Die Familie Büchner#

Metadaten#

Herausgeber
  1. Wolfgang Rasch
Fassung
1.1
Letzte Bearbeitung
15.02.2020
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Text#

442 Die Familie Büchner.#

* Nur in seltenen Fällen spaltet sich der Funke des Prometheus und senkt sich auf eine Familie herab, wo sich Vater und Sohn, Geschwister und nächste Blutsverwandte zu gleicher Zeit als von demselben göttlichen Feuer ergriffen offenbaren. Eine solche Familie ist die des verstorbenen Medicinalraths Büchner in Darmstadt. Der älteste Sohn des selbst als ausgezeichneter Naturforscher anerkannten Arztes war jener von den Kennern der neueren deutschen Literatur wohlgeschätzte Georg Büchner, der nach den Proben eines seltenen poetischen Talentes, die er in einem Drama: „Danton’s Tod“ und in Novellenfragmenten gegeben hatte, für die Dichtkunst viel zu früh gestorben ist. Auch für die Naturwissenschaft. Eine elegante Untersuchung über den innern Bau des Barbenfisches hatte ihm den Weg zur akademischen Laufbahn als Zoo- und Physiolog in Straßburg und Zürich gebahnt. Der zweite Sohn ist jener noch rührig wirkende Louis Büchner, der einst die Moleschott’sche Richtung in „Kraft und Stoff“ einem größern Publikum verständlich und ihren Wahrheiten wie allerdings auch ihren Irrthümern zugänglich machte. In seinen vor kurzem erschienenen Vorlesungen über die Darwin’sche Theorie (Leipzig, Thomas) zeigt sich ein würdiges Maßhalten, eine mit den Jahren gereiftere Vertiefung in die großen Geheimnisse der Natur. Ein dritter Sohn, Alexander Büchner, lebt als Lehrer der deutschen Sprache und Literatur in Frankreich. Auch von ihm sind schätzenswerthe sprachwissenschaftliche Studien bekannt geworden; vorzüglich aber gelangen ihm biographische Gemälde aus dem Bereich seiner Lehrthätigkeit, die sich auch auf vergleichende Sprachwissenschaft erstreckt. Sein „Knabe von Bristol“ ist eine geistreiche Analyse der Verirrungen jenes so hochbegabten Chatterton, den Alfred de Vigny auf die Bühne gebracht hat.

Eine Schwester dieser Brüder ist Louise Büchner. Auch sie hat mannichfache Beweise eines reichgebildeten und zur Erkenntniß der Wahrheit aufstrebenden Geistes gegeben. Die Erfolge, die sie durch wohlgefügte Gedichte, spannende, vorzugsweise dem Leben der Frauen entnommene Novellen in ermunternder Weise errang, genügten ihrem, allem Tand und Flitter, selbst dem reinschöngeistigen, abgeneigten Sinne nicht. Obschon vom zartesten und der Schonung bedürftigen Körperbau, suchte sie sich praktisch zu bewähren, indem sie sich den edlen, Volkswohl erzielenden Bestrebungen der Prinzessin Alice von Hessen, der Tochter der Königin Victoria, anschloß, entsagend sich ihnen zur Verfügung stellte und für die Verbesserung des weiblichen Looses ganz im Sinne jener Berliner Vereine wirkte, die leider kürzlich durch den Tod des Präsidenten Lette ihr besonnen umschauendes Haupt verloren haben. Louise Büchner hat sich auch im Leidensjahre 66 durch Pflege der Verwundeten ausgezeichnet. Die Mitte zwischen ihrem praktischen und poetischen Wirken (indessen ist sie keine Kindergärtnerin, wie es kürzlich irgendwo hieß) hält eine ansprechende Gabe für den Weihnachtstisch: „Weihnachts-Märchen“ mit acht Bildern des talentvollen Dresdner Malers Venus (Glogau, Flemming), eine liebenswürdige Bewährung nicht nur ihres erzählenden Talents, sondern auch ihrer vielseitigen Bildung. Denn sogleich die erste der mitgetheilten acht heitern Geschichten: „Von der Frau Holle“ gründet sich auf deutsche Mythologie und weiß in einer, selbst für den Forscher beachtungswerthen Weise die Sage von jener schwebenden, am Spinnrockenfaden entlang sich fortbewegenden Zauberdame mit noch jetzt vorhandenen Sitten und Traditionen des hessischen Odenwalds in Verbindung zu bringen. Reizend ist eine Geschichte, die achte in der Reihe, wo sich die kleinen Hauptpersonen der Weihnachtszeit untereinander bescheeren. Wir empfehlen mit voller Ueberzeugung diese Büchner’schen Märchen, nicht nur als ein neues beachtenswerthes Zeugniß für die Begabungen eines seltnen vierblättrigen Geschwisterkleeblatts, sondern auch als eine wirklich gelungene Leistung auf einem Gebiet, wo seither so außerordentlich viel versucht und häufig genug auch - verfehlt worden ist.

Apparat#

Bearbeitung: Wolfgang Rasch, Berlin#

1. Textüberlieferung#

1.1. Handschriften#
1.1.1. Übersicht#

Es sind keine handschriftlichen Überlieferungsträger bekannt.

1.2. Drucke#
J * [Karl Gutzkow]: Die Familie Büchner. In: Wissenschaftliche Beilage der Leipziger Zeitung. Leipzig. Nr. 102, 20. Dezember 1868, S. 442. (Rasch 3.68.12.20)

2. Textdarbietung#

2.1. Edierter Text#

J. Der Text folgt in Orthographie und Interpunktion unverändert dem Erstdruck. Textsperrungen werden übernommen. Silbentrennstriche (=) werden durch - wiedergegeben. Die Seitenzählung wird mit Klammern [ ] an den betreffenden Stellen in den Text eingefügt.

Kommentar#

Der wissenschaftliche Apparat wird hier zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht.