Der Papierkorb#

Metadaten#

Herausgeber
  1. Martina Lauster
Fassung
1.0
Letzte Bearbeitung
11.2008

Text#

116 Der Papierkorb.#

Wie muß ich beklagen, daß meine Hand nicht mit Zephyrwolle und Chenille umzugehen versteht -! Die Aussicht, bei einer Preisbewerbung, die kürzlich ein Journal für das „Haus“ ausgeschrieben, einen Bechstein’schen Flügel zu gewinnen, ist zu verlockend -! Und belächeln Sie meinen Wahn nicht, ich glaube in der That, das zu haben, was man für das „Haus“ verlangte, eine „neue Idee“.

Man verlangte einen für das Leben des Hauses zu liefernden Gegenstand für weibliche Handarbeit, der nicht nur schmückend, nicht nur nützlich sein soll, sondern auch Veranlassung zu einem Erwerb böte - - -

Nun denn wohlan, meine „neue Idee“ führt dem Gesellschafts-, dem Studierzimmer, dem Boudoir zwar keinen ungewohnten, bisher nicht dagewesenen Schmuck zu, kann aber jede Hausfrau, die ihrem Gatten eine Freude bereiten will, jede liebevolle Schwester, die einen aufmerksamen Bruder hat, dem sie gern danken möchte für die Geburtstags- und Weihnachtsgeschenke, die ihr von seiner Hand zuzukommen pflegen, jede Verlobte, die schon im Brautstand für das Idol ihres Herzens eine Fee, die je früher je lieber anfängt, ihm sein äußeres Dasein zu schmücken, zu sein wünscht, veranlassen - ein Zimmerrequisit, die Papierkörbe, denn von diesen rede ich, wie sie bisher waren, zu cassiren und dafür neue anzufertigen. Hat allerdings zunächst - der Korbmacher nur den Gewinn von meiner „neuen Idee“, so ist doch das nackte Rohrgestell, der nur lackirte Papierkorb, ein überwundener Standpunkt. Auch geschmückt, auch buntumflochten und mindestens mit einer gestickten Bordüre muß er versehen sein.

Um meine neue Idee (allerdings vielleicht nur das Ei des Columbus -!) zu erklären, ziemt sich zunächst, einen Blick in die Natur, in das Wesen und die Bedeutung des Papierkorbs zu werfen.

In meinen jüngeren Jahren gab mir einmal eine Dame, die eine vielleicht gerechtfertigte Ursache hatte, über mich erzürnt zu sein, bei einer ernsten Auseinandersetzung den Rath: „Und noch Eins, lieber Freund! Wenn Sie Briefe zerreißen, so werfen Sie sie niemals in den Papierkorb, sondern immer in den Ofen -!“

Recht schön das gesagt! Aber es giebt unter unserm gemäßigten Himmelsstrich glücklicherweise sechs Monate im Jahre, wo man des Ofens nicht bedarf. Man vergißt ihn dann vollständig. Oder - soll man um jeden Brief eines mahnenden Manichäers, um jedes Concept einer behördlichen Eingabe (etwa an die Ordenscommission, um uns für die nächste Ordensvertheilung in Erinnerung zu bringen), oder den Entwurf eines Toastes, den man beim nächsten Diner mit der Einleitung „unvorbereitet wie ich bin“ vorträgt, sofort ein kleines Autodafé im Zimmer anstellen, Schwefel- oder Phosphordampf einathmen, sich die Hände an der Ofenthür und der Ofenklappe beschmutzen und dann noch etwa von seiner Gattin mit den Worten überrascht werden: „Sieh, sieh, was verbrennst Du denn da, Adolf -?“ Nein, der Papierkorb ist einmal jene Fallthür, jenes unterirdische Verließ, jene Oubliette, die uns Sommers und Winters zu nahe zur Hand steht, als daß wir sie nicht benutzen sollten. Wer nur irgend an eine gewisse Ordnung in seinem Zimmer gewöhnt ist und mit Papier umzugehen hat - und unser ganzes Zeitalter ist ja das des Papiers -! kann dies Reser-117voir nicht entbehren. Alte Zeitungen wandern hinein, werthlose Billets, Briefcouverts, Manuscripte, die so glücklich waren, einen Verleger gefunden zu haben, längst gedruckt, recensirt und - vergessen sind, kurz, was nur irgend in unserm stündlichen Sein und Leben mit der Erfindung, aus Lumpen Papier zu machen, zusammenhängt, steht in Verbindung mit dem Möbel, das nicht ohne Grund die Form des antiken - Aschenkrugs erhalten hat.

Nun giebt es aber (ich entwickele meine „neue Idee“ -!) in unserm irdischen Schaffen und Wirken, in unserm Dulden, Entbehren und Erleben eine Reihe von Mächten, die schon lange die Philosophie und keine mehr als die Spinoza’s zweifelhaft gemacht haben an dem überlieferten Satze, daß sich der Mensch vom Thier durch die Uebung seines freien Willens unterscheidet. Goethe sagt im Faust: „Im Einen sind wir frei, im Andern sind wir Knechte!“ Diese Knechtschaft liegt nicht etwa blos in unserer Abhängigkeit vom Fatum, vom Schicksal, von anderer Menschen freiem Willen, von unserer Kundschaft, vom Chef des Departements, in dem wir arbeiten, sondern noch weit mehr in unserer eigenen Natur und in den allgemeinen Gesetzen alles Erschaffenen. Unsere größten Tyrannen sind Zeit und Raum -! Vergeßlichkeit heißt z. B. allein die zuweilen tiefbeschämende Zwangsjacke unserer eingebildeten Freiheit, eine Hanswurstjacke sogar für Andere, die über uns lachen, wenn sie uns in einem Zimmer herumrennen und einen Gegenstand suchen sehen, von dem wir nicht wissen, daß wir ihn in der Hand haben! Das Schrecklichste der Schrecken ist, nach Schiller, der Mensch in seinem Wahn. Jede Hausfrau wird zustimmen, wenn ich diesen Spruch vom Kothurn der Tragödie auf den Pantoffel des Hauslebens übertrage und sage: Das Schrecklichste der Schrecken ist - ein Mann, der etwas sucht, was ihm verlegt ist! Denn in der Regel klagt er sich dann selbst am wenigsten an, sondern seine Umgebungen. Gewöhnlich stürzt ein solcher Wüthender zunächst - auf den Papierkorb -! Weiß er doch, es umgeben diesen und ihn selbst immerfort Hände, die um ihn her Ordnung stiften wollen, aber nur - die beantworteten Briefe unter die unbeantworteten, die noch nicht gelesenen Zeitungen unter die gelesenen wirren und somit jene Ordnung stiften, die in seinen Augen, in den Augen des Herrn im Hause oder wenigstens des Herrn in seinem Zimmer, die größte Unordnung ist. Dienstboten haben dann wol gar die Gewohnheit - im Ofen Feuer anzumachen mit Hülfe des Papierkorbs. Manchmal hat der gestrenge Herr der Schöpfung selbst dafür das erste Zeichen gegeben. Sah er, wie sich die Magd mühte, das gerade ausgegangene Tannenholz durch Anblasen der Buchenholzfeuerung zu ersetzen, so verwies er ja selbst großmüthig auf seinen Papierkorb und erklärte diesen für vogelfrei.

Gewiß! Mephisto hat Recht: „Alles was entsteht, ist werth, daß es zu Grunde geht -!“ Und nichts ist dessen werther, als der Ueberfluß an Papier. Es giebt nun aber einen Begriff, der im geregelten Leben der Menschheit eine hohe Bedeutung hat. Beamte und Officiere kennen ihn vorzugsweise. Es ist eine strenge, spröde, oft grausame Gottheit, die über soviel Wünsche und Hoffnungen entscheidet. Doch ist das Wesen derselben die Gerechtigkeit. Wer diese Gottheit umgeht, ihre Aussprüche betrügt, dem hat die Gemeinde derselben Feindschaft geschworen - bis auf’s Blut. Die Macht, die ich meine, ist: die Anciennetät. Am Tempel der Anciennetät, an den verschlossenen Thüren ihrer Gunst können wir sitzen und eisgrau werden vor Hoffen und Harren. Endlich aber doch muß sie die Thore öffnen 118 und uns, dem Nächsten nach unserm Vordermann, der versetzt wird, entweder versetzt in ein anderes Amt oder in’s Himmelreich, seine Stellung überlassen. Empörung -! ruft es in allen Adern unseres Innern, wenn im Tempel der Anciennetät eine besondere Hinterthür durchgebrochen wird und ein Protégé - der Geburt, der Vetterschaft oder wol gar - der Schürze - unsern, durch die unwiderbringliche Zeit geheiligten Rechten vorgezogen wird. Die Anciennetät ist das Gesetz jeder vernunftgemäßen, regelrechten Cultur. Wird es vom Genie umgangen, dann bescheiden wir uns. Sonst aber, in unserm mittlern Leben, in unserer Welt der seltenen Ausnahmen von einer respectablen Regel, soll das Alter der Jugend vorangehen. An jeden Strich Wald, der gefällt werden soll, legt der weise Forstmann den Maßstab der Zeit. Das Alter entscheidet, welche Actenbündel in den Kanzleien, den Gerichtsstuben unter die Stempel der Einstampfung kommen. Die Felder der Todten haben ihre Rechte. Dreißig Jahre muß ihnen ihre Ruhe ungestört bleiben selbst in der volkreichsten, baulustigsten Stadt. Keine Eisenbahn, kein Passagendurchbruch darf wenigstens ein Menschenalter hindurch die Gebeine unserer Eltern, unserer Kinder um ihren Frieden und uns selbst um die Gelegenheit bringen, an ihren Gräbern über das Leben nachzudenken.

Und von diesem tiefen Gesetz der civilisirten Ordnung, der weisen Vorsicht, machte - der alte Papierkorb eine Ausnahme! Er warf von oben hinein und nahm - von oben wieder heraus! Das Versehen eines Augenblicks, der einen Gegenstand für unbrauchbar erklärte, konnte der alte Papierkorb nie wieder gut machen. Brauchte man ein Stück beschriebenen Papiers, so nahm man es von oben! Längst verjährte, mit den oft zu schnell beseitigten Eindrücken der Gegenwart nicht mehr im geringsten Zusammenhang stehende Dinge findet man manchmal noch in einem Jahre, in zweien, auf dem Grunde des Papierkorbs, wenn man sich einmal die Mühe giebt - wie selten! ihn gänzlich zu räumen. Oben indessen - da war schon manche uns plötzlich interessirende Zeitung von vorgestern, manches Couvert eines gestern erhaltenen Briefes, manches schnell zerrissene Schreiben in’s Feuer gewandert, Dinge von denen man sich einige Tage darauf sagte: O wie fatal, das so wichtige - nun was? - und wenn nur die - Briefmarke, liebes Kind, die ich dir so gern geschenkt hätte -! ist nicht mehr vorhanden!

Das Ei des Columbus, sagte ich -! Ich beantrage - unten, d. h. oberhalb des Fußes der Papierkörbe eine Klappe, groß genug, um mit der Hand hineinzugreifen und nur - von unten her entnommen, das Verjährte in den Ofen zu werfen. Der Korbmacher wird das Gestell mit dem Geschmack, den man ja in unseren Korbgeflechtateliers anzutreffen gewohnt ist, herzustellen wissen und gefälliger als - die Thür am Hühnerkorb. Die zarte Hand der freundlichen Leserin dagegen wird es verstehen, das nackte Holz noch mit zarter Wolle oder Seide, mit prangenden Farben zierlich zu umkleiden. Kommt auf diese Art das Gesetz der Vernichtung immer nur an Das, was noch nicht mit so manchen Fäden an’s Leben geknüpft, noch nicht erst halbgestorben, ja manchmal noch der Auferstehung gewärtig sein könnte, sondern immer nur an das Längstbegrabene, Längstdahingegebene (das man somit von unten hervorzieht), so ist auch hier die Ordnung der Natur hergestellt und - vielleicht mancher frohe Augenblick im Leben des Hauses gewonnen.

Apparat#

Bearbeitung: Martina Lauster, Exeter#

1. Textüberlieferung#

1.1 Handschriften#
1.1.1. Übersicht#

Es sind keine handschriftlichen Überlieferungsträger bekannt.

1.2. Drucke#

Gutzkows feuilletonistische Skizze Der Papierkorb, die allgemeine Reflexionen an Alltagsbeobachtungen anknüpft, wurde nach ihrer Erstveröffentlichung 1870 nicht mehr gedruckt.

J. Karl Gutzkow: Der Papierkorb. In: Der Salon für Literatur, Kunst und Gesellschaft. Leipzig. Bd. 6, [Heft 1, April 1870], S. 116-118. (Rasch 3.70.04.1)

2. Textdarbietung#

2.1. Edierter Text#
J. Der Text folgt in Orthographie und Interpunktion unverändert dem Erstdruck. Textsperrungen werden übernommen. Silbentrennstriche (=) werden durch - wiedergegeben. Die Seitenzählung wird mit Klammern [ ] an den betreffenden Stellen in den Text eingefügt.

Kommentar#

Der wissenschaftliche Apparat wird hier zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht.

Stellenerläuterungen#