Winke für die Lesewelt#
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- Herausgeber
- Wolfgang Rasch
- Fassung
- 1.1
- Letzte Bearbeitung
- 01.02.2020
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1 Winke für die Lesewelt.#
I. August Lewald’s gesammelte Schriften. Leipz., Brockhaus.
Der Rückblick des Schriftstellers auf sein vergangenes Leben ist ein mehr wehmüthiges, als freudiges Geschäft. Nicht wie der Kaufmann, dem der Himmel seinen Fleiß gesegnet hat, kann er heiter lächelnd, mit dankerfülltem Herzen durch die Erinnerungssteine seiner Vergangenheit, durch die Besitzthümer, die er sich erworben, durch die Errungenschaften für seine Zukunft wandern; allüberall muß er stehen bleiben mit niedergeschlagenem Blick, mit wehmüthiger Betrachtung weilend auf dieser Ruine, an jener Thränenweide; kein Pfad, den er noch einmal wieder in der heiligen Stille seiner Erinnerungen betritt, wird ihn in schnurgerader Richtung zu dem Ziele führen, das er erstrebte; sondern rechts und links schweifen die Wege ab, irrend durchkreuzen sie sich und schlängeln, labyrinthisch oft verworren, zu einem Ruhesitze hin, den man da zu finden, wo ihn das Geschick uns finden ließ, nimmer erwartete. Wie zufällig machte sich, in Freud’ und Leid, jenes Leben, das nun abgeschlossen vor den rückwärts gewandten Blicken liegt! Waren das unsere Absichten, das unsere Plane? Waren das die Paläste, die wir bauen wollten, das die Ruinen, nach deren Epheuranken und grüner Moosesdecke wir uns gesehnt haben sollten? Nein, es ist Alles anders, als wir es einst hofften und nun besitzen. Anders und besser? besser dir, besser der Welt? So steht der gefühlvolle Jünger der Muse und blickt zurück auf dies närrische Gewühl von Hoffnungen und Täuschungen, das er sein Leben nennt. Sich selbst ist er gerechtfertigt, sich steht er klar vor Augen, wie er so werden mußte, nicht anders werden konnte; sich ist er kein Geheimniß mehr mit seinen Wunden und Narben, mit seinen Tugenden, die ihm wenig Anstrengung kosteten, und mit seinen Fehlern, die er erkannt, bereut und vielleicht nicht hat bessern können; sich ist er klar, er will es auch der Welt werden, und das drängt ihm die Feder in die Hand, er sammelt sich, seine Stimmungen, seine Schöpfungen, er will sich zeigen, als ein Ganzes, nicht als ein großes Ganzes, aber als ein gutes Ganzes, als ein Einiges, ein Einiges in seinem redlichen Willen, und so entsteht ein Werk wie das vorliegende von August Lewald.
Es spricht in dieser Unternehmung zur Nation keiner jener stürmenden und die Zeit in Unruhe versetzenden Charaktere, die in der Geschichte der Literatur als Gränz- und Marksteine der Geschmacksrichtungen, als Vertreter von weltbewegenden Ideen, als Träger von Epochen, Zeitabschnitten und Zeitübergängen gelten. Wohl aber lernen wir eine Kraft kennen von bindender, vermittelnder Fähigkeit, ein großes Talent der Auffassung und geschmackvollen Wiedergabe bunter Lebenseindrücke, einen empfänglichen, zum Frohsinn und Ernste gleich aufgelegten Virtuosen, dessen Werkstatt das Leben, sein eigenes und das Leben Anderer, war. Ohne daß sich das poetische Vermögen dieses Schriftstellers je zu Schöpfungen verstiegen hätte, deren Conception überschwänglich, deren Ausführung dagegen vielleicht nur ein Torso geblieben wäre, hat sich die Muse doch bei diesem Jünger an einem sinnigen Talente der Abrundung, an der Kunst einer feinen und saubern Aquarell-Malerei zu erfreuen gehabt. Dieser Schriftsteller hatte stäts seine glücklichsten Momente, wo er sich an irgend etwas anekdotisch Gegebenes lehnte, eigenen oder fremden Erlebnissen den warmen Ton gemüthlicher Erinnerung anhauchte oder den Horizont welthistorischer Begebenheiten im Thautropfen einer kleinen charakteristischen Anekdote sich wiederspiegeln ließ. Auf diesem Gebiete erhob sich sein Talent nicht selten zur Meisterschaft, und sein immer gewählter und bester Gesellschaft angehörender Styl wurde mustergültig.
Lewald hat die Absicht, in dieser vorliegend begonnenen Sammlung eine Auswahl derjenigen seiner Schriften zu geben, die er selbst für die gelungeneren erklärt. Er befolgt dabei eine Methode, die eben so sinnreich als unterhaltend ist. Er reiht nämlich seine zerstreuten Schriften an der Schnur seines Lebens auf, nimmt die Biographie zum scheinbaren Hauptzweck seines Gesammtwerkes und benutzt die einzelnen Werke als Supplemente einer fortlaufenden gemüthlichen Selbstschau. Auf diesem Wege erhalten einzelne der frühern Productionen des Verfassers, Werke in gebundener Rede, die dem Verfasser, objectiv genommen, jetzt kaum selbst noch genügen würden, doch im Zusammenhang des Ganzen eine günstige Stellung. Der Verfasser gibt die Gedichte, die er mittheilt, diese kleinen Komödien, diese Novelletten nicht in der Absicht, mit ihnen einen besondern Vorzug anzusprechen, sondern er gibt sie in der biographischen Tendenz, durch sie seine früheren Strebungen, und besonders die Richtungen des Zeitgeschmacks, in dessen Strömungen er gerathen war, anzudeuten. Und in diesem Betracht sind schon die vorliegenden drei ersten Bände der Sammlung so werthvoll, daß man sie einen Leitfaden der intimeren deutschen Literaturgeschichte seit der Periode kurz vor und nach den Befreiungskriegen nennen darf. Das Ganze muß, wenn es vollendet ist, und vielleicht wider Willen des Verfassers, eine Geschichte der literarischen Moden seit 1806 geben, von den Zeiten der romantischen Schule an bis auf die Irren und Wirren der Gegenwart. Da klingeln die Sonnette und Assonanzen der Romantiker, schmettern die Schlachtgesänge der Körner-Periode, gaukeln die kleinen Bühnengötter, die nach dem Kriege für die großen die Welt zu beherrschen anfingen, und für alle diese Richtungen hatte A. Lewald ein empfängliches Herz, sie zu verstehen, eine schnellfertige Hand, sie mitzumachen, und sein Sammelwerk ist ein fortlaufender Commentar zu einer Geschichte der deutschen Literatur, deren Benennung intimere Literaturgeschichte dem Kenner nicht unverständlich sein kann.
Der weitere Verlauf der Herausgabe dieser Schriften wird es möglich machen, noch einmal auf eine Unternehmung zurückzukommen, die wir der allgemeinsten Theilnahme des deutschen Publicums mit reinem Gewissen empfehlen können. Wer die Bekanntschaft eines Schriftstellers machen will, den froher Muth und ein reines Herz beseelen, wer den Genuß zu würdigen versteht, an der Hand eines Schriftstellers, der kein Stubenmensch, sondern im besten Sinne Weltmann war, ein Leben voll Abwechselung, voll gesuchter oder gefundener Abenteuer, eine Pilgerfahrt nach dem Lande der Schönheit, der Freiheit und des Glückes mitzumachen, der greife nach A. Lewald’s gesammelten Schriften. Die Wahl dieses Führers und Begleiters wird ihn nicht reuen.
II. Am Theetisch. Von Therese. Braunschweig, bei Vieweg.
Auch dies ist eine Sammlung bereits gedruckt gewesener Aufsätze, deren Wiedererneuerung jedoch schon deßhalb von Interesse ist, weil diese Aufsätze meist ohne den Namen der Verfasserin erschienen. Der Name des Autors ist in der Flut von Lesematerial, das jeder Tag 2 erzeugt, ein unumgängliches Merkzeichen. Davon, daß einige dieser Aufsätze früher weniger beachtet wurden, haben sie jetzt den Vortheil, in ihrer gesammelten Gestalt den Reiz der Neuheit zu gewähren.
Es sind zehn Aufsätze, von verschiedenem Werthe, doch sich gleich in den gerühmten Vorzügen dieser sinnigen Schriftstellerin. Die Auffassung ist weiblich und eben deßhalb oft männlicher, als sie sich bei Männern findet; denn das ist der Vorzug wahrhaft weiblicher Seelen, daß ihre Gefühle und Ansichten eines Schwunges, einer muthvollen Kraft, eines energischen Adels fähig sind, welche wir egoistischen Tonangeber im Reich der Begriffe und der Sprache männlich zu nennen geruhten. Die Durchführung dieser Lebensbilder verräth eine bedeutend vorgerückte Routine, die Kunst der poetischen Schnellmalerei; die Form ist skizzenhaft, schnell hingeworfen, leicht, aber doch in wohlthuender Einheit ausgeführt. Therese beobachtet gut, nicht immer so pikant, wie die Gräfin Hahn, aber auch minder einseitig, minder schroff, minder apprehensiv. Sie läßt die Dinge an sich herankommen und nimmt sie, wie sie sind. Sie verschönert, sie idealisirt; das ist ein Fehler, an welchem leider alle Touristinnen, mit Ausnahme derer von der mäkelnden Gattung, leiden; aber sie erfindet zur Wahrheit nichts hinzu, entstellt sie nicht, sondern verschweigt nur zuweilen den Schatten, den z. B. in Italien auch das Schönste wirft. Ihr Styl ist wie immer, so auch in diesem Buche außerordentlich gewählt, wohlklingend und sich wiegend in anmuthigen Satzgefügen. Man kann vielleicht tadeln, daß einige ihrer Lieblingswendungen zu oft wiederkehren und je zuweilen sich eine rhetorische Absichtlichkeit einschleicht, die dem Eindrucke der Unmittelbarkeit schadet. Oder entstehen diese kleinen Einwendungen, die ich mache, nur daher, daß man an einer Erscheinung, an deren Werth und Bedeutung man sich fast vertraulich gewöhnt hat, zuletzt auch schärfer beobachtet, als man sich sonst gestatten würde? Es liegt in unserm Gemüth etwas Rebellisches, das uns zuweilen zu Ausstellungen schon deßhalb treibt, weil wir dafür andererseits zu unserer vollen und bewundernden Hingebung desto freieres Feld gewinnen.
Die Ueberschriften der einzelnen Mittheilungen lauten: Jugend - Holland und Belgien - Schweizerbriefe - Ein Tag in Straßburg - Weimar’sche Erinnerungen - Napoleoniden - Reiseskizzen - Blicke auf St. Petersburg - Bodensee und Rheinthal - Ueber Thomas Thyrnau. - Auf dem landschaftlichen und Kunstgebiete bewegt sich das Talent der Verfasserin am sichersten und ergiebigsten. Ueber Berg und Thal zu schweifen, scheint ihre Lust zu sein. Sie ersteigt und erklettert sich das Naturschöne, wo sie seiner nur habhaft werden kann; Alpenblumen und kleine Seemuscheln können sie eben so fesseln, wie die erhabenen Wölbungen der Münster und die im Licht schwimmenden Kuppeln italienischer Kirchen. In der Beobachtung der Natur bleibt sie beim Allgemeinen nicht stehen, sondern sie weiß die Schönheiten bis in ihre musivischen Bestandtheile zu zerlegen, ja, bis in die Schönheiten der Pflanzen und Merkmale der Steingattungen, deren geübte Kennerin sie ist. Während sie auf dem landschaftlichen Gebiete in alles Todte ein inneres Leben, in alles Schlummernde bewußte Träume zu legen versteht, scheint es, als wäre für das Lebendige und Lebenswache die Kraft ihres Auges minder ferntragend, oder der Markt der Städte, das Gewühl der Menschen, die oft unschöne Ursprünglichkeit der Sitten zieht sie minder an, als das Decorative. Dafür überrascht sie durch ein klares und geschmackvolles Urtheil über Kunstgegenstände. Sie weiß auf diesem Gebiete nicht nur zu bewundern, sondern sogar zu loben und zu tadeln, wozu mehr gehört, als nur einige dilettantische Vorkenntnisse. Die Verfasserin gehört noch zu jenen frommen Reisegemüthern, die vor jeder schönen Aussicht still halten, und wenn sie auch einen mühseligen Berg erklettern müssen, vor jeder Kirche, wenn sie hören, daß sie ein gutes Altargemälde hat. Diese Naturen sind den Herausgebern von Reisehandbüchern gefährlich. Sie halten die schärfste Controle mit Angaben, welche in ihrer Ungenauigkeit oft von Handbuch zu Handbuch sich vererbt haben und sich in ihrer Trüglichkeit nur deßhalb nicht ergeben, weil die meisten Menschen, abweichend von Theresen, so reisen, daß sie in den Städten ankommen, einige Tage an ihren Tables d’hôtes leben und ihre übrigen Merkwürdigkeiten - nur aus dem Guide des Voyageurs studiren.
Zu den vielen Trefflichkeiten dieses Buches ist auch der freie, vorurtheilslose Blick der Verfasserin auf politisch-sociale Zustände zu rechnen. Sie ist keine Aristokratin. Sie ist auch keine Legitimistin. Sie würde vom Volk nie im Tone der Gräfin Hahn sprechen können. Sie hat sich in der Schweiz auch um deren politische und religiöse Wirren bekümmert und urtheilt darüber, wenn auch nicht völlig sicher und allseitig eingeweiht, doch ohne Vorurtheil. Nur mit dem Standpuncte, den die Verfasserin, Frau und Tochter russischer Diplomaten, in dem Aufsatze: „Blicke auf St. Petersburg“, einnimmt, wird sich die deutsche Lesewelt nicht befreunden können. Sie ist nicht eingenommen genug, um uns à la Gretsch Rußland wie ein vollendetes Ganzes vorzuführen, steht aber doch zu sehr unter dem Einfluß ihrer gesellschaftlichen Stellung, als daß man von ihr über Dinge, die sie vielleicht tief durchschaut hat, vollkommene Aufrichtigkeit erwarten dürfte. Therese wird für ihre „Blicke auf St. Petersburg“ nicht nach Sibirien reisen.
Abgesehen von den kleinen Ausstellungen, die wahrheitsgemäß nicht verschwiegen bleiben konnten, hat Therese auch durch dieses Buch bewiesen, wie sehr wir uns Glück wünschen können, in ihr eine Schriftstellerin zu besitzen, welche mit einer in französischer Schule gebildeten Grazie des Styls und der Auffassung Tiefe des Gemüths und deutschen Ernst verbindet.
Apparat#
Bearbeitung: Wolfgang Rasch, Berlin#
1. Textüberlieferung#
1.1. Handschriften#
1.1.1. Übersicht#
Es sind keine handschriftlichen Überlieferungsträger bekannt.
1.2. Drucke#
2. Textdarbietung#
2.1. Edierter Text#
J. Der Text folgt in Orthographie und Interpunktion unverändert dem Erstdruck. Textsperrungen werden übernommen. Silbentrennstriche (=) werden durch - wiedergegeben. Die Seitenzählung wird mit Klammern [ ] an den betreffenden Stellen in den Text eingefügt.
Die Liste der Texteingriffe nennt die von dem Herausgeber berichtigten Druckfehler sowie die Emendationen. Fehlende oder überzählige Spatien im Erstdruck wurden stillschweigend korrigiert.
2.1.1. Texteingriffe#
5,1-2 Gattung, leiden Gattung. leiden
6,23 Aristokratin Aristokratie
Kommentar#
Der wissenschaftliche Apparat wird hier zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht.