Ein Besuch bei Bettina#
Metadaten#
- Herausgeber
- Wolfgang Rasch
- Fassung
- 1.1
- Letzte Bearbeitung
- 13.02.2020
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Text#
45 Ein Besuch bei Bettina.#
Es war an einem kalten, regnerischen Tage des Spätherbstes. „Unter den Linden“ in Berlin waren die Bäume schon alle von ihrer gelben Last (nur grün sind die Blätter dem Baum eine Freude) befreit; auch die Säle der Kunstausstellung, die für den schwindenden Sommer in Berlin immer einen Ersatz an ästhetischen Anschauungen giebt, waren schon geschlossen. Ich fröstelte im langen Surtout und blickte mit einiger Befangenheit zu den Fenstern jener märchenhaften Erscheinung, der Bettina Brentano, hinauf, die mitten in dem enggeschnürten Daseyn unserer modernen Beziehungen den Muth gehabt hatte, ein Kind zu bleiben und ihre Empfindungen auszusprechen, ohne die Folien zu bedenken, die heute das Große, Erhabene und Schöne erwägen muß, um für groß, erhaben und schön auch anerkannt zu werden.
Es ist ein so eignes Gefühl, geistig von einem Namen angeregt, längst schon mit seinen ideellen Beziehungen vertraut zu seyn und zu den Phantasieen, die man sich von einer gewaltigen Erscheinung in der Kunst oder Wissenschaft gebildet hat, nun das leibhafte Gegenbild in der Wirklichkeit zu sehen. Eine Persönlichkeit, die wir uns nur genienhaft denken konnten oder erhaben wie den olympischen Zeus oder phantastisch wie einen Sänger zu Ossians Zeiten tritt uns nun im Frack oder Warschauer Schlafrock, oder im weiblichen Negligée mit Haarwickeln entgegen und wir wissen nicht, sollen wir bei der Begrüßung zuerst an Knigge oder an die Stellung denken, die der Begrüßte im Reich der Geister einnimmt und wir mühen uns lange, bis wir die Vorstellungen, die wir von dem hohen Geiste vorgefaßt hatten, alle wieder gesammelt haben in den Kreis der bürgerlichen Sphäre, in der wir unsern Angebeteten begrüßen. Wie viel große Denker und Dichter giebt es leider, zwischen deren äußerem Auftreten und ihren geistigen Gebilden eine so unermeßliche Kluft liegt, daß wir in dem Einen kaum das Andere wiedererkennen! Die Wahrheit ihres Genies ist bei ihnen nicht zur Wahrheit des Menschen geworden. Wenn man einen Dichter, der uns oft den Vorhang von dem dunkeln Geisterreiche wegzog und uns in die Sphären einer Unsterblichkeit ein wenig hineinblicken ließ, die ihm gewiß genug ist, wenn man ihn mit einem Jabot sieht, auf dem gelbe Tabacksflecken auf die Gewohnheit eines narkotischen Tropfenfalles schließen lassen; das ginge noch. Aber wenn wir die persönliche Bekanntschaft eines Philosophen, dessen Moralgesetz die Selbstbeherrschung ist, mit einem Wortwechsel anknüpfen, über dessen Gelärm und Gezänk wir ihn betreffen, während ein Hund dazwischenbellt, die Haufrau eine Terrine zerschlägt und die Kinder schreien, als wenn sie am Spieße stäken, da kann man wohl sagen, daß große Menschen wie Landschaften aus einer gewissen Entfernung gesehen werden müssen und daß das Genie immer klein dastünde, würde man seine Geschichte nach den Mittheilungen seines Kammerdieners schreiben.
Bei Bettina hab’ ich mich aber nicht getäuscht. Ich dachte mir: Ein Wesen, das in seiner Jugend ein Elfenkind war, kann im Alter nur eine Zauberin, eine Norne werden. Und so traf ich sie. Es lag mir etwas Dämonisches in ihrer Erscheinung; ich fühlte es, daß sie der Natur näher stand, als ich. Ein grauer Schlafrock, ohne alle Eleganz, umschloß kleine und behende Glieder. Bettina ist von mittlerem Wuchs, behend, schmächtig, in 46 ihrer Jugend wie eine Gazelle. Noch hat sie die schönen Augen einer Gazelle, aber auch das Zitternde, Ungewisse des Thier-Auges, sie ist auch hierin der Natur näher, als wir, die wir unsere Blicke zügeln und sie nicht vor unsern Gedanken vorausschießen lassen. Schönes, schwarzes, ich möchte sagen, römisch-katholisches Haar verriethen zwei Locken, die vorn über die Stirn herunterglitten und das Ansehen eines gebrannten Toupets hatten, das im Nebel, feucht geworden, sich auflöst. Die Kräuselung wollte nicht Stich halten, die beiden Locken hätten eben so gut zwei Zöpfe werden können. Mit unruhiger Behendigkeit lief Bettina in dem fast meublelosen Zimmer von einer kleinen Reliquie zur andern; da war Goethe im Kreise seiner Ältern gemalt, da hingen Gypsabgüsse von Schinkel’schen und ihren eigenen Basreliefs, da lagen Mappen mit Cartons und Zeichnungen, ein Flügel stand in der Nähe und wenn Bettina nicht von Einem zum Andern hüpfte, um mir etwas zu erklären, so saß sie unruhig auf dem Sopha und zerpflückte während des Sprechens eine Oblate nach der andern, die sie aus einem kleinen Kästchen langte. Eine so fiebernde Aufregung liegt in ihr! Es ist alles in ihr Leben - und das Lebenszeichen des Lebens ist Zerstörung. Sie hörte, während zwei Stunden, wo ich sie sprach, nicht auf, Oblaten zu zerpflücken.
Diese zwei Stunden einer mir unvergeßlichen Unterhaltung rauschten wie Sekunden vorüber. Wir sprachen über Alles und hätten doch, als wir schieden, erst anfangen mögen! Diese Vielseitigkeit, diese Gedankensprünge, diese geistreiche Formgebung im Momente, dieses neckische Spiel mit der Wahrheit oder mit dem Scheine derselben - es bezauberte mich. Als ich aufstand und unten auf der Straße die wunderbaren Eindrücke zusammenhalten wollte, war es mir, als wär’ ich aus einem Tropfbade gekommen. Es war mir, als hätt’ ich auf einer üppigen Weinranke schwebend gesessen und wäre von allen Seiten her wie aus unsichtbaren Felsenöffnungen mit den Strahlen eines ununterbrochenen Staubregens geneckt worden. Auch so frei und frisch, so gestärkt fühlt’ ich mich nach diesem geistigen Bade. Ich begriff nun wohl, was sie mir selbst mit jener kleinen Koketterie, die eben zu den Reizen ihrer Erscheinung gehört, erzählte, daß Schleiermacher, wenn er in der Akademie hätte müssen über einen philosophischen Gegenstand lesen, ihr sagte: „Bettina, schreib’ mir über Musik, über Liebe, kurz über das, was ich abzuhandeln habe, einen Bogen voll von Deinem Zeuge auf!“ „Er brauchte es zwar nicht,“ sagte sie; „aber es regte ihn an.“ Und gewiß, die schaffende Gedankenarbeit in vielen Genien wird gesteigerter, schwungreicher, wenn sie in der Ferne Musik hören. Auch Gedanken eines Andern können für unser eigenes Denken eine geistige Resonanz werden. Schleiermacher kam in die Region, wo er nach einem positiven Resultate strebte, unwillkürlich hinein, wenn ihm Bettina das, was bei ihm Gedanke werden mußte, als Klang, als naive Intuition aussprach.
Worüber ich mit Bettinen verhandelte, darüber ein Andermal. Will man ihren Geist genießen, so bemerk’ ich nur noch dies, daß man sich nichts daraus machen muß, wenn man sich selbst lächerlich erscheint. Sie, eine gaukelnde Sylphide, ist dem bedächtigen Ernst des Mannes immer voran. Man berührt eine Frage, will sie ergründen, aber Bettinen ist es nur um einen Blitzstreifen zu thun, der plötzlich darauf fällt, einen magischen Schimmer auf die Frage gleiten läßt, sie auf einen Augenblick prächtig erleuchtet, als platzte eine Leuchtkugel im Mondenschein - dann ist’s aus und wieder Nacht. Der geistvollste Mann ist ihr gegenüber, da sie nicht Stich hält, sondern immer springt und abschweift, ein Pedant. Sie wirft Dir ein Paradoxon an den Kopf, Du sinnst darüber, willst Aufklärung und wirst von ihr wie ein Bär im Kreise herumgeführt; sie spottet Deiner Gründlichkeit; sie ist nur Poet.
Bettina spricht noch immer ihr Frankfurter Deutsch, eine sehr bequeme Sprache, die sich’s mit den Endsylben leicht macht, viel unnützes, widerspenstiges Konsonantenvolk schnell verschluckt und die Vokale nach Belieben lang oder kurz beim Kragen nimmt. Sie ist damit so resolut wie die Frau Rath.
Bettina hat eine Hand, so weiß, zart gepflegt und magnetisch, daß sie nie aufhören wird, Lippen anzuziehen.
Apparat#
Bearbeitung: Wolfgang Rasch, Berlin#
1. Textüberlieferung#
1.1. Handschriften#
1.1.1. Übersicht#
Es sind keine handschriftlichen Überlieferungsträger bekannt.
1.2. Drucke#
Gutzkows Beitrag Ein Besuch bei Bettina wurde zuerst im "Telegraph für Deutschland" veröffentlicht und 1842 in Gutzkows Textsammlung Mosaik. Novellen und Skizzen, dem dritten Band seiner Vermischten Schriften, unverändert aufgenommen. Erst 1875 griff er auf diese Arbeit zurück und integrierte sie, mit ganz wenigen stilistischen Veränderungen, in den neunten Band seiner Gesammelten Werke, der die erweiterte Ausgabe der Oeffentlichen Charaktere enthält.
2. Textdarbietung#
2.1. Edierter Text#
J. Der Text folgt in Orthographie und Interpunktion unverändert dem Erstdruck. Textsperrungen werden übernommen. Silbentrennstriche (=) werden durch - wiedergegeben. Die Seitenzählung wird mit Klammern [ ] an den betreffenden Stellen in den Text eingefügt.
Die Liste der Texteingriffe nennt die von den Herausgebern berichtigten Druckfehler sowie die Emendationen. Fehlende oder überzählige Spatien im Erstdruck wurden stillschweigend korrigiert.
2.1.1. Texteingriffe#
2,10 Selbstbeherrschung Selbstbeherrschnng
2,25 mittlerem mitlerem
Kommentar#
Der wissenschaftliche Apparat wird hier zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht.