Die Nihilisten. Eine Erzählung#

Metadaten#

Herausgeber
  1. Dirk Göttsche
Fassung
1.0
Letzte Bearbeitung
27.11.2022

Text#

1 Die Nihilisten.#

Eine Erzählung.#

3 Erstes Capitel.#

Das Recht der freien Selbstbestimmung.#

In einem traulich eingerichteten Zimmer deckte ein junges Mädchen den vor dem Sofa stehenden runden Tisch mit einer grauglänzenden, buntgemusterten, großen Theetischdecke von Damast. Sie stellte von einer Etagere, auf der sich allerhand buntes Glas und Porzellan befand, auf diese Decke drei goldgerändete Tassen, ordnete Teller, Zuckerschale, Messer, die sie in kleine zierliche Servietten einschlug, rückte an den Stühlen, legte die Sofakissen in Ordnung und verrichtete somit eine Reihefolge von Handlungen, die wir nicht beschreiben würden, wenn die junge Dame sich auf den Besuch, den sie zum Thee zu erwarten schien, nicht mit einem Ernste und einer Feierlichkeit vorbereitet hätte, die selbst die darauffolgenden Rüstungen der kleinen Lampe, der Theemaschiene, der von einer Magd hereingetragenen bezuckerten Bäckereien, des Milchtopfs und welche Vorsorgen alle zu einem behaglichen 4 Theeabende gehören, mit einer so überdachten und fast heroischen Miene verrichtete, daß man eine Fee, die zu geringer Erdenarbeit verurtheilt wurde, zu sehen glauben muß, auch wenn nicht das ernste, schöne, junge Wesen vom Dienstmädchen bei jedem dritten Worte Gnädiges Fräulein! Gnädiges Fräulein! höchst respectvoll wäre angeredet worden.

Das gnädige, junge Fräulein hieß Hertha Wingolf und gehörte nicht dem Adelstande an.

Unbestreitbar aber war sie von der sogenannten „höhern Gesellschaft“.

Wenn Hertha Wingolf zu ihrer Theeabendrüstung einen Stuhl erhob, so geschah dies mit einer Armbewegung, wie wenn Semiramis den Grundstein eines neuen Tempels in Babylon gelegt hätte.

Sie erkundigte sich bei Lisetten, so hieß das Dienstmädchen, nach dem heißen Wasser. Das geschah in einem Ton, mit einem Ausdruck, wie wenn eine isländische Seherin den Priester gefragt hätte: Wie geht es mit dem Geyser oder mit den heißen Schlacken des Hekla?

Sie ließ sich sogar herab, Hertha Wingolf, mit Lisetten von einem Teller mit Wurst und einem mit Schinken zu sprechen, zwei Tellern, die des Geruchs wegen noch beide in der Küche harrten, aber den Preis der Wurst und den Preis des Schinkens notirte sie in ein sauberes 5 Notizbüchelchen, das sie inzwischen aus einem Schranke genommen.

Hertha’s weiße, zarte, längliche, ganz der Carus’schen „schönen Seele“ entsprechende Finger, glänzten wetteifernd mit dem silbernen Crayon, mit dem sie bedächtig die Worte niederschrieb: Ein Viertel Schinken zwei Groschen, ein Viertel Wurst zwei ein halb Groschen!…

Zwei und respective zwei und ein halb Groschen? werden unsere wirthschaftskundigen Leserinnen fragen. Sie werden den Namen einer Stadt zu hören wünschen, wo es so billige Preise gibt. Wo liegt dies Eldorado der erfreulichsten Erübrigungen am Wirthschaftsgelde, die ein stillangelegtes Sparen für gewähltere Toiletten möglich machen?

Wir könnten den Namen der Residenz eines großen deutschen Mittelfürsten nennen; aber man gebe sich über die dortigen Fleischpreise keinen Täuschungen hin! Wir dürfen nicht verschweigen, daß Lisette bei Nennung dieser geringen Summen ganz eigen ihre kleinen braunen Augen zusammendrückte. Innerlich gewiß lacht etwas in unserer Zofe. Das vornehme, in einem seidenen Kleide dahinrauschende junge Mädchen, das sich einbildet, die sämmtlichen in ihrem eleganten Wirthschaftsbüchelchen verzeichneten Preise für Frühstückssemmel, Butter, Kaffe, Essen aus dem Speisehause, Thee, Zucker, Schinken und Wurst entsprächen wirklich den üblichen Preisen des Marktes, 6 der Fleischbank und des Specereikrämers, dies gläubige vornehme Mädchen ist es, das ihr lächerlich vorkommt.

Lisette jedoch, wohlweislich ihr Lachen verbergend, geht in die Küche zurück, nicht ohne die Versicherung, daß Frau von Zabel, eine höhere Beamtenwittwe, bei welcher Hertha Wingolf zur Miethe wohnte, doch nun bald „jeden Augenblick“ aus der Stadt zurückkommen müßte.

Hertha Wingolf hatte sich überzeugt, daß ihre Vorbereitungen zu einem Thee à trois mit so viel Umsicht getroffen waren, als man bei einem im Leben „selbständig dastehenden“ Wesen erwarten durfte, öffnete nun das Fenster und sah hinaus in die Schatten des Abends, die duftig und schon kühl sich niedersenkten.

Hertha’s Wohnung lag vor den Thoren. Es war nicht die elegante Vorstadt der wirklich ansehnlichen und mit zehn bis zwölf an ihren höchsten Spitzen jetzt noch vom Abendsonnenschein vergoldeten Thürmen vor ihr liegenden Residenz, die sie bewohnte; es war eine minder beachtete Gegend, ein Viertel, halb den wirklich Armen, halb den verschämt Armen angehörend. Mancher zu der trostlosen Nothwendigkeit, die man Einschränkung nennt, Gezwungene zog sich hierher zurück. Keine Paläste und keine Hütten; aber behagliche Mittelstockwerke mit mancher gefälligen Einrichtung wie bei Frau von Zabel. Eine freundliche Gartennatur durchzog diesen entlegenern Stadttheil und die rings um die Residenz ausgebreiteten Gar-7tenanlagen durchkreuzten sogar die kleinen Gäßchen und Winkelchen selbst.…

Da mußte ein Blick durchs Fenster – es war noch nicht sieben Uhr und schon dunkelte es und die Luft ging octoberhaft herbstlich – ein so beredtsames Schweigen auf den Gärten antreffen, das Ohr ein so heimliches Summen hören, wie es vom Baum zu Busch zog, ein so grüner Friede mußte durch die Natur waltend vernommen werden, daß nur noch das fernher erklingende Abendläuten fehlte, Herzen weich und feierlich zu stimmen.

Die Glocken läuteten dann wirklich. Aber Hertha stand entweder über sentimentaler Naturauffassung überhaupt oder eine auf ihrem Antlitze ruhende Spannung ließ weiche Empfindungen nicht aufkommen. Von Minute zu Minute schien sie unruhiger zu werden. Ein mal nach dem andern nahm sie von ihrer Brust die goldene Uhr und sah danach. Dann schloß sie das Fenster; die Nachtluft war zu kühl. Nun zündete sie die Lampe an. Unruhig ging sie auf und nieder und blieb endlich vor dem, an der Wand hängenden eleganten Bücherborde stehen, nahm davon ein Buch herab, setzte sich in die Sofaecke und begann, um ihrer Empfindungen Herr zu werden, an einer Stelle weiter zu lesen, wo ein hübsch gesticktes Lesezeichen andeutete, daß sie in ihrem Studium – Feuerbach’s „Wesen des Christenthums“ läßt sich nicht lesen, sondern nur studiren – zuletzt stehen geblieben war.

8 Während wir die schlanke, edelgebaute Hertha Wingolf in ihrer Sofaecke den Feuerbach lesen lassen, wo von ihrer freien hellen Stirn die mächtigen, schöngeringelten, blonden Locken gerade auf die Stelle niederglitten: „Die praktische Anschauung ist eine schmutzige, vom Egoismus befleckte Anschauung; bei ihr schau’ ich ein Ding nicht um seiner selbst willen an, sondern nehme es, wie wenn man ein Weib nur um der Sinne Willen liebt. Die praktische Anschauung ist in sich nicht befriedigt, nur die theoretische ist es, sie ist freudenvoll, sie allein ist selig; ihr ist der Gegenstand der Liebe ein Gegenstand der Bewunderung …“ während wir Hertha, sagen wir, über diese Worte nachsinnen lassen, erblicken wir aus dem hohen stattlichen Gebäude, welches in der Residenz seit Jahren das Justizministerium dieses bedeutenden Mittelstaats inne hatte, eine in einen leichten Sommermantel gehüllte Gestalt treten.

Der Portier kennt die Gestalt schon, kennt schon die nächtlichen Ausgänge des Geheimraths, der seit einem halben Jahre die Geschäfte des Ministeriums versorgte und nur noch ohne den Namen des Ministers wirklich der Minister selbst war. Die verhüllte, eilend von der breiten Stiege tretende Gestalt fand die schwere Pforte ihres Hôtels rasch aufgezogen, rasch fiel sie hinter ihr zu. Des Geheimraths Gattin war im Theater. Sie schien ge-9wohnt, ihn des Abends, wenn sie von mancher guten Vorstellung heimkam, nicht mehr anzutreffen.

Mit festem sichern Schritte legte die hohe Gestalt des Geheimraths eine Straße nach der andern zurück. Durch die belebtesten Gegenden drängte sich der Dahinschreitende, nicht ohne da und dort rasch von einem Vorübergehenden erkannt und feierlichst begrüßt zu werden. Man zündete schon die Laternen an.

Endlich kam der eilige Wanderer zu jenem Thor, das in die bezeichnete Vorstadt führte. Er schlug den Weg zur Wohnung der Frau von Zabel ein. Ein Blick nach den Fenstern Hertha Wingolf’s überzeugte ihn, daß sie daheim war. Rasch zog er die Hausklingel. Die geschlossene Thür öffnete sich. Trotz des Dunkels fand sich der Besuchende zurecht; er kannte die Stiege. Oben leuchtete Lisette. Der Ausruf: Herr Geheimrath! kam von ihr in etwas befremdetem Tone. Mit wenig Schritten war der Besuchende in Hertha Wingolf’s Zimmer.

Du bist es? sagte sie erstaunt.

Ja Hertha, ich bin es! sagte der Gast und legte den Mantel ab.…

Hertha’s Gruß war so gezogen, so langsam, so fragend gekommen, daß man erkennen konnte, wie sie diesen Besuch am wenigsten erwartet hatte.

Geheimrath Wingolf küßte Hertha’s Stirn und auch auf die erste Ueberraschung nur mochte ihre Miene einen 10 befremdeten Ausdruck zeigen. Sie sammelte sich. Sie besaß das Taktgefühl eines edeln Herzens und – erblickte sie in den Augen des Gastes nicht eine Thräne? Die Thräne konnte von der herbstlichen Abendluft kommen, vielleicht von innerer Rührung.

Der Besucher war ein Mann, den sie liebte, ihr Vater.

Zwei Menschen standen sich gegenüber, an denen der Schöpfer oder sein Nachahmer, der Künstler, Freude gehabt hätte.

Die Tochter des Vaters Bild. Der Vater, schon den Funfzigen nahe, aber noch von jugendlich fester Haltung seiner hohen Gestalt, von reichem, lockigem, wenn auch ergrautem Haar, von Milde im braunen Auge, voll Ernst im festgeschlossenen Munde. Die Hand, die er seinem Kinde bot, so weich, so warm. So war auch sein Gruß, den Hertha, ihm gleich an Hoheit und Adel, nach kurzer Sammlung herzlich erwiderte.

Der Vater setzte sich. Er sah sich um. Die Zurüstungen des Thees, die er bedauern mußte gestört zu haben, die Tassen, die er nicht gezählt und zur Veranlassung einer Frage genommen, mit Wem Hertha, außer Frau von Zabel, heute zu Dritt sein würde, das Gebäck, der nun von Lisetten hereingebrachte Fleischvorrath, alles Das änderte freilich schon die Stimmung. Aus des Vaters Auge blickte Wehmuth und um seinen Mund spielte bald auch etwas von Ironie.

11 Einen Gruß von Eugenien! sagte er.

Ein stummes Nicken war der Tochter Dank.

Der Herbst kommt mit Macht! fuhr der Vater das Haupt stützend fort. Die Abende werden lang. Du wirst dich hier einsam fühlen.

Doch nicht! erwiderte Hertha mit eigener Festigkeit und legte den Feuerbach von der Sofalehne, nicht damit ihn der Vater nicht sähe, sondern damit er bequemer säße.

Nun trat eine Pause ein.

Hertha nahm eine vierte Tasse von der Etagère der Frau von Zabel; es war eine eigenthümliche Tasse, eine verwitwete gleichsam, es stand wenigstens darauf: Für den Hausherrn. Herr von Zabel hatte, als er noch dem Staate, seiner Hausfrau und sich selbst lebte, daraus gefrühstückt. Wingolf lehnte die Tasse und ein Couvert ab und da ihm Hertha mit kleinen und unwesentlichen Erkundigungen kam, so sagte er:

Hertha, wann hört die ganze Thorheit auf?

Hertha verstand sogleich, was der Vater unter ganzer Thorheit meinte.

Ihr schönes dunkelblaues Auge verfinsterte sich. Sie schwieg aber und blickte nur nieder.…

Ich habe, fuhr der Vater fort, die Richtung, die nach dem Tode deiner Mutter dich überkam, so lange für eine ungefährliche genommen, als du unter meinen Augen lebtest. Zehn Jahre der Selbständigkeit, von deinem 12 eilften bis zu deinem einundzwanzigsten, hast du in unserm kleinen Provinzleben die Blume der Wunderwelt, der träumerische Geist des Aparten und Barocken sein dürfen, so lange sich das väterliche Dach darüber wölbte. Jedermann hatte Gefallen an deiner Entwickelung und so wie du warst, so nahm man dich. Daß ich leider dann die „Thorheit“ begehen mußte … noch an mein Herz zu glauben.…

Vater! erwiderte Hertha auf dies letzte besonders schmerzlich hervorgehobene Wort und ergriff des bewegten Mannes Hand und bat ihn, sich nicht durch eine Erörterung aufzuregen, deren eigentliche Absicht doch, wie er ja wisse, ihr Ziel verfehle, verfehlt hätte und ewig verfehlen würde.

Ich kann dort das Bild deiner Mutter nicht sehen, fuhr der Vater mit einem Blick auf die an der Wand hängenden Büchergärten und was sich darüber an Bildern erhob, fort, ich kann es nicht sehen, ohne nicht den Drang einer Rechtfertigung zu fühlen. Luise sieht so ruhig, so versöhnt auf mich nieder!…

Hertha unterbrach diese Erörterung. Sie wußte, daß ihre verklärte Mutter dem Vater ein Geist war, der auf dieser Erde seine wahre Stätte nicht gefunden und deshalb frühe scheiden wollte. Sie wußte, daß der Vater an diesen Geist nie dachte, ohne nicht etwas zu fühlen, wie wenn ein Beethoven’scher Accord durch die Lüfte zog. Eine elf-13jährige Ehe war die Harmonie selbst gewesen. Zehn Jahre hatte dann der Vater dem nachklingenden Tone des Glücks noch gelauscht, ihn nur allein aus dem Leben als seinen Führer sich herausgehört. Da kam das äußere Weltglück an Wingolf’s Hausespforte, pochte an sein Leben mit Ueberraschungen an, von denen er nie eine Hoffnung haben konnte. Er wird Chef eines ersten Gerichtshofs. Eine Mahnung der Stände wirft der Justiz des Landes Vernachlässigung der Reformen vor. Man ruft, um der öffentlichen Meinung eine Befriedigung zu geben, Wingolf in die Residenz, gibt ihm die Stellung eines Ministers, dessen Rang er ablehnt, weil er die Vorliebe des Souveräns für alte Namen kennt und sich die Stellung eines Aufgedrungenen nicht zu sehr erschweren will. Diese frohe Wendung seines Lebens erfüllt ihn mit gesteigerter Empfänglichkeit für die Schönheit des Daseins. Er wählte eine zweite Gattin. Aus wirklicher Neigung. Er war wie ein aufgegebener Baum, in dem sich wieder mit dem Frühling plötzlich ein Wachsthum regte. Eugenie von Saalfeld wird seine Wahl, die Freundin seiner Tochter. Beide spielend und tändelnd um ihn als Kinder schon. Als beide erwachsene Jungfrauen waren, er nach der Residenz als Minister scheiden soll, da Eugenien von Saalfeld, die eine Waise bei Verwandten an seinem frühern Bestimmungsorte lebte, die Freundin seiner Hertha, noch einmal betrachtet, wagt er ihr das schwere Loos 14 anzutragen, an der Seite eines fast funfzigjährigen Mannes durchs Leben zu gehen. Eugenie, ein blühendes, edles Mädchen erschrickt anfangs, hört aber die wiederholte Bitte und willigt ein, sich aus Scheu und Schamgefühl jedoch der Freundin, der sie Mutter wird, nicht sogleich erklärend. Diese reist mit dem Vater ab. Unterwegs gesteht er der Tochter seine Wahl; sie sinnt und sinnt und an dem Tage, wo Hertha’s Freundin, aus der Provinz als des Vaters Gattin von ihm abgeholt, in die neue, prachtvolle amtliche Wohnung der Residenz eintritt, hatte Hertha das väterliche Haus verlassen. Sie ergriff diese Wendung als das Ende einer schon lange in ihr gährenden Krisis. Sie nahm sie als einen Fingerzeig des Schicksals, einem schon längst in ihr unwiderstehlich gewordenen Drange nach Freiheit und Selbständigkeit zu folgen. Durfte es ihr an sich genommen schon peinlich sein, eine Freundin als Gattin ihres Vaters zu begrüßen, hatte sie hier volle Gelegenheit, das Loos der Frauen zu verwünschen, über die der „Zufall“, das „blinde Spiel des Würfels“ entscheide, durfte sie ausrufen: Ein Vater, der der Freier meiner Gespielin wird! und dachte sie schon längst mit Ingrimm an Das, was die Menschen Liebe nennen, so hatte sie jetzt ganz der ihr immer nahe gewesene Geist der „Selbstbestimmung“ ergriffen, der keinen Zügel mehr dulden mochte. Sie konnte sich das Glück des Vaters an der Seite Eugeniens denken; sie gönnte es 15 ihm; aber sie mochte diese Hingebung eines jungen Mädchens an ein solches Leben der sich bescheidenden Pflicht nicht stören. Sie verließ die Wohnung des Vaters, vertraute sich einer älteren Freundin ihrer Mutter und bezog bei ihr diese kleinen Zimmer, in denen sie sich eine Existenz geordnet hatte ganz nach dem Drange ihres Bedürfnisses. Und litt auch der Vater unter diesem tief aus seiner eigenen Natur kommenden Sinn seiner Tochter, litt er in seinem Innern ebenso sehr wie vor der Gesellschaft – denn kaum in seine neue Würde eingesetzt gab ihm sein Kind ein solches „Aufsehen“ – so ertrug er doch seit mehren Monaten schon mit Geduld eine Wendung, die sich bei dem schon früh in dem selbständigen, durch Pensionen und Erzieherinnen zum Eigenwillen gesteigerten Sinne Hertha’s nicht ändern ließ.

Darum staunte Hertha, als der Vater heute von Neuem mit seiner Einsprache kam. Sie hatte seine Unterstützungen, die, wenn auch noch nicht ganz, doch in absteigendem Maße eingehen sollten, doch immer noch angenommen. Es sollte deren von Monat zu Monat weniger werden (daß die Preise für sie so niedrig gestellt wurden, wie wir vorhin an dem Lächeln Lisettens und den beiden Tellern mit Fleisch sahen, beruhte auf einer Verabredung Eugeniens, ihrer Mutter, mit Frau von Zabel), ja ihr Ideal war eben in ermuthigender Folge jener Wohlfeilheit des Daseins dies geworden, sich ihre Existenz selbst 16 verdanken zu wollen. Aber der Vater wollte heute dagegen Einsprache thun. Er war in der Absicht gekommen, seine Tochter zu fragen, ob es wahr wäre, daß sie in einem ihr befreundeten Hause musikalischen Unterricht zu geben gedächte?

Ja, bei Frau von Reisig, sagte Hertha mit ruhiger Bestimmtheit; ich komme immer mehr zu der Erkenntniß, daß wahres und dauerndes Glück nur durch Das geboten wird, was man sich selbst erwirbt. Das weibliche Geschlecht ist der Paria der Civilisation. Wir haben uns begnügt, uns, wie mir von hundert Freiern geschah, schöne Dinge über unsere Außenseite sagen zu lassen und sind Sklavinnen des Innenlebens geworden, wenn die Fesseln, die wir tragen, auch noch so vergoldet schimmern. Wie sehr wir im Leben ohne Würde dastehen, kann ein Mann kaum fühlen. Man muß jene ganze Kette von Untugenden kennen, die sich tief im Leben der Frauen angelegt hat, um recht zu begreifen, was ich meine. Der Wahn der Eitelkeit ist durch Erziehung und Bildung der Mittelpunkt aller unserer Bestrebungen geworden. Ihm bringen wir stündlich schmachvollste Opfer, ihm huldigen wir mit unserer eigenen Entwürdigung. Man lasse nur den Frauen einmal Raum, ihren Muth, ihre Ausdauer und ihre wahre Hingebung an die Pflicht zu prüfen! Wir sind ein spartanisches Geschlecht, Vater, während die Männer 17 uns für so verweichlicht halten, als sie es jetzt vielleicht selbst sind.…

Der Vater schüttelte sein Haupt, doch mehr spottendes Erstaunen als Zorn erfüllte ihn.

Hertha schloß mit der Bitte, ihr zu gestatten, sich eine Existenz selbst zu begründen und mit jenem Unterricht bei den zahlreichen Stiefkindern der reichen und liebevollen Frau von Reisig den Anfang machen zu dürfen.

Der Vater stand auf.

Er war erregt. Er hatte die Absicht gehabt, sich zu mäßigen. Er konnte aber jetzt den Zwang nicht mehr über sich gewinnen; er verbot mit einer Entschiedenheit, die Hertha an ihm trotz aller Güte seines Wesens kannte, jedes Unterfangen dieser Art …

Ich bin dieses Verbot, sagte er, meiner Stellung schuldig. Ich geize nicht nach höhern Auszeichnungen, als die mir schon zu Theil wurden. Ein Bürgerlicher weiß ich, daß ich dem Souverän nur durch die Umstände aufgedrungen bin, und ich erleichtere mir meine Beziehung zu ihm durch den Wunsch, eine gleichsam nur interimistische Stellung einzunehmen. Indessen will ich den Makel, den man an mir findet, nicht noch vermehren. Ich mag nicht, daß mein Familienleben Gründe des Vorwurfs und des Spottes für mich darbietet. Magst du in einer idealen Welt leben, deren Ausschreitungen ich in meiner Stellung sogar gezwungen bin, zu bekämpfen, bis zur Caricatur 18 darf dein Handeln nicht ausarten. Ich verbiete dir diesen Unterricht. Ich lege dir eine Summe hierher, die dir erlauben wird, deine unsinnige Emancipation vielleicht noch bis zu einem Luxus zu treiben, für den ich ja dort auf dem Simse des Kamins die vollständigsten Vorbereitungen antreffe!

Wingolf zeigte mit zitternder Hand auf einen zierlichen Becher zum Einsammeln von Tabacksasche und einige bunte Papierchen zum Anzünden von Cigarren.

Er nahm den Hut, nahm den Mantel und wollte voll Erschütterung gehen …

Hertha hielt ihn jetzt zurück.

Sie hielt ihn zurück nicht mit dem Gefühl einer im Gemüthe um die Kränkung des Vaters besorgten Tochter, sie hielt ihn zurück mit der Entschlossenheit eines Charakters, der bei seinen Auseinandersetzungen einer überredenden Kraft gewiß zu sein glaubt und im äußersten Falle nur noch Alternativen stellt.

Vater, sagte sie, ich bitte, mir zu gestatten, neben den Rechten, die du über mich ausübst, noch eine andere Autorität einzusetzen, die Rechte eines Mannes, den ich liebe …

Du würdest, fuhr sie, da der Vater zusammenfuhr, ohne zu stocken, fort, du würdest mich glücklich machen, wenn du jetzt bliebest, Vater. Ich lernte einen Rechtsgelehrten kennen, der sich für die akademische Laufbahn vorbereitet, den jungen Doctor Constantin Ulrichs. In 19 Gegenwart der Frau von Zabel sah ich ihn seit vierzehn Tagen fast jeden Abend an diesem Tische, den wir nur deshalb wählen, weil das Nebenzimmer ein unbequemes ist. Constantin Ulrichs ist einer der seltensten Menschen, die aus dieser trüben Gegenwart der Zukunft entgegenreifen. Ich liebe ihn, wie wir Frauen Männer lieben sollen, als den Führer und den Halt meines Daseins. Constantin’s Vorzug vor den Andern, deren Werbung ich zurückwies, ist der, daß die Welt seiner Anschauungen glücklicherweise die meinige ist und daß ich mich stark, gehoben, mit wunderbaren Schwingen mich getragen fühle, wenn ich in sein Auge blicke, von seinem Geiste die Funken in mir selber elektrisch zucken fühle. Constantin ist der älteste Sohn jener genialen Familie Ulrichs in unserer östlichen Universität. Sein Vater ist selbst ein gefeierter Gelehrter, im Fache der Geologie eine Zierde jener Hochschule. Seine Geschwister tragen den Stempel des Genius. Frieda Ulrichs, seine älteste Schwester, ist die Poesie selbst. Vater, ich sage dir mein Geständniß mit der ganzen Sammlung, die der Ernst eines solchen Gefühls und dein Recht auf mich erfordert und ich bitte dich, entweder jetzt, wo wir Constantin erwarten, zu bleiben oder zu gestatten, daß er dich morgen in der Frühe selbst besucht.

Es ist im Leben eines Vaters wol einer der heiligsten Momente, wenn sein Kind, das wie in träumerischer Un-20bekanntschaft mit der Doppelnatur der Menschen aufwuchs, sich plötzlich in die allgemeine Reihe der gleichen Empfindungen aller Herzen stellt und jenen Kreislauf der Jahrtausende, der die zärtlichen Triebe zur Bürgschaft des Menschengeschlechts für sich selbst gemacht hat, in seiner jungen Seele – nun auch fortsetzt! Das gleiche Loos des Glückes, der Schmerzen, der Hoffnung und der Täuschung an Alle ausgeworfen und nun auch da – an mein liebes, holdes, jungfräuliches Kind! Sieht dann ein Vater einen Sohn zum ersten male in dem Bann jener Empfindungen, die dem Jüngling selbst einst das Leben gaben, so wird des Vaters Wort eher zum Staunen, ja zum Scherze geneigt sein; das wilde junge Herz bedarf des Zügels und mancher Vater tobt dann wol mit künstlichem Spott oder mit gemachtem Ingrimm gegen die Frauen überhaupt auf, nennt es ein unwürdiges Geschlecht, ein Geschlecht, nicht der Beachtung werth für einen Jüngling, dem die Welt gehöre. Aber eine Tochter! Bringt ein Vaterherz in solche Erfahrung die Neigung einer Tochter, so wird sein künstlicher Humor, all sein erziehender Spott die Waffen strecken, wird sich mit Rührung und oft mit Schmerz der Nachricht gefangen geben, daß ein so an die Penaten des Hauses gebunden geschienener Geist, eine so stille traumselige Unschuld, die bisher nur ihren Eltern gehörte, nun auch von jenem Baum im Paradiese erfahren haben soll und von den Aepfeln der Erkenntniß, die oft 21 ein ganzes Dasein vergiften! Der Gedanke, ein unbekanntes, wer weiß mit welchen Fügungen der Zukunft bedrohtes fremdes Leben so an sein geliebtes reines Kind herantreten zu sehen, die zarte, nur ihm bisher gehörende Unschuldswange von eines fremden Mannes Hauch und Kuß berührt zu wissen und sein Kind nun hintaumeln zu sehen mit blinder Leidenschaft in ein unter allen Umständen fernes räthselhaftes Schicksal, das kann ihm selbst jene edlere, ja tiefe Eifersucht wecken, die der Mensch in allen Dingen weit mehr sich eingestehen darf, als man so obenhin einzuräumen pflegt, wenn die Eifersucht nur auf das Gute geht und Das, was unsers Werthes Bürgschaft ist. Und mehr als dies, für einen Augenblick kann ein solches Geständniß einem liebenden Vater die Fassung rauben.

Wingolf’s Erschütterung mußte aber noch größer sein.

Denn naht sich den weiblichen Lippen das Geständniß der Liebe ohnehin so langsam, wie eine Schnecke nicht ganz ihr Gehäuse verläßt, so wird es doch vollends vor einem Vater nur ausgesprochen werden fast wie eine Schuld, wie ein Verbotenes und ganz Unsagbares. Der Vater wird das Geständniß hervorlocken müssen und in früherer Zeit war Hertha doch oft erröthet, wenn Wingolf scherzend von einer möglicherweise in ihr aufgetauchten Neigung sprach oder ernsthaft berichten mußte von einer ihr deutlich gezeigten Bewerbung. Daß nun dasselbe Kind sich 22 ihm jetzt so gegenüber stellen konnte, so in einer einzigen ruhigen Rede die Empfindungen bloßlegen, die die Bedingungen ihrer ganzen Zukunft werden mußten, das hätte er sich niemals möglich gedacht. Er konnte wol nicht in Zorn aufwallen; dieses ruhige Bekenntniß, von der festen Willenskraft seines Kindes gegeben, diese sichere Andeutung einer demnächst ihm in Aussicht stehenden Bewerbung, dieses klare Zeugniß für sich selbst, vorgetragen von den jugendlichen Lippen unter einer erblaßten, nicht sich röthenden Färbung der Wangen, unter einem ruhigen Aufschlag der tiefblauen Augen, die klar und stolz in das Angesicht des Vaters blickten, entwaffnete, übermannte ihn. Ohne ein Wort zu erwidern, wandte er sich zum Gehen. Man hörte nebenan die Fragen und unruhigen Erkundigungen der eben lärmend angekommenen Frau von Zabel. Er sagte nur: Gute Nacht, Hertha! wandte sich, ergriff den Drücker der Thür und schied von einer Tochter, die nichts weiter that, der Wirkung ihres Geständnisses sich zu versichern. Sie hatte gesagt, was sie sagen mußte. Die Art, wie man es aufnahm, kümmerte sie nicht.

Der Vater ging.

Constantin Ulrichs! Der Name klang ihm nun – wie doch – ? im Ohre; es war ein Wort wie eine neu entdeckte Insel im fernsten stillen Ocean.

Constantin Ulrichs! Ein solches Wesen also existirte …

Wie der Vater einige Schritte durch die Bosketts der 23 Anlagen zurückgelegt hatte, hörte er hinter sich die Klänge einer Beethoven’schen Sonate auf dem Piano. Er stand still. Das konnte nur Hertha sein, die ihm diese Töne nachsandte. Sie mußte doch mehr ergriffen gewesen sein, als sie zeigte, dachte er zu seinem Trost. Daß Hertha statt der ohne Zweifel eben eintretenden, ohne Zweifel sie mit hundert Fragen bestürmenden Frau von Zabel zu antworten, sich doch still an den offenen Flügel setzte, doch vielleicht in sich erbebend die mächtigen Accorde der Sonate pathétique anschlug, das versöhnte etwas sein Gemüth und Thränen im Auge schritt er weiter.

Eben im Begriff zum Stadtthor einzulenken, bemerkte er am Eingang der Promenade zwei junge Männer im lebhaften Gespräch. Sie schienen in einem Wortwechsel begriffen, dessen Ausbrüche sie nur milderten, wenn in den einsamen Gängen Schritte hörbar wurden.

War der Name Hertha oder Constantin an sein Ohr gedrungen oder welcher Anlaß war es, daß Wingolf stillstand, den Mantel vor die Augen zog und die Streitenden an sich vorüberließ, ja sogar ihnen folgte?

Der Eine war hoch und schlank, unruhig, aufgeregt, der Andere von kleiner Statur und nicht minder in Bewegung. Jener machte dem Kleinen Vorwürfe, ja seine Oberherrschaft über diesen ging so weit, daß dieser sogar sich gefallen ließ, von ihm gedrängt, selbst gerüttelt zu werden.

24 Wingolf, staunend, hörte Vorwürfe, hörte Bezeichnungen, die er hätte deutlicher verstehen können, wäre er ihnen näher geblieben. Der Kleine lachte trotz der Mißhandlung und machte oft wunderliche Sprünge. Zuletzt standen Beide still. Der Größere benutzte das Licht einer Laterne, zog sein Portemonnaie und gab dem Kleinern Geld.

Wingolf hatte die Physiognomieen deutlich übersehen. Der größere war ein junger Mann von geistvollem Gesichtsausdruck, mit dunklem Bart um Lippe und Kinn, der Kleine schien bartlos, war blaß und von einer beweglichen unedlen Physiognomie.

Nachdem der Letztere einige Geldstücke empfangen, begleitete er den unwilligen und aufgeregten Geber in die jenseits des Fahrwegs beginnenden Häuserreihen.

Vor Herthas’s Hause hielten sie in der That an. Der Kleinere erhielt noch mit der Hand ein ziemlich derbes Andenken von dem aufgeregten Größern, der die Klingel zog und verschwand. Wingolf wartete auf den vor ihm vorbeischießenden Gefährten eines Mannes, der also ohne Zweifel Constantin Ulrichs gewesen war …

Dieser hüpfte mehr, als er ging, an ihm vorüber, pfiff, trällerte. Das empfangene Geld schien ihn lustig zu stimmen. Wingolf konnte nicht umhin, ihm zu folgen. Er war im Stadtthore fast dicht an ihm, dann schlug er eine andere Richtung ein, als die seinige hätte sein müssen … 25 Dennoch begleitete er ihn noch eine Strecke. Erst als der Kleine in einem übel berufenen Viertel verschwand, gab er die ihn unwillkürlich ziehende Absicht, wenigstens die Gesichtszüge dieses Gefährten, der sich so leichten Sinnes von Constantin Ulrichs mit Geld ausstatten und dann mißhandeln ließ, genauer ins Auge zu fassen. Es war nicht möglich gewesen. Er bestieg einen Miethwagen und fuhr in seine Wohnung.

Eugenie, Wingolf’s junge Gattin, war noch im Theater. Gewöhnlich wenn sie zurückkam und noch ein einsames Lämpchen an einem Fenster, das in den Hof ging, brennen sah, wußte sie, daß schwierige Arbeiten angekommen und der zärtliche Gatte ihr lieber erst am nächsten Morgen gehörte.

So heute. Wingolf fand heimgekehrt verwickelte und verdrießliche Aufträge.

Es war damals jene vormärzliche Zeit, wo die Feinde der Ordnung nicht wie jetzt in den Handwerkstätten aufgesucht wurden, sondern mehr unter den Studirenden, unter den Gelehrten. Eine Reihe von verdächtigen Namen lag vor dem neuen Verweser der Justiz. Es waren Namen, die er wegen einiger neuentdeckter Dinge in Anklagestand versetzen sollte. Die Verdachtsgründe beruhten auf Thatsachen, die actenmäßig neben ihm aufgeschichtet lagen.

Wingolf las. Ganz hingegeben der schwierigen Auf-26gabe schüttelte er oft den Kopf. Endlich stieß er – erstaunend und betroffen genug – auf einen Namen, den hier zu finden, zu seinem Kummer noch eine neue Verwickelung brachte.

Auch der Doctor der Rechte Constantin Ulrichs stand auf dem Verzeichniß …

Bis tief in die Nacht las Wingolf die Vergehen, deren sich ein Mann schuldig gezeigt haben sollte, der, nach Hertha’s schwerlich je zu beugendem Charakter zu schließen, früher oder später bestimmt war, sein Sohn zu werden.

27 Zweites Capitel.#

Constantin Ulrichs.#

Constantin war deshalb so spät zu Frau von Zabel gekommen, weil er die Widerwärtigkeiten, die ihn bedrohten, schon in Erfahrung gebracht hatte.

Benachbarte größere Staaten gaben den mittlern und kleinern damals und vielleicht noch jetzt die nähern Kennzeichen derjenigen Richtungen an, die sie bei sich nicht dulden sollten. Die Bedrängniß, die dann über den Einen verhängt wurde, kam bald auf die Andern, zu denen Jener sich hielt. Papiere wurden mit Beschlag belegt, Aeußerungen zu Protokoll gegeben und ähnliche Tendenzproceduren vorgenommen, die bei dem eigenthümlichen patriarchalischen Wesen unsers deutschen Staatslebens Vergehungen dieser Art immer wie persönliche Kränkungen der Staatsoberhäupter heraustreten lassen und Dem, der einmal einem solchen Makel verfallen ist, oft sein Leben lang nicht wieder verziehen werden und im Grunde ihm anrathen sollten, den Boden des Vaterlandes für immer zu verlassen.

28 Constantin Ulrichs hatte seine Gefahr an jenem Abend Hertha mitgetheilt.

Man kann sich denken, wie von ihr, der ohnehin schon Aufgeregten, diese Mittheilung aufgenommen wurde. Nicht mit Furcht, sondern mit Entrüstung.

Schon in aller Frühe war sie zu ihrem Vater geeilt und hatte natürlich alle Waffen ihrer neugewonnenen Ueberzeugungen mit sich genommen und angewandt. Wir können nach dem Vorangegangenen die Scene, die zwischen Vater und Tochter sich ereignete, uns ausmalen …

Den Ausgang dieser Unterredung erwartete Constantin in seiner Wohnung.

Er freilich mit großer Spannung und brennender Unruhe. Selbst die geringste üble Folge, die er für seine Person fürchten konnte, Ausweisung aus dieser Stadt, war ihm bei der Beziehung, die er zu Hertha gewonnen, das Verdrießlichste. Verbannt aus Verona, ist aus der Welt verbannt! sagte Julia Capulet in einer Zeit, wo zwischen Mantua und Verona noch keine Eisenbahn ging; aber auch jetzt noch würde Julia Capulet in einem Verbannt von Verona nach Mantua! Schrecken gefunden haben lästigster Art, falls sie nicht zu dem äußersten Mittel griff, mit Romeo nach Mantua zu entfliehen.

Das Verhältniß zwischen Hertha und Constantin hatte sich in dem schon besprochenen Freiherrlich Reisig’schen 29 Hause angeknüpft, in das diesen jungen Mann Empfehlungen eingeführt hatten.

Hertha hatte dort dem Eindruck, den ihr Constantin machte, bald Rede gestanden, hatte beobachtet, wie Constantin’s Gestalt, sein zwar unstetes aber blitzendes Auge, noch mehr aber seine immer sprungweise gegebenen, abgerissenen, den Hinterhalt einer bedeutenden Weltanschauung verrathenden Aeußerungen auf sie wirkten.

Auch er machte diese Entdeckung.

Ob es Liebe war, die Constantin für Hertha Wingolf, die Tochter des Ministers, empfand, ist schwer zu sagen. Constantin stand seinen Gefühlen nicht gern Rede, ja es gehörte zu seinen Grundsätzen, dergleichen Selbstbespiegelung, wie er die Anfänge der Liebe nannte, dergleichen Zergliederung seines Innern zu verwerfen. Er fand das ideale schöne Mädchen gewiß sehr interessant, sehr anregend und zeichnete sie gewiß mit aufrichtiger Hingebung aus.

Man war gewohnt, diesem jungen Manne überall, wo er auftrat, ein großes Uebergewicht über die Gesellschaft einzuräumen. Er hatte sich eine umfassende Menge von Kenntnissen in den verschiedenartigsten Wissensgebieten erworben und in den neuesten Vorkommnissen der Politik und der Naturwissenschaft war er gewiß immer heimisch. Er besaß eine außerordentlich sichere Art der 30 Auseinandersetzung. Jedes Wort, das er sprach, hatte etwas Gewichtiges, selbst wenn er es nur so hinwarf. Selbst sein Zweifel konnte für Andere Dogma werden.

Constantin war ein umsichtiger und erfinderischer Gesellschafter. Er ging auf jeden Scherz der Damen ein, ohne doch im mindesten den häßlichen Schein eines Galopins sich zu erwerben. Man konnte ihn nicht eigentlich gefällig und zuvorkommend nennen, aber er verdarb keinen Scherz und war bereit, an jedem Spiele Theil zu nehmen, selbst mit den ältesten Damen. Kein Wunder, daß Constantin Ulrichs die Seele der Gesellschaften wurde und sich eine Meinung von ihm verbreitete, die für Hertha geradezu wie ein Strom vom ewigen Quell des Lichtes erschien.

Constantin besuchte dann bald auch Frau von Zabel. In der ruhigen Art, mit der er sich in jeder Lage zu geben wußte, wenn er beobachtet wurde, mit derselben fast sieggewohnten Sicherheit zog er ganz in Hertha’s Seele und Leben ein. Er wurde der Schlußstein ihres alten, der Grundstein ihres neuen Systems. Sie bezeichnete ihn ganz einfach: Dies ist ein Mann! Sie hatte nie vor einem Manne Respect gehabt, selbst vor ihrem Vater nicht; denn sie liebte ihn – einen Vater übersieht ein Kind sehr bald in allen seinen Schwächen und nur in der Liebe vergißt man dann ganz, daß man mit vielen Dingen im Leben Nachsicht haben muß – Constantin war der erste 31 Mann, der Hertha auch imponirte. Sie liebte ihn anders als ihren Vater.

War Constantin Ulrichs allein mit sich, so war er freilich ein Anderer, als ihn Hertha kannte.

Er konnte dann seinem Ich den Zügel schießen und sich gehen lassen.

Seinem ältesten Freunde Jean Reps, wie man diesen schon auf der Universität, um den „überwundenen“ Jean Paul zu bezeichnen, nannte (er hieß eigentlich Johann Repse), einem halbverdorbenen Predigtamtscandidaten, hatte er, wie Wingolf beobachten konnte, am Abend vorher das Geld, das er sehr oft in die Lage kam, diesem leihen zu müssen, mit einigen höchst wahrscheinlich verdienten Rippenstößen gegeben. Constantin war auswärts nonchalant, im Hause oft pedantisch bis, wie Jean Reps sagte, zum Zopf. Constantin schmählte oft, wenn er die Seinigen besuchte und die bei ihnen herrschende etwas geniale Wirthschaft wiedersah. Er leugnete die meisten feststehenden Thatsachen, nur nicht seine Kleider, seine Wäsche, seine Schreibmaterialien, die Geräthschaften der Toilette, die er sehr gewissenhaft zu machen pflegte und ähnliche sehr wichtige und auf entschiedenste Stabilität angewiesene Dinge.

Zu den Ausnahmen von jener allgemeinen Unbeständigkeit der Begriffe, die ihm das Weltall zu erfüllen schien, rechnete Constantin noch seine Cigarren und seinen Kaffee.

32 Er konnte über neue philosophische Lehrgebäude, die in Gestalt eines vom Buchhändler ihm zugesandten Buchs sich vorstellten, höchst witzig spotten, konnte den Unsinn „unmöglicher Beweisführungen“, wie er sagte, sehr treffend von sich weisen, aber ein Werk über die echte Kaffeezubereitung der Levante studirte er andächtig.

An dieser Lieblingsbeschäftigung der Frühstückszubereitung pflegte sich Jean Reps fast jeden Morgen, den Freund noch aus den Federn klopfend, zu betheiligen.

Und so trat er auch heute in charakteristischer Sicherheit durch die weit aufgerissene Thürpforte, rief einen Guten Morgen! und warf sich in die Sofaecke, die schon seit Jahren erb- und eigenthümlich ihm gehörte.

Und Constantin, der gerade am Fenster mit dem Filtriren seines Mokka beschäftigt war, erwiderte nicht einmal den Gruß. Er nahm den Freund wie ein Fürst seine Höflinge zum Lever an.

Constantin konnte mit Jean Reps Vieles, vielleicht Alles machen, was er wollte. Daraus ergab sich eine sonderbare Position. Jean Reps war Constantin eine Last und doch bedurfte er seiner. Jean Reps war so zu sagen für Constantin’s Hofstaat der Ceremonienmeister. Dieser zwei bis drei Jahre ältere Busen-, Schul- und Universitätsfreund, Sohn geringer Aeltern, von Stipendien aufgefüttert, krummbuckelnd durch die Welt gegangen, war der Leibpage und erste Mammeluk seines jüngern 33 und bedeutsamer entwickelten Freundes. Er schlug schon seit Jahren vor ihm die Pauken der Bewunderung und rasselte mit den Schellen seines von ihm verbreiteten Ruhmes.

Constantin Ulrichs, Pascha der Geistreichigkeit von drei Roßschweifen, mußte Jean Reps das Verdienst einräumen, daß er, wie dies bei den größten Talenten nie zu verschmähen ist, ihm in seinen Erfolgen nachgeholfen hatte. Johann Repse hatte ihm überall die Wege bereitet, nannte sich seines Meisters Johannes, streute ihm Palmen und Baumzweige auf den Weg, rief ihm Hosianna und trank dafür natürlich fast jeden Morgen bei Constantin den Kaffee, plünderte seine Eßvorräthe, seine Cigarren, bemächtigte sich auch wol seines Schreibsecretärschlüssels und veranlaßte Constantin oft zu der Bemerkung, er wolle diese offenbaren Diebeseinbrüche bei ihm ertragen, so lange sie nicht hinter seinem Rücken geschähen. Wenn Constantin irgendwo öffentlich zu essen pflegte, fehlte gewiß sein Freund nicht und nur die Abende behielt sich Jean Reps für sich und widmete sie seinen altstudentischen Neigungen, die gewöhnlich bei seinem ungeheuren Biergenuß mit einem Rückfall in eine Form von Genialität endeten, die Constantin Ulrichs nicht leiden mochte und nie gelitten hatte. Man konnte von beiden Freunden sagen, sie hatten, wie der Dichter singt, ihre Sache auf Nichts gestellt, allein das Nichts Constantin’s war ein Nichts, in dem 34 die Negation des Weltalls noch den Salon übrig ließ, bei Jean Reps aber nur noch die Realität der Kneipe.

Der Verdruß über die Gefahren, die sich über ihren Häuptern zusammengezogen, war bei Jean Reps und Constantin ein gemeinsamer.

Auch in Betreff der lindesten Form, der Ausweisung, da Jean Reps nach Constantinʼs Ausdruck von irgend einer „achtbaren Bürgerlichkeit“ gefesselt war.

Das Verdrießliche mehrte sich, weil beide Freunde in die Lage kommen sollten, weit weniger für ihre eigenen Irrthümer oder Vergehungen zu leiden als wegen fremder Verschuldung.

Es war vorzugsweise ein anderer junger Mann, der schon in ein Amt eingetreten war, Namens Eberhard Ott, der eine gewisse Gemeinschaftlichkeit errichtet hatte, einen Lesekreis, in welchem meist solche Schriften circulirten, die verboten oder schwierig anzuschaffen waren.

Aus diesem Leseclub war manche andere solidarische That entstanden, die Jeden traf, auch wenn man bei der Abstimmung gefehlt oder, wie es von Julius Cäsar und Constantin Ulrichs hieß, durch „Abwesenheit geglänzt“ hatte.

Da waren flüchtige oder abgesetzte Lehrer unterstützt worden, Sammlungen veranstaltet, von begeisterten Frauen Lotterieen eingeleitet, kurz, man wird sich jener Zeit erinnern, die auf dem Gebiete der Wissenschaft, der Kirche und des theoretischen Staates Märtyrer genug sah.

35 Diese organisirte Uebereinstimmung der Gemüther sollte nun ausgerottet, aufgehoben, ja bestraft werden und für Eberhard Ott besonders konnte die Wendung die gefährlichere werden, da gerade er im Begriff stand, in die Provinz, eben in jene östliche Universitätsstadt H., abzureisen, um daselbst schon die glücklich errungene Stelle eines Assessors, also in festem Staatsdienste, anzutreten.

Da in jener Stadt auch Constantins’s Familie lebte, hätte es nicht Wunder nehmen dürfen, daß Eberhard Ott bald dem schon an Constantin’s Kaffeetisch schwelgenden Jean Reps – („still und bewegt“ nannte es Ersterer) – auf dem Fuße folgte.

Er wollte vielleicht nach Aufträgen für Constantin’s Familie fragen oder die gemeinsame Gefahr mit dem sonst für unverwundbar geltenden Doctor besprechen.

Daß Constantin selbst nur ein unverwundbarer Achilles war, gehörte zu den Wirkungen jener Verheißungs- und Prophetenthumshuldigung, die Jean Reps für ihn seit Jahren anzubahnen verstanden. Mit Dem ist das Glück! Das stand fest. Siegfried und Achill war er Allen, die mit oder bald vor oder bald nach ihm studirt hatten.

Um die Aehnlichkeit mit Achill oder Siegfried noch zu erhöhen, sprach man oft in einem unendlich geheimnißvollen Tone von gewissen Stellen, wo allerdings auch Constantin zu den Sterblichen gehörte.

36 Ja, pflegte Jean Reps wol zu sagen: Der Koloß von Rhodus macht regelmäßig einen Entrechat, wenn man seinen schlechten Kaffee gut finden soll – – es gehört nämlich zur Eigenschaft solcher Naturen, wie Jean Reps, daß sie Das, was sie borg- oder schenkweise erhalten, nur als in Gnaden empfangen quittiren und sich zuletzt doch immer noch durch den Tadel des Geschenkten, wie es Constantin bei anderer Gelegenheit nannte, den „freien und unbefangenen Standpunkt“ erhalten.

Heute war Reps nahe daran, seines Freundes geheime Blöße die Furcht zu nennen. Nicht die gemeine Furcht, sondern die Furcht vor dem Unbequemen und Widerwärtigen. In den nergelnden Worten, die Constantin beim Filtriren unaufhörlich über den „Scandal“ und den „Unsinn der Zeit“ ausrief, lag eine Bestätigung dieser Annahme. Doch Reps klammerte sich an die gute Wirkung der Vermittelungen Hertha’s, verbat sich die aristokratischen Anzüglichkeiten seines „gesinnungslosen“ Freundes und als dann Eberhard Ott eintrat, ein ruhiger, gelassener Mann, eine stille und ernste Natur, da kam Fassung und Haltung in das gemeinsame Gespräch. Man verständigte sich über die Aussagen, die man zu geben gedächte, sprach die Gefahren durch, denen man mit Ergebung entgegenharren wollte und zeigte sich, auch wenn man durch Hertha die bösen Gerüchte bestätigt hören würde, von einer Festigkeit, die unter dem Einflusse der 37 sittlichen Natur eines Mannes wie Eberhard stand und nun nicht mehr wanken wollte und nicht weichen.

Als diese Verabredung zu Ende, das Frühstück verzehrt war und Eberhard, der noch heute zu reisen gedachte, Abschied nehmen wollte, sagte Reps:

Bleiben Sie noch, Ott! Constantin hat ja einen Auftrag für Sie.

Einen Auftrag, Ulrichs? fragte Eberhard ohne auf Reps zu sehen, den er ignorirte und nur seiner Anhänglichkeit an Constantin wegen duldete.

Für Ihre Eltern? Für Wen? Mit Vergnügen bin ich bereit.

Constantin erhob sich.

Etwas verlegen ging er im Zimmer einmal auf und nieder, schloß dann seinen Schreibsecretär, nahm aus einem Schubfache einen Ring und sagte zu dem erwartungsvoll den Hut wieder wegsetzenden Freund:

Ja, lieber Ott! Es ist dies eine eigene Commission. Reps kennt den Gegenstand. Es ist mit drei Worten allerdings ein Gefallen, den Sie mir thun müssen.

Mit Freuden! erwiderte Eberhard und war gespannt.

Mit dem Ringe spielend, trug Constantin dann seine Angelegenheit vor.

Es war eine Herzenssache.

Seit Jahren, erzählte Constantin, feßle ihn an ein junges Mädchen in Liederbach, einem Dorfe, dicht an 38 dem Aufenthaltsorte seiner Aeltern, ein Verlöbniß. Es wäre diese seine Verlobte die Tochter des dortigen Pfarrers.

Constantin erzählte, er hätte schon auf der lateinischen Schule in H. die Spaziergänge nach Liederbach vorzugsweise geliebt, hätte gern den Pfarrer besucht, Agnes, seine Tochter, sich damals „möglichst idealisirt,“ hätte im „gemüthlichen Anflug“ auch seine Geschwister öfters mithinausgenommen und so wäre denn eine Studentenliebe entstanden, der die Gewöhnung Bindekraft, jeweilige Abschiede und Briefwechsel eine Art von Poesie gegeben hätten und Agnes Planer wäre ein Mädchen, das Manchen glücklich machen könnte, der auf dem Standpunkte der Idylle – Jean Reps rief Mercutios’ Worte dazwischen: O Fleisch, Fleisch, was bist du verfischt worden! – stehenzubleiben gedächte. Diesen Roman müsse er abbrechen. Die Bekanntschaft mit Hertha Wingolf, der Tochter des Ministers, höbe ihn auf. Was auch für Chicanen vom Geschick zunächst zu fürchten wären, für Hertha Wingolf sage die großartige Auffassung, mit der sie den Bund ihres Herzens und Geistes mit ihm geschlossen, in dem Grade gut, daß er sich eilen müsse, „störende Vergangenheit“ abzuthun. Hertha wisse bereits von der Existenz einer Agnes Planer. Er hätte ihr sogleich diesen Beweis von Offenheit um so unbefangener geben dürfen, als er voraussehen konnte, wie sie ein solches Geständniß aufnehmen würde. Sie hätte erst eine Weile 39 geschwiegen, dann gefragt: War sie von Ihnen geliebt? Er hätte mit voller Wahrheit eingestehen dürfen, daß diese Liebe in ihm eine längst überwundene wäre und Hertha hätte dann aus ihren Locken wahrhaft schwermüthig in die dunkeln gerade am Horizont vorüberziehenden Wolken geblickt und vor sich hin die Worte gesprochen: Die Welt ist trüb!… Dann hätte Constantin seiner eigenen beklemmenden Ungewißheit über Hertha’s Empfindungen dadurch ein Ende gemacht, daß er seinen Lieblingssatz ausgesprochen: „Die Welt leidet ja nur an den Widersprüchen, in welche wir uns selbst mit ihr setzen; folgten wir immer der Natur und gäben uns so, wie es uns Bedürfniß ist, dann könnten wir eine Ahnung von Dem gewinnen, was es heißt, Herrscher der Erde zu sein …“ da hätte sich Hertha gewandt und nur allein noch die Worte gesprochen: Constantin, folgen Sie Ihrem Triebe! Von diesem Augenblicke an wäre Agnes Planer nicht mehr für ihn da und es käme nur noch darauf an, mit einer gewissen Ruhe und Schonung Agnes in Liederbach von dieser Wendung in Kenntniß zu setzen.…

Constantin legte die Cigarre fort.

Verrieth er, als er sich zum Vollstrecker seines traurigen Auftrags gerade Eberhard Ott wählte, darin große Menschenkenntniß, daß er ein mildes Gemüth wählte, so durfte er seine Wahl noch gelungener nennen, wenn er seiner Schwester Frieda gedachte.

40 Eberhard Ott liebte Frieda Ulrichs.

Es war keine Täuschung seines scharfen Auges, wenn Constantin sich sagte, es zöge Eberhard mit Zugvogelsehnsucht nach dem Orte hin, wo ein seit ihrer letzten Anwesenheit in der Residenz alle Gedanken Eberhard’s erfüllendes Mädchen wohnte und einen ganzen Ort, wie man erzählte, bezaubere.

Mußte nicht Eberhard geneigt sein, sich den Bruder eines so geliebten Wesens und die Familie zu verbinden?

Noch mehr. Eberhard war gerecht genug, einzusehen, daß die ihm dem Namen nach wohlbekannte Hertha Wingolf, von der die Residenz genug zu sprechen hatte, die Tochter eines möglicherweise künftigen Chefs der ganzen Landes-Verwaltung und Förderers der Lebensschicksale Constantin’s, sein Herz mehr erfüllen durfte als jener „Irrthum von Liederbach“, wie Constantin sagte, und daß es im Leben eines jungen Mannes Krisen geben könne, wo man vor einer Vergangenheit steht wie wiederum nach Constantin’s oft gebrauchtem Ausdrucke „die Schlange vor ihrer jährlich abgelegten Haut.“

Agnes Planer – wer konnte sie sein? Ein Pfarrerskind, verblühend schon, ohne Reiz für einen entwickelten jungen Mann, der eine Bedeutsamkeit ersten Ranges war, wofür Constantin allerdings auch von Eberhard Ott anerkannt wurde.

Und da nun in Constantin’s Worten nichts vorge-41kommen war, was seinen eigenen Sinn verletzt hatte, so ergriff Eberhard ruhig dessen Hand und sagte:

Mein lieber Ulrichs, Sie geben mir einen Auftrag, der fast wie das Ansagensollen eines Todesfalles klingt. Eintreten müssen in jene kleine Hütte und berichten: Aermste, dir ist in der Ferne dein Lieb gestorben!… In der That.…

Es ist noch nicht lang, daß’s geregnet hat, fiel Reps weinerlich singend ein. Die Blätter, die tröpfeln noch. Ach! Ich hab einmal einen Schatz gehabt. Ach! Ich wolltʼ, ich hättʼ ihn noch!

Constantin lachte über den bösen Einfall.

Eberhard aber, sich nur ein wenig umwendend zu dem auf dem Sofa sich streckenden Spötter, warf ruhig dazwischen:

Sie sind ein sehr elender Mensch, Repse! Man möchte glauben, das Wunder von dem Gergesener See wäre wahr gewesen und in Ihnen stäke wirklich noch so eine Seele von dem Borstenvieh, das damals aus den Besessenen fuhr! Es gibt in der That nichts Verruchteres als einen gefallenen und doch noch frechen Priester. Wer dem Heiligsten, was der Mensch verehrt, administrirte und die Handgriffe kennt, die die Menschheit sich als Geberde des Segens denkt und dann seitabwärts tritt und seinem und Anderer Gotte Grimassen macht, der ist denn doch schon der schlechteste Kerl von der Welt. Wir Andern 42 sind allerdings auch gottlos und fallen auch von unserer Kindheit und unserm poetischen Glauben ab, aber so höhnisch fletschen wir doch nicht die Zähne und kokettiren sogar mit unserm Abfall wie Einer dann von euerm Gelichter!

Zum Henker! polterte Reps auf, was quälen Sie sich denn mit Ihrem Pathos! Ulrichs fängt an Diplomat zu werden. Ich hatte mich schon gefreut, die Reise nach Liederbach auf gemeinschaftliche Kosten zu machen. Dem alten Planer wollt’ ich seine Würste und Eier vertilgen helfen und dabei so auf Constantin im Allgemeinen schimpfen, daß sie’s gleich hätten merken müssen, was ich so von hinten herum und über die Speisekammer weg im Besondern sagen wollte. Weshalb sollen gerade Sie gehen? Weil Fräulein Hertha eine Mutter hat, die sich Eugenie von Saalfeld nennt? Weil diese jenen Mann, der Planer von Liederbach heißt, zufällig sehr genau kennt und Ergo – weil Seiner Gnaden Graf Ulrichs nicht wollen, daß man von der Mördergrube seines Herzens.…

Weiter kam Jean Reps nicht.

Mitten in seiner Auslegung hatte ihn Constantin schon ergriffen und mit zwei kräftigen Muskelbewegungen vom Sofa weggeschleudert und zur Thür hinausgeworfen.

Ein alter Hut flog ihm nach.

Der Riegel wurde zugeschoben.

Constantin stand in sonst ungewohnter Heftigkeit. 43 Die Flügel seiner Nase gingen auf und ab, das untrügliche Zeichen eines Zornes, der sich nicht verstellt. Er sagte:

Glauben Sie nicht, Ott, daß ich diesen traurigen Schritt mit solchen Berechnungen mache! Allerdings ist es wahr, es ist hier ein eigenes Zusammentreffen. Die junge Wingolf, die Frau des Alten, ist zufällig vom Pfarrer Planer erzogen worden. Da ihre Mutter früh starb, gab sie ihr Vater nach Stiftshof, einem dicht bei Liederbach gelegenen Schlosse eines Freundes. Dort von Liederbach aus unterrichtete Planer mehre Jahre lang einen Kreis junger adeliger Damen. Ich weiß nicht, besteht die Verbindung zwischen dem alten Planer und der jetzigen Geheimräthin noch oder ist sie abgebrochen; kurz, mein Verlöbniß mit Agnes wird ihr nicht ganz Geheimniß sein. Erfährt sie nun diesen Bruch, so bin ich wol über die Wirkung, die daraus für mich und Hertha entstehen würde, sehr beruhigt. Anders aber könnte allenfalls die Wirkung auf den Vater sein. Ich habe bisher diese ganze adelige Coterie und Alles, was dazu gehört, wie Sie aus meinen Gesinnungen wissen, wenig geachtet, aber es kann mir nicht gleichgültig sein, wenn ich zu gewärtigen hätte, vor Hertha’s Aeltern in so unmittelbar ihnen ersichtlichem Lichte des Wortbruchs dazustehen. Die Trennung Hertha’s von ihrem Vater kann ich nicht billigen und unterstütze sie nicht; doch für Hertha’s Sinn läge ein Wagniß 44 darin, die Rückkehr zu ihm mit Eifer zu befördern oder wol gar zu verlangen. Erschein’ ich aber so dem Vater schon als Störenfried seines Hauses, denken Sie sich dann ferner unsere Calamität mit dem so übelgedeuteten Verein und die Verdächtigung unserer Ansichten, so werden Sie mir eingestehen, daß ich wenigstens in Liederbach eines Anwalts bedarf, der meine Handlungsweise dort schonend vorträgt und mich vor dem grellen Aufschrei der dortigen Verletzung sicherstellt. Agnes ist empfindlerisch, sie wird ein trauriges Wesen machen. Der Vater ist ein Brausekopf, ein Gegner unserer Richtung. Ich gewärtige unter solchen Umständen einen Wirrwarr, vor dem ich geschützt sein muß und deshalb bitte ich Sie, lieber Ott, halten Sie mir in dem gegenwärtigen Handel da in Liederbach wenigstens so lange die Partie, bis sich meine jedenfalls unendlich interessante Beziehung zu Hertha Wingolf geregelt hat. Seit gestern weiß der Vater von ihrer Neigung. Er erfuhr sie in demselben Augenblicke, wo es von ihm abhängen wird, ob gegen uns Untersuchung aufgenommen werden soll oder nicht. Mit Ungeduld erwart’ ich von Hertha die Nachricht, was sie eben bei dem Geheimrath ausgerichtet hat. Sagen Sie mir aufrichtig, was Sie von dem Allen denken? Und sprechen Sie gerade heraus. Ich kann Ihre Kritik ertragen.

Constantin gehörte zu den Menschen, die die geborenen Herrscher des Augenblicks sind.

45 Man hört nicht ihren Gründen und Meinungen zu, sondern nur der Art, wie sie sie vorzutragen wissen.

Diese imperatorischen Charaktere haben immer Recht. Sie brauchen nur einfach die Frage zu stellen: Ja oder Nein? und die Zuhörer, entzückt mehr von der Macht ihrer Persönlichkeit als von den Gründen ihrer Auseinandersetzung, geben unbedingt ihre Zustimmung, vertrauend schon dem Zeichen des Siegs, das für alle und selbst die schwierigsten Lebenslagen auf die Stirn dieser berufenen Menschen gedrückt ist und das sogar der ganzen Gattung als solcher, als bewußter Menschheit, wohlthut.

So ging es auch dem in allen andern Beziehungen nicht minder selbständigen und ernsten Eberhard.

Mochte es sein, daß durch die Worte, die Constantin sprach, immer die Lieder summten, die einst Frieda hier auf diesem Zimmer beim Bruder geträllert hatte oder daß die braunen Augen, in die er sein ganzes Sinnen schon seit Monaten versenkt hatte, um ihn her blitzten und so funkelnd hüpften, wie Frieda selbst zu hüpfen und vom Sofa zum Fenster, vom Fenster zum Tisch zu gaukeln pflegte, Eberhard konnte Alles, was ihm Constantin vortrug, nur sehr vernünftig, sehr billig, sehr zweckmäßig finden und versprach, sich dem Auftrage in Liederbach schon an dem ersten Tage seiner Ankunft in H. mit aller nur möglichen Schonung zu unterziehen.

46 Er entfernte sich, nachdem man noch für den Fall, daß die über ihnen Allen schwebende Wolke einer politischen Behelligung sich wirklich entladen und ihre kleinen grünen Lebensernten auf lange Zeit zerstören sollte, einige Verabredungen getroffen hatte.

Als Eberhard schon die Thür in der Hand hatte, rief ihm Constantin noch einmal nach, griff auf seinen Schreibsecretär, auf dessen Sims er den Ring gelegt hatte und gab ihm noch dies fast vergessene Symbol mit.

Eberhard steckte mit ruhiger Hingebung den fremden Verlobungsring an seinen Finger und noch an demselben Tage Nachmittags verließ er die Residenz.

Die Freunde waren bis dahin unangefochten geblieben.

47 Drittes Capitel.#

Rechte und Pflichten.#

Die Erfolge des Morgenbesuchs, den Hertha schon in aller Frühe bei ihrem Vater gemacht hatte, waren nicht die erfreulichsten gewesen.

Wingolf konnte und durfte sich der Auffassung nicht entziehen, die für die vorliegenden Vergehen einmal die officielle geworden war.

Er selbst hatte wol einen freien Ueberblick der Zeit und kannte noch ganz den Trieb der Verfolgung nicht, der bei Staatsdienern, die im Amte solcher politischen oder Tendenzinquisitionen zu lange stehen, zuletzt eine förmliche Manie werden kann, – eine Manie, bei der es wenigstens in Frankreich schon vorgekommen ist, daß Spürkräfte, denen der Ruhm auch zu vieler Erfolge geworden, bei neuen Entdeckungen, die sie gemacht haben wollten, in den Verdacht geriethen, das so überaus Gefährliche oft selbst angestiftet oder wenigstens sich den Fund gerade so zurechtgelegt zu haben, wie sie ihn recht effectvoll betreffen wollten –.

48 Von diesem Fanatismus war Wingolf frei. Dennoch konnte er sich den einmal zur Pflicht gemachten Auffassungen nicht entziehen.

Ein Niederschlagen dieser ihm mitgetheilten Vergehen war ebenso unmöglich, wie gar ein Vertheidigen und Rechtfertigen, was Hertha verlangte. Nach Hertha’s Sinne hätte der Vater nichts Anderes thun sollen, als die Sache der bedrohten Neuerer ganz zu seiner eigenen machen und dem Fürsten und den Ministern und der bestehenden Gesellschaft zurufen: Ihr Alle seid auf dem Wege des Wahns und früher oder später verfallt ihr dem schrecklichsten Verderben!

Hertha fand es entsetzlich, daß Wingolf, so ernst sein Auge blickte, über diesen Vorschlag sich eines Lächelns nicht erwehren konnte.

Eugenie hatte allerdings von Wingolf kaum den Namen der Herzenswahl ihrer Freundin vernommen, so hatte sie ausgerufen:

Constantin Ulrichs? So heißt ja der Verlobte der Agnes in Liederbach!

Auch über dies Zusammentreffen war die Erörterung Hertha’s mit dem Vater peinlich genug. Wingolf lehnte jede Gemeinschaft mit einem ihm so zweideutig sich aufdrängenden Sohne ab. Und auch dieser Ausdruck empörte Hertha. Es trat ein förmlicher Bruch zwischen Vater und 49 Tochter ein. Die Welt bekam Stoff zur üblichen Verbreitung.

Jene Zeit, kurz vor den Februartagen des Jahres 1848, war in vieler Hinsicht vorurtheilsfreier als die gegenwärtige.

Man hatte damals nur an ideelle Umwälzungen geglaubt. Erst später, als man erfahren mußte, daß sich die Revolutionen nicht in Glaceehandschuhen machen, hat sich die jetzt herrschende Abneigung fast gegen alle idealen Auffassungen des Lebens und der Sitte eingestellt, eine Abneigung, die man in jenen Tagen selbst in solchen Kreisen nicht kannte, deren Interessen auf die Erhaltung des Bestehenden angewiesen sind. Constantin lebte schon lange, mannichfach empfohlen, in der großen Welt und Hertha erntete dort manche Zustimmung. Viele fanden den Schritt des Vaters, in seinen Jahren noch einmal sich zu vermählen, in der That unverzeihlich, die Wahl einer Freundin der Tochter gegen diese unzart und rühmten Hertha, wenn sie ihrem starken Geiste hinlänglich vertraute, um sich ein Schicksal selbst zu gründen.

Es war in dem allgesuchten glänzenden Reisig’schen Hause, wo Hertha eines Abends in die Lage kam, Eugenien, ihrer Mutter, die sie seit ihrer Heirath vermieden und noch nicht gesprochen hatte, zu begegnen.

Die Gemahlin des Freiherrn von Reisig, eines reichen 50 Privatmanns, durfte sich beiden Gegnerinnen Freundin nennen.

Auch sie, eine Geborene von Landschütz, von jenem Stiftshofe zwischen H. und Liederbach, hatte einen Witwer geheirathet, dem sie die Kinder der ersten Ehe mit liebevoller Sorgfalt erzog. Aber sie achtete Hertha’s Verstimmung; sie hatte das junge Mädchen besonders gern und bei ihr war es, wo die Tochter des dirigirenden Justizchefs musikalischen Unterricht ertheilen wollte, ein Plan, den Wingolf störte. Julie von Reisig suchte nun schon oft die streitenden Elemente zu versöhnen. Sie gehörte zu jenen natürlichen Wesen, die gern die Rückhaltungen durchkreuzen. Manchem Wunder wie eingebildeten Weltmenschen, manchem klugen Lebensphilosophen hatte sie schon die künstlichste Verstrickung, mit der solche sich zu geben pflegen, mit einem absichtlich ausgeplauderten Geheimnisse oder mit offenherzig ausgesprochenen Vermuthungen zerrissen. Schon manchen sich gegenseitig mit großer Hochachtung behandelnden Feinden hatte sie gesagt, wenn es bei ihr zum Mittags- oder Abendtische ging: Kommen Sie! Setzen Sie sich Beide zusammen! Sie können sich zwar nicht leiden, aber es wird gut thun, wenn sie sich besser kennen lernen!… Da man diese Art, die bei Julien aus einem guten und fröhlichen Herzen und aus einem sorglosen Blick ins Leben entstand, bei ihr hinlänglich kannte, so gab sich in ihren Sälen und stillern Plau-51dercabineten Alles mit größter Natürlichkeit. Schon manche Aussöhnung war bei ihr zu Stande gekommen und auch in’s Wingolf’sche Haus wollte sie durchaus Frieden und Eintracht bringen. Sie entschloß sich, zur List ihre Zuflucht zu nehmen.

Es war ihr Geburtstag.

Ihr zuvorkommender Gatte machte dem ausgedehnten Kreise ihrer Bekanntschaften die geheime Anzeige, er bäte, sich am Abend dieses Tages bei ihm ohne besondere Einladung einzufinden und ihm Gelegenheit zu geben, seine Gemahlin durch ein improvisirtes Fest zu überraschen.

Wer hätte da zurückbleiben dürfen? Nie waren die Räume des Reisig’schen Hauses so gefüllt, so glänzend und so gemischt aus allen Ständen und Lebensberufen.

So haben Sie’s recht gemacht! sagte auch über diese Mischung hocherfreut Hertha eintretend zum Wirthe. Das ist doch einmal ein Tag, wo man Menschen, nicht eure sogenannte Gesellschaft sieht!

Julie hatte die Genugthuung, ohne sich eines Verstoßes gegen die Gesetze der Schicklichkeit anzuklagen, heute den Vater, die Tochter, die junge Mutter und den auch ihr sehr werthen und allbeliebten Doctor Constantin Ulrichs in Einem Salon vereinigt hoffen zu dürfen.

Doch nur für Hertha und Eugenie schlug ihr freundschaftlicher Plan ein. Der Geheimrath konnte erst spä-52ter kommen, da eine sehr ernste Ministersitzung gerade für diesen Abend anberaumt war, eine Sitzung, die sich, wie schon oft geschehen, in die Nacht ziehen konnte. Constantin hatte den Gegenstand derselben in Erfahrung gebracht. Es handelte sich um die endliche Entscheidung über die Maßnahmen, die man gegen ihn und seine Genossen ergreifen wollte. So blieb auch er aus. Er betrieb die Zurüstung einer möglichst schnellen Entfernung, die für diesen Fall längst die wenn auch schmerzlichgegebene doch unabweisliche Zustimmung Hertha’s gefunden hatte.

Hertha’s junge Mutter, ihre Freundin Eugenie, fand sich vorläufig allein ein. In einem kleinen Gemache, das einer überwölbten Weinlaube glich, wurde Hertha von Julien so gestellt und in die Enge getrieben, daß jene nicht entschlüpfen konnte, und ein tiefherzliches „Aber Hertha! Hertha!“ war Eugenien’s Gruß, dargeboten der Freundin, deren Mutter sie geworden und die sie in dieser Eigenschaft heute zum ersten male sprach.

Julie ließ die Gegnerinnen allein.

Auf einem kleinen Sofa saßen sie dicht beisammen, Hertha mit dem Schmuck ihrer edeln Einfachheit, Eugenie mit dem äußren Glanze, der ihrer Stellung gebührte.

Eugenie war kleiner als Hertha, runder, weicher. Ihr schwarzseidnes, im Sitzen sich bauschendes Kleid zurückschlagend, beantwortete sie die gleichgültigen Fragen, die Hertha, um den trennenden Differenzen auszuweichen, 53 sogleich rasch an sie richtete, nur flüchtig und kam auf ihr „Aber Hertha! Hertha!“ immer wieder zurück mit dem ganzen Schmelz, der dem guten weiblichen Herzen ein Arsenal von feindlichen Waffen zu Füßen legen kann, wenn ein solcher Ton vom Herzen kommt und wieder auch zum Herzen geht.

Wie konnt’ ich denn anders als fliehen, sagte aber Hertha zu Eugenien, wie konnt’ ich den Vater im ausbrechenden Nachfrühling seiner Empfindungen stören wollen! Nachfrühling; so nannt’ er seine Liebe und ich will glauben an die Möglichkeit, daß auf dem Scheitel eines Mannes die Locke schon sich silbern färbt und vor dem Winter doch noch einmal seine Zweige Blüten treiben! Es hat mich mit unaussprechlicher Trauer erfüllt, als ich diese Erfahrung machte – und mit dir! Mit dir! Doch kein Vorwurf! Ich will’s verstehen dies Bedürfniß des Glücks und der Liebe und du hast vielleicht Recht gethan, als du ein solches Opfer deiner eigenen Jugend brachtest.

O Schwester! unterbrach Eugenie und pries Wingolf’s Herz und Charakter mit dem einzigen: Er ist so gut, so gut – –

Als sie mit der Schilderung seiner Werbung, ihrer Beklommenheit, ihrer Furcht vor der Freundin geendet hatte, lenkte sie auf Hertha ein.

Ein weibliches Herz, das Liebende in Nöthen sieht, wird sich immer berufen fühlen, zu helfen.

54 Sie sprach von Constantin.

Hertha wies die Anklagen des Geliebten zurück.

Eberhard Ott war ja seit acht Tagen fern, hatte ja geschrieben, hatte ja Versicherungen gegeben, daß man sich über den Liederbacher Eindruck von Constantin’s veränderter Gesinnung vollkommen beruhigen könnte.

So schwand schon dieser Makel von Constantin’s Bilde und Eugenie durfte immerhin sagen:

Ich kenne dies sanfte und einfache Mädchen, schätze sie und weiß, daß ihr der ganze Himmel ihres Lebens zusammenbricht mit dem Verluste Constantin’s!

Mußte sie doch auch hinzusetzen: Aber ich verdenke es einem Manne, wie Ulrichs, nicht, wenn er sich von Jugendfesseln dieser Art befreit im Besitz einer Liebe, die ihm eine Hertha widmet!

Sie ließ dann die Aeußerung fallen:

Für dich selbst aber müßte es peinlich sein, Hertha, dir ein fernes, einsam trauerndes Mädchen zu denken, dem du doch all sein Lebensglück genommen haben wirst?

Sie that diese Frage, weil sie von Constantin keine günstige Wirkung auf die Freundin überhaupt erwartete.

Darauf erwiderte Hertha mit ihrer gewohnten feierlichen Redestellung.

Ein Bedenken dieser Art erfaßte mich, als mir Constantin’s Geständniß einen Beweis seiner Aufrichtigkeit 55 gab. Ich prüfte mich und erkannte eine neue Veranlassung zu jenem Cultus der Wahrheit, dem wir leider weniger Opfer darbringen, als dieser quälenden, kleinlichen, unsere ganze Gesellschaft untergrabenden Lüge. Ich sollte also nun auch handeln nach jener unglückseligen Weltordnung, die wir zur herrschenden gemacht haben, nach jener Theorie der Entsagung, die der Fluch des modernen Daseins ist? Nein, Eugenie! Diese Selbstkasteiung, die in einem solchen Falle verlangt, daß ich mein Heil allein in Thränen suche, halt’ ich für das jammervolle Symptom des großen Siechthums in allen unsern Empfindungen und Handlungen, eines Siechthums, von dem die antike Welt nichts wußte und dadurch groß war. Ich bin nicht willens, hierin dem Allgemeinen zu folgen. Ich will ruhig ertragen, daß man mich verurtheilt. Wohl fühl’ ich, daß es Muth kostet solche Entschlüsse zu fassen und weit entfernt bin ich, den Ernst, den sie hervorrufen, aus meiner Seele zu bannen oder leichtsinnig wegzutändeln, aber ich werde mich nicht dem Gewöhnlichen beugen, ich werde diese, allerdings überbleibende herbe Empfindung des Gemüths als die unausweichliche Folge tragen, die nicht ausbleiben kann, wenn wir aus uns einmal anerzogenen und angeborenen Gesinnungen heraus es wagen, eine neue Welt nach Kräften miterbauen zu helfen.

56 Eugeniens einzige Erwiderung war auf die Gefahren gerichtet, denen ihr Hertha entgegenzugehen schiene.

Da flammte Hertha auf und rief:

Gefahren? Wo sind sie denn drohender als da, wo wir dem gemeinen Laufe der Dinge folgen? Sich einzwängen in Unnatur und Rücksicht, ist das nicht eine unendlich größere Gefahr? Aufgeben müssen jeden Willen, jedes Urtheil, ist das nicht eine Todesgefahr des Geistes, unter deren Schrecken wir ewig zittern? Wie elende Geschöpfe sind wir Frauen doch! Ohne jede, ohne die kleinste Berechtigung, sobald wir zurückblicken in die Zeiten. Immer gedrückt und unterthan; nur da, wo es schon andere Sklaven gab, da athmeten wir eine Weile unbeengt und konnten den Herd des Hauses als Priesterin, nicht als Magd hüten. Ha! Die Dichter erbarmten sich unser und schilderten unser Leid! Die Thoren! Sie vergrößerten die Gefahr. Die Ausschmückung unsers Werths hat uns die unglücklichste Eitelkeit eingeimpft, sie, die der Fluch unsers Geschlechts werden mußte. Für tausend Unterdrückungen eine einzige Huldigung, von den Sinnen der Männer den Sinnen dargebracht! Wie fein berechnet diese Tyrannei! Die ganze Erziehung auf die Schmeichelei begründet! Für ein einziges Zugeständniß an unsere Schwäche wird die größere Hälfte, ja der ganze Werth des Lebens uns geraubt. Die Liebe! Dieses bemitleidenswerthe, entweihte Wort! Welchen Zweck hat sie denn, diese edle Flamme, 57 die vom Sitze der Götter kam, um die Thorheiten und Jämmerlichkeiten der Männer auszugleichen! Liebe! Wen beglückt sie denn? Wem opfert sie denn? Wem schmückt sie denn das Dasein? Um wen duldet sie denn? Um Die, die für unser preisgegebenes Dasein mit den wohlfeilen Blumen der Poesie zu entschädigen gedenken und die Lehre von den Pflichten erfunden haben, die sie aus der Natur der Dinge, statt aus ihrer Trägheit herleiten? Wo ich hinblicke, seh’ ich weibliche Herzen zermalmt, ächzend, jammernd zwischen den Mühlsteinen unruhiger, ungeduldiger, charakterloser, sich ewig um sich selbst bewegender Männernaturen. Jammervoll, diese Hülferufe zu hören und nicht helfen zu können. Denn wenn die Frauen nicht anfangen, die Gesetze ihrer Stellung zum Leben sich selbst zu schreiben, wenn die Gattin sich nicht von dem Gatten, die Geliebte von ihrer Anbetung, ja selbst ein Kind sich nicht von dem oft schaudervollen Chaos häuslicher Wirren loszureißen wagt, wird es nicht besser werden. Es wird eine Zeit kommen, ja ich sehe sie schon im Geiste, wo die Männer sich untereinander rathlos betrachten werden und auf die Frauen blicken, auf uns, auf uns und unsern Rath. Diese Zeit ist schon da. Blicke um dich! Sieh’ dort die Vorsteherinnen des Frauenvereins, da des Hülfsvereins, da des Krankenvereins, sieh’, welche Schäden dieses grundverdorbenen Europa schon einzig und allein auf uns, uns Frauen angewiesen sind!

58 Eugenie war selbst Mitvorsteherin eines dieser Vereine geworden und hatte des Jammers genug in nächster Nähe gesehen.

Sie konnte diesem gewaltigen Zorne nichts erwidern, wenn auch die Beweisführung Hertha’s ihrer innersten Natur widerstrebte und sie mit Schrecken sah, wie sich an diesem ihr unbekannten, jetzt doppelt dämonischen Constantin Ulrichs Hertha schon hinaufgegipfelt hatte bis zum Schwindel.

Hätte sie ahnen können, daß Hertha zu allen diesen Aeußerungen von Constantin nicht die mindeste Veranlassung erhielt! Constantin war für alle diese Gedankenreihen nur – ein Ironiker in demselben Stil wie Jean Reps, nur daß jener für seinen Nihilismus eine anziehende ideale Form durchführen konnte, dieser aber nur eine abstoßende cynische.

Das Gespräch wurde von Julien, der Wirthin, unterbrochen, die eine Ueberraschung ankündigte, die ihr soeben durch den Besuch ihres Bruders Hans von Landschütz geworden war.

Hans von Landschütz kam von jenem Stiftshof, der zwischen der Universitätsstadt H. und Liederbach lag.

Er kam, gestiefelt und gespornt, und eben von der Reise. In die Gesellschaft getreten hatte er einigen Damen sogleich die Spitzen von den Kleidern vertreten. Das war seine gewohnte Art. Als Eugenie und Hertha, jene noch 59 bebend vor Bangen um die Freundin, diese hocherglüht und mit funkensprühendem Auge der Wirthin folgten, um den Bruder, den Eugenie aufs beste kannte, zu begrüßen, sagte Eugenie:

Nun Hertha! Da wirst du allerdings ein Exemplar jener Männer kennen lernen, die dir verhaßt sein dürfen.

Hertha aber hörte kaum, so lebte sie noch im Nachhall ihrer Rede.

Man fand Hans von Landschütz, Juliens Bruder, unter einer Gruppe der Gesellschaft, die sich um ihn wie um ein Wunder versammelt hatte.

Hans war ein kurzer, dicker, stämmiger Landjunker. In seiner grünen, schnurbesetzten polnischen Kurtka mit einigen über die Schultern herabhängenden Troddeln konnte er höchstens sechsunddreißig Jahre sein, aber er saß im Sofa, puhstete und athmete so verdrießlich und stöhnend wie ein Sechziger. Seine Schwester knöpfte ihm die Kurtka auf, um ihm auf die Fragen, die man an ihn richtete, wenigstens Luft zum Antworten zu geben. An den Stiefeln, die er ausstreckte, standen die Sporen in komischem Contrast zu der stämmigen Fallstaffnatur, deren Heftigkeit und zornige Gemüthsanlage sich in kurzer stoßweiser Rede zu erkennen gab.

Hans von Landschütz hatte das ganze Leben eines jungen reichen Adeligen bereits hinter sich. Er hatte die Welt gesehen und so viel Geld verausgabt, als nöthig 60 war, um zu motiviren, daß seine spätern Jahre an einen fleißigen Betrieb der Scholle gebunden blieben. Es war keine Thorheit in den Städten, wo er lebte, vorgekommen, an der er nicht Theil genommen. Aristokrat von Geburt, bedurfte er keiner besonderen Anlehnung an die Gesellschaft. Sein Name genügte für jede Stellung. Ausbildung oder höhere Bestrebung irgend einer Art war ihm fremd geblieben und sogar verhaßt. Er schrieb seinen leidlichen Brief, parlirte leidlich französisch, hatte sich über Güterablösungen, Rentenconversionen, Grundsteuerfragen hinlänglich unterrichtet, um immer zu wissen, welches bei streitigen Punkten sein und seines Standes nächster Vortheil war und für das Uebrige ließ er Gott und, wie er zu sagen pflegte, die Gendarmen sorgen. Seine Güter bewirthschafteten theils Pächter, theils eigene Oekonomen unter seiner Aufsicht, er hielt seiner ältesten Schwester, Aurelie auf Stiftshof, ihr Hab und Gut ebenso zusammen, wie die Antheile, die noch der jüngern verheiratheten Julie von Reisig zuflossen. Damit hatte er so vollauf zu thun, daß ihm die übrige Welt gleichgültig war. Man fürchtete ihn, vielleicht mit Unrecht. Es gab Augenblicke, wo er in herzliches Gelächter ausbrechen konnte, meist freilich dann auf Kosten Anderer. Seine Menschenverachtung war die Folge der Umständlichkeit, die er scheute, wenn er sie lieben wollte. Er hatte so viel mit seiner eigenen schwerfälligen Person zu thun, daß 61 ihm jede andere Sorge Mühe machte. Der Ausdruck der Ermüdung lag auf seinem Wesen, wie bei alten Militärs, nachdem sie ihr bestes Leben unter den Anstrengungen des Dienstes verbrachten. Jedoch nur das Vergnügen hatte sich Hans von Landschütz so viel Anstrengungen kosten lassen, man müßte denn Unternehmungen wie diese zu seinen Anstrengungen rechnen, daß er vor zehn Jahren, als die erste Eisenbahn bei der Residenz auf eine Strecke von vier Meilen eröffnet wurde, aus Wuth und Zorn über eine neue „liberale“ Erfindung eine Gesellschaft junger Offiziere und Adeliger zusammenbrachte, um die Eisenbahn, wie sie sagten, „todtzureiten.“ Sie wetteten, den Dampfwagen in Halb-Carriere zu überholen. Sie ritten indessen nicht die Eisenbahn, sondern sowol ihre besten Pferde todt, wie den Baron von Gleichen, einen jungen sehr liebenswürdigen Cavalier, der bei dem Wettritt stürzte und das Genick brach. Baron von Gleichen war bestimmt, Hansen’s Schwager zu werden; er war Verlobter seiner Schwester Aurelie. Von jener so unglücklich verlorenen Wette her schrieb sich Hansen’s Dickwerden. Er zog sich nämlich sehr verdrießlich von der Welt zurück, übernahm den Landbau, bildete alle seine mürrischen und grimmigen Eigenschaften methodisch aus und wurde der Schrecken seiner Umgebungen. Nur Aurelie, die ihre Trauer für immer trug und mit dem zu ihrem lebenslänglichen Schuldner gemachten Bruder 62 zurückgezogen zusammen lebte, war die einzige, die den unbändigen Gesellen lenken konnte. Eines einzigen Blicks, mehr bedurfte es nicht, um unter Hansen’s rauher Oberfläche zuweilen Funken von Güte rege zu erhalten. Der Blick kam dann freilich von zwei Augen, die um seinen Uebermuth einst Jahrelang in Thränen gestanden hatten.

Wenn man Hansen von Landschütz bei einer Begrüßung die Hand bot, hielt er sie bei einem schönen jungen Wesen gewiß so lange fest, bis sie blau wurde.

Das war Galanterie. Er stand nicht auf, hatte keine höflichen Begrüßungen; ein einfaches: Na! Wie thut’s? und jenes Händekneipen, bei Näherbekannten noch mit der Zumuthung, ihm einen Kuß zu geben; das genügte.

Es fehlte auch heute nicht an diesen Beweisen seiner Zärtlichkeit, als er Eugenie Wingolf begrüßte, die sonst, wie wir wissen, auf Stiftshof bei Aurelien lebte und von ihr und dem alten Planer dort erzogen war.

Das Thema: Wenn sie doch einmal einen Alten hätte heirathen wollen, hätte sie wol auch ihn nehmen können! variirte Hans mannigfach.

Schade, setzte er hinzu, daß ich von Ihrem Geschmack für graue Haare nicht unterrichtet war.

Hertha betrachtete den Sprecher staunend und verächtlich wie den Urtypus alles Ehegattenthums.

Erkundigungen nach Liederbach durften von Seiten Eugeniens nicht ganz ausbleiben.

63 Da ist Holland in Noth! sagte Hans, der auch Kirchenpatron von Liederbach war.

Hans berichtete Zänkereien, in denen er gewöhnlich mit seinen rings wohnenden Pfarrern stand. Bald vernachlässigten sie ihm seine Wiesen, bald seine Felder, bald tauschte er hier einen halben Morgen gegen einen halben Morgen da ein und processirte nicht selten mit ihnen.

Diesmal meinte er unter dem Holland in Noth, über das Eugenie erschrak und Hertha aufhorchte, die schlechte Ernte des Jahres 1847.

Er rühmte dann den alten Planer als den einzigen praktischen Geistlichen, der etwas vom Ackerbau verstünde.

Von den neuen Vorgängen des liederbacher Pfarrhauses wußte Hans nichts.

Wer Hansen kannte, mußte die Erkundigung komisch finden, die Hertha über die Universität an ihn richtete.

Hans, überraschend genug, blieb die Antwort nicht schuldig. Die ruhige, ernste und sichere Art Hertha’s schien ihm die Augen seiner Schwester Aurelie zu vergegenwärtigen.

Hans sagte über die Universität:

Liebes Fräulein, diese Universität? Die ist nicht werth, daß sie noch den Namen trägt. Die Corps sind ausgestorben. Wenn einmal ein junger Fuchs, der mit 64 der Schwindsucht am Halse schon angekommen ist, sich vollends überstudirt hat und abfährt, so ist’s eine reine Lächerlichkeit, wenn die Studenten dann noch was vorstellen wollen und beim Begräbniß Senioren spielen mit Kanonenstiefeln und ein paar alten Rappieren. Die Cerevismützen müssen bei den Meisten erst neu bestellt werden. Die Mehrzahl geht hinterher im Frack und rundem Hut. Es ist eine alberne Jugend, obgleich meine Brauerei in Liederbach nicht klagen kann. Bier wird im Grunde mehr getrunken als sonst.…

Während die Gesellschaft lachte, behielt Hertha ihren feierlichen Ernst und verbesserte ihre Frage dahin:

Welches der Geist auf den Kathedern, das wissenschaftliche Leben unter den Studirenden und überhaupt die Richtung der dortigen Gemüther wäre?

Obgleich Julie kaum erwarten konnte, daß ihr Bruder Hans sich aus einer so schwierigen Frage zurechtfinden würde, antwortete er doch mit staunenswerther Umständlichkeit:

Liebes Fräulein! Die ganze Universität H. gehört jetzt, was ihren Geist anbelangt, in die Sorte: Eigenthum ist Diebstahl! Es sind noch so ein paar alte Geheimräthe da, die von Anno Dazumal ihren Kohl aufwärmen und in jedem Semester regelmäßig dreizehn und einen halben Witz machen. Aber die Mehrzahl – Räuberbagage. Dem lieben Gott plündern die Theologen, 65 das sagt der alte Planer, seine besten Eigenschaften. Bei den Juristen, das weiß ich, sind unsere Rechtstitel pure Anmaßung. Die Mediciner schaffen die beliebtesten Krankheiten ab, ohne sie heilen zu können. Schlagflüsse, an denen ich doch z. B. mal abfahren werde, giebt’s nicht mehr. Und von der vierten Facultät, in die alle andern Narrheiten eingestopft sind, die Philosophie neben Ackerwirthschaft, d. h. papierner Kunst, Landwirthe zu ruiniren, von der mag ich gar nicht reden. Da sind Professoren darunter, die die Communisterei bereits praktisch betreiben. Einer, der über Geologie für die Bergeleven und sonstige Liebhaber liest, Namens Ulrichs, gibt den Ton an. Alles Räuberbagage.

Die Nennung des Professors Ulrichs ergab von mehren Seiten Mittheilungen über Constantin’s Familie, die für Hertha hätten peinlich sein sollen.

Man kannte noch keineswegs allgemein ihre Beziehung zu dieser Familie.

Eugenie und Julie suchten das Gespräch abzubrechen, aber zu Hertha’s Grundsätzen gehörte der Heroismus, dem Urtheil der Welt unbeweglich Rede zu stehen.

Sie fragte ausdrücklich nach der Familie Ulrichs und vernahm dann, daß also z. B. Frau Professor Ulrichs zuweilen Gastereien gäbe, wo die Leute Abends einträfen und im Vorplatz unten noch große Wäsche aufgehängt fänden. Dann würden von der Frau Professorin die Hände über 66 dem Kopf zusammengeschlagen und straßenweit riefe sie: Frieda! Frieda! Kind Gottes, was ist denn das wieder! Kind Gottes, nämlich die Frieda, säße dann oben auf dem Taubenboden und riefe ebenso herunter: Hat der Teutomar die Bestellung falsch gemacht? Und nun weit entfernt, sich zu entschuldigen und die Leute gehen zu lassen, würde doch Jedes von der Professorin festgehalten, die Wäsche würde abgenommen, oben würden rasch die Stuben aufgeschlossen, Lichter angesteckt und die Menschen müßten dableiben à la fortune du pot, Butterbrot, Radiese, Eier, Salat je nach der Jahreszeit.…

Allgemeines Gelächter.

Hertha blieb ernst. Sie fand diese Natürlichkeit motivirt und vertheidigte sie. Ja, sie hatte sogar die Genugthuung, daß Hans von Landschütz ihr beistand und nur den einen Einwand machte:

Gegen die Radiese, mein liebes Fräulein, würd’ ich an sich gar nichts haben, wenn sie sie nur nicht aus dem ersten besten Acker holten. Seit einem Jahre bin ich mit dieser Familie in einen förmlichen Krieg gerathen. Mit der Hetzpeitsche passen meine Leute den ganzen Sommer schon auf die sieben Kinder, die man in H. die Kinder Gottes nennt, weil die Frau, wenn sie zu Jemanden sagen will: Aber du Esel oder Mondkalb! den Ausdruck hat: Kind Gottes! Wahrlich, das sind Kinder Gottes! Sie leben wie im Paradiese.

67 Es gab unter den Umstehenden wol Einige, die den Eindruck ermessen konnten, den diese Mittheilungen auf Hertha hervorbringen mußten, doch schnitt die Peinlichkeit der Erwiderungen, die Hertha begann, der Eintritt einiger besternter Herren ab.

Unter ihnen, es waren die verspäteten Minister, befand sich Hertha’s Vater.

Wingolf nahm, als er Hertha’s ansichtig wurde, seine Tochter auf einige Augenblicke bei Seite und brachte ihr die Mittheilung, daß ein umständliches gerichtliches Verfahren in der obschwebenden Tendenzuntersuchung gegen Constantin und Genossen nicht stattfinden würde, wol aber beschlossen sei, die Schulen und Universitäten unter strengere Aufsicht zu stellen, auch jeden der auf einer vorgelegten Liste verzeichneten Namen an den Ort zu verweisen, der sein nächster zuständiger Aufenthalt wäre. Constantin würde demnach nach der von jetzt an strenger bewachten Universitätsstadt H. verwiesen werden.

Der Vater gab Hertha mit mildem Ernst zu erkennen, es wäre ihm eine große Beruhigung, wenn diese Trennung die Veranlassung würde, nun für immer ein Band zu lösen, dem er keinen Segen versprechen dürfe.

Sind diese Entschließungen unwiderruflich? fragte Hertha mit sinnender Bestimmtheit.

Unwiderruflich! Ich habe nicht geringe Mühe gehabt, so milde Auffassungen der vorliegenden Vergehen durchzusetzen.

68 Eine Einladung zu einer scheinbar improvisirten Tafel unterbrach diese Unterredung.…

Am Tage darauf wurde Constantin Ulrichs in der That bedeutet, die Residenz zu verlassen.

Er ging.

Es währte dann noch eine Woche, bis Wingolf einen Brief erhielt, den er mit kummervollem Herzen Eugenien mittheilte.

Hertha hatte ihm geschrieben, sie könne von dem Lebensprincipe, das sie sich einmal gewählt hätte, immer und in jeder Lage wahr und natürlich zu sein, hier keine Ausnahme machen. Sie würde Constantin nach H. folgen und sage hiermit dem Vater und Eugenien von Herzen Lebewohl.

Ein Einspruch des erschütterten Vaters nutzte nichts.

Hertha war, als er zornglühend zu ihr eilte, bereits abgereist.

Selbst die gute Frau von Zabel, deren geheime Aufsicht über ihr Leben Hertha zu durchschauen angefangen, war über ihr Vorhaben nicht im entferntesten unterrichtet.

Daß man Hertha Kleider, Bücher, Musikalien und sonstige gewohnte Besitzthümer, die sie verlangte, nachschickte, verstand sich von selbst.

Wingolf bedurfte seiner ganzen Kraft, um sich in die Thatsache zu finden, daß er eine Tochter besaß, von der die Welt sagte: Sie ist emancipirt.

69 Viertes Capitel.#

Frieda, das Kind Gottes.#

Es gibt Herbsttage, die den schönsten des Sommers gleichkommen.

Um den Mittag eines solchen, der eine liebliche Gegend, die sich durch eine mäßige, vom Ufer eines kleinen Flusses sanft aufsteigende Bergwand mit Weingärten und Landhäusern vorzugsweise auszeichnete, sonnig verklärte, brannten senkrecht die Strahlen gewaltig auf Wanderer nieder, die von der mit schwertragenden Obstbäumen besetzten Straße der diesseit des Flusses sich ausbreitenden großen Ebene ablenkten und durch die abgemähten Felder schritten, wo jetzt nur noch Kohlköpfe, Runkelrüben und Tabacksstauden dem Auge die wohlthuendern grünen Ruhepunkte boten.

Es ist eine Gruppe von Kindern, die wir im Auge haben.

Sie achtet der Sonne und des Staubes nicht.

Sicher sind es Geschwister; alle fünf scheinen wenigstens von einer unverkennbaren Familienähnlichkeit.

70 Ihre Kleidung war nicht gewählt, aber auch nicht vernachlässigt. Zwei Mädchen, die sieben und neun Jahr alt sein mochten, trugen ihre großen runden Strohhüte frei schlenkernd in den Händen, sodaß sie oft an mancher längst ausgenaschten Brombeerhecke hängenblieben.

Die Knaben, die etwa zwölf, acht und fünf Jahre alt sein mochten, trugen leichte Kittel und zwillichene Beinkleider von so festen Stoffen, daß die Aeltern auf starken Verbrauch an Bäumen, Bänken und sonstigen Rutsch-Gelegenheiten schon gerechnet zu haben schienen.

Alle fünf waren offenbar im Begriff, irgend ein geheimes, vielleicht gefährliches Vorhaben auszuführen.

Sie spähten bald zu einem jenseit einer großen Wiese gelegenen Wäldchen, bald zu einer nach rechts sich hinter hohen Pappeln mit einem thurmartigen Giebel kundgebenden stattlichen Besitzung hin. In der Ferne lagen auf eine kleine Stunde weit die in der Sonne blinkenden Häuser und Thürme einer nicht unansehnlichen Stadt.

Solche Unternehmungen der Jugend sind drollig anzusehen.

Außer ihrem Anschlage kümmert sie nichts in der Welt. Spähend schweift das Auge in die Ferne, vergrößert, vermindert die Gefahr, je nach Temperament und Phantasie. Blind ist das Vertrauen der Kleinern, mit dem sie den flüsternden, rufenden, zum Schweigen mahnenden Größern folgen.

71 Hier schien schon die Marschroute, die die Kinder nahmen, ein Wagstück. Sie schlichen über die Stoppeln bald hinter Hecken herum, bald schossen sie über eine offen daliegende und allen Augen sichtbare Fläche sich bückend rasch hinüber.

Endlich hatten sie die Wiese erreicht, noch einige hundert Schritte und sie waren unter den weißschimmernden Erlenbäumen, die hier zu einem kleinen Gehölze zusammenstanden.

Da fanden sie die schon in der Ferne ersichtlich gewordene und mit jubelnden und kecken Winken begrüßte ältere Schwester.

Es war ein junges Mädchen, das unter den weißen Rinden der Birken wie ein Bild glänzte.

Im blauen leichten Gewande hatte die Schwester gleichfalls den Strohhut, der kein runder, sondern einer von üblicher Form war, über den Arm an blauen Bändern zusammengebunden hängen, während sie auf dem, im Herbst jetzt ausgetrockneten, im Frühjahr feuchten und mit Zeitlosen und Genzianen übersäeten Wiesenboden saß und an ihrem halbaufgenommenen blauen, mit weißen Blumen gemusterten Kleide nähte. Nähnadel und Seide hatte sie entweder für die heutige gefahrvolle Expedition schon mit sich genommen oder was eher glaublich, diesen Apparat einer raschen Selbsthülfe trug sie immer bei sich. Das junge Mädchen scheint zu den resoluten Cha-72rakteren zu gehören, die nicht aushalten würden, die Freuden eines ganzen Spaziergangs sich zu verderben, wenn ihnen an ihrem Kleide ein Unglück passirte.

Mit einer hellen wohltönenden Stimme rief sie den Geschwistern, von ihrer Arbeit kaum aufsehend zu:

Seht, was sich dabei Eins die Kleider zerreißt! Oskar hat Recht, Hans ist da, man kann ihn hören und ich wette, er hat uns schon gemerkt. Aber nur ruhig! Nur ruhig!

Die Geschwister bestürmten die Sprecherin mit einer Menge von geflüsterten Fragen und Rathschlägen.

Man hörte aus ihrem Durcheinander, daß es sich um etwas Lebendiges Namens Hans handelte.

Das junge Mädchen hatte den bei ihrem Kundschafteramte abgerissenen Besatz am Kleide wieder leidlich befestigt, stand auf, glättete die gesessenen Falten, steckte ihr kleines Necessaire in irgend einen unsichtbaren Schlitz des Unterkleides und drückte den Hut auf einen der lieblichsten Köpfe, der jemals einem Manne mochte ins Antlitz gelächelt haben.

Die Locken, die von einer kaum sichtbaren kleinen Stirn unmittelbar in die braunen listigen Augen und auf die frischen Wangen fielen, waren schwarz, die Lippen rosig und so trotzig aufgeworfen, als wollten sie die ganze Welt zur Heiterkeit oder zum Kampfe auffodern; die Schultern waren frei gewölbt, etwas hoch gehend und mit nur kur-73zem Halse; aber zwischen ihnen saß ein Leben, ein Wagemuth, eine Sicherheit, die das Köpfchen, wenn es sich aufbäumte, wie in Majestät erscheinen ließ. Was wollt Ihr mir? So schien diese nicht große und nicht kleine und im Grunde auch nicht mittlere und gar nicht zu beschreibende Gestalt zu aller Welt zu sprechen. Klein war sie jedenfalls, aber man merkte es nicht. Wer mit diesem Mädchen, das weit öfter auf den Boden als gen Himmel blickte und immer von der Erde her ihre Fragen zu lesen schien, sprach, mußte, wenn auch an Gestalt ihr gleich, sich doch zu ihr niederbeugen.

Frieda Ulrichs – denn Constantin’s Schwester ist es, die wir kennen lernen – verfolgen wir mit ihren jüngern Geschwistern auf dem gewagten Gange aus dem Erlenbusche heraus durch einen Graben, durch hohes, lange nicht von den Leuten des Stifthofs geschnittenes Gras und an ihren Füßen raschelnde Halme, wie sie auf verbotenen Wegen sich hinterrücks der großen ländlichen Besitzung der Familie Landschütz näher schleichen, um irgend ein geheimes und wie es scheint nicht ungefährliches Abenteuer auszuführen…

Die Absicht der Expedition war keine andere, als einen Ziegenbock, ihren treuen, lieben, alten, zum Reiten und zum Fahren gleich verwendbaren Hans, den die Leute vom Stiftshofe im Kohlfelde gepfändet hatten, ohne jenen gesetzmäßigen Thaler wieder zu erobern, den die Feld- und 74 Flurordnung den längst über sie Alle ergrimmten Wächtern zuschrieb.

Viel Geld auch ein Thaler! Man wollte an der Stifthofspforte den Hans anfangs umsonst sich wiedererbitten. Die Kinder wurden aber drohend abgewiesen. Kind Gottes! rief Frau Riekele, wie die Professorin Ulrichs seit fünfundzwanzig Jahren ihren Namen Friederike abgekürzt bekam, Kind Gottes, wo wird man dem dicken Baron einen Thaler für den Hans geben! Er mag ihn so lange füttern, bis er’s selbst satt kriegt, dann schicken sie ihn uns umsonst zurück!

Das war die erste Auffassung des Unglücks der Geschwister.

Bald aber jammerte Teutomar über seinen fehlenden Gespielen und die Nachbarn fragten und der Ziegenbock kam nicht mehr ans Auditorium des Vaters und steckte den langen Bart und die Hörner zwischen die Thüre, daß alle Studenten lachten; da mußte Hans irgendwie wieder herbei. Die älteste Schwester meinte, die Sache müßte man ganz kurz anfassen, Stiftshof müßte man heimlich angreifen und den Hans sich selbst erobern, sei’s mit List oder Gewalt.

Dieser Argonautenzug wurde beschlossen und ausgeführt.

Um so erfolgreicher schien die gemeinschaftliche Unternehmung gegen Stiftshof, als den Geschwistern, da sie 75 zum Thor hinauswandelten, einer der gefährlichsten Feinde Teutomar’s und seiner Geschwister, der Bediente Martin, begegnete, auf einer Kalesche, mit der er an die nächste Eisenbahnstation fuhr, um seinen, heute zurückkehrenden Herrn, den Baron von Landschütz, in Empfang zu nehmen.

Martin rief ihnen zu:

Hans läßt euch grüßen!

Frieda sagte: Schön Dank! und trennte dann die Expedition in zwei Theile, die sich auf dem jenseitigen Felde verbinden sollten: sie selbst, als Spionin, um der Mauer nahe zu kommen, die Hof, Gärten und Park zum Stiftshof umschloß, schlug einen dritten Weg ein.

An den vordern Anfängen der Mauer bildeten kleine, mit Wasserlinsen bedeckte und von Weiden umstandene Teiche eine Art Schutzwehr des Schlosses.

Hier war nicht anzukommen.

Dann aber verlor sich die Einfriedigung in kleinere Mauern. Der meckernde Gruß, den Frieda an einer Stelle, wo die Mauer nicht zu hoch war, vernahm, konnte nur von Hansen kommen, der vielleicht schon von seinen Freunden die Witterung hatte.

Schon versuchte sie auf einen nahestehenden abgestorbenen Baumstamm sich zu schwingen. Sie zerriß sich dabei ihr Kleid und mußte sich begnügen, sich vorläufig die Stelle zu merken, wo wol Hansen’s Kerker war.

Erst die Verbindung mit dem von der andern Flanke 76 herumkommenden Hülfscorps machte weitere Maßnahmen möglich.

Nun war sie wieder mit den Geschwistern an Ort und Stelle; aber Schwierigkeit über Schwierigkeit ergab sich. Hans war es sicher, der hinter der Mauer so sehnsuchtsvoll meckerte. Die Kinder stiegen auf den Baumstamm, konnten aber nicht hinübersehen, da jenseit der Mauer ein Dach begann. Hier war gewiß ein Schuppen, unter dem Hans befestigt stand. Die Kinder tuschelten und flüsterten: Hans! Hans! Aber … wie ihn bekommen!

Frieda sann hin und her und war endlich nahe daran, ob sie nicht, da sie nun die Stelle wisse, wo ihr Hans stand, muthig durch die große Pforte des Stiftshofs schreiten sollte, ohne zu fragen in den Garten gehen, an den Fenstern der allgemein für sehr stolz gehaltenen Aurelia vorüber an den Schuppen eilen, den Gefangenen befreien und wie eine zweite Esmeralda königlich und die ganze Macht ihrer Persönlichkeit einsetzend ihren Hans an den Hörnern zurückgeleiten?

In dieser Selbstberathung wurde Frieda eines Wanderers ansichtig, der einige hundert Schritte entfernt gemächlich auf dem allgemeinen Feldwege durch die Stoppeln nach Liederbach hinunterschritt.

Sie spannte rasch ihren Sonnenschirm auf und winkte, ihn in der Luft schwenkend.

Die Kinder riefen: Hu! Ha! He! pfiffen, schrien, 77 als gäb’ es einen Stoßvogel irre zu machen, der einen Schwarm von Tauben verfolgt.

Der Wanderer merkte, daß die Mahnung ihm galt. Er erkannte Frieda, zog den Hut und kam näher.

Es war Eberhard Ott, des Bruders vor Kurzem aus der Residenz angekommener Freund.

Noch schien Eberhard von Ueberraschung befangen, als er schon mitten unter den Brennnesseln und Sumpfpflanzen stand, die hier an dem unbetretenen Mauergraben unter düstern Ulmen wucherten.

Frieda gab an, was ein Mann hier zu thun hätte. Von Unmöglichkeit war jetzt keine Rede mehr.

Eberhard schlug auch sogleich vor, einen von den Jungen auf die Mauer zu heben, dieser sollte dann das Dach besteigen, hinabspringen, den Hans losbinden und sehen wie er, vielleicht über das Dach selbst, zurückkäme.

Der zehnjährige Oskar war bereit.

Eberhard, obgleich an eine strengjuristische Auffassung des Lebens gewöhnt, stand doch so in Frieda’s Bann, daß er hier nicht weiter an unerlaubte Selbsthülfe dachte. Vielmehr machte er geltend, zur Ziegennatur gehöre Klettern. Hans sollte durch Oskar zunächst aufs Dach.

Eberhard setzte den Hut ins Gras, breitete die Füße aus, stemmte die Arme in die Seiten und forderte Oskar auf an ihm hinaufzuklettern. Oskar war mit zwei Sprüngen oben. Dort rutschte er auf dem Dache weiter, fand 78 in einem Holzschuppen, wo altes Geräth und Kleinholz aufbewahrt wurde, Hansen einsam angebunden, machte ihn los, rückte einige Klötze zusammen, um eine Art Treppe, die aufs Dach ging, zu formen und erschien zum Jubel der Kinder oben auf dem Dache mit dem geliebten, langbärtigen, in stiller Resignation seiner Befreiung sich fügenden Hans.

Und jetzt hatte Eberhard schon für den behenden Gebirgswanderer, der zwar klettert aber nicht springt, an eine diesseitige Treppe gedacht.

Ob auch Mancher der um die Nachmittagzeit vorüberschreitenden Fußwanderer staunend stillstand und auf die Gruppe an der Stiftshofmauer blickte, ein Frieda’scher Grundsatz: Wir suchen meistentheils außer uns, was wir in uns selbst besitzen! bewährte sich schon vollkommen.

Eine künstliche Treppe wurde gemacht.

Fünf sich duckende und aufeinander geschickt sich einfugende Köpfe reichten aus, Hansen, dem man zum Herabgezogenwerden Taschentücher an die Hörner band, den Weg zu bahnen. Eberhard, kräftig mit den Schultern balancirend und die Hände in die Seiten stemmend, bildete den Kern der Stiege; Oskar setzte sich ihm auf den Nacken und legte den Kopf an die Wand, Teutomar stellte sich an Eberhard, Alfred ritt wie Oskar und legte den Kopf wieder an Eberhard und unten machten die letzte Staffel Irmgard und Hedwig. Frieda hielt die verlän-79gerten Taschentücher und zog mächtig den Hans von Oskar’s Rücken über sämmtliche Köpfe und Rücken herunter. Die Kinder hielten prächtig still, die Treppe wackelte ein wenig, aber Hans mußte folgen. Er war befreit.

Ich danke ihnen, Assessor! sagte Frieda ruhig, knüpfte die Tücher wieder auseinander, vertheilte sie und lenkte durch das hohe Gras auf den Pfad hinüber. Die Kinder streichelten ihren Hans, sie waren so glücklich, als hätten sie das goldene Vließ erobert.

Sie gehen nach Liederbach? fragte Frieda, als Eberhard sich wenden wollte.

Eberhard bejahte.

Er war etwas befangen über Frage und Antwort.

Ich will die Kinder nach der Stadt begleiten, damit ihnen mit dem Hans kein Unglück geschieht, sagte Frieda. Dann komm’ ich nach. Grüßen Sie doch Agnes, aber einen Brief von Constantin bring’ ich nicht. Adieu, Assessor! Agnes soll Kaffe machen, aber etwas bessern, als ihr gewöhnlicher ist.

In Eberhard’s Mienen lag ein eigenes Gemisch von Freude und Verlegenheit, als ihm die Verheißung ward, Frieda würde nachkommen.

Er dachte an die abendliche Heimkehr und erst noch wollte er sie begleiten.…

Nein, nein, sagte Frieda. Agnes gönnt Sie ja kaum unserm Papa, viel weniger mir. Und käm’ ich gar jetzt 80 gleich mit, so verlöre sie den Kopf. Sagen Sie’s ihr nur mit dem Kaffe! Es ist eine Schande! Die kostbare Milch ist in Liederbach zu bemitleiden um die Mischung mit solchem Kaffe! Ein Genius der sich mit einem Philister einläßt!

Damit wandte sich Frieda und folgte den Kindern, die schon voraus waren.

Eberhard sah ihr lange nach.

Diese wenigen Worte, die Frieda soeben zu ihm gesprochen, waren so eigen, so spöttisch, nach dem treufreundlichen Dienste, den er ihr eben geleistet, eine so geringe Belohnung!

Und doch lag in ihnen ein Ausdruck, eine Betonung, wie er sie noch nie von Frieda gehört hatte.

Seit ihrem Wiedersehn war er ja darüber verzweifelt, daß Frieda kein Herz zu haben schiene! Hier zum ersten male klang aus ihrem Spott etwas heraus, was ihn wie ein Gefühl anwehte.

Er sah sich noch oft nach der kleinen triumphirenden Karavane um, die bald auf der hügeligen Straße verschwunden war. Mit geflügeltem Schritt zog sie auf dem obern Rande der durch Berge geschnittenen Landstraße vorwärts. Es gab von unten her ein anmuthiges Bild. Die Truppe sich so frei an der Luft abzeichnend, bald auf-, bald niedersteigend die Wellenlinie des ungeebneten Wegs, die Kinder dichtgeschart um den gehörnten Freund, Frieda 81 nachlässig hinterher, ermüdet von der Hitze und der Spannung und vielleicht … träumend? Ihre Art war es sonst nicht.

Lassen wir Eberhard nach Liederbach wandern!

Unsanft wurde Frieda geweckt.

Die Kinder wollten eben an einem Kreuzwege von dem obern Rande der Landstraße niederlenken und sich unten nach der großen Straße wenden, als aus dem Querwege, der so tief lag, daß man ihn vorher nicht sehen konnte, eine heftigkreischende, hochliegende Stimme ihnen zurief: Hallunken! Spitzbubenbande!

Die Kinder flohen, ließen ihren Hans stehen.

Hans blieb verdutzt vor einer Kalesche, von der ein Bedienter heruntersprang und sich, während sein Herr schrie und lärmte, des Thiers bemächtigte.

Frieda wußte nicht wie ihr geschah. Sie trat rasch zu Hans heran, hielt ihn an den Hörnern fest und gerieth in die heftigste Aufregung, als von der Kalesche wieder die kreischende Stimme rief: Haut die Brut zusammen, daß sie die Schwerenoth kriegt!

Diese Reden kamen von Hans von Landschütz, der eben von der Eisenbahn, einer ihm leider mit der Zeit unerläßlich gewordenen sonst gehaßten Beförderungsmethode, kam, von seinem Martin die Arrestation des sträflichen Ziegenbocks erfuhr und nun hier erleben sollte, einem 82 Delinquenten zu begegnen, über dessen rechtliche Befreiung der Bediente sogleich Erkundigungen einziehen sollte.

Hans! Ruhig! sagte Frieda beschwichtigend zu dem vom Peitschenknallen scheuen Thiere.

Hans von Landschütz, der selbst zu fahren pflegte, hörte glücklicherweise diese Worte nicht. Er hätte sie sonst auf sich bezogen. Er hielt die Pferde an, fuchtelte mit der Peitsche, orientirte sich über das dreiste Mädchen im blauen Kleide und hörte vor Zuschauern, die sich schon versammelten, folgende ruhig gesprochenen, aber bestimmten Worte:

Bester Herr Baron! Sind Sie nicht ein so eingefleischter Aristokrat, daß Sie es uns danken sollten, wenn wir noch ein bischen Mittelalters spielten? Sie haben unsern Hans ins Burgverließ geworfen, wir haben ihn wieder herausgeholt. Das ist unser Ruhm. Und nun lassen Sie uns in Gottes Namen unsere Wege ziehen!

Landschütz wußte anfangs nicht, sollte er hinunterspringen und die Rednerin züchtigen oder sollte er die Sache komisch nehmen. Geistesgegenwart war nie seine Sache. Es geht allen Poltrons, Lärmmachern und Grobschmieden so, daß sie ein einziger entschiedener Blick in ihren Auslassungen stutzig machen kann.

Lauft! rief, den Moment der Unentschlossenheit benutzend, Frieda den Geschwistern zu und ihren Hans fest-83haltend rannten die um die Wette mit ihm auf der offenen Landstraße davon.

Die Bedienten wollten nach.

Landschütz rief sie zurück. Er wetterte zwar: Canaillenvolk! Räuberbagage! Hundeloslassen! Hetzpeitsche geben! Frieda aber sagte ganz gelassen, indem sie neben seinem, auf die Landstraße ablenkenden Gespann sich nunmehr auch rückwärts wendend herging:

Beruhigen Sie sich doch, werthester Herr Baron! Die Leute möchten ja sonst denken, es sei Ihnen um einen Thaler zu thun!

So ging sie.

Wo wollen Sie denn hin? begann jetzt Landschütz langsamer fahrend und das von ihm nie gesehene Mädchen genauer fixirend.

Es dauerte lange, bis Frieda dem groben und jetzt wahrscheinlich zudringlich werdenden Patron antwortete.

Nach Liederbach will ich! sagte sie endlich. Unsere Befreiung hat mich müde gemacht. Sie könnten mich wol hinunterfahren.

Wie? stutzte der sonnenverbrannte, rothglühende, dicke Hans von Landschütz; hinunterfahren? …

Warum nicht?

Und Martin mußte erleben, daß sein Baron wirklich inne hielt, das dreiste Mädchen noch einmal erstaunt ansah, stumm zur Seite rückte, dann Frieda den Wink des 84 Junkers verstand, aufstieg, erst auf den Tritt, dann auf das Wagenrad und endlich sich neben dem feindlichen Baron zu sitzen emporschwang. Das kam Alles wie im Traum. Keine Ueberlegung, die Sache war da. Der Baron peitschte auf seine Braunen. Die Kalesche flog davon. Am Stiftshof vorüber. Die versammelte Dienerschaft begriff nicht, wie ihr Herr an der weitgeöffneten eisernen Pforte vorüberjagen konnte, ein junges Mädchen neben sich hatte, kaum grüßte. Aber es war so, es blieb so, man mußte sich finden.

So ging’s fünf Minuten lang.

Dann lachte Frieda.

Worüber lachen Sie denn? fragte Hans von Landschütz.

Ueber Ihren Bart lach’ ich.

Wie so?

Gerade wie unser Hans!

Der Baron polterte heraus:

Zum Teufel mit Ihrem Hans! Ich heiße auch Hans.

Na und Ihr Bart … sagte Frieda. Wenn Sie noch wenigstens überm Munde auch einen hätten, aber blos so vom Kinn ein paar Zwickel herab, gerade wie ein Geisbock!

Der wegen seiner Grobheit berüchtigte Baron vom Stiftshof hätte über dies Wort jedem Andern „das Fell über die Ohren“ gezogen.

Der einzige, dünne, rothe Schmuck in seinem tellergroßen, butterglänzenden Angesicht, das am röthesten an 85 den Ohren und unter den dünnen Haaren hinten an der Cravattenschnalle strahlte, dieser edle Zwickel war bei ihm das Symbol ewiger Jünglingsschaft, die Zierde des Garçonthums, eines Standes, den er sehr hoch hielt, den rechten Freiherrn-, den wahren Junkerstand nannte! Drei Wochen lang im Wollmarkt, acht Wochen lang des Carnevals im Winter sah die Residenz in diesem Barte den Rest einer alten strammen Jugendzeit. Champagner nährte dann die dreißig bis fünfzig Borstenhaare mehr als Wasser. Auch wol im Bier verklebten sie sich und zu hohen Diners, wenn die Ritter der Landschaft sich versammelten, färbte Hans diesen Zwickel mit der vorzüglichsten braunen Tusche und dieser undankbare kleine schwarze Lockenkopf da brachte einen solchen Schmuck in Parallele mit dem Barte eines Ziegenbocks?

Das kann schlimm werden! murmelte Martin.

Aber – Schweigen, tiefes Schweigen trat ein bis nach Liederbach, wo Landschützen’s alter Patrimonialgerichtshalter am Wege stand, die Brille aufsetzte und den Aufzug Hansen’s mit Frieda Ulrichs anstarrte, wie – Hans brauchte den trivialen Ausdruck – die Kuh das neue Thor.

Am Pfarrhause setzte Hans seinen schönen Passagier ab, sagte in seiner trockenen Galanterie: Einen Kuß wolle er sich zu Gute behalten.… Frieda sagte trocken: Bei Gelegenheit, Baron!

86 Und nun wie der wilde Jäger fuhr er mit schnaubenden Rossen durch sein Dorf zurück, staubaufwirbelnd, immer zu, ohne Rast und Ruh, durch die Gänse durch, ganz toll und unbekümmert wer auswich oder flüchtend mit einem verrenkten Beine davon kam.

Für Stiftshof, das schon bis auf den kleinsten Mops beisammen stand und wartete, für die Schwester, die staunend am Balkon harrte, war es gerade, wie wenn der Baron erklärt hätte, sich verheirathen zu wollen.

So flink sprang er nie vom Wagen, so vergnügt kam er nie vom Wollmarkt.

Und wie zerstreut war er! Er schimpfte sogar über die „niederträchtige Zottelei“ der Eisenbahnen, ein Thema, das er in Aurelien’s Gegenwart doch sonst nicht zu berühren pflegte.

87 Fünftes Capitel.#

Das Pfarrhaus in Liederbach.#

Eberhard Ott, der Bevollmächtigte Constantin’s, der Niederschmetterer Jean Repsen’s, der freundliche Ziegenbockbefreier Frieda’s, muß uns näher bekannt werden.

Eberhard war ein jugendlich blickender Mann, aber schon nahe den Dreißigen. Von hoher Gestalt, gleichmäßig in seinen Formen, ruhig und mild in seinem Benehmen mußte er jedes Herz gewinnen, das mehr Sinn für innere Gediegenheit als für ein blendendes Aeußere hatte.

Früh selbständig durch den Tod seiner Aeltern hatte Eberhard Ott auch frühe schon gelernt, für sich selber zu sorgen. Er hatte dadurch viel Sicherheit gewonnen, die jedoch nicht frei von Befangenheit war und es gab Menschen, die den schon auf der Schule allein stehenden Jüngling pedantisch nannten.

Ein kleines Vermögen, das dem Jüngling die in seinen Armen gestorbenen Aeltern hinterließen, reichte nur bei dem gewissenhaftesten Haushalte aus, ihm das Stu-88dium der Rechte möglich zu machen. Weil er sich deshalb abschließen, vielerlei Zerstreuung versagen, fleißig arbeiten mußte, gewann er sich ein ernstes Wesen, das Manchem kalt erschien, der die innere Flamme seines nur zu regen Gemüths nicht kannte.

Unter diesem gemessenen Auftreten, das ihm das Leben frühzeitig als Pflicht vorschrieb, lag sogar Hang zur Schwärmerei. Eberhard war, alleinstehend und früh vereinsamt, auf dem besten Wege, ein Menschenfeind zu werden.

Der Zufall spielte ihm die Werke Montaigne’s und La Rochefoucauld’s in die Hände. Referendar in einer Provinzstadt, las er Lebensmaximen. Das Weltmännische, Kalte und Berechnende der Philosophie des Umgangs glitt von ihm ab, aber Eine Ueberzeugung blieb aus ihr an ihm haften, es war die, daß in den gewöhnlichsten Menschen, die uns im Leben begegnen, doch, wenn man nur näher forsche, immer viel Achtbares und selbst für den Denker Anerkennenswerthes schlummern könne.

Eberhard war durch diese Ueberzeugung lange wie von einer Offenbarung ergriffen. Er verband sie mit der Lectüre Hippel’s und der erneuten Bekanntschaft Goethe’s, den er jetzt in einem neuen Geiste ansah. Sein ganzer Trieb, zunächst schwärmerisch und ideal, ging nun darauf aus, praktisch zu sein und auch darin lag wieder Idealität. Eberhard glaubte, allen Phantasieen, von denen er 89 behauptete, sie erzögen nur Menschenverachtung und zum Hochmuth, den Abschied gegeben zu haben, er wollte Bewußtsein und Lebensklarheit in Jedermann wecken, er sah überall verborgenen Werth, stille Bedeutung, unangebrochene Schätze der edelsten Erfahrung und mühte sich in jener Provinzstadt und später in der Residenz ab, die Menschen zum Bewußtsein ihres Werths zu bringen. Bei den unbedeutendsten Individuen lauschte er auf ihre Art und Richtung und wer konnte ihn widerlegen, wenn er behauptete, in allen Menschen wirklich das Allgemeinsame aller Verstandes- und Herzensbedingungen angetroffen zu haben! Er ordnete Erkennungen, Verbrüderungen, gemeinschaftliche Unternehmungen an. Eine zeitlang war es die Musik, dann die Kunst, dann die Literatur, dann die höhere Geselligkeit, zuletzt die Politik, alle diese Gebiete benutzte er als Tummelplatz, wo der Geringfügigste plötzlich einen Werth entwickeln konnte.

Aber seine Plane scheiterten.

Ein scharfer Beobachter, wie Constantin, verspottete längst diese Art der Menschenpflege. Man trüge ja doch, hieß es, nur in jeden Menschen hinein, was man aus ihm herauszufinden glaube!

Es gab die bittersten Erfahrungen.

Die Musikaufführungen, die Kunstvereine, die Kränzchen für literarischen Genuß oder politische Meinung, Alles was Eberhard zu Stande brachte, aus den zufällig-90sten und sich von selbst darbietenden Elementen zusammensetzen und zum Bewußtsein steigern wollte, es war mit Täuschungen wieder auseinandergegangen. Die Leidenschaften und der Egoismus verdarben zuletzt doch immer wieder Alles.

Nun hatte Eberhard darum doch seinen Glauben an die Menschheit nicht verloren.

Er faßte sie jetzt nur im Allgemeinen. Er sah Gelegenheit genug, Thatsachen höherer Bedeutung festzustellen und warb für Ideen.

Die Gefahr, in die er dadurch manchen Verhältnissen gegenüber gerathen konnte, war glücklich vorübergegangen und der Glaube an das Gute hatte Eberhard nicht verlassen. Er glaubte an die Nothwendigkeit, daß Constantin so handeln mußte, wie er ihm erklärt hatte, im Besitze einer Hertha gegen eine Agnes handeln zu müssen. Er glaubte an den Schmerz, den er im Pfarrhause zu Liederbach angetroffen.

Mit dem Verlobungsring in der Tasche hatte er sogleich bei Agnes Planer und ihrem Vater den Besuch gemacht.

Er wollte von Constantin’s bedeutender Entwickelung sprechen, von seinem Glück in der Gesellschaft, seinem Bedürfniß ungehinderter freier Entfaltung, er wollte die armen verlassenen Menschen allmälig Das rathen lassen, 91 was er ihnen zu sagen und mit Güte und Schonung beizubringen den Auftrag hatte.

Nun sah er diese Menschen. Sogleich erschrak er, daß sie anders waren, als er sie sich gedacht hatte. Siegreiche Menschen wie Constantin zwingen dem Wildfremdesten ihre erste Vorstellung auf. Rücksichtsvolle wie Eberhard beobachten und werden irre. Als er in Liederbach zum ersten male war, fand er Agnes erst allein. Der Vater, mehr Landwirth als Geistlicher, war im Felde.

Agnes erschien ihm sogleich anders, als er sie sich gedacht hatte. Sie war nicht klein, sondern groß. Sie hatte nicht blaue, sondern braune Augen, sie war nicht blond, sondern brünett. Sie war nicht unsicher und gedrückt, sondern von gewähltem Ton, zart zwar und von jener Zurückhaltung der Gefühle, die jedoch etwas ahnen läßt und ein achtbares heimliches Seelenleben in Aussicht stellt.

Kaum hatte Eberhard sich genannt, kaum den Gruß, den er von Constantin brachte, ausgerichtet, als ihn trotz der starken und kräftig scheinenden Natur Agnesens von ihr einige Tropfen im Auge überraschten, eine bebende Stimme rührte. Er sah, daß Agnes sein schweres Amt bereits ahnte.

Er besaß nun die Schwäche, zurückzuhalten. Er sah da ein zur bravsten Hausfrau berufenes Mädchen, das einer treuen Liebe ihre Jugend geopfert hatte. Er fiel aus der Rolle, die er sich seit einigen Tagen mit allem 92 Aufwande von Psychologie einstudirt hatte. Er war eben der Rücksichten- und Gewissensmensch.

Ja als dann der Pfarrer kam und der kleine, frischgeröthete, sogleich die Pfeife stopfende Mann in Zorn und Verwünschungen über Constantin ausbrach, da gab er sogar Constantin Zeugnisse des Wohlverhaltens gegen Agnes, die er, nach der Stadt zurückkehrend, bitter bereuen mußte.

War der Erfolg, den Eberhard’s erster Besuch in Liederbach haben sollte, vom Ziele ganz links abgegangen, so mußte dieser natürlich bald wiederholt werden.

Man war im Pfarrhause angenehm überrascht, diesen milden und gewiegten Mann schon am folgenden Tage, wie auf zufällige Veranlassung, wieder vorsprechen zu sehen.

Eberhard konnte nicht anders, als die Ausrede brauchen, daß ihm von allen Spaziergängen um H. der nach Liederbach der liebste wäre.

Agnes schien heute beruhigter. Sie entwickelte sich sogar. Der Vater debattirte, zankte, verwünschte die Universitäten, das Jahrhundert, die Regierungen, im Grunde jede Meinung, die nicht die seinige war. Agnes schien sein vollkommenes Gegenbild. Sie sprach, freilich mit etwas auffallender Betonung, für höhere Sphäre, sanftere Schwinge, Emporgetragenwerden über das Gemeine und Geringe. Der Vater pries das Gegentheil. Diese Frieda, 93 Constantin’s Schwester, sagte er unter Anderm, ist das einzige vernünftige Frauenzimmer, das mir seit Jahren vorgekommen ist! Schon an dem Kinde hatt’ ich meine Freude. Wenn freilich bei so toller Erziehung, wie sie genoß, etwas aus ihr geworden ist, verdankt sie’s einem besondern Wohlgefallen Gottes; denn im Hause des alten Ulrichs geschah und geschieht noch täglich Alles, um die Nachkommenschaft zu verderben. Von Constantin sprech’ ich nicht, um Agnesen nicht zu kränken. Seinen Dünkel, seinen nichtsnutzigen Hochmuth werden Sie kennen und sich hoffentlich nicht von ihm terrorisiren lassen, wie er Alle terrorisirt. Frieda aber ist die einzige von den Ulrichs, mit denen sich umgehen läßt, wenn auch mit ihr der Zank nicht abreißt; sie ist praktisch und warum? Ich glaube, man kann des Jahres die Seiten zählen, die die in irgend einem Buche gelesen hat.

Lieber Vater, entgegnete Agnes, die den Vorwurf fühlte, mit Gelassenheit, wenn man wie ich, seit frühester Kindheit auf dem Lande lebt und ewig nur von Oekonomie hört, was kann man thun, als sich unter Bücher flüchten? Frieda athmete von frühester Kindheit Bücherstaub. Ihr Haus wurde nie leer von jungen, wissenschaftlich gebildeten Männern. Was Andere sich mühsam durch Selbstunterricht erwerben müssen, gewann sie im Spiel. Und so hübschen Mädchen, wie Frieda ist, steht im Grunde Alles schön, selbst wenn sie Thorheiten machen. Ich 94 möchte nicht ungestraft die Possen treiben, die man ihr hingehen läßt. Wenn Frieda da am Schrank steht und alle deine Bücher nach der Reihe als Schriften voll Unsinn und Widerspruch recensirt, so heißt’s bei ihr: Die ist ein Genie. Thät’ ich’s, ich würde dir damit nur Beweise meiner Beschränktheit geben.

Eberhard horchte den vernünftigen Worten.

Sie rügten etwas, was ihm selbst an Frieda, die er wiedergesehen und liebte, nicht wohlthat.

Diese Kritik Agnesens wurde mit einer Sicherheit vorgetragen, die er bei dem sonst zerflossen scheinenden Gemüthe kaum für möglich gehalten hätte.

Er mußte sich auch hier gestehen, daß Agnes in dieser ihrer bestimmten Art nichts Gewöhnliches hatte. Die lange Selbständigkeit in der Führung eines eigenen unruhigen Hauswesens hatte sie mehr entwickelt, als er bei erster Begrüßung glaubte und vollends achtbar war ihm die Fassung, mit der Agnes schon bei diesem zweiten Besuche über Constantin hinwegging.

Er kam zum dritten male nach Liederbach und an dem Tage, wo er den Hans durch eine lebendige Treppe befreit hatte, war er schon zum fünften Male da.

Auf Constantin kam die Rede nicht mehr; er hätte den Ring in aller Ruhe auf das Nähtischchen Agnesens legen können, sie würde ihn zur Seite unter die Blumenstöcke gelegt haben, unter deren grünen Schatten sie am 95 Fenster zu arbeiten und die stille einförmige nur zuweilen von einigen Studenten, die das von Hans von Landschütz gebraute Bier lieber im goldenen Löwen an der Quelle kosteten, unterbrochene Chronik des Dorfes zu mustern pflegte, und ein anderes Gespräch angeknüpft haben. Der Vater behandelte den Gast voll Theilnahme. Er schonte eben deshalb Constantin und von Agnesen sah Eberhard wol ein, daß sie sich der Erinnerung an Constantin mit einem an sich gesunden Gefühle der Selbstrettung entwinden wollte. Nichts ist ja schüchterner als Männernatur. Zu dem Eingeständniß einer keimenden Neigung Agnesens gegen – ihn selbst, wagte sich Eberhard’s Bescheidenheit nicht hinaus. Und doch fühlte er, daß sein Auftrag drängte. Jedesmal wollte er bei Agnes unter den Blumen sitzend aufspringen und rufen: Constantin ist treulos! Hier hast du deinen Ring! Nimm ihn, ich habe den Auftrag ihn dir zu geben! Aber er war des Entschlusses nicht fähig. Auch darum war er seiner nicht fähig, weil ihm oft ein Grauen vor Agnes kam. Sie kam ihm gefahrvoll vor. Er sah sogar Verschmitztheit und Berechnung. Er wog und wog. Er studirte. Sie sind ein schrecklicher Gewissensmensch! hatte ihm auch Frieda einst gesagt, als er am Abendtische ihres Vaters einen Korb voll Zwetschen an ihre Geschwister vertheilte und dabei die Jahre der Kinder zu den Zwetschen und 96 die Zahl der Zwetschen zu der Zahl der Kinder in eine arithmetische Gleichung brachte.

Agnes nahm Frieda’s, von Eberhard angekündigten Besuch nicht so heiter auf als der Vater, der über das Abenteuer mit Hans dem Ziegenbock lachte.

Er lachte nicht über den Humor der Sache an sich, sondern über den Aerger der Leute auf dem Stiftshofe, denen er, trotz der Erziehung, die er selbst einst Aurelien und ihrer Freundin Eugenie von Saalfeld, jetziger Wingolf, gegeben, jeden nur erdenklichen Possen wünschte, Miswachs ausgenommen, da dieser ihn selbst hätte treffen müssen.

Planer war ein Nachfolger jenes Apostels, der einst den Säbel zog und einem Knechte des Malchus sein Ohr abhieb. Vermögend wie er war, hatte er manchen Morgen Acker schon zu seiner Dotation hinzugekauft und stand mit einigen seiner Gemeindeglieder, denen er am Grünendonnerstag den Kelch reichte, nach Ostern schon wieder vor den Schranken des Gerichts. Nach der Ueberzeugung, daß man niemals Trauben von den Dornen lesen würde, gab er es schon seit Jahren auf, mit seiner reichen und verwilderten Gemeinde Seelenpflege zu treiben. Die Verrichtungen seines Amts gingen nach Vorschrift, er war ein Mann, den die Bauern in jeder Beziehung ein Recht hatten, stramm zu nennen; in seiner Amtsführung lief nichts Unerlaubtes unter. Aber die Berichte der rundrei-97senden geistlichen Inspectoren, die Planern oft in Liederbach antreffen konnten, wie er im Nebengebäude des goldenen Löwen, im alten Kruge, zur Kirchweihzeit eine Schlägerei mit eigner Hand vermittelte und mit dem ersten besten Schemel dazwischenfuhr, bis es Ruhe gab, diese Berichte schilderten sein Wirken als einen verlorenen Posten in dem modischen neuangebauten „Reiche Gottes.“ Und bei alledem behauptete er sich. Selbst seine Proceßgegner achteten des Mannes stramme Haltung.

Das Erstaunen, wie Frieda von Hans von Landschütz vor dem Pfarrhause in Liederbach abgesetzt wurde, war nicht gering.

Frieda mußte die Veranlassung dieser Fahrt zwei mal erzählen.

Der etwas lahme Patrimonialrichter, Justiziar Dammert, hinkte so rasch er konnte über die noch vor Staub undurchsichtige Straße und platzte mit der Frage herein, Himmel, woher diese gnädigste Vertraulichkeit käme?

Frieda erzählte aufs Neue und schraubte Dammert mit dem Verhör, das er möglicherweise noch mit ihr und dem Ziegenbock würde anstellen müssen. Auf seine Gewohnheit anspielend, im mündlichen Verhör mit den Bauern, wenn sie vor seinen Schranken standen, ihnen für jede Widerrede oder ungefragte Antwort oder für jeden lärmenden Zankausbruch Geldstrafen zu dictiren, die er nur dann wirklich einzog, wenn man seine Geduld auch zu lange 98 auf die Probe gestellt hatte, rief sie in Dammert’s Tone: Hans! Er schweigt oder – fünf Groschen! Hans! Er stößt nicht oder – sechs Groschen! Hans! Er schert sich zur Thür hinaus oder – sieben Groschen! Der Vater lachte wie immer, wenn beim Spott das Stichblatt nicht er war.

Der bestellte bessere Kaffee wurde hereingebracht.

Man plauderte allerlei Neues durcheinander.

Dammert, begierig jetzt auf den Stiftshof, ging. Und wie alle Vier nun, etwas beklommen, in der früh hereingebrochenen Dämmerung beisammen saßen, kam dann die Rede auf Constantin.

Frieda, das Kind Gottes, sagte kurzab:

Lieben Leute! Jetzt sind wir unter uns! Jetzt seid einmal gescheut und macht dem Ding ein Ende! Ich erwarte, daß ihr dem armen Bruder abschreibt! Ich hätte nie geglaubt, daß der Constantin auch so ein Gewissensmensch wird und an einem offenen ehrlichen Wort so lange druckst und kaut. Doch besser wahrhaftig, ihr macht das früher ab, als bis ihr’s mal in der Zeitung lest, daß sie ihn zum ersten male mit irgend Jemand anders aufgeboten haben.

Der Eindruck dieser schrillen Worte war schmerzhaft.

Der alte Pfarrer sprang auf und legte zitternd die Pfeife hin.

Agnes ließ einen Tassenkopf fallen und schwankte zur Thür hinaus.

99 Eberhard erhob sich entrüstet und sagte mit geröthetem Antlitz tief vorwurfsvoll: Frieda! Frieda!

Aber warum denn nicht! rief Frieda. Es ist ja drückend für Beide und darum sollen sie’s abschütteln. Kein Baum bleibt in Jahren derselbe. Dr. Hainer sagt’ es neulich, alle fünf Jahre hätten wir in der Hauptsache einen andern Körper, wir wüßten’s nur nicht. Wie soll denn da Eins sich durch eine vergangene, an sich glücklich und wahr gewesene Stunde sein ganzes Leben verderben und um diese eine edle und brave Stunde sich immer rundum im Kreise drehen? Und Sie wußten’s doch, Ott! Warum haben Sie denn den Ring noch immer in der Tasche? Mein Bruder schreibt uns heute, daß die Untersuchung niedergeschlagen ist und daß Ihr Schweigen ihn ungeduldig macht.

Der Pfarrer sah Eberhard mit durchdringendem Blicke an.

Eberhard stand wie beschämt, wie vernichtet. Er wußte nicht, was erwiedern.

Frieda beachtete die Pause nicht, sondern plauderte weiter:

Sie wollen ja fünf grade sein lassen. Aber gemaßregelt wird doch. Der Eine muß einen Revers unterschreiben, der Andere sein Bündel schnüren und aus der Residenz. Constantin kommt heute Abend, sein Erkerstübchen hab’ ich ihm schon zurecht gemacht und die Ungewißheit, die 100 ihn wegen Eurer drückt, wird grausam. Drum kam ich selbst und wenn Agnes vernünftig ist, so gibt sie mir ihren Ring gleich mit und Sie geben ihr den Ring Constantin’s und die ganze Last ist endlich vom Herzen. Abgemacht! Punktum!

Planer ging schon gefaßter und nur noch bewegt auf und ab.

Zorn hatte er anfangs genug. Der Hinblick auf den ihm wohlthuenden Eberhard aber milderte diesen Zorn und Frieda’s praktische Auffassung, die für Eberhard ein Stich durchs Herz war, versöhnte ihn sogar; es war die seine. Er platzte heraus:

Ja! Frieda! Hast Recht! Es war eine Dummheit. Gleich anfangs! Das hätte damals drüben lieber im goldnen Löwen einkehren sollen als bei uns. Dein Bruder ist ein heimtückischer Bursche und war mir immer zuwider. Dünkelhaft wie ihr Alle seid, ihr Alle, ihr Ulrichs! Vater und Mutter und eure ganze Sippschaft! Und wer dich mal als Frau kriegt, Frieda, der hat auch seinen Segen weg. Das ist meine Meinung.

Für Eberhard hatten diese Erörterungen so viel Verletzendes, wie das Kritzeln eines geradegehaltenen Stifts auf einer Schiefertafel.

Die nüchternen Auffassungen des Pfarrers waren ihm bekannt; aber Frieda’s Aeußerungen über brechende Herzen, zurückgegebene Worte und Ringe, die gingen ihm doch 101 zu weit. Selbst dem Irrthum gebührte nach seiner Meinung unter Umständen eine Schonung. Die Wahrheit hat nicht überall freien Zugang und darf die Thüren so aufreißen und ihre Enthüllungen so geradehin ausrufen. Es gibt für gewisse Meinungen und Ueberzeugungen der Menschheit Ceremonialgesetze, die zu überschreiten nicht Jeder den Beruf hat. Frieda schien Eberharden eine Priesterin der Wahrheit zum Nachtheil ihrer Schönheit zu sein. Und da der alte Pfarrer jetzt in wirkliche Rührung gerieth und seinem abwesenden Kinde sein ganzes Lob, seine ganze Theilnahme spendete, so trieb es Eberhard hinaus zu Agnes.

Es war dunkel geworden.

Er suchte sie in dem schon herbstlichen, halbentlaubten Garten. Er fand sie unter den Asterbeeten.

Er trat zu ihr heran, er wollte der Einsamen Trost und Zuspruch bringen…

Frieda inzwischen, ohne Eberhard’s Hinausgehen besonders bemerken zu wollen, stützte den Lockenkopf auf und blickte durch die Blumenstöcke, die am Fenster standen, auf das abendlich still werdende Leben eines Dorfes. Sie sprach vom Heimgang, wollte ohne Eberhard fort, sprach von der Stunde, wo der letzte Eisenbahnzug käme, sie wollte den Bruder, der der Stolz der Familie war, selbst empfangen.

Aber Planer bedurfte noch einer Scene. Die Ge-102schichte mit Constantin Ulrichs war für sein Haus jetzt abgemacht, aber es fehlte doch noch das rechte Punktum auch nach seinem Sinn.

Erst sollst du noch deinen Ring haben, Mädchen! sagte er wiederholt und nöthigte Frieda zum Bleiben.

Da sie nicht mochte, sagte er:

Hilft dir nichts. Und Das mußt du auch noch hören. Dein Constantin, Frieda, ist ein Nichtsnutz.

Planer gehörte zu jenen Aufgeklärten, die die „Genialität“ fast ebenso hassen wie die Finsterniß. Das Geniewesen ist ihnen nur eine Abart derselben Verirrung wie der Autoritätsglaube. Kein Reformator mag leiden, daß über seinen Kopf hinaus Andere noch weiter gehen wollen als er und leider hat Mancher sich dann schon entschlossen, lieber wieder zurückzugehen und sich wieder an Die anzuschließen, die er früher bekämpfte, als Denen zu folgen, die ihm nun gar noch vorangehen wollen.

Als Planer jetzt so recht aus dem Grunde seine Verwünschungen gegen die Ueberschwänglichen und Freiheitsschnaubenden ausgesprochen, stand Frieda auf, klopfte ihm auf die Schulter und antwortete:

Alterchen! Still! Eures Gleichen bringt mehr Unglück in die Welt als die Aristokraten! Wißt ihr, Papa, was Ihr denn eigentlich seid? Ein Schulmeister und einer recht dick voll Tyrannei. Ihr wollt die Freiheit haben, aber ganz apart für Euch und alle Uebrigen müssen 103 sich unter Eure Freiheit als Sklaven ducken und wer sich dagegen muckst und eigentlich was Anderes will, den möchtet Ihr dann auch gleich in Euern großen Sack stecken, grausamer als der Kaiser von Marokko. Geht mir weg! Meine Mutter sagt als, wenn vom liederbacher Glauben die Rede ist, Ihr glaubtet da blos an Euch selbst! Es ist nicht anders; Jeder geht natürlich die Landstraße, wie sie ihm im Kopfe angelegt ist. Ihr könnt aus Eurer Feldmessung nicht heraus und trampelt und wettert und flucht, wenn Einer den Zweifel just nicht so glauben will wie Ihr! Sogar Eure Freigeisterei soll ein Evangelium sein. Nun macht Ihr’s Keinem recht. Wenn die Stiftsfrau von Landschütz nicht jeden Sonntag aus alter Anhänglichkeit bei Euch in die Kirche ginge, kein Mensch hörte Euch mehr auf der Kanzel zu. Ihr gebt fürs Herz nichts und gebt für den Verstand nichts; ’mal redet ihr mit der Bibel und nehmt sie aufs Wort und ’mal soll’s wieder blos bildlich sein und so wollt Ihr eigentlich immer nur selbst Euer Herr! Herr! sein. Die Gemeinde soll bei jedem Dinge erst fragen: Herr Pfarrer, was dürfen wir nun darüber wieder meinen? Und Ihr raucht dazu Eure Pfeife und gebt den dummen Buben und Mädchen Eure gesetzte Antwort und hundert mal hab’ ich’s schon gehört, daß Ihr den Leuten wie ein Professor, der’s weiß, sagtet: Das weiß man nicht! Und das gerade so, als wäre das Nicht ein Glaubensartikel und 104 es müßte Eins gleich verbrannt werden, der sich nicht ebenso feierlich und majestätisch hinstellt und sagt: Das weiß man nicht! Und so sag’ ich wieder Punktum. Und diesmal Streusand drum!

Mit diesen Worten hatte Frieda den Hut aufgesetzt und sprang zur Thür hinaus.

Im Garten mußte sie in der Dämmerung erst eine Weile suchen, bis ihr Agnes und Eberhard sichtbar wurden.

Beide traten ihr unter durchsichtig gewordenen Rebengängen entgegen.

Es war still und feierlich zwischen ihnen.

Agnes schien gefaßt, Eberhard schwieg.

Planer sah dann in der Stube forschend auf Beide.

Frieda hatte einen ironischen Zug um den Mund, schien verdrießlich und wollte fort.

Agnes gab ihr die Hand. Mit Fassung trat sie zu Frieda heran und sagte, daß sie einen schönen Traum ihrer Jugend preisgeben wolle, wenn sie wüßte, daß sie ein anderes Wesen glücklich machen könne. Ott hätte die Leiden ihres Herzens gesehen und nicht gewagt, den Auftrag sogleich zu vollziehen. Es wäre jetzt geschehen. Und nun sie wisse, daß Constantin durch eine Dame aus der großen Welt glücklicher sein würde, als mit ihr, gäbe sie gern auch ihren Ring an Frieda zurück; sie möchte ihn dem Bruder geben, sie möchte ihn grüßen, möchte gewiß 105 sein, daß er nicht um Liederbach herumzugehen brauchte, wenn er des Weges käme; sie hätte sich schon seit Jahren auf diesen Augenblick vorbereitet.…

Frieda nahm den Ring, betrachtete ihn blinzelnd und sagte sich zum Vater wendend spöttisch: Amen!

Da Eberhard sich still beobachtend in der dunkeln Stube an eine alte Commode mit Gläsern und Tassen lehnte, meinte sie zu dem noch: Assessor! Die Gläser und die Tassen!…

Eberhard lächelte schmerzlich und war still.

Dem Vater war’s fast, als müßte er etwas merken.

Er wollte einen Knecht rufen, Frieda nach Hause zu begleiten.

Eberhard sagte aber, auch er würde gehen, er müsse doch Constantin begrüßen. Der Blick, den Agnes dabei auf ihn richtete, war bedeutungsvoll.

Frieda verstand ihn fast, diesen Blick. Sie nahm ihren Hut und flüsterte Agnesen zu: Hab keine Angst! Ich nehm’ ihn dir nicht!…

Frieda! fuhr Agnes glühend auf.…

Nun! Nun! Wir Frauen kennen uns doch! sagte Frieda.

Eberhard sprach eben mit Planer. Er hörte nur Agnesens Abschiedswort: Frieda! Du bist fürchterlich!…

Dann ein nachdenkliches: Gute Nacht! von ihm selbst und nun gingen Eberhard und Frieda von dannen …

106 Eberhard bot der Schwester seines Freundes, die er so innig geliebt hatte, den Arm.

Frieda lehnte ihn ab. Doch schien sie unbefangen. Sie sprach gleichgültige Dinge.

Es war fast dunkel geworden. Die Sterne tauchten aus dem blauen, nebelbezogenen Himmelsmeer. Die Luft ging kühl; die geheimnißvolle Sprache eines Herbstabends flüsterte sanft durch die Natur. Die Pappeln am Wege säuselten vor dem baldigen Abschied ihrer welken Blätter. Die Ebene so weit sich breitend und das Leben in ihr so abendlich, so still, so ruhig, da- und dorther nur das Bellen eines eingeschlossenen Hundes, von der Stadt heimkehrende Wanderer, mit einfachem Abendgruß. Wie friedlich die Welt in solchen Stunden! Die Felder hier leer, dort mit frischen Furchen schon durchzogen und nach dem Erdreich duftend wie im Frühjahr. Letzte Hüter des Feldes nur noch die Kartoffeln oder dampfend widerwärtigen Geruchs Feuerstätten, wo das Kraut der schon geernteten verbrannt wird.

Würde so die einfach ländliche Herbstnatur im blaurothen Nachtschimmer nicht ohnehin die Stimmung der Wehmuth geweckt haben, wie mußte es erst klagen und weinen in Eberhard, der, allein so hinschreitend, neben der plaudernden und Allem, was ihr eben durch den Sinn kam, Worte leihenden Frieda ausrufen mochte:

Dieser kalte Abend, nach Dem, was wir heute drüben 107 am Mittage erlebten? Welche Töne drangen vorhin aus deinem holden Munde, du Kind der Natur! Welche Gedanken liegen hinter diesen ruhigen Augen! Gedanken, die zu denken mir eine Umwälzung meines Innern sein würde und die dir so leicht kommen wie die silbernen, durchsichtigen Wölkchen dort unter den Sternen segeln! O Frieda! Wen lieb’ ich denn anders als dich! Wem möcht’ ich denn anders zu Füßen sinken und ihn an seinem Kleidessaume festhalten als dich! Frieda! Wem möcht' ich denn in dieser stillen Einsamkeit, hier jetzt mit dir in die ruhenden, schlummernden Büsche tretend, unter den Käfern, die noch einen Flug versuchen wollen, unter Vögeln, die noch zuweilen wie im Traum sich durch einen leisen wie vergessenen Ton in ihrem Versteck verrathen, an mein Herz drücken und Liebe, Liebe, Liebe stammeln, als dir! Nun ist’s vorbei.… Was war das soeben, was geschah mir am Asternbeete des Pfarrgartens …?

Der Fluch der männlichen Schwachheit ist sehr oft der, nicht im Stande zu sein, Situationen zu beherrschen.

War’s die berechnete Thräne der Empfindsamkeit gewesen, die Eberhard an Agnes gerührt hatte? Warʼs ein Blick gewesen, den er in die tiefsten Geheimnisse der Verachtung der Frauen gegen Frauen geworfen?

Er hätte jetzt da so hinschreitend im Abenddunkel Hülfe rufen mögen, Hülfe bei der einzigen, die seine Phantasie einst ganz erfüllt hatte und die er nun fast haßte. Die 108 luftige bunte Brücke wenigstens, die ihn einst zu Frieda Ulrichs geführt, war ein Nebelhauch geworden und zerstoben.

Er ergriff Frieda’s Hand und fragte:

Frieda! Was denken Sie von Agnes?

Harmlos sagte sie:

Agnes Planer ist ein ganz gutes Mädchen.

Es war dies ein ehrlicher Ton. Für Eberhard lag etwas in diesem Zeugnisse. Doch mußte es ihn nicht kränken, daß es gleichsam klang, als sollte gesagt sein: Dir darf sie genügen.

Beide schwiegen.

Von der Stadt tönten Glocken. Ihr verhallender Ton hob die Feierlichkeit des Abends. Eberhard war kein Poet, kein Schwärmer. Er hatte nie einen Trieb zur bewußten idealen Auffassung des Lebens gehabt. Er war praktischer Schwärmer. Er sah nur immer die Welt der Pflichten, der Sorgen, der Mühen, Aufopferungen. Er war in seinem Gedankengange gewissenhaft.

Ach, dachte er jetzt, solchen Naturen, wie Constantin und Frieda, fehlt nur das Unglück! Unglück allein kann sie ändern!…

Er sagte ihr’s.…

Frieda lachte.

Das sind kirchhöfische Ansichten, sprach sie und fuhr fort:

Bester! Dem ewig Verhimmelnden ist Alles, was zur 109 Erde gehört, schrecklich, aber mein Vater hat uns früh vor der Erde Respect beigebracht. Die Erde ist ein so merkwürdiges Product, daß ich ganz ehrenvoll finde, ihr anzugehören. Was hat die Erde nicht Alles schon durchgemacht! Denken Sie an die Billionen Jahre zurück, die die Erde gebraucht hat, um ihre jetzige Form zu gewinnen und was das noch für ein Blühen und Leben mit der Erde ist und wie prächtig sie sich entwickelt und in noch fernern Billionen Jahren entwickeln wird! Zur Geschichte der Erde gehören wir mit zu. Sie ist ja ein lebendiger Körper, der immer wächst und sich verändert und wir machen das Alles im Leben und im Tode mit. Wenn ich heute sterben müßte, so ging’ ich getrost. Ich brauche die Reise nicht bis an die Sonne, die so viel Meilen von uns fern liegt und wenn man ihr näher kommt, nichts Anderes ist, als was unsere Erde ist. Da bleiben wir lieber getrost gleich hier, gehen so lange als möglich mit dem Wirrwarr mit, und wenn uns Unglück passirte, da sollte man immer gleich Reißaus nehmen und mit der Sonne schmachten? Ich weiß nicht, ich habe das Gefühl nicht, als könnt’s mir einmal schlecht gehen. Ich versichere Sie, wenn unser ganzes Haus ausstürbe und ich wäre mit den kleinen Kindern allein, wir würden im Frühjahr Rettige, im Sommer gelbe Rüben, im Herbst weiße Rüben essen und auch roh, wenns nicht anders sein müßte. Die Leute lachen über unsere verkehrte Wirthschaft. Die Sache ist ganz einfach. 110 Wir machen uns nicht zu Sklaven eingebildeter Bedürfnisse. Ich gebe Ihnen mein Wort, wenn wir uns zu Hause vorm Stehlen hüten, so ist’s, um häßliche Weitläufigkeiten zu vermeiden. Ueberall kommt schon Licht in die Köpfe. Seien sie überzeugt, unsere Kinder und Enkel kommen in viel natürlichere Lagen, als in denen wir leben und als uns bei der gegenwärtigen Duckmäuserei wahrscheinlich scheint.…

So plauderte sie fort und Eberhard hörte halb lachend, halb kopfschüttelnd zu.

In der Ferne ertönte bald ein Pfiff.

Der Dampfwagen war wol angekommen.

Als sie an die Stelle kamen, wo heute Nachmittag Hans von Landschütz von Frieda angeredet und zurechtgewiesen war, zog schon die Anhöhe herauf der Omnibus.

Ein Hut streckte sich heraus. Es war Constantin, der die Schwester und Eberhard erkannte.

Constantin stieg aus, gab und nahm seine Begrüßung.

Er verrieth sogleich Verdruß über sein politisches Geschick.

Ein schwesterliches freudiges Entgegenstürzen, das sich Eberhard hier nothwendig gedacht hatte, fiel weg.

Frieda sagte ganz einfach: Bist da, Constantin? Die Stube ist in Ordnung!

Und Constantin erwiederte ebenso: Guten Abend, Frieda! Alles wohl?

111 Dann kamen die Erörterungen über den Zusammenhang der Ausweisung aus der Residenz.

Der Omnibus fuhr rasch vorüber.

Noch ein bekanntes Gesicht grüßte und schwang eine schäbige Mütze. Es war Jean Reps, auch ein Verbannter, dem Constantin in der Eile kein anderes Quartier anweisen konnte als bei Eberhard. Eine für Diesen sehr traurige Perspective. Eberhard war nicht in der Stimmung zu widersprechen.

Nur auf seine Frage: Und Hertha Wingolf? antwortete der Bruder: Sie würde ihm folgen.

Hertha Wingolf? fragte Frieda.

Jetzt erst erfuhr sie den Namen des neuen Verhältnisses. Sie wiederholte den Namen einige male und sagte:

Sie wird kommen? Hierher wird sie kommen?

Als sie zum Thore einlenkten, trennte sich Eberhard von den Geschwistern.

Ihre Ruhe, ihr einfacher Meinungsaustausch hatte ihn noch mehr verletzt. Er fühlte seinem Herzen nicht nur mit Grauen nach, wie nahe Haß und Liebe verwandt sein können, er hatte sogar ein Gelüst, an der unerschütterlichen Selbstzufriedenheit dieser Menschen zu rütteln, Frieda’s Amazonensinn zu brechen, sie irgendwie zu dem Geständniß zu bringen, daß auch sie sich müsse der Pflicht gefangen geben.

Daß Frieda ihn nicht liebte, das hätte ihn noch heute 112 an der Mauer des Stiftshofs können in Verzweiflung bringen. Jetzt aber, nach dem Wiedersehen in Liederbach, tröstete ihn die gewonnene Ueberzeugung, daß Frieda überhaupt wol nicht lieben könne.

Zu Hause fand er schon seinen Einquartierten. Er bestellte für Jean Reps ein Nachtessen und erntete von diesem dafür eine Reihe salbungsvoll ironischer Lobsprüche, die auf allerlei Ausführungen des Themas hinauskamen: Ott, Sie sind wirklich ein sehr guter, d. h. im Stillen gedacht, ein herzlich dummer Mensch!

113 Sechstes Capitel.#

Der Stiftshof und die Symbolik eines Ringes.#

Einige Tage später erschien in H. in der That die Tochter des Justizchefs Wingolf.

Es ging ihrem Auftreten kein unbedeutender Ruf voran.

Deshalb wollten Alle die persönlich gewordene weibliche Selbständigkeit kennen lernen, wollten die Liebe und den Heroismus der Hingebung, die hier dem jungen Ulrichs gezeigt wurde, entweder in Person bewundern oder hintennach auf Grund von Thatsachen kritisiren.…

Doch wurde man Hertha’s sobald nicht ansichtig.

Sie kehrte zwar erst in einem Hotel, dann aber im Stiftshofe bei Aurelie von Landschütz ein, an die sogleich nach ihrer Abreise von der Residenz Julie von Reisig und Eugenie geschrieben und sie dringend um eine Art Einfangen des wilden, entlaufenen Füllens gebeten hatten.…

Aurelie von Landschütz war nicht wenig gespannt, ein junges Mädchen zu begrüßen, das von seinem Charakter 114 und seiner Weltauffassung eine so allbekannte Kunde verbreitet hatte.

Die Räumlichkeiten des kleinen Schlosses reichten aus, diesen Besuch bequem zu beherbergen und so erging denn an Hertha eine Einladung, deren Motive freilich etwas peinlich waren.

Von ihrem Bruder hatte Aurelie trotz aller Beherrschung seiner Unarten Kenntniß seiner rücksichtslosen Bequemlichkeitsbetriebe genug, um nicht manchen Conflict zu fürchten, der durch die Aufnahme Hertha’s möglich werden konnte.

Indeß ließ sich Alles nach Wunsch an. In drei Tagen hatte die rasche Fürsorge Juliens und Eugeniens Hertha aus der auffallenden Stellung eines im Hotel einer Universitätsstadt wohnenden, ihrem Geliebten nachreisenden jungen Mädchens entfernt. Hertha fügte sich mit Bereitwilligkeit dem ihr vom Stiftshof gemachten Antrage, nicht jedoch ohne erst ein förmliches Abkommen getroffen zu haben. Sie wollte wissen, wie man es mit etwaiger gegenseitiger Belästigung zu halten gedächte. Sie sagte, die Entfernung von der Stadt wäre nur gering. In der Stadt, die sie täglich zu besuchen vorhätte, stünde ihr das Ulrichs’sche Haus für den ganzen Tag offen. Sie wollte Niemanden unbequem sein.

Man gab jede tröstende Versicherung.

Und in der That wenn auch Hertha anfangs mit der 115 ihr eigenen Lebendigkeit die Vorstellung eines Aufenthalts in einer berühmten Universitätsstadt ergriff, dachte sie sich auch mit Begeisterung die mannichfache Anregung und Belehrung, die sie würde in diesen Mauern sich aneignen können, so lernte sie doch bald den stillen Frieden schätzen, den sie im Stiftshofe antraf.

Aurelie, hoch in den Dreißigen, etwas förmlich und gemessen, gab sich ihr milde und gütig und Hertha erschreckte Jeden sogleich bis zur Unterordnung. Einige Zimmer nach dem entlaubten Park in einem Seitenflügel des zweistöckigen, mit Schiefer gedeckten, altmodischen Schlosses gefielen Hertha ausnehmend und zuletzt besser als sogar die Stadt. Selbst das Ulrichs’sche Haus entsprach, wie Constantin ihr sogleich gesagt hatte, bald ihren Erwartungen nicht.

Jedoch stand sie sich über solche Keime eines Zwiespalts nicht Rede. Noch hob sie zu mächtig das Gefühl der Freiheit. Noch erfüllte sie ganz das Glück, in Constantin’s Nähe leben zu dürfen. Noch hatte sie die überfliegendsten Bildungspläne und scherzte oft, und mit halbem Ernst, darüber, ob sie nicht in Männertracht auch an den Vorlesungen Theil nehmen dürfte.

Der Tochter eines hochgestellten Staatsmanns kam man allgemein mit der größten Zuvorkommenheit entgegen.

Hertha empfing Besuche und machte Besuche. Sie überraschte jeden Namen, der einen Rang in der gelehrten Welt behauptete und suchte sich mit seinen Studien 116 in irgend eine Beziehung zu setzen. Sie las, sie schrieb, sie machte Auszüge. Sie hatte einen Bildungseifer, der sich von Dem, was nicht allzuschwere Vorstudien erforderte, nichts entgehen ließ.

Aurelie von Landschütz durfte die Furcht, die sie anfangs vor Hertha gehabt hatte, bald beschwichtigen.

Verletzendes, Unweibliches kam bei ihr nicht vor. Wenn sie nicht an den kleinen Theeabenden, die Aurelie liebte, allzuheftig mit den anwesenden Herren und Damen zu streiten begann, machte sich das Verhältniß ohne alle Störung der herrschenden Begriffe von Maß und Schicklichkeit.

Auch die Beziehung zu Constantin hatte nichts Auffallendes. Der junge Ulrichs war durch seinen Skepticismus ein Weltmann geworden; darin lag die Bürgschaft seines Takts. Noch mehr, die Liebe zwischen ihm und Hertha beruhte auf ganz eigenen formellen Gesetzen. Hertha’s Natur war eine unannahbare und spröde, sie war die Jungfräulichkeit selbst. Wie sie Alles nur nach seinem geistigen Werthe zu erfassen suchte, so auch die Liebe. Ihr Benehmen gegen Constantin hatte etwas entschieden Weihevolles. Aurelie hatte dafür den Frauenblick, der die bloße Maske der Sprödigkeit sehr bald von der wahren Unnahbarkeit der Unschuld zu unterscheiden weiß. Hertha gehörte zu jenem Frauengeschlechte, aus dem die Nordlandstöchter einst und die Brunhilden auf-117wuchsen. Abgewandt allem Gewöhnlichen verschmähte sie selbst die üblichen Formen des zärtlichen Einverständnisses. Und Constantin selbst war entweder blasirt oder kalt genug, diesen Ton der Rücksicht und Entsagung fortdauernd einzuhalten. Es war dies derselbe Ton, mit dem er Hertha einst sich gewonnen hatte.

Constantin wurde natürlich bald wieder der Mittelpunkt der Universität.

Die ältern Gelehrten gaben sich wol nicht die Mühe, seine Principien zu bekämpfen, die mittlern und jüngern aber kamen ihm entweder an Gewandtheit der Formen, Witz, Scharfsinn nicht gleich oder sie räumten ihm gern ein Feld ein, auf dem sie meistentheils alle selber standen. Constantin war auch hier wieder der allzeit Sieghafte. Merkte er, daß einmal in seiner Geltung eine gefährliche Stagnation eintrat, ein Stillstand in dem allgemeinen sich um ihn bewegenden Strome, so rührte er die Gewässer künstlich auf. Es mußte dann irgend ein Plan ausgeführt werden, zu dem es ihm an den einleitenden Organen nicht fehlte, ob nun die Initiative Eberhard ergriff oder wol gar Jean Reps, dem man Lectionen verschaffte, damit er ihnen Allen nicht allzulästig wurde. An Verdrießlichkeiten fehlte es unter solchen Umständen nicht. Eine umfassende Schilderung der Universität, die Constantin vom modernen Standpunkte aus an eine im Geiste Ruge’s und Bruno Bauer’s geschriebene Zeitschrift sandte, er-118regte ein so lärmendes Aufsehen, daß neue, mahnende und verweisende Einschreitungen der Regierung die Folge waren.

Immer seltner aber und seltner wurden die Besuche, die Hertha im Ulrichs’schen Hause machte.

Anfangs hatte sie dies Familienleben wahrhaft entzückt. Der Vater, ein harmloser, kindlicher Mann mit langem, grauem Haar, war die Natürlichkeit selbst. Die Mutter, Frau Riekele genannt, eine in ihrer Jugend bildschöne Frau, war jetzt noch trotz ihrer vielen Kinder blühend und dem Auge erfreulich. Ihre Beweglichkeit war die eines Irrwisches. Küche, Keller, Waschhaus, Gemüsgarten, Nähtisch, Nachbarschaft, Alles war bei ihr Eins. Die Kinder, so zu sagen, gingen wie sie standen und standen wie sie gingen. Nur in Masse wurden die Kleinen gereinigt, Knaben und Mädchen unter einen einzigen Apparat von Blechröhren und Brausen gestellt und unter Zetergeschrei Morgens und Abends trotz der zunehmenden Kälte mit kaltem Wasser übergossen. Von Nichts wurde ein „Umstand“ gemacht. Die Kleidung mußte ohne Löcher sein, das genügte, Alles Uebrige war gleichgültig. Essen und Trinken gab es zum Sattwerden. Ein großer hölzerner Aufsatz mit einem beweglichen Bret, dessen Centrum eine in der Mitte des Tisches eingefugte Axe war, stand jeden Mittag und Abend auf dem Tische. Auf dies Brett stellte man die Speisen; jeder hatte seinen Teller. 119 Das Brett wurde herumgedreht, so daß es bald zum Vater, bald zu Teutomar, bald zu Hedwig, bald zu Frieda kam. Jeder nahm was ihm beliebte und der Vorrath war groß genug. Die Tischordnung mußte unter solchen Umständen sehr unterhaltend sein. Für Anklagen fand man kein Gehör. Kind Gottes! rief Frau Riekele; laßt mich in Ruhe! Wer dich schlägt, schlag’ ihn wieder! Frau Riekele hatte genug zu thun, diesen Wirrwarr des Hauses in leidlicher Ordnung zu erhalten und es ging ganz prächtig. Jeden Abend konnte man hier im Sommer im Garten, im Winter am Ofen zusammensitzen und sich ohne Vorurtheile über Gott und die Welt unterhalten. Und wenn es nur Bier und Kartoffeln in der Schale und frische Butter dazu gab, so fehlte es nie an Gästen, an Studenten, Privatdocenten und Professoren gleicher oder verwandter Richtung. Die Kinder sprachen frischweg in jede Unterhaltung hinein und ernteten für ihren gesunden Verstand Anerkennung genug, manchmal auch freilich ein: Halt den Rand! wie’s eben zu paß oder unpaß kam. Der Vater nahm bei Gesprächen über religiöse und politische Vorstellungen nie Rücksicht auf die Kinder. Was für ein Kind nicht passe, glitte ihm schon von selbst ab. Wer deshalb von den Kindern übermüthig wurde, war damit noch nicht sicher, jeden Augenblick wieder „geduckt“ zu werden. Die Freunde des Hauses sogar wiesen die Kinder ebenso zur Thür hinaus wie die Aeltern thaten und Frau 120 Riekele dankte Jedem, der ihr das Leben erleichterte und mit der Natur natürlich umging. Von einer aparten Neigung für die Seinigen war hier keine Rede. Wer kam, war Freund des Hauses, wurde herzlich empfangen und durfte sich geben wie er wollte; wollte er aber wegbleiben, so rief ihn auch Niemand. Es war ein frohes, buntes, angeregtes Leben. Was diese Menschen für Witz, für Poesie, für Blödsinn, für Unsinn, für eine „Affenschande“ erklärten, das galt überall im ganzen Orte dafür. Sie waren die Götter der Erde, die den Geist für Phosphor, Romantik für Blödsinn, freien menschlichen Willen für Kindermärchen erklärten; und es lag ein titanischer Schwung darin, wenn es hieß: Was man wäre, das müsse man auch ganz sein und handeln müsse man seiner Natur gemäß. Sätze, die sich dann so erweitern ließen: Alle unsere Ideen sind Abdominal-Reflexe, die sich allmälig im Hirn daguerreotypiren und zuletzt in der Form von Moral, Religion, Philosophie, überlieferten Unsinn absetzen… Wer des Abends in diesem Kreise gelebt hatte, wer auf ein Wort der Frau Riekele, das sie regelmäßig um halb zehn Uhr zu ihrem Manne aussprach: Kind Gottes, ich bin schläfrig! dann aufstand, dann die Treppe hinunterstieg, dann die Thürklingel hinter sich lange verhallen hörte, dann stolz durch die Gassen der alten grauen Stadt unter den Sternen hinwandelte und in der Ferne hörte, wie man noch in allen Wirthshäusern donnernd mit Gläserauf-121schlag sang: Wir sind die Könige der Welt! der mußte hochbefriedigt mit einstimmen und der absoluten Kritik Recht geben, die da lehrte, es käme nur einzig darauf an, daß der Mensch „sich selber setze“.

Als Hertha zum ersten male diese aus Schön und Häßlich gemischten Formen auch einer freien Selbstbestimmung kennen gelernt hatte, mußte sie sie bewundern.

Später kamen aber Enttäuschungen.

Sie hatte ein Bedürfniß, sich in Constantin’s Lebenssphäre heimisch zu fühlen, sie war von ihm vorbereitet auf die Existenz eines Professors mit mäßigem Einkommen, sie war von ihm auf die Wunderlichkeiten der Mutter, die bequeme Nachlässigkeit des Vaters, die taktlosen Ausfälle Frieda’s vorbereitet und doch – da sie jetzt mitten in dem Chaos stand, erschrak sie, von Tage zu Tage weniger sich in ihm zurechtzufinden.

Wenn sie Constantin Abends über den schon fallenden Schnee oder die gefrorene Landstraße nach dem Stiftshofe heimbegleitete, foderte er sie auf, doch ihm getrost ihr Urtheil auszusprechen.

Sie mühte sich dann ab, Zustimmungen zu geben, die ihr nicht natürlich kamen.

Constantin blies seinen Cigarrendampf in die Luft und sagte: Eine Kritik des guten Tons hält diese Art nicht aus. Aber ich bin überzeugt, wenn die Kinder einmal aus diesem Boden herausgenommen und anders-122wohin ins praktische Leben verpflanzt werden, bewähren sie sich besser, als man glauben möchte. Frieda vollends ist wie Dornröschen, wenn auch nicht ganz nach unsers guten Uhlands Auffassung. Sie ist ein Stück Poesie; für unsere gewöhnlichen Verhältnisse ein unheimliches Elfenkind, von dem ich neugierig zu erfahren bin, was die Spindelfrauen des Schicksals ihr einst noch anthun werden.

Hertha kannte das Uhland’sche Lied und die Sage vom Dornröschen, das in alle Lagen, nur nicht in die der Stube und des Spinnrockens paßte.

Sie hatte anfangs dem schönen Mädchen ihre ganze Bewunderung gezollt, bald aber hatte sich die alte Erfahrung herausgestellt, daß wir Menschen vor Dem, was etwa auf unser eigenes Ebenbild hinaus kommt, doch gerade zum Tod erschrecken können. Der Geisterglaube sagt, wer sich selber sähe, dem winke der Tod. Hertha sah in Frieda sich selbst, sah ihr Ideal der freien Selbstbestimmung, sah im ganzen Ulrichs’schen Hause fessellose Existenz nach natürlichen Bedingungen, sah die Welt der Vorurtheilslosigkeit, von der sie so oft dem Vater und der jungen Mutter gesprochen – und nun – wenigstens sie selber gefiel sich nicht in der Rolle, die sie in dieser Welt mitspielte. Sie kam sich bleiern, schwer vor in dieser luftbeschwingten Beweglichkeit. Sie fand die Uebergänge des Denkens, die Unmittelbarkeit der Gesinnungen für 123 ihre Art viel zu schroff, zu plötzlich. Sie konnte nicht folgen. Wenn der Mensch Andern gegenüber den Schein gewinnt, ein Pedant oder wenigstens ohne Liebenswürdigkeit zu sein, fängt er gewiß an, vor dem Spiegel der Eitelkeit oder – der Selbsterkenntniß ernste Musterungen anzustellen.

Sagen wir aber Alles.

Ein menschliches Herz, das so voll und mächtig schlägt wie das Herz Hertha Wingolf’s, begehrt des Ruhms der Zufriedenheit mit sich selbst.

Wenn Hertha nach sechs Wochen ihres Aufenthalts in H. unter den mancherlei Anregungen, die sie suchte und fand, unter der Fülle von bedeutenden Thatsachen, die ihr mit der ganzen erhebenden Kraft, die allem Belehrenden innewohnt, zuströmten, aufrichtig sein wollte über den Eindruck, den ihr Frieda, ihres Freundes Schwester, und das ganze Dasein der Genialität machte, so hätte sie eigentlich sagen müssen: Neid ist’s, der dich verzehrt! Neid ist’s, wenn dem Kinde Gottes Alles im Spiele zufällt, was du dir mühsam erst und künstlich erwerben mußt! Neid ist diese Scham über dich selbst, über deine Schwerfälligkeit und die bleierne Schwinge deines Wesens!

Und Constantin hatte nicht ohne Ironie an den „guten Uhland,“ wie er ihn zur Bezeichnung des „überwundenen Standpunktes“ nannte, erinnert, als er Frieda mit Dorn-124röschen verglich. Ja, Frieda war die Naturpoesie und Hertha schien sich die Stubenpoesie.

Es ist ein tiefer Zug der Mißgunst, der sich in die Seele einschleichen kann, wenn man die geborenen Genien gaukeln und auf Blüten wie ein Schmetterling sich schaukeln sieht, Nichts beginnend, in Nichts sich mühend und doch überall Sieger und Herrscher. Der sicherste Instinkt gab Frieda immer die treffendsten Antworten. Alles und Jedes durfte sie wagen und es stand gerade ihr. Sie neckte die Gelehrsamkeit und zupfte an langen, erhabenen und feierlichen Zöpfen und wenn sie auch mit irgend einer von ihr nicht gewußten Thatsache übel ankam, selbst der Rückzug des Geständnisses, dumm gewesen zu sein, stand ihr klug und geistreich. Sie wußte in ihrer kurzen, schlagenden, epigrammatischen Art die Lacher so auf ihrer Seite zu behalten, daß sie aus ihren schwarzen Locken, aus ihren schelmischen Augen hervorlugte wie einer jener Elfen, von denen Hertha wußte, daß es Naturgeister und allerdings Geister ohne Seele sind. Hertha stand neben dieser Gaukelei feierlich wie eine Prophetin da, aber sie selbst, sie glaubte nur wie eine Dienerin, wie eine Schleppenträgerin neben ihr zu stehen.

Anfangs machte sie sich wirklich Vorwürfe ob ihrer Eitelkeit, ihres Neides. Dann aber fühlte sie doch, daß ihr Trieb, in allen Dingen nach den letzten Gründen zu forschen, eine unwiderlegliche Berechtigung hatte. Und 125 da Frieda Alles that ohne die letzten Gründe zu fragen und doch immer scheinbar Recht behielt, so fing sie an Frieda erziehen zu wollen.

Da erntete sie denn Spott.

O fall doch nicht über deine lange Schleppe! sagte Frieda einst.

Der Ton war bitter.…

Hertha fing an, sich von diesem Wesen geschieden zu fühlen. Es kam nur darauf an, daß sie das Gefühl: Du bist neidisch! in einem bessern Dritten überwand.

Es gibt einen gezogenen und einen zuchtlosen Genius. Hertha klammerte sich an diesen Unterschied; denn sie wollte nicht dem Neide verfallen. Sie behauptete vor dem Genius die größte Ehrfurcht zu fühlen, aber sie nannte den gezogenen Genius die künstlerische Weihe und Verklärung des rohen Naturtriebes, einen Schöpfer, Gestalter, Verlebendiger.

Von diesem Merkmale hatte Friedaʼs Genius allerdings Nichts. Frieda’s Genius war ein schelmischer Zerzupfer, ein lachender Zerstörer, er war negativ, wie auch der Genius des Bruders, der sich jetzt rüstete, Vorlesungen zu halten und mit einer Kritik aller Rechtsbegriffe im nächsten Semester seine akademische Laufbahn zu beginnen.

Hertha sprach oft zu Constantin: O Freund, könnte doch Frieda einmal eingestehen, daß sie sich irgendwo ge-126irrt hätte! Könnte sie doch der Reue fähig sein! Könnte sie doch einmal auch hören, statt nur zu sprechen! Könnte sie doch irgend ein Werk mit Emsigkeit beginnen und es mit Ergebung bis zu irgend einem fertigen Ziele bringen! Wie klein erscheinen wir Alle gegen sie, aber trotz unsers Ernstes, unsers redlichen Eifers! Wir Thoren, wir lesen ein Buch erst, ehe wir es beurtheilen! Frieda blättert darin und spricht über seinen Inhalt nach drei Seiten. Sie verachtet die Musik. Warum? Weil sie sie nicht gründlich gelernt hat. Sie tanzt nicht. Warum? Weil sie im Tanze ohne Grazie ist, während sie außer der Tanzreihe im gewöhnlichen Leben wie eine Sylphide schwebt. Es ist ein seltsamer Widerspruch in diesem Mädchen und aufrichtig bezeichnet, Constantin, Frieda ist nicht Das, was wir gut nennen!

Constantin hörte, da er Hertha mit großer Schonung zu behandeln fortfuhr, solchem Grübeln scheinbar aufmerksam zu.

Er suchte die immer mehr einreißende Trennung beider Charaktere, der Geliebten und der Schwester, zu vermitteln; allein im Grunde war er über Hertha ganz derselben Meinung wie seine Schwester.

Er fand Hertha pedantisch und in ihrem Sichselberaufklärungseifer komisch. Ihm war geschehen, daß er selbst auf Stiftshof eine ganz neue Ordnung der Dinge einführte, daß Aurelia die Trauernde, Gebeugte an ihm 127 einen Antheil nahm, als wäre Baron von Gleichen neu erstanden, ihm war geschehen, daß Hans sich der ganzen Verbindung mit dem „Eigenthum-Diebstahl-Wesen“ nicht mehr widersetzte, da Frieda seit der durch Hertha vermittelten Bekanntschaft mit Hans wie Puck mit den schlafenden Freiern des Sommernachtstraumes spielte, aber Hertha und Constantin, diese harmonirten nicht mehr, sie geriethen oft in grellen Widerspruch und Hertha war eigentlich die Einzige, die Constantins Autorität bestritt.

Wenn an den je nach der Witterung mehr oder minder lebhaften Theeabenden auf Stiftshof die Discussionen im lebhaftesten Gange waren, bewunderte Aurelie die leichte und nachlässige Art, wie Constantin in seinem Lehnsessel saß, mit seinem scharfen, durchdringenden Organ zwischen die Streitenden fuhr und ohne seinen freimüthigen Grundsätzen etwas zu vergeben doch den ganzen Beifall der Aristokratie sich gewinnen konnte; Hertha aber, die, wenn Alles auf den lächelnden, ironischen, scharf pointirend die Worte hineinschleudernden Freund blickte, sich dieses Besitzes doch hätte rühmen sollen, Hertha schauderte tief zusammen, wenn sie ewig und ewig doch nur Sätze, wie diese, hörte:

Man muß ja lachen über die Anstrengungen, die sich’s so Viele kosten lassen, fliegen zu lernen! Wer mit den Flügeln des Genius nicht auf die Welt gekommen, 128 der mag alle Vögel im Walde fangen und ihren Flügelmechanismus untersuchen und nachahmen, er kommt doch nur zu Falle! Ich ziehe die fröhliche Unbedeutendheit aller gequälten Bedeutung vor. Und nicht blos unserm geistigen Schaffen im Bereiche der Kunst steht ja überall der Schweiß der Anstrengung auf der Stirn, sondern auch unsern Institutionen. Was ist denn, wenn man aufrichtig sein will, dieser Constitutionalismus anders als die trostloseste Halbheit? Entweder Cato’s Republik oder Julius Cäsar Imperator. Was soll die Mitte? Entweder Amerika oder Rußland. Was quälen wir uns mit der Vermittelung von Gegensätzen, die sich gegenseitig erst zu zerstören haben, bis ein Drittes, vielleicht dann Meinetwegen Besseres kommt!…

Aehnliches wurde von Constantin täglich ausgesprochen.

An Entgegnungen fehlte es nicht.

Doch behielt Constantin immer Recht, wie Jeder, der das Unzulängliche, Halbe im Interesse eines höhern oder bessern Ganzen, das entweder längst da war oder erst noch kommen soll, tadelt.

Nur Hertha widersprach. Sie sagte einst:

Sie leugnen, lieber Ulrichs, den Fortschritt des Menschengeschlechts, wenn Sie ewig nur an die rohe Naturkraft appelliren. Gibt es wol eine schönere Blüte unserer Epoche als die Uebereinkunft? Das Verlöbniß so zu 129 sagen zwischen Recht und Pflicht und Kraft und Schwäche? Beruht nicht unsere ganze Civilisation auf dieser gegenseitigen Mäßigung, auf dem Takte der Zurückhaltung? Wie sich zwei Verlobte durch den Austausch ihrer Ringe gleichsam ihres Ichs entäußern, so sollen wir doch wol eigentlich auch immer in zwei Welten leben, in einer, die uns gehört und in einer, die dem Andern gehört. Wer nichts mit dem Andern austauschen mag, für Herz nicht Geist, für Geist nicht Herz gibt, der steht zuletzt einsam da und ich kann mir denken, daß ein Genius, der kein Mitleid mit der Menschenschwäche hat, zuletzt von irgend einem Felsen tiefverzweifelnd und über sein Alleinsein bejammernswürdig rasend sich hinunterstürzen muß.

Diese Worte würden die feierliche Stille, die ihre Folge war, nicht hervorgebracht haben, wenn nicht in den Kreis der uns schon bekannte Justitiar Dammert eingetreten wäre, der sich die Erlaubniß, an den Abenden seiner Patronin Theil nehmen zu dürfen, selten nehmen ließ.

Er kam von Liederbach, erzählte einiges Abgerissene vom Pfarrhause, brachte Hansen von Landschütz vom alten Planer einige Mittheilungen über die Schulheizung und eine Kirchenreparatur und zuletzt eröffnete sich durch seine dann aphoristischeren Auslassungen der Hinblick auf ein bekanntes Verhältniß, das gewisse Anwesende berührte.

Man brach natürlich ab; selbst Frieda schaukelte sich 130 nicht mehr in ihrem Lehnsessel, sondern sprach von der Rückkehr.

Constantin beobachtete Hertha, die die Farbe wechselte.

Die Geschwister gingen, begleitet von einigen Freunden aus der Stadt, und Frieda, um von Hans loszukommen, nicht ohne die gewöhnliche Weitläuftigkeit, daß er ihre Hand beim Abschiede gleichsam wie in der Falle hielt und von ihr erst all die derben Worte hören wollte, die er auch von Frieda reichlich zu ernten pflegte; er gehörte zu den Menschen, die man scharf anfassen mußte, um ihnen zu gefallen – auch Frieda drängte mehr als gewöhnlich.

Die Dinge aber, die Dammert angeregt hatte, bezogen sich auf Agnes und Eberhard.

Dammert hatte die Nachricht aus Liederbach nicht ganz aussprechen mögen, die Jeder schon ahnte, die Nachricht von der an diesem Abend in seiner Gegenwart vollzogenen Verlobung Eberhard’s mit Agnes.

Wie Constantin und Frieda fort waren, kam die Nachricht ganz so heraus, wie sie der Sachlage entsprach.…

Hertha’s Hand zitterte schon, als sie Constantin Gute Nacht sagte. Man sah ihre Aufregung, man wußte, daß sie auf diese Endschaft einer durch sie selbst hervorgebrachten Verwickelung gespannt war; aber daß sie die 131 Kunde von diesem Verlöbniß so erschüttert aufnehmen konnte, das lag in andern Gedankenreihen und Erfahrungen begründet, auf die wir zurückkommen müssen.…

Ist es möglich, hatte Hertha eines Tages ausgerufen, daß es so bedeutungslose, so höchst gewöhnlichdenkende Männer geben kann, die etwas sich aneignen, was ein Anderer verschmäht, wie dieser Eberhard Ott!

Es war gerade von dem Gerüchte die Rede gewesen, daß Eberhard Ott die verlassene Braut seines Freundes auszeichne, Liederbach täglich besuche und sich zuletzt wol auch mit Agnes Planer vermählen würde.

Man brachte damals und wieder heute manche Erklärung.

Weil Agnes eine Erbin wäre, ihr Vater vermögend, sagten die Einen und dies sogar in Constantins Gegenwart. Constantin hätte diese Meinung berichtigen müssen. Er that es nicht. Wahrscheinlich weil er in die Lage hätte kommen können, von einer fremden Lebens- und Herzensauffassung mit nachdrücklicherer Achtung sprechen zu müssen. Anerkennungen dieser Art waren ihm nicht gegeben. Man berichtete auch einst Eberhard, daß Constantin immer nur lächle, immer nur schweige, wenn von seinen Besuchen in Liederbach die Rede wäre. Eberhard schwieg gewiß; er war ja gefaßt auf allgemeine Misdeutung. Daß aber Constantin, der die Wahrheit kannte, 132 auch schwieg, that ihm weh, doch sagte er nur zu einem gemeinschaftlichen Freunde: Diese Menschen werden nur feierlich, wenn sie vom Nichts sprechen.

Man wird das Reich der Fee Mab aus „Romeo und Julie“ kennen.

Der ideallose Mercutio, Sinnenmensch und Lebensphilosoph, wird weich, wenn er vom Sonnenstäubchen erzählt, von der Traumwelt, von der kleinen, kitzelnden, poetischen Bagatelle.

In der That, auch Constantin konnte von Märchen, vom Helldunkel auf einer Landschaft, von einem Jagdvergnügen sprechen wie ein gläubiges Kind. Er war der übersättigte geistige Gourmand, der von aller Kunst zuletzt nur die Farbenwirkung, von aller Poesie nur zuletzt das Volkslied, von allen Genüssen des Lebens nur zuletzt die Idylle des Schwarzbrotes anerkennt. Was hätte er nicht zugeben, was aus der Tiefe herauserklären müssen, wenn er Eberhard’s Handlungsweise von dem Makel einer gemeinen Speculation hätte befreien wollen! Seinen ganzen gegnerischen Standpunkt hätte er feststellen, und feierlich werden müssen, wie Jean Reps wirklich schon feierlich wurde, wenn von Eberhard die Rede kam. Jean Reps, von Eberhard genährt und gepflegt, war auf Uebergängen begriffen, die er „Krisen“ nannte. Oft wiederholte er tiefsinnig und grübelnd Constantin’s Wahl-133spruch: Entweder Republik oder Rußland! Aber Constantin verweigerte jede Anerkennung.

Erst von Aurelien erfuhr Hertha über Liederbach andere Thatsachen, als die sie von Constantin wußte.

Agnesen wurde von Aurelien viel Lob gespendet. Einzelne Charakterzüge jedoch, die von Agnes dabei mit erzählt wurden, ließen sich kaum anders als nach der Auslegung einer Mischung von viel List und Besonnenheit deuten.

Natürlich wandte sich Hertha’s Verachtung auch auf Agnes. Unwillig rief sie aus: Da gesellt sich ja die Männernatur der rechten alten Evaart unserer Mitschwestern! Ich kenne sie ja diese stillen sinnigen Mädchen, die sich den Aufschlag ihrer Augen im Spiegel einstudiren! Ich kenne sie ja diese Liebevollen, die ewig erzürnt von fremder Lästerung reden, nur um die Lästerung wiederholen zu können! Ich kenne sie ja bei uns Frauen diese kleinen Künste der Berechnung, diese spinnenhafte Umstrickung mit Harmlosigkeiten, diese Tücke des Hasses bei scheinbarer Liebe! Glauben Sie mir, Aurelie, diese Agnes hätte noch einen Geringern gewählt, als ein so niedrigdenkender Mann sein muß, wenn sie nur die Genugthuung gewinnen konnte, Constantin zu zeigen, wie leicht sie ihn zu vergessen wüßte!

Aurelie gab in Betreff Agnesens im Allgemeinen Recht und den Bräutigam Eberhard Ott kannte sie nicht.

134 Eines Abends aber hatte Hertha endlich diesen Eberhard im Ulrichs’schen Hause gesehen. Sie erstaunte nicht wenig, von ihm einen Eindruck zu empfangen, der dem Bilde, das sie sich von ihm entworfen, nicht im mindesten entsprach. Eberhard war ernst und entschieden in seinen Aeußerungen, sein Ton stach fremdartig ab gegen den Ulrichs’schen Tumult, sie konnte den Widerspruch seines Seins und seines Thuns nicht begreifen; sie sah ihn seitwärts und mistrauisch mit langer Prüfung an. Auch Eberhard verrieth ein Interesse, endlich jener vielbesprochenen Hertha Wingolf ansichtig zu werden. In ein Gespräch kamen sie nicht. Eberhard schien in sich gekehrt und gedrückt.

Nachdem hatte ihn Hertha öfter gesehen und wenn sie aufrichtig sein wollte, hatte sie Ursache sich einzugestehen, daß diese kurzen und immer bedeutungsvollen Begegnungen etwas ihre Phantasie in Gefahr brachten. Alles, was sie an Constantin schon irrte und beunruhigte, fehlte bei Eberhard. Und doch war auch Eberhard’s Wesen durchgeistigt, seine Stirn die des Denkers, seine Rede gewählt, sein Urtheil nie oberflächlich. Ohne Zweifel fehlte Eberharden Constantin’s Esprit, aber sie mistraute ja diesem Esprit schon längst. Eberhard konnte und mußte fühlen, daß er anfing auf Hertha einen Einfluß zu gewinnen.

Und sie mußte von sich selbst gestehen, daß Eberhard 135 sie fast gewonnen hatte. Sie ging bald nur noch zu den Ulrichs, um vielleicht Eberhard zu begegnen. Sie hatte beobachtet, mit welcher Gewissenhaftigkeit er in der Weihnachtszeit auf jedes Glied des Hauses beglückend und bescherend einging, wie sicher er auswich aller wilden Anmuthung der Einfallsucht des Hauses, die sie schon längst aus tiefstem Herzen haßte. Da nie von Agnes die Rede war, nie in ihrer Gegenwart von ihr die Rede sein konnte, so wurde ihr Eberhard ein Mysterium. Er fing an ihre Phantasie zu beherrschen. Und sein Werth steigerte sich, als selbst Frieda vor ihm mit ihrem ganzen Wesen zuweilen Halt machte. Daß Constantin ihr einmal eingestand, Eberhard hätte Frieda geliebt, machte sie staunen. Sie fragte: Wie war es aber möglich, daß er dann eine Agnes wählte? Frieda trat hinzu. Constantin hatte eben eingeräumt: Ott ist sehr respectabel. Frieda gab die nähere Erklärung. Sie erzählte von dem Herbstabend, wo sie der „Unnatur“ ein Ende gemacht hätte, weil sie ihrem Constantin hätte den Ort, in den er zurückkehren wollte, nicht verleiden mögen. Da ist denn, fuhr sie, als sie bis zu Agnesens Flucht aus dem Zimmer gekommen war, fort, da ist denn ohne Zweifel Eberhard in den Garten getreten und hat Agnes, wie sich denken läßt, in Thränen gefunden. Still standen dabei die Sterne am Himmel, die Astern blühten, einige Georginen schwankten noch mit verblühenden Kronen. Am Rebenspalier 136 hatte Agnes, ohne Zweifel weinend, gestanden und Eberhard kommt hinzu und sagt: Agnes, warum weinen Sie? Da ist sie denn natürlich vor Schmerz ohnmächtig geworden, ist ihm ans Herz gesunken und da hat denn auch sich sein Auge mit Rührung gefüllt und so nahm er den Ring Constantin’s und gab ihn ihr und Agnes blickte fragend auf Eberhard und auf den Ring und weinte schon nicht mehr, im Errathen seiner Gedanken. Wir kennen das. Dann wird sie natürlich auch ihren Ring vom Finger nehmen und wird ihn zweideutig genug an Eberhard geben und so halb gegeben halb genommen, halb Schmerz, halb Trost, halb Kummer, halb Elend wird das ein Verlöbniß – schonender Rücksicht. Eberhard der Aermste konnte nicht anders. Sie werden beide auf ewig unglücklich diese Menschen. Warum? Weil sie nicht die Kraft hatten, es auf einen einzigen Augenblick zu sein. Für diesen einzigen Augenblick sind sie’s ewig.

Hertha horchte damals hoch auf. Ihr Herz stand still. Sie hörte Frieda zum ersten male eine Scene des Gefühls eigentlich ohne Spott und nur entsetzlich bitter, ja selbst wie in ihren eigenen Hoffnungen verletzt, schildern. Sie sagte fast unhörbar: Und Sie, Frieda, Sie liebten Eberhard? Frieda, erröthend, schüttelte den Kopf und erwiderte: Ich hätt’ ihn genommen, aber – da wir nicht passen, ist’s besser.… Frieda warf trotzig die schönen Lippen auf und entfernte sich.

137 Hertha, allein, wußte nun nicht, wie sie sich sammeln sollte.

Sie vergegenwärtigte sich Alles noch einmal, was sie von Frieda gehört hatte. Die Sterne standen am Himmel, die Astern blühten, Agnes stand weinend und allein im entlaubten Garten am traubenlosen Rebenspalier. Eberhard kommt. Er gibt den Ring Constantins zagend, sie nimmt ihn weinend, – er voll Mitleid.…

Sie stockte bei allen diesen Gedanken. Sie malte die Scene sich immer neu aus. Sie sah diesen ihr schon so lieben und werthen Eberhard in der ganzen Situation vor sich. Sie sah sein Herz, seine Güte.… Seit einem Jahr und länger hatte in ihren Augen keine Thräne gestanden. Sie weinte zum ersten male und über sich weinte sie. Ihr Stolz war durch irgend etwas gedemüthigt, eine Welt war ihr, sie wußte nicht wodurch und wie, zerstört. Das sah sie, es gab eine Tugend in der Schwäche. Es gab eine Entsagung mitten in dem Recht des Besitzes. Es gab eine Welt der Pflichten, die größer als die Welt der Rechte ist. Zwei Ringe, gebunden durch Bestimmung, gefeit durch den Fluch einer fremden Untreue, fesseln zwei andere Menschen, ziehen ihnen den magischen Kreis ewiger Gebundenheit – und der Sklave, der gehorchen soll, der beugt da so ruhig sein Haupt, und diese Ruhe und diese Demuth gibt ihm eine Krone, deren Glanz das Auge des Freien blendet.… Eberhard Ott, 138 der Edle, so hinausschreitend, zu einer armen schwachen Mitschwester, so unter den Sternen stehend und nichts mit sich tragend als seine Manneskraft und Mannesfreiheit, und diese Kraft und Freiheit rein verschenkend, rein dahingebend aus Güte einem weinenden Mädchen, das er trösten will, sich verschenkend an ein Lebensloos, dem er sich mit Geduld und gesammelter Treue ewig zu widmen rüstet –!

Hertha konnte dies Bild, fort und fort ausgemalt, nicht mehr von den Augen bannen, sie sah ewig nur Constantin’s zurückgegebenen Ring, hörte ewig Eberhard’s: „Agnes, weinen Sie nicht!“ und immer nur dies milde Männerwort: „Agnes, weinen Sie nicht!“

Sie war damals schon nahe daran, ihrem eigenen Geliebten zuzurufen: „Constantin, Constantin, deine Welt ist falsch! Leb wohl! Unsere Bahnen sind auf immer geschieden!“

So weit war Hertha in ihren Empfindungen gekommen an jenem Abend – es war im Januar – als sie zu Constantin das Gleichniß vom Verlöbniß gesprochen.

Der Justitiar Dammert brachte die Nachricht, daß die Verlobung zwischen Eberhard und Agnes wirklich gefeiert worden.

Es ergriff Hertha bei diesem Worte ein Herzenskrampf. Wenn es eine Liebe gab, so fühlte sie, daß sie Eberhard Ott liebte. Sie dachte nicht daran, ihn sich zu gewinnen, 139 ihn diese Neigung fühlen zu lassen, das schwache Kind in Liederbach aufs Neue in einen Jammer zu stürzen, aus dem es sich schon einmal auf eine für das Geschlecht nicht ganz ehrenvolle Weise gerettet hatte. Aber die Ruhe ihres Herzens war hin. Sie fühlte, daß sie an Constantin nur den Verstand geliebt hatte und ihn schon lange täuschte.

Sie verachtete sich selbst, als sie einige Tage darauf Constantin bat: Geben Sie mir den Ring Agnesens, den Ihnen Eberhard zurückbrachte!

Er erröthete und sagte: Sollen auch wir uns verloben? War das neulich Ihre Meinung?

Ja, antwortete sie, mit einer Verstellung, über deren Ausdauer sie selbst erschrak.

Sie wollte nur den Ring haben, den Agnes an Eberhard zurückgegeben. Sie sah den Reif voll wahnbethörter Eifersucht an. Die alte Jahreszahl 1841 erschreckte sie nicht, Constantin’s Name erschreckte sie nicht. Sie sah nur, daß Eberhard diesen Ring an jenem Herbstabend getragen; sie versank bei seinem Anblick in Gedanken, die ihr die Welt in einer andern Gliederung zeigten, als sie eine solche bisher von ihr geträumt hatte.

Ein Monat der schmerzlichsten Pein verrann.

Die Qual einer nur sich selbst gestandenen Liebe ist namenlos. Sogar in seinem traurigen Leid erkannt, verrathen, vielleicht verspottet zu werden, kann Linderung sein einem um Liebe verzweifelnden Herzen. Der festeste 140 Wille hat die Kraft nicht, die Ursache der Leiden an der Wurzel aus dem Herzen zu reißen. Es ist eine Vorstellung, eine Phantasie Was uns quält, man weiß es, es ist ein bloßes Spiel der träumenden Hingebung, die sich in Fesseln schlagen läßt, in Fesseln, die man selbst schmiedet und man kann doch nicht los davon; immer und immer tritt das Bild des hoffnungslosen Glücks vor unser Auge und verwischte es die zerstreuende Welt, doch träten wir abseits und schlössen die Augen und lebten nur mit unserm Bilde, das wir uns selbst beschwören und aus dem Nichts immer wieder neu hervorzaubern müssen. Und wie spottet meist die Wahrheit unserer Träume! Man genießt im Geist alle Seligkeiten des Besitzes, der Erklärung des endlichen Verhältnisses mit dem geliebtesten Wesen und denselben Augenblick schreitet es lachend, kalt und von den Formen der Geselligkeit beherrscht an uns vorüber; es liegt das Unerreichbare in unserm Arme und tausend süße Namen der Zärtlichkeit stammeln wir den höhnenden Winden! Hoffnungslose Liebe zehrt wie ein Siechthum des Geistes, das zuletzt auch dessen leibliche Hülle zerstört. Kommt keine Rettung von innen oder außen, so welken wir hin.

Für Hertha war dieser Zustand um so trüber, als sich mit ihm eine Umwälzung aller ihrer Anschauungen verband.

Der stolze, herausfordernde Sinn der freien Selbstbestimmung war im Erlöschen. Gebrochen war diese schlanke 141 Pappel, deren Laub wol zitternd bewegt im Winde bebt, deren Stamm aber einst nur Sturm entwurzeln konnte. Das war Alles hin. Was ihr früher den Muth gegeben, sich gegen die Ansprüche der Sitte und Meinung zu rüsten, hielt nicht Stand mehr. Zaghaft wurde die Haltung, scheu das gesprochene Wort und elegisch das geschriebene. Hertha schloß ihre Bücher, ihr Piano verstummte; die Gegenstände der Selbstbelehrung, die sie um sich zu verbreiten pflegte, standen ohne Ueberredung da. Alles war ohne Bedeutung und werthlos. Der belebende Hauch, der von Constantin schon lange nicht mehr wehte, konnte jetzt nur noch aus einer Gegend kommen, die für sie dem Tode gleich war, dem Tode, den sie gesäet hatte; denn um ihretwillen hatte ja Eberhard eine Ehe – der Pflicht zu schließen! Daß sie Constantin den Zustand ihres Herzens verschwieg, daß sie nicht weiter ging, als diesem zuweilen heftig zu widersprechen und mit Ergebung sich in die Auffassungen der Andern zu fügen, das war schon ein Theil ihres Leides. Denn sie, sie, die nie die Wahrheit umgangen, sie, Hertha Wingolf, heuchelte! Von den lichten Bezirken der Wahrheit konnte sie abirren und so hindämmern in dem süßschmerzlichen Lebenszwielichte eines überwundenen hoffnungslosen Mädchenherzens!

Oft trieb es Hertha von dieser Ergebung empor. Oft rief es in ihr: Diesen Zustand der Feigheit erträgst du nicht! Ueberwunden wardst auch du von dem Gifte, das 142 alles Frauenthum verdorben hat, von dieser eingestandenen Leere und Ohnmacht des Herzens? Thorheit! Thorheit! rief sie.

Aber sie sah Eberhard, redete mit ihm, vernahm den sichern und festen Gang, mit dem er durchs Leben schritt und sie hätte seine Hand halten, an ihn sich klammern, ihm folgen mögen, willenlos, hinhörend nur seinen Befehlen, dienend und ergeben in jedes Loos, das nur der geliebte Mann über sie auswerfen würde. Seine Welt war schon längst die ihrige. Sein Sein und sein Wollen umschwebte sie mit dem leichtbeschwingten Fluge eines nie endenden, bis ins Kleinste gehenden Interesses. Sie hatte sogar Anwandlungen, in Liederbach wie eine Parze aufzutreten, unerbittlich zerschneidend das Band, das die nun stolz ihr Haupt erhebende „Evatochter“ um Eberhard gesponnen. Nicht mehr rief es dann in ihr: Wie unglücklich würde sie sein und wie unglücklich sind wir Frauen alle! Nein, ihr Ruf war schon: Wie unglücklich seid ihr Männer! Titanen und so duldsam unsere elenden Fesseln tragend! Zu den Sternen sollte euer Flug gehen und wir nur halten ihn nieder!

Daß Eberhard heiter und ergeben schien, ließ ihn ihr jetzt nicht mehr gering erscheinen. Hertha sah in seinen Mienen nur den Widerglanz jener Ergebung, die das Dasein zwar keineswegs ganz so nimmt wie es einmal ist, aber in der Hauptsache doch nur wie eine Wallfahrt 143 durch seine Finsternisse, wie ein mühevolles Durchwinden durch seine Schwierigkeiten. Die Stoiker hatten auch schon Eberhard’s Maxime: Wir leben nicht um uns, sondern wir leben um der Andern Willen.

Im endenden Winter, in den letzten Tagen des Februar war Hertha nahe daran, sich einst Eberhard zu verrathen.

Daß Agnesens Verlobter von dem Werthe, den er für Hertha gewonnen, eine Ahnung hatte, ließ sich bei seiner prüfenden Beobachtung erwarten und Agnes, die auf Stiftshof Hertha zuweilen begegnete, kannte das Glück, das sie erobert hatte, gewiß in seiner ganzen Bedeutung und hütete es mit der ihr eigenen bedächtigen List, die Hertha oft bitter belächelte.

Agnes, doch ein gefälliges und sicher praktisches Wesen, hatte sich ein großes Glück gewonnen, sie liebte Eberhard mit der Eifersucht, die ein Künstler für sein eignes Werk empfindet. Je weniger sie zwar annehmen konnte, daß Eberhard, ohne den Auftrag Constantin’s ihr begegnend, seine Wahl auf sie gerichtet haben würde, desto ämsiger schien sie nun bemüht, auch jeder Reue in Eberhard’s Herzen vorzubeugen und es bahnte sich dadurch jene vortreffliche Rücksichtsnahme und Achtung an, die in der Ehe oft ein bindenderer Kitt zu werden bestimmt ist, als die Liebe, diese allerdings höher thronende Empfindung, die aber Launen hat wie eine Königin. Agnes 144 liebte Eberhard. Dieser schätzte sie. Warum sollte ein solcher Bund nicht Bestand haben?

An einem jener letzten Februartage wurde Hans von Landschützens Geburtstag gefeiert.

Eine große Gesellschaft war zu Tisch geladen. Man hatte aus allen Treibhäusern Spenden gebracht und den Junker wie ein Opferlamm umringt und geschmückt.

Und was nicht an lebendigen Blumen ihm gestreut wurde, kam ihm an gestickten. Auf neuen Teppichen wandelte sein heute ganz besonders glanzvoll gefirnißter Fuß, der zu seinen kolossalen obern Dimensionen klein und zierlich war. Cigarrentaschen und Notizenbücher und selbst Bequemlichkeiten für seine alte Antipathie, die Eisenbahnen, hatte man ihm verehrt und die heiterangeregte Gesellschaft brachte bis nach vier Uhr Nachmittags an einer ländlich um Eins beginnenden köstlichen Tafel zu.

Auch Constantin war zugegen und herrschte natürlich auch hier, da sein helles Organ überall vernommen wurde und ihm der Stiftshof ohnehin schon ganz unterthänig war.

Frieda saß Hansen gegenüber.

Aurelie hatte Eberhard zu Hertha setzen wollen, aber da Agnes einer leichten Unpäßlichkeit wegen fehlte, so entstand in den Anordnungen eine Störung und Eberhard kam an ihre eigne Seite.

Nach dem Mahle nahm man Hüte und Shawls und 145 begab sich in den umfangreichen Park, der mit einigen immergrünen Bosketts schon einen Eindruck des ersehnten Wiedererwachens der Natur gab.

In der ausgelassensten Laune war Frieda. Nicht immer gleich in ihren Stimmungen und oft bis zur Unart dann verdrießlich hatte sie heute einen glänzenden Tag. Die Erzählung ihrer Befreiung des Geisbocks an Ort und Stelle unterhielt Alle.

Nur Eberhard und Hertha gingen abseits.

Ein Vergleich von Sonst und Jetzt lag nahe.

Es war offenkundig, daß Hans von Landschütz sich von Frieda Ulrichs hatte wie verzaubern lassen. Hans strich durch den Park wie Falstaff, den die in Elfen verkleideten lustigen Weiber von Windsor zwickten und neckten. Mit der linken Hand seinen langen rothen Kinnbart streichelnd, war er mit der Rechten immer nur damit beschäftigt, das Kind Gottes von zuweitgehenden Thorheiten abzuhalten. Den Herren entriß sie die Cigarren, um mit der Asche den kleinen Sandsteingöttern, die hier und da in den Bosketts versteckt standen, Schnurrbärte zu malen. Vor einem hübschgeformten kleinen Amor stillstehend, den Frieda bemalt hatte, sagte Eberhard:

Diesen Glücklichen ist doch Alles Zopf! Selbst Amor!

Alles, was sich, ehe es handelt, besinnt! sagte Hertha.

Wir Alle sind ihr Zopf, fuhr Eberhard fort und be-146diente sich der Freiheit des Scherzes, die ihm Hertha schon eingeräumt hatte.

Hertha sprach aus, was sie mit schweren Kämpfen des Herzens seither über denjenigen Geist in Erfahrung gebracht, den sie früher bewundert hatte.

Ich kenne ihn jetzt ganz, diesen Dünkel des Nihilismus! sagte sie. Ich kenne sie ganz, diese sichere Eingebung des Augenblicks, die nicht selten herrliche, reizende Poesie ist. O diese Glücklichen, denen jeder Weg offen steht, die jedes Eigenthum, jeden geschlossenen Raum wie den ihrigen betrachten und betreten dürfen! Aber doch hasse ich ihre Zuversicht. Ja, ich will ihnen pedantisch erscheinen, ich muß es. Es ist doch nur die Einsprache unsers Herzens, die uns den schwerfälligen Gang, den sie verspotten, gibt und auf unser Empfinden denk’ ich, sind wir berechtigter stolz zu sein als auf unser Denken.

Eberhard übersah den Riß, der zwischen Constantin und Hertha schon ausgebrochen sein mußte. Was sie eben sagte, paßte für Constantin so gut wie für Frieda.…

Das Gewissen! fuhr Hertha erregter fort. Sie nennen ihn den ächzenden Hemmschuh aller unserer Bewegungen! Es ist ein erdiger Stoff, der, als der Schöpfer unser Dasein aus Flammen erschuf, gerade uns zugemischt wurde!

Liebe Freundin, fiel Eberhard ruhiger ein. Der Prüfstein des Menschen ist die That. Erst an dem bewältigten 147 Stoff des Lebens, erst an dem vollendeten Formgebilde der Geschichte zeigt sich der wahre Menschenwerth. Unser nächstes Wandeln und Gehen thut es allein nicht. Ob wir schweben mit Schmetterlingsflügeln oder dahinschreiten im Faltenwurf einer vestalischen Jungfrau, sorgsam hütend das Licht, das angezündet an der ewig brennenden Lampe des Ideals wir mit uns heimtragen wollen an des Hauses Pforte, nicht auf unser Schreiten kommt es an, sondern auf unser Stillstehen. Da wo Einer Halt macht oder auf ein Halt hört, da erst bewährt sich seine eigentliche Kraft. Glauben Sie mir, liebe Freundin, wir gerathen in diese Unterscheidungen unserer Wesenheiten nur durch den lauen Frieden der Zeit, nicht den gegenwärtigen von heute, sondern durch das Verfahrene der ganzen Epoche. Erfaßte uns das Leben mit großen menschenbezwingenden Aufgaben, hätten wir unser Dasein Alle in Masse immerhin als ein großes Räthsel, aber doch in diesseitiger Bestimmung zu lösen, wir luxurirten nicht so mit diesen schimmernden Blasen von Charakterverschiedenheit und privater Selbstbespiegelung. Im Alterthum und Mittelalter war das nicht. Zöge nur ein rechter Windstoß durch die Welt, es würde Jeder nach seinem Hut greifen, um diesen Hut oder den Kopf dazu sich zu halten! Hätten wir wirklich eine Sphinx vor den Thoren, die uns nach dem Amüsement der theoretischen Lösung ihrer Räthsel unmittelbar darauf praktisch auffräße, wir würden in der Art, wie sich 148 bei solcher Noth Jeder zu helfen suchte, bald erkennen, was eigentlich groß oder klein, was eigentlich an ihm zu hassen und was zu lieben ist.

Hertha war schon lange gewohnt, von Eberhard nur entgegenzunehmen. Es ist ein Irrthum, wenn man glaubt, zur Liebe gehöre der Gegensatz; es ist ein Irrthum, wenn man in Fragen des Gemüths von der Anziehung der Pole spricht. Eine Reibung kann Flammen hervorbringen, prasselnde, schöne Flammen, aber auch langsam verzehrende. Glückliche Liebe will den stillen Frieden der gleichen Stimmung; sie will mit ihrem Theuersten keinen Kampf; der gleiche Accord aus beiden Seelen widerhallend, ein Leben um das andere, ein Pulsschlag von mir und einer von dir und wir Beide athmend in Einem…

Emporgerichtet hatte Eberhard immer die noch schwankende Weltauffassung seiner Freundin. Trost hatte ihre bange Seele immer von ihm heimgetragen.

Weiter aber als bis zur Erhebung des Willens und zur gestärkten Kraft des Widerstandes gegen Das, was sie haßten, waren sie nicht gekommen.

Heute wagte Hertha noch dieses Wort:

Sie haben einst Frieda geliebt. Warum entzogen Sie sich diesem Gefühl?

Aus Stolz, sagte Eberhard. Naturen wie Frieda können dann nur dauernd fesseln, wenn sie Herrscherinnen sind. Zur Magd erniedrigt ahnen sie, daß bald die Grazie 149 sie fliehen würde. Wenn Frieda sich ergeben müßte, dann sänke sie wie Phaeton aus der Sonnenbahn. Sie wissen das sehr gut, diese Naturen. Sie wählen auch deshalb entweder nur das Unbedeutende oder Das, was ihnen durch Dinge imponirt, die man sich nicht künstlich geben kann, Geld, Gut, Rang, Ehre. Wird nicht Frieda Ulrichs einst die Baronin von Landschütz werden und noch in weiterer Welt einst Aufsehen machen?

Aurelie kam eben mit Constantin. Das überraschende Wort war somit abgebrochen.…

Die Gesellschaft kehrte in den Saal zurück, hörte noch etwas Musik und trank noch den Thee.

Dann trennte man sich.

Hertha blieb stumm, in sich gekehrt den ganzen Abend. Constantin bewies ihr dann und wann eine Aufmerksamkeit; sie hörte nur mit halbem Ohr.

Eberhard war zeitiger gegangen.…

Auf ihrem Zimmer allein, öffnete sie endlich das Schreibbureau und stand sinnend wie über einem Testament.

Sie wollte an Constantin ein Bild ihres Herzens entwerfen und von ihm auf ewig Abschied nehmen.…

Es war still um sie her. Ihre Brust hob sich von den schweren Athemzügen.

Schon hatte sie begonnen das Papier zurechtzulegen, schon hatte sie einige Zeilen voll Wehmuth, aber von 150 Buchstaben zu Buchstaben entschlossener, niedergeschrieben, als man plötzlich ein heftiges Ziehen der Glocke am Hofthor vernahm.

Lebhafte Rufe draußen machten sich hörbar.

Es wurde im Hause unruhig. Allerlei Fragen, dann die Fußtritte eines Mannes. Zuletzt auf der Stiege, die zu ihr selbst führte. Hertha mußte aus einem Heraufstürmenden Constantin erkennen.

Er nur war es, der ohne Antwort abzuwarten hereintreten konnte.

Sie sprang auf und hörte die Anrede: Hertha! Hertha! Eine neue Welt! In Frankreich ist der Thron gestürzt! Die Republik ist ausgerufen, in Deutschland lodert der Aufruhr! Was sagen Sie! Glauben Sie’s? Glauben Sie’s? . .

Hertha blickte aus einer fremden Welt auf.

Und die Welt, von der Constantin sprach, war nicht minder geisterhaft… Constantin zeigte sich von einer Erregung, die sie nie an ihm gesehen. Er stand wie im Feuer der Leidenschaft. Sein Auge blitzte, seine Hand zitterte. Ein Strom von Worten, von Thatsachen, von Berichten entquoll seinem Munde. Nie hatte ihn Hertha so gesehen. Es war, als wäre Eberhard’s Wort von dem entscheidenden Windstoße der Zeiten in Erfüllung gegangen. Constantin umschlang die zaghaft Staunende, drückte sie ans Herz, bedeckte ihre Hand mit tausend Küssen.

151 Hertha! Hertha! rief er. Eine neue Welt! Die Republik in Frankreich! . .

Hertha bebte zusammen, sah die Wonne des jungen, wie aus einer langen Ohnmacht sich mit Kraft erhebenden Mannes.

Das Feuer seines Geistes erwärmte sein Herz. Nie hatte sie an ihm so viel Zärtlichkeit, nie so viel Inbrunst der Empfindung gekannt. Er lachte, weinte, lag vor ihr auf den Knieen, besigelte durch eine Hingebung voll Kindlichkeit und Begeisterung den Bund, den Hertha eben hatte lösen wollen.…

Sie taumelte besinnungslos. Sie staunte nur.

Aurelie erschien dann.

Auch Bruder Hans kam.

Alles war erstarrt, rathlos, sogar berauscht vor Entzücken, vor Wonne, einen solchen Augenblick der Geschichte miterleben zu dürfen. Endlich, so spät es war, Hertha sollte noch in die Stadt, sollte noch zu dem versammelten Freundeskreise kommen; Alles dränge sich zum Ulrichs’schen Hause, hieß es; da läse man Zeitungen, Briefe, da spräche man Hoffnungen, Befürchtungen, Pläne und Entwürfe durch. Auch in der Residenz wären schon Unruhen ausgebrochen.

Hans von Landschütz erhielt mitten in dem Wirrwarr von seinem Schwager Reisig eine Depesche, die für Hertha bestimmt war. Der Fürst hatte ihren Vater, den 152 bürgerlichen, aber doch immer nur zurückgesetzt gewesenen Minister zum Chef des Ministeriums ernannt, die Zügel des Ganzen in Wingolf’s Hand gegeben und am Balkon des Schlosses diesen seinen jetzigen ersten Rath unter dem Jubel des Volks öffentlich umarmt.

Hertha kam zu keiner Besinnung mehr; sie zerriß ihren Brief, schloß das Schreibbureau und folgte in die wildbewegte Universitätsstadt.…

Schon am Tage darauf reiste Constantin in die Residenz.

Hertha folgte mit einem spätern Zuge.

Davon, daß sie und Constantin ferner hätten getrennt durchs Leben gehen müssen, war keine Rede mehr.

Die Zeit – war zu groß für kleine persönliche Unterscheidungen.

Constantin und Hertha mußten in der Residenz wie die berufenen und legitimen Erben des 24. Februar auftreten.

In Constantin wehte längst etwas wie von einem Mirabeau und in Hertha flammte die Erinnerung an die ihr wohlbekannte französische Revolution so auf, daß sie sich in der fieberhaftesten Erregung nur fühlte wie eine Charlotte Corday oder eine Manon Jeanne Roland de la Platiere.

153 Siebentes Capitel.#

Bewährungen und Ausgänge.#

Wir brechen die allmälige Entwickelung unserer Erzählung ab; nur noch Resultate können wir geben.

Die Zeit, die auf die bis dahin geschilderten Herzensvorgänge einbrach, wurde zu großartig. Zu umfassend riß sie das einzelne kleine Leid in ihre Strudel. Der Mensch soll schweigen, wenn das Jahrhundert redet. Möge der Leser aus einzelnen Thatsachen, die wir noch angeben wollen, sich die Vermittlungen selber bilden.

Die Februarrevolution wälzte sich über Hütten und Paläste.

Sie berührte Länder, Städte und die entferntesten stillen Plätze des Waldes und Gebirges.

Auch in H., der Universitätsstadt, warf sie Das, was im Vordergrunde stand, sofort um und der Schutz, den hier Viele, die in die Mauern dieses alten Musensitzes flüchteten, suchten, war nicht minder gefährdet.

Ringsum gährten die Dörfer. In Liederbach stürmte man das Amtshaus. Der Justitiar Dammert erfuhr jene 154 tragikomische Art, wie oft die Geschichte ihre Vergeltungen übt. Ihm, der auf dem Amte die Widerreden der Streitenden mit dazwischengeworfenen Geldstrafen zu zügeln pflegte, kam die Parodie, daß er am Fenster seiner Wohnung stehend die wüthenden Haufen haranguiren wollte und ebenso nun von ihnen unterbrochen wurde, wie früher er sie, um ihre trotzigen Einwendungen zu strafen, auf dem Amte unterbrochen hatte. Mitbürger, Freunde, rief er, wie könnt ihr mir den Schmerz anthun? Fünf Groschen Strafe! rief der Haufe.

Ihr Männer von Liederbach, waret ihr bisher nicht ruhige, glückliche Menschen – Sechs Groschen Strafe! rief der Haufe.

Leute, die Gemeindenutzung der Weidekoppel ist seit hundert Jahren nur ein Geschenk vom Stiftshofe – Zehn Groschen Strafe! Zwölf Groschen Strafe!

Wie könnt ihr, ich bitt’ euch, euch einbilden, daß die Gemeindenutzung – Fünfzehn Groschen Strafe!

Aber ich bitt’ euch – die Weidenkoppel – Einen Thaler Strafe! und so ging es fort an jenem Märzabend voll Wildheit und Spott, bis die Fensterscheiben zertrümmert und die Forderungen über kopfweise zu vertheilende Gemeindeberechtigungen bewilligt waren.

Hansen von Landschütz stürmte man gleichfalls den Stiftshof. Frieda, die gerade anwesend war, hielt eine Rede, die ebenso verspottet wurde wie die Dammert’sche 155 und ohne alle Wirkung blieb. Die Zeit der Matadore von sonst war eben vorüber. Dadurch wurde Hans vollends der Schützling, der Leidensgefährte und Sklave Frieda’s. Durch sie gewann der Baron Muth und Sammlung. Durch sie gewann er sogar einen Uebergang in die neue Zeit, die einem Triumphzuge ähnlich sah. Man machte den Baron vom Stiftshof zum Commandeur der Bürgerwehr von H. Es kostete Hansen seinen Stall; er wollte auch Cavallerie unter sich haben und mußte seine halbe Schwadron größtentheils selbst beritten machen; doch saß er zuletzt mit seiner schwarzrothgoldenen Schärpe so majestätisch zu Pferde, er gewöhnte sich so an Alarmirungen, Anerkennungen seiner Würde, Voraussetzungen der Erhabenheit seiner Aufgabe, daß er sich entschieden zur Revolution, respective Reform, bekannte, als in Folge der Reaction die Bürgerwehr misachtet, sein Befehl nicht mehr gehört, seine Autorität an Militär abgegeben wurde. In der That, eine lange Zeit bekannte Hans sich zu demokratischen Grundsätzen, bis er eines Tags von dem ersten Wollmarkte, den er nach der „Anarchie“ wieder besucht hatte, im Jahre 1850, als Mitglied der großen Grundbesitzer-Ligue zurückkehrte und sich mit Besonnenheit reuevoll allmälig wieder auf seinem alten vormärzlichen Standpunkte zurecht fand.

Wingolf’s Beherrschung der wilden Wogen dauerte verhältnißmäßig lange: vierzehn Tage.

156 Constantin, den Wingolf mit Hertha zugleich in seinen Zimmern ohne weitere Anfrage, ob er jetzt diese Einigung dulden und genehmigen wolle, empfing, Constantin selbst erklärte ihm, daß man ihn leider mit allen zu Gebote stehenden Mitteln bekämpfen müsse.

Die Revolution verschlänge, setzte Hertha in leidenschaftlicher Erregung hinzu, wie Saturn ihre eigenen Kinder.

Der Vater, weit entfernt, über diesen ihm gegenüber übelangebrachten Gemeinplatz eine Reflexion zu machen, arbeitete wie ein Löschender an einer Feuersbrunst, die mit bestem Willen nicht zu meistern war und eben ausbrennen mußte.

Er glaubte wirklich die Flammen bewältigen zu können und sagte dies auch, so redlich an sich selber glaubend, wie damals Jeder an sich selber glaubte. Von Ironie, von Humor, von der Auffassungsweise so zu sagen des griechischen Chors war keine Rede. Jeder glühte für seine Einsicht und gerieth in Zorn und Vernichtungswuth, wenn man ihm widersprach und etwas irgend wie besser wissen wollte.

Das Ministerium Wingolf war nach vierzehn Tagen das zweite Opfer der Zeit.

Es kamen dann dritte, vierte, fünfte Opfer.

Die Kämpfenden mischten sich oft wunderbar. Wer heute erlag, wurde morgen Opponent. Es war ein selt-157sames Wirrsal der endlich losgebundenen Geister, die zu lange in Büchern gelebt hatten.

Von den Herzen konnte natürlich keine Rede mehr sein. Ob da Pfarrer Planer in Liederbach fast sein Amt einbüßte und sich in die Stadt flüchtete, ob Eberhard sich mit Agnes vermählte, das Alles hörte zwar Hertha, aber sie nahm es auf wie etwas, was einer völlig andern Welt angehörte. Es machte ihr nur einen vorübergehenden zuckenden Schmerz. Die Besinnung fehlte. Entweder war die Vergangenheit oder die Gegenwart ein Traum. Wer hätte in jenen Tagen auch nur die Auffassung der Wirklichkeit ganz in seiner Gewalt gehabt!

Hertha, so erregt war sie, hätte unter solchen Umständen, wo sie wie eine Manon Roland leben wollte, auch wie eine Roland sterben können.

Constantin hatte sich ganz verändert. Alles war jetzt fest an ihm und Eberhard und Constantin hatten nun gleiche Grundsätze. Hertha lebte nur dem Allgemeinen und den Haß gegen die Widersacher des Menschenwohls hatte sie ja nie aufgegeben, auch als sie einst im Begriff stand, Constantin aufzugeben. War’s auch nur um eine Zeitung, um eine Adresse, um eine Demonstration, heiliger Ernst war ihr Alles. Sie wollte nirgends fehlen, sie wollte die höchsten Maßstäbe an jede Unternehmung gelegt haben, sie sah ihren Vater vom Ruder abtreten, wie etwas, was sich von selbst verstand, sie trank gerade den Thee bei ihm, 158 während er abdanken mußte und vor einem eingeworfenen Fenster aus Unwillen zögern wollte. Hertha verwies ihm seine „Halbheit,“ sprach mit glühender Ueberzeugung von der Nothwendigkeit seines Sturzes … wo waren die Gedanken an Liederbach, an den Stiftshof, ihre angefangenen Bekenntnisse für Constantin hin!

Ein halbes Jahr ging das so von Tage zu Tage fort; jede Stunde hatte eine Aufgabe. Constantin’s Erregung war jetzt die ihrige, ein Band der praktischen Ueberzeugungen umschlang Beide, seine Leidenschaft, sein Zorn, sein Haß, wenn man ihn und seine Auffassung zu überflügeln wagte, war wieder ihre Leidenschaft, ihr Zorn, ihr Haß. Eine Frau weiß kaum, wie ein starker Mann sie führen kann und welch ein Zauber in der männlichen Größe liegt.

Doch zuletzt erlag Hertha diesen Anstrengungen. Sie wurde krank. Dem Tode nahe, sah sie in Eugeniens, ihrer Mutter, Antlitz und erkannte es nicht mehr. Eugenie verzweifelte; funfzig Meilen weit war sie hergekommen, von dem Orte, wo Wingolf seine in der Residenz unhaltbare Stellung in Zurückgezogenheit zu vergessen suchte; es war jene ferne Provinzstadt, wo er als Chef eines Gerichtshofs einst die Liebe und Achtung der Bewohner sich erworben hatte und sie im reichsten Maße wiederfand. Auf Frau von Zabel’s Nachricht war Eugenie gekommen. Diese gute Frau von Zabel war die einzige von der so-159genannten „Gesellschaft,“ die in der Residenz bei den Gefahren ihrer Pension ausgehalten hatte. Auch Julie von Reisig war mit ihrem Gatten und den Kindern nach Italien „geflüchtet,“ wie damals der Ausdruck war. Eugenie kam verzweifelnd. Sie fand Hertha im furchtbarsten Fieber. Ihr Körper war gebrochen, ihr Geist wie erloschen.

Lange, dumpfe, endlose Wochen vergingen, bis Hertha in treuer Pflege genas und die Eindrücke der Zeit auf sich wieder wirken lassen durfte.

Die Aerzte verboten diese Einwirkung.

Sie verordneten eine Entfernung in ein stilles Bad und verlangten auch dort Hertha’s Unbekanntschaft mit Allem, was sich in der Zeit ereignete.

Von Constantin kamen dann und wann eilige, von den Begebenheiten gedrängte Briefe.

Auch ihr Vater schrieb, aber nur kurz. Sie wußte über die „Stellungen“ wie es damals hieß, von Beiden nur wenig.

Der Vater war auf den Schauplatz der Politik in der Eigenschaft eines Deputirten zurückgekehrt; das erfuhr sie, weil Eugenie dadurch in die Lage kam, Wingolf einem verwickelten neuen Leben einige Zeit allein überlassen und Hertha in ein Bad und dann auf den allgemeinen Rath der Freunde in die französische Schweiz begleiten zu können. Für Hertha waren diese Entfernungen 160 unbedingt nothwendig. Ihre Kraft schien hin, die Ueberreizung hatte für den Augenblick ihr Nervenleben gestört, sie brauchte Schonung und fand sie nur in der abgeschlossensten Einsamkeit. So lebte sie ein halbes Jahr mit der Freundin, ihrer Mutter, am Genfersee.

Als sie in großer und herrlicher Natur genesen und gestärkt endlich zurückkehrte nach Deutschlands inzwischen mannichfach bedrängt gewesenem und blutgetränktem Boden, fand sie eine sehr veränderte Welt.

Sie mußte gefaßt sein auf diese Veränderung; denn von ihren Theuern war seit lange nur dunkle Kunde zu ihr gedrungen.

Constantin schrieb nicht mehr… Da waren Aenderungen vorgekommen… Welche, ließ sich schwer sagen.

Fast unmöglich wurde in der Ferne die Uebersicht selbst des Allgemeinsten.

Um daher die Verhältnisse, die sich inzwischen gestaltet hatten und wie sie sich dem beruhigten und mannichfach geprüften Geiste Hertha’s darbieten sollten, ersichtlicher zu machen, greifen wir den Faden unserer Erzählung wieder auf und geben nach der Wahrheit jener Zeit und des von ihr bedingten Lebens einige Bilder, die in kurzen Zügen uns verrathen werden, was inzwischen Alles geschehen und wie das Auge aufschauen mußte, um nach einem langen Wahn sich wieder in der Welt und der eigenen Brust zurechtzufinden.

161 Das erste Bild, das wir aufrollen müssen, ist dieses:

Dumpf läuten die Glocken von den Thürmen der alten Universitätsstadt H., Trauerglocken sind’s, Sterbeglocken.

Ein Leichenzug bewegt sich zum Friedhofe.

Frisch aufgeworfen ein Sandhügel. Es ist die Stätte, wo ein Sarg soll eingesenkt werden, dem viel Leidtragende folgen.

Rings hinter Gräbern und Postamenten, hinter hellgrünen Hängeweiden und dunkeln Lebensbäumen stehen Zuschauer und Hörer genug aus Dorf und Stadt.

Ein Greis tritt vor mit ruhig ergebenem Blick und spricht den Nachruf einer Dahingegangenen. Es ist ein Weib, das gestorben, eine junge Mutter, eine junge Gattin.

Der Redner, der ihrem Andenken die Worte der Liebe widmet, ist der alte Planer, der Vater gibt dem eigenen Kinde Zeugniß, die Verblichene ist Agnes.

Eberhard, der Gatte, steht ihm zur Seite. Ergeben sein Blick. Agnes ist nach kurzer Mutterfreude an den Folgen ihres Glücks gestorben. Gute Menschen, deren Freundschaft einem Manne wie Eberhard nicht fehlen konnte, pflegten die Mutter und ihr Kind.

Der Sarg ist niedergesenkt, mit Blumen bestreut, mit Erde beschüttet.

Gefaßt stützt sich der Greis auf seinen Sohn und schreitet dankend für die stillen Grüße des Mitgefühls durch den Friedhof an die Pforte, betritt den niederge-162lassenen Tritt des Trauerwagens und fährt an Eberhard’s Seite zurück in die gemeinschaftliche Wohnung.

Der heilige Dienst, den sie soeben verrichtet, ist in solchen Jammerfällen das letzte Glied einer Kette von herzzerreißenden Mühen. Es ist ein letztes Opfer, dargebracht der schmerzlichsten Nothwendigkeit, furchtbarer als alle vorangegangenen und doch beruhigend. Die geängstete Seele athmet nun endlich auf; das Leben fodert wieder seine Rechte, ein aufgerissener Felsen schließt die grauenvolle Spalte und Moos, Baum und Strauchwerk wächst wieder über ihr, gerade so, wie zuvor, gerade so, wie wenn nie etwas gewesen wäre.

Mitten in solchem Jammer einer nach der Entbindung von einem lieben Mädchen eintretenden und zum Tode führenden Erkrankung seiner Gattin hatte Eberhard noch andere Sorgen.

Man hatte ihn in der Bewegungszeit zum Gerichtsrath ernannt gehabt, er hatte dem neuen Geiste mit Wort und That sich verpflichtet gefühlt; die Wiederherstellung der alten Ordnung stellte ihn zur Disposition.

Er konnte den Ausfall seiner Einnahmen ertragen; sein eigenes kleines Vermögen verband sich mit dem ansehnlichen Besitzthum des alten Planer und mit dessen von Liederbach, wo ihm nach dem Bruch mit der Gemeinde ein Vicar gestellt wurde, noch bezogener Entschädigung.

Doch widerwärtiger war ihm das Gefühl der einst-163weiligen Muße und die ihm gleichsam gestellte Frist einer bessern Besinnung für seine künftige Brauchbarkeit. Er hatte deshalb die Absicht, den Staatsdienst ganz zu verlassen und lieber als Advocat in die Residenz zu ziehen.

Planer, obwohl Eberhard’s Grundsätze nicht theilend, wie Alles, was von seinen eigenen Definitionen nur um die Haarbreite abwich, billigte seinen Plan; er sehnte sich, nachdem ihm der unerbittliche Tod ein braves und in der Ehe mannichfach bewährtes Kind entrissen, auf einige Zeit aus dieser Gegend weg. Beide beschlossen, mit einer Nährerin der fröhlich gedeihenden kleinen Meta diese Reise unverzüglich anzutreten.

Die Uebersiedelung erfolgte.

Eberhard miethete in der Residenz eine entsprechende Wohnung. Eine Führerin des Haushalts wurde auf fremde Empfehlung gewonnen und brauchbar befunden. Dem Kinde gebrach die nächste Obhut nicht und schon der Großvater wurde der kleinen Meta ein treuer Wächter.

Eberhard that die nöthigen Schritte, um aus dem Staatsdienste zur Advocatur zu gelangen. Es boten sich Schwierigkeiten; doch wurden sie beseitigt. Bei dem neugewonnenen und auch erhaltenen öffentlichen Verfahren plaidirte Eberhard Ott mit Glück. Seine Beredtsamkeit war nicht glänzend, aber sie überzeugte. In seinem schlichten Vortrage lag die Bürgschaft seiner Redlichkeit.

Schon waren Wochen vergangen in neubegründeter, 164 ergebener Hoffnung auf die heilende Macht eines pflichtenvollen Lebens. Ein Vater und ein Sohn, verbunden durch eine schmerzliche Erinnerung, verbunden durch eine freudige Hoffnung. Vater und Sohn hütend ein neues junges Reis auf einem Grabe, an dem drei Menschen gemeinsam trauerten. Es war ein schmerzliches, aber gehobenes Leben.

Eberhard sah manchen alten Bekannten wieder. Constantin Ulrichs vermied er. Die Bahnen, die dieser und die er ging, waren getrennt.

Wie man damals auf Umwandelungen gefaßt sein mußte, was man in diesen Zeiten täglich und beim Verwandtesten erlebte, dafür gab es merkwürdige Erfahrungen.

Wir wollen eine anführen, die überraschen wird.…

Eberhard wurde eines Tages in den belebtesten Straßen mit seinem Namen begrüßt.

Er mußte sich besinnen, wer vor ihm stand.

Ein kleiner, von Kopf bis zu Fuß schwarzgekleideter Mann, um den Hals so lose ein Tuch geknüpft, daß die Hemdkragen fast jugendlich umgebogen lagen, ein Hut mit breiter Quäkerkrempe, schwarze Handschuhe, ein gepflegtes Antlitz, das lange blondgelbe Haar in der Mitte gescheitelt und auf den Rockkragen niederfallend.

Ein frommer Missionar stand vor ihm oder ein Pfarrer oder ein Schullehrer und doch war es nur Jean Reps und keineswegs als Theolog oder Betstundenhalter oder Schullehrer oder sonst in einem gesammelten geistigen 165 Berufe, sondern in der Anwartschaft, wie er versicherte, auf die ersten Erfolge einer industriellen Unternehmung, die der alte Nihilist, jetzt Novize eines neuen Lebens, sich anzubahnen gedachte. Er wiederholte dem erstaunten Freunde auf Ehre und Seligkeit, er wäre eben im Begriff, da in ein vor ihnen liegendes großes Hutmachergewölbe einzutreten und zwar seines künftigen Berufs wegen.

Bester Freund! erzählte Jean Reps dem Verwunderten. Der Geist des Jahrhunderts hat jetzt in allerlei Zungen zu den Menschen geredet. Auf die Barrikaden rief er mich nicht. Dieser flüchtigen Erregung der Phantasie sind ja auch Sie nicht gefolgt. Nach der Reaction, die ich noch aufrichtig mit Schrecken kommen sah, trat eine Zeit der Verzweiflung ein. Ich folgte anfangs wie immer Constantin. Ich putzte ihm wie immer die Schuhe, klopfte ihm wie immer die Kleider; figürlich und wirklich. Unser Verstand war jedoch zu Ende. Wir sahen gleich in den ersten Tagen des tollsten aller Märzmonde zuviel des Unsinns. Außerhalb und innerhalb Trojas, überall dieselben Dummheiten, sowohl der eigenen, wie der andern Partei. Ich, bester Freund, gewann schon lange die Ueberzeugung, daß all unser Mühen und Sorgen um den Sieg der gesunden Vernunft leeres Stroh ist. Nur die kolossalgelingenden Dummheiten, nur ein grotesker durch seine Dimensionen erhabener Wahnsinn gibt den Funken für all jenes Stroh her und damit der Welt ihre rechten Leuchtfackeln. Co-166lumbus, ein halber Narr, entdeckte auf diese Art Amerika. Ferner kam ich zu der Ueberzeugung, daß wir wahrhaft hochverrätherisch und gotteslästerlich hochmüthig erzogen werden für die Situationen, in denen sich unser Planet nun einmal befindet. Ich bitte Sie! Es ist eine Raserei, uns mit Plato, Aristoteles, Spinoza und was dazu gehört schon so früh bekannt werden zu lassen. Es ist ein Verbrechen, unsere Schulen zu Pflanzstätten erst eines idealen Hochmuths zu machen und hernach Menschen in eine Welt abzusetzen, die um eine Schüssel kaltgewordener Erbsen jeden leidlich rangirten Schuster beneidet. Bester Freund, mir ging’s sowol was die Erbsen wie was den Schuster anlangt ganz nach meinem Bilde. Was hatt’ ich denn nun von Spinoza’s Pantheismus, wenn ich in einer Welt leben sollte, wo nur Der zu etwas kommt, der sich ein Sandkorn im Ganzen fühlt, eine geborene Made und Milbe im großen Käse der civilisirten Ordnung! Konnte ich denn nun aufs Schloß rennen, die Eisengitter vor der Auffahrt zum Throne wie Simson ausheben und mich beim König an den Tisch setzen und rufen: Herr, ich will auch leben, so gut wie Sie! Das ging eben nicht. So stieg ich hinunter in einen Keller, der da liegt am hiesigen Wasserglacis. Allda wohnet ein Mädchen, so da heißt Philippine. Ihres Geschlechts eine Pufke, Samuel Gottlob Pufke heißt ihr Vater und schon in besseren Tagen unserer damals noch vogelperspectivischen Weltanschauung 167 lernte ich, wenn ich an mein wasserdichtes Fortkommen durchs Leben dachte, von unten auf, durch meine Stiefeln, diese treuen Menschen kennen. In Gemeinschaft mit vielen muntern Ratten bewohnten sie einen Keller. Ein Candidat der Gottesweisheit war ich schon sonst ein Glanz für diese Hütte, ein Gott für diesen Keller und in den Zeiten der Constantin’schen Vogelperspective nährten und speiseten sie mich bereits oftermalen mit irdischer Speise und irdischem Trank. Philippine und ihr Vater sind Erleuchtete. Mein kindliches Gemüth raubte ihnen nie diesen glanzvollen Schimmer ihres Kellerdaseins. Wenn Philippine Sonntag Abends die Suppenterrine nahm, Citrone, Zucker und Rum vom Krämer holte und der alte Pufke beim ersten dampfenden Glase eines in Gottseligkeit genossenen Punsches mit mir anstieß und sprach: Eia, Herr Repse, freuet Euch in dem Herrn allewege! so stimmte ich in sanfter Melodie ein Lied von Gellert an, trällerte dann allmälig mit einem Sebastian Bach’schen Schnörkel in das schöne Lied von der Frau Nachtigall hinüber, regte den alten Nachkommen Hans Sachsen’s zu allerhand Wanderliedern und erlaubtester Weltlust an, bis er mit den Pantoffeln zu klatschen anfing und die Worte sprach: Auch David tanzete vor der Bundeslade. Und dann tanzeten wir Alle und tranken Punsch und dies gemüthliche Dasein wurde selbst geführt in den Schrecken der Anarchie. Die Schuhe wurden ja damals noch mehr abgerissen 168 als die Phrasen und Sie wissen, das will viel sagen. Pufke hatte Gönner. Er wurde Wahlmann, er duldete um seinen Glauben, er predigte oft auf der Gasse, zuletzt in Bezirksversammlungen und die Folge waren achtbare und wirksame Empfehlungen nach Oben; ach, nur immer nach Oben, bester Freund! Für mich hat sich dabei eine merkwürdige Wendung herausgestellt. Wie sie mich hier sehen, hab’ ich vor den Thoren ein Haus gemiethet und errichte daselbst unter allerdings eigenthümlichen Umständen eine Fabrik von Filzschuhen, von Filzteppichen, von Filzsocken, von Filzgegenständen aller Art, im Filz wird mein ganzes neues Dasein gebettet sein.

Eberhard erstaunte immer mehr und bat um Aufklärung.

Sie fragen vielleicht, wo bekomm’ ich das Geld, die Arbeitskräfte her? Sie müssen wissen, bester Freund, daß ich eine Fabrik begründe im Geiste des Jahrhunderts. Ich bin vor Ihnen, Eberhard Ott, vor Constantin und Allen, die den unverbesserlichen Adam meines Herzens kennen, nichts als ein Fabrikant von Filzwaaren, einem gesuchten Artikel, mit dem ich jährlich die Messen bereisen werde. Aber vor den Thoren draußen auf jenem Hause mit zwanzig Fenstern Front, wo ich wirken werde, da wird nicht zu lesen sein: „Jean Reps, sonst Nihilist, jetzt Fabrikant in Filzwaaren“, sondern rathen Sie, was?

Eberhard erfuhr wie in den Zeiten, in denen wir leben, die rechten Bekenntnisse, ausgesprochen den rechten 169 Menschen immer noch zu Glück und Segen führen können. Repsen fand sich ein stiller Compagnon, ein Geheimrath, der Philippine Pufke schon über die Taufe gehoben hatte. Dieser unterrichtete Kenner der Zeit sagte zu seinen Freunden: Errichtet eine Fabrik – für irgend etwas –, ich schieße alle Mittel vor und gehe nur in halbe Rechnung. Mit der Fabrik verbinden wir einen erhebenden Zweck; wir erwerben uns die Kinder von Armen oder Verbrechern oder Verwahrlosten, kurz einer Menschengattung, an der leider kein Mangel herrscht, wir sammeln dazu die Beiträge der Milde und Barmherzigkeit und lassen die Producte der Fabrik von jenen Kindern verfertigen, die wir dafür zu waschen, zu kämmen, zu kleiden, zu verköstigen und nur recht viel zum Gebet anzuleiten haben. Gesagt gethan. Und während Eberhard über diese Form des Industrialismus, die Adam Smith noch nicht kannte, erstaunte, über diese neue Theorie des ganzen Gewinns und der halben Auslage, sagte Jean Reps:

Besuchen Sie mich, Freund! Sie werden mich bald im Kreise von einigen dreißig bis funfzig hoffnungsvollen Sprossen des Zuchthauses finden, die ich Hundehaare, Kälberhaare, Waldwolle und Schafwolle bunt durcheinander mengen, tüchtig wie man’s nennt, kartätschen und so zu fester Gestaltung bringen lasse. Philippine und Pufke leiten die Umformung in Schuhe, in Socken, in Pantoffeln und vielleicht erheben wir uns noch zu kunst-170volleren Gebilden, denn Sie glauben nicht, bester Freund, was sich jetzt aus einem guten Filz Alles machen läßt.

Diese Wahrheit mußte Eberhard bestätigen.

In der That, die Residenz war groß genug, um nur Wenigen möglich zu machen, die geringe Würdigkeit des neuen Vorstehers einer der vielen menschenfreundlichen Anstalten, die jetzt solcher Art begründet werden, genauer zu untersuchen. „Johannes Repsen’s Rettungshaus“ ist jetzt eine der empfohlensten und versorgtesten Anstalten dieser Art, deren jährliche Tabellen durchzulesen dem Freunde der Menschheit einen hohen Genuß gewährt.

Nach dieser Erfahrung konnte es Eberhard nicht Wunder nehmen, als dann eine andere Wendung des Zeitgeistes ihm noch persönlicher sich kundgab.

Wingolf, der frühere Minister, war durch die Wahl der Stadt, in die er sich zurückgezogen gehabt hatte, Mitglied einer gesetzgebenden Versammlung geworden, die im Laufe ihrer Verhandlungen in jene bekannten Extreme der Steuerverweigerung gerieth, die mit öffentlicher Inanklage-Standsetzung ihrer Mitglieder endeten.

Wingolf wählte Eberhard Ott zum Vertheidiger.

Der öffentliche Ankläger, der mit Gewandtheit den Thatbestand der Vergehen gegen Ordnung und Sicherheit der Gesellschaft zu stellen wußte, war Constantin Ulrichs.

Es mußte eine gewaltige Zeit gewesen sein, die einen 171 solchen Umschwung der Dinge und der Menschen herbeiführen konnte. Constantin Ulrichs fungirte als neuernannter Staatsanwalt, Eberhard Ott als Advocat, Wingolf war der Angeklagte!

Den stenographischen Aufzeichnungen, die über den Proceß des Geheimraths Wingolf und Genossen vorliegen, entnehmen wir da diese Entwickelungen genauer anzugeben außer dem Bereiche unserer Erzählung liegt, nur drei Stellen, eine die Constantin, eine die Wingolf und eine die Eberhard sprach.

Blaß, scheinbar gefaßt, mit ruhig blitzendem Auge, doch erregt genug unter dem äußern Schein einer sieggewissen Haltung, sprach vor überfüllter Versammlung der Staatsanwalt Constantin Ulrichs:

„Es gibt ein Wort, das der größte Dichter aller Zeiten, William Shakspeare, eine seiner tiefsinnigsten Gestalten reden läßt, eine Gestalt, die uns um so werther sein muß, als sie oft dem deutschen Charakter und dem Genius unsers Volks verglichen worden ist, ich meine Hamlet.…“

„Hamlet sagt: Die Zeit ist aus den Fugen. Schmach und Gram, daß ich zur Welt sie wieder einzurichten kam!.…“

„Wer hätte sie nicht einst empfunden die träumerische Willensunfreiheit der blassen Gedankenwelt! Wer dächte nicht mit Schaudern zurück an seine einst zerrissene Samm-172lung zur That, die ohnmächtige Besinnung der Reflexion einer Welt gegenüber, die uns überlebt und dem Untergange geweiht schien! Wohl wir Alle haben sie empfunden, diese Stimmung des gebrochenen Bewußtseins, wo uns das Dasein ekel, schal und unersprießlich schien und Das, was besteht und von der Ordnung der Zeiten überliefert worden ist, ein Garten voll wuchernden Unkrauts.“

„Ein Wetter aber brauste herauf. Gott rüttelte nicht nur an den Grundvesten der geschichtlichen Schöpfungen, sondern auch an dem Mark unsers eigenen Lebens. Aufgerufen wurde die Menschheit von unbekannten Stimmen wie mit den Posaunen des Gerichts und eine Zornschale ergoß sich über die Erde und wie in der Noth einer Ueberschwemmung war zum Denken keine Zeit mehr, zum Rathen nur kurz die Frist und die Spanne Raum konnte verloren gehen in einem Momente der Zögerung.“

„Unser Träumen von Ehemals rächte sich furchtbar. Die Welt wie sie ist hatte man nur zu verachten und zu hassen gelernt. Man bot eine andere. Es kam neue Schöpfung. Aber wer konnte sie lieben? Wer konnte sich finden in diese gemachte Welt! Mit Schaudern gedenkt man der Zerstörung vorhandener Ordnungen, der Experimente, die versucht wurden, um Neues an die Stelle des Alten zu setzen! Es waren Momente der Besinnung gegeben, Momente der Hoffnung gestattet. Dann aber – was blieb übrig, als mit Liebe zurückzukehren zu dem 173 Schoße der Mutter, von deren Knieen man sich zu früh in die Wildniß einer unbekannten Zukunft gewagt hatte.“

„Der Sammelplatz der Gutgesinnten war nicht mehr auszurufen. Er konnte nirgendwo liegen als da, wo der Zusammenhalt der Vernunft uns das Nächste sicherte, die Existenz, die Familie, den Herd, die Gesittung, die Ruhe und das Glück des Einzelnen, der ein unveräußerliches Recht an eine feste Form des Ganzen hat; denn nur im Ganzen liegt die Bürgschaft des Einzelnen; das Einzelne im Menschen ist jene ewige Bestimmung seiner Gattung, jene verheißungsreiche Zukunft seiner auf die Ordnung alles Heils bezogenen Individualität. Wer da fehlen konnte, als sein Fürst, sein Vaterland, sein Haus und seine Familie riefen, der steht als ein Verbrecher vor dem Richterstuhl der Menschheit, auch wenn ihn Vergehen gegen den Buchstaben des Gesetzes nicht schon vor die Schranken der nächsten bürgerlichen Ordnung stellten.“

Wingolf, von mehren Orden, mit denen er seine Brust hätte schmücken können, nur ein einziges Band des Civilverdienstes an seinem Rocke tragend, sprach bei lautloser Stille:

„Wenn eine Welt, deren innere Schäden man aus genauer Kenntniß derselben würdigen lernte, zu wanken beginnt und durch die Natur der Werderuf des Frühlings tönt, wer sollte nicht sein Herz erschließen dem Wehen des milden Hauches, wer sollte nicht auf den Herbst und seine 174 goldenen Früchte hoffen, selbst wenn unter tausend Blüten die Mehrzahl taub erschien oder im Winde zu Boden fiel! Der Unterschied ist nur der, daß Das, was Andere waren, Andere jetzt sind; daß Das, was Andere früher verachteten, von Andern damals vertheidigt wurde.“

„Wer könnte das Wort reden wollen der Brandfackel der Zerstörung, wer wird im Tode Leben suchen! Nur um die Grenze konnte es sich handeln, wo die zugestandene Bewegung still zu stehen hatte. Man sagt, sie mußte vor den Thronen stillstehen. Ich beuge mich dieser Wahrheit. Ich handelte in ihrem Dienste. Aber zum Throne ist es höher und steiler empor, als Die, die sich des Thrones Freunde nennen, den Weg vorzeichnen. Bei ihnen beginnt der Thron sogleich mit ihnen selbst. Ihre Interessen wurden die Interessen der Krone. Ist die strengere Unterscheidung dieser Entfernungen ein Verbrechen gewesen? Wenn die Masse, die Gestalt gewinnen soll, im Flusse ist, wenn das glühende Erz hervorbraust aus dem Kessel und sich den Weg sucht in die gemauerte Form unserer Ideale, wer ist der Künstler oder wagte sich den Meister zu nennen, daß er überall Halt! riefe, wenn vom glühenden Erze ihm in die Form genug geflossen scheint? Wer hütet den Zapfen, öffnet ihn und schließt ihn, wer anders, als die Gottheit, deren Signale ihr doch nicht in eigener Offenbarung besitzt? Gesetzt auch, man hätte Recht, wie ich Dem Recht gebe, der sagt, daß ein Augenblick eintreten 175 mußte, wo ein Hornruf Alle zu ihrer Pflicht rief; wer hörte diesen Hornruf früher? Wer ihn später? Früher gewiß Der, der daheim auf dem Lotterbett lag und auf der Lauer saß, den rechten Augenblick der Umkehr zu treffen, später Der, der draußen auf dem Felde stand und arbeiten mußte im sauern Schweiß und kämpfen gegen den Unverstand der Zeit und sich gewöhnen sogar an die Sprache der Gegner, um sie für die bessere Einsicht zu gewinnen!… Der Vorsprung, den entweder die Feigheit oder die kalte Empfindung für wahres Volkswohl vor dem flammenden Herzen voraus hatte, diesen Vorsprung zu benutzen auf Anklage und Verketzerung ist unedel und die Zeit wird über Die, die der allgemeinen Hoffnung nicht Rechnung trugen und in der Zeit eines schönen Traums und bunten Wahns allein die Nüchternen und die Weisen bleiben wollten, einst ein Gericht niedersetzen, dem ich nach meinem Sinne die mildesten Sprüche wünsche.“

Wingolf’s Vermittelung entsprach seinem loyalen Sinn.

Sein Vertheidiger Eberhard Ott stellte den florumwundenen Hut zur Seite, begann ruhiger als sein Client, argumentirte sicherer und traf verwundender.

Eine seiner bezüglichsten Stellen lautete:

„Es ist die verkehrte Welt, die wir spielen. Wer der alten Zeit gegenüber sich als ein Hamlet verhielt, wer diese als einen Garten voll Unkraut, eine schale unersprießliche 176 Wirklichkeit nahm, den brachte die erste That, die er gegen eine Ratte zu vollziehen sich anschickte, dahin, daß er einen Menschen, Polonius, mordete, der hinter einer Tapete verborgen zufällig, ich glaube ja wol, der Vater seiner Geliebten war. Opheliens der Verzweifelnden Anblick brachte den alten echten Hamlet, von dem doch gesprochen wurde, zur Besinnung. Wohl auch den neuen, dem ich Glück wünsche, wenn er plötzlich die alte Welt zu schützen als einen Beruf gewählt hat, der ihm Selbsterkenntniß und die Krone von Dänemark verschaffte.“

„Doch wozu Bilder! Man hat die Schöpfung aus dem Nichts für ein Wunder gehalten, das über unsere Vorstellungskraft und Glaubensfähigkeit hinausginge. Allein wie bildungsfähig das Nichts ist, lehrt die Erfahrung aller Tage. Die Negation um jeden Preis, die wir so bedeutungsvoll vorhin schildern hörten, erhebt sich überall jetzt von ihren Trümmerstätten, von ihren Kirchhöfen, ihren Unkrautgärten und fängt zu richten und zu schaffen an, langsam, vorsichtig, besonnen, vorläufig mit Anerkennung der Welt, wie sie sonst war und immer gewesen wäre und immer bleiben werde. Was mag es sein, was diese Besonnenheit, diese vortreffliche Ueberzeugung zu Stande brachte? Irdische Vortheile? Wer könnte diese Vermuthung aussprechen! Innere geistige Umwandlung? Diese zu glauben wäre ich eher geneigt, würde nicht Religion zu ihr gehören, Gottinnigkeit, innere Erleuchtung, 177 eine solche Gesinnung, die vor den Thoren dieser Stadt für verlorene Seelen Johannes Repse’s Besserungshaus ins Leben rief. Was ist der Grund ihrer Erleuchtung? Ich sage: Die Erschöpfung ist es. Nihilisten hassen unsere Aufschwünge. Sie hassen Schwarz, sie hassen Weiß, sie finden, daß immer von Dem, was uns Zumuthungen an unsere Liebe und unsern Eifer stellt, nur das Gegentheil berechtigt ist. Der Wolf trübt dem Lamm das Wasser, weil er satt ist. Nichts ist ihnen darum erwiesen, nichts fest. Wie kann es Menschen geben, die aus der Zeit Hoffnungen für die Zeit schöpfen! Was reden wir von Wahrheit! Von Irrthum! Und doch – es gab in unserer Zeit ein Irren, das sich mit allen Lichtgewändern der Wahrheit schmücken durfte. Ein Irren gab es, das zu den Tugenden dieser Zeit ebenso gehört, wie die Parteinahme, die Solon’s Gesetze verlangten zur alten. Dies Irren in unsern Tagen ist ein verlorener Sohn, den nicht die Reue an das Herz des Vaters zurückführt, sondern den der Vater selber aufsuchen muß, weil er ihn elend sieht um seinetwillen und auf seine Schuld hin. Dies Irren der Zeit ist unsere eigene Seele, die sich in Andere flüchtete und in fremder Stätte vollzog, was wir selber in eigener einst träumten. Sie tritt uns entgegen, diese irrende Seele, aus Denen, die wir richten wollen. Sie erhebt sich, eine verhüllte Gestalt, mit dem Haupte der Erinnyen, sie streckt die Hand aus und droht dem Abtrünnigen, der die Mut-178ter des eigenen Lebens nicht anerkennen will. Dies Irren der Zeit hat eine ebenso wahre Berechtigung, wie einst die Unentschlossenheit Hamlet’s – aber die Nihilisten kommen zuletzt darauf hinaus, alles Hoffen und Träumen und jedes Wollen und jeden Willen für überflüssig zu erklären. In der That! In einer Zeit solcher Geisteswandlungen ist es schwer, zwischen den Handlungen der Menschen die Grenze abzustecken.“

„Diese Männer hier wagten es, im Vollgefühl einer ernsten Aufgabe, die Mittel zu verweigern, die die Gesammtheit ihrer Beauftragten zur Aufrechthaltung der Ordnung zu gewähren hat. Es war eine Demonstration, mehr der Form als der That nach. Man wußte den Nichterfolg. Man wollte einem Grundsatze huldigen, wie jene Senatoren Roms, die den Sieg des Brennus ergeben in ihren Amtskleidern erwarteten, in den Flammen erstickten und in Asche und Staub zerfielen, als die Sieger sie berührten. Diese Nihilisten, die aus einem schwachen Etwas entstanden, sind höher zu schätzen als die Nihilisten, die, die Ohnmacht alles Widerstandes erkennend, sich lieber entschlossen, zu den Feinden überzugehen.“

Eberhard Ott ging nach diesen durch die Aufregung jener Zeiten hervorgebrachten Abschweifungen auf die rechtliche Seite seiner Vertheidigung über und gab eine so lichtvolle Auseinandersetzung, daß Wingolf’s Freisprechung die Folge war.

179 Nach Beendigung der Sitzung fand man im Nebenzimmer Eugenie und Hertha.

Eben ankommend von der Reise, die sie wie mit dem Windesfluge um die Wette unternommen, traf Eberhard Beide in seines freigesprochenen, in kurzer Zeit an seinen Schläfen völlig ergrauten Clienten Armen.

Von Eugenie erntete Eberhard den beredtesten Dank, von Hertha den Dank eines starren Auges, das über Thaten zu grübeln und in einer langen brütenden Besinnung auf alles Vorhergegangene verloren schien.

Es lag nahe, daß Hertha sich eine Aufgabe stellte, die ihr so wichtig wurde, wie sonst das Recht der freien Selbstbestimmung.

Diese Aufgabe galt Agnesen’s hinterlassenem Kinde.

Hertha übersah Eberhard’s Leben, seine Existenz, seine Mühen sehr bald. Neuerwacht war ihr Schmerz um die drückende Pflichtenlast eines Mannes. Wie einst ein Ring, so erschien ihr jetzt ein ganzes Leben als Symbol.

Den alten Pfarrer hatte es zu seinen Aeckern und Wiesen heimgezogen; selbst auf seine Kanzel wieder in Liederbach sehnte sich der alte dogmatische Rationalist. Eine Natur, wie die seinige, begnügte sich mit dem Wohl der Enkelin, die ihm in des Vaters Pflege geborgen schien. Wingolf und Eugenie zogen in die Provinz. Sie wünschten selbst, daß Hertha, um sich zu sammeln und aus sich selbst zu festigen, in der Residenz blieb. Sie behielt ihr 180 Zimmer vor den Thoren, rechnete nach wie vor mit Frau von Zabel und Lisetten, aber die Welt, die sie um sich pflegte und schmückte und zu verstehen und zu begründen suchte, war eine andere geworden. Sie hatte schwere Kämpfe des Lebens durchgekämpft. Eines Tages begehrte sie von Eberhard sein Kind zur alleinigen Pflege in ihren eigenen Wohnräumen.

Konnte er ihr’s weigern? Er dachte nicht daran, eine Gattin zu suchen. Eine Mutter aber für Meta war ihm ein Geschenk des Himmels, das er nicht ablehnen durfte. Er gab Hertha Agnesens Kind.

An derselben Stelle, wo sie im Feuerbach einst von einer Liebe gelesen, die in Constantin Ulrichs ihren Himmel zu finden gehofft, saß sie, ein kleines holdes Wesen im Arme, das ihr jetzt der Eingang in jenen wahren Himmel war, der für sie nur noch im Dank gegen den Vertheidiger ihres Vaters lebte. Doch weder ihre, noch seine Lippen sprachen je einen Wunsch aus, der über das Nächste und Nothwendigste der Verständigung hinausging.

Vom Stiftshof aber kam die Kunde, daß Hans von Landschütz sich das Kind Gottes wirklich zur Gemahlin gewählt hatte.

Ein Wesen, das Dichter besungen hatten, ein Mädchen, so sehr Julia Capulet, um in ihr Herz nur einen Romeo einzuschließen, wählte Hans von Landschütz. Sie war jene „ursprüngliche Natur“, die sich mit der blassen Reflexion 181 nicht verleiden läßt, Ideale des Herzens zu haben. Sie neckte den Liebhaber und schmollte mit dem Gatten. Beides that dem Gatten wie dem Liebhaber wohl. Hansen’s Leben bedurfte eines Strohhalmes, der ihn vom Einschlafen aufkitzelte. Mehr war auch Frieda von Landschütz nie für den Stiftshof. Sie blieb wie sie war. Wenn sie mit solchen Studenten und jungen Professoren gehen wollte, die ihr zusagten, mußte sich’s Hans gefallen lassen, daß sie, ohne darum die mindeste Untreue zu begehen, Tage lang ihn ignorirte.

Es ging das vortrefflich; war doch Alles „unmittelbar“ an ihr, wie man es schon wieder auf der Universität nannte und sie wußte es auch und ihre Mutter, das jetzt alternde Riekele, sicherte ihr die Möglichkeit, ganz ihrem Genius zu leben. Der Vater war mit der Zeit ein wenig kindisch geworden.

Constantin’s äußere Lage wurde die glänzendste.

Er hatte außer einer guten Anstellung auch das Herz seiner Schwägerin gewonnen.

Aurelie von Landschütz, eine Dame, die zehn Jahre älter war als er, vergaß den Baron von Gleichen um Constantin Ulrichs.

Constantin, reich geworden, konnte jetzt seiner endlich gewonnenen Ueberzeugung, daß von allen, allen Thatsachen, mit denen sich das alberne neunzehnte Jahrhundert quält, nur der Begriff des Comforts der wahrhaft neue und befruchtende Gedanke ist, ganz nach Wohlgefallen leben.

182 Er hielt sich Wagen und Pferde, er streckte sich auf Divans und Ottomanen, er trieb Blumenzucht in seinen Zimmern und lebte wie ein angebetetes Idol in seiner ganzen Herrlichkeit.

Nicht nur Aurelie lag ihm zu Füßen und küßte, vor aller Welt sogar, seine schönen Hände; Alles, was zu Aureliens hochgestellter Verwandtschaft gehörte, vergötterte den interessanten Mann ihrer späten Wahl.

Constantin ging einen Pfad durchs Leben über schwellende Teppiche. Wo er sich anlehnte, fand er den Rücken weich gepolstert. Was er nur athmete, war Arom. Verzärtelt zu werden war dabei nicht seine Absicht. Er wehrte sich oft mit Gewalt die Ueberfülle seines Glückes ab. Alles was er sprach war „geistreich“, was er unternahm „taktvoll“.

Die Stellung eines öffentlichen Anklägers behielt er als eine Art von Privatunterhaltung.

Dabei wuchs freilich die Bizarrerie seines Gemüthes. Verdrießlich wurde er oft bis zum Exceß, oft wälzte er sich auf all seinen Polstern und stieß ungeduldig mit den Füßen gegen Kissen, Menschen, Welt. Es ergriff ihn dann halb faustische, halb mephistophelische Stimmung. Er konnte seiner Amtswirksamkeit allen jenen scharfsinnigen Nachdruck geben, den man an seinen Anklagen und Beweisführungen bewunderte; aber dies Nichts der Welt, in stillen Stunden, in schlaflosen Augenblicken quälte es 183 ihn doch. Dann hätte er Alles verwünschen, Alles zerreißen mögen. Schal, unersprießlich erschien ihm und hassenswürdig das Dasein, wie sonst. Der Morgen brachte ihm glücklicherweise auf silbernen Schalen dann wieder des Lebens goldene Früchte, den geliebten Mokka, seine braunen Regalien und Upmans, er lächelte und war wie immer und immer „liebenswürdig“. Man bewunderte seine Grazie, seine feine Ironie. Er konnte zuweilen sogar ausgelassen sein, besonders wenn seine Gedanken auf die Filzfabrik vor den Thoren kamen. War er auch zu verdrießlich gestimmt, zu mürrisch und übellaunig, so brauchte man nur von „Vater Repse“ zu sprechen und behaglich schaukelte er sich in seiner blumigen Orchideen-Existenz.

Noch Eine Freude hatte Constantin.

Er lachte oft darüber, daß jenes sentimentale Geschlecht, zu dem Eberhard Ott gehörte, doch immer in die Lage kommen müsse, Das aufzunehmen, was der Genius fallen läßt.…

Eberhard hatte dies schon Ein mal gethan, an den Asterbeeten im Pfarrgarten zu Liederbach.…

Und das zweite mal.…

Wie konnte sich ein Constantin darin täuschen, daß die Pflegerin und Mutter der kleinen Meta noch einst Eberhard’s zweite Gattin werden würde? Der Genius verschmäht erst eine Agnes, dann eine Hertha und der Philister nimmt eine Agnes und dann eine Hertha.

184 Constantin sah vollkommen, was in Eberhard’s Seele vorging. Er sah, daß Eberhard unter dem Gedanken, in der That zwei mal in die Fußtapfen eines treulosen Freundes zu treten, litt. Constantin legte, bestaunt und bewundert von seinem Weibe, einen Beweis seiner Menschenkenntniß ab, als er einst sagte:

Ha, was diese Menschen es wurmt, die ewig Seitwärtsstehenden sein zu müssen, die ewig Nüchternen und Gestrigen, während wir die Zukunft für uns haben und vom Wirbel bis zur Zeh’ die lebendige Poesie sind!

Constantin rief aus: Hertha pflegt sein Kind. Sie thut es mit dem ganzen Heroismus, der diese Thörin immer ergriffen hat, ob es sich nun um eine Revolution oder eine Stecknadel handelt, sie pflegt die kleine Meta nach allen Lehrbüchern der Pädagogik, sie liest Plato und Aristoteles im Urtext, um sich zu unterrichten, wie das Kind Deutsch am leichtesten aussprechen wird. Es kann nicht anders werden, als daß Eberhard eines Tages zu ihr sagt: Hertha, sei mein Weib! Es wurmt ihn noch. Der Stempel des Philisters ist ihm zu fühlbar auf die Stirn gedrückt. Aber nur Schulmeister wird er ewig bleiben, lesen die Exercitien seiner Schüler, corrigiren, was Andere verdarben! Ihr Eingebildeten! Für jene Worte, die ich von Eberhard einst bei Wingolf’s Proceß hören mußte, ohne sie unterbrechen zu dürfen, gönn’ ich ihm die Qual, wie ein trap-185pistischer Tantalus zu lechzen nach den goldenen Früchten über ihm, die er sich kasteit, nicht brechen zu wollen.

Constantin Ulrichs betrog sich aber.

Zwei lange Jahre währte es allerdings, bis Eberhard das Gefühl der Beschämung mit dem Gefühl der Dankbarkeit ausgleichen konnte.

Da aber geschah ihm Folgendes:

Julie von Reisig war mit ihrem Gatten und dessen Kindern in den alten Wohnort zurückgekehrt.

Ihre Schwester Aurelie als Constantin’s Gattin anzutreffen, that ihr so wenig wohl, daß sie ihrem Drange, alles Widerstrebende auszugleichen, hier zu folgen sich nicht entschließen konnte, sondern die gegenseitigen Verstimmungen ihrer alten Freunde ruhig als begründet gelten ließ. Sie sah sie aber gern in ihren wiedereröffneten Cirkeln und nicht selten zu gleicher Zeit Hertha, Constantin und Aurelie.

Auch Eberhard Ott mußte sie nun kennen lernen, den Vater jenes Kindes, das Hertha erzog, wie die Welt sagte aus Dankbarkeit für die Vertheidigung ihres Vaters.

Es war eine große glänzende Gesellschaft, als Eberhard einst zum ersten male dies Haus betrat.

Die Gegensätze hatten sich schon ein wenig ausgeglichen, die Leidenschaften schon etwas gemildert; man vergaß die Partei schon ein wenig wieder um der Menschen willen.

186 Constantin und Aurelie wurden erwartet, man erwartete auch Hertha.

Jene kamen.

Wie lange hatte sie Eberhard nicht gesehen! Der früher Gekommene blickte voll Mitleid auf das traurige Paar.

Constantin blaß, verfallen, offenbar krank, tief zerrüttet. Aurelie, gut und wohlmeinend in Wesen und Blick, unschön jedoch, hager, dürr, reizlos, trotz ihrer Diamanten fern von jedem gefälligen Eindruck. Constantin fühlte es und blickte nieder.

Nun erschien Hertha, Hertha, die von Constantin Aufgegebene! Seit zwei Jahren war sie wie umgewandelt. Die Frische war sie und das Leben selbst. Ihr Auge voll blitzenden Feuers, ihre Wange sanft geröthet, ihre Gestalt jetzt erst entwickelt wie nach lang unterdrücktem Wachsthum. Der Ernst von ehemals gemildert. Leicht und gefällig ihre Bewegung unter den Menschen. Jeder drängte sich in ihre Nähe, suchte ihren Anblick und ihr Gespräch zu gewinnen. Hertha war die Königin des Abends.

Und hätte sie es nicht sein wollen, Julie machte sie dazu. Julie hob sie drei mal über die eigene Schwester. Frauen verstehen es, zu erhöhen, Frauen verstehen es, Kronen zu verschenken, Sessel für die, die hoch thronen sollen, aufzustellen und Teppiche darüber auszubreiten, daß man die schlaue Veranstaltung nicht merkt.

Wer war nun der Verschmähte?

187 Constantin, der verdrießlich und abgespannt mit Aurelien in einer Zimmerecke saß, oder Hertha Wingolf, die allen Augen begehrens-, jedem Herzen liebenswerth erschien?

Eberhard stand am folgenden Morgen an Hertha’s Seite und plauderte mit Meta, die zu ihren Füßen spielte.

An derselben Stelle, wo ein Vater einst vor dem Bilde seines ersten Weibes die Wahl eines zweiten vor der Tochter vertheidigen mußte, vernahm dieselbe Tochter das Bekenntniß der Liebe auch aus dem Munde – eines Witwers.

Bebend vor Wonne und Glück wollte sie reden. Sie konnte nicht. Sie ging an den Schrank, schloß ihn, nahm ein Kästchen hervor, öffnete und gab Eberhard den Ring Constantin’s, den dieser für ihn einst von Agnes empfangen.

Indem sie mit verhaltenem Athem erzählte, was in der einsamen Kammer ihres Herzens einst sich zugetragen, als sie mit diesem Ringe Eberhard’s und eines edlen Mannes Lebensauffassung und die Pflichtenwelt kennen gelernt, sammelte sie sich.

Eine Thräne quoll in Eberhards Auge dem Andenken an Agnes, die dem Himmel eine tiefe Schuld mit dem Tode bezahlt hatte, ein Blick auf sein holdes Kind gab ihm neuen Muth und der Bund der für einander bestimmt gewesenen Herzen war geschlossen.…

Die Zeilen, die aus Hertha’s Feder an ihren Vater überströmten, wird sich jedes fühlende Herz ebenso selbst 188 denken können, wie Wingolf’s Empfindungen, als er Hertha’s Brief empfing und an jenen Abend zurück dachte, da er vor vier Jahren in nächtlichem Dunkel einst zu seinem abtrünnigen Kinde schlich.

An eine bloße Genugthuung aber, die ihm wurde, dachte er nicht. Zu gut kannte er an sich selbst die Wandelungen durch die Zeit.

Er schrieb seiner Tochter:

Die Zeiten und die Menschen, Alles geht im Ringe, nur daß der ewig gleiche Kreislauf in sanfter Linie, wie die Spirale, emporsteigt und – unser Hoffen mit ihm!

Apparat#

Bearbeitung: Dirk Göttsche, Nottingham unter Mitarbeit von Joanna Neilly, Oxford; Apparat: Wolfgang Rasch, Berlin#

1. Textüberlieferung#

1.1. Handschriften#
1.1.1. Übersicht#

Es sind keine handschriftlichen Überlieferungsträger bekannt.

1.2. Drucke#

Gutzkows schrieb die Erzählung für seine Familienzeitschrift „Unterhaltungen am häuslichen Herd“, wo sie im ersten Jahrgang 1853 veröffentlicht wurde. Als er Der Ring oder die Nihilisten drei Jahre später in seine Sammlung Die kleine Narrenwelt aufnahm, wo sie neben den Pariser Skizzen fast den ganzen zweiten Band füllt, reduzierte er den Titel auf den ursprünglichen Alternativtitel Die Nihilisten und ließ beim Untertitel den für die Journalleser gedachten Zusatz in sieben Capiteln vom Herausgeber fallen. Ansonsten unterscheidet sich die Journalfassung nur geringfügig vom Bucherstdruck, sieht man von der für die Buchfassung stark modifizierten Absatzgestaltung ab. Die Buchausgabe hat wesentlich mehr Absätze als die Zeitschriftenpublikation und ist so viel kleinteiliger gestaltet. Die Textrevision 1856 beschränkte sich auf minimale stilistische Änderungen, gelegentliche Wortstreichungen, -ergänzungen oder -ersetzungen.

Etwas gravierenden sind die Überarbeitungen des Textes 1873 in A2. Sie betreffen stilistische Änderungen, sporadische Um- und Neuformulierungen, Wortumstellungen, hinzugefügte oder gestrichene Worte, in wenigen Fällen Streichung von Sätzen. Verglichen mit E werden die Absätze in A2 wieder reduziert, vor allem mehrere kürzere Absätze (platzsparend) in einen Absatz zusammengefasst. Dialoge, die in E durch Absätze kenntlich gemacht wurden, werden in A2 im fortlaufenden Text durch lange Striche getrennt. Auf die Verwendung von Auslassungspunkten verzichtete Gutzkow weitgehend. Inhalt und Tenor der Erzählung waren von diesen Modifikationen nicht betroffen. Für die Aufnahme der Erzählung in die Gesammelten Werke legte Gutzkow offenbar den Text aus der Kleinen Narrenwelt zugrunde, ließ den Untertitel Eine Erzählung weg und fügte lediglich als Titelzusatz das Jahr des Erstdrucks hinzu.

Die Seiten-/Zeilenangaben im Apparat beziehen sich auf die Druckausgabe des Beitrags im Band: Kleine erzählerische Schriften. Band 2. Hg. von Dirk Göttsche unter Mitarbeit von Joanna Neilly. Münster: Oktober Verlag, 2021. (= Gutzkows Werke und Briefe. Abt. I: Erzählerische Werke, Bd. 9.)

Die Sigle ›Rasch‹ im Apparat verweist auf Wolfgang Rasch: Bibliographie Karl Gutzkow. (1829-1880.) 2 Bde. Bielefeld: Aisthesis Verl., 1998. Eine bibliographische Kennziffer mit dem Zusatz N am Ende bezieht sich auf die → Nachträge zur Bibliographie.

J Der Ring oder die Nihilisten. Eine Erzählung in sieben Capiteln vom Herausgeber. In: Unterhaltungen am häuslichen Herd. Leipzig. Bd. 1, Nr. 37, [10. Juni] 1853, S. 577-585; Nr. 38, [17. Juni] 1853, S. 593-601; Nr. 39, [25. Juni] 1853, S. 609-616; Nr. 40, [2. Juli] 1853, S. 628-638; Nr. 41, [9. Juli] 1853, S. 641-651; Nr. 42, [16. Juli] 1853, S. 657-662; Nr. 43, [23. Juli] 1853, S. 673-684. (Rasch 3.53.06.10.1)
E Die Nihilisten. Eine Erzählung. In: Karl Gutzkow: Die kleine Narrenwelt. Zweiter Theil. Frankfurt/M.: Literarische Anstalt, 1856. S. 1-188. (Rasch 2.33.2.1)
A2 Die Nihilisten. (1853.) In: Karl Gutzkow: Kleine Romane und Erzählungen. Zweiter Theil. (Gesammelte Werke. Erste vollständige Gesammt-Ausgabe. Erste Serie. Bd. 3.) Jena: Costenoble, [1873]. S. 147-259. (Rasch 1.5.3.3)

2. Textdarbietung#

2.1. Edierter Text#

E. Der Text folgt in Orthographie und Interpunktion unverändert dem Erstdruck. Textsperrungen werden übernommen. Silbentrennstriche (=) werden durch - wiedergegeben. Die Seitenzählung wird mit Klammern [ ] an den betreffenden Stellen in den Text eingefügt.

Die Liste der Texteingriffe nennt die von den Herausgebern berichtigten Druckfehler sowie die Emendationen. Fehlende oder überzählige Spatien im Erstdruck wurden stillschweigend korrigiert.

2.1.1. Texteingriffe#

232,10 funfzigjährigen funzigjährigen

246,15 Ott Otto

249,27 Ott Otto

264,33 rauher rauhe

277,22 Worte Worten

278,6 Frieda Hertha

278,10 konnte, konnte:

278,11 zurief: zurief, Der Texteingriff ist in der Buchausgabe (GWB I, Bd. 9, S. 519) irrtümlich mit einer falschen Zeilenangabe (10 statt 11) angegeben.

294,26 dunkel Dunkel

299,19 verbreitet ver breitet ausgefallener Trennstrich am Zeilenende

301,27 Principien Pricipien

316,29 Vorstellung, Vorstellung

316,31 Fesseln Fesseln,

323,19 Ihre Ihr

338,26 Die „Die

341,17 „Es ‚Es

344,34 wohl. wohl ausgefallene Letter

348,34 Veranstaltung Veranstaltnng

Kommentar#

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