Wir stellen die Gutzkow Gesamtausgabe zur Zeit auf neue technische Beine. Es kann an einzelnen Stellen noch zu kleinen Problemen kommen.

Aus Empfangszimmern. Erinnerungen#

Metadaten#

Herausgeber
  1. Wolfgang Rasch
Fassung
1.0
Letzte Bearbeitung
04.12.2019

Text#

1 Aus Empfangszimmern.#

Erinnerungen.#

I.#

In großen, maßgebenden Städten wird man in dem Viertel, wo die Paläste der Großen, die Amtswohnungen der Minister und dirigirenden Räthe liegen, in den frühesten Morgenstunden Männern begegnen in einer für diese Tageszeit ungewöhnlich gewählten Toilette. Eine weiße Halsbinde läßt sich selbst bei grimmiger Kälte unter dem schützenden Comfortable unterscheiden. Der Cylinder ist nicht selten vollständig neu, die Farbe der Handschuhe Weiß oder Paille, wenn auch vielleicht noch ein Paar gröbere Buckskin darübergezogen sind, um jene noch zu schonen oder der bessern Erwärmung wegen. Im Sommer hüpfen diese ballmäßig Gekleideten im dann vollkommen sichtbaren schwarzen Frack über die Trottoirs. Es sind Sollicitanten, die in den Morgenstunden bei den Machtbegabten ihre Aufwartung machen.

Hoffen und Harren, Hangen und Bangen „in schwebender Pein“ liegt auf den Mienen dieser Frühausgeher nur allzu sichtlich ausgesprochen. Jenes schon mit Silbergrau geschmückte Haupt dort zählt sorgenvoll die Hausnummern ab, bis es an die Pforte gelangt, um derentwillen der Würdige, vielleicht ein zurückgesetzter, übergangener Beamter, nicht unmöglich eine Reise von achtzig Meilen gemacht hat. Den Minister will er über die Ursache aufklären, weßhalb ihn sein nächster Vorgesetzter haßt und zur Beförderung nicht empfiehlt. Kummer, Spannung, hundertmal getäuschte Erwartung liegen deutlich in seinem gefurchten Antlitze ausgedrückt. „Muth! Muth!“ spricht er in sich selbst hinein, indem er einen Jüngling betrachtet, der in gleicher Toilette schon aus dem Empfangssalon der Excellenz getreten ist und mit glühendem Antlitz an ihm vorüberschießt, über die Teppiche, mit denen die stolze Aufgangstreppe belegt ist. Der Jüngling ist mit Hoffnungen geschieden, wenigstens hat er sich aussprechen können. Mancher freilich schleicht auch langsam an ihm vorüber. Dort geht Einer, der sich alles das, was er gesagt hat und hatte sagen wollen, kopfschüttelnd zu überlegen scheint. Es fallen ihm jetzt erst jene sogenannten „Treppenwitze“ ein, die den Menschen geistig in zwei Theile zerlegen können, in einen, wo unser halbes Ich traurig auf der Armensünderbank sitzt, und einen, wo die andere Hälfte zu ihm spricht: „Du Esel, warum warst du auch nur so verblüfft! Warum hast du ihm nicht dies oder das geradeheraus gesagt! Und „Excellenz wollen geruhen!“ das hast du Unglücklicher kaum zweimal an passender Stelle angebracht -!“ Solche arme Träumer treten dann auf die stillen Straßen des Minister- und Geheimraths-Viertels hinaus und wandeln wie im Traume dahin. Die erste beste Milchfrau kann sie mit ihrem Hundekarren überfahren.

Wenn ich mein vergangenes Leben überblicke, so erinnere ich mich, die verhängnißvolle weiße Frühmorgens-Halsbinde nicht selten umgelegt zu haben. Allerdings viel seltener als Tausende, die geradezu einen nicht unwesentlichen Theil ihres Lebens in Vorgemächern zubrachten. Die verlorensten Stunden des Lebens sind diese Viertel-, halben und ganzen Stunden, die man zuweilen in totaler Gedankenlosigkeit, rein ein Sklave eines anderen, in bunte Livree gekleideten impertinenten Sklaven, eines anmeldenden Lakaien oder Kammerdieners, im Vorgemach eines Empfangssalons zubringen muß, bis an uns die Reihe kommt. Es gibt jedoch Charaktere, die sich im Antichambre gefallen. Manche unter ihnen haben auch Nutzen davon gehabt. Nicht daß die Großen ihren Bittanliegen deßhalb willfahren, weil sie derselben endlich überdrüssig wurden; nein, die Großen lieben in der That die Demüthigung der Kleinen. Diese gebückten Rücken, diese verlegenen Mienen, diese stotternden Anreden, mit denen man durch eine geöffnete Flügelthür zu einem Fürsten, einem Minister schreitet, haben diese vollkommen gern. Die Großen wollen es doch wissen, doch fühlen, warum man sie die Großen der Erde nennt. „Ah, bester Professor, erinnern Sie sich denn endlich auch wieder einmal meiner?“ „Willkommen, bester Herr Lilienthal, Sie wieder in der Residenz?“ - „Ah, sieh da, sieh da Herr v. Schweifwedel, wollen Sie sich nach meinem Befinden erkundigen -?“ Diese devoten Besucher erreichen gewöhnlich ihre Zwecke. Wenn nicht diesmal und auch noch nicht das nächstemal, so doch gewiß nach einem halben Jahre, besonders hinter der gebührend angezeigten Erinnerung an den glücklich herangekommenen Namens- oder Geburtstag ihres hohen Gönners.

Wenn ich, durch die geehrte Redaction dieser Blätter aufgefordert, den freundlichen Lesern und Leserinnen derselben aus meinen Erinnerungen einige interessante öffentliche Charaktere zu schildern, heute diese Form dafür ergreife, an die Sollicitanten- oder Huldigungs-Augenblicke in meinem Leben anzuknüpfen und eine Reihe hochgestellter Personen zu schildern, denen ich in die Lage gekommen bin mit weißer Cravate meine Aufwartung zu machen, so schicke ich sogleich voraus, daß die Zahl derselben doch nicht allzu groß ist. Sie ist es nicht etwa deßhalb nicht, weil ich immer ein hohes Selbstgefühl gehabt hätte, sondern im Gegentheil, weil ich mit einem recht kleinmüthigen Respect vor hohen Herrschaften auf die Welt gekommen bin. Eine fürstliche Person war mir in meiner Knabenzeit ein Halbgott. Daß ein Prinz und noch dazu der Sohn und Bruder eines Königs, nach dem blut- und noch mehr regentriefenden Tage der Schlacht an der Katzbach in Schlesien, 1813, in die Lage hatte kommen können, bis auf die Haut durchnäßt zu sein, und sich von seinem Leibbereiter (meinem Vater) ein trockenes - Hemd entleihen zu müssen, das kannte ich allerdings als eine Möglichkeit, die in der Weltgeschichte hatte vorkommen können, ebenso, daß dieser nämliche Prinz, der Vater der Königin von Baiern, die groben Hemden seines Leibbereiters längere Zeit hindurch wirklich getragen hat. Aber es wurde vom Vater vorgetragen wie eine Geschichte aus „Tausend und Einer Nacht“. Es blieb darum fest, Generale und Minister hatten ein anderes Blut als wir gewöhnlichen Menschen. Jenes homerische „Ichor“, das den Göttern des Olymp durch die Adern rollte, machte zwar diese nicht unempfindlich gegen Flöhe und Wanzen und veranlaßte anderweitige Campagne-Berichte für des Knaben Ohr von Menschen mit funkelnden Ordenssternen, die es vorziehen konnten, sich lieber aufs Stroh neben ihre Dienerschaft zu werfen, als in einem unheimlich wimmelnden Himmelbett auszuharren. Aber auf der Parade und bei der Cour und vollends bei einem Diner im königlichen Schlosse oder prinzlichen Palais stellten sich immer wieder die Vorstellungen von unnahbaren und nur durch’s Sterbenmüssen uns gleichgestellten Sterblichen ein. Später kam zum Vermeiden der Berührungen mit den Auserwählten der Gesellschaft als Motiv noch die grollende liberale Gesinnung. Es gab in meiner Jünglingszeit noch keine Minister, die in einem Schriftsteller meiner Gattung etwas Anderes hätten sehen können, als einen zu jeder Stunde für einen Citadellen-Sperrsitz Vorgemerkten. Als ich dann gar manche eigene Schuld frühreifer und halbwüchsiger Entwicklung zu bereuen hatte und leiden mußte unter dem Druck einer vor eitel Bosheit und Rache Schalen voll Unraths über mich ausgießenden Kritik und auch officiell von den Bundestagsbeschlüssen mit anderen Autoren zugleich ein Hic niger est! aufgedrückt bekam, da habe ich manches runde Jahr nicht gewußt, wie mir eine weiße Cravate steht, und die richtigen Titulaturen, ob Durchlaucht oder Hoheit, machten mir keinen Kummer.

Von meinen Gymnasiasten- und Studenten-Berührungen mit dem so übelberufenen preußischen Minister v. Kamptz habe ich kürzlich im Februarheft des diesjährigen Payne’schen 2 „Salon“ berichtet. Varnhagen’s inzwischen erschienene „Tagebücher aus den Zwanziger-Jahren“ entsprechen dem Bilde, das ich dort von dem unerbittlichen Demagogen-Verfolger entworfen habe. An dem nach Köpenik gefänglich eingebrachten Grafen Bocholtz wollte des Gefürchteten angeborne, von mir mit Beispielen belegte Gutmüthigkeit durch leutselige Offerten das Herbe seines Verfahrens wieder gutmachen. Später bin ich auch mit dem Geheimrath v. Tzschoppe, dem Nachfolger im Fach der politischen Ketzerverfolgung, in persönliche Berührung gekommen.

Als ich für meinen Roman: „Wally die Zweiflerin“ von den Gerichten, und zwar, weil derselbe in Mannheim erschienen war, von den badischen in Anklagestand versetzt wurde, lebte ich zu Frankfurt am Main unmittelbar unter dem Damoklesschwert des Bundestags. Wäre ich auf die mir von den Frankfurter Behörden insinuirte Vorforderung in meine Heimat nach Preußen zurückgekehrt, so erwartete mich dort entweder kurzweg eine Auslieferung an Baden oder, wenn ich mich hätte in contumaciam verurtheilen lassen, eine Abbüßung der verhängten Strafe in Berlin, meinem zuständigen Wohnorte selbst. Denn die Regierungen Deutschlands hatten damals nur ein einziges Ziel, das sie alle unter einander solidarisch verband, die Unterdrückung jeder für revolutionär erklärten geistigen Neuerung. Aufgeregte Freunde stürzten in mein Zimmer und riethen mir, dem Beispiele Börne’s und Heine’s zu folgen und nach Frankreich zu entfliehen. Eine soeben in Frankfurt geschlossene Verlobung und die Vergegenwärtigung eines völligen Bruches mit unseren heimischen Verhältnissen, welcher eine Folge dieser Entweichung hätte sein müssen, bestimmten mich, mich in mein Schicksal zu ergeben und zur Ladung der großherzoglich badischen Gerichte mich in Mannheim einzufinden.

Vorher legte ich aber zweimal die weiße Frühmorgen-Halsbinde um. Ich eilte nach Karlsruhe, um den damals gefeierten Minister Leopold’s „des Bürgerfreundlichen“, den „biedern“ „Vater Winter“ Excellenz, um die Vergünstigung anzugehen, mich nicht früher festsetzen lassen zu wollen, ehe nicht ein Urtheil erfolgt wäre. „Vater Winter,“ durch einen Ehrennamen ausgezeichnet, der später an noch einen anderen badischen „Vater Winter“, den Buchhändler und Bürgermeister von Heidelberg, gelangte, war das damals noch ziemlich alleinstehende Beispiel eines bürgerlich-constitutionellen Ministers. Baden galt für den Herd der revolutionären Neuerungen. Es hatte den 13. Artikel der Bundesacte, die Ertheilung einer Repräsentativ-Verfassung, ehrlich vollzogen, und die Nähe Frankreichs, die durch mannichfach wechselnde politische Schicksale gereiftere Bildung des noch nicht lange neuerfundenen „badischen Volkes“ für öffentliche Angelegenheiten, vielleicht auch die sich schon regende neukatholische Oppositionslust des ehemaligen österreichischen Breisgau kamen zusammen, um die badischen Ständekammern für die Ideen des politischen Fortschrittes zu einem stolzen Leuchtthurm in Deutschlands damals noch so dunkler Nacht zu machen. Georg Ludwig Winter (in Karlsruhe ist ihm ein lebensgroßes Standbild errichtet) war der Sohn eines Geistlichen und durch ein gewandtes Beamtentalent allmälig ins Ministerium gelangt. Die Juli-Revolution, die Furcht vor einem weiteren Umsichgreifen des Geistes der Auflehnung und Empörung, machte ihn zum dirigirenden Minister. Man bot ihm den Adel an, den er ausschlug. Der treffliche Mann war im vollen Zuge, nach allen Seiten hin zu reformiren; er bekämpfte Adels- und Clerus-Prätensionen, schuf eine liberale Gemeinde-Verfassung und würde Baden immer mehr zu einem leuchtenden Vorbilde, einer Ermuthigung für die allgemeinere Betretung der constitutionellen Bahn in Deutschland gemacht haben, wenn nicht Metternich’s fluchwürdiger Despotismus durch den Bundestag ein gebieterisches Halt! gesprochen hätte. Für den mit Winter einverstandenen freimüthigen v. Dusch kam dann jener bekannte Freiherr v. Blittersdorf nach Frankfurt als bundestäglicher Vertreter Badens, der die ganze Knechtschafts-Periode bis 1848 als ein getreuer Schildknappe des Wiener Cabinetes auf seinem Platze durchmachte, bis er in den stürmischen Märztagen eine ungeheure schwarz-roth-goldene Cocarde an seinen Hut steckte und damit vor Aller Augen in den Frankfurter Promenaden spazieren ging, Letzteres lediglich deßhalb, um sich auf einem Boden erhalten zu können, wo er, obschon von den badischen März-Ministern entlassen, seiner im großen Style betriebenen Häuser-Speculationen wegen durchaus verbleiben wollte. Nach dem sind sogar aus seiner „Diplomaten-Mappe“ „Aufzeichnungen“ von ihm erschienen, die der Welt und namentlich Frankfurt, das inzwischen immer demokratischer zu werden drohte, beweisen sollten, wie gut und ehrlich der verleumdete Mann es zu allen Zeiten mit den wahren Interessen des deutschen Volkes gehalten hätte.

„Vater Winter I.“ empfing den 24jährigen Inculpaten als ein echter Bürgerminister im Schlafrocke, mit der dampfenden Pfeife im Munde. Der stattliche Meerschaumkopf zeigte bereits jenes Tiefdunkelbraun einer gründlichen Durchgerauchtheit. Das Rohr war kurz, das Mundstück von Bernstein. In dem engen, düsteren Zimmer glaubte man das Studirzimmer eines Gelehrten anzutreffen. So etwa konnte Vater Hebel, der alemannische Sänger, in Karlsruhe als „Prälat“ gewohnt haben. Der Herr „Statthalter von Schopfheim“ stand vor mir, freili ein gstudierter und ein bisle gscheiter. Auch net so feist und behaglich. Die Bürger-Excellenz war eine mittlere, gedrungene, magere Gestalt. Rauchend und gelassen hörte er mein Gesuch und ging dann in dem engen Raume auf und ab, erklärend, den ganzen Anlaß, der mich zu ihm geführt, in seinen Einzelheiten nur obenhin zu kennen. Auf einen provisorischen Chef der Justiz verweisend, sprach er sich, verdrießlich genug, durch die Tabakswolken hindurch dahin aus: „Ich kenne noch gar nicht das Buch selbst und gestehe Ihnen, daß wir nur deßhalb mit einer Beschlagnahme vorgegangen sind, weil eine Recension im Stuttgarter „Morgenblatte“ uns darauf aufmerksam machte. Die Sprache in dem Blatte ist so maßlos heftig, der Recensent ruft ausdrücklich alle Regierungen auf, einem hereinbrechenden Verderben zu steuern, daß wir deßhalb in Mannheim haben reclamiren müssen. Nun erlaubt aber die Verfassung keine Beschlagnahme, wenn nicht ein gerichtliches Verfahren damit verbunden ist. Gehen Sie übrigens getrost nach Mannheim! Ich glaube nicht, daß man Ihnen schon eine Untersuchungshaft verhängen wird! Gut dürfte es sein, da Sie Preuße sind, wenn Sie noch zu Ihrem hiesigen Gesandten gehen wollten.“ Mein Paß war abgelaufen.

Constitutionelle Minister sind nicht allmächtig. Winter, ersichtlich von dem ganzen Vorfalle unangenehm berührt und die Collisionen voraussehend zwischen etwaiger von Baden gezeigter Nachgiebigkeit und dem vom Bundestage, vom vereinten, Hand in Hand gehenden Oesterreich und Preußen in solchen Fällen vorausgesetzten strengsten Verfahren, versicherte wiederholt seine Ueberzeugung, ich würde auf freiem Fuße bleiben. Nichtsdestoweniger wurde ich, kaum in Mannheim angelangt, hinter Schloß und Riegel gesetzt. Der Besuch beim preußischen Gesandten war in jeder Beziehung erfolglos. Herr v. Ottenfels, ein nach dem Systeme Kamptz-Rochow-Tzschoppe wirkender Diplomat, der die Parole hatte, über die Conformität in Badens innerer Haltung mit der dem Lande vom Bundestage vorgeschriebenen Richtschnur streng zu wachen und zugleich noch nach Frankreich hinüber, in die Schweiz, die nachbarlichen constitutionellen Gebiete Süddeutschlands die Fühlfäden einer alles Verdächtige witternden Beobachtung auszustrecken, war von Karlsruhe gerade abwesend. Ihn vertrat sein Attaché, ein junger Fürst Putbus, der sich zu meiner Angelegenheit verhielt, wie etwa ein junger Adeliger, der sich in Bonn studirenshalber aufgehalten hat, sein Triennium mit Hunden, Pferden, Ausflügen nach Köln, Trinken und Spielen 3 zubrachte, sich verhalten würde, wenn man ihn plötzlich fragen wollte: Was hat Ulpian über Intestat-Erblassenschaft geschrieben? Das Morgen-Negligé der jungen Durchlaucht war allerliebst. Die Beinkleider waren roth, die Stiefel gelb, die Kopfbedeckung schien noch eine Cerevismütze der Saxo-Borussen zu sein. Zum Ausgehen hatten schon die feinsten Lackstiefel bereit gestanden, wurden aber von zwei mächtigen Windspielen hin- und hergezerrt. Der junge hoffnungsvolle Diplomat war offenbar eben erst vom Lager aufgestanden, wo er wahrscheinlich bis jetzt (es war neun Uhr) von jener reizenden Schauspielerin einen Vortraum hatte, die er einige Jahre später als Attaché des Herrn v. Jordan in Dresden auf den elbflorentinischen Brettern kennen lernte und beinahe zu seiner Gemalin erhoben hätte. In einem darüber eingetretenen Bruche mit seinem Vater Durchlaucht ist der junge Diplomat früh gestorben. Er hatte für meine Angelegenheit nur das Achselzucken eines, wie es schien, stereotypen und zum Cursus im Diplomatie-Lernen gehörenden: „Durchaus keine Veranlassung haben“. Er verstand es vollkommen, jene stillnachdenkliche Miene hervorzubringen, mit welcher die weißen Sollicitanten-Halsbinden die großen Treppen hinunterzuschleichen und gleichsam ins absolute Nichts zu verduften pflegen. Die eigentliche Branche des jungen Fürsten war ohne Zweifel das damals höchst wichtige Visiren der Pässe.

Wenn ich von diesem künftigen Werther oder Usedom doch von menschlichen Lauten wenigstens einige Worte eroberte, die etwa auf ein: „Wir mischen uns hier in nichts“, oder: „In Abwesenheit des Gesandten ist nichts zu machen“, hinaus kamen, so hatte ich zwei Jahre früher einen Vertreter des Kaisers von Rußland kennen gelernt, einen künftigen Nesselrode oder Gortschakoff, der das Wort Talleyrand’s: „Die Sprache ist erfunden, um unsere Gedanken zu verbergen!“ geradezu umkehrte und nach dem Princip verfuhr: Um unsere Gedanken zu offenbaren, ist das Schweigen erfunden!

Es war in Berlin nach Niederwerfung des polnischen Aufstandes 1831, als ich Veranlassung erhielt, mich in die kühne Phantasie einer Reise nach Warschau zu verlieren. Ein daselbst wohnender Jugendgespiele lebte in Verhältnissen, die über jeden politischen Makel erhaben waren. Sein Vater, mit russischen Officieren verschwägert, hatte während der Revolution selbst Lebensgefahr zu bestehen gehabt. Jener Oberst Haucke, der beim ersten Ausbruch der Verschwörung erhenkt wurde, war sein Partner bei manchem Spiel L’Hombre gewesen. Mein eigener Ruf war noch in politisch-literarischen Dingen der keuscheste und reinste. Weiß wie Schnee mußte mein Name in den schwarzen Büchern der Polizei glänzen, wenn auch nicht zu leugnen war, daß ich wegen eines abgerissenen Anschlagzettels als zwölfjähriger Gymnasiast eines Tages einen kleinen Straßenauflauf in Berlin veranlaßt hatte und eine halbe Stunde lang in dem schwarz-weißen „Schilderhause“ des Wachtpostens am Seehandlungsgebäude internirt war. Aber ich erhielt den vollgiltigsten, sogenannten Ministerialpaß aus den Händen der preußischen Behörden und schwelgte in meinen Vorstellungen über Warschau, schrieb im Geiste Nachtgedanken beim Besuch der Schlachtfelder von Grochow und Ostrolenka, saß im Warschauer Theater, das mit Gewalt und auf Befehl der russischen Regierung wieder der Schauplatz eines sinnebethörenden Ballets geworden war, verbot mir aber doch schon eine ungroßmüthige Vergeltung des mir geschenkten Vertrauens, etwa eine Beleuchtung der tyrannischen Zustände, die anzutreffen ich gefaßt sein mußte, herauszugeben, umsomehr, als ich damit eine mir unendlich werthe Familie, der ich mannichfach verpflichtet war, würde bloßgestellt haben.

Die russische Gesandtschaft hatte sich noch nicht in Berlin von ihrem Souverän jenes glänzende Hotel erbauen lassen, das jetzt in der Reihe der stolzen Paläste „Unter den Linden“ prangt. Doch bewohnte der russische Gesandte schon eine stattliche Behausung einige Nummern weiter hinauf zum Brandenburger Thor hin. Hier hatte ich den Paß abzugeben zum gesandtschaftlichen Visa, ohne welches er ein Logenplatz ersten Ranges zu einer Vorstellung von gestern gewesen wäre, und wurde beschieden, nach drei Tagen wiederzukommen. Zeit war dies zwar nicht genug, um nach Petersburg eine Anfrage zu richten und dort eine Senatssitzung anzuberaumen, aber doch genug, um in Berlin selbst Recherchen anzustellen über einen dermaßen sonderbaren Schwärmer, der, ohne von einem russischen Großen als Hauslehrer verschrieben worden zu sein, sich einbildete, als Studirter, als Candidatus theologiae in die Grenzen Rußlands und vollends Polens zugelassen zu werden.

Nach drei Tagen verwies man mich an den Fürsten Trubetzkoi, Attaché des mir nicht mehr erinnerlichen ersten Nachfolgers des Grafen Alopäus. Auf Nennung meines Namens übergab mir dieser junge Mann auf seinem Bureau meinen Paß. Ich entfaltete denselben, zog schon die Börse, um etwaige Gebühren zu berichtigen, und entdeckte erst allmälig, daß ich den Paß ganz so wieder zurückbekam, wie ich ihn übergeben hatte.

„Der Paß ist ja noch gar nicht visirt?“ sagte ich mit berlinischer Naivetät.

Fürst Trubetzkoi, ein junger Dandy wie Fürst Putbus, aber bereits von jener düsteren, kalten, blasirten russischen Ausgebranntheit, die wir aus Turgenjeff’s „Rauch“ kennen, mußte Deutsch verstehen. Die Zeit der neu-altrussischen Diplomatie war noch nicht gekommen. Er hatte sich mit seiner Schreibfeder wieder dem Pulte zugewendet und kehrte mir den Rücken.

„Der Paß ist noch nicht visirt!“ wiederholte ich mit erwartungsvollem Befremden.

Keine Antwort.

„Dürfte ich wol die Gründe wissen, weßhalb mir das Visa verweigert wird?“

Schweigen, wie ein Nachhall der berühmten Depesche Paskiewitsch’s an den Czar Nikolaus: „L’ordre règne à Varsovie.

„Ich habe befreundete Familien in Warschau, die mich zum Besuch eingeladen haben -“

Die Eisfelder Sibiriens! Ob ein blitzendes Streiflicht, wie die rothe Gluth der nordischen Sonne, über sie hinglitt aus dem Auge des Fürsten Trubetzkoi - ich wußte es nicht. Ich sah nur seinen Rücken. Er schrieb weiter.

„Diese Familien bestehen zum Theil aus kaiserlichen Militärs. Einer ist im Geniewesen angestellt, und sein Bruder hat im Auftrage des Kaisers die Karte von Polen gezeichnet.“

Lautlos schleichen über den frischgefallenen Schnee die Zobelfänger dahin - selbst eine Last geballten Schnees, die von einem Tannenzweige herniederfiele, hätte man glauben sollen vernehmen zu müssen. Aber auch das Kritzeln der Feder blieb unhörbar.

„Ich werde bei diesem Freunde im Hause wohnen und habe überhaupt nur die Absicht, drei Wochen im Königreiche zu verbleiben.“

Dem Fürsten waren meine Worte reines Chaldäisch. Sie gehörten einer längst untergegangenen Zeit und Sprache an. Er befand sich in Astrachan, ich mich in Tombuktu. Wir verstanden uns nicht. Wir waren zwei Mitglieder verschiedener Wesenreihen. Er gehörte vielleicht zum Thier-, ich zum Pflanzenreich. Vielleicht schützte mich nur das Völkerrecht vor einem herbeigerufenen Kosaken.

Wir haben meine Berührungen mit Preußen und Rußland kennen gelernt. Es fehlt der Dritte im Bunde der damaligen „heiligen Allianz“: Oesterreich. Auch diese so schöne Gegend werde ich mir erlauben, in meinem Nächsten vom diplomatischen Standpunkte aus dem freundlichen Leser vorzuführen.

1 II.#

Es war eine trübe Zeit für Deutschland angebrochen, als die kurzen und immer schwächer gewordenen Zuckungen des verendenden Revolutionsdranges von 1830 und 1831 Veranlassungen zu einer immer straffer angezogenen Zügelführung der Politik wurden, Veranlassungen zu Ausnahmszuständen, die an die Stelle der Richtersprüche die Maßregelungen der Polizei setzten. Jedes Studenten-„Attentat“, jeder Fluchtversuch eines Gefangenen kostete dem Volke ein Recht, eine Hoffnung mehr. Im Jahre 1833 hatten einige Studenten in Frankfurt am Main politische Gefangene zu befreien versucht. Den Unterdrückern konnte nichts willkommener sein. Der Bundestag bekam eine Gelegenheit mehr zu „Protocollen“, die in den Einzelstaaten als bindende Gesetze bekanntgemacht wurden.

Frankfurt am Main und Mainz wurden die Mittelpunkte Deutschlands, jenes als Berathungsplatz der Staatsmänner, dieses als - Kerker. Die Gegenden um Frankfurt, die Taunusbäder, wimmelten von Aufpassern, Agenten, Halbdiplomaten, Correspondenten. Ich kenne Journalisten, die damals nach Paris und Brüssel geschickt wurden, um Berichte über Personen und Zustände abzufassen, die sie nach Mainz zu adressiren hatten, wo ihre Briefe wieder von Mittelspersonen excerpirt und zu Generalberichten für Frankfurt oder Wien benützt wurden. Frankfurt hatte seine Selbstständigkeit schon so gut wie verloren. Jeder neu vorkommende „Krawall“ veranlaßte eine Mehrung der bereits in die „Freie Stadt“ eingezogenen österreichischen und preußischen Besatzung. Wenn Preußen für Frankfurts Occupation dem österreichischen Ober-Commando in Mainz, von wo die Truppen herüberbeordert wurden, den Vortritt ließ, so geschah es aus Furcht, die preußische Besatzung Frankfurts möchte vom Geiste der Bevölkerung allzu lebhafte Eindrücke empfangen, die nach Pommern und Westpreußen hin unziemliche Gesinnungen hätten verbreiten können. Die Rheinländer waren solcher Gefahr vorzugsweise ausgesetzt. Die Oesterreicher stellten in gefahrloserer Weise Böhmen und Italiener auf.

Frankfurt am Main pflegt sich zu rühmen, daß es eine Stadt wäre, wo man Alles haben könnte. Und in der That, Freiheitssinn, echte Aufklärung, Biederkeit, wahre deutsche Vaterlandsliebe sind dort ebenso anzutreffen, wie unterwürfige Lohndienerei, Käuflichkeit, saloppe Gleichgiltigkeit für Alles, was Gesinnung heißt, wenn nur der Magen befriedigt wird, Obscurantismus, reactionäre, schleichende katholische Bruderschafts-Dressur auf Commando gewisser reicher Ultramontanen oder wohldotirter Stiftsverwaltungen. Der in seinen Existenz-Bedingungen auf echt Aschaffenburg-Würzburger Römlingsthum angewiesene kluge Speculant tobt sich scheinbar demokratisch aus, so daß man Wunder glauben möchte, wie rein und edel seine Motive sind. Der gekniffene und feinlächelnde Satyriker von gewähltester Bildung scheint einen Denkerstandpunkt einzunehmen, und in Wahrheit besticht sein Urtheil die Börse oder eine interessirte Beziehung zu Wien oder Berlin. Frankfurt war wenigstens ehedem ein Chaos und deßhalb der Gedanke, aus dieser schönen Stadt den Mittelpunkt Deutschlands zu machen, gefährlich.

Frankfurts Journalistik ist in jenen Zeiten die Käuflichkeit selbst gewesen. Wo ich in meinen Erinnerungen hinblicke, finde ich wenig Namen, die sich nicht die Lage einer Stadt, deren Urtheil in vielen Dingen für ganz Deutschland maßgebend geworden war, zu einer Veranlassung werden ließen, Geld zu verdienen. Die Käuflichkeit Frankfurter Theater-Recensenten war in Deutschland sprichwörtlich geworden. Man kannte solche Dimensionen der Bestechung und die Selbstverständlichkeit derselben vorher weder in Wien, noch in Berlin. Die Käuflichkeit der Federn für politische Zwecke richtete sich nach den Beziehungen zu irgend einem Gesandtschaftsbureau. Ein gewisser v. Meseritz, ein geachtetes Mitglied manches gesellschaftlichen Clubs, schrieb offenkundig für Rußland. Die Ober-Postamts-Zeitung gehörte dem Fürsten von Thurn und Taxis und wurde dem österreichischen Cabinete unbedingt zur Verfügung gestellt. Abenteuernde Halbliteraten zogen hin und her und brachten ihre, entweder durch regelmäßige Pensionen oder durch gelegentliche Zuwendungen belohnten Artikel in die gesammte Main- und Rheinpresse. Selbst Blätter, die sich unabhängig glaubten, konnten sich den maskirten „Unparteiischen“ und „Freunden der Wahrheit“ nicht entziehen. Auch der verstorbene Herzog von Nassau, Vater des resignirten Herzogs Adolph, bot einen Stützpunkt für diese Verwirrung der öffentlichen Meinung. Von Darmstadt vollends zu schweigen, wo die russische Luft immer schneidender zu wehen anfing, ein Minister, Baron dü Thil, einkerkerte und proscribirte wie ein Despot, der an monomaner Furcht vor Verschwörungen leidet, und ein Untersuchungsrichter, Namens Georgi, in der That einen Schrecken um sich her verbreitete, wie ein monarchischer Robespierre. Die durch diese Menschen und ihre zahlreichen Helfershelfer, vor Allen durch den Bundestag selbst und dessen Committenten, hervorgerufenen Zustände wurden um so beklagenswerther, als sie sich verdecken ließen durch die so anmuthige Naturschönheit der betreffenden Localitäten, die heitere Lebensweise ihrer Bewohner, ein leicht umrollendes, den Genuß liebendes Blut in den Adern des fränkischen und rheinländischen Volksstammes, durch die immer mehr zunehmende Ueppigkeit der Taunusbäder und vorzugsweise die verfänglichen Reize des neu entstandenen Homburg.

Den Erzähler, zurückgekehrt aus seiner Haft, erwartete zwar die liebevollste Sorgfalt einer ihm persönlich verbundenen Familie, zugleich aber auch die peinlichste Lage für seine fernere Lebensstellung. Die Linie, auf welcher er sich allein noch sicher bewegen konnte, war die schmalste. Frankfurts Senat, zum Ausweisen aus seinen damals noch nächtlich geschlossenen Thoren auf jeden Wink einer auswärtigen Regierung oder des Bundestages immer bereit, gestattete ihm den Aufenthalt nur mit Widerstreben, und Preußen, wohin er hätte zurückkehren müssen, war in jenen Tagen ein Land, wo schon die Kunde einer bloßen Durchreise eines als liberal bekannten Mannes (ich erinnere an die Reise Welcker’s) die Aufregung aller Behörden, Zwangsrouten, Internirungen, polizeiliche Aufsicht und in den glücklichsten Fällen schleunigste Ausweisung veranlaßte. Es war die Zeit der Alleinherrschaft jenes Rochow, jenes Tzschoppe angebrochen, welcher Letztere schon an Gehirnauflösung erkrankt war, als man seine Maßnahmen und Hetz-2jagden noch für die weisen und wohlüberlegten Schritte eines seinem Monarchen nach bestem Gewissen dienenden Beamten hielt. Meine und einiger anderer Autoren Schriften hatte Preußen ein- für allemal verboten, auch bereits diejenigen, die erst künftig erscheinen sollten.

Zur Frankfurter Ober-Postamts-Zeitung gab ein Frankfurter Advocat den Namen als Herausgeber her, während die Einsendungen von den verschiedenen Pensionären der österreichischen Regierung kamen. Der Hauptvertreter einer gewissen einheitlichen Haltung dieses damals noch einer zahlreichen Abonnentenzahl sich erfreuenden und durch die Taxis’schen Postämter mit einer Art Zwang verbreiteten Organs war der Großvater des jetzt so vielfach genannten Lassalleaners Dr. v. Schweitzer, Hofrath Berly. Dieser führte wol am consequentesten in die deutsche Zeitungspresse zuerst die Sitte der Leitartikel ein. Mit einem reichen Wissen und einer noch reicheren Bibliothek ausgestattet, geschickt im Handhaben von Nachschlage-Registern, Realwörterbüchern und mit der englischen und französischen Sprache vertraut, verstand dieser ehemalige Kaufmann und Rechnungsbeamte, der nicht studirt hatte und durch einen etwas dunklen Vorgang aus dem Coburg’schen nach Frankfurt verschlagen war, die Kunst, jeden Tag über irgend einen Gegenstand der Tages-Discussion ein Excerpt aus seinen Büchern zu machen und mit einer Zuspitzung auf die allgemeinen conservativen Zwecke zu versehen, gleichviel ob zu Gunsten Oesterreichs, Rußlands, Preußens, Frankreichs oder Englands - denn man sagte ihm nach, ob mit Recht oder Unrecht, wage ich nicht zu entscheiden, daß ihm der Bundestag in seiner ganzen internationalen Zusammensetzung tributär war. Ein gewisser Dürand, Berly’s Freund, Redacteur des Journal de Francfort, soll sogar verstanden haben, mit den Ducaten der Hofpodaren der Moldau und Walachei periodisch nähere Bekanntschaft zu machen. Hofrath Berly hatte die Philosophie: Vive la bagatelle! Er meinte die moralische, nicht die finanzielle oder wol gar den Lebensgenuß geringschätzende Bagatelle. Bekenner der Lehre Epikur’s, war Hofrath Berly zwischen der Suppe und dem Dessert der liebenswürdigste Gesellschafter für Männer, die in der Wahl ihrer Unterhaltungs-Themata nicht wählerisch sind. Die übrige Zeit seines Daseins bedeckte unheimliche Nacht. Er behauptete, er schriebe und redigirte dann. Ich fürchte sehr, daß sein Enkel, welchem späterhin ebenfalls Mannheim verhängnißvoll werden sollte, schon als Knabe über gewisse Partien der Bibliothek seines Großvaters gekommen ist, die man in Bücher-Auctions-Katalogen als Varia, Facetiae u. s. w. zu rubriciren pflegt.

Diese Ober-Postamts-Zeitung hatte ein literarisches Beiblatt, das eine politisch neutrale Stelle einnehmen konnte und sich weder auf die Hofburg Wiens, noch auf die Tuilerien Louis Philipp’s (dieser war inzwischen ins Concert européen eingetreten als sanfter Friedensflötenbläser) zu verpflichten brauchte. Es hätte getrost die Todtenkränze des im Metternich’schen Cabinet verwendeten Freiherrn Christian v. Zedlitz und die Oden des preußischen Staatsrathes v. Stägemann tadeln können, ohne daß deßhalb beim Fürsten Thurn und Taxis eine Reclamation erfolgt wäre. Allerdings hatte man eine zeitlang versucht, die specifisch katholische Poesie durch diese Beilage zu befördern. Ein Convertit, Hofrath Rousseau, der früher mit Heinrich Heine gegangen sein wollte, hatte nicht unwahrscheinlich die Springprocession von Echternach, von welcher Gegend er gebürtig war, mitgemacht und erhob als Redacteur des Conversationsblattes diese Zeitschrift zu einem Pflegegarten für „Purpurviolen der Heiligen“. Diese Tendenz trat für eine überwiegend protestantische Stadt in diesem Falle zu offen hervor, und es wurden erneute Versuche gemacht, diese Zeitschrift dem Zusammenhange mit unserer allgemeinen Literatur, in welcher Schiller und Goethe die Heiligen sind, zu erhalten. „Bewerben Sie sich um die erledigte Redaction!“ sagten die Einen meiner Freunde. Die Anderen fügten hinzu: „Es hilft Ihnen aber nichts, wenn nicht die österreichische Bundestags-Gesandtschaft ihre Zustimmung gibt! Stellen Sie sich dem Grafen v. Münch-Bellinghausen vor!“

Man könnte geneigt sein, darin eine Inconsequenz zu finden, daß ich mich erbot, das Beiblatt einer conservativen Zeitung zu redigiren. Ich darf zu meiner Entschuldigung auf jene Zeit selbst verweisen. Gedruckt wurde ohnehin nirgends eine Journalzeile ohne Censur. Auch verstand es damals die Postamts-Zeitung beiweitem mehr als in späteren Jahren, ihre Richtung zu verbergen. Die Berly’schen Leitartikel hatten im Grunde kein anderes Ziel, als das Conversations-Lexikon auf gegebene politische Fälle anzuwenden. Der größte Ehrgeiz ihres Verfassers war der, die Zahl derselben zu addiren. Wenn die Jubelnummern kamen, Nr. 250 oder gar 500 u. s. f., so trank er im „Russischen Hof“ eine Flasche Champagner mehr. Als es 1000 waren, wurde ein gemeinschaftliches Essen veranstaltet, das Couvert einen Kronenthaler. Ich erinnere an die leichtlebige Franken-Natur. Was soll sich der Mensch unnütz grämen und sich über die Verbesserung der Welt Sorgen machen! Novelle, Gedicht, Correspondenz, Kritik, das war ohnehin die alleinige erlaubte Freiheit der deutschen damaligen Journalistik, und vielleicht ließ sich auch in jenes für „anständig“ geltende Blatt manches Saatkorn liberaler Ideen einstreuen. Ich bewarb mich um die Redaction, legte wieder eine weiße Cravate als Friedens- und Unterhandlungszeichen an und betrat das Palais von rothem Sandstein in der Eschenheimergasse, um Seiner Excellenz dem Grafen Münch meine Aufwartung zu machen.

Es ist ein alter, halb Renaissance-, halb Zopfbau, mit Seiten-Arcaden, langen Corridoren, großen Fenstern, dieser schicksalsreiche Bundespalast, der vielleicht seine Rolle in der deutschen Geschichte noch nicht ausgespielt hat. Der in den Grafenstand erhobene Oheim unseres Dichters Friedrich Halm wohnte im Flügel rechts vom Eingang. Herr Sonnemann von der Frankfurter Zeitung würde ihn jetzt jeden Morgen über die Eschenheimergasse hinüber mit der Cigarre im Munde freundlichst grüßen und ihm den neuesten Curs der Staatspapiere mit den Fingern telegraphiren können, auf welchen die Excellenz viel gehalten hat. Denn Graf Münch war in hohem Grade sparsam, lebte als Garçon und hat eine Million hinterlassen. Man konnte ihn den eigentlichen Fürst-Primas von Frankfurt nennen. Sein Kommen und Gehen entschied den Stand der politischen Fragen. Es gab damals in Frankfurt einen General-Correspondenten für die gesammte deutsche Presse, der ohne Tele- und Chalkographie, ohne Wolff’sches oder Reuter’sches Bureau, rein mit seiner eigenen Feder und nach eigenen Wahrnehmungen einige 20 deutsche Journale, von der Allgemeinen bis zur Hanauer Zeitung, mit Frankfurter Nachrichten bediente. „Graf Münch’s Rückkehr ist angekündigt“ - „Graf Münch wird demnächst von Wien zurückkehren“ - „Graf Münch wird hier in den nächsten Tagen ein-3treffen“ - „Die von einigen Blättern gegebene Nachricht, Graf Münch werde demnächst eintreffen, ist dahin zu berichtigen, daß sich, neuesten Berichten aus Wien zufolge, das Eintreffen des Grafen Münch noch verzögern wird“ - „Graf Münch ist von Wien abgereist und wird über München gehen“ - „Graf Münch wird morgen eintreffen“ - „Graf Münch ist heute eingetroffen“ - und die gute ehrliche Haut, der Vater des jetzigen Frankfurter Reichstags-Abgeordneten Dr. Ebner, schrieb das so zwanzig Jahre mit jeder beginnenden Bundestags-Saison in unermüdlicher Consequenz und gab alle seine „dürfte“, „möchte“, „könnte“ u. s. w. vollkommen ehrlich, ohne eine Spur von Subvention. Seine Quelle war der Portier im Bundespalais. Sein Scharfsinn conjecturirte alljährlich auf eigene Hand große Folgen, die sich aus dieser Ankunft herleiten würden. „Es ist noch unbestimmt, wann die erste Sitzung anberaumt werden dürfte“ - hieß es ebenso regelmäßig zwanzig Jahre hindurch mit demselben Refrain wie unsere Correspondenten, wenn sie im August jedes Jahres auf die „Saison morte“, oder die Arena-Theater-Referenten, wenn sie in der nämlichen Zeit auf den „Jupiter pluvius“ zu sprechen kommen.

Graf Münch war der sichtbare Vertreter der Oberherrschaft Oesterreichs im gesammten deutschen Vaterlande. Seinen Grundsätzen nach mußte man ihn einfach - Baron Eligius, sein Neffe, möge mir den Ausdruck verzeihen - eine Creatur Metternich’s nennen. Ursprünglich ein Stadthauptmann von Prag, erprobter Ueberwacher und Grenzcontroleur gegen jeden geistigen Schmuggel, hatte er als Staatsmann nie andere Gedanken gehabt als polizeiliche. Vornehmheit der Haltung, eine gewisse Grazie des Benehmens, ein feines, beinahe verlegenes Lächeln milderte den Eindruck eines politischen Ober-Polizei-Commissärs. Die Gesetze der bureaukratischen Etiquette gestatteten ihm dabei, daß er von dem, was er anordnete und auf Befehl Metternich’s in Frankfurt in Scene setzte, nichts unmittelbar von sich selbst ausgehen ließ. Zwischenstufen gab es genug, untergeordnete Räthe und Bureauvorstände, ja in den Sitzungen des Bundestages sogar andere Regierungen, die dem Chef und Präsidirenden das Odium seiner Maßregeln oder Anträge abnahmen. Graf Münch liebte das Theater, kleine abendliche Damenkreise außer dem Hause, die Lectüre, besonders die Lectüre derjenigen Schriften, die er verbot. Er glich in seiner hohen und kräftigen Gestalt und durch einen gewissen cölibatären Nimbus, der ihn umgab, einem hochgestellten Prälaten. Es fehlten dazu an seinen Kleidern nur gewisse violette oder weiße Streifen.

Zu meinem Anliegen schüttelte Graf Münch den Kopf, etwa in der Art, wie ein berühmter Sänger befremdet dreinschauen würde, wenn ihm einer der gedungenen Claqueure kommen und sich über die schlechte Bezahlung durch den Chef der Claque bei ihm beklagen wollte. Der zehnmalige Hervorruf am gestrigen Abende ist zu Stande gekommen, auch dem Chef der Claque die Gebühr bezahlt worden, nun kommt da Einer und will hier etwas aus der Gegend hinter den Coulissen herleiten, was reiner Enthusiasmus des Publicums war -! Claque -! Ich hätte Jemanden für meinen Applaus gedungen -? Ich einen Einfluß auf die Postamts-Zeitung? Auf Herrn v. Vrints? Ei, Excellenz nehmen ja jeden Abend den Thee bei Frau v. Vrints, und die beiden Postamts-Zeitungen, sowol die deutsche wie die französische, sind recht die eigentlichen Schoßkindlein der täglichen abendlichen Conversation daselbst -! So hätte ich antworten können. Aber ich begnügte mich, mit gelassener Begeisterung von allerlei neuen Aufgaben der deutschen Literatur zu sprechen, von Frankfurts glücklicher Lage, vom regen Musiksinne der Stadt, vom Städel’schen Kunstinstitute, in dessen Ateliers die namhaftesten Künstler Anregendes und der Besprechung Würdiges schüfen. Ich schilderte die Aufgabe eines Feuilletons, das sich politischen Zeitungen anschlösse und über Gegenstände, die bisher nur für eine kleine gewählte Gemeinde Interesse gehabt hätten, nun zur Masse sprechen könnte. Aber ach! Es folgte wol ein aufmerkendes Ohr und ein ironisches Lächeln, letzteres gemildert von dem guten aristokratischen Tone der alten Schule, aber der Sprecher wurde mit einer Erklärung entlassen, derzufolge Oesterreich gleichsam einige hundert Meilen noch hinter Konstantinopel hinaus zu liegen schien und mit Dingen, die in Frankfurt am Main interessirten, auch nicht in der allerentferntesten Verbindung stand. Einige Tage darauf wurde die Redaction einem berüchtigten Scandalmacher, dem sogenannten Doctor Schuster, übergeben, der trotz seiner Doctorschaft nie studirt hatte, ohne jede Vorbildung war und ein zu allen bösen Tücken aufgelegtes Gemüth besaß. Man wußte von ihm, daß er schon einmal seine Theater-Recensionen aus fremden Blättern übertragen und nur die Namen der fremden Schauspieler in die des Frankfurter Theaters verändert hatte. Aber der Mann ließ sich taufen und sogleich ins Katholische. Das sah ich nun wol, die eigentlichen Rathgeber für den Fürsten Thurn und Taxis in Regensburg waren in der Gegend um den Frankfurter Dom und die Kirche zu Unserer Lieben Frauen zu suchen.

Die weiße Halsbinde wollte mir kein Glück bringen. Ich sollte auf eigenen Füßen stehen. Das jugendliche Herz war keineswegs so verbittert, um nur Haß und unversöhnliche Leidenschaft zu athmen. Schlag auf Schlag machte sich damals das Schicksal einem Nacken fühlbar, der sich zwar keinem Systeme, keiner Stellung, wo die Freiheit ausgeschlossen gewesen wäre, würde gebeugt haben, aber doch nicht den Trotz besaß, sich nicht in manches gebieterische Gesetz des Lebens, wie es eben ist, fügen zu wollen. Aber selbst die bescheidenste Hoffnung auf einen Sonnenstrahl der Gunst des Glückes erfüllte sich nicht. Ein von Liebe, vom Bedürfniß der Hingebung immer wieder von neuem nach Außen gedrängtes Herz mußte sich zuletzt in sich selbst zurückziehen, und alles Streben, alles Ringen, längst schon immer nur mit dem Harnisch auftretend, jede Empfindung für Erfolg, Anerkennung, für einigermaßen gerechte Würdigung stumpfte sich zuletzt ab bis zum verbittertsten Gleichmuth.

Nach einigen Jahren schwerster Sorge, die in Hamburg verlebt wurden, zwangen mich die damals unablässigen Chicanen mit Pässen und Heimatsscheinen, neue Anknüpfungen an die Behörden zu suchen, und so düster Deutschlands und namentlich Preußens politischer Horizont geworden war, ich folgte dem Drange, greise Eltern vor ihrem Tode noch einmal in der Vaterstadt zu begrüßen, und wagte mich mitten in die für jeden irgendwie als freisinnig bekannten Namen unmöglich gewordene, sofort den Gast ausweisende preußische Hauptstadt hinein. Der Minister v. Rochow stand damals auf der Höhe seines Wirkens. Er erstickte jede freisinnige, zumal constitutionelle Regung. Nur Provinzialstände, und auch diese nur mit Befugnissen der beschränktesten Art, sollten die alleinige Unterstützung bilden, die man vom Volke für die Aufgaben der Regierung begehrte. Als im Jahre 1837 die Hannoveraner ihre Verfassung verloren hatten, sieben Professoren Göttingens gegen König Ernst August’s Rechtsbruch protestirt und unter vielen Corporationen, die den Muth besaßen, dem Proteste bei-4zustimmen, auch die Bewohner der Stadt Elbing sich mit einer Erklärung hervorgewagt hatten, erließ Minister v. Rochow jenen berüchtigten Strafbrief, in welchem den „Unterthanen“ schon a priori nur „eine beschränkte Einsicht“ zugeschrieben wurde. Das geflügelte Wort vom „beschränkten Unterthanenverstande“ knüpft sich an diesen Erlaß, der eben gegeben worden war, als ich bei meiner Ankunft in Berlin den Fingerzeig erhielt, ich würde nicht drei Tage in der Hauptstadt geduldet werden, wenn ich mich nicht dem Minister vorstellte. Die Mittelbehörden würden ihre Verhaltungsmaßregeln nur aus der Wilhelmsstraße holen.

Das wurde dann ein Sollicitanten-Besuch bei Abend. Minister v. Rochow empfing nicht des Morgens. Ein mich erwartender fröhlich gesellter Kreis literarischer Freunde, darunter mancher jetzt schon Dahingegangene, Theodor Mundt, Theodor Mügge, fand es vollkommen in der Ordnung, daß er, als ich in seine Mitte trat und die weiße Cravate erklärte, von mir vernahm, ich käme soeben direct aus der Ministerstraße. Die Berichterstattung über das, was ich dort erlebt hatte, mußte einfach sein - aus selbstverständlichem Tact und auch um deßhalb, weil des düstern Alba zuletzt aufthauende Reserve mir beim Scheiden mit einem wohlgemeinten, aber doch rechten Gendarmenworte nachgerufen hatte: „Und noch Eines, Bester! Nehmen Sie sich ja hier mit Ihren Reden in Acht! Man paßt Ihnen auf den Dienst!“ Diese Worte sind - wörtlich. Konnte es einen liebenswürdigeren Despotenhumor geben? „Man paßt Ihnen auf den Dienst!“ Der Großinquisitor warnte mich vor den Alguazils der heiligen Hermandad in Person.

„- Gift also selbst,
Find’ ich, kann in gutartigen Naturen
Zu etwas Besserm sich veredeln. - Aber
Flieht meine Inquisition! - Es sollte
Mir leid thun -“

In einem düster beleuchteten großen Saale des durch eine Auffahrtsrampe kenntlichen Ministerial-Gebäudes neben dem gegenwärtigen Bismarck’schen Hotel empfing mich die Excellenz v. Rochow. Es war ein mittelgroßer, magerer, kränklicher, von früherem reichen Lebensgenusse erschöpfter und verdrießlich gestimmter Mann, mißmuthig über die Welt und Zeit und, wenn ich nicht irre, unzufrieden auch mit sich selbst. Kaum fünfzig Jahre alt, zeigte sein Aeußeres schon die Spuren einer nur schwer verborgenen Hinfälligkeit. Meine Versicherung, die Regierungen hätten sich in ihren Vorstellungen von einer politischen Tendenz des „jungen Deutschland“ geirrt, hörte er anfangs ruhig und aufmerksam mit an, erging sich dann aber bald in einer zwar tief verblendeten, aber doch offen und ehrlich ausgesprochenen Darlegung seiner Ansichten über die Pflichten des Staates gegen jede Trübung der öffentlichen Ruhe, gegen jede Verletzung der monarchischen Autorität. Preußen erschien ihm als vollendeter Musterstaat, den in seinem Bestande unverändert zu erhalten die Gendarmen vollkommen kraftbegabt wären. Frankreich war ihm ein lebendiger Beweis, wohin man gelangte, wenn man auch nur die kleinste Concession an den Zeitgeist machte. Er führte die Sprache eines altpreußischen Beamten, nicht die eines Doctrinärs aus der Haller’schen Schule. Auf meine Anfrage, ob ich eine Zeitschrift, die ich in Hamburg herausgab, „Telegraph“, nach Berlin verlegen dürfte, und meine Bemerkung, er hätte ja die Censur als Präventiv-Maßregel gegen etwaigen Mißbrauch seines Vertrauens, antwortete er mit derselben, sich als offen und beinahe vertraulich gebenden Entschiedenheit: „Nein!“ - „Aber wie, Excellenz!“ entgegnete ich, „ist denn doch Berlin eine große Stadt, war von jeher in Kunst und Literatur maßgebend und voran und bietet der Anregungen für die Journalistik täglich so viele -!“ Mit einer Anschauung, die man heutzutage kaum für glaubhaft erklären würde, sagte er: „Nein, wir wollen hier dergleichen nicht!“ Er hätte ebenso gut sagen können: Wenn’s uns beliebt, dämmen wir die Spree ab oder lassen sie bei Spandau in die Havel fließen, ohne daß letztere Potsdam berührt! Absolute Ruhe sollte herrschen, nichts in der Presse als die Staatszeitung sprechen und die beiden schon vorhandenen alten Berliner Zeitungen, dazu der „Beobachter an der Spree“, ein Volksblatt für die Region der Keller und der Hinterhöfe, die Hegel’schen „Jahrbücher“, Jarcke’s politisches Wochenblatt, Lehmann’s „Magazin“, Gubitz’ „Gesellschafter“ und eine Modezeitung; das war genug. Den König Friedrich Wilhelm III. regte schon jede allzu scharfe Recension Rellstab’s über eine Theater-Vorstellung auf. Ein Gedicht sogar konnte eine Untersuchung nach sich ziehen. Möglich auch, daß die Censoren zu viel Arbeit hatten und die Beamten, die noch als Hilfsarbeiter zum Streichen hinzubeordert wurden, ein unpopuläres und Verantwortung mit sich bringendes Amt nur mit verdrießlicher Miene annahmen.

„Man paßt Ihnen auf den Dienst!“ Wer konnte wissen, ob nicht schon ein Verräther in dem Kreise „Unter den Linden“ selbst, zwischen dem „Hôtel du Nord“ und dem Oranischen Palais, saß, der meinen Bericht über die Audienz in der Wilhelmsstraße, wenn ich ihn vollständig gegeben hätte, am nächsten Morgen schon wieder dahin zurückgelangen ließ! Es schließen sich den Autoren oft so begeisterte Dilettanten an, „Literaturfreunde“, die den Augenblick nicht haben erwarten können, einen bekannten Mann zu begrüßen! Ach, sie gedenken ihm ihre Gedichte zu widmen und laden ihn schon auf den nächsten Morgen ein, sie ihm vorzulesen bei einem Frühstück. Ein eigener Zustand, zu wissen: „Man paßt dir auf den Dienst.“ Man glaubt stets hinter sich etwas rascheln zu hören. Man mißtraut dem Kellner im Hotel, der uns auf die Vergnügungen des Tages aufmerksam macht. Unser Vis-à-vis an der Table d’hôte scheint uns das Pfeffer- und Salzfaß nicht ohne Absicht hingereicht zu haben. Unser Nebenmann im Theater raisonnirt über die Beleuchtung, die Costüme, das mangelhafte Spiel; er läßt sich einige Namen in den Logen nennen und knüpft Betrachtungen an die steifen Kragen der Officiers-Uniformen an. Es wird ein Agent provocateur sein -! denkt man. Wie sagt der Dichter? „Wer das Vertrauen vergiftet, der mordet das werdende Geschlecht im Mutterleibe -!“ Jener literarische Kreis „Unter den Linden“ war in der That, soll ich sagen, so harmlos oder so vorsichtig, daß Niemand in ihm freudiger begrüßt wurde, als plötzlich - der Polizeirath Duncker! Sieh da! Sieh da! Der Freund der Dichter - Polizeirath Duncker! Als er kam, klangen ihm alle Gläser entgegen. Ich traute meinen Augen nicht: Lamm und Wolf friedlich beisammen -?! Wahrlich, hier ruhte die Politik. Der Polizeirath war ja nur der berühmte Schrecken der Diebe, der Mörder - und im Uebrigen liebte die kindliche Seele Kunst und Literatur, konnte schwärmen für Poesie, Musik, Theater, Albums, berühmte Namen -! Jeder verbürgte sich für ihn - Glaßbrenner, Mundt, Mügge, Marx -! „Duncker!“ Er schüttelte Allen die Hand. Ich dachte: „Vocativus!“

1 III.#

In jenen Tagen der Unfreiheit und tyrannischen Willkür schimmerte noch immer durch die Nacht des deutschen Lebens mit mildem, wenn auch schon erbleichendem Glanze Ein Stern aus schönerer Zeit, der Ruhm Weimars -! Zwar hatte sich ebenfalls die alte Heimatstätte des Schiller-Goethe’schen Wirkens den allgemeinen Bedingungen des damaligen deutschen Lebens fügen, Ausnahmegesetze zur bindenden Regel erheben, die Preßfreiheit beseitigen müssen. Doch immer noch hielt der alte wackere Röhr, der erste Geistliche Weimars, wenigstens dem zunehmenden, sich allmälig auch nach Sachsen hin verbreitenden theologischen Dunkelgeist den Widerpart. Karl Hase in Jena ließ sich von Halle herüber sein Christenthum wol anschwärzen, aber nicht trüben. Die mit Nachdruck aufrechterhaltenen classischen Traditionen wurden eine besondere Beeiferung des Hofes, wo ein fast männlicher Geist der regierenden Fürstin und der aufstrebende schöne Enthusiasmus ihres Sohnes geistige und materielle Behelfe aufzubieten verstanden, um die gemüthlichen und dem Gewöhnlichen zugewendeten Neigungen des regierenden Herrn, Karl Friedrich, auf die Bewahrung und Hochhaltung des den Ernestinern anvertrauten alten Palladiums nicht nachtheilig einwirken zu lassen.

Der Name und das Amt des Kanzlers v. Müller erweckte außerhalb Weimars eine Vorstellung vom Wirken und Einfluß dieses trefflichen, einst Goethe befreundet gewesenen Mannes, die größer war, als die großherzoglich weimar’sche Dienstpragmatik wahr machte. Der alte Herr reiste und correspondirte mit dem vollen Nimbus, als wenn seine Person es wäre, die ein Stück deutschen Landes, von Eisenach bis Apolda, regierte. Unter den hohen, sechsspännigen Titulaturen jedoch, an welchen kein noch so kleiner Duodezstaat Deutschlands Mangel hat, vertrat die Kanzlerschaft keineswegs Befugnisse, die caeteris imparibus mit dem Staatskanzler-Amt des Fürsten Hardenberg oder des Fürsten Metternich zu vergleichen gewesen wären. Doch schmückten den wackeren Herrn, der etwa eine Art Hausminister oder Ober-Rentamtmann vorstellen mochte, die blanksten Orden, die buntesten Bänder und der Titel Excellenz.

Auch ihm die Anlegung der weißen Binde zu widmen, veranlaßte mich bei einem Besuche Weimars ein früh untergegangener Freund, der spätere Gatte der so ausgezeichneten Schauspielerin Marie Bayer. Wenn nach einem enthusiastischen Localcultus, der in früheren Zeiten und gleichsam wie zur Huldigung Uhland’s (die kleineren Geister am „Nesenbach“ und Neckar hatten den Vortheil mit davon) vorzugsweise Schwaben auf einen in allen deutschen Gauen widerstrahlenden Ehrenschild erhoben hatte, und später Thüringen es war mit der Wartburg, mit dem Hörselberg u. s. w., das in die Mode kam, so hat August Bürck redlich das Seinige mitgeholfen, um für die Verehrung der „heiligen Stätten“ seiner Heimat Propaganda zu machen. August Bürck ist mir immer wie ein Prototyp Richard Wagner’s vorgekommen, für den er denn auch in späteren Tagen, als Beide in Dresden zusammenlebten, das Non plus ultra von Begeisterung und Agitation in Scene setzte. Bürck behandelte in poetischer Prosa vor Wagner schon den „Wartburgkrieg“, „Heinrich von Ofterdingen“, „Nürnberger Leben“, „Ulrich v. Hutten“, den sich Wagner vielleicht noch vorbehalten hat. Er hätte Zukunftsmusiker gewesen sein können, so fanatisch war Bürck im Parteinehmen, Interesseschüren, Verschwörunganzetteln und im unbedingten Bewundern oder - Verwerfen. Ehe seine Gedanken einseitig bis zur Manie wurden und dem Unglücklichen das Licht der Vernunft raubten, konnte es keinen treueren Eckart am Eckartsberge, keinen größeren Schwärmer auch für jede Stelle in weimar’schen Landen geben, wo Goethe einmal gestanden, gedichtet, geniest hatte. Bürck war die Chronik der classischen Vergangenheit Weimars. Heilig war ihm Alles, was von ihren Wundern übrig geblieben war, jeder alte Schreiber, der für Goethe’s Theaterführung Rollen copirt hatte, jedes Gäßchen, wodurch Karl August Abends zur Jagemann geschlichen war, jeder Stein am Ufer der Ilm, welchen Corona Schröter durch eine Festdeclamation im Freien in einen antiken Opferaltar der Musen verwandelt hatte. Als ich mit ihm durch Tiefurts im September schon unheimlich nebelfeuchte Wiesen im tiefvioletten Abenddunkel streifte und uns die Geister der Herzogin Amalia, Wieland’s, Knebel’s und Goethe’s umschwebten, da mußte ich ihm feierlich geloben, meine Scheu vor allen Excellenzen zu überwinden und nicht von Weimar zu scheiden, ohne Kanzler v. Müller begrüßt zu haben.

Allerdings hätte mir wohl zu Muthe sein dürfen in Weimars geistiger Luft. Ein ehemaliger Professor Jenas, Kirchenrath Paulus, Weimars Ober-Consistorial-Präsident, Doctor Peucer, Beide hatten mein verpöntes Buch seinerzeit öffentlich in Schutz genommen. Auch den Testaments-Vollzieher Goethe’s, den Kanzler v. Müller, fand ich vorurtheilslos und hörte von ihm ein schon von Ottilie v. Goethe einst vernommenes Wort bestätigt aufs neue und wiederholt: „Wir hier in Weimar sind immerfort aufgeregt!“ Und aufgeregt kann man nur sein, wenn man auch angeregt ist. Kanzler v. Müller sah keine hereinbrechende Sündfluth oder Barbarei. Hier in Weimar hatte man gährenden Most sich klären sehen. Man hatte sich das Talent bewahrt, am gefüllten Becher abzuwarten, bis sich der Schaum von selbst setzt. Sogar das Unschöne verletzte nicht sofort, wenn man nur erkannte, daß es die Hülle eines besseren Kernes war. Die stete und allgemein hier verbreitete Neigung zum Werben, Ueberreden, Fesselnwollen konnte allerdings zweideutig erscheinen. Aber selbst wenn erkannt und durchschaut wurde, daß die Hindeutungen auf fürstliche Gunst, Einfluß gestattende Stellungen, Empfehlungen an maßgebende Kreise außerhalb Weimars oder auch nur die Berufungen auf eigene intime Beziehung zu allem Tonangebenden ein wenig flunkerhaft waren und im Grunde, da man sich der nicht ausreichenden Mittel bewußt sein mußte, kaum etwas 2 Anderes zu bezwecken schienen, als die eigene Person zu heben und den Zusammenhang der berühmten Stadt mit allem Neuen frisch zu erhalten, so blieb doch auch in Wahrheit manches Motiv reinen Wohlwollens zurück, und jedenfalls der Eindruck einer Gesinnung, die jenes absolut conservative und hochfahrende Gebahren der seither von mir geschilderten Sphären in wohlthuendster Weise ausschloß.

Kanzler v. Müller war ein magerer, mit mächtiger Perrücke ausgestatteter Herr, im Sprechen von freundlichem, conciliantem Wohlwollen. Er wohnte, wie man in Weimar wohnt, in niedrigen, engen Zimmerchen mit kleinen Fenstern, an deren Gardinen die Weber St. Gallens wenig verdient haben. Das hof- und geheimräthliche Air, das auch in solchen Räumen, und käme man nach Sondershausen oder Schleiz, so bewahrt wird, als lägen sie in Berlins Wilhelms- oder Behrenstraße, hat allerdings etwas Urkomisches. Doch steigert sich der negative Eindruck nur da bis zum Unangenehmen, wo sich diese kleinen Mandarinen auch selbst wie die Granden von Spanien geberden. Kanzler v. Müller besaß nichts von dieser hohlen Aufgeblasenheit. Charakteristisch war sein Seufzen um die vielen Siegel, die zur Zeit noch auf den Geheimnissen der classischen Periode ruhen sollten, auf den Briefwechseln und Tagebüchern. Noch waren die Briefe mit Frau v. Stein nicht erschienen. Hätte er aber ahnen können, wie der große und entscheidende Schatz, auf den er hindeutete, die Correspondenz Karl August’s mit Goethe, deßhalb später so wenig Wirkung hervorbringen sollte, weil die Veröffentlichung in eine Zeit fiel, die mit sich selbst vollauf zu thun hatte und sich auch in ihren eigenen Errungenschaften nicht minder bedeutend erscheinen durfte, er würde sich baß drob verwundert haben. Indessen ist nicht zu leugnen, daß des eigentlich Fesselnden aus dieser Correspondenz ihr Herausgeber, der Medicinalrath Vogel, zu viel gestrichen hat.

Eine wahrhaft freie, mächtig anregende und beglückende Luft athmete der Erzähler bei Begegnungen mit hochgestellten Männern erst im Jahre 1842 in Paris. Wahrlich, dort lohnte sich’s, die Aufwartungs-Toilette anzulegen! Im Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten empfing mich, den ihm Empfohlenen, Guizot. Das Empfangszimmer war schon der Frühstückssaal. Der Franzose weiß jede Zufälligkeit zu einer feinen Wendung auszubeuten. „Um Sie desto länger besitzen zu können, bitte ich Sie, gleich an meiner Seite Ihr Frühstück einzunehmen!“ Es war das zweite gemeint, und die Tafel war groß. Die Kinder, die Erzieher derselben, manche Verwandte, Hausclienten, die Secretäre des Ministers nahmen Theil. Guizot’s Aeußeres erinnerte mich an den ältesten der Brüder Devrient, Eduard Devrient, der seinerseits auch ebenfalls etwas von einem Geheimrath der Schauspielkunst hat.

Das orleanistische Frankreich befand sich damals auf der Höhe seines Glaubens an einen dauernden Bestand. Sein Schicksal schien dem verblendeten König auf den Ergebnissen des parlamentarischen Schaukelsystems zu beruhen. Die Doctrinäre hatten endlich gesiegt, und die Börse hieß ihren Sieg willkommen, weil er nach Außen hin einen dauernden Frieden, nach Innen Ruhe um jeden Preis versprach. Unter dem Scheine einer brüderlichen Allianz mit Frankreich erwarb Palmerston für England einen Vortheil nach dem anderen über die furchtsame Politik der Tuilerien, die der König und eine Camarilla allein leiteten. Guizot war zufrieden mit der Rolle, die ihm der verschlagene König überließ. Er sah seinen ausschließlichen Ruhm in den Boxerkämpfen mit Thiers und den Kammerparteien, in den Hetzjagden auf die sich immer enger verbindenden Socialisten. Wurde die Ungeduld des ehrgeizigen französischen Volkes einmal auch zu groß, so wurde irgend eine Massacre in Algier aufgeführt, eine arabische „Tribus“ ausgerottet, und wenn auch mit unmenschlicher Grausamkeit. Horace Vernet malte dann den Sieg für die Geschichtssäle in Versailles. Es ist kaum zu glauben, welche Zugeständnisse ein zur Regierungsgewalt gelangter Emporkömmling, etwa ein Gelehrter, ein Advocat, ein politischer Dilettant zu machen bereit ist, wenn ihm ein Portefeuille Gelegenheit gibt, einige seiner alten Steckenpferde zu reiten oder die Lucubrationen der Dachstube, die er früher bewohnte, auszuführen. Guizot zwängte als Schriftsteller die Geschichte in Formeln ein, wie Hegel gethan hat - ordnet er sich doch noch jetzt, ein Protestant, einem System unter, in welchem die „Nothwendigkeit des Papstthums“ eine wichtige Rolle spielt -! Als Politiker verfolgte er ebenso einen gewissen Schematismus von Regierungs-Principien, und um diesen herum und zwischen den verkörperten Paragraphen desselben wucherte dann frischweg die ganze Lasterhaftigkeit der modernen Politik im Bestechungswesen, Wahlen corrumpiren, Befördern nach Ergebenheits-Beweisen, Ausbeuten jeder Gelegenheit, wo die Macht wirkliche oder chimärische Gewinne gewährleisten kann, wie bei dem damals in Frankreich zuerst in Angriff genommenen allgemeinen Eisenbahnnetze.

Bei alledem trat man in der Nähe des berühmten Mannes in die Peripherie eines großen Ideenkreises. Die Geschichte hat bewiesen, daß auch Guizot’s Politik die kleinen Behelfe nicht verschmähte. Aber sie lagen denn doch fernab von seinem persönlichen Ich und hinter den Coulissen. Im Vordergrunde, getrennt von den Faiseurs, erhielt sich der denkende Kopf, der eine einzelne Zeit-Epoche im bewußten Zusammenhange mit dem großen Ganzen der Geschichte zu verwalten wußte. Es war vielleicht ein Unglück, daß Guizot eine abstracte Formel hatte für den lebendigen Augenblick, dessen Gestaltung ihm gehörte; aber diese Formel war immer noch nicht aus einem so erbärmlichen Kasten-Interesse, aus Adels-, Militär-, Clerus-, Dynastie-Prätensionen hergeleitet oder wol gar aus dem kalten Beinhause eines so verknöcherten Beamtenthumes, wie wir solches beim damaligen Preußen kennen gelernt haben. Sie war ein Mittelglied historischer Abstractionen, die sich im Zusammenhange der Jahrhunderte wußten. Treffend charakterisirte er, allerdings erst nach der zweiten Tasse Thee, seinen 3 Rivalen Thiers. „Mein unermüdlicher Rivale,“ sagte er, „hat das Unglück, bei allem Talente doch nur ein Nachahmer zu sein. Bald ahmt er Ludwig XIV., bald die Jacobiner, bald das Directorium, bald Napoleon nach. Es scheint, wie wenn er sich bei seiner großen Kenntniß der neueren Geschichte Frankreichs nicht anders aus den Verlegenheiten helfen könnte, als wenn er sich fragt: Wie würden es in diesem Falle wol das Königthum, wie die Republik, wie das Kaiserreich gemacht haben?“ Eine treffende Bemerkung. Denn wenn sich an Guizot’s Namen wirkliche politische Organisations-Gedanken, ob auch ungeschickte und verhängnißvolle, knüpfen, so knüpfen sich an Thiers’ Namen politisch-philosophische Gedanken eben keine.

Der Erzähler hat in seinen „Briefen aus Paris“ (gesammelte Werke, Band XII) nach seiner Begegnung mit Guizot auch die mit Thiers ausführlich geschildert. Gegenwärtig, wo die Staatsmänner keinen Anstand nehmen, reisende Publicisten ausdrücklich zum Behufe des Sich-aussprechen-Könnens zu empfangen; jetzt, wo sie vollkommen wissen und es wünschen, daß ihre Ansichten verbreitet werden; wo Graf Bismarck manchen Franzosen und Engländer mit einem reichen Material für die Times oder den Siècle entlassen hat, und sogar die sonst so preßfeindlichen preußischen Generale vor drei Jahren Publicisten empfingen, die sich ihnen offen als Abgesandte des Journales „Daheim“ vorstellten - jetzt kann ich wol ohne Scheu sagen, daß die heftigen Vorwürfe, die mir vor fast drei Decennien gemacht wurden, als ich in meinen „Pariser Briefen“ Mittheilungen aus meinen Unterredungen mit französischen Notabilitäten gab, auch nur eine Veranstaltung zweier Männer gewesen sind: eines noch in Wien lebenden, den ich nicht nennen will, und Heinrich Heine’s. Beide allarmirten gegen mich die Presse von Paris und die Allgemeine Zeitung. Ich hätte das Vertrauen mißbraucht, hieß es, hätte das Gastrecht verletzt -! Den Franzosen gegenüber, im Angesichte ihrer Preßfreiheit, ihrer Freiheit der Tribüne, ihres bewegten öffentlichen Lebens, war ein solcher Vorwurf lächerlich. Man übertrieb aber den Thatbestand. Man wollte das begangene Verbrechen den Franzosen durchaus glaublich machen, zumal weil diese selbst die „Indiscretionen“ nicht verstanden und nicht lasen. Jener Erste, der seine besonderen Gründe, auch eine Pension Louis Philipp’s hatte (Louis Philipp’s, dem mein Buch als Schlußresultat den demnächst bevorstehenden Untergang seiner Dynastie verhieß), wählte sich den Courrier Français zu seiner Verleumdung. Heine’s Motiv bestand in einem Vorgange, den ich Adolph Strodtmann für die Fortsetzung seiner, den allzu menschlich gewesenen Dichter in alle Himmel erhebenden Apologie hiemit empfehle. In Paris angekommen, erhielt ich durch einen noch in Paris lebenden Boten, einen gemeinschaftlichen Freund, im Interesse eines Buches, das ich, dem Gerüchte zufolge, über Paris schreiben wollte, nachstehende Aufforderung: „Besuchen Sie sofort Heine! Er verspricht Ihnen hiemit, Ihnen zu Ehren ein Diner zu geben, wozu er alle Spitzen der französischen Literatur einladen will -!“ Ich mußte dieser, auf ein Heine zu widmendes Capitel meines Buches berechneten Aufforderung erwidern: „Sagen Sie Heine, daß ich ihn nicht wenig schätze und von seiner guten Absicht gerührt bin! Ich habe aber das „Leben Börne’s“ geschrieben, habe Börne gegen die Besudelung seines Namens durch Heine vertheidigen müssen. Abgesehen davon, daß man um ein Diner, wenn auch in noch so interessanter Gesellschaft, die Standpunkte seiner Gesinnung nicht ändern wird, so habe ich auch auf die nächsten Freunde Börne’s in Paris Rücksicht zu nehmen, charaktervolle Personen, die mir nimmermehr vergeben würden, wenn ich zu dem Manne, der diese Alle und sogar eine edle Frau so schmählich mit Koth beworfen hat, gehen und Champagner bei ihm trinken wollte -!“ Die Folge dieser Erklärung war jene Rache. Heine dictirte seinem Freunde Seuffert einen Erguß voll Bosheit in die Feder für die Allgemeine Zeitung. Es wird jetzt in Literatur-Geschichten, in Nekrologen, in „Erinnerungen“ Sitte, Heine’s Bild vollständig zu verzeichnen. Mit dem „Christuskopfe“ will man ihm Gesinnungen andichten. Die Wahrheit ist, daß Heine Zeit seines Lebens im Denken und Handeln nur einen Flug niederen Striches hatte. Diese Wahrheit sollte doch ohne Schmälerung seines dichterischen Ruhmes unverfälscht bleiben.

Auch Villemain, Minister des Unterrichtes, war einst Professor. Dieser hatte nicht das Puritanische, Genferische Guizot’s; er war groß, wohlbeleibt, von einem heiteren, herzlichen Lachen und schien ein Lebemann. In vollen Zügen genoß er die Freude, einem Ministerium anzugehören, das sich acht Jahre lang erhalten sollte. Der vollste Gegensatz zu diesen Männern mußte natürlich der Ex-Minister Thiers sein. Er sollte sich von da an wirklich nicht wieder erheben. Als ich an seinem Tische saß, reizte ihn schon die allzu heiße Suppe zu einem auf die Mutter seiner Frau, die Führerin seines glänzenden Haushaltes, geschleuderten Zornblick. Charakteristisch war, daß Thiers, den ich als Redner in der Kammer hatte bewundern müssen, damals eben von einer Rundreise durch Deutschland aus den beiden, damals noch schlaffsten und politisch unmündigsten Staaten Oesterreich und Preußen die Ueberzeugung mitgebracht haben wollte, daß jenes, wenn auch von Politik erregbar, doch kein wahres und ernstes politisches Bedürfniß hätte, dieses von Ehrgeiz in solchem Grade verzehrt würde, daß daraus eine Gefahr für ganz Europa entstehen müßte. Alles, was Thiers erst jetzt wieder vor einigen Jahren gegen Rouher und Napoleon III. in den Debatten über die Neugestaltung Deutschlands geltend gemacht hat, war schon damals seine Ueberzeugung. Die Gefahren für das europäische Gleichgewicht kamen ihm von Preußen und Rußland her. Die deutschen Mittelstaaten waren ihm geborne Schoßkinder Frankreichs. Sie rangirten ihm als die Vorhut der französischen Armeen. Er sah, ganz wie Guizot gesagt hatte, immer nur Erneuerungen alter Dinge, Rehabilitationen, hier, in unserem Falle, Rache-Acte für Waterloo, St. Helena. Baiern, Würtemberg, Darmstadt lieferten ihm wieder die Cavallerie. Die süddeutsche Infanterie war Kanonenfutter. Wenn man sich 4 die Worte: „Nous bouleverserons le monde,“ die er sprach, aus dem Munde eines Schauspielers der Porte St. Martin ausgesprochen denkt, und etwa am Schlusse eines vierten Actes, wo die tragische Fabel den Höhepunkt erreicht hat, so hat man die Stimmung, die Thiers auch vielleicht noch heute mit Napoleon III. vollkommen aussöhnen und verbinden würde, wenn jene Stimmung in die Lage käme, sich geltend zu machen. Thiers meinte die furia francese, die eintreten würde, wenn man von allen Seiten gegen den europäischen Störenfried (und Frankreich war das damals weniger noch als jetzt!) marschiren wollte. Friedensgedanken wohnten nicht im Kopfe dieses kleinen, damals schon weißhaarigen Mannes mit dem Eulenprofil, noch weniger Gedanken einer Erneuerung und Revision unseres ganzen Gesellschaftsvertrages; er nannte letztere (die Socialisten mögen sich bedanken) Tollhäuslereien. Thiers’ Phantasie ist nur erfüllt von marschirenden Colonnen, erstürmten Schanzen, Uebergängen über Schiffbrücken, die Alpen, Kanonendonner und Schlachten. Noch vor zwei Jahren war er damals Minister gewesen, hatte die deutsche Marseillaise: „Sie sollen ihn nicht haben“, veranlaßt und hinterließ seinen Nachfolgern ein regelmäßiges Deficit im laufenden Jahresbudget, eine sich forterbende „schwebende“ Null von 160 Millionen.

Einen der gegenwärtigen Träger jener Thiers’schen Hoffnungen auf die Haltung Süddeutschlands bei einem etwaigen Kampfe gegen Preußen, einen seiner vermeintlichen Verräther am deutschen Nationalgefühl (mag sich auch bei uns in die Gefühle der Nothwendigkeit, in Preußens Stehen oder Fallen das Gesammtschicksal Deutschlands erblicken zu müssen, mancher bittere Wermuthstropfen mischen), einen solchen Segestes nach französischer Voraussetzung lernte ich in Person kennen, den jetzigen Großherzog von Hessen-Darmstadt. Herr v. Dalwigk, sollte er diese Zeilen lesen, möge sich seines Bruders erinnern, der in Darmstadt noch keine so offene Bresche für die Franzosen gewühlt hatte, wie gegenwärtig der Darmstädter Balletmeister Herr Tescher - ich meine nicht in der Politik, sondern im Theaterwesen. Seit einigen Jahren hatte ich mich der Bühne zugewendet und war in solchem Grade von Thalia und Melpomenen begeistert, daß ich nichts sehnlicher erstrebte, als eine Gelegenheit, meine eigene Ergriffenheit für eine richtige und schwungvolle Erledigung der deutschen Schauspiel-Aufgaben auch den Organen des Bühnenlebens selbst mittheilen zu können. Mancher geniale Schauspieler, Seydelmann, Emil Devrient, überraschten mich durch die Art, wie sie eine von mir gedachte und ausgeführte Rolle wiedergaben, mancher Andere aber auch blieb weit hinter meinen Erwartungen zurück. Ja selbst jene genannten Ersten ihres Faches verschmähten nicht, sich die Rollen, die ich ihnen zugedacht hatte, von mir vorlesen und erläutern zu lassen. Mir unvergeßliche Stunden hatte ich bei erneuerten Besuchen Berlins mit Seydelmann zugebracht. Sie waren dem Austausch von Auffassungen berühmter classischer Rollen gewidmet. Die Mise-en-scène unserer Bühnen verrieth mir nichts als Nachlässigkeiten, und selbst eine scheinbar gründliche Einstudirung entbehrte doch, zumal bei den üblichen drei Proben, mit denen bei uns die Stücke „herauskommen“, so sehr der Feile, der Herstellung einer Gesammtharmonie, in den einzelnen Partien oft des bewußten Zusammenhanges mit dem Ganzen selbst, daß ich darauf brannte, mir irgendwo eine Stelle als Dramaturg zu erwerben. In Darmstadt hatte die russische Neigung eine Aufführung meines „Patkul“ ermöglicht (den Deutsch-Lievländer Patkul, einen russischen Gesandten und Heerführer, lieferte Sachsen an Karl XII. von Schweden aus, der ihn hinrichten ließ) - ich hörte von einem leidenschaftlichen Sinn für Bühnenwesen, der sich von dem „großen“ Ludwig der Darmstädter auf den Erbgroßherzog vererbt hätte, von Reformen, die man bezweckte, von einem artistischen Leiter, den man suchte, und ließ mich von Freunden, die dem Weißcravatenscheuen mit Zorn und Unwillen zuriefen: „Man muß dem Glücke auch die Hand bieten!“ bereden, mich dem begeisterten Reformator der Bühne Darmstadts, dem stillen Träumer von - einem Ballet europäischen Rufes, persönlich vorzustellen.

Aber diese Kronprinzen alle! Auch dieser Don Carlos (seinen Alba, du Thil, und Domingo, Georgi, kennen wir schon) rief aus:

- - Heftig brausts
In meinen Adern - Siebenunddreißig Jahre,
Und nichts für die Unsterblichkeit gethan!

Das Theater seines Vaters erklärte er für eine ihm vollständig unbekannte und unzugängliche Domäne. Das geschah in Berlin in einem Hotel (natürlich „du Nord“) früh Morgens; die Cürassiere schwenkten eben um die Akademie und bliesen den Hohenfriedberger Marsch, die Sonne spiegelte sich auf dem Zifferblatte der akademischen Uhr. Die Begleiter des Prinzen auf seiner Reise, vielleicht zu seiner Schwester nach Rußland, umstanden die Hoheit. Einer derselben, ein Herr v. Camesaska, milderte in etwas durch leutselige Güte die höchst kühle Ablehnung, die sich in einer für den jetzigen Dramaturgen der Darmstädter Hofbühne, Dräxler-Manfred, wenig schmeichelhaften Erklärung gipfelte, ein solches Amt wäre bei dem bekannten obstinaten Charakter der Schauspieler geradezu ohne allen Nutzen. Ich kenne nicht die Leistungen des jetzigen Schauspieles in Darmstadt, höre aber, daß man kürzlich einer daselbst engagirten Schauspielerin zu ihrem Benefice für - dreihundert Gulden Blumen geworfen hat! Also sieht man doch, was Dräxler-Manfred leistet!

Meine dramaturgische Schwärmerei von damals blieb anderer Meinung, selbst als ich die Leistungen des Hofburgtheaters in Wien kennen lernen und bei dieser Gelegenheit den Machtbegabtesten seiner Zeit nächst dem Czar und dem Sultan, den Fürsten Metternich, von Angesicht zu Angesicht sehen sollte.

1 IV.#

„Ja, in Neapel!“ heißt der Titel eines Buches über die Reize der schönen Parthenope von Willibald Alexis. „Ja, ja, die Bühne!“ So könnte ich die Erinnerungen überschreiben, die ich von meinen Beziehungen zu den Brettern, welche die Welt bedeuten, bewahre. Ich sagte schon, daß ich nicht dachte wie Se. königliche Hoheit der jetzige Großherzog zu Hessen und bei Rhein. Ich bewahrte mir den Glauben an die Möglichkeit dramaturgischer Einwirkungen. Zu oft hatte ich auf der Scene selbst gestanden, mitten unter den falschen Betonungen, mitten unter den plumpen, gedankenlos ausgeführten Abgängen, unter den zahllosen, so gänzlich unbeachtet gebliebenen feineren Nuancirungen. Nur in den seltensten Fällen schien mir dem den Gedanken des Dichters ausfüllenden, ergänzenden Spiele der Phantasie, der Erweiterung einer dichterischen Absicht bei Regie und Darstellern Raum gegeben. Die Lohnarbeit überwog. Und bei alledem versicherten mich doch die Darsteller, daß ihnen die Kunst eine heilige Aufgabe wäre. Manche unter ihnen waren vollkommen zu dem Eingeständnisse bereit, daß ihnen die Anlehnung an eine begeisterte Führung einen erhöhten Genuß von ihrem eigenen Berufe gewähren würde. Manche Stelle meiner Dramen entstand auf der Scene selbst und bei den Proben. Christine Hebbel wird mir bezeugen, daß ich ihr den dritten Actschluß meines „Werner“, der ihr in Hamburg zehnmal nach einander denselben Hervorruf zuwege brachte, erst auf ihrem kleinen, traulich von der ersten Frühlingssonne beschienenen Zimmer in der „Theaterstraße“ zu Hamburg in ihre Rolle schrieb. Mein Glaube an die Möglichkeit, anregend auf die Darsteller zu wirken, war so groß, daß ich nicht einmal der Beihilfe bestimmt vorgezeichneter Gerechtsame, vor Allem der Gewalt über die Kasse des Theaters, über die Bestimmung der Gagen, die Kündigungen u. s. w. zu bedürfen glaubte, um mir Autorität und die Bürgschaft eines maßgebenden Einflusses auf die künstlerische Darstellung zu verschaffen.

Als ich 1844 in Wien war, glaubte Franz v. Holbein keine andere Absicht bei meinem Besuche voraussetzen zu dürfen, als mein Verlangen, ihn am Burgtheater zu verdrängen. Doch war ich weit davon entfernt, Dinge anzustreben, die mir für Wien absolut unmöglich erschienen. Eine Zulassung meiner zur Darstellung nicht genehmigten Stücke wäre zunächst der belohnendste Preis eines vierwöchentlichen Aufenthaltes in der schönen Donaustadt gewesen. Aber auch zu diesem Behufe, wo ich von vornherein Erfolglosigkeit sah, that ich keinen Schritt, und selbst vor dem Mächtigen nicht, der mich eines Tages durch eine Einladung überraschte. Ein Sections-Chef des Auswärtigen Ministeriums schrieb mir Ort und Stunde, wo mich Fürst Clemens Metternich zu sprechen begehrte.

Welchem Anlasse ich diese hohe Ehre verdankte, weiß ich nicht. Vielleicht den angenehmen Stunden, die mir Freiherr v. Hammer-Purgstall bereitet hatte. Der berühmte Orientalist lebte mit dem Fürsten auf gespanntem Fuße. Fürst Metternich hatte etwas vom Cardinal Richelieu, dessen Eifersucht ebenfalls in allen Fächern glänzen und sogar ein Dichter sein wollte.

So sollte ich denn eine Merkwürdigkeit des Jahrhunderts sehen, den Mann, dem seine Stellung zu Napoleon’s höchstem Glück und endlichem traurigen Ausgang eine solche Größe gegeben hatte, daß diese sogar durch seine spätere Politik, an die sich der Fluch der Völker knüpfte, nicht völlig abgenützt und verbraucht werden konnte. Gibt es einen großartigeren Actschluß IV. in der Tragödie Napoleon, als den Moment im Marcolini’schen Palais bei Dresden, wo dem Corsen im Feuer seines Zornes über Oesterreich, in den schmetternden Hagelschauern seiner Drohungen, wie er sich rächen würde, wenn die Truppen Schwarzenberg’s an Böhmens Grenze sich mit seinem Heere, auf dessen noch ungebrochene Kraft sein Arm zum Fenster hinausdeutete, nicht vereinigen würden, der Hut entfiel und Metternich (wenn die Erzählung verbürgt ist) starr und stumm und unbeweglich stehen blieb und keine Miene machte, den auf dem Boden liegenden Hut auch nur zu beachten. Eine Pause tritt ein nach des Kaisers Drohungen.... Er sieht den Hut, der ihm entfallen.... Er blickt beiseite, wartet, ob sich der schmiegsame Höfling, der sonst vor ihm den Rücken zu beugen wohl verstanden hatte, nicht anschicken würde, ihm diesen Dienst der Artigkeit zu leisten.... Metternich achtet auf nichts und geht.... Ein Kammerdiener kommt und hebt den Hut auf.... Napoleon erkennt das Nachlassen seiner imponirenden Gewalt und sinkt erschöpft und das Verhängniß ahnend in einen Sessel. Großes hatte Fürst Clemens erlebt, hatte Staaten zusammenbrechen, neue sich bilden sehen, hatte die Völker aus den Steppen Asiens und von Chinas Mauer nach Europa herabkommen sehen - und ein solches Herz konnte jemals zusammenschrumpfen, konnte kalt bleiben bei Griechenlands Erhebung, nichts Anderes vor den aufsteigenden Schatten altrömischer Größe in Italien fühlen, als das gespenstische Anwehen feiger Furcht vor Gift und Dolch! Er wollte nur die Ruhe des Kirchhofes und glaubte die Geister beschwören zu können. Bei alledem wußte man, daß ihn die Werdelust einer neuen Zeit interessirte, daß er ein Verständniß für seine Gegner hatte und sich sogar wie Nicodemus manchmal bei Nacht zum Herrn schlich. Mit roher Barbarei ist es auf solcher Höhe gewiß nicht möglich, sich so lange zu behaupten, noch weniger die Sprache der Zeit mit völliger Stummheit abzulehnen. Kunst, Wissenschaft, jeder Zweig der Cultur machten Riesenfortschritte; Engländer kamen und gingen und machten ihm gegenüber den Geist eines Canning geltend; Franzosen, selbst wenn sie, wie Chateaubriand beim Congreß zu Verona, die Ketten schmieden halfen für die neuen Freiheitsregungen Italiens, Spaniens, Griechenlands, hatten doch Motivirungen, die aus der Tiefe historischer, oft poetischer und neureligiöser Anschauungen kamen - zuletzt liebte der Fürst die Schönheit, wenn auch nur zumeist auf einer Hypostase, wo es kein - Verdienst ist, die Schönheit zu lieben, in den Frauen.

Die Begegnung mit diesem historischen Charakter schwebt mir in der Erinnerung nur noch vor wie ein Traum. Das Besteigen der hohen Aufgangstreppe im Palais an einer der 2 Basteien (irre ich nicht, begleitete mich bis zum Portale L. A. Frankl), das Eintreten in ein dunkles Wartezimmer, die zuvorkommende Unterhaltung jenes Sections-Chefs, der mich eingeladen hatte, das Eintreten in ein kleines sonnenhelles Gemach, dessen Fenster auf die frühlingsgrüne Bastei hinausgingen, die leutselige Art des Empfanges, das Niedersetzen an einen kleinen Tisch, das Fragen und Hören des halbtauben Fürsten, während seine Finger die neuesten Jahrgänge des Gothaer Kalenders umblätterten, die Discussion über - Nichts und doch Manches, Erörterungen über den Geist der italienischen und deutschen Sprache, Plaudereien über seine Bauten in Böhmen, Klagen über einen drohenden Verfall des Burgtheaters - kurz allerlei, nur selbstverständlich nicht: Was wird aus Europa in zehn, zwanzig, hundert Jahren geworden sein? Welches ist jetzt Ihre Politik, welches Ihre Meinung über Deutschland? Und dennoch fehlten einige Posa-Wallungen meinerseits nicht, aber nur - über Erziehung, Schulen, Fellenberg, Pestalozzi. Die einzige politische Digression war die gelegentliche Erklärung des Fürsten, er hätte das Richtige zu treffen geglaubt, indem er dem durch Napoleon erschöpften Europa Ruhe gönnte und Ruhe schaffte, um sich erst zu neuen Kämpfen wieder erholen zu können. In meinem „Zauberer von Rom“, Band VII, Capitel 10, habe ich nach des Fürsten Tode das Bild seiner damaligen Person wiederzugeben versucht. Der Sections-Chef fragte mich beim Scheiden, „ob ich befriedigt wäre“? Ich konnte doch wol nicht gut sagen: „Nein, das ist einer jener todten, mit der Festbinde und der verbrämten Toga geschmückten Senatoren Roms, die, als die Gallier Rom stürmten und aufs Capitol eindrangen, schon allein vom Luftzuge des aufgerissenen Senaculums von ihren curulischen Stühlen und in Staub und Asche sanken!“

Ein Jahr vor jenem großen Tage des Gerichtes, wo die Völker bewiesen, daß eine Erholungszeit in ihrem Leben nicht länger dauern darf, als höchstens eine halbe Menschen-Generation, wenn anders die Erholung nicht Erschlaffung werden soll, hatte ich mein heißersehntes Ziel erreicht. Die Dramaturgenstelle des Dresdener Hoftheaters, die einst Ludwig Tieck so manches Jahr als Sinecure hatte bekleiden dürfen, war an eine Ober-Regie und an Eduard Devrient von Berlin übergegangen, der sich indessen nach einem kurzen, vielgerühmten Wirken für unfähig erklärte, seine Bestrebungen durchzuführen, so lange die eigenthümliche Stellung seines Bruders Emil zum Repertoire - in der That eine Art Ausnahmestellung - andauerte. Emil Devrient stand gerade in der vollsten Blüthe seines Ruhmes. Der Intendant A. v. Lüttichau war auf einen Ersatz bedacht und wählte dazu mich. Oft sagte er mir später: „Es ist nur mein eigener Gedanke, daß ich Sie berief, gewesen. Ich habe ihn ohne Beeinflussung ausgeführt. Derjenige, den man vielleicht für den eigentlichen Anreger dieser Berufung zu halten geneigt ist, erklärte mir im Gegentheile, als ich ihm meinen Plan sagte: Aber wie werden Sie denn einen solchen Mann je wieder los?!“

So lautete die Hoftheater-Schauspieler-Ansicht über Dramaturgenschaft. Hofschauspieler sind nicht selten wahre Tiberius-Naturen en miniature. Sie waren mir bis dahin erst obenhin bekannt geworden. An den Stadttheatern hatte ich meist strebsame, nicht selten unglückliche, weil hin und her verschlagene Schauspieler kennen gelernt, welche die Noth zwang, es ernst mit ihrer Kunst zu meinen. Jetzt mehrte sich das Register meiner Theater-Bekanntschaften mit jenen pensionsberechtigten Herren und Damen, die sich in ihren Stellungen mit allen Künsten der Verschlagenheit und Verstellung befestigt hatten, sich in Dresden damals um einen wohlmeinenden, keineswegs geistig beschränkten, aber höchst ununterrichteten Intendanten schmiegten und wanden, wie jener Goldwurm von Guinea, der zuletzt in den eigenen Leib des Opfers, das er sich erwählte, hineinwächst und es trinken macht, wenn der Wurm Durst hat, essen, wenn jener hungert, es überall dahin treibt, wohin es dem Gelüste des Thieres genehm ist.

Und auch ich sollte genugsam diese Tücke der Menschen kennen lernen, die in den Theater-Intendanten-Vorzimmern die regelmäßige Wacht haben dürfen. Doch verderblicher noch wurden mir zwei Umstände. Der eine, daß ich ohne alle Erwägung der Nebenbedingungen, unter denen sich das Göttliche und Schöne im Beruf der Bühne irdisch gestalten und allein möglich machen muß an Theatern wie die unserigen, blindlings sowol mit einer unendlich kleinen Gage, wie mit dem Mangel gänzlicher Machtvollkommenheit, welchen mir eine paragraphenreiche „Instruction“ vorzeichnete, beim Abschlusse des Vertrages zufrieden war. Ich war den Regisseuren „coordinirt“, nicht sie mir subordinirt. Ich hatte nur Besetzungs-„Vorschläge“ zu machen. Ich war das fünfte Rad am Wagen, der Sündenbock, der für Alles, was dem Hoftheater mißlang - und was mißlingt nicht bei einer Kunst, die ihrer Natur nach auf ewiges Experimentiren angewiesen ist! - den Namen hergeben mußte. Aber umsonst; keine von diesen Schwierigkeiten wollte ich anerkennen. Ich belachte sie. Ich glaubte an die zündende, auch die Anderen ergreifende Macht des mich selbst ganz erfüllenden Begeisterungsfunkens. „Diese Mitglieder werden sich mir schon anschließen, sie werden meinem muthigen Schritte folgen, wir werden Alle auf dem Altare des Schönen opfern!“ So antwortete ich denen, die mit Bedenken jene Paragraphe gelesen hatten. Der zweite verderbliche Umstand war etwas in mir selbst, das ich nicht gut definiren kann. Demuth ist nicht das rechte Wort, subalterner Sinn noch weniger. Wie jener Wahlspruch eines Großen einst gelautet hatte: „Ich dien’“ und er damit im Dienen, im Dienen seinem Könige, seinem Vaterlande, seiner Dame, seine Ehre fand, so hatte ich hier, wie in einer anderen Stellung später noch einmal, die aufrichtig gemeinte und redliche Absicht, mein lediglich zum Initiativen-Ergreifen, zum Wollen und Vollbringen geschaffenes Naturell abzudämpfen, zu bezwingen, mich im Gehorchen zu üben und die zweite, ja dritte Rolle zu übernehmen, wo ein geschlossener Contract, ein gegebenes Wort, ein Verhältniß der Sitte und Ueberlieferung zum Besten eines großen Ganzen mir die erste nicht anweisen konnte.

Bei alledem wurden für den Anfang bedeutende Resultate erzielt. Ja, meine Autorität befestigte und steigerte sich, 3 als ich sogleich beim Beginne meiner Thätigkeit meinen Abschied begehrt hatte. König Friedrich August II. hatte die Genehmigung zu meiner Berufung nur mit Widerstreben gegeben. Die Damen des königlichen Hofes, zwei katholische Gesandte, die den Entschließungen der Königin nahestanden, hatten die Idee Lüttichau’s aufs äußerste bekämpft. Soeben waren Laube’s „Karlsschüler“ zum erstenmale auf die Bretter gekommen und „Uriel Acosta“ folgte. Beide Stücke wurden vom Publicum mit einer Aufregung aufgenommen, die einer Demonstration gleichkam. Ich las selbst das Handbillet des Königs, das dem Intendanten erklärte, er würde ihm von jetzt ab eine besondere Censur setzen, wenn er diesen Mißbrauch der Bühne länger fortdauern ließe.

Die Güte und Liebenswürdigkeit der Gemalin des Intendanten schrieb mir: „Um Alles, begegnen Sie heute nicht meinem Manne!“ Ich vermied den aufs Aeußerste gebrachten, vom Unwillen seines Monarchen hart getroffenen Hofmann und schrieb ihm, daß ich bei so offen kundgegebener Abneigung Sr. Majestät keinen Einfluß auf sein Personal gewinnen könnte, und begehrte meine Entlassung.

Darüber entstand eine neue Verwirrung. Ich würde dem Intendanten an allen Ecken und Enden gefehlt haben, wenn ich gegangen wäre. Inzwischen übernahm Prinz Johann, der gegenwärtige König, eine Revision des Textes meiner Arbeit. „Uriel Acosta“ wurde nach einer Pause von mehr als vierzehn Tagen wieder zugelassen unter der im Allgemeinen milden Bedingung, daß statt des Wortes „Priester“ überall „Rabbiner“ und für „Glaube“ immer ein anderer Wortbehelf gesucht werden mußte. Der Intendant wurde vor Aufregung über diese Vorfälle krank. Mitten im Winter ging er nach Teplitz, um warme Bäder zu nehmen. Er ließ die strengsten Befehle zurück. Ich wollte mit „Valentine“, die sich als das dritte erfolgreiche Stück zu jenen beiden anderen für die Saison hinzugesellen zu wollen schien, debütiren, hatte die Rollen schon zum „Signiren“ bereit gelegt, einige bedenkenerregende Stellen (das Einsteigen eines Fürsten bei einer Hofdame!) gemildert - doch erhielt ich den gemessensten Befehl aus Teplitz, diese Unternehmung auf alle Fälle zu unterlassen. Eine Kritik der „Valentine“ war beigefügt, die als die Ansicht eines deutschen Theater-Intendanten von Geblüt über die Literatur der Zeit gedruckt zu werden verdiente. Sie schloß: „So lange ich noch das königliche Hoftheater leite, wird dieses entschieden unmoralische, schlechte Stück nicht gegeben werden!“ Als ein Jahr darauf die März-Revolution ausbrach, war die „Valentine“ die erste Novität, die Se. Excellenz trotz seines verpfändeten Ehrenwortes dem aufgeregten Zeitgeiste zum versöhnten Willkomm darbrachte.

Meine Einstudirungen hatten Erfolg. Einrichtungen, die ich von Shakspeare’s „Coriolan“, „Romeo und Julie“, „König Johann“ gemacht hatte, gingen auf andere Bühnen über. Ich habe zwei Acte vom zweiten Theil des „Faust“ aufzuführen gewagt. Daß ich nicht mehr Anerkennung für mein Wirken, das sich durch die Auflösung des sächsischen Hoftheaters in den Tagen der Mai-Revolution 1849 von selbst beendigte, gefunden, lag in dem baldigen Ausbruch der Revolutions-Epoche und in meinem eigenen Bestreben, jede Anerkennung - zu unterdrücken. Dies klingt gewiß seltsam. Aber jenes „Ich dien’“ und die Natur meiner Umgebungen brachte diese Vorsicht mit sich. Mein schon genannter Chef war eine Natur, in der sich die unheimlichsten Elemente vereinigten. Er konnte gemüthlich, herzlich, bis zum Kindlichen gut und wohlmeinend sein, und ein unglücklicher Augenblick verwandelte ihn in einen Ludwig XI. voll brütenden Mißtrauens, sogar in einen Alba voll herzlosester Grausamkeit. Die Unsicherheit seines Innersten war das stete Gefühl seiner mangelnden Kenntnisse. Dieses machte ihn erbittert und gereizt. Er sah dann nichts als Verschwörungen um sich her. Er glaubte, es könnten, wie ihm beim ersten Beginn seiner Intendantenschaft geschehen war, wieder Tage eintreten, wo die unter einander verschwornen Schauspieler und Sänger ihn vor dem Hofe in solchem Grade bloßstellten, daß er keine Vorstellung zu Stande bringen, keine Anschlagzettel austheilen lassen könnte. Die schlechtesten und abgedroschensten Stücke pflegte er und duldete die dabei betheiligten talentlosesten Schauspieler nur deßhalb, weil er eine Repertoire-Reserve haben wollte für den Fall einer ausbrechenden Verschwörung. „O!“ seufzte er mir oft in einer seiner vertraulichen und dann in der That vollkommen gemüthlichen Stimmungen, zumal auf seinem schönen Landhause in Pillnitz, „o, wenn ich diese katholische Conspiration nicht hätte am Theater, diese Anlehnung der Stümper an den Hof, an den Beichtstuhl, an den Bischof, an die sonntägliche Kirchenmusik, die allem Anderen vorangehen muß! So wie ein Sänger mitsingen hilft bei der Messe, ist er meiner Autorität bei der Oper entwachsen -!“ Herr v. Lüttichau war ein Liebling des Hofes, ein persönlicher Freund des Königs und der Prinzessinnen, ging aber mit einer gewissen Beflissenheit jeden Sonntag in die protestantische Kirche - ein schönes Beispiel, das er damit für den sächsischen Adel gab. Wahrlich, ich möchte von dem seligen Mann nur Gutes berichten. Aber sein Mißtrauen, seine Furcht, seine Anwandlungen von Tyrannei waren entsetzlich. So wäre ich denn auch sofort mit meinem, vorläufig nur auf drei Jahre gestellten, durch und durch mangelhaften Contracte verloren gewesen, wenn ich in irgend einem Berichte über die Leistungen der königlichen Bühne nach Gebühr wäre hervorgehoben worden. Ich ging selbst zu den Berichterstattern oder schrieb an die Zeitungen und bat sie, mich zu ignoriren. Eine Sitzung des Intendanten, der Regisseure, des alten Hofrathes Winkler (Theodor Hell), der Capellmeister und des Dramaturgen im Theater-Expeditions-Gebäude - und dabei ein Zeitungsartikel auf dem grünen Tisch, worin meiner letzten Scenirung, Einstudirung oder Bearbeitung lobende Erwähnung gethan gewesen wäre, hätte geradezu eine Scene für mich wie aus der Hölle veranlassen können.

Theodor Hell, der Herausgeber der „Abendzeitung“, Vice-Director, Secretär und als solcher selbstverständlich schon genug dramaturgischer Berather des Hoftheaters, jetzt verdrängt von einem früheren literarischen Gegner, von einem Recensenten seiner „Neuen Lyratöne“, einem Gegner aller Größen der „Abendzeitung“ und Freunde des Vespertinen-Vaters, das war eine Situation, deren Peinlichkeit sich von selbst charakterisirt. 4 Jeder Mißgriff, den ich machte, fand ein Echo durch alle Räume des Theaters, durch alle „italienischen“ Frühstückstuben, ja von da an auch in die Presse, als ich Unglücklicher einst der Meinung gewesen war, daß Marie Bayer, die einen neuen Contract zu machen hatte, in dem Fall, daß Excellenz ihre Bedingungen zu hoch fände, wol auch durch irgend ein anderes Talent, das sich doch noch in Deutschland würde finden lassen, ersetzt werden könnte und mein seither treuester Freund, August Bürck, der, ohne daß ich es wußte, jene Dame zu ehelichen hoffte, plötzlich umschlug und aus wahnverblendeter Liebesleidenschaft und speculativem Interesse mein gehässigster Feind wurde und von Redaction zu Redaction lief, um mich über Alles, was sich an meinen Namen knüpfte, anzuschwärzen. Winkler galt für den geheimen literarischen Berather der fürstlichen Dichterin Prinzessin Amalia. Ich merkte wol den ungünstig vorbereiteten Boden, als ich die pflichtmäßige Begrüßung der „hohen Verfasserin“ im Schlosse machte. Man hatte mir diese Begrüßung als sich gebührend schildern wollen. Mich leitete, als ich diesmal die weiße Halsbinde umlegte, ein aufrichtiges und empfundenes Bedürfniß, einer Dame zu huldigen, die es verstanden hat, echt gemüthliche, deutsch-innige dramatische Familien- und Gesellschaftsbilder und sogar mit vollkommen scenischer Wirkung, mit mannichfacher Herausforderung des darstellenden Talents zu schreiben. Aber es schien mir, als hätte man ihr einen Tadel verrathen, den ich einmal in meinem „Hamburger Telegraphen“ dahin ausgesprochen, sie opferte regelmäßig in ihren Stücken den jugendlichen Zauber der Poesie und des freien Genius dem Schein einer besonneneren Weisheit, die sie mit zwar bescheidenen, absichtlich nüchternen, aber desto zuverlässigeren Formen auftreten ließe - die Liebespaare des ersten Actes sind bei ihr nicht mehr die des fünften. Sie sagte mir verbindlich Freundliches über „Werner, oder: Herz und Welt“. Ich entgegnete: „Den Muth, unserer Zeit noch einfache Gemälde der kleinbürgerlichen Welt vorzuführen, verdanken wir ja Ihnen!“ Ich schied mit dem Gefühle des Bedauerns, daß sich hier eine sinnige und so natürlich denkende Dichterin nicht frisch und frei aus den Etiquette-Formen der Prinzessin herausbegeben und, so hoch sie stand, durch die Erinnerung an ihre Feder ein leichtes und graziöses Air von literarischer Collegialität über sich gewinnen konnte.

Die Mächte, die sich meiner Berufung nach Dresden entgegengestemmt hatten und die ich durch nichts versöhnen konnte, sollte ich auch noch durch persönliche Berührung kennen lernen. „Durch nichts versöhnen“ - sage ich. Die Vorstellungen z. B. des „Coriolan“ waren, etwa mit Ausnahme der unrichtig gewählten, nur für Hadrian’s Zeit passenden Prospecte (es waren eben keine anderen da, neu gemalt würde man sie nur für eine Oper haben), so vollendete, daß sie Friedrich August seinem Freunde König Friedrich Wilhelm IV. mit Genugthuung vorführen konnte. Dem Gaste sprach die glänzende Darstellung der Titelrolle durch Emil Devrient jedes Wort des Pöbel- und Tribunenhassers Cajus Marcius aus der Seele. Noch höre ich sein lautes „Bravo!“ und „Ja! Ja!“ als der zum Feinde übergegangene rachedürstende Römer ausruft: „Euer Feind möge euch schon durch seines Helmbusches Nicken in Verzweiflung fächeln.“ Das Nicken des Helmbusches war ihm entweder eine schöne Metapher für Mobilmachung, Kriegsbereitschaft nach Außen oder die Wiederherstellung des militärischen Selbstvertrauens, das er sich gestört zu haben am meisten vorzuwerfen hatte, nach Innen mit Beziehung auf die Angst, in welche der demokratische „Pöbel“ gerathen würde, wenn es hieß: Die Russen oder die Franzosen kommen! Dieser Besuch fand nach den Märztagen statt, die ich in Berlin zubrachte, mich damals eines mir zugestandenen Urlaubes erfreuend. Ich wurde in jenen Tagen in Berlin Witwer, wollte den Rest meines Urlaubes irgendwo in den schönen österreichischen Landen zubringen und bat den Dresdener Vertreter des eben im Auflösen begriffenen Metternich’schen Systems um die Visirung meines Passes nach Wien.

Ich war ein Trauernder, Jedermann in Dresden kannte meinen Verlust, aber der Vertreter Oesterreichs deutete mir meine Bitte als ein Verlangen, nach Wien gehen zu wollen und dort das Feuer der Revolution schüren zu helfen. „Kommen Sie - in acht Tagen wieder!“ beschied mich der Vertreter Oesterreichs, eine Erlaucht. Auf meine Aeußerung: „Aber wozu denn noch diese alte Manier aus Metternich’s Tagen? Hat denn nicht auch in Wien jetzt ein neues Leben begonnen? Soll denn immer noch die alte Praxis mit den schwarzen Büchern, mit Anfragen in Wien, ob ein Visa zu verwilligen sei oder nicht, für die Zeit, in der wir leben, in Geltung bleiben?“ erfolgte ein Ausbruch des äußersten Zornes, als hätte ich ein Attentat auf alle Kronen des Hauses Habsburg begangen. Acht Tage sollte ich warten! Während mir jede Stunde meines Urlaubes dürftig zugezählt war! Es wurde eine Scene, über deren Details ich hinweggehe.

Der Herr Gesandte wird später vielleicht selbst begriffen haben, daß ich in jenen Frühlingstagen 1848 und allerdings kurz vor dem neu ausbrechenden Sturme in Wien keine Neigung hatte haben können, von einem frischen Grabeshügel, noch an der Hand die eben mutterlos gewordenen Kinder, mich in die Revolution zu stürzen, an die ich allerdings, das mochte die „achttägige Bedenkzeit“ entschuldigen, in Berlin angestreift war. Es war jedoch damals eine Zeit, wo Jeder, der einen bekannten Namen trug, wider Willen finden konnte, was er nicht suchte; eine Zeit, wo ein vornehmthunwollendes Zurücktreten, wenn Volksvertrauen uns aufforderte, öffentlich zu sprechen, eine Feigheit ohnegleichen gewesen wäre.

Die „Stadt Wien“ trat mir aber in diesen Tagen bald wieder freundlich entgegen und vorurtheilslos. Vorläufig freilich nur im Dresdener Hotel dieses Namens. Von Schlesiens stillen Wäldern, am Fuße der Schneekoppe, vom sagenreichen Kynast, vom lieblichen Warmbrunn, wohin mich die „acht Tage Bedenkzeit“ Oesterreichs verbannt hatten, zurückgekehrt, legte ich wieder einmal eine weiße Cravate um, diesmal, um in jenen Räumen Herzog Ernst von Coburg zu begrüßen.

1 V.#

In den Tagen des grauen germanischen Alterthums gab es deutsche Fürstensöhne mit langwallenden blonden Locken, um welche die Sage und Geschichte alle Zauber der Poesie wob. Von Norden kommend, oft nur mit kleinen, aber heldenmüthigen Volksstämmen, gewannen sie die Liebe einer byzantinischen Prinzessin, einer ehrgeizigen Exarchentochter Italiens, und hielten sich allezeit jugendlich standhaft treu wie Walhalla-Götter, wie ihr ewiger Frühlingsgott Baldur, unter den chinesenhaft verkrüppelten Griechen, unter den tückischen Italienern, den Sicilianern, bis sie von Gift oder Verrath, ja oft Verrath von den treulosen Fürstentöchtern selbst, die sie anfangs mit liebenden Armen umschlungen und festgehalten hatten, dahingestreckt wurden auf die Todesbahre. Ach! da verhauchten sie wie der sterbende Schwan ihrer nordischen Heimat zuweilen ihr Leben in den Klängen einer Harfe, die noch ihre zitternde Hand oder die eines treuen Gefährten im Sterben schlug.

Nach den Tagen der Völkerwanderung, nach den Normannen- und Römerzügen hörte die Poesie des deutschen Fürstenthums noch nicht auf. Die Chronik der mittleren Zeit ist erfüllt von Herzogen und Herzogssöhnen, die über die Berge streiften, Meere und Ströme befuhren und den Kampf nicht blos mit den Ungläubigen nicht scheuten, sondern die muthigsten Einsätze selbst gegen Kaiser und Reich wagten. Herzog Heinrich der Welf verlor sein Alles bei einem solchen Einsatze und entfloh nach England. Ulrich von Würtemberg mußte sein Heil in den Schweizer Alpen suchen. Friedrich II. von der Pfalz abenteuerte nach Spanien, Paris und England, um mit ein paar Rossen, die er mitbrachte, die Gunst der Frauen und der Säckelmeister von Kaisern und Königen zu gewinnen. Von einem Würtemberger, über den die Hofschranzen der Königin Elisabeth nicht wenig gelacht haben sollen, hat jüngst Hermann Kurtz von Tübingen Kurzweiliges erzählt. Den Winterkönig kennt die Geschichte Böhmens... Jenen Herzog Uli, den sollte Berthold Auerbach einmal schildern, wenn ihm von seinen langen Gesprächsromanen wieder die Kraft tragischer Leidenschaft zurückkehrte. Der Bauernherzog paßt ganz in Auerbach’s dialektische Gefühlszergliederung. Wenn Herzog Uli auf den Knien liegt vor dem Verlobten des Weibes, das er liebt, wenn er ruft: „Hutten, Hutten, ich kann ohne deine Buhle nicht leben!“ und Thränen vergießt und die Knie Hutten’s umklammert, dann aber (es war ein Wort des Freundes zum Freunde gewesen, eine Unfürstlichkeit, die nur vor den Engeln des Himmels begangen war, ein Erguß des tiefsten und heiligsten Wehs im Menschenherzen) erfährt, daß Hutten hingegangen ist und seine Thränen, sein Knien vor ihm, das Knien des Lehensherrn vor dem Vasallen, vor dem Dienstmanne, an die Welt verrathen hatte, lächerlich machte unter zechenden Kumpanen, nachahmte vor Anderen und, von Zorn entbrannt, ja sich als Richter, als Fürst, als Stellvertreter der Gerechtigkeit Gottes auf Erden, als „Wissender des heimlichen Gerichtes der Vehme“, wie er sich nannte, fühlend, ihn durchbohrt und an einen Zaun im Walde aufhängt, so fühlt man sich in Auerbach’s beste Zeit, seine anatomische Zergliederung poetischer Schwaben-Querköpfe versetzt.... Nach dem Winterkönig und seinem heldenmüthigen Ahnen Wolfgang von Zweibrücken, der auf eigene Faust den Hugenotten in Frankreich ein stattliches Heer zuführte und den Opfertod starb, hatten die deutschen Fürstengeschlechter und ihre Geschichte meist den romantischen Reiz eingebüßt. Sie wandelten die bequem vorgezeichneten Bahnen des kaiserlichen Reichskammergerichtes. Kometen-Naturen unter ihnen lassen sich zählen.

Herzog Ernst von Coburg gab einst solche Kometen-Hoffnungen. Jetzt ist von ihm ein ausgezeichneter Schauspieler zurückgeblieben, der in Gotha den diplomatischen Bolingbroke, als Seitenstück zum Unterhändler von Langensalza, und den abgedankten preußischen Major Tellheim mit hoher Vollendung gespielt haben soll. In Dresden, wo der Fürst seine erste Jugendzeit verlebt hatte und immer noch angenehme Beziehungen unterhielt, war es auch Emil Devrient, der gefeierte Künstler, der mich in den Gasthof „zur Stadt Wien“, zu seinem schon damals gewonnenen fürstlichen Freunde, Gönner und, wie wir jetzt sehen, Schüler führte. Die angenehme Erfahrung, auf der Menschheit Höhen Personen zu begegnen, die sich in allen den Dingen heimisch zeigen, die sonst nur zu den Interessen von uns Mittleren gehören, wurde da genossen in vollsten Zügen. „Wie lange wird es dauern, so hören unsere kleinen Throne auf!“ sagte der in männlicher Jugend strahlende Fürst, der sich damals von einer Gesellschaft catilinarischer Existenzen und politischer Intriganten, die sich um ihn zu sammeln angefangen hatte, durch den schrecklichen Tod des Fürsten Lichnowsky befreit sah. Kein Gebiet des Wissens war ihm fremd. Theater, Musik, Politik waren seine Lieblingsneigungen. Die Jagd stärkte den Körper, der eine ausdauernde Elasticität, die ganze Schönheit des schon seit längerer Zeit zum Geimpftwerden auf morsch gewordene Dynastien verwendeten coburg’schen Fürstenstammes besaß. Jetzt ist der Fürst um eine damals lawinenartig anschwellende Popularität gekommen, er hat sich vor einiger Zeit hinreißen lassen, sich öffentlich selbst zu loben. Gewiß wird aber manche der schönen Thaten, die er in seiner Jubiläumsrede vollbracht haben will, von einem künftigen Geschichtschreiber anerkannt werden, und im Allgemeinen gehört auch Herzog Ernst zu jenen unberechenbaren Naturen, die, wie nach Solon Niemand vor seinem Tode glücklich, so auch vor seinem Ende für die Beurtheilung nicht abgeschlossen ist. Es fehlte ihm lange Zeit hindurch nicht an Material für seinen Bildnersinn. Auch er hätte ein Ulrich von Würtemberg werden können und verbannt und seines Landes verlustig, um desselben Umstandes willen, durch welchen sich Ulrich sein Land wieder erobern wollte, die Verbindung mit der Revolution. Damals stand der Herzog im Beginne einer solchen Laufbahn, wo ihn oft am Wege bei einem einsamen Ritte durch seine Wälder oder in den stillen Weihern von Reinhardsbrunn nach einem langweiligen Thee-Abende gespenstische Gestalten gegrüßt haben mögen, wie Macbeth: „Heil dir, Than von Glamis!“ „Heil dir, Than von Cawdor!“ Es war in der That im Werke, den neuen deutschen Kaiser dorther zu entnehmen, von wo ja schon einmal Günther von Schwarzburg an die Krone Karl’s des Großen gekommen war. Was hätte im schlimmsten Falle an einer Verbannung nach London 2 oder Genf für einen Fürsten ohne Kinder gelegen? Doch scheint es, ist es nicht die Hamlet-Natur gewesen, die hier „Unternehmungen voll Mark und Nachdruck“ „der Handlung Namen verlieren“ ließ. Es gibt ein anderes Abwarten des rechten Augenblickes, das die passende Stunde für immer versäumen läßt, der leichtlebige, den Genuß liebende Sinn, die kluge Vergleichung dessen, was man erstrebt, mit dem, was man - denn doch schon einmal hat. Der junge Fürst sprach vom Preisgeben seines Landes unter der Bedingung, daß er wüßte, welchem größeren Zwecke er damit diente. Wenn aber alle Fürsten in gleicher Lage so sprechen wollten und eben dennoch bleiben, weil sie den größeren Zweck noch nicht finden können, so vergessen sie, daß der größere Zweck eben der ist, daß sie fehlen.

Bei alledem hört man einem solchen „freisinnigen“ deutschen Fürsten, der jedoch seinerseits ebenfalls nur „geht“, wenn er muß, mit Vergnügen zu bei seinen Aeußerungen über Jedes und Alles. Gleich treffende Urtheile hat Herzog Ernst über die beste Art des Hufbeschlages wie über Calame’s Meisterpinsel, über Hühnerologie wie über Operntexte, über Verbindung des Zuchtschafes mit dem deutschen Bauernschafe wie über die richtigen Lehr- und Lernstoffe in Volksschulen, über Beschälungs-Methoden in Gestüten wie über Rückert’s Gedichte. Der Eindruck der Persönlichkeit des Fürsten wäre in der That überwältigend, wenn ihm nicht etwas innewohnte, das sich, was die Zuverlässigkeit eines treu-männlichen Wesens anbelangt, mit einem Charakter aus dem Fabelreiche vergleichen ließe, den es nicht gibt - einem männlichen Pendant zur Melusine. Proteus, der Vielgestaltige, ist nicht das rechte Bild für das, was ich meine.

Von vielseitig angeregtem Interesse zeigte sich mir auch gelegentlich eine fürstliche Dame, die weit öfter in Stuttgart als im Haag verweilende Königin der Niederlande, die den Erzähler bei zufälliger Anwesenheit im schönen Schwabenlande in dieselben Schloßräume beschied, wo sich ihr königlicher Vater immer engere und engere Grenzen des Umganges gezogen hatte und sich zuletzt wie ein vergrämelter Einsiedler von Welt und Menschen abschloß. König Wilhelm von Würtemberg hatte einst die Liebe der Nation, und die kühnsten Hoffnungen der akademischen Jugend waren auf seinen Namen gerichtet. Man verwechselte sein markiges, zur Unterordnung unter Andere wenig geschaffenes Volk mit dem Beherrscher desselben. Lange währte es, bis König Wilhelm’s Nimbus bleicher und bleicher wurde. Man hatte denn doch zuletzt so viel des Gewöhnlichen, so viel zu kleinen Mitteln Greifendes und selbst Unhochherziges, das man erfuhr oder endlich durchschaute, vom Helden von La Rothière und Montereau nicht erwartet. König Wilhelm liebte die Künste, ohne Anderen den Mitgenuß seiner Erwerbungen zu gönnen. Er liebte Pracht und Luxus und hatte nicht den Muth, diese seine Neigung zu verrathen.

Sein Verkehr mit kleineren Geistern, die ihn auch politisch bedienen mußten, hörte selbst in den Sturmzeiten des Jahres 1848 nicht auf. Sein Haß war unversöhnlich. Die edelsten Männer seines Volkes, die im Munde aller Deutschen lebten und leben werden, hielt er kalt von sich fern und entschädigte sich dann auch wieder nicht durch den Umgang mit einem von Außen her entnommenen Ersatz. Sein Geschmack war einseitig. In den schönen Künsten liebte er Frivolität. Man bedurfte der Hintertreppen, um eine Gunst von ihm zu erlangen. In den Sachen sah er nur die daran betheiligten Personen. Seine Familie wurde von ihm viel geprüft. Prinzessin Sophie stand seinem kühlen Herzen am nächsten, und wie dieser trefflichen Frau als Königin der Niederlande ihr sanfter, in der Schule der Leiden erzogener Sinn gelohnt wird, weiß ja die Welt.

Im Jahre 1850 sollte in Weimar das vom Bildhauer Schaller modellirte Denkmal Herder’s enthüllt werden. Ich hatte es im ersten Keim entstehen sehen. Der erste Entwurf wurde bei einer von mir besuchten Festtafel präsentirt, die in München auf irgend einen mir entfallenen Anlaß, ich glaube dem Reichsarchivar von Freiberg zu Ehren, berufen war. Ein Tiroler, Professor Ennemoser, der sich aus dem Gebiete der Naturphilosophie mannichfach in die Katakomben der Mystik verirrt hat, stellte bei Tisch in allem Ernste die für den deutschen Idealismus charakteristische Frage auf: Welche Verwendung soll diejenige Summe finden, die von den zur Bestreitung des Herder-Denkmals (das erst als Idee auf dem Tische stand!) nöthigerweise zu sammelnden Geldern - übrig bleibt? Der überfliegende phantastische Sinn des Sprechers sah bereits Ueberschüsse, die sich zur Verwirklichung einer Akademie im Sinne der Alten, eines Prytaneums für ausruhende Denker u. s. w. würde verwenden lassen. Einstweilen ging bei Tisch noch ein - Teller herum für die Herder-Statue selbst. Ob sie gedeckt wurde, ob sie nicht erst eines abrundenden Supplements aus der Schatulle der Ernestiner bedurfte, kann ich im Augenblicke nicht sagen. Aber das eherne Standbild (leider ebenfalls in dem von München ausgegangenen und von Rietschel an vollends übertriebenen unheimlichen Geschmack der Colossal-Statuen) erhebt sich zweckmäßig dicht an dem alten Münster Weimars und wurde mit sinniger Feier und unter Beweisen echter Begeisterung enthüllt. Jene Augusttage vom Jahre 1850 sahen gleichzeitig in Weimar manches Wunderbare. Franz Dingelstedt ließ einen Prolog an derselben Stelle sprechen, von welcher er damals noch nicht ahnte, daß sie später eine Stätte seines eigenen Wirkens werden würde. Franz Liszt verherrlichte eine poetische Schöpfung des Tageshelden, Herder’s „Prometheus“, durch musikalische Illustrationen, die damals noch in der vollen Hoffnung von ihm gegeben wurden, die sogenannte Programm-Musik würde sich Bahn brechen; Richard Wagner’s „Lohengrin“ trat zum erstenmale in Deutschland ans Lampenlicht und fand ein Publicum, das mir vollkommen erwärmt schien, den begeisterten Dirigenten Franz Liszt jedoch in den Kundgebungen des gespendeten Antheils so wenig befriedigte, daß er nahe daran war, auf einem Bankett, das die anregenden Festlichkeiten bei dem zu früh verstorbenen, bestgewillten jungen Intendanten v. Ziegesar beschloß, dem Kunstsinne Weimars ein Pereat zu bringen.

Die Seele und der eigentliche Förderer dieser Unternehmungen war der Erbprinz Karl Alexander, bestimmt, nach einigen Jahren seinem Vater in der Regierung zu folgen. Seine Mutter, die Tochter jenes unglücklichen Kaisers Paul, die, als sie von St. Petersburg als herzogliche Braut in Weimar einzog, Weimar für die Vorstadt der eigentlichen Residenzstadt, die sie künftig bewohnen sollte, gehalten und gefragt haben soll, wo denn nun die eigentliche Stadt anfinge, 3 hatte gelernt, sich in die kleinen Verhältnisse zu finden, und gab die Mittel zu all den schönen Anomalien desjenigen her, was sich zunächst von einem so kleinen Fürstenhause für Kunst und Literatur erwarten ließ. Der junge Prinz beorderte sich Jeden, der zum Feste gekommen war und einen einigermaßen bekannten Namen trug, zu einer Audienz, die dann auch mir in einem Pavillon des berühmten Parkes von Weimar, im „Römischen Hause“, zu Theil wurde.

Ueber Prinzen-Erziehung ist viel geschrieben worden, und in der Regel hat man davon eine falsche Vorstellung. Das Gefühl der hohen Verantwortung, die Fürsten auf ihren Schultern tragen, mag sich bei ihnen in späteren Jahren, wenn sie sich endlich im vollen Genuß ihrer exceptionellen Lebensstellung befinden, verlieren. Sorglosigkeit, Bequemlichkeit mögen an die Stelle der Gewissenhaftigkeit treten. Zu letzterer jedoch, zur strengen Bewachung ihrer selbst, zur weisen Eintheilung der Zeit, zur Beherrschung ihres Naturells, zur Beachtung jedes in der Welt ihnen entgegentretenden Rechtes, und wäre es nur das Recht einer eigenbedingten Persönlichkeit, sind sie mehr erzogen worden, als irgend ein Sproß auf einem anderen Zweige der Gesellschaft. Wenn ihr euren Kindern noch gestattet, in den warmen Federn zu ruhen, ist ein junger Prinz schon längst in voller Toilette und nimmt, ohne schon sein Frühstück bekommen zu haben, bereits Unterricht! Wenn euch einfällt, eure Kinder aus der Schule zu behalten, wenn sie in Alles, was ihr sprecht, gemüthlich und keck mit hineinreden dürfen; wenn eure Töchter stundenlang zum Fenster hinausgaffen und die Vorübergehenden recensiren, so ist in der Erziehung von Fürstenkindern immerfort der Spiegel zur Hand, der ihnen die Unziemlichkeiten eines solchen Betragens zeigt. Das Leben der Fürstenkinder ist ein Uhrwerk. Alles daran ist geregelt, jede Stunde ist für irgend einen Zweck aufgezeichnet, und der ganze Mensch wird förmlich zu einem Begriffe erhoben, der sich in organischer Regelmäßigkeit zu entwickeln und in gegliederter Ordnung darzulegen und auszuleben hat. Wir schließen zu sehr aus uns selbst, wenn wir den Fürsten Motive, Gesinnungen, Urtheile für ihre Handlungen unterlegen, die sie in Wahrheit nicht kennen. Wir glauben, sie haßten, sie verfolgten, während ihre Erziehung darauf angelegt ist, höchstens in solchen Fällen einen Instinct anzunehmen, dem sie folgen, ohne sich eine feste Vorstellung darüber zu bilden.

Ich bin an der Grenze meiner Mittheilungen angekommen, weil sie zu nahe die Gegenwart berühren. Aber das darf ich doch, ohne mißdeutet zu werden, sagen: Ein Fürst der sorgfältigsten und mustergiltigsten Erziehung ist Karl Alexander, und alle seine Tugenden, vielleicht auch die Täuschungen, die er schon Manchem bereitet haben mag, entspringen aus einer methodisch von ihm durchgemachten frühen Zähmung und Zügelung eines mächtig aufwallenden, für alles Gute und Schöne warm empfindenden, ja enthusiastischen Fühlens und Denkens. Auch bei ihm, wie bei seinem Freunde und Vetter, dem Herzoge Ernst, waltet eine kaum zu befriedigende Vielseitigkeit des Interesses vor - in anderer Weise freilich, als bei jenem rasch wählenden, entschlossen zugreifenden oder ablehnenden Nachbar von Coburg-Gotha. Der Trieb, sich zu unterrichten, Neues zu lernen, ist beim Fürsten von Weimar immer rege und er gesteht ihn sich und Anderen offen ein. Nicht minder rege ist sein Trieb zum Gestalten und Schaffen. Seine Schwingen würden sich stets in den Lüften erhalten, wie bei jungen Tauben, die nicht anders stillstehen können, als mit immer ausgebreiteten Flügeln, aber die russische Erziehung durch die Mutter ist eine Fürsorge geworden für wohlüberlegtes Verbleiben auf dem Schauplatze irdisch bedingter Wirklichkeit. Die damalige Unterhaltung des jungen Fürsten trug alle Elemente einer schönen Don Carlos-Sehnsucht. Die Kunst zu fragen war besonders ausgebildet. Nach jeder Antwort trat eine Pause ein, die zweifelhaft lassen konnte, gehörte sie dem Ueberdenken der empfangenen Antwort an oder dem Vorbereiten einer neuen Frage. Das charakteristische Wort: „Ich lese nur das, wovon ich Nutzen habe“, kam nicht aus dem Munde eines jungen Mannes, der die Literatur blos für eine Utilität hielt und mit nüchternem Realismus das ausgeschlossen haben wollte, was ihm nicht eine Bereicherung seines Gedächtnisses versprach; es war vielmehr die Erklärung eines begeisterten Literaturfreundes, der auch das rein Dichterische und zunächst nicht Nutzenbringende liest, um deßwillen liest, um es wie die Anderen zu kennen und wie die Anderen darum zu wissen. Das Bild des edlen und wohlmeinenden Fürsten ließe sich vervollständigen aus späterer näherer Beziehung, wo für die Besuche ausdrücklich - die schwarze Halsbinde verlangt wurde. Wir sprechen hier aber nur von der weißen.

Zuletzt träte ich noch gern an ein schwarzberußtes, aber stattliches Palais der Seegasse in Dresden, an ein Haus mit stolzem Säulenportal aus den Zeiten des „Starken August“ und des verunglückten Großmachtpolitikers Grafen Brühl. Aus diesem Hause sah ich einst in einer Mittagsstunde einen Mann heraustreten, der einige Monate darin als dirigirender Minister gehaust hatte, den Leipziger Professor der Rechte von der Pfordten. Mit dem Märzsturm kam er in die stolzen Räume und bald nach dem Tode Robert Blum’s verließ er sie. Als ich den wohlbehäbigen, schwarzbebarteten, breitschulterigen Mann mittlerer Statur fragte: „Gehen Sie nun auf Ihren Lehrstuhl nach Leipzig zurück oder nach Baiern in Ihr Vaterland?“ lautete die Antwort der Ex-Excellenz mit der ihr eigenen stereotypen lächelnden Bonhomie, die jedoch, wie fast bei allen Söhnen Ober-, Mittel- und Unterfrankens, das vollständigste Gegentheil seiner Aeußerungen und liebenswürdigsten Freundlichkeiten nicht ausschloß:

„Ja, nach Baiern! Ich suche mir dort die ruhigste und glücklichste Stellung, die es in dieser Welt nur geben kann, die eines baierischen Landrichters!“ Vierzehn Tage darauf war der gemüthliche baierische Landrichter mit dem idyllischen Gehalte von wenig über 800 Gulden - Chef des baierischen Cabinetes und Premier-Minister Maximilian’s II. mit mindestens 8000 fl. Derjenige, der damals statt seiner jenes Palais bezog, war Freiherr v. Beust, dem ich aus mancherlei Gründen veranlaßt wurde, öfters eine weiße Cravate und eine frühe Morgenstunde zu widmen. Doch breche ich ab. Wir sind der Gegenwart zu nahe gekommen, und es könnte auch gerade dieser Höhepunkt meiner „Erinnerungen aus den Empfangszimmern“ wol gar noch ein willkommenes Material liefern für die Anklage Ihrer Zeitung, sie wäre - subventionirt.

Apparat#

Bearbeitung: Wolfgang Rasch, Berlin#

1. Textüberlieferung#

1.1. Handschriften#
1.1.1. Übersicht#

Es sind keine handschriftlichen Überlieferungsträger bekannt.

1.2. Drucke#

Den mehrteiligen Feuilletinartikel brachte im April und Mai 1869 die Wiener Tageszeitung "Neue Freie Presse". Ein Jahr später nahm Gutzkow die Arbeit mit einigen kleineren Änderungen in den zweiten Band seiner Lebensbilder auf, der den Bandtitel Novellen und Skizzen trägt. Den Titelzusatz Erinnerungen ließ Gutzkow bei der Buchausgabe weg. Davon erschien 1874 eine zweite, unveränderte Auflage. Zu Gutzkows Lebzeiten wurde der Text nicht mehr veröffentlicht.

J Karl Gutzkow: Aus Empfangszimmern. Erinnerungen. I.-V. In: Neue Freie Presse. Wien. Nr. 1654, 7. April 1869, Morgenblatt, [S. 1-3]; Nr. 1661, 14. April 1869, Morgenblatt, [S. 1-4]; Nr. 1665, 18. April 1869, Morgenblatt, [S. 1-4]; Nr. 1681, 4. Mai 1869, [S. 1-4]; Nr. 1683, 6. Mai 1869, Morgenblatt, [S. 1-3]. (Rasch 3.69.04.07)
E1 Aus Empfangszimmern. I.-V. In: Karl Gutzkow: Novellen und Skizzen. (Lebensbilder. Bd. 2.) Stuttgart: Hallberger, 1870. S. 127-220. (Rasch 2.40.2.3)
E2 Aus Empfangszimmern. I.-V. In: Karl Gutzkow: Novellen und Skizzen. 2. Aufl. (Lebensbilder. Bd. 2.) Stuttgart: Hallberger, 1874. S. 127-220. (Rasch 2.40a.2.3)

2. Textdarbietung#

2.1. Edierter Text#

J. Der Text folgt in Orthographie und Interpunktion unverändert dem Erstdruck. Textsperrungen werden übernommen. Silbentrennstriche (=) werden durch - wiedergegeben. Die Seitenzählung wird mit Klammern [ ] an den betreffenden Stellen in den Text eingefügt.

Die Liste der Texteingriffe nennt die von den Herausgebern berichtigten Druckfehler sowie die Emendationen. Fehlende oder überzählige Spatien im Erstdruck wurden stillschweigend korrigiert.

Die Seiten-/Zeilenangaben im Apparat beziehen sich auf die Druckausgabe des Beitrags im Band: Kleine autobiographische Schriften und Memorabilien. Hg. von Wolfgang Rasch. Münster: Oktober Verlag, 2018. (= Gutzkows Werke und Briefe. Abt. VII: Autobiographische Schriften, Bd. 3.)

2.1.1. Texteingriffe#

155,12 III. III

164,2 bouleverserons bonleverserons

165,6 den Organen denOrganen

170,20 Senatoren Roms SenatorenRoms

183,21 Sophie Katharina korrigiert nach E1

Kommentar#

Der wissenschaftliche Apparat wird hier zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht