Wir stellen die Gutzkow Gesamtausgabe zur Zeit auf neue technische Beine. Es kann an einzelnen Stellen noch zu kleinen Problemen kommen.

Der Salon von H. Heine. Zweiter Theil#

Metadaten#

Herausgeber
  1. Wolfgang Rasch
Fassung
1.1
Letzte Bearbeitung
30.11.2019
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Text#

237 Der Salon von H. Heine. Zweiter Theil.#

Hätt er was gelernt, braucht er nicht zu schreiben Bücher.

Salomon Heine.

Schon seit langer Zeit vernahm man, daß sich Heinrich Heine, unsre nach Paris verflogene Nachtigall, damit beschäftige, deutsche Mehlwürmer aus dem Gebiete der Theologie und Weltweisheit zu verspeisen. Wie er es thut, sieht man an diesem Buche, welches für Deutschland viel Erinnerung, für Frankreich viel Belehrung enthält. Die hier mitgetheilten Urtheile über deutsche wissenschaftliche Zustände standen zum großen Theile schon in französischen Blättern abgedruckt. Aus der widerspänstigen Sprache des Auslandes, aus den Umgebungen der brillanten Revueliteratur Frankreichs, aus schönstem satinirten Palmen-Velin sind sie nun übersetzt worden in gutes deutsches Druckpapier, in ehrliches Altenburgisches Bourgeois. Heine fühlt, daß freilich in Paris alles glänzender und parfümirter erschien; doch weht ihm süß die Heimath zu, der deutsche Vogel singt doch anders, als der französische, für ihn wenigstens, er mag sich in französische Anschauungen filtriren so viel als er weniger will als muß; es ist sein gutes liebes packleinenes Deutschland mit allen seinen Blättern für literarische Unterhaltung, mit seinem halben Liberalismus, mit seiner Ängstlichkeit in Religionssachen, mit seinen Lindenbäumen, Schlafmützen und Tabackspfeifen, mit Allem, wie es Heine braucht. Denn Heine ist eine ganz deutsche, mittelalterliche Figur, ein Herz voll Schweizersehnsucht, das sich oft abseiten stellen muß, um eine Thräne aus dem Auge zu drücken. Er spielt in Paris eine schiffbrüchige Rolle, um so mehr, als ihm sein Versuch, französischer Schriftsteller zu werden, mißglückt ist.

H. Heine hat in der That daran gedacht, sich neben Voltaire, Racine und Rabelais stellen zu wollen. Er spekulirte auf französische Lorbeern, auf einen Ruhm, der, wenn man ihn einmal hat, nicht täglich wieder angetastet wird, wie in Deutschland; Heine spekulirte auf die Akademie und das Pantheon. Aber diese ganze durch Dragomane vermittelte Unterhandlung mißlang; denn Heine besaß den schönen Stolz, sich Frankreich gegenüber nicht zu verläugnen, sondern er trat in seiner ganzen Deutschheit, mit seinem Mondschein, seiner Blässe, seiner Melancholie und dem Hasse, der alle deutschen Schriftsteller dieser Zeit charakterisirt, in die Salons der jungen französischen Literatur; aber es mögen kommen St. Beuve, Chasles, A. Pichot, die ganze französische Kritik mit ihren Feuilletons: sie werden nie begreifen können, was es heißt, wenn Heine lächelt. Dieses deutsche Heinische Lächeln, diese Mischung von Nachtigallengesang, Harziger Waldluft, von versteckter Satyre auf ganz versteckte Menschen, diese Mischung von Scandal, von Sentimentalität und Welt-238geschichte: wer verstünde das in Frankreich? Wer kennt dort das Hotel de Brühbach in Göttingen, die Hamburgische Gasbeleuchtung, den Berliner Jungfernkranz, den Professor Krug, die Münchner Riegelhäubchen, die deutsche Kritik, die Judengassen, alles, was man wissen muß, um Heine zu verstehen; denn er ist ganz deutsch, ein Mann von heute, wenigstens mehr Mann der Vergangenheit, als der Zukunft. Auch haben ihn die Franzosen gänzlich mißverstanden, und Niemand mehr, als der ihm von Allen am verwandtesten ist, Jules Janin. Dieses journalistische Genie beurtheilte seine Reisebilder, und es kam darauf an, was er über sie sagen würde. Es handelte sich um Heine’s französisches Bürgerrecht, um eine Meisterschaft, die der deutschen Muttersprache hätte entrissen werden können; aber der heimathliche Genius verwirrte den schwatzhaften J. Janin, Frankreichs klassischsten Pastetenbäcker. Heine wurde von ihm total mißverstanden. Denn nachdem er Alles gelobt hatte, die Phantasien von Neuberghausen, Franscheska mit ihren zweifarbigen Pantoffeln, Gumpelino und die schönen Naturbeschreibungen und die kleinen vorübergehenden Romane, und von nichts gesprochen hatte, als von Swift, und wieder von Swift, bleibt ihm plötzlich sein Lob im Munde stecken, wo er auf Heine’s Satyre kömmt. „Wozu“ - frägt der fremde Feuilletonist, - „wozu aber unter allen diesen Rosen der satyrische Stachel, oder gar die Pechfackel der Revolution? Wozu bei so vieler Grazie so viel Gift? Wozu der Ärger über deutsche Perücken? Wozu diese ganze Misère der Politik unter all den sylphenhaften Scherzen, der Moniteur unter Veilchen und Liebe?“ Dies ist der Tadel des Franzosen! Dies Alles wundert ihn! O Jules Janin, du momentaner Mensch, du hast Deutschland nicht begriffen, du warst nie auf der Göttinger Bibliothek, du kennst uns nicht, und Heinen nicht, und die Reisebilder nicht. Du hast mehr gethan, als ein Russe; du hast sogar einen Exilirten mißhandelt!

Wenn nun Heine noch zuweilen für die Franzosen schreibt, so thut er es, wie es Prediger gibt, welche vor Puppenköpfen ihre Reden einstudieren. Er fingirt sich ein fremdes Publikum, das ihn nicht versteht. Alles, was er in den französischen Wind spricht, ist immer auf uns berechnet, denen er den Rücken zukehrt. Er weiß doch, daß hier in Deutschland die Ohren sich spitzen, und spricht deßhalb laut und vernehmlich, damit Alles jenseits des Rheines hübsch sein Echo finde. Und so kann man diese Urtheile Heine’s über unsre Bekanntschaft mit Gott, Natur, Welt, wie sie früher und jetzt wieder ausgeboten wurden, eine Sammlung von Anzüglichkeiten nennen. Es ist Alles für Diesseits berechnet. Die Franzosen haben genug mit den Doktrinären, dem hochverrätherisch-architektonischen Prozesse, genug mit einem Menschen, der sterben will, mit Talleyrand, und genug mit einem Menschen, der nicht leben kann, mit Sebastiani zu thun. Sie haben für Heine keine Zeit übrig.

Nun so komme denn zu uns zurück! Heine ist uns, wie ein Bruder, der auf die Wanderschaft gezogen ist, und nun er heimkehrt, umringen ihn die jüngern Geschwister, die erfreuten Alten und die Nachbarn, und Alle vergleichen scharfsinnig, wie er war und inzwischen geworden ist. Jedes freut sich, eine alte Ähnlichkeit zu entdecken, und ruft entzückt aus: „Seht, die Gewohnheit hat er doch noch immer!“ Und so finden Alle etwas, woran sie sich halten, und was ihnen Muth gibt, ihn zu küssen, obschon er so vieles angenommen hat, was blos ihr Erstaunen rege macht. Der junge Gewanderte schreitet stolz im Dorfe einher und spricht mit vornehmem Ausdruck, und läßt eine lange tombackne Uhrkette am Leibe baumeln, und grüßt sehr herablassend und lächelt nur etwas fein, wenn er den Baum erblickt, von dem er einst Äpfel stahl. Und wenn ihm Mädchen begegnen, seine Gespielinnen, die er früher küßte, so lacht er höchst unterrichtet, höchst eingeweiht, höchst genossen. Und diese ganze Comödie dauert acht Tage, oder doch nicht länger, als man braucht, um 284 Seiten des splendidesten Druckes über deutsche Philosophie und Theologie zu schreiben. Späterhin übermannen ihn die Erinnerungen; er wirft das steife Fischbein vom Halse und umwindet sich mit einem rothen geblümten Tuche der Freude, läßt bunte Bänder an seinem Hute flattern, und ist froh, im Walde die alten Plätze wiederzufinden, wo er einst saß, lyrische Querl schnitt aus Lerchenholz, und den Gesang des Buchfinken nachahmte auf einem Hollunderblatt.

Heine spricht in diesem Buche viel über Christenthum, Nixenglauben, über den Papst, Luther, Leibnitz, Spinoza, Rothschild, Kant, Fichte, Hegel, über Sein und Nichtsein, kurz über Illusionen und Irrthümer, von welchen man eine gute Meinung behält, je weniger man davon weiß. Heine weiß in der That recht viel darüber; hält aber auch desto weniger davon. Seine Unbefangenheit und sein Spott nagt an den Kanzeln und Kathedern. An sogenannte heilige Gegenstände macht er mainächtliche Hexenkreuze. Alten bepuderten Autoritäten bohrt er Esel, kurz der ganzen Historie deutscher Theologie und Philosophie wird von ihm so aufgespielt, daß die langen Schleppkleider sich zu drehen anfangen, und die schweren Männer der Wissenschaft im Menuette tanzen, und sich das hintere Ende der Perücke nach vorne setzen, die dreieckten Hüte aber auf ein Ohr - kurz, es ist eine drollige, faschingsartige Fantasmagorie, welche hier aufgeführt wird. Heine hatte mit der Historie dieser Dinge zu viel zu thun, und ließ deßhalb noch manche Gelegenheit zum Scherz vorübergehen, eine humoristische Entwickelung der Leibnitzischen Monaden, eine Charakteristik des Kantischen Dings an sich, Fichtesche Consequenzen, und die Hegelschen Purzelbäume der Nega-239tion. Seien diese Stoffe verwandten Geistern empfohlen; aber ach! wir haben deren nicht viel.

Im Allgemeinen kann ich mich nicht mit dem Ernste über Salon II. aussprechen, welchen Heine wenigstens von der jungen Literatur dabei zu erwarten scheint. Heine hatte immer das Verdienst eines Tirailleurs, der plänkelnd im Vordertreffen steht und nur sich, keinesweges eine gewonnene oder verlorne Schlacht einsetzt. Heine arbeitete scherzend der Julirevolution vor: er arbeitet jetzt im Scherz dem großen Ernste vor, welcher sich mit der Revision der Offenbarung, und mit allen sozialen Fragen des Jahrhunderts beschäftigen wird. Für den Kampf selbst im Großen ist Heine nicht geeignet. Er ist dazu nicht massiv und systematisch genug. Sollte man es glauben! Heine hat Vorurtheile. Es gibt gewisse Dinge, für welche Heine, wenn auch nicht sterben, doch den Schnupfen haben könnte. Heine will die Hüter unsrer morschen Institutionen nur ärgern. Es macht ihm Spaß, die Geheimnisse fremder Überzeugungen zu profaniren; doch thut ihm wieder leid, was er thut. Er spricht in diesem Buche viel von der Kirche; aber er will nur Angst einjagen, er will nur den Triumph genießen, in einer christlichen Gemeinde die Lorgnette gebrauchen zu dürfen. Einen Hund in den Gottesdienst mit hineinzunehmen, würde er schon nicht wagen; noch weniger aber, einen neuen Glauben zu predigen. Denn müßte dieser nicht positiv sein? Das ist es, Heine hat Furcht vor dem, was noch nicht ist. Wie ihm das Beil der Republik Schrecken einflößt, so eine Religion, welche am Ende neue symbolische Bücher erfindet, die möglicher Weise in einem nicht so guten Styl geschrieben sein könnten, als die Bibel. Heine befindet sich bei unsern Zuständen, wie sie sind, ganz wohl. Er will nur hinter dem Spiegel stecken, als Schreck, als Drohung, mit der Geberde dessen, wie er sein könnte, wenn er wollte. Styl und Witz gedeihen bei dieser Indifferenz vortrefflich. Heine kann ohne Deutschland nicht fertig werden; er sehnt sich zurück nach unsern Dienstags- und Donnerstagsgerichten, nach unsrer dummen, aber feurigen Liebe, nach den Alsterpavillons und dem Bergedorfer Boten, und dieser Schmerz steht ihm schön. Dies ist ein Motiv, das sich bei einem so reichen Genius, wie Heine, zu Dantescher Erhabenheit steigern kann. Es wäre ein ganz neues Colorit seiner Poesie, die Sehnsucht nach Deutschland quand mème! und müßte eine Consequenz werden dieses wunderbaren Menschen, die ihn den deutschen Herzen immer noch näher brächte.

Apparat#

Bearbeitung: Wolfgang Rasch, Berlin#

1. Textüberlieferung#

1.1. Handschriften#
1.1.1. Übersicht#

Es sind keine handschriftlichen Überlieferungsträger bekannt.

1.2. Drucke#

Gutzkows Rezension vom zweiten Teil des "Salons" wurde zuerst 1835 im "Literatur-Blatt" zum "Phönix" veröffentlicht. Die Rezension verwendete Gutzkow ein Jahr später in seinen Beiträgen zur Geschichte der neuesten Literatur, wo er den Text als Teil seines Beitrages H. Heine vornehmlich stilistisch stärker überarbeitet in den Abschnitt Charaktere und Tendenzen einfügte. Das Motto wurde in der Buchfassung weggelassen. Der Buchbeitrag enthält nämlich nicht nur die Rezension, sondern im Anschluß daran (S. 89-94) den ebenfalls im "Literatur-Blatt" zum "Phönix" veröffentlichten Beitrag Börne gegen Heine.

J [Anon.:] Der Salon von H. Heine. Zweiter Theil. In: Phönix. Literatur-Blatt. Frankfurt/M. Nr. 10, 11. März 1835, S. 237-239. (Rasch 3.35.03.11.1)
E H. Heine. In: Karl Gutzkow: Beiträge zur Geschichte der neuesten Literatur. Stuttgart: Balz, 1836. Bd. 1, S. 79-89. (Rasch 2.13.1.4.5)

2. Textdarbietung#

2.1. Edierter Text#

J. Der Text folgt in Orthographie und Interpunktion unverändert dem Erstdruck. Textsperrungen werden übernommen. Silbentrennstriche (=) werden durch - wiedergegeben. Die Seitenzählung wird mit Klammern [ ] an den betreffenden Stellen in den Text eingefügt.

Die Liste der Texteingriffe nennt die von dem Herausgeber berichtigten Druckfehler sowie die Emendationen. Fehlende oder überzählige Spatien im Erstdruck wurden stillschweigend korrigiert.

2.1.1. Texteingriff#

4,10 wenn wann korrigiert nach E

Kommentar#

Der wissenschaftliche Apparat wird hier zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht.