Zum Gedächtniß Wilhelm Härings#
Metadaten#
- Herausgeber
- Wolfgang Rasch
- Fassung
- 1.1
- Letzte Bearbeitung
- 24.03.2020
Text#
297 Zum Gedächtniß Wilhelm Härings.#
Einstimmig berichtete die deutsche Presse das im December v. Js. zu Arnstadt in Thüringen erfolgte Ableben Wilhelm Härings, genannt Wilibald Alexis, mit dem Ausdruck der innigsten Theilnahme. Die gewandtesten dichterischen Gaben, edle menschliche Eigenschaften, ein Charakter voll Gesinnung und ein herbes tragisches Schicksal hatten die Nachrufe, ganz in der ungetheilten Hingebung wie sie in den Blättern erschollen, verdient.
Wenn die „Allg. Ztg.“, dießmal später kommend als andere Organe der Oeffentlichkeit, ihren Nachruf nicht ganz in dem Ton einer bloßen Trauerrede am Grabe hält, sondern persönlicher auf den Verstorbenen eingeht, so wolle man darin ein Bestreben erblicken uns das Bild des Dahingegangenen recht nahe zu rücken. Schon die Wendung dieser Nachrufe, daß der Tod den Unglücklichen, der fast fünfzehn Jahre in geistiger und körperlicher Paralyse gelebt hatte, „von seinen Leiden erlöste“, ist nicht vollkommen zutreffend. Die liebevollste Hingebung einer erst in spätern Jahren geheiratheten Gattin, einer gebornen Engländerin, die Pflege derselben, die an Geduld ihres gleichen suchte, diese war es die erlöst wurde. Der Gegenstand eines bewunderungswürdigen Cultus der Liebe selbst fühlte kaum sein Leid in ganzer Größe. Die Stunden, die Tage, die Jahre schwanden an dem Beklagenswerthen in seinem Rollsessel gleichmäßig dahin. Er glaubte die volle Klarheit seiner Ideen zu besitzen und nur am Aussprechen derselben verhindert zu sein. Eine in Westermanns „Monatsheften“ gegebene photographische Abbildung der äußern Erscheinung Härings in den Tagen seines Leidens zeigt einen - lachenden Demokrit, der der Welt gegenüber sein besseres Theil gefunden zu haben scheint! In der That gibt das Bild den vollen Gegensatz der geistesklaren Zeit des edlen Todten, wo seine Mienen in der Regel den Ausdruck der Besorgniß, des ängstlich aufgeregten Beschäftigtseins durch die Zeit, des bänglichen Erwartens düsterer öffentlicher Erlebnisse trugen.
Von „Leiden erlöst“? Gewiß! Aber doch noch zu modificiren. Die ganze Sehnsucht eines an die Bedingungen Norddeutschlands gebundenen Herzens gieng bei Häring auf idyllisches „Am Land“-Wohnen. In seinen jungen Jahren suchte er einen ihm innewohnenden Trieb, irdische Hülfsquellen, die ihm zu Gebote standen, zu Speculationen und sogar im Sinn unserer heutigen neuen großstädtischen Gründer-Ideen zu verwenden, mit seiner Liebe zur Natur zu vereinigen. Wie mit Ironie auf seinen Namen suchte er unter den alten Eichen und in den Fischerhütten Häringsdorfs an der Ostsee den Besuch eines poetisch gelegenen Seebades zu fördern. Später gab er seine dortige Besitzung mit ihren nur relativen Schönheiten auf, und zog sich, seiner ganzen Kraft sich noch bewußt und mit literarischen Planen, deren einige auch dort noch ausgeführt wurden, nach Arnstadt, einer ohne Zweifel - ich kenne den altberühmten Ort nicht - reizend gelegenen Stadt, die schon manchen Dichter angezogen hat. Da erzählt man von Härings anmuthiger Besitzung, von seiner Liebe zur Natur selbst trotz seiner geschwächten Geisteskräfte. Wenn die Rosen blühten, sammelten liebliche junge Mädchen, Verwandte seiner Gattin, die sich schon entblätternden verblühten Blumen und bewarfen damit den im Rollstuhl Sitzenden. Anakreon wünschte sich solche Spiele mit der Jugend. Auch unser Dulder lachte herzlich. Ist ihm also das demokritische Antlitz der Photographie bis zuletzt geblieben, so rief ihn der Tod aus einer Welt die er bei alledem und alledem ungern verließ. Sein Lebensende war keineswegs das seines gekrönten Widersachers in Sanssouci, der ihm einst auf eine vertrauensvolle Uebersendung eines seiner „märkischen Romane“ oder bei einer sonstigen Annäherung, welche Huld und Güte voraussetzte, die bekanntgewordenen rauhen, verletzenden Worte entgegenherrschte: „er hätte sich von ihm in seiner politischen Haltung eines Bessern versehen.“ Auch Friedrich Wilhelm IV hatte das Loos gelähmt zu werden wie Dr. Häring. Aber jener bot ein Bild des Jammers, wenn er unter den Bäumen Sanssouci's, die den an Planen und Ideen überreichen genialen Kronprinzen einst unter sich hatten wandeln, zeichnen, malen, studieren sehen, gefahren wurde, und nichts mehr von der Welt erkannte. Häring ließ sich in seinem Rollsessel an seine Blumen fahren und pflegte diese.
Unsere jüngere Generation macht sich das Leben eines solchen abscheidenden Charakters früherer Tage nach äußern Notizen leicht zurecht. Geboren den 23 Juni 1797, Studierender der Rechte, Referendar, Mystificator des Publicums mit einer Nachahmung Walter Scotts - dann eine Zusammenfassung seiner letzten Thätigkeit, die dem „brandenburgischen Roman“ gewidmet gewesen - und der Kern scheint getroffen zu sein. Und dennoch bieten diese Momente für den Forscher, der dem Sein und Werden, dem Umirren und Wegeverfehlen, dem Suchen und Finden in der Literatur folgt, bei weitem nicht die genügenden Anhaltspunkte. Man las bisher über Häring nur Zusammenfassungen, kurze Resumés einer dahineilenden Zeit, die ihre Opfer der Pietät rasch vollzieht, immer bedacht nur bald wieder auf sich selbst zurückzukommen.
Bei solchen Resumés fehlt natürlich auch das - Zuviel nicht. Die „märkischen Romane“ des dahingegangenen Vortrefflichen sind in der That nicht ganz so hoch zu stellen wie sie etwa die Ankündigung des Buchhändlers stellt, der sie als Eigenthum besitzt und sie gern „in jeder deutschen Hütte eingebürgert“ sehen möchte. Diese Romane sind reich an Vorzügen aller Art. Doch reißen sie nicht durch eine mächtige und eigenthümliche Erfindung fort. Es sind sinnig gedachte, doch nur mit reproductiver Umständlichkeit langsam sich fortbewegende Culturstudien (übertreibend bis zu Phantasieen) über eine Mark Brandenburg, die jetzt mit Gewalt aus einer bescheidenen Magd in eine seither verkannte Königin aufgeputzt werden soll. Das Toilettenstück ist ja im vollen Gange. Hätte man nicht Berechtigung jetzt auszurufen: Wollt doch nicht Feigen lesen von den Disteln, und Trauben von den Dornen! Wollt doch nicht die alten Gesetze dessen was schön ist auf den Kopf stellen! Seitdem unsere Reichstagsabgeordneten ihre Excursionen nach Potsdam machen, und erstaunt zurückkehren dort so herrliche Bäume, große Gewässer, sogar in Berlins nächster Nähe Spuren von „Gegend“ zu finden, hat man die märkischen Tannen- und Fichtenwälder, diese durchsichtigen Linienregimenter, überaus poetisch, ja im verwehten Flugsand und dessen dürftiger Vegetation landschaftliche Stimmung finden wollen. Kauft man dann noch gar in Gründer-Compagnieen diesen Sand mit Fichtenwäldern in Masse, und will Deutschland einladen dort Hütten, d. h. Villen zu bauen, dann zwingt in der That die Außercurssetzung des Murg- und Nero-Thals, des rauschenden Waldes um Eisenach oder Berchtesgaden zum Widerspruch - auch gegen die Uebertreibung des Poetischen, das sich in Härings märkischen Romanen finden soll. In allem Ernst, durch das Preisen und Aufputzen des Dürftigen, Aermlichen, Unzulänglichen der Mark versündigt man sich an jener Welt die seither für schön gegolten hat, und deren Zaubergewalt auch dem märkischen Romantiker Häring selbst zu oft vor die Seele trat, als daß es ihn nicht mächtig nach dem Süden hätte ziehen, zu dem Geständnisse zwingen sollen: „Ja in Neapel!“ Seine „Wiener Bilder“ sind eine wahre Befreiung des Gemüths vom Tifteln einer Stimmung die sich auch in Pankow und Schönhausen bei Berlin (ja, ja, die Eichen und Erinnerungen Schönhausens sind schön, und wäre nur dem Park mehr Pflege zu wünschen!) dem großen Naturgeiste nahe fühlen möchte. In dem frischgeschriebenen Buche, das wir nannten, wird dem deutschen Süden, der blauen Donau, den schneebekränzten Alpen, seinen Menschen und Sitten ihr volles Recht zutheil.
298 Vor sechs Jahren, bald nach den Tagen von Königgrätz und Nikolsburg, brachte die „Allg. Ztg.“ einen Aufsatz: „Wilibald Alexis und die „preußische“ Dichtung unserer Zeit.“ Der Verfasser war einer der begabtesten unserer jüngern Erzähler, Wilhelm Jensen.*) Dieser selbst aus Deutschlands nordischer Mark, aus den Herzogthümern, gebürtig, glaubte mit seinem beredten Fürwort einen Beitrag zu geben zur Annäherung zwischen deutschem Süd und Nord. Der Streit welcher in der Familie geführt worden wäre, hieß es, müßte auch in der Familie geschlichtet werden. „Wenn ein Dichter oder irgendein Mann der Gegenwart es vermag die Abneigung auszutilgen welche sich des deutschen Südens gegen den Norden, gegen Preußen und vor allem gegen dasjenige was man sich gewöhnt hat als den Kern und Typus dieses Volkes anzusehen, gegen die Mark Brandenburg und ihre Hauptstadt, bemächtigt hat, so ist es Wilibald Alexis.“ Der junge Nordlandssohn fordert Süddeutschland auf an diese Quelle der Versöhnung, „die Werke des Hrn. G. W. Häring,“ sich zu begeben. Scheerenberg, setzt er hinzu, Hesekiel, Fontane (Namen die seit Jahren die Ansprüche auch der „Kreuzzeitung“ auf den Parnaß vertreten) reihen sich dann bei dem Vermittler an den Hauptvertreter der geistigen Versöhnung an, welchem der vielleicht feurigste Mund der sich je über einen noch lebenden Autor ergangen hat, Opfer der Anerkennung bringt, die in der That den Leser fortzureißen vermögen, weil der frische Geist der Huldigung Satz für Satz zu gleicher Zeit Behauptungen aufstellt die frappiren, zum Nachdenken reizen, zuweilen als unhaltbar, oft aber als treffend erscheinen dürfen, und somit zuletzt den Leser in einen Strudel von Herrlichkeiten fortreißen die er alle in Wilibald Alexis' Romanen finden soll. „Seine Werke sind bunte Gemälde eines vergangenen Lebens, dessen derberes Flechtwerk mit den feinern Fäden unserer Tage verknüpft ist. Mannesmuth und Feigheit, Prahlerei und tiefer Ernst bewegen sich neben einander. Der Humor umflicht mit lieblich und wehmüthig tönenden Schellen den verschlungenen Reigen. Mit der Geißel der Wahrheit, die zu allen Zeiten gilt oder gelten sollte, schlägt der Narr in das Getümmel. Und dazwischen blühen holde Wunderblumen der Leidenschaft u. s. w.“ Kurz, die „Allg. Ztg.“ hat dem Andenken an diesen Versuch deutschen Süden und Norden zu einigen, und dem Ruhme der „märkischen Romane“ bereits vor sechs Jahren glänzend Genüge gethan.
Das Wahre daran sei dahingestellt. Soviel steht fest, Härings, des unglücklichen Mannes, dem wir das innigste Andenken bewahren, Entwickelung gieng nicht mit so ausgedehnten Schwingen, nicht mit solchen Adlerflügeln. Niedrig war der Strich seines Fluges niemals. Niemals - um ebenfalls märkisch zu reden - glich er dem Kibitz, der bald links, bald rechts die Beine verschränkend am Meeresstrande dahinstreicht. Nein, was konnte an sich kühner sein als ein Erstlingswerk mit dem Namen Walter Scotts einzuführen? Eine That, die man damals als Eulenspiegelstreich belachte! Jetzt hat uns die „Kritik des gesunden Menschenverstandes“ so gewissensstreng gemacht, daß wir in der Wiederholung eines solchen alten Literaturspaßes einen bedenklichen Casus verletzter Moral - „Zuchtlosigkeit“ sagten ja wohl die alten Grenzboten - erblicken würden! Aber der belletristische Trieb des jungen Exreferendars tastete lange bald nach diesem, bald jenem Gebiete hin, folgte allerlei Impulsen, künstlich gepflegten Neigungen. Seine Natur ließ nichts frei aus einem übervollen Innern hervorströmen. Selbst die Chronik der Bühnen Berlins weist einige dramatische Anläufe auf, die schnell wieder aufgegeben wurden. Die „Allg. Ztg.“ bucht einmal die Ereignisse. So darf sie auch die Zeiten nicht überspringen, und die Tage nicht vergessen, wo Häring noch zu den Unentschlossenen gehörte, wo Ludwig Börne jenen mit gutem Essig und gutem Oel (beim Salat will das alles sagen) angerichteten „Härings-Salat“ schrieb, Erinnerungen an die Zeit wo Wilhelm Häring und Ludwig Robert, damals censurgemäße Belletristen der Restaurationsperiode, den zum Besuch nach Berlin gekommenen Frankfurter Humoristen, der einen allbewunderten Aufsatz über die Sontag geschrieben hatte, durch die Straßen und Gesellschaften Berlins führten, worauf bei jeder Vorstellung eines eilends vorüberschießenden Bekannten regelmäßig derselbe Dialog hervorgebracht wurde: Vorstellung: „Hofrath! Börne!“ Verwunderung und Entzücken: „Börne? Sontag? Göttlich!“ Es war die Zeit nach der Julirevolution, wo so mancher in Liberalismus gar so weise und vorsichtig machte und nur den Anschauungen des Polizeistaates verfiel. In jenen Tagen bot besonders die Haltung einer großen Leipziger Buchhandlung mit ihren einflußreichen Blättern und Sammelwerken, die im literarischen Verkehr, wenigstens Nord- und Mitteldeutschlands, entschieden den Ton angaben, den Mittelpunkt für eine Richtung der sich auch Häring allzu eng anschloß. Die junge aufstrebende Bewegung der Geister innerhalb der schönen Literatur, dann die sich vorzugsweise aus dem Universitätsleben entwickelnde philosophische Kritik wurden von dorther bekämpft. Aus jener Zeit stammt der „Neue Pitaval,“ wo schon der Name des Mitherausgebers, Criminaldirectors Hitzig, auf diejenige Berliner Sphäre schließen läßt wo man freisinnig am Theetisch war, im Bureau aber that was die Obern wollten.
Und auch darin irren sich unsere schnellzusammenfassenden, nur aus dem Conversationslexikon orientirten Nekrologe daß sie schon von „großen Erfolgen“ z. B. des „Cabanis“ sprechen. Nein unser wackerer Freund hat sich redlich mühen, gegen eine „See von Plagen“ und „die Pfeile des Geschicks“ rüsten müssen. Ein junger Verleger Namens Fincke, wollte das Manuscript des „Cabanis“ durchaus in sechs Theilen bringen. Da mußte der letzte und vorletzte Band jeder kaum 100 Seiten betragen! Diese unglückliche Idee, die ein warmes spannendes Interesse bei einem sprunghaft, abgerissen gearbeiteten Werk nicht aufkommen ließ, wurde nur durch eine für jene Zeit des bedruckten Löschpapiers überraschend geschmackvolle Ausstattung einigermaßen wieder gut gemacht. Mißmuthig über die Art wie sich die Buchhändler zu den Autoren zu stellen pflegen, begründete Häring selbst eine Buchhandlung. Die Operationen seines Capitals deckte ein anderer Name. Auch hier traten Mißerfolge, Bekümmernisse, Verwickelungen aller Art ein. Die Hoffnung auf eine Würdigung seiner märkischen Romane, die zunächst durch Härings mächtig pulsirendes Heimathsgefühl und vielleicht auch durch Nachahmung des vielgepriesenen Kleist'schen „Kohlhaas“ hervorgerufen wurden, betrog ihn nur innerhalb Berlins nicht. Nach außen hin fand sich kein Interesse. Nur die „Inexpressibles“ des Hrn. v. Bredow belustigten. Hatte doch auch die so ernst gestimmte liberale Gegenwart der ersten Jahre Friedrich Wilhelms IV andere Ziele als eine Vertiefung in die Geschichte des märkischen Junkerthums, der märkischen Stifte und Städte. War doch gerade Berlin und die Mark der Sitz jener Vergewaltigungen des Zeitgeistes, wodurch die vormärzliche Periode von 1840-48 bezeichnet wird. Was konnte von da Gutes kommen? - Aus einer Gegend wo man keine andern „Rathenows“ sah, als servile? „Biedre, treuherzige Mannen“ - „der Junker Jochem“ - alles das gehörte einem Specialgefühl an, wofür nirgends im übrigen Deutschland ein Anklang möglich wurde - und er wird, entgegen der Jensen'schen Versicherung, auch wohl noch jetzt nicht kommen. Gewiß kann man mit Interesse bei dem Gedanken verweilen, wie doch so wunderbar dieser zollern'sche Stamm emporgekommen. Daß aber für ganz Deutschland eine Vertiefung in diese wunderbare Begebenheit, die Verwandlung der märkischen Localgeschichte in Reichsgeschichte, eintreten sollte, das kann höchstens ein Traum des Hrn. v. Treitschke werden. Was wir jetzt ernten, das sind die Früchte unserer Zeit. Es sind die Früchte der Ideen die wir bald mit Gewalt, bald mit List, jedenfalls mit den schmerzlichsten Opfern, mit unendlichem Volks- und Familienleid seit Jahren dem märkischen Tannenbaum erst - einoculirten. Es sind die von allen übrigen Richtungen des Vaterlandes her entnommenen kräftigen Keime, die auf den Stamm und die Zweige eines durch Zufall erstarkten Fürstengeschlechts gesetzt wurden. Nur von heute datirt unsere Geschichte des Deutschen Reichs, von dem Tage von Wörth und Sedan, von den Tagen des Vorparlaments. Aber ihre ersten Capitel schon mit der Heraufführung der „faulen Grete“ aus Nürnberg nach Köllen an der Spree zu beginnen, das wollen wir doch den „Strebern“ oder „Scheerenberg, Hesekiel, Fontane“ überlassen.
Das Jahr 1848 überraschte unsern rastlos thätigen, immer geistesfrischen Wilhelm Häring in Italien. Eine Stellung die er zur „Vossischen Zeitung“ antrat, führte ihn rasch in die richtige Straße der Bewegung, bewahrte ihn vor unklarem Wählen und Handeln in Tagen wo so viel geirrt, so viel bereut worden ist. Diesem Entschluß, einem vielgelesenen Blatte seinen emsigen Fleiß, seine gewandte Federführung, sein reiches Wissen auf allen Gebieten nutzbar zu machen, widmete er sich mit voller Hingebung. Er that es mit befreitem, von Vorurtheilen erlöstem Sinn. So Vieles, worauf auch er in den vormärzlichen Tagen noch Nachdruck gelegt hatte, war ja vergessen. Alles Mehr oder Minder, alles So oder So hatte neuen, größeren Geschenken des Jahrhunderts Platz gemacht. Jene vormärzliche Annäherung an einen Fürsten von welchem er Anerkennung seiner patriotischen Vorliebe für märkische Dörfer, Sandwege mit einsam frierenden Halmen, Tannenwälder mit Eichhörnchen und gewissen wie schon gedörrt auf die Welt kommenden Blüthen, speciell märkischen Rispengattungen (ich charakterisire eine Naturbetrachtung die uns mit Adalbert Stifter im Salzkammergut entzücken, zwischen „Schierke und Elend“ nur zur Verzweiflung bringen kann) - diese Annäherung konnte ihm keine Demüthigung, keine öffentlich auferlegte Kränkung mehr bringen. In den vormärzlichen Tagen besuchte ich ihn in Berlin. Wie leise hauchte er jedes Wort! Wie spionenhaft belauscht fühlte sich all sein Thun! Ganz in Varnhagens Weise spürte er überall Ungewitter und Heimliches in der Luft. Dieser Druck war endlich gefallen, und die schönste Frucht der Erhebung durch die Zeit wurde Härings bester Roman: „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht.“ In diesem ausgezeichneten Gemälde hatte man nichts von den weglosen Längen seiner märkischen Walter Scottiaden, von den langen Conversationen nicht mithandelnder Personen, von den gewissen Theater-Reminiscenzen in den Situationen und Charakteren.*) Hier waren die historisch erwiesenen Persönlichkeiten wie im Porträtstyl gehalten. Haugwitz, Lucchesini, die Pioniere des preußischen Unterganges, traten so greifbar und in so spannend verbundenen Situationen vor unser Auge, daß uns noch jetzt, jedesmal wenn die Droschke gemüthlich durch die Linden- oder Brüderstraße schlendert, die in den historischen Häusern derselben (wenn sie nicht schon demolirt sind) spielenden Begebenheiten dieses Romans einfallen. Preußen war durch Olmütz auf die abschüssige Seite der schiefen Ebene gerathen. Ueber dem ganzen Gemälde lag das bange Vorgefühl neuer verhängnißvoller Stürme, die für das damals von Manteuffel regierte Preußen heraufziehen müßten.
Und noch ein besonderes Blatt der Anerkennung flechte sich an diesen letztgenannten Kranz! Der Verstorbene war im Urtheil über die Gaben anderer gerecht. Mit herzlichem Antheil konnte er den Erfolg eines Rivalen auf dem gleichen Gebiet auf welchem er selbst arbeitete ertragen, fördern, sogar in verschiedenen Blättern dasselbe Urtheil wiederholen. „Todtschweigen,“ nur sich selbst fördern, anerkennen nur auf Gegenseitigkeit - diese häßlichen Eigenschaften des gegenwärtigen literarischen Verkehrs waren seinem edlen Gemüthe fremd.
Der Arbeitsunfähige, an allen Gliedern Gelähmte konnte die durch die Schillerstiftung gebotene Hülfe nicht ablehnen. Um für die ihm bewilligte Pension zu danken, machte er sich von Arnstadt aus auf den Weg nach Weimar. Das Wiedersehen des in seinen Vorstellungen klaren, von der heftigsten Willensregung und Mittheilungslust ergriffenen und dabei doch an jeder Kundgebung gehinderten, ausgezeichneten, an Lebenserfahrungen und Talenten so reich gewesenen Mannes war in der That erschütternd. Treue Liebe, milde Geduld, Entsagung auf jede eigene Lebensfreude hüteten ihn fünfzehn Jahre lang. Löst sich schon jedes Menschenleben an sich nicht ohne die Voraussetzung hülfreicher Hände auf, die den Sinkenden halten und stützen müssen; wie erst wo Erscheinungen unseres physischen Organismus wiederkehren, die oft den besten Willen zuletzt verzweifelnd ausrufen lassen könnten: „Ich kann nicht weiter!“ Dieser Ruf ist nie über die Lippen der treuen Pflegerin gekommen, und deßhalb preise sie unser Dank um das bis zum Tod eines unserer besten Namen durchgeführte Tragen jener Lampe von welcher es in dem schönen Gedichte Longfellows auf Miß Nightingale heißt: „Die treue Pflegerin beschreitet damit in nächtlicher Stunde die Schlafsäle der Kranken und überleuchtet die blassen Züge ihrer Schlummernden.“
Apparat#
Bearbeitung: Wolfgang Rasch, Berlin#
1. Textüberlieferung#
1.1. Handschriften#
1.1.1. Übersicht#
Es sind keine handschriftlichen Überlieferungsträger bekannt.
1.2. Drucke#
2. Textdarbietung#
2.1. Edierter Text#
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Kommentar#
Der wissenschaftliche Apparat wird hier zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht.