar! Diese männliche Sprödigkeit! Diese trotzige Sittlichkeit! Ich muß ihn zu Allem, was mir doch nothwendig ist und auch sein geheimster Wunsch – denn er liebt mich – zwingen! Sie mochte mit dem 162 kleinen Fuß aufstampfen und sagen: Hatte ihm denn der Kuß, den ich ihm in der Einsiedelei auf die Lippen drückte, nicht mein ganzes Leben zur Verwahrung gegeben? Althing! Es war nicht Kälte, es war Empfindung, tiefster Schmerz, Liebe, als Du mir, Geliebtester, beim Abschied zuflüstertest: Ich besuche Sie niemals! So rechnet man nicht mit dem Himmel ab! So stiehlt man sich nicht von der Tafel der Götter! Mein Einziger! Was soll mir Dein: Es darf nicht sein! Finden Sie sich, liebe Gräfin! Die Verhältnisse werden Alles erleichtern! Haha! lachte sie und schlang ihre Arme in die Luft, glaubend, sie hielte Ottomar umfangen.
Welche Verhältnisse denn? konnte sie auch ruhiger für sich in ihrem selbstgeschaffenen Kerker ausrufen. Geldverhältnisse etwa? Pah, lieber Junge, ich kann darben! Glaub’ mir’s, ich kann in einer Dachstube wohnen! Ich schwöre Dir’s, der Kreisrichter von Inowraclaw soll mich niemals um Pasteten jammern hören! Erdbeeren, die Milch von einer treuen Kuh – so lebten auch die Sylvien und Miranden einer romantischen Zeit. Ihr haltet ja den Shakespeare so hoch. Sollte der seine Leute nicht richtig ernährt haben? Da lachte sie dann. Sie sah sich um. Was hatten diese Möbel nicht schon Alles belauscht! Da lagen die Bücher, die jener Gesellschaft angerühmt zu werden pflegen: „Was sich der Wald 163 erzählt“, „Was sich ein Sonnenstrahl erzählt“. Auch diese Umgebungen hätten erzählen können von den wilden Ausbrüchen der verzweifelnden Mutter und den trocknen Antworten der Tochter. Freilich waren die Ausbrüche jener nicht im Styl der hohen Tragödie. Bist Du verrückt? Das hatte schon La Rose vernommen und zum Gegenstand von Sprachstudien gemacht. Soll ich Dich unter Curatel stellen lassen? Den Menschen hier muß man die Criminalpolizei in’s Haus schicken! O diese nichtswürdige Reitstunde! lautete dann der regelmäßige Schmerzensschrei der neuen Niobe. Das war die erste Stufe der Emancipation und die Cavallerie von den Husaren –! Sie meinte wahrscheinlich Cavalcade – Alle fast hast Du schon damals malträtirt und ihnen gesagt: Sie vernachlässigen mich, Herr Lieutenant, weil Sie gehört haben, ich sei bereits verlobt! Und das ärgerte Dich! Als Du dann bei Steeple Chase beinahe den Hals brachst, erkundigten sich nur zwei Prinzen nach Deinem Befinden! Rede mir nicht dazwischen (so hätten die Möbel erzählen können), daß das geschehen, weil Vater General nur in Diensten gewesen beim Ausland, kein Geschulter aus dem Cadettenhause!
Ada wußte, daß die Psyche der schlummernden Künstlerschöpfung unter den Gummibäumen bezeugen konnte, daß sie, die Tochter, dann immer schwieg, daß 164 sie Nichts that, um die Mutter aus dem tragischen in den komischen Ton hinüber zu leiten. Die Generalin verfiel in diesen Ton zuweilen selbst, besonders, wenn sie über den Grafen bei Alledem ihre Glossen zu machen und besonders darüber zu spotten anfing, daß er sich an eine Bildhauertochter gehängt hätte. Ob man sich denn einbildete, daß sie selbst zu ihrem General von Forbeck je gepaßt hätte! sagte die aristokratische Dame. „Gezankt haben wir uns den ganzen Tag und uns dennoch sozusagen geliebt! Ich konnte die Stiefelwichse nicht ertragen, die er dem Bedienten für sein Schuhwerk zu nehmen befahl, und darüber haben wir uns eine Rheinreise verdorben! Er blieb bei seiner Wichse und ich blieb bei meinem: Ich kann die Stiefel nicht riechen!“ Die Generalin verlangte durchaus, jeder Mensch sollte sich den „Gemeinplatz“ – die Gänsefüße waren von Ada – angewöhnen, man könnte sich für Alles beherrschen. Sie hatte mit ihrem Sohne ein Beispiel der schlechtesten Erziehung aufgestellt und nannte sich in jeder Damenvereinssitzung eine geprüfte Menschenkennerin. Ihrem Seligen, erzählte sie, hätte sie regelmäßig denselben Aerger bereitet, nur um seine Empfindlichkeit dagegen abzustumpfen. „Ich setzte regelmäßig eingetrockneten Mostrich auf den Tisch. Wenn er dann die Büchse öffnen und sich sein Rindfleisch genießbarer machen wollte, fand er 165 immer dieselbe Bescheerung, worauf er auch Anfangs immer in denselben Lärm verfiel und Teller und Schüsseln entzwei schlug. Nachher lernte er sich beherrschen! Ich will Dich zum Dulder erziehen, Wilderich! sagte ich ruhig. Ich meine es christlich mit Dir! Der Mensch muß seine Leidenschaft bezähmen lernen! Was braucht man sich z. B. einzubilden, Jemanden zu lieben! Es ist eine reine Vorstellung, eine Idee, eine Verliebtheit in sich selbst!“ In Gegenwart des Grafen Udo ging die resolute Frau wohl gar bis zu dem Worte, es sei ein Zeichen des Weichlichen, Schwächlichen und sagte in ihrem aristokratischen Chauvinismus unter Anderm: Sie lieben doch Ihren König und Kaiser, ohne daß Sie irgend eine engere persönliche Beziehung zu ihm haben!
Dagegen stand für die junge Gräfin fest, daß Liebe ein Pflichtgebot aus einer ganz andern Welt sei. Sie hatte dabei keinen Haß auf den Grafen Udo. Nur Abneigung für das rein Persönliche, für den Mangel an Anziehung. Sie konnte ihn nicht stürmisch umarmen, nicht zu ihm sagen: Du, Du, mein Leben! Du mein Alles! Sie wünschte dem schönen, alle Welt durch seine Erscheinung, durch die Anmuth seines Auftretens bezaubernden Manne, der ihr jedoch zu passiv erschien, die volle Beglückung durch Ottomars Schwester. Sie dachte sich den Seelenbund von ihnen allen Vieren „himmlisch, göttlich“. Sie 166 schwärmte für diese „Quadrille“, wie sie es nannte, sie schwärmte, behauptete sie, für Helenen und hätte gern die Wünsche des Grafen gefördert. Eifersucht läge ihr ferne. Auch heute, wo sie den entscheidenden Schritt für’s Leben zu thun gedachte, wo sie Ottomars Schweigen nicht mehr ertragen zu können zeigen wollte, ihn selbst auf Sein oder Nichtsein mit ihrer Erklärung vielleicht zur Verzweiflung brachte, merkte ihr Spürsinn, daß der Graf eine tiefdüstre, fast kranke Physiognomie zeigte, schon den ganzen Tag über; sein Laufen im Park, sein Verweilen im Zimmer, die Annahme des Bruders sprachen dafür. Sie dachte: Der Arme hat Malheur mit Helenen! Könnte ihn doch etwas zerstreuen!
Ihres Mannes Thermometer war La Rose. Ließ dieser die Flügel hängen, so stand etwas beim Grafen unter Null. Lachte der Franzose, so war Alles nach Wunsch und in der Ordnung.
Schon um vier Uhr hatte der Franzose geklopft und in französischer Sprache berichtet: Die Theaterlogenbillets seien da! Der Graf hatte auf eine Opernloge für einige Tage in der Woche abonnirt. Heut grade war sein Tag.
Der Mann im schwarzen Frack, der in Lissabon Frau und Kinder wohlgeborgen wußte – „das große Erdbeben wird doch der gütige Herrgott nicht zu erneuern die Absicht haben“ –! konnte er gelegentlich äußern – 167 berichtete, die Generalin dinire bei Gräfin Excellenz, wolle aber nicht zum Thee bleiben –
Elle est en colère? sagte Ada.
Lange diplomatische Pause.
Mein Mann, scheint es, hat einen Kummer? Seit er neulich draußen bei den Althings war? Was fehlt ihm? Er soll doch die Opernbillets benutzen! Mit Mama –! Sie sehen die letzten Acte –! Beide zerstreuen sich!
Unser kluger Gesandtschaftskammerdiener übersah die schwebende Frage. Er war auch als gemäßigter Franzose weit lieber aggressiv, als vertheidigend. Muth fehlte ihm nicht. Er würde einen kühnen Schachzug gefördert haben, um Allen zu helfen. Im Grunde lag ihm nur daran: Wie bringst Du Deinen Grafen aus dieser unausstehlichen Stadt an den himmlischen Tajo zurück, in die Stadt der herrlichen Paläste, des anmuthigsten Auf und Ab unter Gärten und schönen Frauen und in der Ferne immer und immer das blaue mit Windeshauch sanft erfrischende Meer?
Der in allen Franzosen latente Dramatiker raunte ihm zu: Sag’ ihr: Der Graf hat einen traurigen Brief aus dem Park bekommen! Die junge Gräfin ist dann in der Stimmung, ihn zu trösten! Er wird dann an ihrem Halse weinen! Sie werden sich aussöhnen! Actschluß! Hervorruf! Brillante Einnahme und Tantième!
168 Der Landsmann der erfindungsreichen Scribes und Augiers schwieg aber. Er verfolgte nur seinen eignen Plan: Portugal!
Sagen Sie dem Grafen, ich bäte ihn dringend, er möchte doch Mama die Freude machen und sie mit in die Oper nehmen!
La Rose verbeugte sich und ging.
In der That, bald darauf fuhr der Wagen vor, in welchem die Generalin gekommen war (sie bediente sich, wenn auch auf vorherige Bestellung, sans façon immerfort der Equipage ihrer Tochter), und rollte ab. Ada hörte, daß Udo nach langem Besinnen mitgefahren war. Im letzten Acte der „Afrikanerin“ sah er noch sein eigenes langsames Dahinsterben unter einem Blüthenbaum mit tödtlichen Giftausströmungen.
Nach einer Weile blickte Ada in den Spiegel, ordnete ihre Toilette, verschloß, was sie nicht offen stehen lassen wollte, und ging über einen teppichbelegten kleinen Corridor in die Region des Grafen. Sie wollte erst sehen, ob Alles still war. Nur bei Gräfin-Tante hörte man das laute Sprechen der Geistlichen. Merkus liebte, wie alle Theologen, die religiöse Controverse, so gefahrvoll diese auch ist. Der Champagner ließ sie in der Constatirung der „Strauß’schen Irrthümer“ Alle einig sein.
169 Wieder fielen Schneeflocken, nur ein leichtes Vorspiel des Winters. Ein feuchter Nebel folgte. Ganz gelb sah die Luft aus. Schwer lag sie über Straße und Hof. Die Laternen waren kaum zu erkennen. Im Hofe war es nicht ganz so still, wie in dieser abgelegenen Diplomatenstraße selbst. Die Ställe lagen zwar weit ab, dem Park und dem Garten zu, aber sie waren in Bewegung gekommen. Ada dachte sich die Mutter in diesem Augenblick. Bei allem Herzeleid doch eine Loge in der Oper –! Eine Erhebung –! Adas gutes Herz sah mit Befriedigung „Mama“, wie diese ihre falschen Scheitel noch vor’m Spiegel im Foyer der Oper ordnete und wie sie dann voll Würde in die Loge trat und sich in den rothplüschnen Sessel warf und umsah, wer da und dort zugegen – –
La Rose war nicht mit in’s Theater gefahren. Die Logenschließer waren ihm alle jene ehemaligen Unteroffiziere, an denen es seinem geliebten Vaterlande so sehr mangelt und die 1870 so viel zur Unterwerfung desselben beigetragen haben.
Die junge Gräfin kehrte in ihr Zimmer zurück. Ihr Athem stockte. Das Herz klopfte. Sie öffnete ein Necessaire und entnahm demselben einige Visitenkarten. Diese steckte sie zu sich und sah sich noch einmal um. Sie betastete ihre Kleider und seufzte tief. Es war die Spannung, der zurückgehaltene Athem, der einmal wieder 170 seinen freien Lauf haben wollte. Noch ein Besinnen, dann zog sie ihre Kleider aus, nahm einen großen weiten Mantel, der sie ganz bedeckte, ging leise in die Zimmer ihres Mannes, öffnete dessen Garderobegemach, wo noch Alles von des Grafen vorhergegangener Toilette zum Theater ziemlich unordentlich durcheinander lag, riegelte von beiden Seiten die Thür zu und suchte in den verschiedenen großen gothisch geformten Schränken nach einem Paar lange nicht gebrauchten, schwerlich vermißten Pantalons, einem Ueberrock, einer Weste, die ihr paßten.
Mit glücklichem Griff wählte sie, was ihr in der That saß, wenn sie auch die Tragbänder, deren eine Collection anzutreffen war, fast bis zum Halse hinaufschnallen mußte.
Mit einem Riemen, den sie ebenfalls zu finden wußte, schnürte sie sich eine Taille, die nicht stutzerhafter herauskommen konnte. Die immer noch bedenklich bleibende Weite und Länge nach unten milderte sie durch Umbiegen und Aufstecken der Beinkleider mit Nadeln. Eine Weste, ein leichter Ueberzieher (sie rechnete auf ihren Pelzmantel) fanden sich nicht minder. Alles war in so reicher Auswahl vorhanden, daß der nach Hause kommende Gatte vom Fehlenden keine Ahnung haben konnte. Von einem allerdings nur kleinen und auf bestimmte Kopfgröße berechneten Hutlager wurde ein Exemplar annähernd über 171 das bereits vorgesehene Haarwuchsgestell gedrückt. Der Cylinder machte sich leidlich.
Nun fehlte nur noch Eines, die kecke trotzige Mannesstimme. Die Zuversicht und der Schein, da, wohin Ada gehen wollte, nicht aufzufallen –!
Sie mußte sich setzen, sich erst ausathmen.
Dann öffnete sie wieder die Thür. Alles war still. Man soupirte noch immer bei der alten Gräfin. Das oberkirchräthliche Christenthum war noch immer die Hauptsache in der Geschichte der Erde. Die Bedienung, die hin- und herlief, mit und ohne Schüsseln, berührte die Sphäre Adas nicht. Sie hatte einen weiten Pelz-Damenmantel über ihre ganze Erscheinung geschlungen.
Auch das gelang, daß sie nochmals in ihr Zimmer schlich, weil sie vergessen hatte, ihr Portemonnaie mit hinreichendem Gelde zu füllen. Nun aber ging sie, kecken Schritts, als Dame (sie hatte den Cylinder unter’m Mantel) aus dem Palais. Sie würde dem Portier, wenn dieser sie bemerkt hätte, gerufen haben: Ich habe eine Commission! Schon breitete sie im Palais selbst den Regenschirm aus. So sehr verbarg sie der Mantel.
Ihr glücklichen Armen, die Ihr nicht wißt, wie hoch Eure Freiheit zu schätzen! Jeden Eurer Einfälle, jede Unterbrechung der Regel Eures Vegetirens könnt Ihr ohne die mindeste Controle ausführen! Prinzen, 172 Prinzessinnen sind Sklaven gegen Euch! Je höher hinauf, desto mehr Hemmung der freien Bewegung! Friedrich der Große entfloh, um endlich Freiheit der Bewegung als Mensch zu gewinnen!
An der nächsten Straßenecke schon standen Fiaker. Röhrhofweg Nr. 15! Ein Gäßchen an einem freien Platze! Diese Adresse rief sie mit kräftiger gemachter Baßstimme, so daß der schlafende Kutscher aufwachte und sogleich Anstalt machte, dem blitzschnell in den „Klapperkasten“ (Saschas und Zerline Luzius’ Styl) springenden Wesen die gewünschte Fortbewegung allmälig zu verschaffen. Während noch Decken und Futtersäcke den Kutscher beschäftigten, vollendete Ada ihre geistige Metamorphose in einen Mann. Warum soll ich nicht rasen? sprach sie dabei zu sich selbst. Ich bin eben verliebt! Und er ist es auch, hat aber keine Courage! Die Freundschaft für Udo, die Furcht vor dem Vater und der große Bulldogg, öffentliche Meinung und Sittlichkeit genannt, bedrücken ihn! Ich will ihn frei machen! Was will er denn thun, wenn ich handle wie eine Dienstmagd, die sich aus verschmähter Liebe unter die Locomotive wirft! Die Menschen begreifen das Alles nicht und lachen! Was soll ich denn thun, wenn er nicht endlich kommt? Er ist doch mein Sein, mein Ich, mein Alles! Ohne seinen Athem, seine Worte gehe ich zu Grunde! Er 173 bessert, er hebt mich! Ich bin anders durch ihn! Was soll mir da Rücksicht, Moral? Laß die Pfarrer jetzt Pasteten essen bei der alten Gräfin! Das ist alles dummes Zeug in meiner Philosophie, die Ruhe haben will und vernünftig werden. Am jenseitigen Ufer da werde ich’s schon! Laßt mich nicht am gefährlichen Teiche herumsuchen, im unheimlichen Schilfe, sondern im glücklich frohen Leben drüben! Inowraclaw! Inowraclaw! Das summte sie lachend vor sich hin wie ein Holdrio.
Der Mann am jenseitigen Ufer des blühenden Lebens war glücklicherweise daheim. Ihr Götter, oder wer sonst die Welt regiert, nie bekamt ihr von einem Sterblichen einen innigeren Dankesblick! Es brennt nur eine einfache Studirlampe in seinem Zimmer. Acten liegen um ihn her, theils auf den Stühlen, theils auf dem alten verbrauchten Canapé. Vom auswärts eingenommenen Abendimbiß war Ottomar sofort wieder nach Hause und wieder an die Arbeit gegangen. Da gab es zu lesen, zu grübeln, bald diesen, bald jenen Band seiner bescheidenen Bibliothek, der Gesetzsammlungen, der Civil- und Criminalproceßordnungen nachzusehen und immer den eignen Verstand unter den Vorverstand Andrer zu beugen. Oft mußte er den letztern bewundern, manchmal staunen, was es für scharfsinnige Männer in der Welt giebt und gegeben hat; im Meisten ließ sich gar nicht 174 abweichen von dem schon Erforschten. Erst das geringere Wissen ist es, das unsere gegenwärtigen Juristen so neuerungssüchtig gemacht hat! sagte er sich oft. Zwang ihn eine Rechtsanschauung zum Nachgeben, so mußte er erst vollkommen überzeugt sein.
Stille herrscht ringsum. Von ferne hört man nur Wagenrauschen. Da hat ihm Helene manches Nützliche an Mappen ausgebreitet, andre Behälter mit schön gestickten Thüren aufgestellt, er greift eben darnach. Holls Geschenke aus Amerika waren originell. Stickereien der Indianer mit gefärbtem Stroh auf Holzrinde, das waren Deckel zu Portefeuilles, die er eben öffnet. Ach, auch Blumen, von Ada gepflückt, liegen darin verborgen. Wie sie ihn doch aufhalten! Wie sie Thränen in’s Auge locken! Er muß die Hände übereinander legen. Was wird sie nur von Dir denken? Kommst gar nicht! Der Graf kommt nicht! Schreibt freundliche Billets und schickt Cigarren und Bücher, Geschenke, die man annehmen kann, die sich nicht abweisen lassen. Er bleibt immer gut. Daß ihn Helene abgewiesen hatte, wußte der Bruder noch nicht einmal. Vom väterlichen Hause hatte er nur das letzte Lebenszeichen durch sein heutiges Nachtessen bekommen. Der Oberlehrer Dr. Wedde hatte ihm in der Restauration respectvoll des Vaters Aeußerungen über Unsterblichkeit berichtet. Das Jenseits sei verbürgt 175 durch den Individualismus in der Geschichte und in unserer Existenz. Dem grübelte Ottomar nach. Denn sein Wort: Außer Kreisrichter will ich noch ein Mensch werden! das er einst zu Ada gesprochen, beruhte auf ernster, sittlicher Wahrheit.
Da klopft es. Ottomar blickt kaum auf. Adas Stimme lag tief und war etwas rauh. Sie trat ein, schlug rasch hinter sich die Thür zu, und noch ehe Ottomar auf sein Herein! aufgestanden war und vom Papier den braunlockigen Kopf abgewendet hat, beleuchtet der grelle Lampenschimmer die lieblichen Züge der Gräfin Treuenfels.
Gott im Himmel! war Ottomars erster Ausruf.
Die Stimme versagte ihm.
Er konnte nicht weiter reden. Eine ganze Welt brach ihm zusammen.
Gewiß ist es ein schöner Ruhm um das, was Ihr die Tugend und die Sittlichkeit nennt. Aber Dich alten, grämlichen Schulpedanten im Pelzschlafrock mag ich nicht über dies Thema sprechen hören, oder Dich, der Du nur am Casinotischklatsch Dich erlabst und an der neuesten eben frisch angekommenen Zeitung! Auch Dich nicht, Du eitler Poet, „Stolz der Nation“ in der Reclame, der Du nur an Deinem Ruhm, an dessen Mehrung herumbosselst und Phantasie und überfliegende Stimmung nur für Deinen Geldsack hast! Warum seid Ihr so 176 sittlichkeitshochmüthig? Weil Ihr innerlich hohl, trocken, gewöhnlich, philisterhaft durch und durch seid! Ottomar urtheilte an sich nicht so. Sollte er aber jetzt den Höllenzwang Faustens nehmen und der als Mann gekleideten, geliebten, wie mit einem Blüthenregen voll Anmuth und Schalkhaftigkeit über ihn her sich beugenden Frau ihn entgegenhalten mit einem: Du sollst mich hören, noch stärker beschwören? Nein, selbst für den so streng erzogenen Ottomar, den ausgesprochenen Realisten, den Virtuosen der Selbstbeherrschung, den entrüsteten Bekämpfer der ihm vom Staatsanwalt Stracks zugeschickten, mit Beschlag belegten Bücher der Rabe’schen Fabrik, stand „sittliche Entrüstung“ jetzt nur in den Lehrbüchern der Moral, nicht unter’m Sternenzelt. Dort am nächtlichen Himmel herrschten andere Grundsätze und auch hier jetzt beim Schimmer seiner kleinen Petroleumlampe. Staunen, Erkennen, Erschrecken, Zusammenbrechen aller Bedenken. Es war das Werk einer einzigen Secunde – Ada! Sie wagen das –! Um Gotteswillen –! Wir sind ja verloren –! Alles Uebrige, was Merkus würde gepredigt haben, kam annähernd über Ottomars Lippen, auch was Papa Althing gesagt haben würde; aber es fand keinen Anklang – Ottomar lachte selbst vor Seligkeit, den holden Knaben zu umfangen. Ei was, sagte er, als ihm wieder ein Anflug von Reue kam, Papa kann sich manchmal zu 177 einer gewissen Größe aufschwingen. Besonders, wenn er an Italien und an seine eigne Jugend denkt! Die Situation war auch bei ihm manchmal stärker als die Ueberlegung!
Der reizende, lachende Jüngling wurde gefragt: Ist diese gewagte Tollheit nur für ein einziges Mal bestimmt, ober soll sie öfters wiederholt werden?
Rechnest Du schon wieder, Du ewiger Aufpostensteher? Bist wie eine Schildwacht, die immer nur rundum sieht! Denk’ doch jetzt rein an gar Nichts!
O ich weiß, ich weiß, sagte Ottomar, während ihm Ada auf dem Schooße saß, wir rennen in die wahnsinnigsten Dinge, nur um zu zeigen, daß wir nicht feige sind! Was wird nun aus unserm Leben, aus dieser Götterstunde herauskommen?
Ada lachte zu Allem. Ottomar war ein Opfer ihrer entfesselten Wildheit. Er wollte reden von einem Zurückgelenktwerden des Geschehenen in die übliche Ordnung, worauf Ada den Wächter auf dem Rathhausthurm, den Globus auf der Sternwarte anrief (man konnte Beide durch’s Fenster sehen), sie sollten sich doch des Vorfalls bemächtigen, ihn auskrähen, herumkugeln, entstellen, in die Morgenblätter bringen, in die Hofzeitung, in die Provinzialcorrespondenz, wohin sie wollten.
Unter Lachen ging alles Uebrige zu Grunde. Je mehr Widerspruch, desto mehr Wind, um den Blüthenbaum 178 zu schütteln. Reelle Hoffnungen über dies und das brachen noch zusammen. Ach! Auch der treffliche, so wohlmeinende Staatsanwalt mit allen seinen Berufungen auf Sitten-, Staats- und Polizeigesetze, die da auf dem Tische lagen, der gute Protector Ottomars, lag wie von Mahlo und seiner ganzen Bande geknebelt, vorläufig machtlos auf dem Tisch.
Die Geschichte, die natürlich ruchbar wird, ruinirt zuvörderst meine Carrière! seufzte Ottomar. Er sprach, wenn er den Mund frei hatte.
Ada sang: Inowraclaw! nach der Melodie: Nach Sevilla!
Ein Weib in Männerkleidern ist augenblicklich des männlichen Schutzes bedürftig! könnte man wohl sagen, fuhr er fort.
Nun hast Du Dein Erstens und Zweitens, und nun genug –! unterbrach Ada alles Sinnen und reuige Grübeln.
Zuletzt zog Ottomar sich an, nahm seinen Ueberzieher und begleitete den Wagehals nach Hause, was in einem Fiaker geschah, aus welchem Ada früher ausstieg, ehe sie am gräflichen Hôtel ankamen. Den weiten Mantel wieder um sich geschlagen ging sie, vom Portier als noch spät ausgewesene Herrin wohlerkannt, trotzig und keck in ihre Zimmer zurück.
179 Oben leuchtete ihr La Rose. Der Graf war noch im Theater. Die Pastoren waren entlassen. Gräfin Constanze war zur Ruhe. In einem matt erleuchteten Zimmer blinkte auf einer schneeweißen Tischdecke die Zurüstung zu einem kleinen Souper. Eine Hängelampe erleuchtete kaum die kleine Ecke des dazu nöthigen Tisches. Zwei Couverts, obgleich in der Regel nur eines benutzt wurde.
La Rose hielt sich auffallend lange beim Leuchten auf. Die Männertracht war zu verbergen, nur mußte man nicht zu genau hinsehen und forschen. La Rose forschte heute. Ganz gegen seine Gewohnheit.
Kundig aller Verhältnisse, aller Gegensätze, tiefer Menschenkenner, Erleichterer des Natürlichen, wie er sich dem Grafen zuerst empfohlen hatte, sagte der kluge Diplomat, der die hier nothwendige Formel der Lösung der Intrigue nur im gerichtlich Anstößigen finden konnte: Der gnädige Herr wird beim Nachhausekommen einen Rock in seiner Garderobe vermissen!
Ada stutzte denn doch. Sie faßte sich schnell, schwieg aber noch. So? sagte sie.
Auch ein Paar Pantalons fehlen! Darf ich ihm sagen, wer sie getragen hat? fuhr La Rose auf französisch fort.
Himmel und Erde standen nun auf dem Spiele. Sein oder Nichtsein. Sagte La Rose die Wahrheit, so 180 zwang den Grafen seine Ehre vor der Welt, sofort die Scheidung zu verlangen. Sie hatte es ja so gewollt und Ottomar hatte es ebenso aufgefaßt. Trotz Alledem stand die schöne schlanke Frau eine Weile blaß wie eine Statue. Dann sagte sie entschlossen: Oui, mon cher! Affirmez tout!
La Rose war so tief von dieser Antwort erschüttert, daß er das Taschentuch ergriff und sich die Augen wischte. Der Kopf fiel ihm wie machtlos auf die Brust. Endlich faßte er sich, schickte sich zum Gehen an und küßte beide Hände der Gräfin.
Sie verlieren einen guten Mann! sagte er mit zitternder Stimme. Aber – raffte er sich auf – wir kehren nach Portugal zurück! Die Luft dort bekommt ihm besser! Hier ist Nichts gut für ihn und Alles, Alles aus –
Ada horchte auf. Sie bezog die letzte Aeußerung auf Helene Althing.
Natürlich suchte sie sich am folgenden Morgen schon eine eigne Wohnung, ehe noch ihre Mutter eine Ahnung hatte, ehe noch ein Wort mit der alten Gräfin, am wenigsten mit Udo gewechselt war. Sie kam, als sie die Wohnung genommen, mit Dienstmännern, die einen Theil ihres Mobiliars tragen sollten, zurück. Da wechselte sie einige Worte mit dem Grafen, der noch im Bett lag, 181 durch die Thür. Der Graf wollte aufspringen, rasch Toilette machen. Sie wünschte ihm aber Ruhe, plauderte noch Einiges kurz und ging.
Daß er an dem Tage, wo ihm der Absagebrief Helenens geworden, Abends noch in die Oper hatte gehen können, konnte ihm Martha allenfalls vorhalten, wenn sie sich über die Grundzüge seines Charakters eingelassen hätte.
182 Achtes Kapitel.#
Freund, Freund, ich bin überglücklich, ich hatte selige Stunden, aber mein Streben wird dahin sein! Oder wie soll ich nun Alles ausgleichen zum gewöhnlichen Gange der Dinge! Zur leidenschaftlosen Beurtheilung meiner Person in der gewöhnlichen Welt! Und dann meine Familie! Meine Freunde! Viele sind darunter, die mir vielleicht ganz aufkündigen! Philisterismus und Frauenurtheil beherrschen ja die Welt!
So sprach sich Ottomar in den Armen Wolnys aus, dem er den Verlauf von dem märchenhaften Abende vorher wahrheitsgetreu erzählt hatte. Ich hatte keine Besinnung mehr! fuhr er fort. Ich sah nicht das blühende schöne junge Weib in meinem stillen Zimmer, ich fühlte es nur! Sie lag an meinem Herzen wie ein jüngerer Bruder – ich blickte kaum hin! Schalkheit, List, Uebermuth, Liebesgluth, Alles verband sich, daß man ein Laternenpfahl hätte sein müssen, wenn man, ich sage gradezu, nicht Mitleid mit dieser weiblichen 183 Hülflosigkeit gehabt und sie mit männlichem Kraftgefühl gehalten hätte!
Der vom Leben so hart geprüfte weißhaarige, aber rotwangige, ganz den Charakter eines kräftigen Vierzigers wiedergebende Wolny, nun zurückgekehrt aus der Fremde, ganz ein Mann der Rücksichtsnahme, so daß er sogar seiner Gabriele das richtige volle Trauerjahr wie nach dem Kalender eingehalten hatte, ermuthigte den jüngern Freund. Ich bin nicht der Mann des Zirkelmaßes, sagte er, wofür mich die Socialisten ausschreien! Bewahre Dir das Feuer deines Herzens, die heilige Flamme, die nur zu bald erlischt! Ich war vielleicht ein Thor, daß ich jahrelang gegen das Aufkommen meiner Gefühle gekämpft habe. Ein Gewissensmensch ist vielleicht nur ein Eitelkeitsmensch! Unter Umständen kann er sogar lächerlich erscheinen! Doch, lenkte er nach einem schmerzlichen Seufzer ein, nach Allem, was ich hörte, hatte ja der Graf sein Auge auf Helenen geworfen. Das wäre ja eine große Entlastung im Urtheil der Welt!
Wolny sah sich nach diesen Worten um. Er sprach vielleicht zu laut. Er hatte in einem der ersten Hôtels drei Zimmer genommen, die ihm für die Unterhaltung die völlige Sicherheit des mittleren, eines Eckzimmers, zu gewähren schienen. Das Hôtel war neu. Alles befand sich im elegantesten Zustande. Portièren, Tapeten, 184 weiße Oefen mit zierlichen Medaillons, schwellende Sophas und Rollstühle ringsum.
Wie gern wäre ich der gesunden Vernunft gefolgt! wehklagte Ottomar.
Nenne doch das Princip meines eingehaltenen Trauerjahres nicht correct! fiel der ältere Freund ein. Ich bin ein Pedant! Ja, ja! Ein Philologe! Nur Ehlerdt und seine Gesellschaft sollen das nicht sagen dürfen. Die sollen erst über den Strich der Pflicht schreiten, diese erfüllen und dann mögen sie den ungebundenen Genius leben lassen! Möglich, ich hätte Talent für unsern Ordensheiligen Serapion! Um ein Princip hätte ich diese und jene Kasteiung durchführen können! Um die erste glückliche Periode, die ich mit meiner dahingeschiedenen Gattin hatte, mochte ich diese nicht entweihen, nicht verschütten. Ist das nicht toll, ihr klugen Leute? Ich wollte einen Zeitabschnitt nicht sogleich einem neuen Glück opfern, nicht darnach lüstern gewesen erscheinen und nicht darum, daß ich mir sagte: Wer das Glück zu hastig genießt, stumpft sich gegen seinen Reiz ab, nein, wir müssen uns selbst allerlei Religion, allerlei Cultus schaffen, sonst sinkt der Mensch zum Vieh herab! Die Pfaffen leisten wahrhaftig zu wenig. Ein guter Schriftsteller kann jetzt mehr wirken, als ein ganzes Consistorium zusammengenommen!
185 Du sprichst all mein Denken und Trauern aus! sagte Ottomar, den Kopf aufstützend.
Was trauern! entgegnete Wolny, hier ist ja nur Freude! Eine Lebensaufgabe durchführen! Schwimmen gegen den Strom! Ich sogar bin im Stande, es noch einmal mit der Rabe’schen Fabrik zu wagen! Zu verbergen ist nun freilich Nichts. Dem Freunde Udo bist Du die erste Anzeige des Vertrauensbruches schuldig!
Ich werde trottoirkrank werden! sagte Ottomar. Er kannte diese Bezeichnung und verlor sich in die Rechtssätze, die bei einer Scheidung in Frage kommen. Ich sehe mit Entsetzen den ganzen gerichtlichen Hergang und den Ruin meiner Carrière, vorausgesetzt, daß ich nicht sofort heirathe!
Das wird sich Alles machen und soll mit unsern andern Hochzeiten einen harmonischen Zusammenklang geben! erwiderte Wolny lächelnd.
Mit unsern andern Hochzeiten? dachte Ottomar im Stillen, verlor sich aber mit seinen Gedanken in’s Grübeln.
An die Thüre wurde gepocht. Fürst Raudens Secretär trat herein, hinkend und an einem Stabe. Der gerngesehene Freund war im Begriff, sein Verhältniß zum Fürsten zu lösen und zu Schindlers Fabrik in ein näheres Verhältniß zu treten.
186 Ottomar war zu sehr in sein süßes Leid versunken, um aus sich selbst viel herauszugehen. Ada hatte ihm schon die Wohnung angezeigt, die sie auf’s Gerathewohl genommen. Wolny mit Holl allein lassend machte er sich auf den Weg zu seiner Angebeteten, zu dem bösen, lieben, herzigen Störenfried seines Lebens.
Die Wohnung, die Ada beim ersten Blick auf einen heraushängenden Zettel genommen, war nur klein, nur elegant im Gedankenreich der Vermietherin, in Wahrheit dürftig ausgestattet. Ada wußte aber schnell Geschmack in die kleine Existenz zu bringen. Alles, woran sie sich seit Jahren gewöhnt hatte und was ihr gehörte, wurde bei ihrer Rückkehr in das Palais zusammen gepackt und entführt. Sie breitete es nun mit behender Hand aus. Hier schmückte sie eine altmodische Etagère, dort einen Ofensims. Am Abend stutzte sie sogar das jugendfrische lockige Haar ihres eroberten Freundes mit einem silbernen Kamm so zurecht, wie sie ihn von jetzt an sehen wollte, denn sie hatte schon ihre ganze Pompadour-Einrichtung aufgestellt.
Von Udo habe ich in aller Güte Abschied genommen! berichtete sie schon am Morgen, von der alten Gräfin vorläufig noch nicht. Udo, erzählte sie, ist untröstlich, daß ihn Deine Schwester nicht liebt! Er sagte mir’s durch die Thür hindurch! Ich habe es immer 187 prophezeit und muß es bedauern. Sie würde mit ihm glücklich gewesen sein!
Ottomar zeigte einen schon vom Grafen empfangenen Brief.
Lieber Freund, hatte ihm dieser geschrieben, laß uns dem System der Natur treu bleiben! Ada hat schon so viele Prüfungen im Leben durchmachen müssen und es stehen ihr noch so viele durch ihren Bruder bevor, daß sie wohl verdient, in irgend etwas glücklich zu sein! Leider konnte ich ihr Nichts bieten, als bequemere Existenz. Aber schwungvolle Seelen, wie sie eine ist, legen keinen Werth darauf. Verurtheilen kann ich Dich nicht, da mich selbst die gleiche Schuld trifft. Vor der Welt trifft! Vor der Sonne des Tages! Laß uns ringen, das, was an unserm Verhältniß seltsam, neu ist, es uns als ganz in der Ordnung zu erhalten! Es gelingt gewiß. Wenn wir uns nur selbst achten! Ich trete wohl in die Diplomatie zurück. Gruß an Ada!
Bei Alledem blickte Ottomar düster.
Sei doch kein Grillenfänger! ermunterte Ada lächelnd. Wenn ich mich nach den Ansichten aller unserer – lebens – itzens und – witzens richten wollte, dann käme ich aus dem Elend des Herzens nicht heraus. Die Mutter und der Bruder scheinen noch gar Nichts zu 188 merken. Udo ist anständig, schloß sie, er wird uns auch Geld schicken –!
Das nimmermehr! rief Ottomar aufspringend. Ada, Ada, ewig diese bettelhafte Gesinnung! Dieser mangelnde Hochsinn im empfindlichsten Theile unserer Existenz!
Das verstehe ich gar nicht! Wenn nun Udo – wollte sie entgegnen.
Rede nicht weiter! Ich bitte Dich um Alles! Du verräthst den Geist, in dem Du erzogen bist –! Bettlergeist!
Brauchst ein hartes Wort! unterbrach ihn Ada. Aber ich will es hinnehmen –!
Es wird nicht das einzige Wort sein, das Du noch von mir zu hören bekommst! Bereite Dich darauf vor!
Nun war die Probe da. Sonst konnte Ada dergleichen nur mit den Krallen ihrer schöngepflegten weichen Hände erwidern. Es trat auch eine Pause ein. Aber im Gemüth der magnetisch Bezauberten, die durch den Mann, den sie liebte, nicht nur glücklich, sondern auch gut werden wollte, zog der Gewittersturm vorüber. Sie sagte nur ihr holdseliges altes Na ja! dann gab sie sich auf dem Sopha, von der Lampe beschienen, eine reizende Stellung. Recht gute Lehren! trällerte sie. Will mir’s merken! Ja mein Herr! Ja mein Herr! parodirte sie 189 singend aus dem Don Juan. Nach einigem Besinnen sagte sie: Du weißt ja, von Dir nehme ich Alles an, sogar Geld!
Ottomar umarmte sie mit Entzücken. Er sah, daß nicht die Spur von Groll über das von ihm gebrauchte harte Worte „bettelhaft“ zurückgeblieben war. Voll gläubigen Vertrauens ließ sie ihre großen blauen Augen wie einen Gegenspiegel der Augen des braunlockigen Freundes leuchten und sog förmlich sein Leben in das ihrige ein.
Unser höchster Stolz, sagte Ottomar, muß sein, leben können durch uns selbst! Erwerben und nicht mehr besitzen, als was wir erworben haben! Finden kann man freilich etwas! Dann muß man abgeben! Nicht gleich theilen, wie die Socialisten wollen; man muß geben, wo Hülfe nöthig ist. Tausend Dinge in der Welt rufen um Hülfe, Thatsachen des Geistes vor Allem –! O was wollt’ ich den Millionären für Steuern auferlegen –
Und den Hagestolzen? sagte Ada und spielte dabei mit Ottomars Portemonnaie, das sie ihm entwand, um aus dem ihrigen eine Rolle Goldstücke hineinzuschmuggeln.
Natürlich hinderte Ottomar den Streich. Aber sie hatte Gelegenheit zu sagen: Auf ein Jahr brauche ich Deine und Udos Hülfe nicht! Freilich müssen Mutter und Bruder für sich selbst sorgen –!
190 So plauderten sie über die ernste Sachlage Morgens bis zur Tischzeit, Abends bis tief in die Nacht. Aus dem Park herüber blieb von den Alten noch Alles still. Während der Scheidungsproceß schon eingeleitet war! Nicht von dem kränkelnden Luzius, sondern von einem andern frischern Rechtsanwalt, den Ottomar selbst vorgeschlagen. Der Graf schrieb wiederum: „Die Würfel sind gefallen, lieber Freund! Der Rubikon ist überschritten! Ich hatte eine Consultation und las die gerichtliche Eingabe. Wie war ich beschämt, da ich grade alle Anklagen, die ich stellte, selbst verdiente! Ich mühe mich nur noch, meine Niederlage zu verdecken! Noch einen Kummer habe ich. Was wir so sorgsam behüteten, das Geheimniß des Onkels Wilhelm – die Tante hat es doch erfahren. Denke Dir meinen Schmerz. Christliche Liebe hielt es für nothwendig, die Sonne des Tages auf eine Verirrung scheinen zu lassen, die so ganz in der Ordnung gewesen und nur durch unsre Vorurtheile verlästert werden konnte. Pfarrer Merkus hat der beschränkten Frau die Existenz der Marloff, ihren Ursprung, ihre seltsamen, mir vollständig unverfänglichen, attischen Abende mit dem Onkel, Alles, Alles erzählt! Und wie hat das Heldenstück gewirkt? Staune, Freund! Zur Vernunft sprechend, zur Versöhnung, zur Herzensgüte, denkst Du? Nein! So groß ist der Trotz auf diese zufällige 191 Gestaltung unserer Sitten, diese erträumte Weihe unserer Vorurtheile, die von schwatzhaften Philosophastern sittliche Weltordnung genannt wird, daß sie sich nicht sagt: Du warst ja alt, häßlich, als der Mann noch wie ein Jüngling fühlte! Nein, daß sie den Mann, den sie einst vergötterte, jetzt haßt! Zur Wirkung sogar der Eingenommenheit von ihrer fürstlichen Würde ist es gekommen! Alle Dienerschaft bekommt neue glänzende Livréen! Die Kutschen werden neu lackirt, manche wird verkauft und mit modernen vertauscht. Bei Hofe hat die dort ganz Vergessene sich ansagen lassen. Fürst Rauden, der unglückliche Compositeur, ist ihr drittes Wort und den alten Generalfeldzeugmeister stellt sie in Aussicht des Hierherkommens. Freund, daß ich nicht mit Dir plaudern, das Alles glossiren, die Thorheit der Welt belächeln kann! Ada würde gern zuhören! Würde uns dazu köstlichen Mokka bereiten! O was muß ich doch mein Unglück beklagen! Ist es wahr, Freund, daß Helene, die Unvergleichliche, den Amerikaner liebt? Einen Mann, der, ich sehe es, hinkt? Sähe mich nur Ada rasen vor Eifersucht, sie, die mir vorwirft, in meinem gesammten Naturell läge Diplomatie, würde schon an meine Thatkraft glauben. Ich könne Nichts schwer und Nichts leicht nehmen –! sagte sie in Neapel. Mir ist ein Blüthenreich verregnet! Der lustige Frühlingsfink 192 sang in dem Baume! O die schönen Tage von Hochlinden! Sage doch Ada, daß ich ihre Anweisung, ich sollte Alles, was ihr die Gerichte zusprechen dürften und ich freiwillig, ja mit Freuden gebe, der Mutter auszahlen, an sich thöricht finde, aber befolgen werde. Die Besuche unterbrechen – Condolationen tödten mich.“
Freiwillig erbot sich Wolny, dem Freunde in dieser ernsten Frage mit allen Mitteln zu Diensten zu stehen.
Der Zufall wollte es, daß sich die schwierige Frage: Wie gewinnt man den alten, so strengen Künstler da draußen im Park für die ungewöhnliche Sachlage und die andre: Was beginnt Ottomar, um sich der gehässigen Nachrede, der Herabsetzung seines Werthes durch eine rasche Aenderung seiner gegenwärtigen Stellung und Hoffnung auf Weiterbeförderung zu entziehen? bei einer einzigen Gelegenheit entschied. Jene auf glückliche, diese allerdings auf betrübende Art.
Der frohgemuthe joviale, Alles, soviel er konnte, zum Guten wendende Schindler, ein Lebenskünstler in seiner Art, der selbst bei Meinungsverschiedenheiten niemals den Menschen opferte, wie jetzt so oft geschieht, wollte bei einem Herrendiner, wie deren der gastfreie Junggesell öfter gab, die Adoption seines Sohnes, des amerikanischen Schiffshauptmanns a. D., Gustav Holl, feierlich aussprechen, ja sogar durch eine Urkunde festlich 193 bezeugen. Da sich Schindler bei Wolny anheischig gemacht hatte, auch bei dieser Gelegenheit den alten Althing, seinen Serapionsbruder, bekannt zu machen mit der dem Professor und seiner Familie noch ganz neuen Begebenheit mit der Gräfin Treuenfels und das erste Aufbrausen sozusagen niederzuschlagen, so durften selbstverständlich nur die vollen Intimitäten des Kreises von Freunden zugezogen werden. Es waren beide Althings, Gustav Holl, Luzius, der leider zu großer Betrübniß des Gastgebers kurz vor Beginn des Servirens wegen Unwohlseins absagen ließ, Wolny geladen.
Schindler hatte alle Berechtigung, sich eine große Macht der Rede, der überzeugenden, besser gesagt, der überrumpelnden Beweisführung zuzutrauen. Er hoffte, es würde gehen, wie damals mit dem aufgeregten Schiffscapitän! Welche Ruhe hatte er damals bewiesen bei der Aussicht, es mit einem Wüthenden zu thun zu haben! Welche sichre Ansprache, die dem Anstürmenden Vernunft, Verzeihung, Herzensgüte in Mitleidenschaft brachte! Ja, hatte er damals gesagt, als er in einem eleganten Wagen mit dem sprachlos gewordenen Capitän nach Hause gefahren war und im Nu (seine Befehle wußte er durchzuführen) in einem erleuchteten, behaglichen, erwärmten Cabinet sich mit ihm allein befand, ja, jetzt lassen Sie uns Alles noch einmal in Ruhe erörtern! Dabei züngelte die 194 Flamme im Ofen, brannten die milchweißen Gasglaskugeln im Zimmer, über einer Spiritusflamme stand eine Theemaschine. Es galt die Bereitung eines an Amerika erinnernden Sherry-Punsches. Bester, fuhr er in dem stillgelegenen unbelauschten Zimmer fort, ist denn das nicht gradezu ein Wunder, daß Sie mich, den Sie wie eine Stecknadel suchten, bei dem Manne antrafen, der Ihnen im Suchen helfen sollte? Ist denn ein solches Wunder schon an sich nicht werth, daß man alle: Hätte nicht – und Wäre doch – und dergleichen schöne, nach zwanzig Jahren verjährte Klagen über Bord wirft und sich einfach an die Thatsache hält: Was für ein prächtiger Kerl ist aus Ihnen geworden! Lassen Sie doch den Alten da im Hospital grau werden, wenn er’s nicht schon ist, und grämeln – ich habe die Aufsicht über solche Spitäler, die uns einige brave reiche Bürger gegründet haben – und ich werde auch etwas dergleichen hinterlassen – aber die Leute da kommen nicht aus ihren gewohnten Ideengängen heraus. Das grämliche Alter wählt sich immer denselben Weg und redet nicht gern mehr als grade nöthig ist. Lassen Sie den Steckbrief in dem Amtsblatt, das in hundert Butterkellern verbraucht ist, ruhig vermodern! Auf der königlichen Bibliothek wird noch ein Exemplar zu finden sein. Sonst herrscht ja eine wahre Makulirungswuth bei allen 195 Behörden! Des Geschreibsels wird in den Aemtern zu viel, und die Castellane haben so wenig Ehrfurcht vor geschriebener oder gedruckter Literatur, daß die Einstampfung, die man von unsern erhabensten Gegenwärtigkeiten schon in so kurzer Frist anstellt, wahrhaft erschreckend um sich greift! Alle Hagel, unterbrach sich der joviale Plauderer, der den Hörer lachen machte und dabei die Eier zerschlug, die ihm ein alter Diener in einem silbernen Körbchen brachte (sie sollten zum Punsch kommen), ja Ihr Leben ist wunderbar interessant! Und waren Sie denn auch in China?
Und nun ließ der Schlaue Holl erzählen und horchte dabei so auf den Charakter, der sich in den Worten des Mannes kund gab, daß er in der That eine auf der See bewahrte naive Frische, eine unbefangene und jedes Vertrauens würdige Natur herauserkannte. Dann trat ihnen Beiden Amerikas furchtbarer Kampf entgegen, Lincolns tragischer Tod, der läuternde Einfluß eines so erschütternden Ereignisses auf die Gemüther, die doch eher nur den Gewinnsuchtsfragen gewohnheitsgemäß zugewandt sind. Schindler kannte die unbewußte Verwechslung, daß jemand, den man viel reden läßt, dann, wenn er geht, glaubt auf die angenehmste Art von dem Andern unterhalten zu sein. So schließen wir eine echte, dauernde Freundschaft! Mit diesen Worten endete eine 196 Unterhaltung, die bis Mitternacht gewährt hatte, wo der Secretär des Fürsten in der Equipage des Fabrikanten wieder in seine Wohnung befördert wurde. Ich habe ja einst wirklich für Ihr Fortkommen gewirkt, sagte er noch, habe Ihre Wünsche, die Ihnen die liebsten waren, befriedigt; was hinter Ihnen blieb, ist verdorben und gestorben. Auch mein armer reuevoller Freund, den ich rettete! Er ist todt! Die Stellung bei dem wunderlichen Musikprinzen wird Sie nicht lange fesseln! Mein Wirkungskreis bietet Ihnen bessere Chancen. Und wenn wir uns verstehen, schloß er schon damals, so sind Sie mein Sohn und Erbe. Sie werden an meinem Grabe nicht lachen und schmunzeln, wie wohl einige entfernte Verwandte thun könnten, die sich mit der Hoffnung schmeicheln, einst Alles zu bekommen!
Und nicht nur Waffenstillstand, sondern vollständiger Friede wurde zwischen Beiden geschlossen. Das, was dabei nicht aufging, suchten sie mit der Zeit als reines Gedankenthema festzuhalten. Ottomar sprach oft vom „Kampf um’s Recht“, und Wolnys Leben bot die schlagendsten Beispiele sowohl für die Anwendung, wie für die Enthaltung vom ewigen Rechtsuchen.
Ob nun derselbe jähe Ueberfall mit dem alten Bildhauer heute gelingen würde, stand freilich dahin. Ottomar bezweifelte es und prophezeite eine schlimme Scene, die 197 den behaglichen Mittag sehr stören würde. Alle Andern hofften das Gegentheil, am meisten Schindler, obschon dieser nach dem Billet des Justizraths erst langsam seine gute Stimmung wiederfand.
Es war eine Brücke da, über welche der alte Althing mit einem wonnigen Gefühle der Sicherheit und Hoffnung geführt werden konnte. Die Glückwünsche und das Anklingen der Gläser hatten nicht nur Wolnys bevorstehender Hochzeit gegolten, nicht nur der Adoption, die nur das Bekannte bestätigte; Schindler sagte auch: Und wenn dann erst der Uebergang eines abenteuerreichen, aber in der Wolle gefärbten – man lachte; weil ein Färber sprach – nein, verbesserte sich der Redner, eines Waterproof-Lebens – man muß auch andre Gewerbe leben lassen! schaltete er ein – wenn erst dieser Uebergang, sage ich, aus dem musikalischen Zukunftszauberkreise in die des Indigo und Krapp, des Anilin und Alizarin vollzogen sein wird, dann begiebt sich noch vielleicht ein andres Etwas, von dem, wie den großen Geistern, nach Schiller oder Jean Paul, ihre Schatten vorausgehen und Manches erst ahnen lassen, wenn man so unter den Bäumen gewisser langer Alleen die holde Namensschwester der Veranlasserin des trojanischen Krieges mit meinem – Sohne conspiriren sieht, wie man es wohl anfängt, um mehreren alten Leuten die 198 Tage, die uns nicht gefallen wollen, zu versüßen, zu verkürzen –
Was –? lag auf Althings gefurchtem Antlitz.
Wolnys heiteres Lachen sollte Holls Verlegenheit decken. Auch Ottomar, vollends aber der Vater blickten verlegen, so daß Schindler rasch mit der bekannten Serapionsbrüder-Reminiscenz, der Sonne der Nacht, einfiel, Egypten das Land der Pyramiden, der leichtsinnigen Staatsschulden und der Sphinxräthsel nannte und durch seine Uebergänge bald auf Krokodile, bald wieder auf geheimnißvolle Hieroglyphen einen solchen Jubel weckte, daß Holl aufsprang und rief:
Ich gebe die freudige offene Erklärung, daß ich glauben würde, die Krone meines Lebens gewonnen zu haben, wenn mir gelingen sollte, Fräulein Helene Althings Hand zu erobern! Sie sagte mir gestern, was alle junge Damen in gewissen Fällen zu thun pflegen, sie aber mit einem Zauber und einer Demuth wie keine: Sprechen Sie mit meinen Eltern!
Da war denn das Zeichen zum Victoriaschießen gefallen. Schindler konnte sofort rufen: Aber alle drei Hochzeiten an einem Tage!
Nun stutzte wieder der alte Bildhauer, den die endliche Ankunft seines geliebten Kindes an dem Ziele aller geheimen Mädchensehnsucht zu Thränen rührte, und der eben 199 Holl die Hand gereicht hatte, bei dem „alle drei?“ Sie haben doch nicht gar von der Ihrigen gesprochen? setzte er hinzu.
Ja, haben Sie denn nicht ordentlich zugehört? polterte Schindler. Wetter, wozu habe ich denn die lange Rede gehalten? Wolny, Ottomar Althing und Capitän Holl –?
Ottomar? fragte der Alte staunend.
Nun natürlich! Mit der Gräfin Treuenfels! pointirte Schindler wie gleichsam ärgerlich, daß das überhört worden wäre. Alles ist abgemacht!
Tiefe ängstliche Stille herrschte nun um den weißen Tisch. Die Bedienung war schon lange nicht mehr zugegen. Man sah das Meer noch in voller Ruhe und plötzlich konnte der greise Neptun auftauchen und es in seinen Grundtiefen aufwühlen. Schon sah man den mächtigen Dreizack, der Alles in wogendes Gebrause verwandeln konnte, in des Vaters Hand. Vorläufig war’s eine Gabel.
Aber leise sprach der Alte ein ironisches: Ottomar speculirt wohl auf Plümickes noch offne Stelle in meinem Atelier? Dann brummte er Unverständliches und war im Begriff aufzustehen und sich zu entfernen.
Aber Schindler hielt ihn fest.
Das Leben ist ein großer, runder Laib Brot, rief der joviale Vermittler, frisch aus dem Backofen gezogen, Alter! Man schneidet ihn an, gleichviel wo!
200 Aha? sagte Althing, halb sitzend, halb stehend. Ich dulde auf meinem Tische nur altbackne Waare!
Die Erwählte hat ihn erwählt, er nicht sie! vermittelte auch Wolny. Aber er hat sie festgehalten, festhalten müssen mit feurigen Liebesarmen! Noch müssen sie über Dornen und Hindernisse, Gericht und Sühneversuch –
Der Alte ließ vor Schmerz die Gabel fallen und schlug die Hände über’m Kopf zusammen.
Alles noch alter Schutt, erklärte Schindler, wie er eben bei abgerissenen Häusern, wo sich neue Paläste erheben sollen, vorkommt.
Im Vater erwachte ein Bild der Erinnerung an – die schöne Reiterin – an den holdseligen Gruß – das abgerissene Palais – das Ritzen am Kirschlorbeer – er legte den Kopf auf den Tisch. Sein ganzes Leben ging in diesem Augenblick an ihm vorüber, sein eignes Ringen und Streben. Dann erleichterte freilich die Erinnerung an die Werbung des Grafen Alles. Erstreckte sich auch die sittliche Anschauung des Alten in ganzer Ausdehnung bis an die Grenze des vielleicht nur poetisch Erlaubten – und nur problematischen „Warum denn nicht auch im Leben Durchgeführten?“ – so schien doch das nun einmal Thatsächliche zu siegen. Ottomar sprang auf und umarmte den Vater, der zuletzt nur noch ton- und machtlos sprach: Du ruinirst Dir Ruf und Carrière!
201 Aber Schindler polterte, was denn Ottomar hätte thun sollen, als sich die Gräfin in Mannskleidern zu ihm setzte und statt die Rechte „vom Rechten“ mit ihm studiren wollte?
Gott im Himmel! schlug der Vater die Hände zusammen. Aber seine weißen Locken lagen dann doch auf den Schultern des Sohnes.
Alle standen jetzt mit ihren Gläsern auf und beglückwünschten einander. Fünf erprobte deutsche Männer, Kernnaturen, Jeder fest und bewährt in seiner Art! Schindler trotz eines aus wohlmeinender Absicht gespielten Jugendstreiches wie aus Eichenholz geschnitten, charakterfest! Wolny, der Vielgeprüfte, der Mann der sittlichen Selbstbeherrschung, der Gesetzgebung, der wir aus freiem Triebe gehorchen; sein in Amerika gefundener Freund Holl, der ein Spielball des Geschicks, jetzt ein Günstling Fortunens geworden durch die „Glückliche Mary“; – der alte Bildhauer, sein aufstrebender Sohn – fünf Männer der Wahrheit, der Treue, der Gerechtigkeit, der Liebe –! Wie klagte Ottomar, daß unter ihnen Graf Udo fehlte!
Wolny sagte: Unser Leben ist meist die Verarbeitung irgend einer Thorheit in’s Vernünftige! Aus dem täglichen Vergnügungskalender wird unser Dasein nicht zusammengesetzt!
202 Allmälig traten Helene und Holl in den Vordergrund des Gesprächs.
Sieh’, sieh’, die Heuchlerin! sagte der alte Althing. Hat sie uns wohl verrathen, daß sie schon soweit mit Ihnen gewesen!
Der Vater zog die schönen Köpfe der jungen Männer mit den plastischen Zügen, den seelenvollen Augen, den schönen klaren, nur an der Nasenwurzel schon zu bleibenden Furchen sich neigenden Stirnhäuten seiner beiden Söhne zu sich herüber, streichelte jeden und sprach: Es ist doch unser eignes Selbst, was uns so mit Sohnes- und Schwiegersohnes-Augen ansieht! Wir umarmen, wir küssen uns selbst! Aber – er drückte seine Küsse auf die Stirnen – Gott, den ich noch bei mir nicht abgesetzt habe, erhalte Euch!
Nun würde dieser Tag bis tief in den Abend hinein aufs Heiterste in dem kleinen Kreise verlaufen sein, wenn nicht gegen neun Uhr eine Schreckenskunde angekommen wäre, die der alte Raschke, Luzius’ vertrautester Diener, erst dem herausgerufenen Gastgeber unter Thränen mittheilte. Dann erfuhren das Traurige Alle. Der Justizrath hatte sich erhängt.
Aus Schmerz um ein liebloses Weib, um lieblose Kinder! rief Schindler mit vollster Ueberzeugung. Aus Schmerz über ein verfehltes Leben, ein mühevolles, 203 pflichtentreues, ewig unbelohntes! Nur Andern gehörte es! O, immer nur arbeiten, immer nur Geld schaffen, niemals zärtlicher Dank, niemals sanfte gütige, fürsorgliche Liebe, Alles ein ewiges Muß! Muß! Gieb! Gieb! O, das läßt die Waagschale im Urtheil hoch, hoch für ihn steigen! Du Aermster! Du Aermster!
Man mußte den Weinenden trösten. Bei Alledem hatte der treue Freund schon den Ueberrock angezogen. Alle Andern brachen auf.
Sein Wagen mußte angespannt werden. Ottomar sollte ihn begleiten.
Jetzt bekommen Sie eine Anstellung, die Sie vorläufig vom Staate frei macht, sagte er zu diesem, denn wer anders, als ich, kann sich der Familie annehmen! Luzius hinterläßt kein Vermögen! Seine Geschäfte müssen abgewickelt werden! Das geht langsam! Ich bin Nachlaßverwalter! Das war gegenseitig abgemacht! Ich übertrage Alles Ihnen und erwarte, daß Sie nicht unter jährlich 2000 Thaler für sich liquidiren – Das dauert drei Jahre! Bis dahin ist die Advokatur freigegeben!
Ottomar, auf’s Tiefste erschüttert, begleitete Schindler im Wagen an den Schreckensort, in die Arbeitsstube, wo Raschke den Unglücklichen an einem der höchsten und festesten seiner Riegel aufgehängt gefunden hatte. Alle Wieder-204belebungsversuche der auf einem Sopha ausgestreckten Leiche waren vergebens. Daß sich der Unglückliche selbst den Tod gegeben, ersah man aus einem auf dem Tisch liegenden Zettel, worin er – sogar, mit bitterm Humor, ein Protokoll über seinen eigenen Tod aufgenommen hatte und im Uebrigen Alles an Schindler verwies.
Holl hatte wärmsten, unbefangensten Antheil gezeigt. Nicht im Entferntesten trat eine Spur von Verdacht, daß der traurige Vorfall doch mit seinem eignen Leben zusammenhängen mochte, an ihn heran.
Die Familie des Selbstmörders, die grade in irgend einem Theater war – man wußte nicht in welchem – war noch nicht unterrichtet. Nur die alte Schwiegermutter des Justizraths war zugegen, schien zwar außer sich, zankte aber doch, daß man sie geweckt und ihr die schreckliche Begebenheit nicht lieber erst am folgenden Morgen mitgetheilt hatte. Ja, ja! hatte Luzius oft gesagt, wozu ist man in der Welt –!
Schindler, der mit Ottomar Alles zuschloß, die Leiche entkleidete, einen Arzt, die Bezirkspolizei herbeirufen ließ, sprach ebenfalls vor sich hin: Ist es denn möglich, daß wir ein Opfer der Trottoirkrankheit haben? Er hat seit Holls Wiedererscheinen geglaubt, die ganze Welt deute mit Fingern auf ihn – –!
205 Neuntes Kapitel.#
Das war denn wohl ein trüber Montag, der nächste bei den Serapionsbrüdern! Tags zuvor hatten sich fast alle ständigen Gäste des grünen Tisches im Trauerhause eingefunden, um den, wie man sagte, in plötzliche Melancholie und Geistesstörung verfallenen Freund zur Ruhe zu geleiten.
Die Reden im Hause und am Grabe hielt sonderbarerweise der nun wirklich in die Stadt versetzte Merkus, dem das Viertel von der Bäckerstraße zugefallen war. Die Rede war, wie diese Reden zumeist gehalten werden. Sie paßte wie die Faust auf’s Auge. Das Wort der Milde, Schonung, Anerkennung fehlte an sich nicht, aber von dem eigentlichen Menschen kam keine Spur zur näheren Bezeichnung. Von diesem hätte auch nur Schindler ein Bild geben können.
Und doch gab Merkus einen auffallenden Beweis von Freimuth. Er hielt es trotz seiner Orthodoxie für nützlich, hierorts Freimaurer zu sein und warb für diesen 206 Zweck um Stimmen. Da hielt er denn doch eine kluge Mitte und gab am Montag Veranlassung, von seiner doppelsinnigen Rede zu sprechen. Man gab es Weigeln anzuhören, wie dieser wohl merkte. Bei einem Phantasiekranken, einem im Fieber Alleingelassenen, einem Unzurechnungsfähigen kann man nicht von Selbstmord sprechen, hatte das Presbyterium und der Pfarrer angenommen. Der allverehrte Sonderling hatte seine Kanzlei, die ihm anvertrauten Gelder (auch alle Quittungen Edwinens über die ihr ausbezahlten Depositen) in bester Ordnung hinterlassen. Aber Merkus verurtheilte gleichsam nur den Geist der Serapionsbrüderschaft. Er deutete die Schwankungen in den Alternativen Christus oder Belial an, bezog diese jedoch mehr auf den Zeitgeist im Allgemeinen, als auf den vorliegenden persönlichen Fall.
Etwaige Herabsetzungen durch die Zeitungen, sagte Weigel bei Alledem von seinem Schulfreunde, werden Merkus grade recht kommen! Sie nützen bei denen, die solchen Muth, den starken, selbstgenügsamen Geistern des Tages zu trotzen, anerkennen und belohnen! Wir studirten zusammen und borgten uns zuweilen die Dinte zu unseren Dintenstechern. Weiter ist die Freundschaft zwischen uns nicht gegangen!
Ueber die Frau und die Töchter kam die merkwürdige Mittheilung, daß sie sich erstens schon am Abend des 207 schreckhaften Erlebnisses vorzugsweise mit ihrer Trauergarderobe beschäftigt hätten und zweitens über den Todten empört seien, weil derselbe Nichts hinterlassen habe, als seine Clienten. Mein Capital bin ich! hatte er den Seinen oft zur Warnung gesagt. Außer einer bescheidenen Lebensversicherung war nichts als Schindlers Beistand übrig geblieben. Die Gerichte setzten ihn als Nachlaßverwalter ein.
Das Erste, was man als Wittwe nach einem Todesfalle des Mannes zu thun hat, sagte mit auffallender Sachkenntniß Triesel, der doch Junggesell war, ist die Veräußerung des gesammten Hausraths! Alle Möbel, die man bisher so lieb gewonnen, alle Sophas, das Piano sogar – fort damit! Nicht, daß sie Platz einnehmen, nein, der Platz schreibt uns die Regel der Ausfüllung vor! Habe ich eine große Wohnung auszufüllen, so werde ich auch die großen Maßstäbe und Pläne nicht los! Um mich an die nothwendige Beschränkung meiner Existenz zu gewöhnen, dient der kleinere Hausrath! Die meisten Wittwen ruiniren sich durch das Herumschleppen ihrer alten Erinnerungen! Zuletzt wollen sie noch Material daraus bilden zum Vermiethen. Und dann geht es erst gar bergab. Wir Junggesellen haben manche Erfahrungen vom Leben!
208 Man konnte denn doch wieder ein wenig lächeln. Der Morgen war reich an praktischen, zuweilen moralisirenden Bemerkungen. Die Geschichte mit der Gräfin Treuenfels war nunmehr stadtbekannt und wurde in mancherlei Sinne, im unwohlwollendsten „innerhalb der Gesellschaft“, beurtheilt. Man wußte auch, daß Schindler die Familie Luzius gezwungen hatte, die ganze Abwicklung der von Luzius übernommenen Geschäfte Ottomar zu übertragen. Dieterici, Vogler! hatten zwar die Mädchen gerufen, aber Schindler bestand auf seinem Willen. Ottomar nahm Urlaub auf dem Gericht und war nun sein eigener Herr. Ada hörte alle seine Nachrichten mit Erstaunen. Sie lebte wie eine Schnecke im Gehäuse. Die Annäherung an Helene, an Ottomars Eltern war noch nicht erfolgt. Die Mutter sagte, sie müßte sich erst etwas in den Gedanken einleben. Einstweilen besuchte und umhalste sie die glückliche Braut Martha Ehlerdt und beglückwünschte sie durch einen Brief von Helenen. Die selbstverständlichen „schrecklichen“ Scenen mit ihrer Mutter ertrug sie. Die Verurtheilung „innerhalb der Gesellschaft“ verachtete sie.
Ueber das Thema, das dahin lautete, Luzius schiene wenig Freuden im Leben genossen zu haben, entspann sich bei den Serapionsbrüdern eine Debatte. Die 209 Vertheilung von Leid und Freude in der Welt weckte die Lust- und Unlustphilosophie des Tages zum Hervortreten. Ganz junge Männer offenbarten sich als Anhänger des Pessimismus.
Ihr Herren, rief der Friese Omma. Ich begreife Euch nicht! Ihr sagt, es sei kein Glück in der Welt! Ich entgegne, man muß nur seine glücklichen Momente im Leben auszudehnen wissen! Muß sie festhalten! Sie wirklich genießen! Mit Bewußtsein! Da stürzt man Kelche voll Rosenwein hinunter, wie ein Glas Wasser! Am Glück, Ihr Herren, muß man nippen, Tropfen für Tropfen! Ja, wer jede Freude wie eine Alltäglichkeit hinnimmt, wie eine Blüthe, die rasch verwelkt und immer wiederkommt, sie mit Gleichgültigkeit betrachtet, dann ist das Leben schaal und nüchtern. Sehen Sie, fuhr der Baumeister in seiner frischen breiten Sprechweise fort, wenn ich einen Brief von einem Freund bekomme, so gleiche ich nicht den jungen Backfischen, die jeden Brief hastig aufreißen, den Inhalt hinunterstürzen und dann wieder dastehen in der Welt mit einem Was nun? Warum? Wieso? Ich lasse den Brief ruhig liegen, versetze mich durch den Poststempel in den Zusammenhang mit dem Verfasser, denke den schönen Rapport durch, in dem ich mit ihm stehe, und dann erst – manchmal erst nach Tisch bei einer Cigarre – lese ich ihn –!
210 Alle Geschäftsleute widersprachen. Diese Art von Auskostung der Freuden des Lebens, hieß es, würde jedes Geschäft ruiniren.
Wolny, der anwesend war, empfahl dennoch diese Praxis, aber für voraussichtlich unangenehme Geschäftsbriefe. Leider mußte sich der so gerngesehene anregende, vielseitig gebildete Gast bei Zeiten entfernen. Alle wußten es, er steckte tief in den Gründersachen. Herzens-Angelegenheiten, sowohl seine eignen, wie die der Freunde, nahmen ihn nicht minder in Anspruch. Die Serapionsbrüder flüsterten hinter seinem Rücken zwar nur Gutes, aber doch allerlei aus verschiedenen Gründen Bedenkliches. Die Generalin von Forbeck sollte die äußersten Anstrengungen gemacht haben, erzählte man, den Grafen Treuenfels zur Zurücknahme der Scheidungsklage zu bewegen. Man wollte wissen, daß die Generalin, im kirchlichen Sonntagsstaat, Sonntag Vormittags die Althing’schen vier Treppen erstiegen und es zu einem förmlichen Zank mit der ihr so widerwärtigen Familie hatte kommen lassen. Sie hatte gehört, Ottomar müßte jeden Sonntag bei den Eltern sein. Doch fand sie nur die Frau Professorin und Martha. Helene war auf ihres Bruders Wunsch zu Ada gegangen, schwesterlich, innig ihr die Hand reichend, sie emporrichtend aus Trauer und angstbedrängter Hoffnung.
211 Ich wollte Sie, hatte die Generalin nach mancherlei Einleitungen gesagt, darauf aufmerksam machen, Frau Professorin, daß Sie Alles, was Anstand und Sitte ist, in Bewegung zu setzen haben, um diese scandalösen Vorgänge, die nun die weitesten Ausdehnungen genommen haben, zu hintertreiben!
Excellenz, während der Kirche so aufregende Gespräche! Besuchen Sie uns ein andermal! hatte die Professorin geantwortet. Frau Althing wußte gar nicht, wo sie den Muth hernahm, so mit den Worten umzuspringen.
Was Künstler anbelangt, so weiß ich – den Handlanger vom „Meister vom Stuhl“ zu unterscheiden – hatte die ungebildete Frau gesagt.
Martha und Helenens Mutter hatten ihren Ohren nicht getraut.
Aber hier sollten denn doch gebildete Eltern ein Einsehen haben und Ideenverbindungen so corrupter Art franchement nicht aufkommen lassen!
Excellenz zielen auf zwei Verirrungen, von denen die eine abgethan ist – hatte zitternd die Mutter erwidert.
Aber die empörende, ruchlose andere! die ich – wollte die heftige Besucherin beginnen. Aber die Professorin hatte sich immer mehr ermannt.
212 Ich muß Sie aufs Ernstlichste ersuchen, Frau Generalin, uns mit diesen Auslassungen zu verschonen! Was uns davon berührt, das werden wir zu verantworten wissen! Suchen Sie sich die Schuldigen vor Gericht auf, wenn Sie etwaige Ansprüche haben!
Professor Althing ist aber doch ein so besonnener Mann! hatte das einlenkende Wort der Generalin gelautet. Man hat mir gerathen, einmal mit ihm allein über diese Angelegenheit zu sprechen – sein Einfluß auf seinen Sohn soll doch enorm, fast magnetisch sein –! Noblesse oblige! muß ja auch die Bildung sagen.
Sehr wahr! riefen im Unisono die beiden Frauen, erhoben aber den entschiedensten Protest gegen die Alarmirung des Vaters.
Mein Mann läßt seinem Sohne die volle Freiheit! Mein Sohn ist Offizier! Er weiß, was er zu vertreten hat!
Damit war die Generalin hinauscomplimentirt, so daß nur noch Martha einige scharfe Glossen von ihr bekam über ihre Einmischung in eine Sache, die sie Nichts anginge.
Man erzählte das so in gedämpftem Ton.
Als Wolny die große Freitreppe seines Hôtels betrat, redete ihn ein Mann an, den er Anfangs kaum wiedererkannte.
213 Herr Wolny! Kennen Sie mich nicht?
Es war Raimund Ehlerdt, sein künftiger Schwager.
Ich habe mich etwas verändert? Es ist lange her, daß wir uns nicht gesehen haben!
In der That, wo war der jugendliche, wenn auch in der Figur etwas zu kurzstämmige Apoll geblieben! Er schien noch gehoben durch irgend eine Feuergluth, die an seinem Hirn gedankenbefördernd mitarbeitete. Aber die schönen Locken waren mühsam zusammengestrichen. Der abgenommene Cylinder zeigte eine sorgfältige Anordnung der absichtlich verlängert gezogenen Haare. Die Züge des Antlitzes, der Muskelbau, Alles war schlaff, spitz, mager. Die Gesichtsfarbe war fahlgelb.
Dennoch schien er in höchster Aufregung. Ich habe Sie erwartet! sprach er noch auf der Straße. Und eben erst jetzt fiel mir der Montag ein! Ich wäre im Stande gewesen, dort einzutreten. Um so besser, daß Sie da sind! Ich muß Sie allein sprechen! Ungestört! Und dringend!
Wolny gedachte seiner Revolverzeiten, des erbrochenen Schrankes und stutzte – vor seinem baldigen Schwager.
Blitzschnell schien Ehlerdt zu verstehen, was in Wolny vorging und sagte: Ich bin sehr zahm geworden! Alles ist ja gescheitert! Sie und die Actionäre bringen uns in’s Verderben! Mich glücklicherweise nicht auch 214 noch in’s Gefängniß! Ich habe aber durch Sie bald kein Brot, und das Arbeiterministerportefeuille, auf das ich immer gehofft habe, es wird eben vom Kaiser zur Zeit noch nicht vergeben.
Beide stiegen die Treppe des Hôtels hinauf. Das Eckzimmer, das Wolny genommen, war lautem Expectoriren günstig.
Herr Wolny, begann sogleich Raimund in seinem exaltirten Tone, daß Sie nun meine gute Martha heirathen wollen – das macht Ihnen alle Ehre! Ich stehe überhaupt auf einem andern Standpunkte in Ihrer Beurtheilung, als sonst. Aber Sie haben sich mit den Actionären verbündet, die uns den Proceß machen! Das ruinirt uns Alle! Sie können uns helfen, ohne daß Sie sich selbst darum schaden!
Wolny antwortete einfach dem Aufundabschreitenden: Setzen Sie sich doch!
Ich bin zu aufgeregt, erwiderte Raimund. Ich komme im Namen des unglücklichen Verwaltungsraths. Bringen Sie diese Menschen, Baron Forbeck, Ihren eigenen Stiefsohn, Herrn Rabe, bringen Sie den Baron Cohn, Ihren früheren Vermittler, nicht zur Verzweiflung! Sie Alle bedroht das Gefängniß. Bestätigen Sie die Behauptung des Verwaltungsraths, Sie hätten 200,000 insofern bekommen, als Ihnen 100,000 Thaler bis zur 215 Zahlung verzinst worden seien. Sie wollen ja die Fabrik, höre ich, fortführen! Diese Behauptung, von Ihnen bekräftigt, hebt ja den Werth der Sache, hebt Ihren Credit!
Wolny mußte lächeln. Ruhig sagte er: Die Actionäre klagen nur, der Staatsanwalt unterstützt die Klage! Ich bin ja geduldig wie ein Lamm und trete nur einfach als Zeuge auf. Die Diffamationsklage behalte ich mir vor und möglich, daß ich sie ganz fallen lasse! Ich bin nicht, wie Sie ja von jenem Abend her wissen, für den absoluten „Kampf um’s Recht“! Aber gefragt und vor den Richter gerufen, das ist eine andere Sache! Da werden Sie doch nicht verlangen, daß ich einen Meineid schwöre?
Raimund schlug sich vor die Stirn und sah sich nach einem Sessel um, auf den er seinen etwas schwankenden Körper ohne wiederholte Aufforderung niederließ. Die Gesellschaft stellt einen Schein aus, fuhr er, etwas leiser sprechend, fort, den man zurück datirt! Cohn hat das Alles trefflich ersonnen und präparirt! Diesem Schein zufolge findet die Zahlung der zweiten Hunderttausend im fünften Jahr des Bestandes der Gesellschaft statt. Sie haben das mit ihm so abgemacht. Die Zinsen, die Sie bezogen haben, verstehen sich von selbst! Wir zahlen sie nach! Warum wollen Sie das Alles 216 nicht beschwören? Wen betrügt man denn? Herr Gott im Himmel, wen anders als den Zeitgeist, diesen dummen, abgeschmackten, lächerlichen Popanz!
Sieh’, sieh’, sieh’! sagte Wolny ironisch. So beurtheilen Sie jetzt Ihren alten Busenfreund? Aber zur Sache! sprach er dann ernster. Sie wollen, wie ich verstehe, noch einen Betrug mehr auf den alten setzen! Das ist ja herrlich ersonnen! Und wohlwollende Richter, wie deren in Amerika für Geld und gute Worte zu haben sind, sollen auch dem Publikum das erwünschte Gesicht machen und es anfahren: Was beliebt? Was wünschen Sie? Nein, Lieber, soweit sind wir noch nicht. Wie gesagt: Ich liebe den aufs Aeußerste getriebenen „Kampf um’s Recht“ gar nicht. Unrecht dulden ist zuweilen etwas außerordentlich Edles. Aber jetzt – jetzt lasse ich mich auf keine Durchstechereien ein –! Ich wüßte auch gar nicht, warum? Etwa um Rabe, meinen Stiefsohn? Sie, lieber Ehlerdt, verfolgen ja wohl lieber die politische Carrière!
Ehlerdt überhörte diese Bemerkung und suchte Wolny durch Erinnerung an seine Verwandtschaftsverhältnisse zu Rabe zu rühren.
O sähen Sie Rabe jetzt –! Die Natur hat ihm eine furchtbare Nemesis gegeben! Er ist gestraft für seinen Muttermord, wenn er diesen vollzog! Immer 217 sagt er: Siehst Du, Jenny, wenn ich aufstehen will, sehe ich die Alte! Sie drückt mich nieder. Er meint das Gespenst seiner Mutter, Ihrer trefflichen Gabriele!
Ja, ja, sagte Wolny ernst, da seht Ihr’s, Ihr braucht nicht an Gott zu glauben! Das könnte verbraucht herauskommen. Aber glaubt nur an das Causalitätsgesetz! Das regiert denn doch die Welt!
Raimund Ehlerdt schwieg. Er schien bewegt. Allmälig sah er sich um, räusperte sich und drückte dann offen wie sein alter Freund und Leibtrabant Mahlo die Trockenheit seiner Kehle durch völlige Heiserkeit aus, worauf ein tonloses: Darf ich mir ein kleines Frühstück hier heraufbestellen? Mich friert! erfolgte.
Das Zimmer war geheizt. Aber mit Freuden! sagte Wolny, an den Klingelzug tretend. Entschuldigen Sie nur, daß ich das nicht sogleich angeordnet hatte!
O wie wohl that Raimund diese Freundlichkeit! Ach, er war dem schönen, aber mit Schuld und Schulden überhäuften Mädchen verlobt – aber Töne aus der Tiefe des Gemüths hatte er lange nicht, weder von ihr, noch ihren Umgebungen, am wenigsten von den verzweifelnden Verwaltungsräthen gehört. Edwinas hatte sich ein Va banque wie gegen die ganze Menschheit bemächtigt. Wozu? Was nützt Alles? „Pflücke den Tag!“
218 Wolny klingelte wiederholt, und der Bruder seiner angebeteten Martha, der Einbrecher, den er von einer schimpflichen Bestrafung gerettet hatte, dem er so vielfach hülfreich die Hand gereicht, bestellte sich ohne lange Wahl beim Kellner, als wenn er selbst ihn bezahlen würde, hier auf seinem Zimmer Lachs und eine ganze Flasche Portwein.
A discretion! setzte Wolny für den erstaunten Kellner hinzu.
Lieber, immer von mir hochverehrter, wenn auch in meiner damaligen Verblendung vielfach verkannter Schwager! begann Raimund. Retten Sie uns! Sie können sich denken, daß ich im Auftrage des Verwaltungsraths komme! Die drei Männer sitzen im feurigen Ofen! Bei dem hochmüthigen Forbeck denken Sie doch an Ihren Freund Althing, der ja die ihrem Manne davongelaufene Treuenfels heirathen wird –
Mich interessirt nur, was Sie zu thun gedenken! unterbrach ihn Wolny. Sie werden doch schwerlich Ihre Stelle behalten, wenn auch die Actionäre für einige Zeit das Geschäft fortführen? Möglich, daß ich das Geschäft erwerbe, falls die Actionäre müde und matt sind!
Ich segle auf hoher See! seufzte Raimund. Mit der Internationale habe ich Nichts mehr zu thun. Die Kathedersocialisten haben uns das Feinere am Geschäft 219 abgenommen. Die grobe Arbeit, das Kneipen, Brüllen, Ränkeschmieden widersteht mir jetzt. So bin ich zwischen zwei Stühle gerathen. Politische Carrière? Sie wissen ja, daß ich lateinische Sprachschnitzer mache . . . Nach einer langen Pause sagte er: Wie geht’s Martha? Er unterbrach alle seine Gedankenreihen. Darf ich? Er hatte Wolnys Cigarrenportefeuille ergriffen.
Die Ankunft des bestellten Frühstücks zwang zu einem harmloseren Gespräche und Wolny war gerührt von dem demüthigen Tone des einst so Hochfahrenden. Er reichte ihm köstliche Havanna-Cigarren. Dabei hatte sich Raimund noch immer nicht gesetzt. Er ging auf und ab und sprach nur wie träumerisch: Recht wohl! Recht wohl!
Aber auf die Länge bemerkte Wolny, daß die Portweinflasche dem Unglücklichen eine gewisse Breitspurigkeit im Reden gab. Die Zunge wurde schwer, der Geist matter, wie es sonst dem jungen Manne, der nur Feuer und Elektricität sprühte, nicht eigen war.
Sehen Sie, sagte der eigenthümlich Verwandelte, ich habe an der ganzen Rabefabrik-Angelegenheit nur ein Personalinteresse –
Ich weiß es – ich weiß es – drängte Wolny. Der Gegenstand ist aber abgemacht –
Mein glücklicher Instinkt, fuhr Raimund behaglich fort, brachte mich gleich im Anfang auf den Gedanken, 220 mir Nichts als eine schöne Wohnung und eine gut salarirte, jetzt leider manchmal im Gehalt defect gewordene Stelle als Betriebsdirector zu sichern. Ich habe das Meinige gethan. Im Grunde, Verwaltungsrath und Actionäre, Beide sind Meuchelmörder! Einer so schlecht als der Andre! Da sprechen sie die Lüge aus – Raimund streckte sich endlich im Fauteuil und stieß Cigarrenwolken von sich – wir hätten schlechte, zurückgegebene, versäumte Arbeiten, die zu spät eintrafen, im Rechenschaftsbericht nicht eingestanden! Ich bin auch da von aller Schuld, wenn sie existirt, frei! Die Eisenlieferanten hielten uns das Material vor! Wie konnten wir arbeiten! Erst als unsre Actien an der Börse wieder etwas stiegen – ’s war mein Werk! unterbrach sich der Sprecher mit mächtiger Stimme, legte die Cigarre eine Weile fort und wollte aufstehen, was ihm aber nicht gelang: Mein Werk! Mein Werk! wiederholte er donnernd und fuhr dann fort: Da wurde der Credit verlängert! Ich habe wie ein Löwe gekämpft! Geht die Geschichte zu Grunde – sanft ruhe sie! Cohns Vorschlag, Antedatirung der andern 100,000 Thaler, empfehle ich Ihnen Rabes, Forbecks und Cohns wegen. Der arme Kerl, der Rabe, wie gesagt, er dauert mich! Er ist ja schon eine halbe Leiche, ohne es einzugestehen, ganz so wie seine Mutter. Der Andre, der Forbeck, macht Sie, das will ich Ihnen 221 doch zur Warnung sagen, eines Abends bei zufälliger Promenade mit einem Messerstich zu einer vollständigen –! Er oder Jemand anders, der es statt seiner thut! Das ist jetzt hier so. Wir haben neue Anschauungen! Wie in Italien! Hingerichtet wird Keiner mehr; das Sitzen im Zuchthause ist eine anständige Versorgung. Man kriegt sein richtiges Essen, im Winter eine warme Stube und zu Königs Geburtstag Braten.
Raimund versuchte aufzustehen; er hielt sich am Tisch; seine Augen funkelten.
Ja! Nun verstehe ich Ihren Auftrag! rief Wolny. Er kommt wohl nur von Baron Forbeck! Gehört auch Mahlo noch zu Ihren Intimitäten? fragte er.
Raimund schüttelte den Kopf.
Ich werde mich des Abends, da die Beleuchtung der Stadt zu wünschen läßt, von jetzt ab eines Fiakers bedienen, den ich vorher genauer untersucht habe! sagte Wolny. Aber, setzte er hinzu, Sie erkennen da, wohin Sie mit Ihren Anfängen gerathen sind!
Das Frühstück war vielleicht schon das dritte, das Raimund heute genossen. Wolny lehnte die Theilnahme am Verzehren des verlockenden Silberlachses und des Weines ab. Daß die Bezahlung auf seine Rechnung ging, verstand sich von selbst. Im Grunde hatte er ein gewisses Wohlbehagen an dieser Situation, da ihm 222 Raimund, trotzdem, daß er die grobe socialistische Agitation verlassen haben wollte und sich das Ansehen gab, als ließe er sich zu politischen Umtrieben verwenden, doch noch auf dem alten Standpunkte geblieben war, der wenigstens ihm gegenüber seine Inferiorität bestätigte. Gelernt hatte er seitdem Nichts. Nur das, was er schon wußte, hatte er in keckere Anwendung gebracht.
Martha wird nun wohl jetzt in die Stadt ziehen –? lenkte Raimund in andre Bahnen. Oder denken Sie sich draußen eine Villa zuzulegen? Ist aber sehr theuer! meinte er gleichsam wohlmeinend.
Zu Ostern ziehen wir in die Stadt –! war die kurze Antwort.
Bis dahin sind die Actionäre noch nicht mürbe.
Er wollte sagen: Du speculirst wieder auf das alte Rabe-Haus!
Warum ist Martha denn eigentlich nicht bei der alten Gräfin Treuenfels geblieben? fing der Bruder zu forschen an. Erst war das ein Geschmeicheltwerden und eine Glückseligkeit –! Jetzt ist es rein aus damit. Freilich – lenkte er mit faunischem Lachen ein – habe ich dem Faß den Boden eingeschlagen! Polizeilicher Untersagung weiterer Belästigung folgte eine fürchterliche Prügelaffaire mit einem Verrückten in der Vorstadt, der mich durchhauen wollte, wenn ich seine Tochter zu weitern 223 Schritten, frechen, wie er’s nannte, verführte – In meiner baldigen Eigenschaft als Gatte eines der schönsten Weiber der Welt, von Fräulein Edwina Marloff – Sie werden doch wohl davon gehört haben – einer natürlichen Tochter des verstorbenen Grafen Wilhelm Treuenfels, wird’s noch ganz anders kommen!
Wolny horchte nur immer. Er kannte die Verhältnisse, sprach aber nicht gern davon. Er wußte, daß sich die auffallende Erkaltung der alten Gräfin gegen Martha und die ganze Bildhauerfamilie auf die nicht länger verborgen gehaltene Existenz einer Edwina Marloff bezog. Es war wohl der massive Pflegevater gewesen, der mit dem zu erwartenden Schwiegersohne in Conflict gekommen war.
Die Abfindung hat ja allerdings stattgefunden – gab Raimund prahlerisch zu. Aber – die Treuenfels sind doch enorm reich. Sie sollen noch tüchtig blechen!
Es ist abscheulich, fiel ihm Wolny dann doch endlich in die Rede, so die Sache ewig wieder aufzurühren und eine anständige Familie, die das Ihrige in einer incorrecten Sache gethan hat, ewig zu beunruhigen! Warum gehorcht Ihre Verlobte nicht ihrem bürgerlich anerkannten Vater, der ein rechtschaffener Mann sein soll und für sie sorgen zu wollen erklärt hat? Auch jetzt schon, wie ich höre, ihr giebt! Warum geht sie –? Er unterbrach 224 seine Anklage, die auf ein Gerücht gehen sollte, daß sie mit der Ugarti öffentliche Orte besuchte, um ihre Reize herauszustellen.
Was geht Sie? wiederholte Raimund erschreckend. Das Wort, das Wolny nicht ganz hatte aussprechen wollen, lautete noch ziemlich unbefangen.
Ich wollte von dem Beunruhigen der alten Gräfin sprechen! lenkte Wolny ein. Was geht sie bis an diese selbst? Die alte Matrone hat doch wahrlich mit der Ehe ihres Neffen schon Kummer genug!
Raimund war nun über das „Warum geht sie –?“ beruhigt und machte den bekannten Gestus des Geldzählens mit den Fingerspitzen in so verschmitzter Weise, daß sich Wolny nicht enthalten konnte, in die Worte auszubrechen: Kommt diese unedle Aufhetzung aus Ihnen oder aus der Seele jenes zweideutigen Geschöpfes, dem Sie sich verbunden haben? Herzogthümer, deren Eigner vorher ermordet wurden, konnte ihr doch der Graf, ihr Vater, wie Papst Alexander, nicht schenken!
Entweihen auch Sie das edelste Verhältniß der Welt? erhob sich mit donnernder Stimme Raimund. Nie war eine Beziehung makelloser und reiner, als die zwischen dem Grafen Wilhelm und meiner Verlobten! Dichter hätten diesen Verkehr besingen können!
225 Und dennoch entweihen Sie, Sie, grade Sie ihn? fuhr Wolny auf. Freilich, setzte er hinzu, Ihre Verlobte hat selbst Alles gethan, um den Glauben an die schönen Absichten ihres Vaters zu zerstören! Ich verzichte auf Anklagen, fuhr er fort, da Raimund auffallender Weise schwieg, wo mir das Suchen der näheren Beweise zu unheimlich ist. Aus der Phantasie und dem berechnenden Verstande ist noch nie ein sittlicher Lebensgrund gelegt worden. An der Mittags-Table d’hôte hier im Hôtel hätte ich Gelegenheit, mich zu orientiren, wenn mir nicht die Seereise am linken Ohr eine gewisse Schwerhörigkeit zugezogen hätte. Glücklicherweise trennen mich einige Engländerinnen, die unsere deutschen Gespräche nicht verstehen, von einem Kreise Fremder, meist Grafen, Barone aus Ungarn und Oesterreich, die sich über die hiesigen Amüsements ziemlich laut zu unterhalten pflegen.
Für Wolny ergab sich jetzt ein erschütternder Anblick.
Der Mann, dem weniger der appetitliche Lachs, als die Portweinflasche gemundet hatte, die er bis auf den Grund leeren zu wollen schien, war auf die allerdings herben Worte von der Table d’hôte – von Fremden, Grafen und Baronen und vollends von den „Amüsements“ derselben, anfangs auffallend still, dann zog er sein Taschentuch, fing auf’s Heftigste an zu schluchzen und warf sich dem über diesen Ausbruch tiefsten Schmerzes wegen Edwinas 226 veränderter Lebensweise auf’s Höchste Erschütterten wie einem einzigen Freunde, der ihn in der Welt noch trösten könnte, an die Brust.
Wolny! lallte er dabei unter fortwährendem Schluchzen. Mein Bruder! Martha verbindet uns ja Beide! Der Geist von oben legt uns die Hände zusammen! Flucht mir doch nicht, Ihr reinen Seelen! Laßt mich doch nicht zu Grunde gehen! Soll ich der Mausfallenhändlerin aus Ungarn zum Opfer fallen? Husch! Da! unterbrach er sich plötzlich. Da ist die Maus! Da ist sie – noch eine – noch eine – Holt doch – den Schornsteinfeger –! rief er jammernd. O Gott! O Gott! Die Männer –!
Was war das? Trunkenheit? Nein! Wolny kannte, was er sah, aus der Fabrik! Der alte Wehlisch ließ ihn zuweilen rufen, wenn ein Arbeiter, der die Flasche nicht lassen konnte, um Mäuse jammerte, die ihn tausendfach umtanzten, wie den Bischof Hatto von Mainz im Mäusethurm. Wolny wußte schon von der Ugarti – Einer nannte sie Gräfin, ein Anderer Baronin – die Ausdrücke des Weinenden konnten auf diese Person gehen, die Mausfallenhändlerin, die Raimund gleich anfangs als eine gefährliche Rivalin in der Gunst Edwinens für sich erkannt haben mochte und die mit der Zeit, vor Allem, als Edwinens Mittel zu Ende waren, 227 mehr ihr Vertrauen besaß, als Ehlerdt, dem sie eine so große Summe geopfert hatte. Wolny, wie willenlos geworden, bezog die Mäuse eben nur noch angstvoll auf die Ugarti, aber der Schluchzende fuhr mit dem Schornsteinfeger und den dicken kleinen Männern fort.
Siehst Du, wie sie tanzen! Da! die Mäuse! Guck! Guck! Verlobung ist! Des Abends hüpfen sie! Verfluchte Schnurrbärte! Die Männer mit den dicken Bäuchen – die dicken Langnasen –!
Schauder ergriff Wolny. Hier galt es handeln. Er wußte, daß die hier ausbrechende Krankheit mit Energie anzugreifen war, daß ein fester Wille, eine muthige Bändigung ihr entgegentreten konnte. Rasch verriegelte er die Thür, riß dem Bewußtlosen, Stammelnden die Kleider, Weste, Halsbinde ab, drängte ihn an den Waschtisch und drückte den Kopf des ganz Willenlosen, Weinenden, Ueberbetrunkenen und Schwachsinnigen über die Schüssel. Dann goß er den vollen Inhalt einer mächtigen Kanne Wassers entschlossen auf seinen Nacken, seinen Scheitel, seine Stirn, rieb ihm die Schläfe und führte den darüber ohnmächtig und ermattet Gewordenen langsam und sanft in sein eignes Bett, in das Raimund bewußtlos hineinsank.
Einen Arzt zu rufen hielt Wolny für geboten. Doch hatte er selbst diese Erscheinung bei seinen 228 Arbeitern zu oft beobachtet. Es that ihm leid, daß durch einen Arzt der Vorfall sogleich in’s Publikum dringen mußte. Raimunds Stellung zum Leben war für immer verdorben, wenn es geschah! Er schwankte. Er selbst war bis zum Weinen erschüttert. Wenn Martha das sähe! O wie wohl würden ihm Raimunds Thränen gethan haben, wenn sich diese aus einem plötzlichen, noch als unangebrochen sich kundgebenden reinen Quell der Empfindung kommend bei dem talentvollen Manne verrathen hätten! Wie gerne würde er selbst die Umarmung als eine brüderliche hingenommen und die schöne Vereinigung der Seelenstimmungen gefeiert haben, die in dem Bunde der Verschwägerung liegen können! Eine Fortsetzung des elterlichen Hauses ist ja die Welt einer verheiratheten Schwester für die Schwester, für deren Gatten! Der Bruder gewinnt mit dem Gatten seiner Schwester einen theilnehmenden Beobachter seiner eigenen Bestrebungen! Die gewonnene Schwägerin läßt alle Grade der Zögerung, ihr Inneres zu zeigen, überspringen, Hindernisse fallen, die sonst der Annäherung an ein weibliches Wesen voranzugehen pflegen, eine fremde Persönlichkeit ist uns wie durch ein Wunder gewonnen! Aber hier –! Hier war Alles verschüttet.
Wolny blieb daheim und beobachtete die Bewegungen des allmälig Einschlummernden. Den abgetrockneten 229 Hals hatte er in aller Stille wieder mit Tüchern umwunden. Die naßgewordenen Kleider wurden zurückgeschlagen. Er ließ die Anordnung treffen, daß der Erwachende einfache erwärmende Nahrung vorfand. Wolny entwickelte dabei all die Virtuosität in der Krankenbehandlung aus seiner ersten Ehe. Ein Wasserüberguß über ein Stück Fleischextractgallert ist keine Suppe! sagte er. Er verbat sich ausdrücklich diesen Absud, der nur zum Magenkrampf führe, ging selbst in die Küche und sprach energisch mit dem Koch.
Zwei lange Stunden vergingen. Wolny bedachte mit Trauer: Wie, wenn das Uebel andauerte, er Martha darüber benachrichtigen müßte! Er sah die Folge dieses fortwährenden Lebens der Bravade, des Prahlens, Sichvermessens, Großsprechens, eines dabei immer parallel gehenden Zusprechens zur Flasche. Jetzt nun mochten auch von Außen empfangene herbste Eindrücke hinzugekommen sein, Sorgen, Gemüthskränkungen, denen die Widerstandskraft seiner Nerven unterlag! Die Liebe zu Edwina schien wirklich eine echte zu sein. Martha hatte dem geliebten Manne Stellen der Briefe ihres Bruders mitgetheilt, die auf die Voraussetzung eines reinen Verhältnisses gingen. Er hatte Edwina seine Göttin, seine Heilige genannt. Voll Andacht, hatte er geschrieben, blicke er zu ihr hinauf. Sie sei edel und gut, klug 230 wie die Schlange und ohne Falsch wie die Taube. Noch hätte sie kein Vogelsteller berückt, kein Schlagnetz gefangen. Er käme den Kopf voller Thorheiten zu ihr und ginge stets weiser geworden von dannen! Wolny combinirte, daß diese Briefe aufhörten, seitdem die Ungarin ihr Opfer umstrickt hielt. Diese sollte ihr als Kind das Leben gerettet haben, als sie fast erfroren und verhungert auf der Landstraße lag. Im Hôtel sprach man von der Ugarti, daß sie eine Nichte hätte, die sich erobern ließe, wenn man nur – so lautete der Ausdruck – die Alte spickte.
Gegen drei Uhr Nachmittags erwachte Raimund und sprach mit leiser, heiserer Stimme, aber vernünftig. Er nahm die ihm angebotene Veränderung der Wäsche, da die seinige naß geworden war, ohne Murren an und verrichtete die Umkleidung gelassen.
Es wurde Ihnen plötzlich schlecht zu Muthe – sagte Wolny schonungsvoll.
Ich weiß! lautete die leise gegebene Antwort.
Hatten Sie das schon öfters? fragte Wolny mit sanfter, jeden Vorwurf vermeidender Stimme.
Mit ängstlichem Augenverdrehen winkte Raimund der gestellten Frage ab und setzte dann leise hinzu: Erst einmal, als ich mich über die Canaille, den Mahlo, so ärgerte – und mich die Socialisten überfielen – und 231 Rechenschaft über die sociale Bewegung haben wollten! Ich konnte die Frage nicht wie eine Charade lösen und wurde darüber wütend! Drängeln, drängeln, drängeln! Weiter weiß ich Nichts, schrie ich, wobei ich allerdings viel getrunken hatte –
Sieh’! Sieh’! sagte Wolny ohne alle Bitterkeit. Merkwürdig, als Sie einsahen, daß die sociale Frage ein reiner Schwindel der Faulheit, der Arbeitsscheu und einiger verrückten jüdischen Rabbinen, Marx und Heß, ist. Dem Verlangen, daß man mehr verdiene, kommt man ja gern entgegen! Aber was Ihr sonst begehrt – versucht doch einmal Associationen mit geliehenem Capital! In zwei Jahren löst sich der Versuch auf. Der Kassirer brennt mit der Kasse durch. Der Ausschuß verliert seine Autorität – und wehe uns, wenn wir toll genug wären, mit der Gesellschaft Experimente zu machen! Der Staat soll Jedem geben! Eine Buchhalterei soll bis in’s Unendliche geführt werden! Welcher Unsinn! Und wo eben aller Reiz, aller Trieb, aller Sporn und Stachel zum Unternehmen aufhören würden! Die Ichsucht ist die Erhalterin des Ganzen! Es giebt nur eine Tendenz, die Europa zu verfolgen hat, die auf den Frieden und die Verminderung der Heere. Die allgemeine Wehrpflicht, die ist ohne die Bürgschaften einer aufrichtig festgehaltenen idealen Haltung im Volke, unser einziges Verderben –!
232 Raimund schwieg. Seine Gedanken konnten nicht mehr folgen. Wolny versuchte erst die eben gebrachte Suppe. Raimund aß nur einige Löffel, dann widerstand ihm Alles. Auch das Uebrige, sogar zartes Geflügel. Wolny ließ einen Wagen kommen.
Einen offenen! sagte Raimund mit heiserem Tone, Luft curirt am Besten! Aber – bat er nach einer langen Pause des Sammelns und auf die Lehne gestützt – meiner Schwester kein Wort!
Wenn Sie dafür sorgen, daß Sie keinen Rückfall erleiden! Und Sie können das, Ehlerdt! Haben Sie doch nur einen festen Willen!
Wären die Thatsachen nur andre –! antwortete er schon wieder bewegt.
Lassen Sie die Schwere derselben nicht zu sehr auf sich wirken! Entziehen Sie sich ihrer Wucht durch Gleichgültigkeit für die Verhängnisse, die unsern Wünschen, unsern Gelüsten zu Theil werden! Ach, wie Vieles ist so schön im Leben! Und dennoch hat es einen Wurm in sich! Gewöhnen Sie sich an ein unendlich theuerwerthes Wort, ob auch tausendstimmiges Gelächter um Sie her darüber erschallt, an die Reue –! Die Reue ist es allein, die ein Martyrium tragen lernen kann!
233 Katzenjammer! entgegnete Raimund. Ja! Ja –! Ihm stand nur die „heruntergekommene“, wie er’s nannte, einst so hoch thronende Edwina vor Augen.
Das Bereuen vor Andern, fuhr Wolny dringlicher fort, das kann uns gering, selbst unter Umständen verächtlich erscheinen lassen –! Das mag Ihnen die Kirche anrathen. Aber das Bereuen vor uns selbst, das soll uns die Frivolität des Tages nicht umstoßen! Ich nenne Jeden einen Heuchler, einen Großsprecher, der mir sagen will, er hätte nie Ursache gehabt, eine Handlung, eine Aeußerung der Gesinnung zu bereuen! Wer die Bedeutung der Negation im Proceß des Denkens, im philosophischen System anerkennt, muß sie auch für unsere Handlungstriebe gelten lassen, für unsere Ein- und etwaige Umkehr. Ja, lieber Schwager, fuhr der Theilnehmende immer sanft und milde fort, ich verlange die Reue als Material zum Werdeproceß eines normalen Menschen in solchem Grade, daß ich auch Jedem das Recht bestreite, sich in diesen Vorgang im Menschen, wenn derselbe stattfindet, irgendwie einzumischen. Die Religion giebt nur eine Methode der Einkehr an. Ich verwerfe an sich diese Methode. Manchem sagt sie aber zu und sie kann ihm auch nützen. Mir läuft sie auf etwas nur Formelles hinaus, an das man sich anzulehnen hätte. Aber Jeder muß seine eigenste Erhebung für sich 234 allein haben, aus sich allein sie schöpfen. Die Wiederkehr seiner Lebenskraft wird dann gewiß sein!
Raimund streckte langsam die Hand dem künftigen Schwager entgegen und ergänzte Wolnys Worte mit einem überraschenden Ausdruck von Empfindung. Oder aus einem liebeseligen andachtsvollen Glauben an eine edle Persönlichkeit! sagte der ehemalige wüthende Gegner wie mit abbittendem Auge.
Wolny war gerührt. Aber um Raimund nicht aufzuregen, nahm er scheinbar Anstand, diese Aeußerung auf sich zu beziehen und überhaupt das Gespräch fortzusetzen.
Der Wagen stand vor der Thür. Raimund lehnte beim Niedersteigen auf der Treppe beschämt den Schein des Unwohlseins ab. Auf die nochmalige Anempfehlung einer mannhaften Reue drückte er Wolny die Hand. Es war, als fühlte er sein Ende nahe. Seine Gedanken waren in andern Sphären. Das Wort: „Hier im Hôtel“ und – die Spottreden auf die Ugarti saßen zu tief, zu schmerzhaft, zu lange als wahr und geahnt in seinem Herzen. Es waren Pfeile mit Widerhaken. Viel war ihm schon Schlimmes begegnet. Er hatte vom Schicksal eine Heilmethode erlernt. Gleichgültigkeit! Aber hier –? Nicht die frische Luft, nicht das Wagenrasseln, nicht der ihm sonst so unterhaltende Anblick der 235 Welt, wie sie rennt und jagt, nicht allmäliges, klareres Bewußtsein überhaupt und selbst Gedanken – Gedanken der Mordlust, Erwürgenwollen der Ugarti mit beiden Händen . . . Kupplerin! hätte er hinausschreien mögen in die ganze Welt. Es ist Alles wahr! O Gott! So tobte es in ihm. Nichts half. Ja er schämte sich, daß er sich noch für Edwina bei Wolny hatte verbürgen, mit ihr großthun wollen. Nachdem doch schon lange seine Stellung bei ihr ganz untergraben war! Ihre Wohnung war auf seinen Rath vereinfacht, die Pfandverleiher hatten Alles weggenommen, was sonst die großen Räume füllte. Schon lange hatte er gefunden, daß auch er störte, auch er, wie er wohl wüthend schreien konnte, ein überflüssiges Möbel sei. Er sah Fremde aus Wien, aus Pest eingeführt, begegnete schönen Männern, in denen er in Civil gekleidete Offiziere erkannte. Sein Herz hätte ihm schon oft brechen mögen, wenn er Edwina suchte und sie nicht fand. Die Ugarti mit ihrer südlichen Gemüthlichkeit! Landsleute von ihr, die nicht Deutsch verstünden, hieß es! Immer ein Anderer von den hundert Zichys oder Esterhazys! Bildschön, muthig, wild, steinreich! Heute gekommen, morgen verschwunden! Das letzte gute Wort, das Raimund von Edwina vernommen, war, als sie über den Selbstmord des Justizraths Luzius weinte. Der Edle! Es war mein bester Freund! hatte 236 sie gesagt. Er warnte mich oft! Er gab jedesmal, aber ungern! Mit den Rabe-Actien fing das Verderben an. Und wofür? Raimund, Deine Liebe schien mir endlich zu sagen: Ein Mann! Ein Mann! Aber bald kannte ich sie auswendig! Du brauchtest sie mir nicht mehr zu gestehen! Da steht Heines Buch der Lieder! Ich kenne all’ die Phrasen. Ich blick’ in Deine Augen wie in das blaue Meer – parodirte sie. Fasele mir Nichts mehr von solchen Lappalien! Nichts vom albernen Tannhäuser und der abgenutzten Lorelei! Unser Denken als Frauen heißt Zephyr, Wolle, Battist! Unsere unbezahlten Rechnungen sind unsere Geheimnisse des Faust! Hätte ich die Stimme, so wollte ich ganz andere Klagen ausstoßen, als die Sängerinnen im Lohengrin! Sie hatte Raimund einmal überrascht, als er die Josefa umarmte und küßte. Da ließ sie „diese Person“, wie sie sagte, ihm ganz. „Ich grolle nicht –“ sang sie ergreifend und setzte hinzu: Nur mit Deiner Schwester und mit all den Tugendheldinnen, die mich nicht emporgezogen und ihrer würdig gehalten haben, grolle ich!
Als Raimund beim Aussteigen aus dem Wagen die Josefa sah, rief er schon wieder: Ratte, fort! fort!
Aber um Gotteswillen, Herr Ehlerdt! Wie sehen Sie denn aus! Was haben Sie denn? sagte diese, auf dem Sprunge stehend.
237 Ratte, Katze! Fass’ sie! Will sie nicht? Hui! Wie die Ratten springen! Da – da – und die kleinen Männerchen mit den langen dicken Nasen hinterher – Du garstiger Schornsteinfeger!
So kam schon wieder der Anfall. Die Angeredete floh entsetzt. Es war Josefa Ziporovius, die Raimund so zu ärgern schien. Daß Edwina bei der Vereinfachung ihres Haushalts diesem Mädchen erlaubte, zu ihrem Verlobten zu ziehen und sagte: Führ’ ihm getrost die Wirthschaft! war schon die schneidendste Ironie eines bereits mit Raimund gelösten Verhältnisses.
Josefa rief um Hülfe.
Arbeiter aus der Fabrik, aus den Geschäftslocalen suchten den Rasenden zu besänftigen und trugen ihn in sein Bett.
Zum Arzt, zur Schwester mußte nun doch geschickt werden. Jener sprach von einem sich empfehlenden sofortigen Transport in ein nahegelegenes Krankenhaus.
238 Zehntes Kapitel.#
Das ist ja aber zum des Teufelswerden! schrie der Ex-Assessor Harry Rabe, als ihm die kleine allerliebst geputzte Josefa die schreckliche Geschichte mit dem Herrn Betriebsdirector ankündigte. Muß diese Unterredung so ausfallen! Auf die wir alle unsre Hoffnung gesetzt hatten! Er kam ja in unserm Auftrage! Was wird Forbeck sagen! Ja, da schlage doch –
Nun rutschte der in Flüchen so beredtsame Mann, der in diesem Hause seine Mutter zu Tode gequält hatte durch seine Verwünschungen, durch eine eigne Nemesis der Natur auf einem Rollsessel hin und her und mit einem Stock sich fortrudernd, und zeigte die Geberden eines Rasenden.
Josefa würde vor diesem Unheimlichen im Pelzschlafrock, in einer Sammetmütze, entflohen sein, wenn nicht die Frau Assessorin gekommen wäre.
Was wird ihm denn fehlen? Unwohl? Uebel? meinte diese, die noch immer that, als wenn sie bei 239 Nennung des Namens Wolny einen Ausdruck von gesteigerter Empfindung zeigen müßte. Den Lohn für Eure Lebensarten wird er haben! Schon in so jungen Jahren! Es geschieht ihm recht, daß ihm grade vor Wolny diese Schande hat passiren müssen –!
Schweige! donnerte Rabe, soweit seine Stimme noch erlaubte. Rede, Josefa! Was sagt denn der Arzt dazu? Wen habt Ihr denn gerufen? Was ist’s nur eigentlich? Delirium tremens?
Frau Jenny war zu sehr in ihrem „sittlichen Gefühl“ empört, daß diese schwarze, kleine Hexe, die sich Raimund aus dem „Edwina-Schwindel“ „zugelegt“ hatte, es wagte, hier oben so dreist aufzutreten. Sie, die noch immer in ihrem braunen Spenser, im hellbraunen Kleide mit grellrothen Verzierungen, die Jugendliche spielte, drängte das ebenfalls geputzte Mädchen an die Thür. Wie lange wird’s dauern, sagte sie, so bricht hier auch noch der Mahlo so herein! Der ist ja wohl ihre eigentliche Amour! Einen soll sie ja schon unter die Erde gebracht haben!
Josefa blieb die Antwort schuldig und machte, daß sie wieder hinauskam. Ihre kluge Schwester, Frau Blaumeißel, hatte ihr, was heute eintraf, vorausgesagt, hatte sie gewarnt und ihr gerathen, bei Zeiten auf andere Verhältnisse einzugehen. Der solide Plümicke war todt, 240 Mahlo, obschon jetzt am „Schraubstock“ zuweilen sichtbar, war unzuverlässig. Die Frauenfrage trat auch an Josefa heran.
Harry Rabe saß rückenmarkskrank und verwünschte Gott und die Welt. Er ertrug es mit völliger Apathie und noch dazu hohnlachend, daß seine Gattin in Herrn von Forbeck und Baron von Cohn Verehrer gefunden zu haben glaubte, von denen so eben der Letztere nach Amerika entflohen sein sollte. Vorläufig saß er noch in einem Cabinet in der Nähe des gemeinsamen Schlafzimmers der Assessorsfamilie und schlief in einem Wäschschrank. Ganz zu verzweifeln an seiner Existenz hatte Rabe nicht nöthig, denn Frau Jenny hatte sich ein ausreichendes Vermögen gesichert.
Cohn! Cohn! rief er jetzt und pochte dreimal mit dem Stock auf. Haben Sie den Scandal mit dem Ehlerdt gehört?
Frau Jenny war in die Zimmer gegangen, wo sich Cohn in Amerika befand, und berichtete diesem Unglücklichen den Erfolg der Mission. Rabe folgte selbst nicht.
Aus Furcht vor Mäusen, Dieben, Polizeisergeanten hatte Baron Cohn von Cohnheim eine bequeme Dachwohnung, die ihm Forbeck angeboten hatte, als Ersatzmittel für Amerika abgelehnt. Das sah der Baron schon lange ein, daß Cohn Ernst machen und mit seinem 241 bereits gefallenen Barte über einige Stationen herum nach Hamburg eilen und über Meer mußte, wenn er nicht ein Jahr mehr sitzen wollte. Zunächst galt es eine sichere Station an der Eisenbahn finden, wo man harmlos den Perron betreten und etwa in nächtlicher Stille in ein Coupé schlüpfen konnte. Aber der Gründer aller Gründer konnte diese Entscheidung nicht lange genug hinausziehen. Er quälte den ohnehin auf’s Aeußerste erbitterten Assessor, der den Tag über in allen Lehrbüchern des Handelsrechts, in den Sammlungen von Gerichtsentscheidungen, dann wieder in Rombergs Nervenkrankheiten und Traubes Schriften blätterte, mit allen Capriolen eines etwa unter die Luftpumpe gesetzten Frosches. Baron Cohn, nur gewohnt in Glanz und Fülle, tonangebend in den Coursberichten, in den Zeitungen, den Geldangelegenheiten der Großen zu leben, sollte sich abwesend machen, um eine Gefängnißstrafe zu vermeiden! Er hätte schreien mögen, daß man es bis an die Börse hörte! Nur eine Secunde zu schweigen, war ihm ohnehin unmöglich, wenn er nicht grade einen Andern sprechen hören mußte. Er sollte hier englische Werke lesen, um sich auf die Flucht nach Angelsachsen vorzubereiten! Gott im Himmel, auf den Verkehr mit Hoboken und Broadway! rief er sich schüttelnd aus. Um der Frau Assessorin zu imponiren, verlangte er grade im Gegentheil Schiller 242 und Goethe, die ihm nur in Verbindung mit einem Sperrsitz im Theater geläufig waren.
Wo ist – was ist – Ehlerdt? Was sieht er? Mäuse? Wo sind Mäuse –? rief er aus einem Winkel, den die listigen Augen der Dienstboten nicht entdecken sollten. Was hat dieser tückische Wolny gesagt? Will er nicht antedatiren? Nicht unterschreiben? Schwören? Uns zu Betrügern stempeln? Wo wir nur Geschäftsusancen gefolgt sind, die alle Welt befolgt? Gott im Himmel! Diese Staatsanwalte! Ein Leben sollen wir führen wie in Arkadien!
Es war ein lispelnder elegischer Ton, in welchem diese Schmerzensworte gesprochen wurden.
Rabe hatte einen bösen Hustenanfall überstanden. Dann rief er über Raimunds Unwohlsein Vermuthungen aus, die Frau Jennys Deutungen in cynischer Weise bestätigten.
Gott, was geschieht, um uns zu verderben! seufzte der Baron, der sich allmälig näher wagte. In seinem bunten Schlafrock mit türkischem Fez auf dem Haupte und in seinem zwar rasirten, aber schon wieder wachsenden Barte glich er einem Wesen aus der Fabelwelt.
Wäre doch die Josefa geblieben und hätte den flotten Tänzer von der Marloff’schen Verlobung gesehen und genauer unterrichtet! Wie gern hätte ihr der alte 243 Freund in die Backen gekniffen! Rabe nahm keinen Anstand, den Baron in seiner jetzigen Erscheinung dem Chimpanse im Aquarium zu vergleichen. Mit boshafter Ironie und unter Lachen sagte der Cynische: Die Juden sind ja berechtigt, sich das schönste Volk der Erde zu nennen! Ihr Stamm, Cohn, hat Jahrhunderte hindurch und schon lange vor dem Rabbi von Nazareth und später auf die Throne der ersten Reiche der Welt, von Assyrien an bis Spanien, die schönsten Beherrscherinnen der Beherrscher abgegeben! Wo wird Piloty zu einem Judas Maccabäus, zu einem David das Modell anders hernehmen, als von einem Juden im Ghetto von Smyrna! Cohn, lassen Sie sich verschreiben nach München in die Malerschule! Christus selbst, das Ideal aller männlichen Schönheit, war ja ein Jude –! – – So spottete der Assessor über Mayer Cohn von Cohnheim fort und fort. Die Bildung, die ihm durch Wolny zu Theil geworden war, und eine gewisse angeborne Genialität ging bei ihm in Malice auf. Jetzt war diese freilich schon manchmal gegen ihn selbst gerichtet, dem Scorpion gleichend, wenn man unter diesem ein heißes Feuer anrichtet; er stirbt zwar, aber nur durch den Tod, den er sich selbst mit seinem eigenen Stachel giebt.
Der cigarrenrauchende Aquariumsbewohner setzte sich immer mehr der Gefahr aus, durch die Dienstboten 244 verrathen zu werden. Er trat sogar ganz aus Amerika heraus und wagte sich bis nach vorn in’s Wohnzimmer, den ehemaligen Ballsaal der Commerzienräthin, der Mutter Harrys. Cohns Versteck war ein kleines, einfenstriges Durchgangs-Cabinet, wo Nichts als Wäscheschränke standen. Die Bettwäscheschränke waren so groß, daß ihm darin ein Nachtlager bereitet werden konnte. Der Mann, der die Fürsten, „wenn Sie noch in Unterbeinkleidern gingen“, besuchen durfte, konnte hier in tiefgehende Mauerschränke wie eine Maus verschwinden. Ich werde leben wie im Speck! hatte er Anfangs, durch die gleiche Ideenverbindung angeregt, mit gutem Humor gesagt. Aber sein Humor hatte keine Unterlage. Der Horizont wurde immer trüber. Jetzt, wo ihm Frau Jenny das schreckliche Erlebniß mit Ehlerdt vordemonstrirte, daß dieser Nichts als Mäuse und kleine Männer sähe, hätte er um keine tausend Mark die Möglichkeit auch hierorts, etwa in seinem Schranke, hausender Mäuse betont. Schreckliche Bilder verwirrten ihm Geist und Gemüth. Wie war er Anfangs hier so glücklich! Wie benutzte er des immer an seinen Stuhl gebannten pessimistischen Harry jeweilige Abwesenheit, seiner holden Gattin die magern, weißen Hände zu küssen! Selbst im Unglück und jetzt bei herannahender „Gefahr und Schande“ blieb Jenny auf die neueste Mode bedacht. 245 Der furchtbare Koffer, Cohns Toilettezurüstungen und sein gerettetes Vermögen enthaltend, nahm leider zu viel Platz in Anspruch, sonst würde er sich haben mit Behagen in seinem Versteck ausdehnen und mit Frau Jenny plaudern können. Ich will die ganze englische Literatur mit ihr durchgehen! Denn an sich, sagte er, den Mund voll nehmend, kenne ich sie ja bereits. Raben reizte keine Eifersucht. Nur das „Durchgehen“ wußte er fortzuspinnen. Und die Bedienung besorgte die Frau Assessorin selbst. Kein Mensch im Hause wurde nach Rabes Anordnungen von eines Gastes Anwesenheit unterrichtet. Niemand würde auch von einem solchen etwas gewußt haben, wenn nicht die unwiderstehliche Leutseligkeit und das Menschenumgangsbedürfniß Mayer Cohns, der Drang, sich mitzutheilen, sich auszusprechen, seine Einfälle an den Mann zu bringen, es unmöglich gemacht hätte. Sie könnten erleben, schrie Rabe, im Felde Vorposten-Schildwache zu stehen und sich durch Conversation mit dem feindlichen Gegenüber der Gefahr auszusetzen, als Deserteur todtgeschossen zu werden!
Rabe ließ sich cynisch über das mit Raimund Ehlerdt eingetretene Uebel aus. Von einem Einfluß auf Wolny merke man, berichtete er nach Josefas Mittheilung, keine Spur! Wie würde der auch falsches Zeugniß ablegen! Um 100,000 Thaler, deren Zinsen ihm noch dazu 246 zuflössen, einen Meineid leisten! In unserm Falle rein ein Act der Gemüthlichkeit! Zum Hause hier hinaus wird er mich Elenden, Kranken jagen! In’s Gefängniß! Nun lachte er hellauf und sagte, irgendwo muß man aus dieser Mördergrube, Welt genannt, heraus!
Reden Sie nicht so lästerlich! fiel Cohn ihm in die Rede. Ich sage nur: Dieser Ehlerdt! Der die sociale Frage lösen wollte! Und uns die productive Rente in die Bilanz schmuggelte –! Nach einer Pause sprach er mit einer gewissen Wehmuth: Bei Alledem ein genialer Mensch! Mit der Edwina war es schon lange aus! Aber er dauert mich –
Les Dieux s’en vont! betonte Rabe, sich seines geliebten Heinrich Heine erinnernd. Er meinte unter den Göttern zunächst sich. Denn er war wieder in’s Grübeln über Romberg und Traube gefallen.
Ausgedämmerte Götter! übersetzte Cohn nach Richard Wagner’schen Reminiscenzen, bekam aber für seinen Witz keine Anerkennung. Frau Jenny hatte sich entfernt, er selbst behielt bei jedem Geräusch seine Schränke in Sicht.
Harry Rabe glaubte im Juristischen erfahrungsreicher und „beschlagener“ zu sein, als die ersten Rechtsconsulenten der Stadt, den verstorbenen Luzius ausgenommen, dem er zum Schrecken seiner Frau immerfort 247 Lobeshymnen sang, ihn einen Weisen aus dem Morgen- und Abendlande zugleich nannte. Bald Wolny, bald die Commerzienräthin waren ihm bei solchen Anfällen, die nur auf Schrecken für Frau Jenny berechnet waren, die unterirdischen Geister, etwa Hamlets Vater, den er anrief, erst nur zum Spaß. Oder er sagte: Streck’ nur deine Riesenhand aus, Stracks! Wir Zwerge schlüpfen doch unten durch wie die Mäuse! Nicht wahr, Cohn –? Der Scherz ging bei jeder gehenden Bewegung, die er versuchte, in Ernst über.
Cohn konnte dies viele Reden von Gespenstern und Schicksalsgeistern nicht mehr mitanhören. Einmal schrie er mit lautem Protest hell auf. Rabe behauptete in allem Ernste, den Geist seiner Mutter zu sehen, die ihn immerfort auf den Stuhl niederdrückte und am Gehen hindere.
Um Gotteswillen! rief plötzlich Frau Jenny in’s Zimmer hinein. Nun kommt gar noch Forbeck. Eben fährt er vor –! Was wird er sagen, daß Sie immer noch nicht nach Amerika sind –!
Er wird von Ehlerdt hören wollen, was dieser ausgerichtet –! beruhigte Rabe. Verstecken Sie sich!
Als käme der Wagen mit dem Henker, so schnell sprang Cohn zurück. Die Einigkeit zwischen den drei Verwaltungsräthen war schon lange gestört. Forbeck 248 verrieth am meisten seine Verzweiflung und schonte Niemand. Das Sitzensollen, der mögliche Adelsverlust brachten ihn außer sich. Ottomar hatte ihn mit einem geladenen Revolver von seiner Stube getrieben, als er ihn wegen Ada zur Rede stellen wollte, und Graf Treuenfels hatte streng verboten, dem Wüthenden und seiner Mutter ferner Zutritt im Palais zu gestatten.
In der That kam Forbeck. Von Toilette war keine Rede mehr bei ihm. Sonst war sie seine Hauptaufgabe. Jetzt war der Bart grau, das Haar ungeordnet, das Hemd schien einige Tage nicht gewechselt. Scharfe Einschnitte von der Nase bis zum Mundwinkel ließen ihn um zehn Jahre älter erscheinen, als er war. Nur seine Haltung war stramm, weil er alle seine Muskeln anspannte.
Forbeck wollte wissen, was Ehlerdt bei seinem künftigen Schwager Wolny ausgerichtet hätte. Aber unten hatte er schon die Schreckensbotschaft vernommen. Der Mann wurde eben in’s Krankenhaus gebracht. Josefa weinte. Forbeck kam erstarrt die Treppe herauf, blickte Rabe stumm an und that gleichsam, als wenn der Dämon, der Raimund gepackt hätte, auch ihnen beiden nächstens auf den Leib springen könnte.
Diese Gebrochenheit, die sich in einfachem Hm! Hm! und ähnlichen Seufzern aussprach, gab Cohn 249 Muth, hervorzutreten und zu erklären, daß er nunmehr – Forbeck sah ihn mit großen Augen an – mit Sehnsucht eine Tasse Kaffee begehrte.
Sind Sie denn noch immer hier, Mann des Verderbens? brach Forbecks Verzweiflung aus. Schwimmen Sie denn noch immer nicht auf dem Ocean? Bleiben hier wie in einem Kaffeehause?
Es sei noch Zeit genug zum Aeußersten, entgegnete Cohn.
Sie müssen fort! rief Forbeck. Denn was Sie aussagen werden vor dem Richter, das wird immer doppelt so schlecht, als es ist –! Ihr Vortrag macht Sie confus! Sie machen Zugeständnisse, wo andere Leute vernünftigerweise schweigen! Ihre Anwesenheit vergrößert Alles in’s Dreifache!
Worauf stützen Sie diese Beleidigungen? fuhr Cohn auf. Weil ich von vornherein den Eindruck der Filouterie mache? Ich bitte mir denn doch aus – aber erst den Kaffee, gnädige Frau, ich bin ihn gewohnt um diese Zeit! unterbrach er sich und wandte sich Frau Jenny zu.
Diese schloß die Thür ab, denn sie hatte in der Zerstreuung wirklich schon der Bedienung wegen des Kaffee geklingelt. Hinein, Hinein! rief sie und drängte Cohn wieder in’s Schrankzimmer, während dieser durch die Thürspalte mit Gefahr, die Nase abgeklemmt zu 250 bekommen, versicherte, daß im Gegentheil alles Schöne und Gute, das von ihm in die Welt gesetzt worden wäre, doppelten Werth gehabt hätte.
Schon gut! Schon gut! drängte Forbeck.
Weil man’s von Ihnen nicht erwartete? rief ihm der Assessor boshaft nach.
Ein Dienstbote, der jedoch über den Gast längst in voller Gewißheit und nun erst recht durch die noch nicht lange angekommene schlaue Josefa auf etwas, das im Hause nicht mit rechten Dingen zuzugehen schiene, aufmerksam gemacht worden war, trat ein und besorgte die Anordnung zu einem gemüthlichen Kaffee. Nur bei Forbeck fehlte der Humor für Kaffee und Cigarre. Der Mensch da drinnen muß entschieden fort! flüsterte er zu Rabe. Und heute noch! Ich will es unbedingt! Seine Aussagen sind so nachgiebig, daß sie uns die unsrigen verderben. Wir für unser Theil können sagen, wir sind die Strohmänner gewesen für ihn – er ist der Fachmann, der Schuldige! Hat man ihn nicht, dann erleichtert es unsere Lage! Darum muß er fort.
Wenn man nur wüßte, wer ihn bis an eine dritte, vierte Station, wo er harmlos einsteigt, begleiten könnte, flüsterte Rabe. Er ist außerhalb der Börse und außerhalb seines Comptoirs und allenfalls eines Sperrsitzes im Theater ohne seinen Bedienten wie ein taumelndes Kalb –!
251 Cohn horchte und wisperte: Was ist schon wieder mit dem goldnen Kalbe? Hören Sie doch endlich auf mit Ihren ewigen Spöttereien auf die – ich glaube gar – die goldne Internationale! Dieser schlechte Witz mit dem goldnen Kalbe! Wir Juden sind Deutsche! Aechte, so gut wie Sie! Von Geburt und Abstammung heimathlich berechtigt! Was wollen Sie immer noch mit Wandervolk! Ich wandre nicht!
Man muß zuvörderst einen Kutscher nehmen! flüsterte Rabe leise weiter zur Verzweiflung Cohns, der immer wieder von Forbecks kräftigen Armen hinausgedrängt wurde, so daß er die Conversation nicht verstehen konnte. Unser gewöhnlicher Kutscher ist leicht erbötig und schnell bestellt! Dieser muß ihn und irgend einen Begleiter zunächst in eine eisenbahnlose Gegend führen! Dort kann er dann vorgeben, daß er irgend einen Gutsbesitzer, heiß’ er meinetwegen Schulze –
Nein Müller! schrie Cohn, der staunenswerth scharfe Ohren hatte und hier die Abkartung eines förmlichen Meuchelmords zu wittern glaubte. Einige Worte waren ihm verständlich geblieben.
Aber sein Mitgründer Forbeck, der als ehemaliger Traineur beständig Sporen an den Stiefeln trug, versetzte ihm nach hinten einen so derben Schlag, daß er entsetzt in seine Thürspalte zurückfuhr und sich allmälig 252 beruhigte, auch deßhalb, weil es nach Mokka zu duften anfing.
Den Gutsbesitzer giebt er vor zu besuchen! flüsterte Rabe weiter. Inzwischen ist dann dieser Mann verreist und nun muß der unbefangen bleibende Kutscher nach der nächsten Eisenbahnstation lenken. Da steigt Cohn dann ein und fährt natürlich, um nach Belgien zu kommen, zuerst nach Leipzig oder nach München. Den Bart hat er ja schon abgeschoren! Steckbriefe, glaube ich, schickt man ihm nicht nach!
Warum nicht? schrie Cohn und wollte wieder herein.
Hole Sie der Teufel! entgegnete Forbeck, wollte die Thür zuschließen, fand aber weder Schlüssel noch Riegel. Die Bedienung und Frau Jenny brachten inzwischen die Kaffeemaschine. Es duftete gemüthlich. Alle Poren in Cohns Lunge öffneten sich. Cohn war Junggesell und liebte diese stille Nachmittagsstunde. Er hätte, flüsterte er, diese Nervenstärkung nöthig, diese wehmuthsvolle Erinnerung an seine junggesellenhafte Existenz und – beinahe hätte er gesagt: „Und an seine Mutter“ – aber diese Erinnerung war bei Harry Rabe gefährlich. Er sah dann sogleich Geister.
Das Dienstmädchen hatte Nichts mehr zu thun gehabt, war zu gehen bedeutet worden und nun ging 253 Forbeck sogar selbst in Cohns Cabinet und wollte diesen hervorlassen. Cohn blieb aber drinnen. Forbecks heftige Sprache milderte sich und wurde zuletzt für Rabe unverständlich.
Das war nun wieder dem Assessor nicht recht. Wenn sie die Köpfe zusammenstecken, sagte er, sich langsam am Stock aufrichtend und mit ausgespreizten und stark aufhauenden Beinen sich dem Kaffeetisch nähernd, dann conspiriren sie gegen mich –!
Die Frau Assessorin bewachte die Thür nach Außen. Forbeck trat aber bald mit dem gefangenen Gründer heraus. Er hatte ihm nur die Coursliste vom Mittag mitgebracht und ihn damit sehr erfreut, wenn er auch aus allen Tonarten jammerte: 32, 28, 17, 31 –! O, was ist die Menschheit so feige, der Unglaube so allgemein verbreitet! jammerte er. Die reellsten Werthe, Lampen, Kutschen, Peitschen, Feilen, Spiegelscheiben, Alles sinkt dahin, tiefer und tiefer! „Die Nation hat sich in ihrem künstlich gesteigerten Kraftgefühl übernommen“, las er aus einer Zeitung. „Man hat das Wahre vom Falschen unterscheiden gelernt. Die Großen sogar haben Großsprecherei lieber gehört, – das geht auf mich! schaltete er ein – als das bescheidene Wort der Wahrheit! Ausbeutung wurde das Wort der Zeit. Unter schimmerndem Namen drückte man 254 das Wesen selbst des modernen Staates aus. Kein Tag brachte den Enttäuschungen Einhalt. Es war wie ein großartiger Gletscherrutsch.“ Mein Gott, welch ein Bild! unterbrach Cohn. Es war ihm, als säß’ er in der „Passage“ und läse die Zeitung. Frau Jenny credenzte ihm die erste Tasse. „Man sah die Bäume, die Häuser, die Comptoire sanft die schiefe Ebene hinabgleiten; kein Halten, kein Stillstand!“ Haben Sie gehört? unterbrach er sich; jetzt will Jeder Nathan der Weise gewesen sein.
Forbecks hagere, lange Gestalt ging aufgerichtet hin und her. Den goldenen Zwicker hatte er im linken Auge. Cohn wollte wissen, worüber er sänne, ob er an die Gräfin Treuenfels oder an Edwina dächte und was hier abgemacht worden wäre, und wirklich erging sich Forbeck in Elegieen über seine Schwester. Auch Frau Jenny war es, die darüber Neues wissen wollte.
Sie nimmt mich nicht an! sagte der Bruder. Sie hat mir geschrieben: Ich flehe Dich fußfällig an, vermeide jeden Conflict mit Ottomar oder Udo! Beide sind wie zwei Pulvertonnen! Der Eine vor Trotz gegen die Welt und – Gott sei Dank – Liebe zu mir, der Andere vor Schmerz und Erbitterung!
Cohn genoß seinen Mokka mit Wehmuth. Er pries Adas Schönheit und analysirte diese.
255 Ada wohnt Chambre garnie! fuhr Forbeck düster fort. Scheidung ist eingeleitet, auch angenommen. Althing hat Ehrenrath vom Officiercorps verlangt! Hat bestanden! Schwerer ist die Carrière im Civil, weil zu Mucker in Sittlichkeit! Vorläufig wickelt er die Luzius’schen Geschäfte ab! Das kann Jahre dauern und bringt ihm vielleicht die Advokatur. Aber wir plaudern und plaudern! unterbrach er sich. Die dringende Lage, in der er sich mit seinen Genossen befand, fuhr ihm wieder durch alle Betrachtungen. Hochauf mußte er horchen, als Rabe sagte: Merkwürdig, wenn Baron Forbeck die Garderobe seiner Mutter anzieht und seinen Bart rasirt, so hält man ihn vollständig für die Generalin.
Alle Teufel! Wollen Sie mich auch fortschicken? rief Forbeck erstarrt. Erst – Cohn –!
Ich meine nur –! Nein, nein! Die Analyse der Schönheit Ihrer Schwester regte mein Denken an! beruhigte ihn der am Lesen pessimistischer Bücher sich aufrichtende Assessor, ich denke nur an diese jämmerliche Armuth des sogenannten Schöpfers! Gattungen von Menschen giebt’s ja genug! Aber innerhalb derselben immer eine vollständige Dürftigkeit! Immer dieselben Typen! Immer Menschen, die um alle Breitengrade des Aequators nicht miteinander verwandt sind, und sie ähneln sich doch wie aus Einer Pfanne gegossen! Wenn 256 man sieht, wie gewisse starkgestaltete, breitschultrige Blondins, die den Commers mit den Damen und den Champagner lieben, sämmtlich auf denselben Typus hinaus kommen, möchte man unsern lieben Herrn Herrgott für einen Holländer halten, der mit einem Waffeleisen die Messe bereist und –!
Rabe –! schrie Frau Jenny und unterbrach diese auch für Cohn zu starke Blasphemie. Das Waffeleisen war der vollständige Widerspruch mit des alten Althings Vision und Ahnung der Unsterblichkeit im capitolinischen Museum zu Rom. Hier widerlegte jedoch den Spötter Niemand. Cohn witterte eine ihn selbst betreffende Unheimlichkeit. Er äußerte diese Ansicht mit Zorn.
Beruhigen Sie sich doch! sagte Forbeck und setzte ihm Rabes Vorschläge auseinander. Endlich kenne ich, ergänzte Rabe, keine Persönlichkeit, die dann den Commerzienrath begleiten, den Wagen überhaupt miethen, die ganze Finte mit einem Gutsbesitzer Müller oder Schulze – besser in Scene setzen könnte, als einen Mann, den Herr Cohn ja selbst schon sehr genau geprüft hat, Mahlo – von unsrer Fabrik –
Cohn schrie laut auf. Sie wollen doch nicht, daß mich dieser Mensch unterwegs an irgend einer sandigen Stelle in einem märkischen Fichtenhain umbringt?
257 Aber das Gräßlichste geschah. Forbeck fand diese gemeinschaftliche Reise mit Mahlo ganz plausibel. Er unterstützte den Vorschlag mit einem Ausgezeichnet! und griff sogleich für die Ausführung zu.
Sind Sie denn verrückt? wandte er sich ruhig zu Cohn. Dieser Mensch thut ja für gute Bezahlung und Verpflegung Alles!
Das ist’s ja eben! rief Cohn. Wenn Sie die Drangsalirungen kennten, denen ich von Seiten dieses Menschen schon ausgesetzt gewesen bin! Die physiognomischen Studien, die ich gemacht habe über ihn in Gegenwart von mir ganz allein? Fortgedrängt hat er mich von meinem Klingelzuge!
Es kamen von allen Seiten Beruhigungen. Fort müsse der Baron, hieß es. Und das in’s Ausland. Man müsse die Schuld auf ihn allein werfen können. Die Welt glaube, er sei in Brüssel, in Paris, zur See. Er müsse sich ermannen. Keinen Tag sei man länger vor Arrestation sicher. Mahlo wurde sofort durch eine Sendung in die Fabrik in Kenntniß gesetzt. Denn er hatte sich, seit es productive Rente gab und die Josefa beim Betriebsdirector die Wirthschaft führte, allmälig wieder als Quasi-Arbeiter angeboten und war auch seiner bösen Tücke wegen zugelassen worden. Die Josefa hatte für ihn gebeten. Ehlerdt hatte freilich gesagt, 258 er will mir nur näher sein, um mich gelegentlich eines Abends todtzustechen.
Cohn jammerte: Dieser Mensch wird sich neben mich setzen, und während ich mein Brot mit ihm theile, erwürgt er mich! Er wird immerfort meinen Koffer betrachten und sich wundern, daß ich diesen nicht hinten habe anschnallen lassen! Ich kenne diese schrecklichen Gegenden in unserem Vaterlande, fuhr er fort, das ich Unglücklicher verlassen soll! Italien ist es grade nicht, aber man liebt es doch! Nichts sieht man ringsum als Tannen und Tannen und ewig Tannen! Früher freilich habe ich solche Gegenden zur Anlage von Villen selbst empfohlen! Aber komme ich mit diesem Mahlo in eine einsame Waldung – etwa hinter einem Finkenkruge – wo ich noch obenein die Zeche bezahlt habe, ja, dann bin ich in Amerika.
Frau Jenny streichelte Cohnchen. Er machte eine Miene fast zum Weinen.
Ach so! sagte Forbeck boshaft. Sie wollen mit einem Bocher reisen, der Ihnen auf dem ganzen Weg laut Talmud vorbeten soll! Mahlo wird Sie schon unterhalten!
Rabe malte in seiner Bosheit die Scene mit dem Bocher gleich wie nach dem Leben aus.
Wo soll ich einen solchen gleich hernehmen? fuhr Forbeck ebenso fort. Den Mahlo habe ich einigemal 259 gesehen und gleich weggehabt. Es ist ein raffinirter Bursche, der Mittel und Wege kennt! Und wenn Sie ihn für Ihren Bedienten ausgeben, können Sie ihn ganz getrost noch bis mit nach Amerika nehmen.
Warum nicht unter die Wilden? stöhnte Cohn tonlos.
Er ersetzt Ihnen den praktischen Verstand! sagte der Unerbittliche, den Sie bei aller Papierkenntniß und bei all Ihren Witzen doch nicht haben!
Eine unendlich treffende Wahrheit! Eine Wahrheit, die Cohn außerordentlich gern hörte! Es erinnerte ihn an seine in ihm schlummernde Poesie. Frau Veilchen Rebekka Cohn, geborne Hollander, hatte ihm das so oft gesagt, schon, als sie ihn noch auf den Schooß genommen. Eigentlich sollte er ja gradezu auf Genie studiren, aber sein Vater fallirte. Da lernte er das Geschäft. Er verstand Millionen zu machen. Er hatte sich den Adel von einem unserer deutschen Fürsten gekauft, den Commerzienrath durch demonstrative Wohlthätigkeitsacte errungen – aber wenn er eine Schweizerreise machen wollte, taumelte er „wie ein Kalb“ über die Berge und bedurfte selbst in der Ebene eines Führers. Es war dies die stets auf’s Geschäft ideal-speculative Richtung im Judenthum. Sie gab ihm das Ansehen eines Denkers.
260 An der Table d’hôte nehme ich mir aus Bescheidenheit immer die schlechtesten Stücke! gab er wehmüthig zu, sich endlich in sein Schicksal findend. Und an seine Sommerreisen denkend, an seine, um die Wengernalp her immer etwas verirrte Phantasie, an die Bummelochsen, die Stiere, in deren Bereich er schon oft auf seinen Schweizerreisen gekommen, beruhigte er sich endlich und sagte: Sie wollen meinen Untergang! Es sei!
Wehmüthig blickte der Gründer der Spiegel- und Rabe-Actien, der Verfasser der Prospecte, der Verwaltungsberichte mit den wundervollen immer stimmenden Bilanzen, dem so überzeugenden gedruckten Querstrich von Rechts nach Links hinüber, in Frau Jennys wasserblaue Augen. Es war nicht die Thräne, sondern die Gewöhnlichkeit, die einige milde Theilnahme spendete. Er aber sah in diesen Augen die hohe See und ihre Gefahren. Elegisch sagte er: Kennen Sie die Plüskower Haide? Nichts als Tannen, Sand und ein paar Raben, die an irgend einem Waldkruge Leichen wittern. Nur in Wagners Tristan und Isolde habe ich ein ähnliches Gefühl vom schauerlichsten vollständigen Verlassensein in der Welt gehabt und zuweilen auch manchmal in einer Sitzung unseres erhabenen Reichstags –!
Forbeck war so in Gedanken, daß er auf diese „Witze“ gar nicht mehr hörte. Rabe hatte die artigsten 261 Wendungen eines Bettelbriefes von Mahlo in Erinnerung und fand Alles natürlich und Cohns Furcht lächerlich. Frau Jenny erinnerte sich zwar der Platzpatronen, aber auch der eleganten Kleidermetamorphose und großen Vatermörder des Gefürchteten, der, seitdem die Josefa bei Raimund war, sich wieder „bewähren“ wollte.
Mit einem: Ich bin verloren! schickte sich Cohn an, in sein Reservoir zurück zu schleichen. Ich weiß, sagte er, indem er schon den Schlafrock ausziehen mußte, Sie wollen Alles auf mich schieben wie auf den Bock, den die Juden in die Wüste jagten!
Am Abend in der Dämmerung sollte Mahlo mit einem Wagen vorfahren. Der Kutscher sollte nur wissen, man wollte einen Gutsbesitzer Namens Müller besuchen. Cohn hatte sich für Müller entschieden.
Rabe übernahm die sofortige Verhandlung mit Mahlo, worauf sich Forbeck beruhigt zu seinem Einspänner begab, der so lange gehalten hatte. Einige Male stolperte sein Roß. Das erinnerte ihn daran, daß der Führer des Gefährts eine Rechnung bei ihm eingereicht hatte, die in solchem Grade angeschwollen war, daß er sich rüsten mußte, morgen zu Fuß zu gehen.
O wie fuhr er sonst durch die Straßen! Zweispännig und im offenen Gefährt. Hingegossen mit Behagen wie der Mensch nach Tisch, nicht selten eine 262 Cigarre oder noch den Zahnstocher im Munde! Vom weichen Wagenpolster aus sah er auf die zu Fuß wandelnde Menschheit herab. Jetzt kroch er in die Enge eines abgesetzten Doctorwagens, wo ihn sogar grünseidene Vorhänge vor einem Gesehenwerdenkönnen schützen mußten. Ueberall Vulkan! Ueberall Mahlo’sche Platzpatronen! Und diesmal auch Granatsplitter! Patronage alten Styls, Vertuschung, Unterdrückung höheren Orts gab’s nicht mehr! Diese gehörte dem vorigen Jahrhundert an –! Die Mutter jammerte. O, als noch eine mächtige Hand die Maßnahmen der Justiz lenkte, da konnte noch ein Fußfall, ein geküßter Kleidessaum ihren Lauf hemmen, ihre Binde auch auf die Augen des Richters legen. Wie verwünschten Beide diese neue Politik!
Forbeck hielt im Geist seine Vertheidigungsrede. Schwindel wäre ja jetzt überall die Losung. Es wäre die Errungenschaft der Zeit, diese fictive Abrechnung, diese Differenz zwischen Nichts und Plus und Minus und Nichts – das baare Geld wäre an sich überflüssig! Nur für die nächste Existenz sei es nothwendig! Goldstücke wären Scheidemünze! Der dröhnende Schall der Börsenglocke, das tägliche Bulletin der Syndicate müsse entscheiden. Laßt doch das Gemenge von Wahr und Falsch! Laßt doch die Wellen rauschen! Die Mischungen 263 durcheinander gehen! Wir bahnen der richtigen socialen Frage den Weg! Die wird das Uebrige hinzuthun zu unserem Idealismus! Alles, wie es ist, hört auf! Neue Gesellschaft! Neuer Staat! Vielleicht – zum Anfang erst ein allgemeines Morden! Wer übrig bleibt, macht die neue Zeit!
Aber nicht nur das zeitliche Nichts, auch das ewige beschäftigte den brütenden Träumer. Denn die Kugel war längst da und das Pulver auch. Er verglich die Dinge, die ihn noch an’s Leben fesselten. Was war’s? Die Frauen? Diesen Reiz hatte er ausgekostet. Aber Ada! Wahrhaftig, eine Thräne rollte über seine Wange. Ada! Ada! Du konntest so bitterböse mit mir sprechen und oft so grundgut handeln –!
Er raffte sich auf. Ach! dachte er, nur eine einzige erhebende, angenehme, erquickende Stunde! Da fiel ihm Edwina Marloff ein.
Aber an die Ungarin denkend, befühlte er sein Portemonnaie. Er fand, daß es zu leicht wog.
264 Elftes Kapitel.#
Himmlische, göttliche, reine Liebe! Durchströme mein Herz! Beflügle meinen Geist! Sei du mein Alles! Liebe sei in jeder Handlung meines Lebens! Liebe sei jedes Wort, das ich zu Menschen spreche! Liebe bestärke mich, den Haß zu ertragen! Liebe stehe mir bei gegen Neid und Bosheit und Verleumdung! O welch ein Glück, so fest, so sicher gestützt auf die Kraft eines Wesens zu stehen, das uns schützt, das uns hält! Laß sie kommen mit Hinterlist, mit sich blähendem Hochmuth! Was ist mir das? Mit meinem Himmel im Arme, mit meinem Helden an der Brust wage ich Kämpfe gegen Recken und Riesen!
So jauchzte es in Ada, der endlich wirklich gerichtlich Geschiedenen. In ihrem kleinen Wohnraum, den sie sich nach Gefallen eingerichtet hatte, Alles zu Ottomars Freude und Bequemlichkeit. Die Welt um sie her mochte rauschen und wogen, selbst Stimmen, die zischelnd laut wurden, alte Freundinnen sie gar nicht mehr besuchten, oder wenn 265 sie kamen, mit Vorwürfen und Verwunderung – ihr war das Alles gleichgültig – sie nannte es Sternschnuppe.
Das Gefühl des Behagens ergriff Jeden, der hier einblickte in den kleinen lauschigen Raum, den sie sich geschaffen hatte. Ueberall zeigte sich ihr künstlerischer Geschmack, der auf Harmonie ging. Ein Feenreich nannte Ottomar die bescheidene Behausung. Das kleine Schlafgemach, wo jetzt Ada wie ein müder Vogel in seinem Neste ruhte, erinnerte sie mit den blumigen Vorhängen und Teppichen, dem graziös drapirten Toilettentisch an ihre Mädchenzeit. Daran stieß durch Portièren verbunden Adas kleiner Salon, wohin ihr alles Liebe, Trauliche, Gewohnte gefolgt war. Da stand der kleine Schreibtisch mit Ottomars doppeltem Bilde auf bronzegelbem Gestell, einmal bürgerlich, einmal als Offizier. Wie manches zärtliche Briefchen wurde hier an ihn geschrieben! Abends ruhte sie auf ihrer Chaiselongue unter einer Bücheretagère, welche wohlbekannte neuere philosophische Werke neben zarten goldgeränderten Lyrikern enthielt. Ottomar saß ihr zu Füßen, manchmal sich vorkommend wie Herkules bei der Omphale, zwar nicht spinnend, aber doch zuweilen ein buntes Garn haltend, das sie an seinen Händen abwickelte. Ihr Nähtischchen, und darauf immer eine kleine Vase mit Blumen, stand in der Nähe.
266 Ada hatte den Mann, vor dem sie schwach, unausgebildet und unvollkommen zu sein bekennen wollte und der mit Sanftmuth, Liebe, Güte Alles nachholen sollte, was ihr noch an ihrer Bildung fehlte. Sie hatte ihn sich selbst erobert. Abends bei einer Tasse Thee fand sie ihn allein so unterhaltend wie eine ganze Gesellschaft von Steeplechase-Reitern, unter denen sie früher gelebt hatte. Auch jenes unglückliche Mädchen, das in ihrer Welt- und Menschenverachtung immer tiefer gesunken war, hatte eine Zeit gehabt, wo sie wie jetzt Ada gelebt hatte. Es zeigte sich, wie ein edler Mann, durch das volle Ausströmen seines Werthes ein weibliches Wesen ganz zu erfüllen und zu beglücken vermag. Leider war bei Edwina der moralische Untergrund in frühster Kindheit ein für allemal verdorben. Die Ungarin, die ihr einst das Leben gerettet hatte, hatte ihr neuerdings wieder Grundsätze der Gleichgültigkeit und des Va banque! einzuflößen verstanden.
Die Annäherung an Ottomars so bescheiden lebende Familie machte sich endlich allmälig. Bedeutungsvolle glückliche Ereignisse erleichterten dieselbe. Freilich auch die tiefe Demüthigung der zwei Jahre Gefängniß, die Forbeck bekam, zwar nicht der Adels-, aber der zeitweilige Ehrenrechtsverlust! Es mußte verschmerzt werden. Cohn drei Jahre! Mahlo hatte diesen auf der Absteigestation ganz gemüthlich verrathen und blieb dann auch sogleich in der Stellung, die ihn ferner 267 ernährte, der eines Hülfsarbeiters bei der geheimen Polizei. Rabe erhielt – sechs Monate. So viele Familien hatten plötzlich in ihren Vätern und Brüdern Verbrecher bekommen! In liebenden, sorgsamen Vätern, in eifrigen arbeitsamen Brüdern, die ganz nur der täglichen Beschäftigung mit ihrem Berufe lebten! Die moralische Unklarheit über das, was im Handel und Erwerb erlaubt ist, was nicht, rächte sich und das gräuliche Wort des Kaisers Vespasian, das dieser hoffentlich nicht aus Palästina, dem Lande der Juden, mit heimgebracht hat: Jeder Gewinn, er mag kommen, woher er wolle, hat Wohlgeruch! wurde von der Nemesis mit dem Staubbesen vom Eingang zur Börse heruntergeschlagen. Das glückliche Ereigniß war Wolnys Verheirathung mit Martha und für Ada das Ueberraschendste das Jawort, das Helene dem hinkenden nordamerikanischen Seecapitän gegeben hatte, dem reichen Erben, dem Adoptiv-Sohne Schindlers.
Hier war die erste Regung bei Helenen allerdings nur das Mitgefühl gewesen. Die Liebe gleicht der alten Stadt Theben, die hundert Thore hatte. Zumal dem Frauenherzen naht sich die Liebe auf geheimnißvollem Wege. Eine Vorahnung der Zukunft muß es erst vor dem Jawort, das es giebt, ergriffen haben, eine Unterbringung des Bewerbers in irgend einer Vorstellung vom Leben überhaupt, die vom kindlichen, dann gereifteren Mädchen-268herzen erträumt wird! In diese Perspective paßten dann Holls Erzählungen, die männlichen Bewährungen seines abenteuerreichen Lebens so ganz hinein. In Helenen lebten Anschauungen, die einer Einsamen mehr als Andern kommen mußten. Auch die Berichte, die Holl zuweilen aus dem Leben seines Prinzen erstattet hatte, hoben ihn selbst. Denn den Spott ließ er nur die Hörer ausüben. Holl wurde ein Liebling aller Menschen, die ihm näher rückten. Zugleich war er ein treuergebener Sohn seines neuen Adoptiv-Vaters.
Eine Ahnung über den Grund der Luzius’schen Verzweiflung beschlich Holl niemals. Die erste Ursache seines Schicksals ging ja von nur Einem unter sechszehn Kaufmannsgehülfen aus! Wer dachte da grade an den, der später Rechtsgelehrter wurde! Luzius hatte außer einer mäßigen Lebensversicherung Nichts für seine Familie hinterlassen. Möglich, daß er diese strafen wollte. Als Schindler die Familie am Morgen nach dem grauenvollen Ereigniß antraf, waren schon alle Zimmer für die Confectioneusen in Anspruch genommen, die in schwarzem Flor und Crèpe de Deuil arbeiteten. Im Grunde gönnte auch Schindler dem Hochmuth, der Herzlosigkeit, der Vergnügungssucht diese Demüthigung durch eine gegen früher kaum nennenswerthe Einnahme. Ottomars Fortführung und Abwicklung der Geschäfte versuchte zwar 269 Alles, was möglich war, herauszuschlagen, aber Schindler war Nachlaßverwalter, strenger Vormund, und handelte energisch. Sein Humor verließ ihn dabei nicht. Er machte Jagd auf Ehepartieen für die beiden Mädchen. Und siehe da! Dieterici, der sich ein kleines Verwaltungsamt nach dem andern verschafft hatte und auf eine Brochüre hin: „Das Urproblem der Gesellschaft. Zur Lösung der socialen Frage“, bei einem unsrer kleinen Fürsten Hofrath geworden war (die Lösung bestand trotz seiner Philosophie und Poesie einfach in einer umgekehrten Richtung der Krupp’schen Kanonen), ging ihn eines Tages selbst um zwei vacante Vorstandsposten bei Stiftungen an, über die Schindler mitzusprechen hatte. Und da gleichzeitig Jean Vogler als Kreisrichter zwar nicht nach Inowraclaw, aber nicht weit ab, in die Gegend von Krotoschin versetzt wurde, und Schindler einen Vorschuß von 875 Thalern 22 Groschen 7 Pfennigen, den Luzius dem Bonvivant geliehen, gebucht vorfand, so machte er Beiden – Vogler war außer sich wegen einer angedrohten Schuldeinforderung – die Bedingung: Du bekommst die beiden Rendantenstellen und gegen Dich strenge ich die Klage um sofortige Einzahlung oder Pfändung nicht an, wenn Ihr mir eine der Töchter meines Freundes Luzius wegheirathet! Sascha und Zerline – gleichviel welche! Macht das untereinander 270 ab –! Die Scene, wie Beide, die seit der Spritzentaufe einander spinnefeind geworden waren, sich erst zu versöhnen hatten, dann in zwei Aepfel, die Ehe überhaupt, die ganz gegen ihren Geschmack war, beißen mußten, sich hierauf über ihren Geschmack orientiren und zuletzt doch entschlossen, durch das Loos zu entscheiden, wer um Sascha, wer um Zerline werben sollte, gehört der Feder des Lustspieldichters an. Die Karten: Hofrath Dieterici und Zerline Luzius, Kreisrichter Jean Vogler und Sascha Luzius, überraschten alle Welt.
Solche und ähnliche Vorgänge gaben stets Stoff zur Unterhaltung und diese schloß mit dem immer gleichlautenden Geständniß Ottomars: Süßes – süßes Leben, wie hast du mein ganzes Sein ergriffen, wie mein Wollen und Streben miterfüllt! Eine Liebesthat hast du um mich gethan! Sie bindet mich auf immer! Man darf ein hochherziges Weib nicht im Stiche lassen. Und da Udo selbst um eine Andere warb, selbst seine ihm auferlegte süße, von ihm nicht verstandene Fessel brechen wollte, so spricht mich auch mein Gewissen von Freundesuntreue frei! Gewiß kommt noch einst eine Zeit, wo ich ihm wieder mit alter Freundschaft die Hand bieten kann!
Nie hatte sonst Ottomar in Adas Augen andere Thränen als die der Ungeduld gesehen. Jetzt kam es zu Thränen der Freude, des Mitleids, die sie vergoß. 271 Aber sie wollte keine Reflexionen mit dem Darum und Darum. Sie wollte nur von Liebe reden hören.
Den großen Mann, den Helden, der da blendet, den dachte sich Ada erst in Ottomars Zukunft. Der Staatsanwalt hatte ihm gesagt: Althing, der Spectakel mit der Gräfin und der Scheidung ist noch zu frisch! Wir leben unter den prüdesten Verhältnissen! Alles heuchelt Tugend und schreit Moral! Auf Lager hat aber Keiner selbst besonders viel davon! Das Moralisiren kommt uns auch von den Juden! Ottomar horchte staunend hoch auf. In unsre Gesetzgebung wenigstens, sagte Stracks, sind Menschen gedrungen, die weit besser gethan hätten, Rabbiner zu werden. Die Schriften gegen die Juden als Auflöser des germanischen Princips sind unklar. Im Gegentheil! Wir müssen die nazarenische Sentimentalität der „Mannesseelen“ bekämpfen. Sie entnervt die Nation. Bleiben Sie eine Zeit lang in Ihrer unabhängigen Stellung in der Bäckerstraße, schloß der wohlwollende, freisinnige Jurist. Sie werden bald zu einer höheren berufen werden! Streber waren Sie ja nie! Aber Sie sollen doch ein Ziel erklommen haben! Sie bewährten sich!
Und Graf Udo –!
Dieser seltsame, in den Reihen der Aristokratie oft vorkommende, aber selten geschilderte, gemüthvolle Anempfinder, dieser stille Gedankentitan, dieser Lord Byron 272 und Trevelyan auf dem Canapé, hatte natürlich an seiner halb schwachsinnig gewordenen Tante Constanze keinen Halt. Sein edelstes Bestreben, grade ihr die Verirrung ihres Gatten geheim zu halten, war zu Schanden geworden. Merkus zog andere Rathgeber in schwarzen und bunten Röcken bei ihr nach sich. Die Generalin verrieth ihr auch noch, daß ja auch Graf Udo um die Bildhauertochter geworben hatte. Das Alles erzeugte Staunen, Erkältung, Zurückziehen. Merkwürdig, daß das Gefühl für die eigene Vornehmheit und Fürstlichkeit immer mehr sich steigerte. Mit allerlei Wunderlichkeiten zog sie eine Schranke, die der Neffe durch unausgesetzte Aufmerksamkeiten nicht mehr niederzureißen vermochte.
Ihm selbst war eine Welt zerstört. Wohl täglich sprach er ein Dutzend hervorragender Menschen der „Gesellschaft“ – aber ganz verstanden wurde er im nächsten Umgang nur von seinem La Rose. Die Besuche der Fadheit, die er zuweilen vom „versöhnten“ Prinzen Rauden erhielt, konnten ihn nicht aufrichten. Die Scheidung hatte ja auch er gewünscht. So oft er Ada gesehen, schon als Kind, war ihm ihre Wildheit antipathisch gewesen. Ich habe etwas vom Pedanten! hatte er wohl Diesem oder Jenem schon gesagt. Das liegt in den Nerven, im Blut, im Willen. Mein Wille ist schwächer, als die Betrachtung. Selbst die Treue, machte er sich wieder 273 bei andrer Gelegenheit Vorwürfe, hält bei mir nicht lange Stich. An dem Tage, wo ich Helenens Ablehnung empfing, ging ich in’s Theater! Das gestand er sich selbst, und mit innerm Vorwurf. Aber darum konnte ihn doch Nichts recht trösten und aufrichten. Kein Buch, kein Musikstück, keine Zerstreuung durch den Besuch einer von der Stadt etwas entlegeneren minder gewöhnlichen Gegend. In allen Wäldern, in allen Schatten, im Sonnenschein, in Wolken – in Alles legte er elegische Gedanken. Ueberall sah er den Regenbogen, über welchem die goldlockige Iris, Helene Holl, dahinschritt. Was sie diesem wohl verbunden hat? sprach er kopfschüttelnd und voll Eifersucht.
Nach dem Süden zu sehnte er sich sehr zurück. Er hatte den großen Staatsmann gesprochen, der ihm seines häuslichen Unglücks wegen aufrichtig sein Bedauern aussprach und ihm rieth, doch ja in die alte Laufbahn zurückzukehren. Sie würde ihn zerstreuen. Sein Posten sei ja noch unbesetzt und brächte keine andre Sorgen, als wenn einmal ein deutsches Schiff im Golf von Biscaya gescheitert wäre. Zum Diplomaten im großen Styl taugen Sie nicht, lieber Graf! hatte rundweg die Diagnose des berühmten Staatenlenkers gelautet.
Der von einer so dictatorischen Aeußerung Ueberraschte, fast Verletzte, drückte sein: Warum nicht? 274 nur durch ein zuckendes Erheben seiner sonst so milden Augen aus.
Sie reflectiren zu viel und hören sich gern selbst reden! hatte der Lenker unsrer Geschicke geäußert. Am Geistreichseinwollen mußte auch Ihr Freund (er nannte einen unglücklichen Namen der neuern Geschichte) zu Grunde gehen, wie Kaiser Max daran in Mexiko zu Grunde gegangen ist. Eines ist es, Feuilletonist sein, und das Andre ist, identische diplomatische Noten schreiben! Wenn Sie wüßten, hatte der große Mann sogar geschlossen, wie schon bei jeder Rede, die ich halte, auch bei mir die Neigung zur Mitarbeiterschaft am Kladderadatsch mich foltert –! Wie oft ich Ausdrücke wähle, die ich hintennach bitter bereue –! Nein, es ist Nichts mit der geistreichelnden Diplomatie, die nur Bonmots macht und am Wiener Congreß die Länder am Bostontisch verspielt! Schon am Bundestage hat sie mir die gelehrtesten Herren, die dort in diese trippelnde Varnhagen-Manier hineingeriethen und nur nach Curiositäten jagten, unerträglich gemacht. Man muß wissen, was man in der Welt will, und im Uebrigen außerordentlich viel schweigen.
Graf Udo fand durch diese offene Erklärung Vieles aufgehellt, was Ottomar, der tief in seinen Charakter eingedrungen war, aus Schonung ihm manchmal nur angedeutet hatte. Doch schied er im besten Einvernehmen 275 von seinem gewaltigen Chef. Das Gespräch war bald auf andere Gegenstände gekommen und gewiß gefielen des Grafen Worte: Vertilge doch endlich der Himmel alle Heuchler, die um gottgeweihte Wahrheiten herumschleichen und nur im Trüben fischen und weltliche Macht und Reichthum erringen wollen!
Es war von der Stimmung der alten Gräfin die Rede gewesen, von dem Einfluß, den jetzt die Geistlichen über sie zu gewinnen anfingen. Die Anzeichen des Zorns auf ihren seligen Wilhelm mehrten sich. Seine Bilder wurden verhängt, theure Andenken beseitigt; das schon aufgestellte Althing’sche Monument wurde seltener besucht; die Briefe, die Raimund Ehlerdt, die Baronin Ugarti, zuletzt Edwina selbst an sie zu schreiben wagten, wurden der Polizei als Erpressungsversuche übergeben.
Graf Udo sah das Alles mit Schmerz. Sein Gemüth verstand erst jetzt das innere Leben und Bedürfen des Grafen Wilhelm. Er sah den Onkel als Cavalier an dem kleinen Hofe zu Ingenheim-Rauden, er sah den lebensfrischen, hochgebildeten, reichen Mann als Jäger sich tummeln, die Gesellschaft beleben, Alles entzücken durch seine Anmuth, seinen Witz, sein reiches Wissen. Bücher, namentlich alte von Antiquaren nach Katalogen gekaufte, waren seine Leidenschaft. In allen alten Büchern, hatte er oft gesagt, fände er Form, Gestaltung, Sinn 276 für Abgerundetes und Fertiges. Alles Neue sei unfertig, und voll Prahlsucht. Und dabei mußte ihm, dem alle jungen Herzen anhingen, dann plötzlich widerfahren, daß es auch die Prinzessin Tochter war, die in ihm den Himmel auf Erden fand, die Tochter des „regierenden“ Fürsten. Sie hatte zuweilen Anträge gehabt, aber die Frage der Finanzen stimmte nicht. Nun wollte sie ganz nach dem Herzen wählen, obschon sie schon in den Dreißigen war. Da mochte Graf Wilhelm nicht unzart sein. Er zog sich nicht zurück. Und in der That, eine Prinzessin hat immer etwas in ihrer Umgebung, das sie hebt, in manchen Fällen sogar begehrenswerth erscheinen läßt. Erst nach manchem Jahre einer glücklichen, sozusagen diplomatischen, kinderlos gebliebenen Ehe, lange vor den Begegnungen mit den Forbecks, trat eine sogenannte Untreue ein, die nun plötzlich von der Fürstentochter so empfindlich, so gänzlich vom Unvermögen, die eigne Unbedeutendheit zu erkennen, aufgenommen wurde! Sie hatte doch soviel Wohlwollen und Güte sonst im Leben in Bereitschaft. War das alles nur „Conduite“? „Wohlerzogenheit, höfische Schulung“? „Trotz auf unser Christenthum“? Der große Sesostris hatte 150 Söhne, sagte Graf Udo gelegentlich, und ist gewiß nicht in die Hölle gekommen!
Wenn Graf Udo oft und oft auf Edwina in seinem Denken zurückkehrte, dann mußte er immer vor Erregung 277 aufspringen. Die mephistophelischen Bemerkungen des auf sechs Monate „kaltgestellten“ und zum Kleben von Briefcouverten verurtheilten Exverwaltungsraths Harry Rabe über die Armuth des Schöpfers an Menschenwaffeleisen schien sich in der That zu bestätigen. Denn was Rabe von gewissen breitschultrigen Hochblondins ausgesagt hatte, die Alle wie aus Einer Pfanne gegossen wären, bekam fast Bestätigung. Udo fühlte zuletzt einen brennenden Reiz, Edwina zu sehen! Sie sollte sehr verloren haben, das wußte er schon. Aber die ganze Welt, die ihm seither wohlgethan, hatte er ja verloren! Ueberall verwelkte Blüthen! Oder sollte er sich in jene Welt stürzen, in welcher sein „Freund“, der vielredende Diplomat weilte? In dieser Sphäre riß man sich freilich um ihn. War er doch reich, jung, liebenswürdig, ohne Gattin! Aber La Rose hatte Recht, wenn er sagte: Es wird Monseigneur jetzt nur noch am Tajo wohl sein!
Auch machte sich der Graf über Edwina eigentlich Vorwürfe. Ich hätte doch die Erziehung des Oheims fortsetzen sollen! sagte er sich. Dann lachte er freilich: Du – nicht zurückgehalten durch das Gesetz der Natur! Das hätte schön geendet! Nein, nein, du mußtest sie fliehen! lautete sein Selbstgespräch. Aber dann gaukelte in seinen Phantasieen doch Edwinas Vorleben fort mit bunten Bildern. Die ersten Eindrücke Ungarns –! 278 Das Leben bei der Ugarti! Die mögliche Bestimmung, die man ihr hatte geben wollen, sie einem vornehmen Türken zu verkaufen! Allem dachte er nach, sprach auch gelegentlich mit dem Fürsten Rauden darüber, selbst mit Merkus auf Anlaß der Nachricht, daß der Verlobte, Raimund Ehlerdt, sich im Krankenhause nicht erholt zu haben scheine, sondern unter der Obhut seiner verheiratheten Schwester dumpf fortvegetire.
Die Zeit der Abreise des Grafen auf seinen wieder einzunehmenden Posten rückte näher. Von allen Seiten kamen Kunden, die nur von Glück erschollen. Er allein war ausgeschlossen. Sein Gemüth konnte es nicht ertragen. Nicht vor Neid, sondern vor Schmerz. Sogar Fürst Rauden hatte endlich einen wirksamen Operntext gefunden, den er ihm selbst gegeben hatte, den dramatisirten Anfang der Iliade: Der Königsstreit. Im Geist sah Prinz Narziß den Theaterzettel mit Riesenlettern schon an allen Straßenecken. Nur zwei Menschen sind entschieden unglücklich, sagte sich Graf Udo, zwei – er meinte sich und nach einer Ahnung – ganz gewiß auch Edwina! Er schickte La Rose aus, sich nach ihrer Wohnung zu erkundigen.
La Rose berichtete d’un quartier très-vilain.
279 Zwölftes Kapitel.#
Miezchen! Miezchen! Warum bist Du mich denn so traurig?
So sprach man in einem nicht mit Goldtapeten gezierten Zimmer. Keine Portièren verdeckten hohe gothisch geformte Thüren. Nirgends verriethen schwellende Sessel oder Diwans den ehemaligen Comfort.
Sei doch lustig, Miezchen! Es wird ja schon wieder Alles gut werden! Wenn Du nur gut thun, nur arbeiten wolltest! Der Herr Hofrath Dieterici hat Dir doch eine so schöne Stelle als Zeichnerin für ein Modejournal verschafft! Du kannst ja so wunderhübsch zeichnen! Malst ja auch, Miezchen! Nimm doch das, Kind!
Die „alte Müllern“, Edwinens Großmutter, hatte natürlich den Namen Dieterici in Kikerizi entstellt und das Modejournal wurde ganz schnöde von ihr die Schneiderzeitung genannt und die ganze Rede an das kranke 280 Miezchen, das auf einem Sopha ausgestreckt lag, war im allergewöhnlichsten Volkston gehalten.
Edwina verstand aber diese gutmüthige Sprechweise und schwieg. Sie lag auf einem Sopha ausgestreckt, den Kopf in die Hand gestützt; jetzt schüttelte sie diesen, sie brütete nur. Die Polizei war in ihr Leben eingedrungen –! Das war furchtbar. Erst in Folge ihrer Briefe an die Gräfin. Nun waren ihr Pflichten auferlegt worden, von denen sie behauptete, daß ihr von deren Erfüllung der Wahnsinn kommen würde. Sie zitterte an Händen und Füßen, wenn sie das Alles bedachte. Sie strich nur öfter über die Stirne hinweg. Diese war in der That schon voller Falten, die nicht weichen wollten.
Geh’ nur um Gotteswillen nicht auf die Straße! Thu’ mir und uns, weißt Du, dem Alten, nicht die Schande an! Der Alte hat alle Geduld verloren! Da – (die Sprecherin griff unter ihre Schürze) sind hundert Thaler, die er Dir wieder schickt –!
Trage sie hinunter zum Wirth! sagte Edwina kurz.
Na! Dann haben wir wieder Nichts – murmelte die Großmutter, gehorchte aber.
Die Alte wohnte jetzt endlich unter Einem Verschluß mit ihrer Enkelin und bediente diese. Die Baronin Habenichts, wie die Ugarti von Frau Müllern genannt wurde, war ihr ein ganz besonderer Widerpart. Sie 281 zog sich immer in die Küche zurück, sowie sich nur die Abenteurerin einstellte.
Aber ganz mit denselben Schmeichelworten: Maruzza! Maruzza! Sei doch nicht so traurig! und in einer Toilette, die aus hier und da noch zusammengerafften Seiden- und Sammetfetzen bestand, kam die Ugarti eben von einem Ausgang heim. Schau’, schau’, was ich mitgebracht hab’! Sorgenbrecher! Lali, Lalu –! Die alte Kokette sang einen französischen Refrain mit eleganter Aussprache und zog eine in grünes Papier, die Farbe des Propheten, gewickelte Flasche Champagner hervor. Maruzza! Warum dem Schicksal nachgeben! Warum die Flügel hängen lassen! Schlechte Zeiten! Kommen wieder gute! Lali, Lalu! Der verdammte Zichy! So kam sie auf einen Bericht über ihren Ausgang und schickte sich an, die Champagnerflasche zu öffnen. Er ist abgereist! Wie wenn Nichts vorgefallen! Auch der edle Ghika! So sind diese Kunden! Habe nicht gefragt, ob sie in den Hôtels ihre Rechnungen bezahlt haben. Waren vielleicht Abenteurer! Ganz falsche! Es wimmelt ja von – Grobzeug.
Edwina sagte mit nicht zu schildernder Bitterkeit: Du hattest noch Glauben, Glauben an die Männer –? und schüttete zwei große Wassergläser des berauschenden Trankes hinunter, blieb aber auf dem Sopha liegen und 282 stützte das Haupt auf. Ihr schönes aschblondes Haar schien geordnet, doch hingen einige Flechten herab. Corregios Magdalena. Der Todtenkopf, die Reue und wohl auch die Hoffnungslosigkeit fehlten.
Ei, das ist doch lustig, fuhr die Baronin fort, die auch ihre Stärkung zu sich nahm, setzt mich die Großmutter immer in’s Katzengeschlecht! Ob sie auf mein zähes Alter stichelt! Ja, mich frage Einer aus, wann ich geboren bin.
Es war eine Erinnerung an die Polizei. Furchtbar bäumte sich Edwina.
Schweig’ und komm’ mir nicht so nahe mit Deiner Hand! unterbrach sie die Schmeichlerin und wehrte die Liebkosungen der alten „Wohlthäterin“, der „Retterin ihres Lebens“, ab, der sie zuerst so viel böse Lehre, böses Beispiel, jetzt wieder bösen Rath verdankte. Ach, am Kinde ist alles Frivole wie Frühlingsreif! Es hält nicht Stand, es vertreibt keinen Blüthenkeim, es geht dahin unter fröhlichem Kichern. Aber später, wenn der Blick auf die eigenthümlichen Reize des Geschlechts, auf Leben, Lehre, Beispiel, Rath beim Urtheile sich gestärkt haben, dann ist Unlauterkeit im Sprechen und Denken Herbstreif. Vor diesem sinken sofort die Blätter der edlen Linden- und Ahornbäume und massenhaft bedecken sie plötzlich die Erde. Noch in die Schweiz hatte Edwina 283 über die Geheimnisse des Geschlechtslebens nur Spott, Necksucht, Reiz zum Lachen gebracht. Heil war die Haut. Lange, lange, wenn auch nicht heil mehr die Seele. Ihre Ansätze zur Tugend kennen wir ja. Sie wurden zu kalt aufgenommen, nicht ermuntert. Aus sich selbst konnte sie Nichts schöpfen. Dafür war sie zu eitel, zu blasirt. Endlich hatte sie sich ganz der Wahrheit, der Regel, der Entsagung widmen wollen, als sie Raimund Ehlerdt kennen lernte und in unbegreiflicher Selbsttäuschung anfänglich wirklich geliebt hatte. Dieser furchtbare Irrthum! Sie hatte geglaubt, ein Abbild des Herrn der Schöpfung in ihm gefunden zu haben, ein Seitenstück zu seiner ihr so imponirenden Schwester. Wenn sie jetzt weinte – so war es nicht über den Verkommenen, sondern um ihren eignen „schaudervollen Irrthum“! O die Lüge, wie regiert sie die Welt, und falsche Wege machen, einen Weg hin und denselben wieder zurück, das bringt wilde Naturen außer sich. Auch war sie zu „unendlich müde“, etwas Neues anzufangen. Alles was sich gut anließ, hörte ja sogleich auf. Da ließ sie die verschmitzte Ungarin hantiren und lachte mit den schönen Männern, die ihr diese des Abends zuführte.
Sie stürzte wieder einen Becher des berauschenden Getränkes hinunter. Was soll mir, brütete sie, sich am Spiegel postirend und den Vorzeichen des Rausches auf-284trotzend, des Alten Befehl, Dietericis Anerbieten anzunehmen! Costümes erfinden, die ich nicht tragen kann! Denken für Anderer Eitelkeit, die glücklicher sind, als ich! Die im Theater lachen, sich in den Logen wälzen! Hu, nach Polen, fuhr sie in Betrachtung fort, da will er mich auch mitnehmen, wenn ich gut thäte! Noch hatte der Pflegevater für einen häßlichen Namen, den er ihr schon gegeben, keine schlagenden Beweise. Die lustige Gesellschaft, die mit Cavaliermanieren Nachts im Hause rumorte, wer konnte das Alles controliren, auch die in die welke Hand der Ugarti beim Abschied gedrückten Dukaten zählen! Das Zurückgehen des äußern Glanzes schien ja natürlich. Edwina war majorenn. Sie hatte ihr Vermögen durchgebracht, in Hoffnung, durch Glanz zu imponiren, eine hohe Stellung zu gewinnen. Jetzt konnte die Pfändung der kostbaren Spiegel, Consolen, der Etagèren, der langen Ausziehtische zum Speisen der Schmarotzer nicht Wunder nehmen. Oft geschah das unter harten Worten der Gläubiger, Rücksichtslosigkeiten der Gerichtsvollstrecker. Edwina hatte Stunden der innern Einkehr. Sie dichtete dann. Sie dachte an Druckenlassen. Aber was brachten einige Verse an den Mond, an die einsame Weide, an den Bach, „wo die tiefste Stelle ist“, ein? Verloren! war ihr steter Refrain. Die Gemeinheit ihrer Duenna nannte Alles „verfehlte Speculation“ und 285 rief nur immer: Wien! Wien! Da sollte ein „neues Leben“ aufgehen. Den tiefen Riß, der durch Edwinas Seele ging, verstand die Frau nicht, deren einzige Poesie in ihrer schönen Heimath und in der Dosis Cyankali lag, die sie auf ihrem falschen Busen trug. Oft schon rang Edwina mit dem magern, gespenstischen, aber starken Weibe und wollte ihr das todbringende Fläschchen entreißen. Gieb! Gieb! Was soll mir Wien! Sieh’, wie ich abfalle! konnte sie in einen alten Spiegel blickend verzweifelnd ausrufen. Sieh’ diese grauen Haare! Diese hohlen Wangen! Sieh’ diesen matten Blick! Ich will sterben –! Ich muß sterben –! Schminke ist kein Leben! Mich reißt Nichts mehr empor –!
Die Ungarin lachte. Sie stutzte ihre Maruzza Abends immer wieder so auf, daß der erste Eindruck fast der alte blieb.
Ich könnte Bücher schreiben! seufzte oft Edwina. Ich könnte den Philosophen Räthsel aufgeben! Haben die denn das Leben erkannt? Hat wohl Eure Rahel das Leben auch nur in Einer Pflicht erkannt? Sie hat Nichts beobachtet, als die Fliegen an der Wand. Sie hat jede Dummheit als wichtig ausgeschrieen! Es ist ja Alles halb, unfertig bei ihr, und der Ernst des Lebens will ein Entweder Oder – die gräuliche Alternative Tugend oder Nicht-Tugend! Und vor Allem geistige 286 Heimath! Wer die nicht hütet mit Cherubimschwertern, wer da tändelt mit dem Schönen, Edlen, Guten, der ist in einem Gefängniß, er weiß nicht wie! Ich bin gefangen in mir selbst! In der Ugarti auch –! Ach, mein Vater! Den ganzen langen Tag wartete ich auf sein Erscheinen, übte mich im Fleiß, sorgte für eine abendliche Ueberraschung! Die Lampe, der Tisch, Alles mußte blank, hell, schön sein! Man wußte, wofür man lebte. Dann klingelte es! Er kam –! Ich zog ihm die Handschuhe aus! Ich war ein gutes Kind! Ich plauderte, er erzählte, wir spielten Schach. Ich war eine verzauberte Prinzessin! Und er – freilich mein Hochmuth! – ein Graf! Ugarti! unterbrach sie ihr Träumen. Was essen wir morgen? Ich habe keinen Groschen Geld!
Kein Seufzer folgte. Noch ein Glas Champagner wurde hinuntergestürzt.
Die alte Großmutter ahnte, was die Ungarin mit der Aufforderung zum Ausgehen sagen wollte. Edwina! schrie sie und stürzte auf das abenteuerliche Wesen, das Edwinens Toilette ordnete, zu, um ihr die Champagnerflasche und die Tochter ihrer Tochter zu entreißen. Du bleibst! Du gehst nicht mit ihr! wiederholte sie.
Die alte Müllern hatte nicht Kraft genug gegen die Krallen der Ugarti. Der Wirth hatte die hundert Thaler genommen. Reichthümer hatte Marloff trotz 287 seiner sparsamen einfachen Lebensweise nicht sammeln können.
Und wie ein Verzweifelnder auf der Spitze eines Felsens steht, unter ihm die brausende Woge des Meeres tobt und er ermißt: Stürzest Du Dich hinab? Wagst Du den ungeheuren Sprung, der Dir das Entsetzen noch eine Terzie lang fühlbar machen wird –? so stand Edwina am Spiegel und warf dann einen Sammetmantel um, der schon einige Saisons mitgemacht hatte. Ihre edle Gestalt ließ sich nicht verdecken. Der Federhut saß unternehmend auf dem schnell wieder geordneten Haar. Ein weißer Schleier wurde über das Gesicht gezogen. Der Quast mit rother Schminke betupfte noch leicht die Wangen.
Die Ungarin trug ein auffallend langschleppendes Seidenkleid mit weißen Spitzen, die ihre Bleiche wohl zumeist nur vom Mondlicht erwarten konnten.
So gingen sie – auf die Straße. Die alte Großmutter rang die Hände.
Inzwischen war Graf Udo auf dem Wege und tastete zuweilen auf die linke Brusttasche, wo sein Portefeuille nachholen wollte, was doch wohl von uns, wie er sagte, versäumt worden sei. Dann nahm er einen Wagen. La Rose immer mit. Dieser sollte warten. Ich wollte nur diese Hülfe noch bringen! sagte der Graf 288 wiederholt zu dem Franzosen, der das ganze Verhältniß kannte und einen Lieblingsspruch hatte: Ich schreibe keine Memoiren! Er kannte die menschliche Natur und deren Schwächen.
Als sie dann wieder ausstiegen, raunte La Rose dem Grafen, der immer von einer „Aufrichtung“ sprach, in scherzhafter, petillanter Unterhaltung auf französisch die Maxime zu: Vertiefen Sie sich nur nicht mit dem Bessernwollen! Die Untugenden fangen bei uns gewöhnlich zu wachsen an, wenn wir durchaus bei Andern Tugenden säen wollen. Was nicht von selbst wachsen will, davon halte man die Hand fern!
Der Wagen hielt. Der Graf stieg aus. La Rose wollte warten. Er sagte: Zwei Treppen hoch! Rechts –!
Der Graf stieg hinauf. Die alte Müllern öffnete. Sie war in Thränen. Der Geometer war dagewesen, hatte nach Edwinen verlangt, hatte Entscheidung wegen der Alternative: Polen ober Dietericis Anstellung als Modell-Zeichnerin verlangt. Er war ihr nachgerannt. Von Alledem erfuhr der Graf Nichts.
Er möchte warten – hieß es. Die Alte zitterte.
Aber wie sah es hier aus –! Wo bleibt Ottomars Schilderung –! Ueberall verblichene Pracht –! Seltsame Hammerschläge des Gewissens, die Udo fühlte! Du hättest doch wohl früher kommen sollen –! O diese 289 Welt mit ihrem strengen Urtheil –! Der zürnende Schatten des Onkels trat vor seine Seele und redete mit ihm –! Da stand das Schachbrett –! Sie hatte es aufbewahrt –! Eine Thräne trat in sein Auge. Einige schöngeformte Aschenbecher betrachtete er mit Wehmuth. Er kannte diese vollkommen. Sie hatten vor Jahren auf seines Onkels Schreibtisch gestanden.
Eine Weile hatte er so gewartet, auch seinem eigenen Leid nachgedacht, der Hoffnung, die er in der Natur und dem Leben der Fremde finden mußte, als plötzlich Lärm auf der Straße erscholl, ein Hier, Hier! ein bekanntes Zurück! der Polizeiwächter, ein Jammern von Frauenstimmen und endlich ein Schrei der alten Frau, die ihm die Wohnung geöffnet hatte.
Er hat’s wahr gemacht! wehklagte die Matrone und hielt sich nicht mehr aufrecht. Frauen aus dem Volke, die schon heraufdrangen, mußten sie halten. Alles war außer sich.
Graf Udo sah, was gekommen. Man brachte eine Ohnmächtige oder wohl gar eine Leiche getragen. Außer sich trat der Erstarrte näher. Ein schönes weibliches Wesen – zerzaust – blutig – ja gewiß, es war todt. Edwina Marloff! So hieß die Besitzerin der Wohnung. Wiederbelebungsversuche machte ein von der Straße gekommener Arzt. Nichts wollte dieser von Aderöffnung wissen. 290 Behüte! rief der junge Mediciner. Er warf sich über die Sterbende und blies ihr seinen Athem in die Lungen. Er befahl, sie am entkleideten Körper zu reiben. Man entkleidete die nur durch die Schminke noch Lebende. Ach! jammerte das Volk. Das schöne, schöne Mädchen! Jede edle Form kam zum Vorschein. Der alte Althing hätte sich vor Rührung abgewendet. Diese Hand! Dieser Fuß! Der junge Arzt dachte dasselbe und freute sich über die Eroberung für den Secirtisch seiner Poliklinik. Bis auf Anstalt des liebevollen Wirths, der keine Leiche im Hause haben wollte, die Boten dieser Anstalt mit dem Korbe kamen, lag die mit so vielen Reizen Ausgestattete von Ab- und Zugehenden umstanden da. Man erfuhr, was nur die Müllern richtig deuten konnte. Beim ersten verdächtigen Gang in die Nacht, unter die verrätherischen Gasflammen, auf die offene Straße war ein Mann unter dem Rufe eines Wortes, das nicht wiederzugeben ist, gekommen, hatte die mit einer Andern, die entflohen war, Daherwandernde mit nervigter Hand theils hinterwärts am Nacken ergriffen, theils mit der andern gefurchten, magern, doch kräftigen Faust an der Kehle gewürgt und zu Boden gerissen. Der Schreck der so Ueberfallenen that das Uebrige. Ein Herzschlag tödtete sie. Der Thäter, Marloff, übergab sich selbst der Polizei und nannte den Namen seines Opfers und die Wohnung.
291 Graf Udo sah tieferschüttert den schönen, immer mehr erkaltenden Leib, den man umsonst rieb, die angstentstellten Züge des Antlitzes, den Hals, an welchem alle Nägel der mörderischen Faust sichtbar geblieben waren. Immer starrer wurden die Glieder. Allmälig waren sie ganz kalt. Ihn schauderte. Ein Veto gegen Alles, was jetzt geschah, das Abholen im Korbe, das zunächst nur dem Krankenhause galt, durfte er nicht einlegen. Ein nicht anerkanntes illegitimes Kind existirt nicht.
Er gab der alten weinenden Großmutter, was er im Portefeuille trug und ging still seinem La Rose nach, der ihn an einen bereitgehaltenen Wagen führte. Er hatte sich schon das Vorgefallene von Einigen, die ein paar Brocken Französisch verstanden, erklären lassen und zuckte die Achseln.
Auf diese Schreckensnachricht stürzte denn auch Ottomar, alle hindernden Verhältnisse und Gedanken durchbrechend, am folgenden Morgen zum Grafen.
Beide so eigenthümlich verbundenen und getrennten Freunde umarmten sich. Beide mit Thränen.
O laß uns Nichts erörtern vom Erlebten! rief der Graf. Nur eine Lehre gieb mir noch mit in die weite Ferne! Siehst Du das blaue Meer? Dahin richte ich die Wimpel! Hast Du noch etwas für mich gefunden? Etwa in Adas Augen Neues entdeckt? Nein, unterbrach 292 er sich, Nichts mehr vom Persönlichen. Nur sage mir: Glaubst Du an eine Weltordnung, die uns zu sittlichen Handlungen bestimmen soll?
Nein, entgegnete Ottomar fest und bestimmt. Merkus mag daran glauben! Sittliche Weltordnung ist eine Phrase, die nur zur Beschönigung von Lüge und Heuchelei dient! Wo bleibt bei „sittlicher Weltordnung“ die verrathene Gerechtigkeit? Wo ist die überall gestörte Harmonie? Harmonie ist da – durch unsre Vernichtung! Unsre Ignorirung! Sind nicht Tausende der herrlichsten Schöpfungen untergegangen? Die schönsten Standbilder, die herrlichsten Tragödien? Wo ist Alcäus? Wo Phrynichus? Wer rettete das stille Bewußtsein einer edlen That? Wo stehen die Retter angeschrieben verborgenen, ewig, ewig dunkel bleibenden Verdienstes? Nein, Freund, dem chaotischen, bösen Zufall, der diese Welt regiert, gegenüber, dem ungeheuren Gesetze der Regelmäßigkeit und Unerbittlichkeit, bleibt uns Nichts übrig, als Trotz, Standhalten, Widerpart mit den ehrlichen Waffen der Bildung und der Waffe eines richtig organisirten Herzens! Das ist die Errungenschaft der Zeit und da ist der Pessimismus dem grausamen Welträthsel gegenüber berechtigt!
Der Graf war noch erfüllt von den Gedankenreihen, die Edwinas trauriges Ende in ihm geweckt hatte. Er 293 dachte an Helenen und erwiderte seufzend: Aber die Rosen blühen doch noch immer!
Beide trennten sich, wie sich der Früchtesegen vom Baume löst.
Kommt ein gutes Jahr, so muß sich ja Alles erneuen! Sie hofften, sich glücklich wiederzusehen.
294 Letztes Kapitel.#
Der Himmel ist milde und blau, die Bäume keimen, Herbst und Winter sind vergangen.
Begebenheiten, von denen Niemand die Wurzeln kannte, hatten sich schon in ihrem Gipfelpunkte vollzogen.
Es entstand eine gewisse Gleichgültigkeit für öffentliche Dinge.
Das ewige Schöpfen unendlicher Ströme Wassers in ein und dasselbe Sieb erzeugte jene Unbehaglichkeit, die sich nicht gestehen will: Ihr habt doch wohl zu viel zerstört! Zu schnell regiert! Euer eigner Einsatz taugte nur wenig! Wir wollen ein Anderes haben und so lange Ihr das nicht bietet, lasset die Halbheit! Zeigt dem Lebenden nicht Haß, Neid, Mißgunst, Verbitterung! Hattet Ihr Wohlwollen, müßte man dagegen sagen, so schenktet Ihr Eure Gunst nur denen, die Euch schmeichelten! Es mangelt überall an Rückblicken und Kenntniß des Vergangenen! Die Wortführer erhalten keine Mahnung: Erst zu lernen und dann zu sprechen!
295 So mußte sich denn recht der Trieb der Neuen Serapionsbrüder regen, aneinander zu rücken zum Austausch verwandter Stimmungen.
Als die Carnevalszeit vorüber war, die geistige Leere nicht mehr im blödsinnigen Zuge, die Formensucht, die Nichtigkeit alles höhern Strebens sich nicht mehr bei Gastereien und Bällen zur Schau stellte, da fand man sich um den grünen Tisch wieder zahlreicher ein und beklagte recht, daß einige Mitglieder, die früher den Ton angaben, so selten kamen. Der anregungsreiche Eltester, Omma, Brandt und Andere waren da, aber ein ganzer Kreis, Schindler, Wolny, der neueingeführte Holl fehlten. Freilich vor glücklichen häuslichen Begebenheiten!
Vor Allen vermißte man den würdigen Althing, den in seinen weißen Locken Allbekannten. Aber man wußte, er hatte wiederum ein großes Unglück erlebt!
Alle Welt hatte neben seinem einfachen Sarkophag für Frau Gabriele Wolny auf einem nicht zu entlegenen Friedhofe sein in carrarischem Marmor ausgeführtes größeres Denkmal auf den Grafen Wilhelm von Treuenfels bewundert. Liebe, Beständigkeit, Treue, Hoffnung waren in charakteristischen Figuren und anmuthiger Vereinigung wiedergegeben. Den Kopf des Sockels hatte die Büste der edlen Züge des Grafen selbst gebildet.
296 Und diese ganze Gruppe war in einer finstern, sterndunkeln Nacht muthwillig zerstört worden! Ja, es ging das Gerücht, der Todtengräber hätte noch spät Abends eine verschleierte Dame mit einem kleinen Herrn vorfahren sehen, die kurz vor Schluß des Friedhofes Einlaß begehrten. Der bestallte Wächter hätte die Dame für die Wittwe gehalten, die in berechtigter Weise das Denkmal oft besucht, früher sich selbst dort die Gruft angeordnet hätte. Der Wagen wäre dann davongefahren und hätte, nach angestellter Untersuchung, an einer andern Stelle des mit andern Kirchhöfen ohne Mauern, nur durch Hecken verbundenen Friedhofes bis spät Abends gehalten. Mit einem spitzigen Werkzeuge, wahrscheinlich einem Hammer, war von Jemand, der mehr Kraft in den Armen hatte, als die Matrone, dieser Frevel verübt worden. Köpfe, Arme, Beine, Alles lag rund zerschlagen!
In Italien würde man vom Neide eines Künstlers gesprochen haben. Hier sprach man von der alten Gräfin Treuenfels, die von Geistlichen beeinflußt, schon lange im Geiste umflort, diese That in Folge einer plötzlichen Exaltation oder einer langen trübsinnigen Grübelei verübt hätte. Es seien ihr Enthüllungen nach dem Tode ihres Mannes über eine Untreue desselben zugekommen, die mit dem neulich verübten „Straßenmorde“ zusammen hingen. Daß die männliche Begleitung auf einen 297 Geistlichen gedeutet wurde, blieb als vereinzelte Thatsache unerklärt. Man nahm Anstand etwas auszusprechen, was auch nur den Schein einer Verleumdung trug.
Der erste Gedanke war sogleich an des alten Althing Empfindlichkeit, an sein schon einmal erlebtes Schicksal mit seiner Skizze „Amor und Psyche“.
Hofmaler Triesel war über den Vorfall ungemein beredt. Das Unglück andrer Leute macht alle Egoisten theilnehmend. Die Biedermänner sind nie so warm in ihrem Mitgefühl, als wenn sie das Unglück ihrer Gegner und Rivalen zu beklagen haben.
Ich kann mir die furchtbar erschütternde Wirkung dieser räthselhaften Scene auf Althing denken! sagte Triesel. Erinnern Sie sich noch, wie ihn die Erklärung der Trottoirkrankheit aufregte. Es ist mir unbegreiflich, lenkte er dann auf die Thatsache selbst ein, wie die alte Gräfin, wenn diese den Frevel (denn so nenne ich es) wirklich verüben ließ, ihre zärtlichste Liebe für den seligen Grafen so in Haß verwandeln konnte! Mir selbst hat der Graf gesessen! Nach meinem Bilde hat Althing seine Büste gefertigt! Und das meisterhaft! Gradezu vollendet! Was soll der ganze Vorgang bedeuten?
Seelenkleinheit! Weil sie erfuhr, daß jene unglückliche Person, die auf der Straße den schrecklichen Tod gefunden hat, eine natürliche Tochter ihres Mannes war –!
298 Einige Stimmen gaben diese Erklärung.
Ein Thema war gegeben. Heute ein sehr verfängliches. Sind überhaupt die Prätensionen der Ehe nicht zu groß?
Da stand man an einem verschlossenen Thor des Jahrhunderts.
Die Meinungen gingen auseinander. Die Einen wichen der heiklen Frage ganz aus und hielten sich nur an den vorliegenden Fall, erwähnten die große Anstrengung, die es, wie es hieß, die ehemalige Prinzessin gekostet haben sollte, den Mann ihrer Wahl zu bekommen. Andere behaupteten dagegen, die Dame müßte nie in den Spiegel geblickt, nie den geringen Reiz ermessen haben, den sie auf den Grafen noch hätte ausüben können. „Noch“! Darüber suchte man aus dem Tragischen in’s Scherzhafte zu entkommen. In dem „Noch“ lag vielleicht die ganze Frage.
Aber das sittlich Erhabene und die „sittliche Weltordnung“ und Aehnliches war an der Tagesordnung und es wurde auch hierbei hervorgehoben.
Ein wunderbares Beispiel ehelicher schöner Treue gab uns unser College Wolny, sagte der Baumeister Omma. Dieser litt doch unsäglich unter seiner Gattin, liebte auch schon seine zweite jetzige Gemahlin, aber man sagt, er soll keinen Finger breit von seinem am Altar geleisteten Schwur abgewichen sein!
299 Seltne Menschen! Seltne Menschen! brummte Einer oder der Andere in den Bart.
Auf dem Gebiet des Ideals ist das Herrlichste möglich, bemerkte der Rector mit schneidender Ironie, wenn die individuellen Bedingungen es ausfüllen.
Seltne Menschen! Seltne Menschen! murmelte man wieder. Man war sich des Gefühls der menschlichen Schwäche bewußt; Niemand aber wagte, die Schwäche zu vertheidigen.
Triesel, der das Zerstören auch seiner Bilder befürchtete, ergriff wieder das Wort. Schade, sagte er, daß Graf Udo abgereist ist. Bei seiner Anwesenheit wäre das nicht geschehen. Es ist die ihr entzogen gewesene Abendstunde, die jene Frau so zornig gemacht hat. Der Pfarrer Merkus soll bei dem ganzen Vorgang betheiligt sein. Die Vorspiegelung des Grafen, er brächte seine Abende auf dem Casino zu, war allerdings stark. Das gebe ich zu. Vielleicht hätte das Eingeständniß zur rechten Zeit die Dame milder gestimmt. Als Mitwisserin des Geheimnisses hätte sie es vielleicht anders beurtheilt. Graf Wilhelm war Voltairianer, ein ganz respectabler Freigeist.
Obschon Gerichtsrath Eller den schönen Muth der Juristen besaß, jeder noch so bedenklich sich anlassenden Frage wie ein Ritter dem Lindwurm gegenüber oder 300 einer vermummten Gestalt muthig auf den Leib zu rücken, so konnte doch von dem Thema der Ehe nur der obere Schaum einer vielleicht innerlich vorhandenen stillen Gährung bei Jedem abgeschöpft werden. Das Zündendste war dann Triesels Mittheilung, daß auch ihm der Graf beim Sitzen, wo viel geplaudert worden wäre, vom Bedürfniß des Mannes nach dem „Weibe an sich“ gesprochen hätte.
Ja, sagte Major Brandt, der Begriff kommt wirklich leider zu sehr abhanden. Die Ansprüche der Frauen wachsen zu maßlos. Die weibliche Emancipationssucht, die Schriftstellerei in diesem Fach, das Einfordern von Gleichberechtigung mit den Männern, die Einstellung von Frauen in öffentliche Aemter, wie solche unter dem Schutz einer falschen Humanitäts- und Sentimentalitätslehre bereits begonnen hat, ziehen eine Weiblichkeit groß, auf welche nachgrade die alten Verherrlichungen der Dichter nicht mehr passen. Das Schöne entschwindet aus der Welt. Wir haben vor’m Jahre das Erhabene in unsern Sitzungen aufgegeben. Wir werden es auch mit dem Schönen, Fesselnden, Bescheidenen, Gebundenen, Beseligenden am Weibe thun müssen.
Natürlich erfolgten die heftigsten Proteste. Jeder wußte Engel an Lieblichkeit zu nennen. Das Reich des Schönen war in voller Blüthe. Der Adel „edler 301 Weiblichkeit“, hohe „Frauenwürde“ und des Weibes „weltgeschichtlicher Culturberuf“ – Alles das kam zum buchstaben- und leitartikelgemäßen Ausdruck, bis sich über den stillen Seufzer des halbblinden und doch von seinen drei Schoppen nicht lassenden Schul-Emeritus die Worte stahlen: Ja wir leben in der Welt der Phrase! Die Debatte bewegte sich zurück auf das Project, Althing feierlich einzuholen.
Dies war Triesels Vorschlag und er fand Anklang.
Schon sah sich eine hernach durch’s Loos zu bestimmende Deputation ausersehen, den alten Meister am nächsten Montag in aller Frühe in seiner Arbeitsklause unter dem raschelnden, selten gekehrten Laube seines „Parks“ zu begrüßen und zu bekennen, daß die Neuen Serapionsbrüder sich ohne ihn, ohne sein jeweiliges Aufdonnern, ohne sein olympisches Zeuslockenschütteln, ohne seine liebenswürdige Grobheit, seine anregenden Paradoxieen, nicht wohlbefinden könnten. Triesel schwang sich ganz auf ideale Höhe. Er erbat sich die Ehre, die entsprechende Rede zu halten. Und als wenn er die Gedanken der heute etwa zu fünfundzwanzig Versammelten durchschaut hätte, kündigte er an, er würde bei dieser Mission keinen einzigen seiner zwanzig Orden anlegen, sondern nur mit simplem Frack erscheinen, denn er fühle ganz mit dem Unglücklichen. Ich meine – sagte er zu allgemeinem 302 Gelächter – ich meine nicht unglücklich wegen der mangelnden Orden, sondern wegen der Gruppe. Meine Herren, eine solche Schöpfung zerstört zu bekommen! Vom Wahnsinn! Von der Verblendung! Ich würde gradezu – verrückt!
Alle Orden! Alle! rief man im Gegentheil und fast im Unisono. Alle!
Der kluge Hofmaler ließ sich nicht werfen. Nein, nur schwarzer, einfacher Frack! Unserer sieben! Wir wählen die Deputation oder cooptiren! Um 8 Uhr früh versammeln wir uns hier! Wir nehmen drüben die nöthigen Droschken und überfallen den Alten, wenn er eben gefrühstückt hat!
Nichts störte das Project. Sieben angesehene Männer, Gerichtsräthe und Bauräthe, im schwarzen Frack bei fünf Grad Kälte –!
Aber nur vier Stühle sind im Atelier! sagte Omma lachend.
Schon hörte man im Geist die feierliche Ansprache des redegewandten kleinen Monarchen der hierortigen Künstlerwelt, der bereits etwas hervorquellen ließ von seiner Ueberfülle an Gedankenstoff und ausrief: Menschen, es liegt ja so viel Saat des Göttlichen in uns! Man wecke es doch nur! Warum legen wir nur so viel Mist darauf, als könnte das Schöne nur durch Ueberwinterung 303 fortkommen –! Die „vier Stühle“ hatten ihm das bescheidene Atelier in seiner Lage und Umgebung vor die Phantasie geführt.
Und während man sich noch den Moment vergegenwärtigte, wie dann vielleicht die gute Frau Professorin Althing, die glückliche Mutter zweier verheiratheten Kinder (Ottomar leider als Richter versetzt in eine entfernte, aber paradiesische Gegend) mit einem großen Servirbrett und ein paar Flaschen Wein darauf, vier Treppen hoch herunter kam und die Gehülfen (Blaumeißel hatte zwei Collegen bekommen) den Staub von den Händen wischten, um bedienen zu helfen, und die Spatzen und die Krähen ringsum das Anstoßen der Gläser und das Versprechen hörten, am nächsten Montage gewiß in dieser schönen grünen Oase hierortigen Menschenlebens wieder vorzusprechen, da geschah das Wunderbare. Die Thür öffnete sich, und fröhlich und wohlgemuth, frisch und roth, von der Winterluft kräftig angeweht, trat mit hastigem Schritt Althing ein und rief Allen ein aus voller Brust kommendes, fröhliches: Guten Morgen, Ihr Herren allesammt! entgegen.
Alles stand überrascht auf, dachte anfangs an einen überreizten Einfall des „Unglücklichen“ und Triesel fing auch sogleich mit einer wahren Leichenbittermiene von der erlebten traurigen Parallele zu „Amor und Psyche“ an.
304 Aber wie erstaunte man, als der Professor, der noch jugendfrische Künstler, mit kräftiger Stimme ausrief und lachend sogar: Laßt mich doch in Ruhe, ihr närrischen Leute! Werde ich denn jammern und klagen um eine Arbeit, die mir richtig bezahlt worden ist! Hab’ sie ja noch im Modell und kann sie alle Tage neu machen! Nein, Brüderlein, wandte er sich zu Triesel. Diesmal werde ich nicht trottoirkrank! So ein Narr, wie Benvenuto Cellini, bin ich nicht! Um seinen jämmerlichen Perseus hat Der die ganze Welt zum Schutzmann und Kastellan gestellt! Daß ja Nichts an dem Wunderwerke verdorben werde! Einen Moment, das gebe ich zu, hat mich das Bild des Geschehenen starr gemacht. Zu denken: Da draußen in der Winternacht, auf dem verschneiten Kirchhof, wo der Mond sich die Gräber besieht, die alten hohen Fichten, die Lebensbäume, theilweise jetzt mit Stroh umwickelt, unsre schwachen Emporgedanken vorstellen, kommt eine hereingeschlichene dunkle, halb wahnsinnig gewordene Gestalt, geführt von einem Dämon, der den Hammer schwingt und meine Treue, meine Beständigkeit, meine Liebe, die jene Frau grade selbst bestellt, in Stücke schlägt –! Es ist vielleicht ein Bild für Triesels Meisterpinsel und für die nächste Ausstellung. Die Dame ist alt und lebt wohl nicht mehr lange. Hernach aber habe ich mir alle Condolenzbesuche verbeten; 305 denn ich will fröhlich sein! Fröhlich! Fröhlich! Und warum? Wolny schreibt mir eben aus seiner unter ihm wieder neu erblühenden Fabrik, daß er Gewißheit habe, bald taufen zu lassen. Gleichzeitig flüsterte Frau Holl, mein lieb’ Töchterlein, das da Glück und Beseligung vollauf gefunden hat, meiner Alten die nämliche Geschichte von sich selbst in’s Ohr. Und eben bringt der Briefträger von meinem Sohne, der, wie alle Welt weiß, die Gräfin Treuenfels heirathete, dieselbe frohe Aussicht. Was sollt’ ich thun, um meine Freude auszudrücken –? Da rannt’ ich in unsern Montag! Und nun, Franz, Franz! Meinen Schoppen!
Diese überraschende Ergebenheit in sein Künstlerloos, dieser Ausdruck der Freude über die bevorstehenden Ereignisse in seiner vielbesprochenen glücklichen Familie, ergriff Alle. Man brachte dem Alten von allen Seiten die herzlichsten Wünsche.
Als Alles ruhig geworden war, stand Sanitätsrath Eltester auf und erklärte: Nun habe ich noch von der Sonne der Nacht etwas zu berichten. Schon öfters übersetzte ich die Serapionsbrüder in die Serapisbrüder. Ich will ein Urgeheimniß, etwas vom geheimnißvollen Walten der Natur berichten. Hier ist von Kindern gesprochen worden. Großmütter sind neugierig, ob es Jungen oder Mädchen werden! So höre man! Da, 306 wo in der Umarmung beim Manne der Liebesrausch der stärkere ist, als beim Weibe – ohne daß darum von Kälte bei diesem geredet werden soll – tritt die Natur in weiblicher Gestalt auf! Wo dagegen die Liebe leidenschaftlicher beim Weibe sich erging – da giebt es einen Buben! Die Natur erzeugt immer das dem Erzeuger Entgegengesetzte!
Ei, der Tausend! rief Althing. Da bekomme ich Stoff zum Nachdenken und zu einer prächtigen Neuigkeit für meine Alte! Bei Wolny – halt – er besann sich da giebt’s einen Jungen. Martha Ehlerdt hat das zurückgehaltene Feuer einer Jeanne d’Arc. Sie thront jetzt wie eine Königin auf ihren errungenen Lorbern. Bei meiner Helene – Hm! unterbrach er sich im stillen versöhnten Gedenken an den so wohlmeinenden, guten Grafen Udo – da giebt’s wohl ein Mädchen. Aber, brauste er wieder fröhlicher auf, bei meinem Ottomar giebt’s wieder einen Jungen. Ich danke Ihnen, Herr Eltester! schloß er mit Weglassung des Titels. Fördern Sie diese Religion der Natur! Werde sie immer mehr die Reglerin unsrer Handlungen! Was nicht aus der Natur, dem freien Willen, aus dem Geiste geboren ist, dem Geist, der die Pflanze, das Sonnenlicht begreift, kann kein Gesetz, keine Regel mehr geben! Das Natürliche allein ist Sieger!
307 Alles stieß auf’s Neue mit dem aufgeregten Künstler an.
* * *
Graf Udo mußte in der Ferne die Versöhnung, die ihm mit Allen zu Theil wurde, fühlen. Er schrieb auch an den Meister zuweilen und schickte ihm aus dem alten schönen Lusitanien manches Anregende.
Die alte Gräfin mußte bewacht werden. Die Familie widmete sich dem Geschäft mehr als der Graf, schon des Beerbens wegen.
Ihr Verwandter, Fürst Rauden, arbeitete an dem dramatisirten Anfang der Iliade und rechnete auf Anspach, um einmal eine Abwechslung mit Bayreuth zu haben.
Frau Brenna suchte keine neue Stellung, sondern gab dramatischen Unterricht und arrangirte Abende mit fünf Silbergroschen Entrée, wo sie und ihre Schülerinnen Löwenritte, Blumenrachen und Aehnliches declamirten. Sie sah jeden Schriftsteller, der in Prosa schrieb, mit Geringschätzung von unten bis oben an.
Raimund Ehlerdt verkam. Er wurde zwar von den Visionen geheilt, blieb aber geistesschwach. Als die Rabe’sche Fabrik ohne „productive Rente“ von Wolny fortgeführt wurde, bezog dieser auch mit Martha das gänzlich renovirte, von Harry Rabe verlassene Wohnhaus. Dort im Hofe der Fabrik, in den Arbeiterstätten und im 308 Wohnhause verkehrte Raimund wie mit erloschnem Geist.
Die sociale Bewegung hatte sich von den Strikes mehr der Urne des allgemeinen Stimmrechtes zugewandt. Raimund konnte in Nichts mehr mitsprechen.
Die Justizräthin Luzius wurde von Schindler gezwungen, sich ganz auf bescheidenem Fuße einzurichten. Aber sie hatte die Genugthuung zu sehen, daß sich die beiden Zwangsehen ihrer Töchter vollkommen gut anließen. Beide jungen Frauen identificirten sich mit den Interessen ihrer Männer; da konnte selbst Frau Dieterici aufwallen, wenn man an ihrem Gatten, dem Hofrath, sein richtiges Lösen des Urproblems bezweifelte. Die Lösung der socialen Frage hatte er zwar schon in der umgekehrten Richtung der Krupp’schen Kanonen gefunden, aber trotzdem besuchte er noch alle volkswirthschaftlichen Congresse und trug auch zuweilen eine Dichterblüthe im Knopfloch, bis sich an dieser Stelle seines Fracks die Orden einstellten.
Die alte Müllern starb bald. Marloff wurde von den Geschwornen freigesprochen. Er ging nach Polen, wo ihn in einer grausen Winternacht zwei Wölfe zerrissen haben sollen. Man erzählte es wenigstens.
Die Ugarti wurde des Landes verwiesen.
Holl erfüllte Alles, was nur Helene je vom Bunde zweier Herzen geträumt hatte.
309 Ottomar und Ada gingen nicht über schwellendes Moos und durch Birkenwälder mit dem Zündnadelgewehr und in Gesellschaft abenteuerliebender Wolfsjäger aus der polnischen Nachbarschaft – der junge, in seinem Werthe erkannte, von Stracks geförderte Rechtsgelehrte wurde als Einzel- dann Collegial-Richter in freundlichere Gegenden versetzt und lebte seiner Liebe, seinem Beruf, dem Ausbau unsres Rechts- und neuen Reichslebens.
Als er einst sagte: In einer Zeit, wie die unsrige ist, wo die Thatsachen der Masse regieren, muß man die Kunst lernen, mit Erfüllung seiner nächsten Pflicht und mit dem Cultus der Selbstausbildung im Uebrigen ein Heros der Unbedeutendheit zu sein! da umarmte ihn die schöne, junge, muthige, glückliche Frau, zog ihn an ihre Brust und sagte: Das bist Du nicht! Du bist, was Du werden wolltest, ein Mensch! Und im Grunde sind wir vor Gott zu nichts Anderem verpflichtet!
Ende des Romans.
Apparat#
Der Apparat des dritten Bandes ist identisch mit dem des ersten Bandes und dort einzusehen.