Wir stellen die Gutzkow Gesamtausgabe zur Zeit auf neue technische Beine. Es kann an einzelnen Stellen noch zu kleinen Problemen kommen.

Ein neuer Roman#

Metadaten#

Herausgeber
  1. Wolfgang Rasch
Fassung
1.1
Letzte Bearbeitung
02.02.2020
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558 Ein neuer Roman.#

I.#

Herr Gustav Freytag schmückt, wie er von einem vortrefflichen Fürsten mit Recht sagt, seinen Roman „Soll und Haben“ (drei Bände, Leipzig, Hirzel, 1855) mit dem Namen des Herzogs von Koburg, der ihm einst „beim Füttern der Rehe“ auf dem Kalenberge Deutschlands Noth und Entzweiung als Quelle des unkünstlerischen Schaffens bezeichnet hätte. Den dieser schönen Widmung folgenden gewaltigen Anlauf zu seinem Werke jedoch, als eines „wahren“, nicht „zufälligen Ereignissen entlehnten“ Romans, nicht „unschöne Mischung von plumper Wirklichkeit und erzwungener Empfindung“ bringenden, würde man als glücklichen Köhlerglauben an eigenes Vermögen nach jener Art hingehen lassen können, die in den vorzugsweise der ästhetischen Jagd gewidmeten Spalten des leipziger Journals, an welchem bekanntlich nichts grün ist als sein Umschlag, seit Jahr und Tag ihr Wesen treibt. Allein zu herausfodernd treten die Verheißungen des Herrn Verfassers auf, zu herausfodernd ist die Stellung seines Buchs zu der ästhetisch-kritischen Thätigkeit jenes Journals, zu herausfodernd ist endlich das auf den Titel gesetzte Motto des Herrn Dr. Schmidt: „Der Roman soll das deutsche Volk da suchen, wo es in seiner Tüchtigkeit zu finden ist, nämlich bei seiner Arbeit!“ Unsere Leser, die wir mit kritischem Hader sonst verschonen, können verlangen, daß bei einer solchen Gelegenheit die Merkmale Dessen, was sich so bewußt als das im Roman einzig ästhetisch Richtige angibt, genannt und geprüft werden, und das nicht etwa um unsert- oder um des Herrn Freytag willen, sondern um einer festzustellenden Wahrheit willen.

„Soll und Haben“ will das deutsche Volk bei seiner „Arbeit“ aufsuchen. Wir sehen uns um, was und woran in diesem Roman das deutsche Volk arbeitet. Wir finden ein Großgeschäft in Talg, Wolle, Zink, Rosinen, Mandeln, Kaffee u. s. w. Zwei Commis auf dem Contor des Herrn T. O. Schröter sind die Helden des Buchs; der Eine eine schüchterne, unbedeutende Persönlichkeit, Namens Anton Wohlfart, der Andere ein Volontär, Herr von Fink, ein unmittelbarer Ableger aus der Familie 559 Derer von „Saalfeld“, „Graf Waldemar“, „Konrad Bolz“ und ähnlicher Gestalten der Muse des Herrn Freytag. Besagter Herr von Fink gibt Anton Wohlfart Schliff und Routine durch Tanzunterricht, Anleitung zum Punschmachen, Bekanntschaften mit Wettrennern und Wetttrinkern, er führt ihn in die Welt der Apfelschimmel, Pistolenhalfter, Doppelbüchsen, Stulpstiefel und Reitpeitschen ein, eine Welt, die bekanntlich in allen Arbeiten des Herrn Freytag vorzuherrschen pflegt. Jener wendet auch diese aristokratische Bildung dazu an, die Fässer mit Rosinen und Mandeln bald zu verlassen und eine heruntergekommene Adelsfamilie vor völligem Ruin ihrer Finanzen durch dilettantische Versuche in der Oekonomie und der Landesvertheidigungskunst gegen die aufrührerischen Polen zu retten. Wir hören bei all’ dieser „Arbeit“ allerdings fortwährend Fässer karren, wir sehen auch Waarenballen mit dem Pinsel signiren, wir leben die mit sehr unerquicklicher Breite geschilderten philisterhaften Zustände einiger fünf bis sechs uns sehr gleichgültigen und formlos durcheinanderschwimmenden Contoristen mit; allein mit einer auf jeder Seite bestätigten Befugniß kann man dennoch fragen: Wo ist hier die Arbeit? Individuelle, der Poesie und nicht der Statistik angehörende Arbeit? Wo ist die Arbeit des Herrn von Fink? Wo ist die Arbeit, die solide, echte, deutsche Arbeit der weichlichen Folie jenes merveilleusen Brillantfeuerwerkers, seines Lehrers im Weltschliff? Wo ist die Arbeit des Herrn Freiherrn von Rothsattel, dessen Hypotheken- und Pfandbriefwucher den eigentlichen Hebel der Handlung des Romans vorstellt? Wo ist deutsche Arbeit anders vertreten als in voller charakteristischer Aemsigkeit und productiver Werthschaffung nur bei einigen Juden, fünf bis sechs Ablegern des aus den „Journalisten“ her bekannten Für-Alles-Schreibers „Schmock“, die ihre Masematten mit einer Behaglichkeit vor uns durchführen, daß sie allerdings die Arbeit des deutschen Volks im Gaunern, Lungern und Betrügen auf das rührigste darstellen?

Suchen wir den Quellen des so auffallend niederschlagenden Eindrucks dieses Romans „Soll und Haben“ näher zu kommen, fragen wir: Was läßt alle diese Menschen im ersten Bande so außerordentlich keck beginnen und im letzten so dürftig ausgehen? so muß man, ohne darum wie die „Grenzboten“ persönlich werden zu wollen, diese Quelle im Autor selbst und sodann in seiner verkehrten Theorie finden.

Der Autor selbst ist gewiß ein feiner Kopf. Er besitzt Weltschliff, Gewandtheit der Form, Beobachtungsgabe, ja sogar Gemüth genug, um vorkommenden Falls Thränen von Brillanten zu unterscheiden. Seine „Valentine“ war eine Reproduction der Gräfin Hahn-Hahn durch französischen Esprit und etwas Zusatz von Heinrich Heine; es duftete in ihr nach dem Patschouli eines Boudoirs, wo uns die großen Empfindungen gleichsam einer abgesetzten Maitresse mit nicht eben besonders wahrer Sehnsucht auf Lerchengesang und Veilchenduft gerichtet dargestellt wurden; indessen die hübsche Mischung von Esprit und Sentiment, verbunden noch mit einem Zusatz von politischem Freimuth, that damals außerordentlich wohl. „Graf Waldemar“ copirte leider nur die „Valentine“ und gerieth in französische Outrirtheit; doch in den „Journalisten“, wieder einer dritten Auflage immer desselben socialen Themas, hat das große Publicum sich an die gute Absicht gegen die Ultras mit Theilnahme gehalten, ohne zu untersuchen, ob der Dichter nur auf dem Standpunkte der Doctrinärs stand; es hat über Herrn Piepenbrink und den Juden Schmock gelacht, ohne zu untersuchen, ob der mit Wahrheit, Kunst, Freundschaft, Liebe und jedem Menschen wie mit Mäusen spielende Katzenhumor des übermüthigen und suffisanten Dr. Bolz ebenso über die Spannungshöhe eines zarten Gemüths hinausging wie die Schöpfung des Fräuleins von Runeck, die einen auf solcher Cavalierperspective stehenden bürgerlichen Redacteur einer Zeitung rein aufessen möchte vor Bewunderung, eine der nicht endenden Auflagen war jener Schmeicheleien, die Herr Freytag allzu sichtbar in seinen Productionen Genien darbringt, die so ziemlich immer auf einen und denselben Modellmenschen hinauskommen.

In dem Herrn von Fink des Romans haben wir nun die pyramidalste Gipfelung dieses Modellmenschen erhalten. Auf dem Piedestal des Fürsten Pückler-Muskau, des Dr. Heinrich Laube und des Freiherrn Eugen von Vaerst, sonderbarerweise dreier Schlesier, erhebt durch den vierten Schlesier sich ein so kaleidoskopisches Humorgebahren und dabei eine solche Philosophie des Sports und der Reitpeitsche, daß man dieser merkwürdigen provinzialen Sphäre selbst angehören müßte, um ihre Selbstzufriedenheit erträglich zu finden. Es ist wahr, die deutsche Literatur mag zu lange von Candidaten der Theologie geschrieben worden sein, die sich nicht nur in Schlesien, sondern überall in Deutschland an der Tafel eines Grafen, der ihnen die Ehre einer Einladung zukommen ließ, zu lächerliche Verstöße gegen den richtigen Gebrauch der Gabeln beim Austernessen und der Messer beim Pastetenzerschneiden erlaubten; es mag ein beachtenswerther Fortschritt sein, wenn die Literatur ein wenig mehr Zusammenhang mit der großen Welt und sogar mit den Manieren und Denkweisen der exclusiven Gesellschaft gewinnt; aber ein häßliches 560 Extrem sind diese kolossalen Tausendsappermenter und Petitmaîtres in der Art des Herrn von Fink. Es gibt gewiß Adelige nicht blos in Schlesien, sondern aller Orten, die sich zum Dandysmus auch innerlich, d. h. zu einem gewissen Pelhamismus aufgeschwungen haben. Man kann sie ohne Zweifel nicht nur zu Breslau in der Goldenen Gans, sondern auch in Berlin, Hamburg und Baden-Baden beobachten. Wir glauben auch, daß sie nicht blos den Rock am Knopfe treffen, wenn sie auf der Mensur stehen, wir glauben sogar, daß sie zuweilen Geist haben, Chopin spielen können und, wenn es gefodert würde, sogar besser dichten würden, als so gewöhnlich bei uns gedichtet wird. Warum soll es keine Pelhams, Trevelyans, Onägins geben? Aber Herr Freytag hat sich in diese slawisch-aristokratischen und doch innerlich mit ganz wunderbar latent germanischer Poesie ausgestattet sein sollenden Dandies so verloren, daß er sein ganzes Buch in Herrn Dr. Bolzens häßlichem Katzenhumor geschrieben hat. Herr von Fink ist bei ihm der Matador über Alles; er ist zwar nur Commis bei T. O. Schröter, nur Mitvertreter der „deutschen Arbeit“, aber er ironisirt und satirisirt die ganze Welt. Er ist der ewige Egmont, gegen den alles gewöhnliche deutsche Gemüth à la Brackenburg zum ewigen Seitwärtsstehen verurtheilt ist. Die Sabine Schröter liebt ihn, die Theone liebt ihn, zuletzt muß ihn auch sogar Lenore, die Geliebte seines eigenen Freundes, lieben. Ihm muß Alles zufallen, Poesie und Wahrheit, das Praktische und Idealische, und wenn er auch einmal einen Sperling mit der Reitpeitsche erschlägt, den Andere eben liebevoll fütterten, die ihm eigene Auffassung dieses „Facts“ bleibt doch die triumphirende; er hat ja nicht blos Verstand, sondern auch, wenn auch nur kurz vor dem Fallen des Vorhangs, unendlich viel Gemüth. Er ist der ewig Liebenswürdige, der ewig Göttergleiche, selbst wenn seine Haare schon ein klein wenig Glatze blicken lassen; er hänselt und narrt die ganze Welt und doch vergöttert ihn dieselbe Welt. „Warum nicht, mein Hähnchen?“ „Warum nicht, mein Junge?“ „O du dummer Tony!“ das sind seine stehenden Redensarten, die sonderbarerweise von ihm Niemanden beleidigen. Die Cigarre ist für ihn erfunden, das Halten der Hände im Rockschlitz nicht minder. Er versteht sich nicht nur auf die beste Art Ananaspunsch zu machen, sondern ist auch der eigentlich „geistvollste“ Geschäftsmann des Herrn Schröter, was nicht hindert, daß er Saadi und Firdusi kennt und Auskunft zu geben weiß über Weltgesetze und philosophische Probleme. Stehende Wendungen seiner Ausdrucksweise sind: „Wenn Itzig nicht ein Hausfreund des Gutsbesitzers war, so mußte er doch wenigstens ein vertrauter Freund seines Pferdejungen sein.“ Oder: „Die Gefühle, die das Theater voraussetzt, entlehnt er sich von seinem Reitknecht.“ Und in dieser Art - ad infinitum.

Herr Freytag würde gewiß die vollkommenste Berechtigung haben, Charaktere auch dieser in der That mehr slawisch-russischen als germanischen Art aufzustellen, wenn er nur nicht verriethe, daß sie zu ihm in der innigsten Wahlverwandtschaft stünden. Er schreibt, wie Herr von Fink spricht. Der Volontär in Jockeystiefeln ist seine ganze Sympathie. Und da muß es bedenklich werden, wenn ein solches undeutsches Matadorenthum Theorieen aufstellt und mustergültig seinwollende Romane schreibt, deren Art hintennach von der kritischen Schule vertheidigt werden soll und als Maßstab fremder Beurtheilung genommen wird. Erlaubt erscheine es daher, die Wirkungen des Dr. Bolz’schen und des Herrn von Fink’schen Humors an seinen Schöpfungen nachzuweisen. In der nächsten Nummer denken wir von „Soll und Haben“ eine ausführlichere Kritik zu geben.

572 II.#

Wir räumen Herrn Dr. Schmidt und seinem productiven Freunde, dem Verfasser von „Soll und Haben“, sehr gern ein, daß das menschliche Herz ein gar trotziges und verzagtes Ding ist, dem man meist nur Thorheiten vorzuwerfen hat. Es ist wahr, die deutsche Literatur ist ein Pandämonium solcher Thorheit und der ihr entsprechenden Weltunkenntniß. Ein nur verstandesmäßig gebildeter, kalter, trockener und illusionsloser Kopf wird in dieser Literatur seine wahre Freude höchstens an Lessing und Goethe finden, obgleich auch Herr von Fink, der Heros von „Soll und Haben“, an der „alten Excellenz von Weimar“ Mancherlei lächerlich zu finden exclusiv genug ist. Die traurigen Verwüstungen, die ein solcher an Advocaten, aber schon nicht an Richtern schätzenswerther Sinn in unserer einmal eigengearteten Literaturgeschichte anrichten muß, die Inconsequenzen und Geschmacksüberraschungen, die allein uns der ewig 573 kluge Vernünftling auf diesem Gebiete zutage fördern kann, liegen in dem von der Furcht und der Apathie unsers Literatenwesens bisher noch so ziemlich ohne Antwort gebliebenen Wirken jener beiden Herren und ihres Anhangs offen zutage. Nachweisen aber kann man bei alledem die Unzulänglichkeit jenes erbitterten Kampfes gegen übliche deutsche Phantasie- und Herzensthorheit, wenn seine Theilhaber schöpferisch dafür selbst uns schadlos halten wollen. Nachweisen kann man, wozu die stolze Verständigkeit führt, wenn sie an die Stelle des Eingerissenen selbst bauen will. Die Probe läßt sich wenigstens an „Soll und Haben“ machen.

Der Mangel an Vertiefung ist in diesem Roman so auffallend, wie er sich bei einem Verstande, der sich nicht auf sein Gemüth verläßt, von selbst versteht. Wie ein französischer Fechter hüpft der Verfasser im Kreise seiner Erfindung hin und her, ermüdet sich und den Leser durch ewiges Springen von einer Person zur andern und versinkt schon am Schluß des ersten Bandes in eine Erschöpfung, die sich nur hier und da durch eine der vielen eingestreuten (übrigens widerlichen) Judenjargonepisoden erholen kann. Das Interesse ist, wie billig nach der Natur des Matadors, nur auf die stachelnde und agacirende Partie vertheilt - wir können nicht handelnde Partie sagen, da die Handlung des Romans nur die im engsten Sinne des Worts kaufmännische eines Handlungshauses und des betrügerischen Schachers der Juden ist -, während doch gerade das Interesse jedes poetischen Werks nur in den leidenden Personen liegt. Alles, was der Verfasser in den Vordergrund seiner Erzählung drängt, ist Das, was die Faiseurs entweder thun oder räsonniren; das eigentliche Interesse aber ist wie zwischen Thür und Angel geklemmt. Nicht eine einzige der aufgeführten Frauen wird entwickelt, in ihrer Seele aufgedeckt, in ihrem Herzen mit aufmerksamer Liebe belauscht. Sie kommen und gehen nur, um den Matadoren - Wohlfahrt lernt nämlich die Manieren Fink’s allmälig wie eigene in Scene setzen - gerade dann zu Paß zu sein, wenn sie sich genug entweder mit Redensarten ausgeteufelt oder mit langweiligen Unternehmungen ermüdet haben und plötzlich dann wieder bei den Frauen ankommen, deren innere Entwickelung der Verfasser dem Leser zur eigenen Ergänzung überläßt. Der sonst so strenge Kunstrichter würde die Oekonomie sicher umgekehrt haben, wenn ihn nicht sein Naturell immer zum Barocken triebe. Welcher Ueberfluß von Caricaturepisoden der langweiligsten Art! . . Wir wollen den Ballast der Langeweile aufzählen: Ein Verzeichniß von uns völlig gleichgültigen Commis, nur um Jeden zu einer Nippfigur des Spotts zu machen! Münchhauseniaden von Fink über amerikanische Fahrten zu Wasser und zu Lande, die nicht im mindesten unser Interesse berühren! Bis zum Grenzbotenbeliebten „Blödsinn“ uninteressante Verhandlungen über die Frage: Ob Wohlfahrt nach zwei Jahren Commis werden könne?!! Lange Erzählungen von allerlei episodischem Commisjux, der überhaupt das Unwahre hat, daß er die Art der Studenten auf eine Sphäre überträgt, die einen ganz andern aparten Nonsens zu verarbeiten pflegt! Episoden von Bällen und Tanzstunden, die an kleinen Beobachtungen aus der Mütter- und „Backfisch“-Sphäre an sich nicht arm sind, nichts aber in die Handlung Eingreifendes damit vorbereiten oder durchführen helfen! Eine Reise nach Polen, um einige mit Materialwaaren befrachtete Wägen einzuholen! Briefe aus Amerika über völlig in der Luft schwebende hinterwäldlerische Zustände! Eine „Kürbisepisode“ aus dem Leben jener uns durchaus wesenlosen Commis! Die ödeste Revision des Gutes Rosmin in seinen Baulichkeiten und ökonomischen Beständen! Später eine wahre Lüneburger Haide der Interesselosigkeit, die Versuche, des Gutes Ertrag zu verbessern! Letztlich - die langen Raufereien mit aufständischen Polen, die in ganzer Breite mit einer Freude an jedem gefallenen Schuß, an jedem neuaufgesetzten Zündhütchen erzählt werden, daß man zuletzt Seite für Seite überschlägt und dem Autor, der bei den Rehen des Herzogs von Koburg so herausfodernd und agacirend begonnen hatte, auch in Nichts mehr mit Theilnahme folgen kann.

Das schöpferische Unvermögen des Witzes ist uns lange nicht so auffallend entgegengetreten. Der Witz bricht ewig ab, er kann keine Situation erschöpfen. Was wird? Was kommt? frägt man ungeduldig über das ewige Hin- und Herspringen einer Koboldphantasie, die nur necken kann. Die Exposition ist endlos. Sie beginnt überall von vorn und bringt es nicht zu einer einzigen schwebenden Situation; denn Längen sind keine Situationen. In einem Roman von über tausend engen Druckseiten finden sich nicht vier oder fünf wirklich dramatische, d. h. aus innerer Nothwendigkeit der Prämissen hervorgegangene Scenen.

Das realistische Princip der Herren Grenzboten ist bekannt. Fritz Fink in diesem Roman ist der eingefleischte Realismus. Er schlägt Allem die Volte, was wie eine Schwärmerei aussieht. Er bekommt einen Korb von einem Mädchen, das er liebt, und statt seinem Freunde zu sagen: Ich bin unglücklich oder wenigstens nicht gut aufgelegt! sagt er: „Erst eine Cigarre!“ Man lacht vielleicht über diese Selbstironie, man kann auch versichert sein, daß Jean Paul’s 574 Vult, der noch keine Cigarren rauchte, nach einem empfangenen Korbe etwas Aehnliches gesagt hat; aber diese Einfälle stehen nicht isolirt, sie sind die durchgehende Lebensauffassung des in seinem Geiste und Herzen schwer ermüdet scheinenden und sich deshalb ewig prickelnd aufstachelnden Verfassers. Wer in dieser Form des Humors sein Alles findet, kann vom Dichterhimmel nur Sternschnuppen fallen lassen, Sternschnuppen, die kommen und gehen. Es fehlt hier jede Kraft der Einwurzelung, der aufrichtigen Parteinahme, der hingebenden Leidenschaft. Wo sich einmal etwas wie eine Leidenschaft findet, hat sie sich im Gegenstande vergriffen. Wer kann sich für Das erwärmen, was die Herren Wohlfahrt und Fink endlich in Athem bringt? Sie arbeiten sich ab in einer „realistischen“ Tendenz; wir sehen nur zu und fühlen uns unberührt von ihrer Liebe und von ihrem Haß. Das Buch ist so realistisch, daß es sich zuletzt in eine reine Privatangelegenheit eines verschuldeten Gutsbesitzers auflöst.

Realistisch soll Euch gegen Andere so gestrengen Herren doch wol heißen: Ohne Tendenz? Hier heißt es aber noch mehr: Ohne Idee. Was ist denn die Idee dieses Romans? Daß ein Rittergutsbesitzer keine Runkelrübenfabriken anlegen soll? Diese Lehre mag sehr praktisch sein; es mag auch lehrreich sein, daß ein Capitalist sich inachtnehmen möge vor Juden und Judengenossen - der Judenhaß des Verfassers, genährt durch das Lachen, das dem „Literaten“ Schmock in den „Journalisten“ zutheil wurde, wird durch die höchst unwahre und durch und durch unmögliche Gestalt eines Bernhard Ehrenthal nicht gutgemacht -; ist eine solche Idee poetisch? Oder soll die Poesie dieses Romans darin bestehen: Ehrlich währt am längsten? Ich forsche nach allen Seiten, welches die Idee sein könnte, die die Schnurrpfeifereien Fink’s und Itzig’s und die Gelehrigkeit Wohlfahrt’s umrahmen? Es ist wirklich keine andere da, als daß ein Gutsbesitzer nicht Runkelrüben, sondern Roggen und Weizen bauen soll.

Der blasirte aristokratische Sinn des Verfassers hat sich eingebildet, man könnte diesen landwirthschaftlich gewiß beachtenswerthen Gegenstand poetisch auch mit feudaler Romantik umkleiden. Er stellt die sonderbare psychologische Zumuthung, daß er uns einen durch Judeneinfluß zum Selbstmörder und Schurken herabsinkenden Adeligen in stufenweiser Entwickelung vom Gemeinsten zum Edelsten zurückconstruirt - als wenn nicht Rothsattel alle die Keime seiner spätern Schlechtigkeiten schon primitiv in der ersten Anlage haben und der Dichter gleich von vornherein über ihm schweben müßte -; er macht in der That die gewiß heilige Erdscholle in dem Sinne zum Helden seines Buchs, daß wir die Schauer der erschreckenden und unglücklichen Natur mitempfinden sollen, wenn unter Roggen und Weizen künftig auch Runkelrüben stehen werden! Wolken ziehen sich zusammen, Donner rollen; die Oreaden, Najaden und Dryaden klagen, wenn Herr von Rothsattel Pfandbriefe und Hypotheken nimmt! Lieber Himmel, diese Romantik der Zeiten Arnim’s und Brentano’s ist - vergl. Julian Schmidt - gewiß sehr veraltet; wir haben in Deutschland eine vortreffliche Rübenproduction, die uns in diesem Zweige von England und den Colonieen frei gemacht hat. Was soll eine dreibändige - und also doch romantische! - Philippika gegen die Verbesserung der Landwirthschaft! Der höchste Adel Schlesiens hat sich an der blühenden Industrie der Provinz betheiligt. Warum läßt sich Freiherr von Rothsattel mit Schurken ein, die doch nicht etwa normal sein sollen für sämmtliche Israeliten, Mäkler und Güterhändler Breslaus?

Im Grunde denkt der Verfasser jetzt vielleicht ebenso über seine Verirrung zu einem alten romantischen Zopf zurück wie wir. Aber zu der Poesie der weinenden Ahnfrauen kommt man eben, wenn man im Interesse seines horriblen Verstandes, seiner nüchternen realistischen Doctrin und seiner admirablen Illusionslosigkeit à tout prix einen Roman ohne idealen Hintergrund schreiben zu können glaubt. Diese von Herrn Freytag erfundenen „modernen“ Menschen sollen Alle nur real sein, d. h. Das, was sie sind. Sie sollen nicht etwa Extra-Glaubensbekenntnisse haben, sie sollen nur im Handel und Wandel, im Fässerkarren, Schachern, Wettrennen und Pistolenschießen leben. Die Folge dieser glänzenden Vernünftigkeit und Tendenzlosigkeit ist die unendliche Nüchternheit, die alle diese Erfindungen durchzieht, die trostloseste Leere des Gemüths, die dürftigste Befruchtung des Herzens, die dürftigste Befruchtung der Phantasie. Kein Roman kann fesseln ohne einen bedeutenden Hintergrund. Dieser fehlt in dem Grade, daß man nur ein ganz blasirter Verächter der Zeit sein kann, um ihn nicht schmerzlichst zu vermissen; und vielleicht würde selbst ein Aristokrat nicht abgeneigt sein, von „Soll und Haben“ Das zu verlangen, was man am Landschaftsgemälde die Stimmung nennt. Wie kahl und kümmerlich stehen die Hälmchen dieser „realen“ Erfindung im Winde und frösteln! Wie irrt das Herz des Lesers durch diese Scenen und sehnt sich nach einem starken Wollen und hochherzigen Denken des Verfassers! Wie grausam sind die Wunden, die der Witz schlägt, und wie ungeheilt bleiben sie! Man denke sich z. B. folgende echte Grenzboten-Herzlosigkeit -

575 Das Terrain der Handlung zweigt nach dem preußischen Polen ab. Dort brechen Unruhen aus, die Deutschen müssen sich ihrer Haut wehren und die handelnden Personen kommen ins Gedränge der Truppen und der Aufständischen. Sie schnallen sich selbst den Säbel um, verbarrikadiren sich und beginnen Privatfeldzüge, die der Verfasser mit einer Umständlichkeit schildert, als handelte es sich um die Kämpfe Homer’s. Welche Zeit kann hier gemeint sein? Ohne Zweifel keine andere als die von 1848. Wir sind nun an sich keineswegs abgeneigt, eine Berechtigung des germanischen Blutes gegen das slawische anzuerkennen und fühlen vollkommen den Bewohnern von Posen und Oberschlesien nach, daß ihnen Kosciuszko und die weißrothe Cocarde dummes Zeug ist. Was jedoch die von Herrn Freytag, trotzdem, daß er selbst so durch und durch polnisch verbildet ist, angenommene allgemeine Canaillerie der Polen von oben bis unten so verletzend macht, ist nicht etwa die Abwesenheit jedes patriotischen Gedankens bei Denen, die er mit Recht als Feinde Deutschlands schildert, sondern die Abwesenheit jedes ideellen Bezugs der Deutschen selbst, die er ihnen gegenüberstellt! Es ist das Jahr 1848, und dieser Fink, dieser Schröter, dieser Wohlfahrt, dieser Karl Sturm und wie die edeln realistischen Naturen heißen mögen, kämpfen nur - für ihre Wolle, ihren Talg, ihre Rosinen, ihre Mandeln, höchstens für ihre alten Säbel und Herrn von Fink’s Doppelpistolen und Doppelflinten! Nicht Eine dieser Personen ist tingirt von der Zeit wie sie war; nicht Eine fühlt der Geschichte der Polen gegenüber Das, was in jenen Tagen die Geschichte der Deutschen war vom Fürsten bis hinunter zum Bauer und Arbeiter. Herr von Fink und sein um ihn gruppirter Kreis von Bewunderern schießt geradezu unter diese Polen wie ein Weinbauer auf einen Haufen Spatzen. Wahrlich, bis zu diesem Realismus erhob sich 1848 nicht ein einziger Landwehrleutnant, der gegen Mieroslawski commandirt wurde. Jeder Referendar, der eintreten mußte, war von seiner Zeit idealisch gehoben und vertheidigte gegen den Slawismus mehr als nur Wolle und Talg. Imponiren soll uns diese sichere und nüchterne loyale Haltung der deutschen „Arbeitsmenschen“? Zur Ehre der Deutschen können wir versichern, daß diese Poesie der besonnenen Nüchternheit auf unwahren Voraussetzungen beruht und daß solche 1848 mit derselben Kälte des praktischen Egoismus den Polen gegenübergestandene Deutsche, wie etwa ein Förster im Wald sich zufälliges Diebsgesindel vom Leibe hält, nur Hirngespinnste aus dem Bureau der „Grenzboten“ sind. Gab es Menschen, die 1848 nur allein an Wolle und Talg dachten, so sollte sich ein Dichter schämen, sie als verehrungswürdig hinzustellen.

Wir sagten vorhin: „Einen Haufen Spatzen.“ Wir haben uns damit einen recht candidatenhaften Fehler zuschulden kommen lassen aus dem Bereiche jener unweltmännischen Literatur, der wir anzugehören leider auch das Unglück haben. Wir mußten wol, nach Analogie des Rebhühnercollectivs, sagen: „Ein Volk Spatzen.“ Kommt bei Herrn Freytag auch ein halb Dutzend mal vor und ebenso: „Ein Volk Schwäne.“ Man würde bei diesem Uebergang Veranlassung haben, von den stilistischen Vorzügen und der Darstellungsweise des Buchs zu sprechen. Hier fehlt allerdings nichts, was unserer oft so wunderlich blöden Literatur, der alles Wesen in Schnurrock und Sporenstiefeln so außerordentlich zu imponiren pflegt, ungemein gefallen muß. Sie hat hier immer einen ganzen Mann, der jeden Besuch sogleich mit Darreichung einer Cigarre empfängt, einen Gentleman, der das Gefühl einer gewissen Sicherheit verbreitet, eines Gefühls, das unsern vulgären Lyrikern, Dramatikern, Feuilletonisten und was so in Deutschland die Feder führt, mehr oder weniger abgeht - Frankreich, England, Spanien, Italien haben keinen Begriff von einer solchen patenten Schriftstellerart, wo das Corps sich geschmeichelt fühlt durch den Effect eines stattlichen Haupthahns. Kurz, das patente Gebaren des Stils, der Anschauungen, der kleinen Charakteristiken wird mehr als Einen von unsern Herren Collegen blenden, und wir sind auch weit entfernt, einzelne hübsche Schilderungen, z. B. Bd. I, S. 232, die Apotheose des Cotillon in ihrem Werthe zu verkennen. Sonst ist der Stil des in einem angreifenden Dreiachteltakt geschriebenen Buchs - eine kurzathmige Hast, die dem Leser auf die Länge wahrhaft Brustschmerzen verursachen muß - zweckmäßig kurz, immer treffend und bündig. Es kommen wol Bilder vor, wie: „Theone verwandelte ihre Locken durch Ströme von Thränen in träufelnden Bindfaden“ (I, 256), allein die Zahl solcher ernst gemeinten Absurditäten ist nicht eben groß. Reichere Sammlung könnte man von den vielen sogenannten „schlechten Witzen“ machen, von denen es nach dem Schema: „Nicht schön, aber dumm!“ bis zum Unglaublichen wimmelt. Wendungen wie z. B. (I, 104): „Er stand unter persönlicher Abhängigkeit vom Kümmel“, sind eigentlich die durchgehende Sprechweise des ganzen Buchs.

Wir hätten noch mannichfachen Reiz, auf eine große Anzahl von Einzelzügen in „Soll und Haben“ aus der Sphäre der Lebensbeobachtung selbst einzugehen, und zwar deshalb, weil der Verfasser eben so großen Werth auf seine Weltkenntniß legt. Wir möchten ihn z. B. fra-576gen, ob anzunehmen ist, daß ein reicher jüdischer Handelsherr mit der Flasche in der Hand über die Straße gehen wird, um seiner Familie zum Thee Rum zu holen! Wir möchten fragen, ob in irgend einem Kochbuche der Welt die Rede sein kann von „Schinken mit Burgundersauce“? Doch brechen wir bis auf Weiteres die Kritik des Details ab. Die allgemeine Absicht, die wir hatten, war nur die, zu zeigen, daß erstens der Realismus nicht glauben darf, er könne uns uninteressante Alltäglichkeiten, Menschen, wie aus dem ersten besten Wohnungsanzeiger genommen, als Gegenstände der Poesie aufdrängen; zweitens, daß Witz und Humor in den höchsten Tasten eines Klavier vergebens Capriccios über Capriccios zusammentollen, wenn nicht unten im Baß der Grundton einer edeln Absicht und eines begeisterten schönen Wollens, gemeiniglich als Tendenz von Euch Herren in Leipzig verspottet, dazu den harmonischen Wohllaut gibt; und daß drittens die Ueberlegenheit, welche die kalte Malice immer hat, nach wie vor zwar fortfahren kann, ein fremdes Schaffen und Wirken mit allen möglichen Kunstgriffen, die dem ewig Angreifenden zugebote stehen, zu verkleinern, ohne daß darum schon gesagt ist, die Malice könnte nun auch ihrerseits irgend etwas selbst hervorbringen, was, abgesehen von einer gewissen äußern, allenfalls zur Theaterwirkung ausreichenden Routine in seinem innern Kern über eine Mittelmäßigkeit hinausgeht, die originell scheint, weil sie sich mit dem von uns, wie wir hoffen, hinlänglich geschilderten Air zu spreizen versteht.

Apparat#

Bearbeitung: Wolfgang Rasch, Berlin#

1. Textüberlieferung#

1.1. Handschriften#
1.1.1. Übersicht#

Es sind keine handschriftlichen Überlieferungsträger bekannt.

1.2. Drucke#
J [Anon.:] Ein neuer Roman. In: Unterhaltungen am häuslichen Herd. Leipzig. Bd. 3, Nr. 35, [31. Mai] 1855, S. 558-560; Bd. 3, Nr. 36, [2. Juni] 1855, S. 572-576. (Rasch 3.55.05.31.1)

2. Textdarbietung#

2.1. Edierter Text#

J. Der Text folgt in Orthographie und Interpunktion unverändert dem Erstdruck. Textsperrungen werden übernommen. Silbentrennstriche (=) werden durch - wiedergegeben. Die Seitenzählung wird mit Klammern [ ] an den betreffenden Stellen in den Text eingefügt.

Die Liste der Texteingriffe nennt die von dem Herausgeber berichtigten Druckfehler sowie die Emendationen. Fehlende oder überzählige Spatien im Erstdruck wurden stillschweigend korrigiert.

2.1.1. Texteingriffe#

1,14 vorzugsweise vorzugs weise Trennungszeichen am Zeilenende fehlt

4. Entstehung#

4.1. Dokumente zur Entstehungsgeschichte#

Brief Gutzkows an Brockhaus, 27. Mai 1855 (BrBrock, S. 83.)

Diese No. 36, geehrter Herr, bitt’ ich, mir noch einmal zu schicken. In der Fehde gegen Freytag muß ich jedes Wort erwägen.

Kommentar#

Der wissenschaftliche Apparat wird hier zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht.