Marino Falieri#
Metadaten#
- Herausgeber
- Cornelia Hobritz
- Susanne Schütz
- Fassung
- 1.3: Überführung nach TEI in neuer Ausgabe, Textkorrekturen
- Letzte Bearbeitung
- 05.2021
Text#
24 Marino Falieri.#
Dramatische Studie.#
Erste Scene.#
Das Vermählungsfest des greisen Dogen und der jugendlichen Luzia. Erleuchteter Saal, verlängert im Hintergrunde. Musik, die im Verlauf der Scene allmälig verhallt. Gäste, erst herumwandelnd, dann um die Hauptpersonen sich gruppirend. Der Doge tritt beschleunigten Fußes, Luzia am Arm, in den Vorgrund.
Marino.
Luzia.
Marino.
Luzia.
27 Marino.
Luzia.
Marino.
Luzia.
Gratiano.
Paschale.
Montenegro.
Marino.
Luzia.
Marino.
Luzia.
Marino.
33 Luzia (zu Steno).
Steno (kalt).
Luzia (sich weinend zu Marino kehrend).
Marino.
Steno.
Marino.
Steno.
Marino.
Steno.
Marino.
Steno (zieht den Degen; doch Gratiano, Paschale und Montenegro fallen ihm in den Arm).
Marino (indem Steno hinausgedrängt wird und dann in die Scene rufend).
Gratiano.
Marino.
Paschale.
Marino.
(Paschale ab, dann zu Luzia.)
(Er geht mit Luzien in den Hintergrund. Die Uebrigen folgen, hinter ihnen einen Kreis schließend.)
Zweite Scene.#
Vor dem Dogenpallast. Nacht. Die Fenster sind erleuchtet.
Steno (allein). Mein Grimm wirft mich zu Boden, denn wo nehm’ ich Kraft her, ihm zu opfern, wie ich möchte? Diese unerhörte Beleidigung mir, der ich jeden scheelen Blick auf der Gasse zwinge, mir Rede zu stehen! Hinausgeworfen, wie ein Bettler, der zu unrechter Zeit um ein Almosen kommt! Ha, was flüstert mir die Nacht zu? Stumm und spottend sieht sie auf dies Elend herab. Als wollten mich die Sterne heimgeleiten von einem alten Vormund, den ich um seine Mündel prellte, so ruhig winken sie. He, 39 Bürger Venedigs, wälzt Ihr in Euern warmen Ehebetten nach dem ersten Schlafe Euch auf die andere Seite, gähnend, um meiner zu spotten? O! ich möchte die Nacht aufschreien aus ihrem schwarzen Sarge, und das Schleiertuch des Himmels zum Verbande der blutigen Wunde nehmen, welche man mir geschlagen hat! Ja, dort von den Schlössern, welche sie mit falschen Schlüsseln erproben, schleichen furchtsam die Diebe weg, weil sie es fühlen, daß nun Tag anbrechen muß, daß etwas geschehen ist um diese Stunde in Venedig, was schnell zu schauen selbst die Sonne die Stunde ihres Aufgangs nicht erwarten kann. Ach, und doch möcht’ ich, daß ewig Nacht bliebe, daß man nicht sähe, wie die Fetzen meiner Ehre mir am Leibe hängen. Kann ich sie je wieder zusammenflicken? Womit? Bei Gott, ich fürchte die Mütze des Dogen nicht, und werde seine weißen Haare um meine Faust wickeln, ihn wenigstens mit hineinzuschleifen in den Koth, in den er meinen stolzen Namen geworfen hat! (Zieht sich in das Dunkel zurück.)
Cippo (aus dem Pallaste kommend). Tragt mir eine Fackel nach, daß ich mei-40nem lieben Vetter seine verlorne Ehre suchen helfe! Wo steckst Du, Vetter? Wo hältst Du den Schiffbruch Deines guten Namens? Ehrliche, klingende Münze, man hat Dir so heiß gemacht, daß man den goldenen Feingehalt Deiner unübertrefflichen Tugenden ausschmelzen wollte! Es ist kein Traum, Krämer Venedigs! Wahrhaftig, es sind die Adelsbriefe im Preise gesunken und werden losgeschlagen an den, der am gröbsten ist. Ihr schnuppernden Markuslöwen, kommt und helft mir auf diesem einst weltberühmten Platze, jetzt aber dem Mordgetäfel der Ehre, meinen bis auf den Tod verwundeten Vetter suchen!
Steno (schüchtern hervortretend). Ach, mein guter Cippo –
Cippo. Das ist er: so spricht die gewesene Unschuld, wenn sie eine verhängnißvolle halbe Stunde beweint. Tritt hervor, Steno; man hat Dir Gewalt angethan. Fürchte Deine Anverwandten nicht!
Steno. Ich danke der Nacht, daß meine Schamröthe nicht sichtbar ist.
41 Cippo. Richte Dein Haupt auf! rücke die Mütze Deines Stolzes einmal auf das linke Ohr der Gleichgültigkeit! Mich schmerzt es, Dich so mit gebrochenen Flügeln auf dem Erdboden klatschen zu sehen. Es wäre Alles besser; aber da hatt’ ich mich in den Netzen Fortuna’s verfangen und würfelte in einem der hintern Zimmer um die eitle Gunst dieser Göttin. Erst in dem Augenblicke, wo die Einsprache meiner Faust zu spät kam, vernehm’ ich Deine schnöde Verbannung und breche mir durch das Gedränge Bahn, um jetzt den Dolch Deiner Rache schleifen zu helfen. Siehe, dort werfen sich selber aus dem Hause heraus alle die, so für fallende Größe noch Mitgefühl haben! Hierher tretet und betrachtet, wie ein Hoffnungsstern bleich sieht, wenn sein Glanz zum ersten Male schnuppte! (Cornaro, Pesaro, Malfatti treten mit Fackelträgern aus dem Pallast.)
Cippo (wirft sich ihnen entgegen). Bestürmt ihn mit eurem Mitleide nicht! Kein Ruhekissen für seinen Schmerz, auf welchem ihn eure Schmeicheleien einfingen wie Wiegenlieder! Nur zu gern hüllen sich solche junge Hänse ein in ihre Widerwärtigkeiten und 42 prunken mit ihren Trauergewändern, als wäre jede Thräne, die darauf gefallen, ein Edelstein, und unternehmen dann Nichts! Was sprecht Ihr?
Cornaro. Nein, mein theurer Steno, wenn Dein Schwert beim Falle zerbrochen ist, so bieten wir Dir das unsrige an.
Malfatti. Und bevollmächtigen Dich, so lange auf Rechnung unsres keuschen Namens zu leben, bis Du im Stande bist, wieder mit dem Deinigen zu zahlen.
Pesaro (ruhiger). Es ist ein Ereigniß, das die Wohlfahrt unsres Staats bedroht. Wie konnte der Doge in der Weisheit seines Alters sich zu einer solchen That hinreißen lassen!
Steno (seufzend). O ihr lieben Freunde! –
Malfatti. Man hat mir gesagt, daß er zugleich gegen uns Alle, die wir bei der jüngsten Wahl in den Senat kamen, Schmähungen aussprach.
43 Cornaro. Dieser Alte verrechnet sich, wenn er die Disciplin seiner Feldlager auf die Verwaltung des Staats übertragen will. Das spreizt sich mit seiner zähen Lebensdauer und wirft einem überall den schon verjährten Ruhm eines halben Jahrhunderts ins Angesicht. Wir wollen keine mit dem Kopf wackelnde Vergangenheit an der Spitze des Staats, keine Schwelgerei in bestäubten Erinnerungen, nicht die Laune eines alten Murrkopfes, der aus der Republik eine Aufwärterin machen möchte, die ihm die Kissen des Kopfes zurecht rückt und den Ofen heizt, an dem er seine gichtischen Füße wärmt!
Malfatti. Deine Sache ist die unsrige, Steno! Wir überlassen Dir, die kleine Scharte Deiner persönlichen Ehre auszuwetzen, wenn Du es willst, durch einen beliebigen Anschlag; werden Dir aber eine Rache schaffen in dem Lauf, den das ganze Staatsschiff gegen den Willen seines übermüthigen Hauptmanns von jetzt an nehmen soll.
Pesaro. Und doch handelt Ihr vielleicht zu eilig, gu-44ten Leute; bedenkt, daß wir eine weltberühmte Vergangenheit an’s Ruder gestellt haben, den Schrecken unserer Feinde und das Unterpfand einer glücklichen Fahrt! Opfert dieser Rücksicht die kleine Unbequemlichkeit, welche die Nähe großer Männer immer verursacht, und übertragt hier eine Beleidigung, welche den jungen Nacken eines Neulings getroffen hat, nicht auf die Republik, als müßte sie der Schwertträger bei Steno’s Rache seyn.
Cippo. Schlecht gesprochen, Vetter Pesaro! aber vortrefflich für den Sohn einer reinen Jungfer, vortrefflich für ein so versöhnliches Herz, daß es die Republik Venedig mit dem Sultan vermählen möchte; vortrefflich für ein Insekt, das sich zwischen der Thür der Ehre und der Angel der Vorsicht zu klemmen versteht! Ihr werdet alt, guter Mann! Große Entschlüsse verursachen Euch kein Kopfweh mehr: die Haare, die von Eurem äußern Schädel fallen, braucht Ihr wohl, um drinnen die Wände des Gehirns zu füttern, daß Eure Gedanken hübsch weich liegen? Pfui, das sind morsche Worte, eben so verwittert als verwettert, Vetter!
45 Cornaro. Haltet’s ihm zu gut, Cippo: er hat des Wirths Gastgebot noch nicht verdaut und scheut sich, gegen ihn so lange Böses im Schilde zu führen. Wir sprechen mehr von dieser Sache; jetzt gute Nacht.
Pesaro. Warum zählt Euer Verstand nicht weiter als eure Jahre, ihr jungen Leute? Euer Unfall schmerzt mich, Steno; doch wühlt in Eurer Wunde nicht, um sie zu vergrößern!
Malfatti. Mit vergnügteren Mienen sehen wir uns wieder; gute Nacht, Steno! (Diese drei gehen ab.)
Cippo. Mein kranker Junge, das sind Schwätzer, deren Antheil nur Kampf gegen ihre angeborne Empfindungslosigkeit ist. Sie wollen nicht in den Ruf der Grausamkeit kommen. Aber Du sprichst nichts? sinnst auf Rache? Wo suchst Du sie? Haha, die ganze Welt ist Dir im Wege? Die Sterne rufst Du zur Hülfe? Das Weitläuftige, was man nicht erreichen kann? Nichts da von dieser unbestimmten, ohnmächti-46gen Leidenschaft, die sich bei der Unmöglichkeit Raths erholt, und um ein Fenster einzuwerfen, nach dem ganzen Kaukasus greift!
Steno. Gibt es ein Gebiß, das stark genug für meine Wuth wäre, so nenne es; aber ich fürchte, schon der giftige Schaum derselben äzt es durch, zu Asche, zu Nichts, zu Etwas, was mir nicht helfen kann.
Cippo. Geh hin, benage das Portal der Dogana! Hebe ganz Venedig mit den beiden Markussäulen aus den Fugen! Dort sind die großen Glocken der Campanile; nimm sie herunter und schenke sie dem Alten zum Hochzeitsangebinde, als Ohrgehenke für die junge Dogaresse! Wozu dieser kindische Grimm, der nur das Gelächter der Welt herausfordert?
Steno. Du irrst, wenn Du glaubst, daß blos die empfangene Beleidigung meine Sinne so in Verzweiflung wirft. Nein, mich foltert ebenso der Anblick der Dogaresse, dies reizende Meisterstück der Schöpfung, das ich durch eine Weigerung, die mehr Verwirrung als Stolz, mehr 47 Gunstbewerbung als Mißachtung war, so elend kränkte, und daß Alles an mir, was in Leib und Geist für mich als Freiwerber bei ihr auftreten konnte, vor ihren Augen so schmählich herabgesetzt wurde.
Cippo. Ich sehe wohl, Vetter, daß Du, statt einer Thorheit aus dem Wege zu gehen, ihr gerade entgegentrittst. Diese schnell aufgeloderte Leidenschaft ist eine schlechte Bundesgenossin für den Feldzug, dessen geheime Minen zu legen für mich ein süßes Ingenieurstück ist. Und dennoch überlege ich diesen wunderbaren Widerstreit des Interesse, und würde mich freuen, Dir durch eine und dieselbe Handlung ein zwiefaches Vergnügen zu verschaffen.
Steno. Ach, noch jener verzweifelnde Blick, als mein tölpelhafter Stolz ihr einen Dienst der Liebe abschlug, blieb wie ein Sommerfaden an mir hängen. Es war nicht Haß, der aus ihm sprach, sondern eine flehentliche Bitte, so daß mein ganzes Wesen in zerschmetterte Erhörung zerfloß.
48 Cippo. Doch glaub’ ich nicht, daß Du darum mit verkürzter Ehre durch die Welt hinken oder gar aus dieser Neigung einen Stelzfuß machen willst?
Steno. Nimmermehr, aber wie treff’ ich nur den Adler, ohne die Taube zu verwunden, welche er in seinen Krallen hält?
Cippo. Ich werde mit meinem Scharfsinn zu Deinem Besten eine Verhandlung anstellen und mich bemühen, das Grobe und Feine an dieser Sache richtig abzuwägen. Wenn die Menschen da am leichtesten zu verwunden sind, wo sie sich schämen, am wenigsten leisten zu können, so ist dies am Dogen seine possenhafte Liebe, diese Leidenschaft, die sich bei ihm um zwei Menschenalter verspätet hat. Stell’ ihm einen Spiegel vor, wenn sich sein zahnloser Mund bemüht, jugendlicher Zärtlichkeit verliebte Schwüre nachzustottern! Peinige ihn mit Schilderungen männlicher Schönheit und lege in seinen unruhigen Schlaf die Eifersucht, nur einen Keim davon, so groß wie eine Erbse; glaube mir, sie 49 ist groß genug, um diese Wunde in fortwährender Eiterung zu erhalten! Wir überlegen dies Alles noch. Doch siehe, die Nachzügler des Festes verlassen jetzt das Haus. Wie überladene Gondeln schwanken sie auf dem Boden und suchen mit ihrem Fuße den Mittelpunkt der Erde, welche kreisförmig um sie herumtanzt! Herr Niccolo! versprechen die Sterne ein Hagelwetter? Er will nicht hören, dieser Schuft, der zugleich ein Glashändler und Fortunens verzogener Günstling ist. Er zählt die Goldstücke, die er im Spiel gewonnen. Ich drücke die Mütze in’s Gesicht. Komm, Vetter, jagen wir dem Esel seine Beute ab! (Ab mit Steno.)
(Die Gäste, welche aus dem Hause mit Fackeln treten, zerstreuen sich allmälig, sich gute Nacht! zurufend.)
Marino und Luzia erscheinen an einem hellen, offenen Fenster und lehnen sich an die Balustrade desselben.
Marino.
Luzia.
Marino.
Luzia.
Marino.
Luzia.
Marino.
Luzia.
Marino.
53 Luzia.
(Sie treten zurück und der Vorhang des ersten Akts fällt.)
* *
*
Die Geschichte des später hingerichteten Dogen Marino Falieri ist bekannt. Aus Aerger über die geringe Strafe, die der Senat gegen Steno aussprach, verschwor er sich gegen des Senats fernern Bestand. Grade durch seine Frau wurde aber, da sie einen der Senatoren zu retten wünschte, das Complott unvorsichtigerweise verrathen und der Doge hingerichtet.
Die dramatischen Elemente dieses Stoffes springen in die Augen; auch sind sie mehrfach schon verarbeitet worden. Lord Byron war mit seinem Trauerspiel nicht glücklich. Man kann seinen Marino Falieri nur eine sehr mittelmäßige Dichtung nennen.
Eine größere Einheit des Stoffes schien mir daraus hervorzugehen, daß man Steno zum Anbeter Luziens macht. Sie braucht ihm nicht 54 mehr Theilnahme zu schenken, als Emilie Galotti dem Prinzen, den sie auf die Länge zu verschmähen nicht mehr die Kraft zu haben fürchtet. Vielleicht, daß diesem ersten Akte noch einmal die vier andern nachfolgen.
G.
Apparat#
Bearbeitung: Cornelia Hobritz, Stuttgart; Susanne Schütz, Halle#
1. Textüberlieferung#
1.1. Handschriften#
1.1.1. Übersicht#
Es sind keine handschriftlichen Überlieferungsträger bekannt.
1.2. Drucke#
Das Dramenfragment Marino Falieri erschien zuerst 1834 in Cottas „Morgenblatt für gebildete Stände“ und erfuhr nach der Aufnahme des überarbeiteten Textes in das Skizzenbuch keine weiteren Drucke.
2. Textdarbietung#
2.1. Edierter Text#
E. Der Text folgt in Orthographie und Interpunktion unverändert dem Erstdruck. Textsperrungen werden übernommen. Silbentrennstriche (=) werden durch - wiedergegeben. Die Seitenzählung wird mit Klammern [ ] an den betreffenden Stellen in den Text eingefügt.
Die Liste der Texteingriffe nennt die von den Herausgebern berichtigten Druckfehler. Fehlende oder überzählige Spatien im Erstdruck wurden stillschweigend korrigiert. Sprechernamen vor Figurenreden, in E durch Sperrungen kenntlich gemacht, werden in Kapitälchen wiedergegeben.
Die Seiten-/Zeilenangaben im Apparat beziehen sich auf die Druckausgabe des Dramas im Band: Dramatische Werke. Hg. von Anne Friedrich und Susanne Schütz. Münster: Oktober Verlag, 2009. (= Gutzkows Werke und Briefe. Abt. II: Dramatische Werke, Bd. 1.)
2.1.1. Texteingriffe#
3,V.18 Traum ist, Traum ist. berichtigt nach J
7,V.110 umfangen umpfangen berichtigt nach J
8,V.138-139 in diesem / Moment ich diesem / Moment berichtigt nach J
11, nach V.225 Gratiano Gartiano
13,V.271 Feste. Feste ausgefallene Letter am Zeilenende
22,1 Falieri Faliari
22,10 Falieri Faliari
Errata#
Zur Buchausgabe (GWB II, Bd. 1) sind folgende Textkorrekturen zu vermerken:
7,V.110 umpfangen Hier hätte ein Eingriff erfolgen müssen; siehe Liste unter 2.1.1.
16,18 wie lies: wir
Kommentar#
Der wissenschaftliche Apparat wird hier zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht.