Nero. Tragödie#
Metadaten#
- Herausgeber
- Anne Friedrich
- Fassung
- 1.2: Überführung nach TEI; Textkorrekturen; Anpassungen, Ergänzungen und Korrekturen im Apparat
- Letzte Bearbeitung
- 07.2021
Text#
Nero.#
Tragödie.#
Göthe.
1 Prolog.#
3 LOCUSTA.
9 Nero.#
#
11 I.#
Freier Platz in Rom.
Julius Vindex (tritt auf).
Julius Vindex.
Ein Träger.
Julius Vindex.
Tribun.
Julius Vindex.
19 II.#
Nacht.
Vorzimmer eines Balkons, welcher offen steht und die Aussicht nach dem bedeckten Monde gibt. Nero und Poppäa auf zusammengehäuften Polstern. Attitüde. Nero spricht träumerisch, phantasirend, sylbenzählend.
Nero.
Poppäa.
Nero.
__________
Poppäa.
Nero.
__________
Poppäa.
Nero.
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(Poppäa entringt sich seiner Umarmung, nimmt eine Ampel und leuchtet ihm in’s Gesicht.)
Poppäa.
Stimme (von draußen).
Poppäa.
Stimme (von draußen).
Julius Vindex tritt auf.
Poppäa.
Julius Vindex.
Poppäa.
Julius Vindex.
Poppäa.
Julius Vindex.
Poppäa.
Julius Vindex.
Poppäa.
Julius Vindex.
Poppäa.
Julius Vindex.
29 Poppäa.
Julius Vindex.
Poppäa.
Julius Vindex.
Poppäa.
Julius Vindex.
Poppäa.
Julius Vindex (Nero erblickend).
Poppäa.
Nero (auffahrend).
Julius Vindex.
Nero.
Poppäa.
Julius Vindex.
Poppäa.
Nero (sich aufrichtend).
Julius Vindex.
(Nero kehrt in die schlafende Stellung zurück.)
Poppäa.
Nero.
Tigellinus, der Mohr, an der Thür.
Tigellinus.
(Nero richtet sich auf und schleicht unheimlich hinaus.)
Poppäa.
39 III.#
Im Walde.
Der alte Scevin, ein Verschworner, tritt auf.
Scevin. Endlich hab’ ich die Stadt hinter mir, und bin vor der Neugier und Ueberschätzung meines Werthes sicher. Alle Welt sieht mich an, wie ein Wunder, seitdem ich einen Schwur gethan habe, den doch keine zwölf Menschen mit anhörten. Pflanzt sich denn so Etwas durch die Luft fort? Wie bin ich mit einem Male dazu gekommen, so etwas Außerordentliches zu werden; ein Kassenvorsteher etwa, der kein Wachs an den Fingern hat; oder eine Null, die, wenn man sie mit sich selbst multiplizirt, immer eine gerade Zahl gibt? Ich komme um bei den Vorbereitungen zu einem großen Ereigniß, das ich Unglücklicher zu befördern geschworen habe. Das Unglück sind eben die, welche sich meine Freunde nennen. Das grüßt auf der Straße so verdächtig, und blinkt mit den Augen, und macht allerhand Fingerverrenkungen, um sich verständlich zu 40 machen. Diese Menschen haben die Keuschheit ihres Namens schon alle an den Mann gebracht; das hat sich überall die Finger verbrannt, und darf sich abseits in keinen Winkel stellen, ohne schon beobachtet zu werden, was es da an der Mauer zu machen hat. Gott, ich achte diese Menschen im Dunkeln, und würde mich immer zu Piso’s Sache bekennen, wenn das Licht gerade ausgegangen ist; aber auf der Straße immer angelächelt und bewillkommt zu werden, mit verdächtigen Mienen; dazu gehört eine andre Natur, als die meinige. Horch! ich glaube, es kömmt schon wieder Jemand.
Sein Sklav Milichus tritt auf.
Milichus. Einen Gruß von Herrn Piso. Dieser Brief ist an Euch.
Scevin (erbricht ihn).
Ein schönes Glück. Ein Glück, das mich sehr unglücklich macht! Das hat man davon, wenn man sich in Dinge einläßt, die einem nachher über den Kopf 41 und das Gewissen wachsen. Verfluchte Thorheit, die Entscheidung wichtiger Dinge an seinen Rockknöpfen abzuzählen! Was hab’ ich mit Revolutionen zu thun? Bin ich auf die Welt gekommen, um andre Leute aus ihr herauszubringen? Ach, wär’ ich doch im Schooß meiner Mutter geblieben und hätte die Hoffnung meines Vaters betrogen! Milichus! Kerl, lauf nicht immer wie ein Windspiel um mich herum! Halte dich in der Nähe, denn die ganze römische Geschichte drängt jezt auf mich ein, du Lump! du Lügenbote! Dieser Brief ist ein untergeschobener Wechselbalg.
Milichus. Wahrhaftig nicht! Obschon meine Mutter eine Hebamme gewesen ist, so sollten doch die Federn erst noch geschnitten werden, mit welchen ich schreiben könnte. Zwar geschieht in meinem Vaterland, in Deutschland, viel für den Volksunterricht; aber noch ist man bei mir zu Hause nicht weit gekommen in der Kunst, seine Gedanken richtig und klar auszudrücken. Nämlich ich bin aus Rostock im Mecklenburgischen.
Scevin. Einen elenderen Fechter kann es wahrlich nicht geben, als ich einer bin. Ich hab’ auch gar nicht die Behendigkeit, die dazu gehört, Jemanden mit guter 42 Berechnung einen Stoß beizubringen. Der erste Stoß! Nun, wenn ich zögre, kommt mir doch vielleicht Einer zuvor. Für den zweiten Stoß sag’ ich gut, falls ich nicht gerade meinen rheumatischen Zufall im Arm habe. Arg bleibt es. Komm, du Bärenhäuter, und bleib in der Nähe! (Ab.)
Milichus. Anspielungen auf mein Vaterland! Es geht hier nicht mit rechten Dingen zu; Alles drehen sie um. Auch meinen ehrlichen deutschen Namen. Ich heiße doch Michel, und wie man zwei Beine übereinanderschlägt, so thun sie’s hier mit zwei Buchstaben und nennen mich Milichus. Ein kurioses Volk, das römische! Gestern rief mir Einer nach: „Heda, Michaelis germanice!“ Merkst du was? Ich bin nicht dumm: ich weiß wohl, daß er damit etwas hat ausdrücken wollen. Ich komme auch gewiß noch dahinter. (Ab.)
Ein Einsiedler sitzt vor einer Hütte und schreibt auf einer Tafel.
Einsiedler.
Julius Vindex tritt auf.
Julius Vindex.
Einsiedler.
Julius Vindex.
Einsiedler.
Julius Vindex.
Einsiedler.
Julius Vindex.
Einsiedler.
Julius Vindex.
Einsiedler.
48 Julius Vindex.
Einsiedler.
Julius Vindex.
Einsiedler.
Julius Vindex.
Einsiedler.
Julius Vindex (allein).
Scevin und Milichus treten wieder auf.
Scevin. Wer steht denn da, ordentlich wie ein Mensch? He da!
Milichus. Gott, ich bin es ja –
Scevin (einen Dolch betrachtend). Das hast du gut gemacht, Bursche. Mit diesem Dolche gehe ich der Zukunft schon sicherer entgegen, weil er vom Altar der Göttin Sicherheit gestohlen 54 ist. Er soll mir in dem Strome von Begebenheiten, in den ich schlechter Schwimmer mich werfe, als Schwimmblase dienen. Milichus, gib her! wo hast du den Sicherheits-Dolch?
Milichus. Mein Gott! Ihr habt ihn ja in der Hand.
Scevin. Ja so! ich wollte auch eigentlich nur, daß du ihn nehmen solltest. Und dann das verrätherische Wort Dolch! O gewöhne dir das gänzlich ab, Mensch; bilde dir immer ein, das Ding habe statt Einer Spitze zwei und nenne es meinetwegen lieber eine Gabel!
Milichus. Mit dieser Gabel scheinen Sie auf sehr vertrautem Fuß zu stehen.
Scevin. Lauerst du? bekümmerst du dich um Dinge, die dich nichts angehen, Schlingel? Sieh mich nicht immer so an, als hätt’ ich was! Aber, was ich gleich sagen wollte, verstehst du wohl Charpie zu zupfen? Suche, was du nur auftreiben kannst an alten Hemden, Halsbinden und leinenem Zeuge, bei mir, bei der Nachbarschaft, auf dem Trödel. Glotz nicht!
55 Milichus. Herrgott! Sie thun ja, als sollte einer ganzen Armee zur Ader gelassen werden.
Scevin. Sage, komm doch einmal her! Was ist denn das, was da immer so auf und nieder geht?
Milichus. Wo denn? Ich sehe gar nichts.
Scevin. Es war mir doch so. Nun, Charpie. Richtig, die haben wir; nun aber Schwamm. Kurz, alles Mögliche mußt du auftreiben, was zum Verbande bei Wunden, plötzlichen Blutstillungen und andern unvorhergesehenen Zufällen zweckdienlich ist. Wo hast du das unglückselige Ding, das nicht nur einem Dolche ähnlich sieht, sondern sogar einer ist. Mache dir ein Geschäft, ihn von Morgen an alle Tage zu schleifen, so daß er zuletzt unsichtbar spitz wird. Ein Mensch, der ihn nur ansieht, muß davon schon ein Loch im Gesicht bekommen, zwei Zoll tief. Man muß sagen können, Jeder, der vorsätzlich damit verwundet wird, sey aus Versehen hineingelaufen. Hörst du, Milichus? Jetzt komme mir nach, aber schleiche nicht! (Ab.)
56 Milichus. Dahinter muß etwas stecken. Hier sind verbotene Wege, hier sind Dinge im Werke, die, wenn sie offenbar wären, manchem in’s Gesicht schlügen. Der Dolch, das Blutbad, der Schwamm – das sind verdächtige Gegenstände. Ehrlicher deutscher Michel, was wirst du hier thun? Du wirst diese Sachen weiter gar nicht überlegen, sondern morgen in aller Frühe hingehen, und der Obrigkeit davon Anzeige machen. (Ab.)
57 IV.#
Akademie.
Die Säulengänge sind mit jungen Leuten bevölkert, welche theils lustwandeln, theils sich zu einzelnen Gruppen vereinigt haben, um die Vorträge der Lehrer anzuhören. Zwei Thürsteher unterhalten sich im Vorgrunde.
Erster Thürsteher. Die Philosophie hat sich diesmal einer herrlichen Jahreszeit zu erfreuen. Was das für ein Himmel und für eine milde Luft ist! Aber sage mir nur, was du dort in der Hand trägst?
Zweiter. Das ist ein Segeltuch, welches mir Empedokles anvertraut hat. Sollte es regnen, was ich nicht glaube, so muß ich es zwischen die beiden Säulen da heften, damit die Einwürfe des Regens und des Windes seinen Behauptungen über das höchste Gut nicht schaden. Denn, sagte er, die Ideen können Alles ertragen, nur nichts Feuchtes: ehe man die Hand umdreht, haben sie den Schnupfen weg und 58 verkälten sich. Doch, da ich gerade Zeit habe, wie gefällt dir denn diese neue Lebensart?
Erster. Ei nun, du wirst dich erinnern, daß ich mich früher damit abgab, Schuhe zu verfertigen. Als die stoische Philosophie neulich von den Epikuräern in die Flucht geschlagen wurde, lief sich jene so sehr die Hacken ab, daß sie sich am liebsten an einen Mann wandte, der sich gleichsam darauf verstand, sie ihr wieder anzusetzen. Nebenbei putze ich dem Stoicismus die Stiefeln, klopfe seine Kleider aus und besorg’ ihm allerhand kleine Aufträge, welche gewissenhaft ausgeführt seyn wollen.
Zweiter. Du kannst von Glück sagen, denn du bist besser daran, als ich. Was läßt sich beim Cynismus, bei einer Philosophie der Hunde, verdienen? Meine Frau hülfe mir z. B. gern in meinem Verdienste; aber leider verschmäht es dieses System, sich seine Hemden waschen zu lassen. Ich war Bader, ich kann vortrefflich rasieren, Nägel beschneiden, bei Bädern zur Hand seyn, ich besitze chirurgische Kenntnisse; aber was soll ich davon in Anwendung bringen? Glücklicherweise geht die cynische Philosophie baarfuß, also komm’ ich 59 doch wenigstens einige Male im Jahre dazu, ihr die Hühneraugen auszunehmen. Es sind schlechte Zeiten.
Erster. Sieh, sieh! da kommt der Aufwärter der Epikuräer. Ein lüderlicher Mensch, immer betrunken! Wie ihm die Augen vor Uebermuth aus dem Kopfe quellen!
Dritter Thürsteher. Guten Morgen! Seyd ihr Beide noch immer in der Welt? Ihr werdet täglich schmaler! Ich schwöre Euch, in Kurzem hat Euch mein System, das System, dem ich diene, das epikuräische System, in den Sack gesteckt! Wo will das auch mit Euch hinaus? Ihr putzt Stiefeln? aber nach welchem System? Von welchen Voraussetzungen geht ihr aus, wenn ihr einen Rock bürstet? Ihr könnt nach Prinzipien nicht ein Glas Wasser holen. Ein paar entlehnte Sätze, einige Kategorien, die sich von selbst verstehen, einige aneinander gereihte willkührliche Behauptungen, eine Bürste, die Federn läßt, Glanzwichse, welche die Stiefeln verdirbt, träge Handgriffe, nichts Studirtes, da habt Ihr's, das ist Euer System. Aber sagt mir nur, wie hoch es an der Zeit ist.
Erster. Um die neunte Stunde.
60 Zweiter. Dein System wirft wohl viel ab?
Dritter. Freilich wirft es ab: alte Kleider, Blumenkränze, die man noch immer an eine Braut verkaufen kann, Salben, die von Badhaltern eifrig gesucht werden, Leckerbissen, die meine Nahrung sind, und schöne Weiber, die man aus Epikurs Gärten des Morgens nach Hause führen muß. Was sagt Ihr dazu?
Erster. Nun, du bist nicht verheirathet; aber Jemand, der Frau und Kinder hat und schon über die Jahre hinaus ist, der befindet sich bei dem Stoicismus recht wohl; das kannst du glauben, recht wohl.
Dritter. Jezt fällt mir ein, daß ich Euch eine Neuigkeit mittheilen wollte, wenn Ihr nur inzwischen nicht vergeßt, daß ich eigentlich eine Pastete holen soll, und mich daran hernach erinnern wollt. Die Herren wollen drüben den Kegelschnitt daran studiren. Nun ja, da soll sich ja jezt eine ganz neue, verfluchte Sekte aufgethan haben, die den Menschen für – für – kurz, das Ding ist zum Henker holen. Diese Sekte nämlich, diese Neuerung, diese Ketzerei behauptet, der 61 Mensch müsse sich Alles selbst machen; denn man werde nicht eher glücklich, ehe man die Befriedigung aller seiner Bedürfnisse nicht selbst übernimmt. Diese Menschen sagen, man müsse nicht bloß nach dem höchsten Gute streben, sondern auch darauf sehen, daß es Einem so wohlfeil als möglich zu stehen kommt. Sie sagen, die Menschen fingen erst dann an, ihre eigenen Herren zu werden, wenn sie ihre eigenen Diener würden. Jedermann müsse dessen Dienstbote seyn, dessen Herr er ist; so wie sie denn zulezt die Behauptung aufstellen: Jeder Kunde sey sein eigener Schuster! und diese dann umdrehen und schließen: von nun an müsse auch jeder Schuster sein eigener Kunde werden!
Erster. Aber, mein Gott, dann würde es ja gar keinen Absatz mehr geben.
Zweiter. Ich habe immer gehofft, der Cynismus werde noch seinen Haß gegen die Seife einmal ablegen; aber diese neue Sekte wäre ja im Stande, sich selbst auf die Waschbank zu stellen.
Dritter. Wie ich Euch sage, es ist hier von einer gefährlichen Sekte die Rede, die Euch aus dem Brode, mich 62 aber aus dem Kuchen bringen kann. Allein ich versichre Euch, von heut’ Abend geh’ ich nicht anders als mit einem Stocke aus. Wenn die Disputationen nichts ausrichten, so such’ ich es zu veranstalten, daß es zum Handgemeng kommt. Aber jezt habe ich in der Desperation vergessen, was ich gleich holen sollte?
Erster. Ich glaube Kegel, um eine Pastete auszuschieben.
Dritter. Du bist ein Strohkopf! Eine Pastete soll ich holen, damit die jungen Herren die Theorie der Kegelschnitte daran verdauen. Jezt lebt wohl. (Ab.)
Zweiter. Die neue Sekte geht mir im Kopf herum; aber ich glaube, der Schuft hat uns etwas weiß gemacht. Sieh' nur, Empedokles, der mich da ruft, scheint noch der besten Dinge zu seyn. (Ab.)
Erster. Der Stoicismus hält sich, denn er hat gar zu vornehme Verwandte. Aber ich glaube, Zeno winkte mir. Ein Glas Wasser? Sogleich bedient werden! (Ab.)
63 Erster Lehrer mit seinen Schülern.
Lehrer. Meine Herren, ich läugne nicht, daß ich von einem sehr materiellen Grundsatze ausgehe; aber in der Folge werden Sie sehen, wie erhabene Resultate sich aus ihm ergeben. Woher kommt es, daß gegenwärtig so viel falsche und ungereimte Gedanken sich in die Herrschaft der Welt theilen? Das kommt von unsern schlechten Zähnen. Mit dem ersten hohlen Zahn wurde der erste hohle Gedanke geboren. Denn unsere vernachlässigten, unregelmäßig gereinigten, mit Weinstein besezten hohlen Kauwerkzeuge verhinderten die Generation, die Speisen bis zu jener dünnen, flüssigen Masse zu zermalmen, welche, mit hinreichendem Speichel zersezt, dem Magen allein willkommen ist. Vielmehr bleibt dem Magen in unserm Jahrhundert ein zu großer Antheil an dem Verdauungsgeschäft überlassen. Der Körper, der angewiesen ist, seine Frische aus dem Magen zu holen, siecht, und der Geist, der sich in einem kranken Gehäuse nicht wohl befindet, schrumpft zusammen. Das ist eine ganz natürliche Stufenleiter von den Zähnen bis zu den Gedanken.
64 Ein Schüler. Sie meinen also, daß eine Zahnbürste die beste Einleitung und Propädeutik für das Studium der Philosophie ist?
Lehrer. Allerdings. Hatte die alte Philosophie nur Haare auf den Zähnen, so ist es unsere Aufgabe, Borsten daraus zu machen. Befolgen Sie meinen Rath, und Ihre Gedanken werden an Neuheit, Ihre Combinationen an Ueberraschung gewinnen. Dies ist also mein Fundamentalsatz, den ich nun weiter ausführe. (Geht vorüber.)
Zweiter Lehrer mit seinen Schülern.
Lehrer. Ehe ich heute meinen Vortrag beginne, meine Herren, habe ich nur die eine Bitte an Sie, sich nicht umzusehen nach dem elenden Menschen, der hinter uns hergeht und die Welt aus Nichts construirt. Halten Sie den Kreis, der meinen Rücken beschützt, dicht geschlossen; denn jenes Menschen Bosheit kennen Sie nicht. Ja, ich habe zuweilen ein Loch im Stiefel; ja ich begleite meine Lehrsätze immer mit einer dummen Bewegung der linken Schulter, gegen die ich vergebens Bäder gebrauche; allein seitdem er diese 65 kleinen Gebrechen in Erfahrung gebracht hat, glaubt er mich widerlegen zu können. Das ganze scharfsinnige Gebäude meines Systems, die Logik in meinen Schlußfolgen, die Bündigkeit meiner Assertionen wiegt für seine Schüler nichts, seitdem er ihnen gesagt hat, daß ich zuweilen ein Loch im Stiefel habe. So sind die Menschen. Wenn sie von Jemand wissen, daß er eine Perrücke trägt, so ist es ihnen ausgemacht, daß ein Buch, welches er geschrieben hat, lächerlich seyn muß, so wie sie das, was sie Ihnen nicht zu sagen wagen, so lange Sie einen guten Rock anhaben, dann gewiß nicht verschweigen werden, wenn Ihnen eine Naht daran aufgegangen ist. O, ich danke Ihnen, meine Herren, Sie nehmen mich ja recht in Ihre Mitte. Nun können wir anfangen. Wo standen wir?
Erster Schüler. Beim Ding an sich.
Lehrer. Da haben wir’s: der elende Mensch sitzt wie eine Klette an mir, ich kann den Mund nicht aufthun, ohne ihn hineinzubekommen; er ist wie Pech, das nicht losläßt. Nun ja, das Ding an sich; was behauptete er darüber?
66 Zweiter Schüler. Daß sich die Philosophie nicht mit Dingen, sondern mit Begriffen beschäftigt.
Lehrer. Es ist zum Todtlachen. O, da muß ich Ihnen doch gleich wieder etwas mittheilen, was er jüngst gegen mich gespieen haben soll. Aber ich muß Sie bitten, doch enger zusammenzutreten; denn ich weiß, daß er in diesem Augenblick von mir spricht, und mich freilich in die Flucht schlägt, wenn er dabei auf die Hacken meiner Strümpfe zeigen kann. Kommen Sie, ich kann seinen Geruch nicht ertragen. (Geht vorüber.)
Dritter Lehrer mit seinen Schülern.
Lehrer. Nichts, wie gesagt, Nichts, meine Herren, also Nichts ist Alles. Jeder, meine Herren, ist also Keiner. Denn gesezt also, zum Exempel, es klopfte, gesezt also, es klopfte Jemand, Jemand also an meine Thür, an meine Thür also: wie? nun wie? was würd’ ich sagen? also sagen? Wie gesagt, ich würde fragen: wer da? Also wer da? Nun aber, wie gesagt, würde draußen geantwortet, also geantwortet: 67 Ich! Ja, Ich! Was bin Ich? dumm! Ich ist Jeder! also Jeder: Jeder also, also Jeder ist so viel wie Keiner. Nun aber, also, nun ist doch ohne Zweifel, also ohne Zweifel ist doch Jemand da. Sie sehen also, meine Herren, wie gesagt, das Seyn ist so gut als Nichts. Denn ich, ich, der ich frage, bin denkend freilich, aber die Person draußen, also draußen ist Nichts; denn wie gesagt, sie sagt: Ich! Ich kann aber also Jeder seyn. Nun sehen Sie, wer also pocht, ja pocht auf seine blose Existenz, seine natürliche Existenz also, ist nichts; denn wie gesagt, das abstrakte Seyn ist Nichts.
Erster Schüler. Auch das Meinen ist nichts, also wie gesagt, das Meinen –
Lehrer. Ja, wer denkt, meine Herren, der ist also: aber Meinen, also Meinen kommt, wird hergeleitet, hergeleitet, derivirt also von Mein; aber das Partikuläre, wie gesagt, das Personelle entscheidet nicht, also Mein, Mein also ist Nichts.
Zweiter Schüler. Das Organ des Denkens nun, wie gesagt, ist der Geist, das heißt also, nichts, was ich besitze, so 68 daß es also, also etwas Partikuläres sey, sondern der Geist, also der Geist kommt, wird hergeleitet, hergeleitet, derivirt also von Seyn, Geist ist das Ge-Ist. Also –
Lehrer. Also das wahre Seyn; so daß also zulezt das Seyn doch wieder Etwas ist. Ist? Etwas? Wieder? Doch? O, meine Herren, die Sprache also, ist also das größte Hinderniß der Philosophie; denn man stößt an, wie gesagt, bei jedem Worte an. Die Wissenschaft braucht aber jedes Wort also, also jedes Wort in einem andern Sinne, also als dem gewöhnlichen also, drum, meine Herren, drum ist die wahre Philosophie also eine stumme, obschon, wie gesagt, dies Schweigen, dies Schweigen also leicht in Mysticismus übergeht; die wahre philosophische Sprache also ist die Sprache, wie gesagt, die Sprache Gottes. (Geht vorüber.)
Vierter Lehrer mit seinen Schülern.
Lehrer. Mögen Andere zu wissen glauben; wir, meine Freunde, wollen unsern Stolz darin finden, daß wir 69 zu glauben wissen. Das Glauben wird in einigen Fällen eine Wissenschaft, in den meisten aber eine Kunst seyn. Die Quelle der Wissenschaft ist die Vernunft, die der Kunst aber das Bedürfniß. Das Bedürfniß wird entweder befriedigt und gibt uns Trost, oder es bleibt unbefriedigt und erhebt unsere Ahnung; mit einem Worte, Sie sehen, daß sich auch der Glaube in ein System bringen läßt.
Erster Schüler. Und was sollen wir glauben?
Lehrer. Zuerst die heilige Tradition, und sodann das, was ich darüber sage. An den wundervollen Erzählungen, mit welchen die Götter unsere Dogmatik bereichern wollten, an Jupiter, Leda, Danae deuteln Sie nicht! Die Götter wußten es, daß die Menschen einmal das Bedürfniß empfinden würden, an solche Capriolen zu glauben, wie sie dessentwegen von ihnen gemacht worden sind. Es gibt eine Philosophie (da geht sie mit ihrem Anhange vor mir), welche das Wissen früher sezt, als das Gewußte, und somit die Gottheit nur anerkennt, insofern sie von den Menschen gewußt wird. Wir sagen vom Glauben dasselbe. Die Erfindung der Religion war von 70 Seiten der Götter eine getroffene Berechnung der Zukunft. Es kann sich ereignen, daß ihr Umfang oft zu gering ist; denn ein glaubensdurstiges Gemüth findet nie genug, woran es glauben könnte. Es wendet sich in Ermangelung hinreichender Glaubensobjekte an die Mythologien fremder Völker, und ich bin gewiß, daß man selbst den indischen, persischen und chaldäischen Göttern sich mit einer gewissen Andacht hingeben kann. Kurz, beten Sie Alles an, was Ihnen unter die Hände kommt. Es verlohnt sich.
Zweiter Schüler. O, recht, Theurer, wir sollen dem Vogel gleichen, der sich an die Decke seines Käfigs anklammert und den Kopf herunterhängen läßt, so daß wir den Himmel für die Erde ansehen.
Lehrer. Und wenn wir dabei auch einmal, statt an einen Stern, an einen Balken stoßen, der die Straße versperrt, so wollen wir denken, daß der Chirurgus ja auch des Himmels Erbe ist. (Geht vorüber.)
71 Fünfter Lehrer mit seinen Schülern.
Lehrer. Nehmen Sie an, meine Herren, diese Rose! Was bewegt uns, sie schön zu nennen?
Erster Schüler. Weil sie wie der junge Tag blüht, weil sie sich schämt, ihre Reize zu enthüllen, weil sie duftet, süßer als zerschnittene Mandelkerne.
Lehrer. So würde der Dichter sprechen; allein die Schönheit muß sich definiren lassen. Warum ist diese Rose schön? Sie präsentirt sich uns in der ersten Form des Vorstellungsvermögens, im Raume. Sie ist demnach etwas Endliches, und Ideelles muß ihrer räumlichen Erscheinung zum Grunde liegen. Welche Mittelglieder lassen sich nun auffinden zwischen dem Belvederischen Apoll und dieser Rose? Galt dort die Harmonie plastischer Formen, so trifft diese hier nicht mehr zu; galt dort die verkörperte Idee der Jugend, der Schönheit – aha! das wollt' ich nur. Hier liegt’s: es gibt am Belvederischen Apoll eine zwiefache Schönheit zu bewundern; denn einmal ist er schön als Apoll, als Thema, sodann als Belvederischer in der Copie. Wie nun die Rose? Gibt 72 es auch hier einen zwiefachen Typus? Allerdings; wie müssen zuerst auf die Pflanzenbildung zurückgehen, und zweitens den Coincidenzpunkt suchen, wo das Endliche und Unendliche zusammenschlägt. Die Urpflanze, meine Herren, welche in Sizilien –
Zweiter Schüler. Aber seht doch nur, die Rose ist über Euren Definitionen schon ganz welk geworden! (Gehen vorüber.)
Sechster Lehrer mit seinen Schülern.
Lehrer. So ungewiß, meine Herren, einige Lehren der Moral sind, so vereinigen sich doch alle Gründe, mögen es nun theoretische oder praktische seyn, dahin, die Lüge unter jeder Bedingung abscheulich zu nennen. Rede die Wahrheit unter allen Umständen! Das ist das höchste Sittengesetz. O geben Sie doch gleich ein Beispiel an, um zu beweisen, wie untauglich die Vorwände sind, welche die sogenannte Nothlüge beschönigen sollen!
Schüler. Mörder suchen den Herrn eines Sklaven. Der Sklave, um die schreckliche Gefahr von ihm abzuwenden, 73 wirft sich ihnen entgegen, nennt sich den, den sie suchen, stirbt, von den Dolchen der Mörder durchbohrt, und rettet seinen Herrn.
Lehrer. Je nun, da haben Sie ja, was ich sage! Dieser Mensch stirbt, noch mit vollem Munde eine elende Lüge kauend. Seyn Sie versichert, meine Herren, das Sittengesetz steht höher als alle Collisionen, in die es vielleicht gerathen kann. Wäre jener Sklave ein Liebhaber des kategorischen Imperativs gewesen, ja, ohne Zweifel, er lebte noch. Daraus sehen Sie zugleich, daß man auch mit der Wahrheit zulezt immer am besten wegkommt. (Geht vorüber.)
Siebenter Lehrer mit seinen Schülern.
Lehrer. Somit wär’ ich denn endlich auf den Punkt gekommen, Ihnen das Ideal eines philosophischen Staates, ein rationelles Gemeinwesen, zu entwerfen. Der Staat, welchen ich in Vorschlag bringe, besteht aus fünf Bürgerklassen, welche auch zugleich das Fundament für die Regierungsgewalten sind. Diese fünf Klassen bestimmen sich nach den fünf Sinnen, 74 so daß wir haben: die riechende, die hörende, die sehende, die schmeckende und die fühlende Klasse. Die angesehenste Klasse ist die schmeckende, die niedrigste die fühlende, welche sich damit begnügt, die Hauptsache, gleichsam den Braten, nur durch den Nervenäther zu spüren, ohne selbst davon etwas zu sehen oder gar zu schmecken. Die schmeckende Gewalt sind der König, die königlichen Prinzen, die hohe Aristokratie des Adels und der Geistlichkeit. Die riechende Gewalt sind die natürlichen Kinder des fürstlichen Hauses, die Justiz und die Polizei. Von der sehenden Klasse an beginnen die Unterthanen; doch hat sie noch den Vorzug, weniger Steuern zu zahlen, als die folgenden. Die hörende zahlt nämlich bereitwilliger, da sie nicht sieht, wie ihr Geld zur Anwendung kommt. Das Hauptfundament des Staates bleiben zulezt die Fühlenden; diejenigen, welche von allen Dingen nur die Ahnung haben, die gewohnt sind, sich in süßen Täuschungen zu wiegen, die den Staat gern für eine Familie halten und den Neuerungen abhold sind, also die Weiber, die Gelehrten, die niedere Geistlichkeit auf dem platten Lande und die Unterhaltungsschriftsteller sowohl des einen als des andern Geschlechts.
75 Schüler. Und ließe sich denn dieser große Gedanke durchaus nicht in die Wirklichkeit einführen?
Lehrer. Ja leider, das ist das Schicksal, welches ich mit Plato gemein habe. Meine Ideen kommen Jahrhunderte zu früh! Und, meine Herren, daß ich es gestehe, der Zwiespalt des Lebens und der Theorie, der Erfahrung und der reinen Vernunft wird wohl niemals ausgeglichen werden. (Geht vorüber).
Julius Vindex tritt auf.
Julius Vindex.
Nero.
Seneka. Wenn Ihr so laut sprecht, gibt es nur zwei Fälle. Entweder sagt, daß Ihr ein Taschenspieler seyd, und Ihr werdet, ehe Ihr zu jenem Manne kommt, welcher dort mit Begriffen wie ein Escamoteur spielt, vor Enthusiasmus zerrissen werden. Oder, wozu ich rathe, Ihr gebt Euch für einen jungen Docenten aus, der die Philosophie wieder auf die Erfahrung zurückführen will; dann nämlich könnt Ihr gewiß seyn, daß man Euch stehen läßt.
Nero (kindisch). Sey vernünftig, Seneka, und dränge nicht so vor! Es ist ganz abscheulich, sich von den Leuten so verdächtig betrachten zu lassen, als wolle man ihnen hinten das Schnupftuch aus der Tasche stehlen. Das alles hier wären also Philosophen? Ich hasse die Philosophen.
Uebrigens, Seneka, kauften wir die Mandeln nicht, daß sie alle von dir verzehrt würden. Gieb 80 her davon! Wie wir nur an diesen Ort kommen! Ich weiß nicht, was die Mutter dazu sagen würde, wenn sie noch lebte. Ich fange an, mich an den Lärm zu gewöhnen.
Aber was geschieht nur dort, wo Alles zusammenläuft?
Seneka. Es scheint, als sollte da ein neuer Gedanke geboren werden. Habt Acht, sind wir da, so heißt es, wegen eingetretener Hindernisse könne der angekündigte Gedanke erst morgen erscheinen. Wir wollen sehen.
(Sie mischen sich unter die Menge.)
82 Ein Rhetor, in stutzerhaftem Aufzuge, auf dem Rücken mehrerer Sklaven sitzend, wird von Jünglingen, Männern, Greisen umringt, die begierig seine Worte aufhaschen.
Rhetor. Meine Herren, die Luft ist blau, ein sanfter Hauch weht aus Westen, ich wiege mich auf dem elastischen Rücken meiner Sklaven und beginne meinen Vortrag. Wenn es Künste gibt, deren Theorie vollendeter ist, als ihre praktische Ausführung, so will ich heute von einer Kunst reden, die im Leben zu mannichfacher Ausübung bereits gelangt ist, doch bis jetzt noch in kein vollständiges System gebracht wurde. Dies ist die Kunst der Schmeichelei. Die Schmeichelei, meine Herren, ist mehr als ein Kunstgriff, der uns zu einer reichen Erbschaft oder zu einer angesehenen Stelle im Staate verhilft; ich sage, sie ist mehr als eine Armseligkeit. Sie läßt sich in die Reihe der edelsten Geistesthätigkeiten stellen und auf Grundsätze zurückführen, welche vielleicht der zarteste, duftigste Theil, die Blume der Rhetorik sind. Sie haben Eile, meine Herren! Ich sehe unter Ihnen Männer, denen es unter den Füßen brennt, daß sie in den Senat, in den Rath des Kaisers, in ihr Priesterkollegium zurückkommen; 83 drum gebe ich Ihnen meinen Versuch, die Umrisse eines Systems der Schmeichelei zu zeichnen, in möglichster Eile.
Nero.
Rhetor. Von der untersten Stufe der Niederträchtigkeit an erhebt sich in allmähliger Progression die Unterwürfigkeit bis zu der höchsten Stufe, wo sie die feine, geistreiche, glückliche Schmeichelei geworden ist, die ich mir zu schildern vorbehalte. Gewissermaßen schmeicheln mir diese elenden Menschen, auf deren Rücken ich sitze (o sprecht mir da unten nicht!), in ihrer Art auch; denn sie geben sich den Schein eines Divans, und nöthigen mich, auf ihnen Platz zu nehmen, wie auf den Bänken eines Badehauses. Allein hier ist noch Alles plump, roh; hier ist die Sklaverei noch kein Entschluß der Freiheit. Erst dann bekommt die Unterwürfigkeit etwas Schmeichelhaftes, wenn sie von Menschen ausgeht, welche unter den Gesetzen ihres Willens zu leben vorgeben. Hier 84 ist es, wo wir beginnen. Sie verlangen eine Definition der Schmeichelei? Heißt sie, die Unwahrheit sagen? Nein, dann wäre sie Lüge. Nun ist es aber doch eingestanden, daß sie auch nicht die Wahrheit sagt. Was folgt daraus? daß ihre Definition nur eine modale seyn kann.
Seneka.
Rhetor. Mein Satz ist dieser: Schmeichelei heißt, sich mit bewaffneter Hand von einem Waffenlosen für überwunden erklären. Ein Sieger, der dem Glücke überläßt, was er doch selbst durchsezte, schmeichelt dem Besiegten. Dies sind noch sehr einfache Stufen; sie werden aber zusammengesezter. Je mehr der Schmeichler den Schein der Freiheit annimmt, je furchtloser er ist in seinen spitzfindigen Combinationen, mit denen oft ein Kopf auf der alten Stelle 85 erhalten werden kann, desto bessern Erfolg muß er haben. Es gibt drei Dinge, die der Schmeichler vermeiden muß: Niederträchtigkeit, Albernheit und bösen Willen. Ihre Aufmerksamkeit, meine Herren, entzückt mich. Es gibt aber auch in der That nichts Herrlicheres, als die Lebenswürze, von der wir sprechen. Sie zieht über alle Dinge einen Schein, der, wenn er auch nicht wahrhaft ist, doch dem Auge wunderbar wohlthut. Sie gibt selbst der Kraft, der Ueberschwenglichkeit eine so sanfte Mäßigung, daß ihr Ungestüm das Gleichgewicht der Kräfte, welche der Hebel der Gesellschaft sind, nicht stört. Die Schmeichelei stellt Alles an das rechte Licht, wo es nicht zur Last, sondern gut in die Augen fällt. Sie nimmt dem Laster seine Häßlichkeit, der Tugend ihr vorlautes Wesen. Sie macht aus dem Leben ein Kunstwerk und stellt Alles unter das glücklichste Niveau, unter das Niveau der Schönheit.
Nero.
86 Rhetor. Die niederträchtige Schmeichelei stört; denn sie sezt den Empfänger in Verlegenheit. Was soll die Schöne sagen, der ein Anbeter die Huldigung brächte, daß er aus ihrem Schuh tränke? was der Kaiser, wenn ein Senatsbeschluß festsezte, daß das römische Volk von einem Reitknecht des Julischen Hauses herstamme? Solche Reden sind plump, gemein, nicht anzuhören. Eben so kann die Schmeichelei so fein gespizt seyn, daß sie in’s Alberne fällt und belacht werden muß. Dolabella machte sich lächerlich, als er im Senat darauf antrug, dem göttlichen Tiberius müsse ein Triumphzug dekretirt werden, weil er einmal in Campanien einen kleinen Spaziergang gemacht hatte. Die gefährlichste Klippe bleibt freilich der böse Wille. Es gehört die größte Gewandtheit dazu, diesen durch die Maske der Schmeichelei zu verdecken. Wer seinen Haß hinter Liebe, seinen Neid hinter Theilnahme, seine Furcht hinter Vertrauen versteckt, muß seiner Gesichtszüge und seiner Worte gleich großer Meister seyn. Schmeichelt er, so kann er selten die Maxime befolgen, welche den Harmlosen immer zum Ziele führt; er muß weit verschlungenere Pfade einschlagen. Eine Huldigung 87 sogar, die einzeln stände, würde ihn verrathen, sein ganzes Benehmen muß von der Schmeichelei durchdrungen seyn.
Julius Vindex.
Rhetor. Die Ausführung meines Unterrichts in der feinen Schmeichelei überlasse ich meinen spätern Vorträgen; hier nur einige allgemeine Sätze, die Sie mit dem Geist derselben vertraut machen sollen. Es heißt geistreich und gewandt huldigen, wenn man Jemanden schmeichelt und sich stellt, als wolle man nur der Wahrheit zu Ehren sprechen, und sich sogar nicht scheuen, wenn man ihn durch seine Rede erzürne. Gesezt, das Staatsoberhaupt wünschte irgend ein Gesetz zu unterdrücken, und es träte Jemand auf, der wie aus freiem Antriebe, wie nach langer, reiflicher Ueberlegung auf die Abschaffung antrüge, so 88 würde er seine Schmeichelei noch gerundeter machen, wenn er hinzufügte, daß er diesen Antrag stelle, selbst mit der Gefahr, den Zorn des Staatsoberhaupts auf sich zu laden.
Senatoren und Tribunen (murmelnd).
Rhetor. Hat ein Regent Eigenheiten, große Eigenheiten, die man Laster nennen könnte, so wird es ihm immer darauf ankommen, sie für Tugenden angesehen zu wissen. Die feine Schmeichelei geht in diesem Falle nie auf geradem Wege. Sie ergreift eine ganz bei Seite liegende Gelegenheit und entwickelt eine allgemeine Ansicht, Grundsätze, die ihr wie von ungefähr kommen, die aber wie Saatkörner auf das nebenan lauschende, argwöhnische Herz des Fürsten fallen und hundertfältige Früchte tragen.
Senatoren und Tribunen.
Rhetor. Am glücklichsten fährt der, welcher sich der Worte der Opposition bedient und doch nur das sagen will, was der Macht willkommen ist. Ein solcher Schmeichler bricht in laute Klagen aus über die Ungebühr der Zeiten, tadelt aber gerade nur das, was den Gegenstand seiner Huldigung beeinträchtigen will. Er spricht von der alten Sitte, von den Vorfahren, von menschlichen und göttlichen Rechten, hebt aber alle Dinge nur in der Verbindung hervor, daß das Licht, das er vermissen will, doch auf den, dem seine Worte gelten, fallen muß. Hier gibt es viel Nüancen. Gesezt, ein Fürst wählt sich einen Minister, der auffallend jung, aber für die Tyrannei wie geschaffen ist. Der Schmeichler benimmt sich hier so: er adoptirt die Sprache der Neuerung, nimmt den jungen Minister in Schutz, als ein Zugeständniß für die Opposition. Denn will die Opposition nicht, daß eben das Talent, nicht das Alter die Befähigung zu der Stelle geben soll? Er sucht dann die Partei zu verspotten und als besiegt darzustellen, welche doch eigentlich die Siegerin ist und deren Kreatur der 90 junge Minister bleibt. Das ist eine der tauglichsten Maximen; denn durch sein Doppelspiel gewinnt man ebenso die bestehende Gewalt, als die Opposition, von der man nur die Wendungen leiht.
Cerialis Anicius (bei Seite).
Rhetor.
Senatoren und Tribunen.
Cerialis Anicius (auf Nero zutretend).
Senatoren und Tribunen.
Nero.
Julius Vindex (allein).
96 V.#
Kaiserlicher Park. Nacht.
Chor der Mänaden.
Erster Halbchor.
Zweiter Halbchor.
Erster Halbchor.
Zweiter Halbchor.
Chor.
________
Gedräng unter den Zuschauern eines Theaters, dessen Vorstellung schon begonnen hat. Ein Bürger mit seiner Tochter.
Tochter. Vater, wohin wollen Sie denn? Drängen Sie doch nicht so vor!
Bürger. Ich weiß nicht, was du willst, Kind? Wäre deine Mutter nur da, die stemmte die Hand in ihre Seiten und machte gleich Bresche! Muß doch was davon abbekommen, wenn man deßhalb eine Nacht aufbleibt, um seinen Kaiser auf dem Theater zu sehen, und noch dazu in Frauenkleidern.
Tochter. Sprechen Sie doch nur nicht so laut, Vater! die Leute sehen sich alle um.
Bürger. Ich weiß nicht, was du willst. Was gehen mich die Leute an? Wenn die Könige Komödie spielen wollen, so ist es immer besser, sie thun es auf dem Theater, als auf dem Thron. Wenn nur deine 99 Mutter da wäre; es kommen so viel erbauliche Sprüche vor, die wie ein Abendsegen klingen.
Tochter. Gott, Sie hören nicht auf, Vater! Was ihm nur angefochten ist?
Bürger. Ich weiß nicht, was du willst, Kind! Ich lieb einmal die Menschen, wenn sie im Theater sind, dann ist doch noch Umgehens mit ihnen. Sie haben keine anderen Dinge im Kopf, als die ihnen vorgespielt werden; und wenn man gemeinnützige Zwecke hat, z. B. ein Bäcker ist oder ein Seifensieder, und man durch Aktien sein Geschäft heben möchte, so sollte man nur im Theater Unterschriften sammeln. Soll mich doch wundern, ob das Ungeheuer da oben denn auch zu sprechen anfangen wird.
Tochter. Gewiß, wenn Sie nur zu sprechen aufhören werden.
Ein Nachbar. Wen verstehen Sie unter dem Ungeheuer? Den Kaiser oder den Seedrachen?
Bürger. Mein lieber nachbarlicher Freund, wie viel ziehen Sie monatlich von der geheimen Polizei?
100 Nachbar. Weit weniger, als Sie von mir ziehen werden, nämlich Prügel. Was haben Sie vorlauter Mensch hier immer in das Stück einzureden?
Bürger (zur Tochter). Kind, wo ist denn mein Perspektiv? Ich möchte doch einmal sehen, ob diese Grobheit größer wird, wenn man sie mit unterstüzter Pupille ansieht.
Tochter. Vater, ich bin des Todes, was Sie heute wieder für Lärm machen!
Bürger. Wäre deine Mutter –
Vorne. Still da hinten!
Bürger. Ruhe, allgemeine Ruhe! Hüte ab!
Alle. St! der Kaiser spricht!
Nero in der Rolle der Andromeda, angeschmiedet an einen Felsen. Am Meere ein Drache.
Nero.
(Wieder im Vorgrunde.)
Corybanten und Cybele.
Erster Halbchor.
Zweiter Halbchor.
Cybele.
Julius Vindex, verfolgt von Satyrn und Nymphen, tritt auf.
Satyrn.
Julius Vindex.
105 Nymphen.
Julius Vindex.
Oreaden.
Julius Vindex.
Najaden.
107 Julius Vindex.
Dryaden.
Julius Vindex.
108 Satyrn.
(Die Chöre ziehen sich zurück.)
Maske.
Julius Vindex.
Maske.
Julius Vindex.
Maske.
Julius Vindex.
Poppäa.
Die Theater Vorstellung ist beendet. Nero als Weib, mit Schminke und halb offener Brust, eilt über die Bühne, von Schmeichlern verfolgt, welche ihn in bekannten Rezensenten-Ausdrücken erheben. Er dankt kindisch und befangen, wie ein Noviz beim ersten Debüt, dann folgen die schon da gewesenen Chöre bis die Scene leer wird.
Erste Pechfackel (leise aus ihr herausseufzend). O Jehova, du Herr Zebaoth!
Zweite Pechfackel. O du mein Heiland, Jesus Christus!
Die Fackeln sinken in Staub zusammen. Ueberall Nacht und Ruhe.
112 VI.#
Große Halle mit mehren Seitenthüren und einer Hauptthüre im Hintergrunde. In der Mitte eine Tribüne.
Ein Hauptmann mit Soldaten tritt auf.
Hauptmann.
(Die Soldaten vertheilen sich in den Nebenzimmern.)
Die Dichter treten ein.
Chor der Dichter.
Ein Buchhändler. So recht meine Herren, wir Verleger hören nichts lieber, als wenn sich die Dichter mit dem Ruhme begnügen.
Erster Poet. Das ist eine Genügsamkeit, welche Ihnen freilich wohlfeil zu stehen kommt.
115 Zweiter Poet. Ja, wollte man Ihnen einmal eine goldne Säule setzen, sie würde sehr klein gerathen, wenn man sie aus dem Honorar schmölze, welches die Poesie von Ihnen bezogen hat.
Buchhändler. Ungefähr einem Pfeifenstiele würde sie gleichen; Sie haben recht, meine Herren. Doch gestehen Sie selbst, werden Sie deßhalb schlechtere Verse machen, weil Sie weniger anständig dafür bezahlt werden? O meine Herren, Homer wäre darum kein genialerer Dichter geworden, wenn er auch für den Bogen einen Louisd’or mehr bekommen hätte.
Dritter Poet. Was das für Redensarten sind! Was hat man vom Tempel des Ruhms, wenn wenigstens nicht sein Fußboden mit Kronenthalern gepflastert ist?
Ein Humorist (bedeutungsvoll). In welchem Style glauben Sie wohl, daß der Tempel des Ruhms gebaut ist? im dorischen oder jonischen?
Buchhändler. So recht! Ei, das war ja eine humoristische Bemerkung, und ich muß Ihnen gestehen, Spaß 116 amüsirt das Publikum. Figürliche Gegenstände in der Analogie wirklicher zu behandeln – nicht übel. Was kann man, um ein Beispiel zu haben, z. B. von der Schönheit sagen, wenn sie in die Augen fällt?
Humorist. Daß sie sehr ungeschickt ist.
Buchhändler. Allerliebst! Sie sind mein Mann, Sie verbinden das Nützliche mit dem Angenehmen. Wenn ich mich hergebe, Verse zu verlegen, so bau’ ich immer in die Luft.
Humorist (wie oben). Nach welchen Grundsätzen verfahren Sie, wenn Sie in die Luft bauen? Was kann man überhaupt von der Architektur der Luftschlösser sagen?
Buchhändler. Sagen Sie etwas!
(Er zieht eine Tafel und schreibt heimlich in der Tasche nach, was der Humorist spricht.)
Humorist (räuspert sich und beginnt). Außer der sichtbaren Welt gibt es gewiß noch eine weite unsichtbare, welche die unsrige oft durchkreuzt. Spricht man doch zuweilen vom Reich der Freiheit, 117 vom Reich der Wahrheit, von zwei Reichen, welche in unsern irdischen Reichen gänzlich unbekannt sind. Es gibt sogar eine unsichtbare Geographie; denn wie oft ist nicht von sogenannten böhmischen Dörfern die Rede, welche überall liegen, nur nicht in Böhmen. Sie selber haben von Luftschlössern gesprochen, welche irrthümlicherweise oft nach Spanien verlegt werden, gleichsam als wäre Spanien der Mond, in welchem mancher Edelmann seine Güter hat. Wie stellen Sie sich nun ein recht luftiges Luftschloß vor? Hat es Seitenflügel? Gewiß, die Flügel der Hoffnung. Hat es hohe Giebel? Gewiß, schon mancher stürzte herunter. Hat es einen Hof? Gewiß, wie der Mond, der von Wolken umgeben ist. Merkwürdig ist, daß diese glänzende Pracht der Luftschlösser sich immer da findet, wo es sonst am ärmlichsten zugeht: in den Hütten; oder wo man geneigt ist, statt zu bauen, lieber einzureißen: bei der Jugend.
Buchhändler (fortschreibend). Es ist zu interessant.
Humorist. Aus wie wundersamen Dingen nimmt jezt diese Baukunst, welche man, wie die Biber, nicht einmal 118 zu lernen braucht, für welche man kein Patent und keinen Gewerbeschein löst, und in welcher der Ungeschickteste immer der größte Meister ist, ihr Material her? Aus dem unsichtbaren Faden einer halben Hoffnung; aus dem Blick eines angebeteten Mädchens; aus der Phrase eines Gönners, der versprochen hat, es mit uns gut zu meinen; aus einem Loose in der Lotterie; aus dem Husten eines alten Erblassers; kurz aus tausend Seidenhärchen des Schicksals, an welche wir das bleierne Gewicht unserer Hoffnungen, unseres Alpdrückens und unserer nächtlichen Träume hängen. In den Luftschlössern herrscht auch immer Musik und Tanz, die schönsten Mädchen wechseln mit den vollsten Geldsäcken, auf einen Wink gehorchen tausend Diener, und doch wird Jeder noch einen besondern Schnörkel haben, den er an dieser Gattung von Gebäuden nach seinem eigenen Geschmack sehen will. Die freiste Mannichfaltigkeit waltet hier, wie auch bei den böhmischen Dörfern, die Jedem anders vorkommen. Bei dem Einen sieht ein böhmisches Dorf so aus, wie das, wovon gerade die Rede gewesen ist, beim Andern wie ein Satz aus der Naturgeschichte, beim Dritten wie der pythagoräische Lehrsatz, beim Vierten wie die Theorie der Gleichungen vom 119 vierten Grade, beim Fünften wie eine Jahreszahl aus der Geschichte, beim Sechsten wie etwas, was man schon wieder vergessen hat, oder bei musikalischen Referenten wie Etwas, wovon man nichts versteht. Der Landschaftmaler – böhmische Dörfer wird er nicht zeichnen können, es sey denn, daß die Malerei für ihn selbst ein böhmisches Dorf ist. Der Geograph – vergebens sucht er sie auf den Landkarten, es sey denn, daß sie da lägen, wo er gerade nicht zu Haus ist.
Buchhändler. Unübertrefflich! Sie Edelstein! Sie Saphir und Originalmensch! Welch' sprudelnde Laune! Welch’ hinreißender Witz! Sie sind ganz der Meinige, und mit Schrecken hör’ ich schon, daß sich diese klassischen und belorbeerten Poeten wieder die Schnäbel wetzen, um folgendes Lied zu singen:
Chor der Dichter.
Ein junger Mensch (zum Buchhändler). Mein Herr! Ein Wort im Vertrauen! Ich bin hier heute zum ersten Male; aber ich fühle es, auch ich bin in Arkadien geboren.
121 Buchhändler. Frage ich denn nach Ihrem Taufschein? Was wollen Sie mit Ihrer Zudringlichkeit sagen?
Junger Mensch. Nichts, mein Herr, als die einfachen Worte: Ich bin auch da! Ich komme eben ganz jung aus dem Neste geflogen, kann die Flügel und das Wasser schon halten, und möchte mich gern den klassischen Sängern der Nation anschließen.
Buchhändler. Herr, was wollen Sie denn damit sagen?
Junger Mensch. Mein Gott, nichts, als: ich dichte! Aber Verschwiegenheit! Meine Poesie bewegt sich in ganz neuen Gegenständen, z. B. besinge ich die Sterne, und habe die wichtige Entdeckung gemacht, daß sich Himmel auf Gewimmel, Glück auf Geschick, und Demuth auf Wehmuth reimt. Untersuchen Sie meine Verse, ob ich irgendwo sorglos Berge und Störche zusammengebracht habe, ob ich finden auf hinten folgen lasse, oder mir darin gefalle, Mängel auf Fenchel zu reimen. Ich besinge nie besungene Gegenstände, z. B. meine Geliebte, 122 Frühlingsahnung, alte Klostermauern, Ritter, Treue, Schwesterliebe – –
Buchhändler. Freilich, freilich, mein Lieber! ich sehe ja, daß nur Sie bloß noch gefehlt haben; aber hören Sie doch, hinter der Scene gehen Thüren, und vielleicht kommt der Kaiser.
Chor der Dichter.
123 Nero
(stürzt mit leidenschaftlicher Gebärde durch die Flügelthür).
Chor der Dichter
(tremulando).
Nero.
Chor der Dichter.
Nero.
Erster Bote (tritt auf).
Nero.
128 Zweiter Bote.
Nero.
Dritter Bote.
Nero.
Vierter Bote.
Nero.
134 Fünfter Bote.
Nero.
(Bote ab. Die Dichter, den Sprung des Tigers erwartend, drücken sich an die Wände, vor Entsetzen bleicher als diese.)
Nero
(sinnend sich über die Stirn fahrend und das Haar wegscheitelnd).
(Die inzwischen eingedrungenen Soldaten führen die wehklagenden Dichter hinweg.)
Julius Vindex tritt auf.
Julius Vindex.
139 VII.#
In Seneka’s Hause. Morgendämmerung.
Seneka, ein dünnes spaßhaftes Männchen, tritt ein und legt eine Leiter ab, die er trägt.
Seneka. Keine Begriffs-Leiter! sondern eine ganz gewöhnliche Hühnertreppe, die ich dem Kaiser nachtragen muß, wenn er in die Fenster seiner Schönen steigt! Das ist der Fluch einer offiziellen Philosophie, daß sie sich zu Allem hergeben muß. Ich wüßte nicht, wie das länger zu ertragen wäre, wenn man diesen Despotismus nicht unter dem Gesichtspunkte der Originalität, und seine Grausamkeit unter dem der Spaßhaftigkeit ansähe. He, Mütterchen!
Hinter der Scene. Bist du’s, Annäus? Hast wieder warten müssen so lange? Dein Warmbier steht auf dem Tische.
140 Seneka. Ja schlaf’ nur noch, du gutes Weib! Ich wag’ es nicht, mit meinen unkeuschen Ausdünstungen an dein saubres tugendhaftes Bett zu treten. In welche Winkel mußt' ich folgen! Zu Nero's Seufzern muß Seneka Schildwache stehen. Wenn das Laster vorüberzieht, muß die Tugend in’s Gewehr treten. Die Ehrlichkeit muß die Leiter halten, wenn der Dieb in fremde Fenster steigt. Sagst du nicht was, Mütterchen?
Hinter der Scene. Du murmelst so viel, lieber Annäus. Ich fühle, wie du dich wieder angestrengt hast die Nacht.
Seneka. Ohne Philosophie wäre das auch gar nicht zum Aushalten. Immer gegenwärtig, immer Stichblatt seyn, immer Spaß machen, mehr Hofnarr als Hofrath, wer hielte das aus! Ich denke nur immer, es ist zulezt auch gut, die Dinge einmal von der andern Seite anzusehen. Aber, gerechter Gott! Frauenzimmer, was bleibst du nicht im Bett?
Frau Seneka (mit einem Lichte, im Nachtüberwurf hereintretend). Väterchen, laß mich! Wie blaß du siehst! Die ungesunde Nachtluft! Wo habt ihr nur gesteckt?
141 Seneka. Ueberall; in allerhand Winkeln, wo die Liebe einem Geldstück gleicht mit ganz abgenuztem Gepräge, und wo sie schon durch so viele leidenschaftliche Hände gegangen ist, daß sich Grünspan und Ansteckung auf ihr ansezt.
Frau Seneka. Und du immer mit, Annäus? Aber sage mir nur, wie benehmen sich denn solche Frauenzimmer?
Seneka. Ach was! Den Kaiser solltest du aber dabei sehen. Immer der Hahnrei seiner eigenen Leidenschaft. In ganz wohlconditionirte Häuser, die doch eine ordentliche Treppe, Thür und Klingel haben, muß er durch’s Fenster einsteigen. Arme, die von Umarmungen schon Schwielen bekommen, scheinen ihm so frisch, wie deine waren, Mütterchen, vor vierzig und etlichen Jahren.
Frau Seneka (beklommen). Ach Väterchen –
Seneka. Nun, was hilft’s? Man lebt vom Schein. Ich denke oft, ich wäre etwas beleibter, als ich mager bin, und ein wenig ärmer, als ich reich bin. Nur 142 keinen Lebensüberdruß! Ich gestehe Nero Alles zu, denn ich weiß, daß durch Nachgiebigkeit Ausschweifungen verhindert, und im Fall der Noth große Verbrechen durch kleine hintertrieben werden können. Aber was ist dir nur?
Frau Seneka. Einen bösen Traum hatt’ ich diese Nacht. Lieber, ich glaube, es geht an unser Leben.
Seneka. Freilich, besonders ist es nicht; es geht immer an, unser Leben. Oder wie?
Frau Seneka. Nein, nein, du verstehst mich nicht; es geht an unser Leben.
Seneka. Ja so, ja so, unser Leben geht jezt erst an; das wäre doch kein böser Traum.
Frau Seneka. Gott, so versteh’ mich doch! Es geht an unser Leben.
Seneka. Nun, nun, jezt begreif ich’s erst. Die ungelenke lateinische Sprache! Aber das sind Grillen. Wir sind sicher. Nero hat mich diese Nacht geküßt und 143 geherzt, und als ich von ihm ging, sagte er, er wolle mich noch höher befördern.
Frau Seneka. Still, still, was ist das für ein Lärm?
Stimmen draußen.
Seneka. Was hat man nur? Ich höre nichts.
Frau Seneka. Ich hör’; doch am Verstehn gebricht's.
Stimmen draußen.
Frau Seneka. Das klingt fast wie ein Hexenlied.
Seneka. Frau, mach’ das Fenster zu, es zieht!
144 Stimmen draußen.
Seneka. Da unten steht, sieh! Hinz und Kunz!
Frau Seneka. Man spricht vom Tod. Wen meint man? uns?
Beide.
Die Freunde und Nachbarn Seneka’s treten ein. Scharfrichter mit einem Sarg. Man weint. Seneka springt plötzlich vom Lächerlichen zum Erhabenen über. Man überberreicht ihm eine Rolle Papier. Er wickelt sie auf, ein Messer fällt heraus.
Seneka.
Frau Seneka.
Seneka.
(Beide steigen in den Abgrund und öffnen sich die Ader.)
Abschied.
Seneka.
Frau Seneka.
Seneka.
Frau Seneka.
Seneka.
150 VIII.#
Im Hause der Poppäa.
Poppäa sitzt in schwarzen Kleidern nachdenklich. Im Metallreifen schwingt sich vor ihr ein Papagey.
Poppäa.
151 Papagey.
Poppäa.
Papagey.
Poppäa.
(Sie würgt den Papagey. Nero tritt herein.)
154 Nero.
Poppäa.
Nero.
Poppäa.
Nero.
Poppäa.
Nero.
160 IX.#
Im Lager des Julius Vindex. Zelt mit einer Lampe.
Julius Vindex (richtet sich vom Bette auf).
Geist.
Julius Vindex.
Geist.
Julius Vindex.
162 Geist.
Julius Vindex.
Geist.
Julius Vindex.
Geist.
Julius Vindex.
Draußen im Lager.
Soldaten, die aus ihren Mänteln hervorkriechen. Ein Trompeter bläst.
Erster Soldat. Was das wieder für ein nüchterner, ungewaschener und ungekämmter Ton ist.
Zweiter Soldat. Der Kerl bläst, als wenn er das Aufstoßen hätte. So ein Hallunk war Heinz nicht, der früher für die Kompagnie geblasen hat, als er noch lebte.
Dritter Soldat. Der Neue ist ein gefangener Trompeter von drüben, den sie in unsere Uniform gesteckt haben, und der nun aus Patriotismus falsche Noten bläst.
Erster Soldat. Aber ich muß euch sagen, ihr beiden Leute riecht schon ganz nach Verwesung; ihr überlebt den Tag 165 nicht, und würdet gut thun, mir euer Geld zu geben. Denn seht, man hat mir prophezeiht, daß ich in diesem Jahre 365 Tage vor dem Tode sicher bin.
Zweiter Soldat. So gibt es immer noch einen Tag, wo du gehangen werden kannst; denn dies Jahr ist ein Schaltjahr, du Schalk!
Dritter Soldat. Auch ist mein Vorschlag besser. Wir wollen alle drei unsere gemeinschaftlichen Vermögensumstände theilen, so daß auf jeden gleich Part käme. Schießt zusammen, wir machen drei Haufen.
Erster Soldat. Willst du deine Haare mit hinzulegen, die ich dir ausraufen werde, du Kopfrechner!
Zweiter Soldat. Freilich, könntest du sie auf deine Glatze kleben, sie würden dir nicht übel stehen.
Dritter Soldat. So? gehen Einem also die Haare aus, wenn man einen Wallfisch zur Frau hat?
Zweiter Soldat. O stichle nicht auf seine Frau, sie ist nur mit Stechen zufrieden.
166 Erster Soldat. Mein Weib ist ein gutes Weib, sie ist noch lange keine böse Sieben. (Er legt sich wieder.)
Dritter Soldat. Aber schon lange eine böse Sechs.
Erster Soldat (auffahrend). Was? Mein Weib eine Hex? Du Schuft, weißt du, daß meine Kinder mir alle ähnlich sehen?
Zweiter Soldat. Das müssen sie wohl, du hast ja deinen Bruder zum Wächter bei ihr zurückgelassen.
(Die Umstehenden lachen.)
Erster Soldat. Ihr habt gewiß geträumt, ihr seyd nicht nüchtern gewesen; und nun ihr aufwacht, seyd ihr in der That betrunken. Habt doch Lebensart!
Hauptmann. Ruhe ihr deutschen Dorfteufel! Ihr müßt immer eure Schlafmützen über’s Ohr ziehen und euch von Federvieh und Hahnreischaften unterhalten. Rührt euch denn diese Natur, das Wunder-Italien nicht?
167 Zweiter Soldat. Ich will Ihnen nur sagen, Herr Hauptmann, mein Kamerad ist etwas kurzsichtig.
Dritter Soldat. Ja, und das kommt daher, weil ihm seine Kinder aus den Augen geschnitten sind.
Erster Soldat. Glauben Sie’s nicht, Herr Hauptmann. Dieses Italien ist in seiner Art einzig; ich schwärme über dem klassischen Boden, wo die Citronen blühen, und bewundere, wie sich Ulmenbäume hier um die Rebe ranken.
(Wird allgemein ausgelacht. Trompetenton. Getümmel der Schlacht.)
Kommando Diesseits und Jenseits.
Diesseits.
Jenseits.
Diesseits.
168 Jenseits.
Ein verwundeter Rekrut (am Boden). Mich stört nur Eins: daß ich zerrissene Stiefeln habe. Wie nur das gekommen seyn mag? Hab’ ich mich denn so beeilt, da anzulangen, wo ich jezt bin, nämlich eine Handbreit vom Tode? Mein Nachbar da ist noch sehr gut besohlt und vervorschuht; freilich, in zehn Minuten ist’s aus mit mir und mit meiner Eitelkeit; aber ich trage das Nicht; ordentliche Stiefeln muß ich an den Füßen haben, sonst stolpere ich ungeschickt aus der Welt. (Er kriecht fort.)
Zwei verwundete Brüder.
Erster. Weiter kann ich nicht. Gut, Camill, daß du in der Nähe bist.
Zweiter. Ja, nahe genug, Sulpiz, um dir deine betrügerische Zunge auszureißen.
169 Erster. Heiliges Blut meines Körpers! verströme nicht zu schnell, daß ich den Meineid eines Menschen züchtigen kann, den die schadenfrohe Natur mit mir aus einem Leibe geboren werden ließ!
Zweiter. Schon als Embryo, du Hund, wie ich mit gesenktem Kopfe und verschränkten Armen dir gegenüber saß in den Eingeweiden unserer Mutter, kniff ich blaue Flecken in deinen Leib, und selbst im Grabe wird sich noch die todte Materie meiner Person instinktmäßig auf dich werfen. Zieh!
Erster. Ich habe gehungert, wenn du am Tische warst, und jedes Spiel verlassen, zu dem du dich geselltest. Ich habe dich des Nachts im Bette überfallen und dir heimlich die Haare abgeschoren, wenn du schliefest. Es ist Alles noch so; ich habe gezogen!
Zweiter. Die Wunde schmerzt; aber diese Quart nimm hin, du Scheusal, auf dem unsere Familienphysiognomie in’s Unehrliche sich ausgeprägt hat, nachgemachte Copie meiner selbst!
170 Erster. Ich war früher da, als du Camill; aber der Tod ist mir auf der Zunge! aber nimm diese Terz! aber sie trifft dich nicht, du Spiegelfechter! Mich trifft sie. Ich bin aus. Legt mich zu dem Menschen nicht!
Zweiter. Ich komme auch zurück, zurück auf nichts, auf ihn, aber nicht zu ihm! Er stahl sich in den Leib meiner Mutter hinein; vom Vater hat sie ihn gar nicht empfangen, das Thier, das wilde, das todte – auch ich – (Beide sterben.)
Der verwundete Rekrut von früher. Kann nicht hin zu meines Kamerads seinen Stiefeln, und muß mich hier ärgern, während es immer ärger mit mir wird. Die Zehen gucken heraus. Ich kann sie mir erkälten. He, Kamerad! Der Kerl schläft und hat so hübsche Stiefeln an. Muß ich also barfuß aus dem Leben gehen – werde mich erkälten, wie ich hier liege – wenn nur wenigstens meine Stiefeln nicht zerrissen wären. O, ich glaube gar, nun geht’s ab. Was wird doch der Hauptmann sagen, wenn meine – zerrissene – (Stirbt.)
171 Diesseits.
Jenseits.
Diesseits.
Jenseits.
Der erste Soldat von früher. Gewisse Dinge gibt es doch, die sehr ungewiß sind. Dazu gehört unter anderem alles, was jenseits des Grabes geschieht. Ich wäre des Todes, wenn ich sterben müßte! Wenn ich mir so plötzlich abhanden käme, ich wüßte nicht wie! Das ist mein Alles, des Morgens aufzustehen, und mich immer wieder so 172 gesund und munter anzutreffen, wie ich des Abends vorher gütigst zu Bette gegangen bin. Wenn ich dann mit Respekt zu mir sagen kann: guten Morgen, Heinrich! Und betrachte mich von allen Seiten und bin noch immer der alte Heinrich mit seinen proportionirten Gliedern, seiner steifen Haltung und der kleinen Haarlocke vor dem linken Ohr. Und wenn ich nun plötzlich eines Morgens dieses Gemisch von Annehmlichkeit und feinem Wesen vermissen sollte! Wenn ich mich auf meinem Tod überraschte, was würde ich sagen! Und was würde meine Frau sagen, wenn ich gestorben nach Hause käme, oder sie auch nur an mir eines der vorzüglichsten Glieder meines Körpers vermißte! Aber was ist das? Mir wird schwach. Ich sehe Blut von mir rinnen, ohne daß ich’s fühle. Was – sind – denn – das – für – Narrenspossen! (Stirbt.)
Die gallischen Legionen auf der Flucht.
Die Legionen.
Julius Vindex.
176 X.#
Das brennende Rom.
Dachstube. Eine bescheidene Familie. Abend.
Vater. Nun, Kinder, tretet heran und faltet die Hände!
Mutter. Und betet euren Abendsegen! Der kleine Bruder schläft schon.
Erstes Mädchen. Wir danken dir –
Zweites Mädchen. Lieber Herrgott –
Erster Bube. Wir danken dir, lieber Herrgott, daß du uns wieder einen Tag hast leben lassen –
Zweiter Bube. Und uns genähret hast –
Erster Bube. Mit Speis’ und Trank –
177 Alle. Nach dem Bedürfnisse unseres Leibes; aber himmlisches Brod und unvergänglichen Trank, Lehre, Vermahnung und Unterricht uns gegeben, daß wir leben lernen nach deinen Geboten und dereinst sterben in deiner Verheißung. Amen.
Mutter. Nun, ihr Großen, gebt auf die Kleinen Acht, daß sie nichts verkehrt thun, und sie endlich einmal lernen, sich selber aus- und anziehen. Vater hat genug daran zu thun, Euch auf den Leib was anzuschaffen.
Vater. O laß das! tauche die Phantasie dieser Lieben nicht zu früh ein in das schwarze Elend, wovon sie nie etwas ahnen sollten, so lange sie Reichthum und Armuth nicht von einander unterscheiden können. Sieh, wie schnell der Schlaf, der Zauberer aller Freuden, sie umfangen hat! Und in der Lage, die sie sich gegeben haben, wenden sie sich wie die Sonnenblumen unwillkührlich nach dir hin und träumen, nach dir die geschlossenen Augenkelche gerichtet, von Feen und vom Paradiese. Du bist ihre Sonne und ihr Mond.
178 Mutter. Wo nur die Große bleibt! Aus dem Sitzen in Sommernächten vor der Hausthür kömmt nichts heraus. Da gewöhnen sich die Mädchen an üble Nachrede über die Nachbarn und kommen selbst hinein. Und junge Bursche gesellen sich wohl gar zu ihnen und schneiden so viel schnakisches Zeug auf, daß die Mädchen in eins fort kichern und sich anstoßen über die dummen Bengel, sie wissen selbst nicht warum?
Vater. Was hilft's, Mütterchen? Liebe regiert die Welt. Wer hat’s von uns besser gemacht? Sieh, da kommt sie; sag’ ihr nichts, sie gleicht dir auf ein Haar, wie du früher warst; das Mädchen ist meine Freude.
Mutter. Wo steckst du denn so lange? Wie du aussiehst! Dein Gesicht glüht wie Feuer, deine Augen sind ganz närrisch; wo bist du gewesen? Kreatur, willst du uns unglücklich machen?
Vater. Mütterchen, laß doch nur! Sag einmal, Kind – was ich doch gleich sagen wollte, du bist ja so roth, 179 so ängstlich: dir muß was geschehen seyn. Die Mutter grämt sich.
Das Mädchen weint. Ein junger Mensch stürzt herein und zu den Füßen der Alten.
Der junge Mensch. O Verzeihung! Ich bin an Allem Schuld. Ich liebe Ihre Tochter, und muß mich um’s Leben bringen, wenn Sie mich nicht zu Ihrem Schwiegersohn nehmen. Hübscher Leute Kind bin ich und Horndrechsler ist mein Vater, und dieselbe Profession hab’ auch ich. Bin jung und fleißig, und habe jezt einen Narren gefressen an Ihrer Jungfer Tochter; ach Gott!
Mutter. Ja, so kann Mancher kommen. Meine Tochter ist nicht so, wie man eine auf der Straße kennen lernt. Sie kann nähen, stricken, bügeln, weiß mit Putz- und feiner Handarbeit umzugehen, und kann auch wohl waschen (was Schade für die zarten Finger! daß du mir nicht gestohlen wirst!). Und wenn das Alles auch so wäre und sie auch was mitverdienen könnte für die Wirthschaft, so sind Sie uns doch ganz unbekannt, obschon sie ganz wie ihre Mutter ist; allein aber ich bin ihre Mutter, sehen Sie, und das ist ihr Vater und an die müssen Sie sich wenden 180und so einem unschuldigen Mädchen keine Fickfackereien in den Kopf setzen. Sehen Sie?
Der junge Mensch. Ach Gott! ach Gott! ich mein’s ja ehrlich, sehen Sie!
Vater. Na, mach’ doch dem jungen Menschen kein Herzeleid. Setzen Sie sich gefälligst! Ihr Herr Vater war ja auch immer ein sittsamer, feiner junger Mensch, früher; jezt freilich ist er alt, und mag auch sein Päckchen zu tragen haben. Es war heutigen Tags ein recht schöner Abend –
Der junge Mensch. O ja, recht sternenklar. Ja ’s ist selten um die Jahreszeit. Da hab’ ich so meine Beobachtung gemacht. Um Johannis herum, wenn die Nachtigall zu schlagen aufhört, sehen Sie, wo die Tage schon kürzer werden, da ist doch selten ein Abend, wo man nicht draußen sein Bett in’s Freie setzen möchte. Ach Gott, Sie haben ja da eine Nachtigallenhecke.
Vater (verschämt). Ja, ich hab's einmal probirt. ’S kommt aber nix heraus.
181 Mutter. Ja, der mit seinen Vögeln! Kommen Sie nur darauf, dann hört er nicht wieder auf.
Der junge Mensch. Ach, es geht doch aber auch nichts über eine Nachtigall! Sonntags Morgens, wenn die Sonne noch nicht aufgegangen ist, bin ich im Frühjahr immer draußen. Sehn Sie, aber immer vor’m Mai muß man Nachtigallen fangen, sonst singen sie spottschlecht später im Bauer, und verdienen's Futter gar nicht. Wo ich eine gehört habe, da mach’ ich dann in der Erde eine kleine Grube und lege Mehlwürmer hinein, und darüber leg’ ich ein Bügelnetz aus zwei Bügeln, die mit Garn umstrickt und mit einem Stellholz wie ein Meisekasten aufgestellt sind. Nun geh’ ich weg. Meine Nachtigall hat immer zugesehen, und dermaßen neugierig ist so ein dummes Vieh, daß es gleich heranfliegt, um zu sehen, was ich da gemacht habe. Und ich stehe hinter’m Busch und pfeife immer Witt-Krr! Witt-Krr! Oder ist’s ein Sprosser: Hi! Glock-Urr! Hi! Glock-Urr! Nun sehen Sie, nun ist sie gefangen.
182 Vater. Mutter, was der Mensch erzählen kann; und die Worte sezt er so hübsch!
Der junge Mensch. Nun geht’s aber erst recht an. Meine Nachtigall steck’ ich in den Beutel, aber behutsam, daß der Schwanz keinen Schaden leidet. Denn sehen Sie, wie wunderbar, so ein Thier singt eigentlich mit seinem Schwanz! Nun gleich in den Bauer, und nun gleich Miereneier und Mehlwürmer und frisches Wasser, und nun ist das Spitzbubending trotzig und rührt nichts an. Dann aber gar keine Umstände gemacht und die Nachtigall gefaßt und ihr hineingestopft, was das Zeug hält, und manchmal des Tags, und so, bis sie’s selbst lernt oder sie nicht mehr tückisch ist. Auch gekochtes Rinderherz, auf einem Reibeisen zerrieben, oder Mohrrüben, was die Gedärme geschmeitzig hält, auch gehacktes Rindfleisch; ich versichere Ihnen, eine Nachtigall frißt alles, wenn nur Fleisch drunter ist.
Vater. Mutter, doch ein gescheuter Kerl! Der hat schon was mitgemacht.
183 Mutter. Ich hab’ auch gar nichts dagegen, hat er sein Auskommen –
Der junge Mensch. Ich sag’ Ihnen, was Nachtigallen anlangt, da bin ich Meister. Aber wenn man ein ganzes Nest ausnimmt, das ist doch das Schönste, obschon es die Polizei nicht haben will. Sehen Sie –
Vater. Ach ne, Jungechen! Keine Nester nicht ausnehmen! Ne! ne!
Der junge Mensch. Ja was! ich nehme ja die Alten mit –
Vater. Ne wirklich – ’s ist einmal – die Polizei will’s nicht haben; aber besuchen Sie mich, gucken Sie nach meinen Hecken, wo’s hier und da fehlt; es ist eine Dachstube, wir schlagen uns auch so durch die Welt; nun, du lieber Gott, satt essen können Sie sich auch noch des Abends, wenn’s gerade Kartoffeln giebt. Gute Nacht, und das Uebrige wird sich schon finden; Sie sind kein gewöhnlicher Mensch, das seh’ ich, und grüßen Sie Ihren Herrn Vater unbekannter Weise, oder wenn er sich noch meiner erinnern 184 sollte; ich bin auf der Wanderschaft einmal in einem Städtchen gewesen, wo er drei Jahre früher gewesen war oder gewesen seyn soll. Und machen Sie keine Umstände, wir machen auch keine. Leuchte doch dem Herrn!
(Die Tochter und der junge Mensch gehen hinaus.)
Mutter. Mir fallen die Augen zu. Was d'raus werden soll! Hy – ah! ja – ich geh’ zu Bette.
(Ab; die Tochter kehrt zurück.)
Vater (küßt sie). Kind, ich muß weinen. Es freut mich, daß man Freude an dir erlebt, und daß du dich nicht an so einen Windbeutel gehangen hast; sondern es ist ein ganz gesezter Mensch, und wenn er sich erst niederlassen wird, so wird der Segen auch nicht ausbleiben, und hör’ einmal, sey nur immer hübsch allegro um die Mutter herum; du weißt, sie ist wunderlich; aber sie hat auch ihre Noth. (Ab.)
Tochter (auf den Knien). O Himmel, ich danke dir, daß du meinen Träumen endlich Erfüllung gegeben hast! Ach, ist es denn wahr, daß ich ihn lieben darf? Bin ich dieser Gnade werth? O ich fühle mich stark, ihm sein Leben zu 185 versüßen. Ich will der Wink seines Auges, das erfüllte Echo seiner Wünsche und der Trost seines Mißgeschicks seyn. Nun weiß ich erst, warum ich auf die Welt gekommen bin. Ach, ich dummes Ding! Horch! er ruft unten –
Unten. Gute Nacht, süßes Herz!
Tochter. Gute Nacht! Gute Nacht! Auf Wiedersehen! (Sie schließt das Fenster.)
________
Auf der Straße.
Zwei Bürger.
Erster. Wenn ich nur wüßte, was in der Luft stäke!
Zweiter. Was soll drin stecken? Luft ist Nichts und Nichts in Nichts? Ha ha!
Erster. Nein, nehmen Sie mir nicht übel, es ist ein ganz verdammt pestilenzialischer Geruch, der Einem um die Nase spürt.
186 Zweiter. Hm, hm. Sollten die kapitolinischen Gänse schon wieder faule Eier gelegt haben?
Erster. Herr Jesus! da fuhr ein ganz blauer Lichtstreifen vor meiner Nase vorüber.
Zweiter. Müssen Sie denn Ihre Nase in Alles stecken?
Erster. Aber in die Luft werd’ ich sie doch stecken können, Herr! und mit dieser römischen Luft, mit dieser mehr als gemäßigten, beinahe tropischen Atmosphäre ist etwas vorgegangen –
Zweiter. Ja, wahrhaftig –
Erster. Haben Sie’s gesehen?
Zweiter. Ein ganz langer Lichtstreifen zog vor mir vorbei, wandte sich links, dann halb rechts, flammte auf und ist verschwunden. Dort alle Häuser leuchten blau. Was ist das für Luft? Ich ersticke –
(Sie verschwinden beide in den aus den Häusern schlagenden Flammen.)
187 Stimmen (aus der Dachstube von vorhin). Hilfe! Hilfe!
Von Unten. Ganz Rom geht in Feuer auf.
Von Oben. Hilfe! die Kinder!
Von Unten. Die Tiber hat sich in Feuer verwandelt.
Andere. Nein, sie ist abgeschüzt; man hat kein Wasser, um zu löschen.
Andere. Rettet! rettet!
Ein Bürger. Wonach soll man nur greifen in der Eile! Ich habe meine Uhr auf dem Tische liegen lassen! Ich muß –
Ein anderer Bürger. Mein Geld ist da, aber den Beutel ließ ich liegen; ich kann doch nicht ohne Beutel –
Ein Bube (weinend). Ich bin drei Stock herunter gesprungen; aber ich habe vergessen, die Kammerthür zuzumachen. Wie das brannte! Wenn meine Mutter nach Hause 188 kömmt, und die Kammerthür ist offen und die Katze ist doch wieder in die Stube gekommen – und genascht habe ich auch und die Deckel nicht wieder auf die Teller gelegt – ich muß hinein –
(Alle stürzen, um das Versäumte nachzuholen, in die Flammen.)
Von Oben. Hilfe! Hilfe!
Der junge Mensch (von früher). Platz! Platz! Hier die Leiter heran! Es kommt schon – nur Geduld da oben – einen Augenblick! Es kommt –
Von Oben. Er ist’s – schnell, schnell, wir ersticken –
Der junge Mensch. Die Leiter wird doch halten? Ich komme –
Von Oben. Barmherziger Gott, die Leiter bricht ein –
Der junge Mensch (unten liegend). Das Genick zerbrochen – ach – ach –
(Oben Alles still. Die Flammen bedecken das Gemälde.)
________
189 Auf der Villa des Mäcenas mit der Aussicht auf den Brand Roms.
Nero im Purpurmantel, mit einem Lorbeerkranz und die Lyra in der Hand; in der Nähe die Seinigen.
Nero.
Phaon (der Freigelassene tritt heran).
Phaon.
Nero.
Phaon.
195 Nero.
Phaon.
Nero.
(Phaon ersticht ihn.)
Hinter der Scene. Heil! Galba Heil!
Phaon.
Hinter der Scene.
Phaon.
Apparat#
Bearbeitung: Anne Friedrich, Halle#
1. Textüberlieferung#
1.1. Handschriften#
1.1.1. Übersicht#
Es sind keine handschriftlichen Überlieferungsträger bekannt.
1.2. Drucke#
Vor dem Erscheinen der Buchausgabe seines Dramas Nero im September 1835 veröffentlichte Gutzkow schon ein Jahr zuvor im „Morgenblatt für gebildete Stände“ einen ersten Auszug. Dieser trug den Titel Philosophie, Despotismus und Rhetorik und war mit einer Erklärung des Autors über sein im Entstehen begriffenes Stück versehen, das den Titel Jupiter Vindex tragen sollte (→ Dokumente zur Entstehungsgeschichte; → Textzeugnisse Gutzkows zu Nero). Bei dem Auszug handelt es sich um Szene IV (S. 86-108 unserer Ausgabe). Im Januar 1835 folgte ein weiterer Auszug im „Morgenblatt“, betitelt Ein Dichterthee bei Nero, Szene VI des Dramas (S. 120-137 unserer Ausgabe). Der letzte Vorabdruck im April 1835 war der Prolog (S. 47-50 unserer Ausgabe). Zu diesem Zeitpunkt hatte Gutzkow seinem Stück den Titel Nero gegeben. Der selbständigen Buchausgabe von 1835 folgten weitere, überarbeitete Drucke im Rahmen der Gesammelten Werke (1845) und der Dramatischen Werke (1863 und 1872). In den letzteren beiden Auflagen änderte Gutzkow den ursprünglichen Untertitel Tragödie zu Tragikomödie.
2. Textdarbietung#
2.1. Edierter Text#
E. Der Text folgt in Orthographie und Interpunktion unverändert dem Erstdruck. Textsperrungen werden übernommen. Silbentrennstriche (=) werden durch - wiedergegeben. Die Seitenzählung wird mit Klammern [ ] an den betreffenden Stellen in den Text eingefügt.
Die Liste der Texteingriffe nennt die von den Herausgebern berichtigten Druckfehler. Fehlende oder überzählige Spatien im Erstdruck wurden stillschweigend korrigiert. Sprechernamen vor Figurenreden, in E durch Sperrungen kenntlich gemacht, werden in Kapitälchen wiedergegeben.
Die Seiten-/Zeilenangaben im Apparat beziehen sich auf die Druckausgabe des Dramas im Band: Dramatische Werke. Hg. von Anne Friedrich und Susanne Schütz. Münster: Oktober Verlag, 2009. (= Gutzkows Werke und Briefe. Abt. II: Dramatische Werke, Bd. 1.)
2.1.1. Texteingriffe #
81,V.679 Leuchtthurm Leuchthurm
81,V.688 Gekommen sind zu ihrem Fall Gekommen ist zu ihren Fall berichtigt nach A1
84,4 gestohlen gestohlen.
90,8 Lehrer. Ehe ich heute Ehe ich heute Rednerbezeichnung fehlt in E
96,V.794 Auf dem, Auf dem;
104,7 wie wir
105,V.908 Staate Saate
112,V.1060 ihrer ihre berichtigt nach A1
124,8 eine Jahreszahl ein Jahreszahl
126,V.1330 Tyrann Tyran
127,V.1350 Der Erde Ströme Die Erde Ströme berichtigt nach A1
128, vor V.1368 Chor der Dichter. Chor der Dichter Punkt nach Rednerbezeichnung fehlt
129,V.1408 Terrassen Terassen
166,16 Mohrrüben Mohrüben
167,8 gewesen war gewesen hatte berichtigt nach A1
Errata#
Zur Buchausgabe (GWB II, Bd. 1) sind folgende Textkorrekturen zu vermerken:
54,V.34 ja lies: ja (gesperrt)
54,V.50 Greisen lies: Greifen
68,V.382 heiß: lies: heiß;
86,1 V. lies: IV.
94,8 wie lies: wir
100,8 sitzend; lies: sitzend,
106,V.931 seiner lies: feiner
121,nach V.1273 in Bühnenanweisung Die Dichter lies: Die Dichter
122,15 ionischen lies: jonischen
125,3 auch ich lies: auch ich
133,V.1519 zersetzen lies: zerfetzen
133, vor V. 1520 in Bühnenanweisung zusammen getreten lies: zusammengetreten
135, vor V. 1572 in Bühnenanweisung weg scheitelnd lies: wegscheitelnd
135,V.1589 Gang lies: Sang
150,V.1914 Reise lies: Reife
Folgende Korrekturen sind in Bezug auf Texteingriffe zu vermerken:
69,V.400 Phantasie Phantasie, berichtigt nach A2. Dieser Eingriff wurde getilgt.
127,V.1350 Die Erde Ströme Hier hätte ein Eingriff erfolgen müssen; siehe Liste der Texteingriffe.
143,V.1736 fest sest Dieser Eingriff hätte verzeichnet werden müssen.
4. Entstehungsgeschichte#
4.1. Dokumente zur Entstehungsgeschichte#
Karl Gutzkow: Philosophie, Despotismus und Rhetorik. In: Morgenblatt für gebildete Stände. Stuttgart u. Tübingen. Nr. 217, 10. September 1834, S. 865-867. [Einleitung, S. 865.]
Der Verfasser legt hier dem Publikum eine Probe aus einem Buche vor, das unter dem Titel: Jupiter Vindex, in noch ungemessener Zeit, aber jedenfalls vor Beendigung des sächsischen Landtags, erscheinen dürfte. [...]
4.2. Textzeugnisse Gutzkows zu Nero#
1. Karl Gutzkow: Philosophie, Despotismus und Rhetorik. In: Morgenblatt für gebildete Stände. Stuttgart u. Tübingen. Nr. 217, 10. September 1834, S. 865-867. [Einleitung, S. 865.]
[...] Es schildert, wie man in Rom sechzig Jahre nach dem Aufgange des Sterns im Morgenlande die Musik, die Philosophie, die Freiheit, die Weiber liebte, vor der Tyrannei zitterte, schwieg und starb. Im Vorgrunde stehen Nero, welcher ein Ungeheuer war, das aber vortrefflich sang und noch besser die Cither spielte, und Julius Vindex, der es wagte, die gallischen Legionen gegen den Kaiser zu führen, seine erste verlorne Schlacht aber mit dem Selbstmorde bestrafte. Die nachstehende Scene zeigt, wie die Philosophie es immer verstanden hat, sich durch das Elend aller Zeiten hindurchzuwinden. Man wird es vielleicht auffallend finden, daß in den Repräsentanten jener alten Bestrebungen um den Endzweck aller Dinge die neuen und neuesten Modelle, welche dem Verfasser dabei gesessen haben, so leicht erkennbar sind; aber ist es nicht ein Satz der Aesthetik, für welchen Shakespeare garantirt, daß man die komische Vergangenheit am glücklichsten mit den Farben der Gegenwart malt? und ist es nicht ebenso bekannt, daß sich Hegel einen Schüler des Parmenides, oder Schleiermacher des Sokrates getauften Freund nannte? Irrthümer und Wahrheiten haben zu allen Zeiten dieselbe Physiognomie getragen, womit sich der Verfasser entschuldigen zu können glaubt.
2. Vorwort [zu Nero. Tragödie]. In: Karl Gutzkow: Gesammelte Werke. Vollständig umgearbeitete Ausgabe. Bd. 1. Frankfurt/M.: \Literarische Anstalt, 1845. S. 103.
Was die nachfolgende Dichtung bedeuten will, sagen die beiden vorletzten Verse des Prologs. Sie soll schildern den von der Griechenzeit bis auf unsre Tage noch unentschiedenen Kampf des Schönen mit dem Guten.
Die vorliegende neue Bearbeitung dieses 1835 zuerst erschienenen Gedichtes hatte sich besonders die Aufgabe gestellt, in das Ganze vollere Klarheit zu bringen. Zum Theil haben auch neue Ereignisse zu Dem, was vor zehn Jahren dunkel war, schon den Commentar geliefert.
3. Anmerkung [zu Nero. Tragikomödie]. In: Karl Gutzkow: Dramatische Werke. Vollständige neu umgearbeitete Ausgabe. Bdchn. 20. Leipzig: Brockhaus, 1863. S. 153-154.
Der Kampf des Guten mit dem Schönen, ein noch jetzt weder durch die Aesthetik noch durch die Moral entschiedener, wurde vom Autor im Jahre 1834, wo diese Jugendarbeit entstand, lebhafter empfunden, als sich gegenwärtig, ohne ausführliche Schilderung der damaligen Zeit, begreiflich machen läßt. Die allgemeine Richtung war vorherrschend eine ideale. Sie verlangte eine Parteinahme für bestimmt begrenzte Begriffe, ja für stereotyp gewordene Schlagworte der Gesinnung, während zugleich schon damals eine Verallgemeinerung der politischen Begriffe, vorzugsweise ins Socialistische, im Werke war. Letztere Umwandlung ging wesentlich aus philosophischen Prämissen hervor und ließ sogar eine Verbindung mit der absolut ästhetischen Denkweise zu, die ihrerseits wieder in der Hauptsache mit einem entschiedenen politischen Stabilismus verbunden war. Noch immer und vielleicht unabänderlich läuft das Schöne Gefahr, ein Werkzeug und Bundsgenosse des Despotismus zu sein.
Es sind hier in Bildern dieselben Gedankengänge wiedergegeben, die meine schriftstellerische Thätigkeit von je verfolgte. Ich suchte Gegensätze zu vermitteln und die Extreme in einem höhern Dritten zu vereinigen. In dieser dramatischen Skizze ist das Extrem, wie Heine sagen würde, des „liberticiden“ Schönheitsbegriffs allerdings auf die Spitze getrieben. Aber wie nahe rücken wir immer und immer wieder dem Neronischen Zeitalter! Nur daß es sich unter Blumen gibt, gemäßigt, gemildert in seinen Kundgebungen durch Civilisation und Christenthum; die geheimen Gelüste der menschlichen Doppelnatur sind dieselben geblieben. Und nicht blos auf den Thronen oder an ihren nächsten Stufen. Wurde nicht neulich 154 der Versuch gemacht, den Tiberius zum edeln und verkannten Charakter zu stempeln? Cato’s rauhe Tugend kommt immer wieder aufs neue in Gefahr, wenn ihr der Erfolg fehlt, verlassen und einsam zu stehen. Daß die Freiheitsidee allerdings nichts Absolutes ausdrücken kann, daß sich ihr das Schöne, das Menschliche, das Sinnenfreie, das lebenschaffende Künstlerthum des individuellen Genius zugesellen soll, das ist und bleibt das Ziel aller Weltgeschichte, seitdem sich der Begriff der Humanität in sie einführte. Es ist das Thema der vorstehenden Dichtung.
4. Vorwort [zu Nero. Tragikomödie]. In: Karl Gutzkow: Dramatische Werke. Dritte, vermehrte und neu durchgesehene Gesammtausgabe. Bdchn. 20. Jena: Costenoble, 1872. S. 7-8. [Text, leicht überarbeitet, wie in Dokument Nr. 3, mit folgendem Zusatz nach: Aber wie nahe rücken wir immer und immer wieder dem Neronischen Zeitalter!:]
[...] Spanien sah die Zeit Philipp’s IV., wo die Inquisitionsopfer in den 8 Flammen erstickten, während am Hofe der Bühnenspectakel rauschte, und sogar der classische eines Calderon. Man hat sogar gesagt, ich hätte die Zustände Bayerns unter Ludwig I. schildern wollen. Die Neronische Zeit gibt sich jetzt unter Blumen gemäßigter, [...]
6. Kommentar#
Der wissenschaftliche Kommentar wird hier zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht.