Herr Heine und sein Schwabenspiegel#

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Herausgeber
  1. Wolfgang Rasch
Fassung
1.1
Letzte Bearbeitung
13.02.2020
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593 Herr Heine und sein Schwabenspiegel.#

Seit sechs Monaten kann ich nicht begreifen, wie man den im „Jahrbuch der Literatur“ abgedruckten Schwabenspiegel von Herrn Heine nicht eben so geistreich und witzig finden will, wie seine übrigen Schriften. Ich hielt immer die Methode seiner Polemik, wie er sie hier gegen die Schwäbischen Dichter in Anwendung brachte, für unwürdig der ernsten Bedeutung jenes Almanachs; aber wer konnte von Herrn Heine Wahrheit verlangen? Er giebt uns hier, wie immer, frivole Späße, witzige Einfälle, sentimentale Ausgänge, und ich begreife nicht, wie sich die gesammte Deutsche Kritik gegen diesen Schwabenspiegel förmlich verschwören konnte. Man schnitt allgemein Gustav Pfizern von dem Galgen ab, an welchen ihn Herr Heine, über eine ihn betreffende Kritik desselben entrüstet, umständlich gehängt hatte; ja es wundert mich, daß Niemand auf den Einfall gekommen ist, da Herrn Heines Bildniß die erste Seite des Jahrbuchs ziert und sein Schwabenspiegel die letzten, zu sagen: Dort hätte sich der berühmte Dichter von vorne, hier in seinem Wesen, scheußlich genug, von hinten gezeigt.

Ich kann aber wohl etwas Anderes begreifen. Herr Heine in Paris stürmt an den Posttägen in das Lesekabinet von Brockhaus und Avenarius und durchfliegt mit ängstlicher Neugier die eben angekommenen Deutschen Blätter. Er will wissen, um wie viel Prozent an der literarischen Börse seine flauen Aktien ausgeboten werden, und findet, daß man ihn, was mir unverzeihlich erscheint, fast gleichgültig behandelt, daß Namen, die vielleicht nicht 594 werth sind, ihm die Schuhriemen aufzulösen, weit öfter genannt werden, als sein einst so gefeierter. Er steht einsam da in Paris; die biedre Ehrlichkeit der flüchtigen Deutschen verabscheut seine Gesinnungslosigkeit, die Heimath vergißt einen Autor, der seit sechs Jahren von der Muse verlassen scheint; so in seinem Unmuth greift er nun zu jenen jetzt beliebten Erklärungen und Verwahrungen und bricht in den neuesten Nummern der Zeitung für die elegante Welt mit einem Ingrimm aus, der um so komischer wirkt, als er nicht gegen seine Feinde, sondern gegen seine Freunde gerichtet ist.

Herr Heine wird mir wohl zutrauen, daß ich ihm den Schmerz nachempfinde, seine besten Gedanken von der Censur verstümmelt oder wohl gar gänzlich ausgelöscht zu sehen. Herr Heine mag Recht haben, daß sein Schwabenspiegel ungleich mehr Aufsehen gemacht haben würde, hätte ihm die Sächsische Censur nicht die besten „Witze“ weggestrichen. Da waren mehre Hofräthe in Dresden bedeutend touchirt, die evangelische Kirchen-Zeitung bekam, glaub’ ich, einen Eselsorden und die literarische Stellung Wolfgang Menzels hatte Herr Heine besonders dadurch zu untergraben gedacht, daß er eine lange Geschichte von dem „isabellfarbenen Hemde der Frau Dr. Menzel“ erzählte. Alle diese geistreichen und eines Lieblings der Nation so würdigen Paradoxen hatte die unerbittliche Scheere der Censur weggeschnitten. Herr Heine erhält die Censurbogen nach Paris zugesandt. Er hat die von der Censur gleichsam für wasserdicht und unverletzbar erklärten Sächsischen Hofräthe, seinen retourgesandten Eselsorden, er hat die Fetzen des „isabellfarbenen Hemdes der Frau Dr. Menzel“ in Händen und wagt dennoch, schon vor einigen Monaten, eine verzwickte Erklärung abzugeben, deren Schraube nicht auf die Censur, sondern auf die nächsten Umgebungen des Herausgebers jenes Jahrbuches, des Herrn Julius Campe, deuten soll. Da man den Einfluß, welchen ich auf das „Jahrbuch der Literatur“ habe, überschätzt, so mußte in der Meinung des Publikums ich es gewesen seyn, der mit vorwitziger Hand die schönen Antithesen getilgt und unter anderm ihm auch jenes saubre Hemde ausgezogen hatte. Herr Campe, mit 595 Recht auf seine Selbstständigkeit eifersüchtig, glaubte darauf nicht schweigen zu dürfen, und gab das wahre Sachverhältniß in einer bescheidenen, nicht auf Schrauben gestellten Erklärung im Telegraphen an. Diese Auflehnung eines Buchhändlers gegen ihn erzürnt Herrn Heine nun so gewaltig, daß er die in seinen Händen befindliche Wahrheit, die Sächsische Censur, absichtlich ignorirt und mit einer Dreistigkeit, die mehr als humoristisch ist, die Lesewelt zwingen will, ihm zu glauben, daß wenn nicht meine, doch die Hand des Dr. Wihl die Dresdner Anzüglichkeiten, den Eselsorden und das „isabellfarbne Hemd der Frau Dr. Menzel“ zerrissen hätte!

Ich weiß nicht, wie Herr Campe (der gegenwärtig auf der Leipziger Messe ist) mit Herrn Heine steht. Vielleicht hat sich Herr Campe verpflichten müssen, nie zu widersprechen, wenn Herr Heine eine Lüge aussagt, die er berichtigen könnte. Ich glaub’ es zwar nicht; aber möglich, daß Herr Heine dies von dem Verleger seiner Schriften voraussetzt. Es ist möglich, daß Herr Campe schweigen muß, wenn Herr Heine am Strande des Kanals mit Deutschen Auswanderern geweint haben will und statistische Tabellen gar nachweisen, daß in dem Monat, wo dies geschehen seyn soll, keine Auswanderer im Havre eintrafen. Es ist möglich, daß Herr Campe es bestätigen muß, wenn Herr Heine sagt, seine besten Werke, Novellen und Tragödien, wären ihm bei einer Feuersbrunst in Hamburg verbrannt; schweigen muß, wenn Herr Heine behauptet, von einem Fiaker in Paris, „der ein alter Jakobiner war“ dies und das gehört zu haben; schweigen muß, wenn Herr Heine in seiner erwarteten kleinen Schrift über L. Börne sagen wird: „Und Abends geh’ ich oft auf die Höhe des Montmartre und benetze auf dem Père la Chaise mit meinen Thränen das Grab des edlen Mannes, der mich verkannte.“ Kurz, ich weiß nicht, wozu sich alles Herr Campe verpflichtet hat; aber mir und meinen Freunden traue Herr Heine nicht zu, daß wir eine Rolle und noch dazu die Rolle der Düpes übernehmen werden, wenn er in seiner gewohnten Art mit dem Deutschen Vaterlande Comödie spielt!

596 Was soll man zu den indiscreten Veröffentlichungen fremder Briefe sagen, die Herr Heine sich in seinem Schreiben an Herrn Campe erlaubte? Wahrlich, wer zu solchen Kunst-Mitteln greifen muß, bei dem muß die natürliche Kraft bis zur Ohnmacht versiegt seyn. Werden durch diese unerlaubte Handlung die Mystificationen, die Herr Heine mit seinem Vaterlande von Paris aus treibt, gerechtfertigt? Statt uns mit bessern Dichtungen, als die in der Europa sind:

Madame, wünschen Sie
Bei der Herzogin vorgestellt zu werden

statt uns mit Dramen, Novellen, humoristischen Genrebildern zu erfreuen, will er uns durch Mystificationen unterhalten. Er will uns glauben machen, daß all’ sein Witz, sein Freimuth, sein Tiefsinn seit drei Jahren von der Censur gestrichen wäre. Er mag sich darüber mit Herrn Campe verständigen! Welche ultrahumoristische Dreistigkeit aber, mich und meine Freunde zu Verbündeten der Deutschen Censur zu machen! Intrigue, Kabale sieht er, wo die Welt nur offne Wahrheit sieht. Er will es für eine fremde Machination ausgeben, daß er seit mehren Jahren leider aufgehört hat, besonders originell und geschmackvoll zu seyn. Es sind dies Kindereien, die Jeder durchschauen wird, gegen welche aber Männer, welche er dabei eine Rolle spielen läßt, sich ernstlich verwahren müssen.

Für wie unedel ich auch den Menschen Heine halte, so groß wird doch immer meine Achtung vor dem Schriftsteller seyn. Niemand kann sich über die Anklage, als benutzt’ ich meinen Wohnort Hamburg zu Intriguen gegen Herrn Heine, mehr verwundern, als ich. Ich soll der neckende Überall und Nirgends seyn, dieser unruhige Poltergeist, der Herrn Heine alle die kleinen Malicen, welche sich seit einigen Jahren die Deutsche Presse gegen ihn erlaubt, zu Wege bringt? Ich hätte für jenen moralischen Ekel, den sich E. Beurmann aus Paris an Herrn Heines persönlicher Erscheinung, die ich immer noch so gern für ungemein anziehend halten möchte, holte, diesem die Ipecacuanha dazu gemischt u. s. w.? Herr Heine, der mich als einen Intriguanten schildert, zwingt mich, jetzt einen Theil meiner wahren Stellung ihm gegenüber auszusprechen. Er verletzte das 597 Geheimniß fremder Briefe; ich will das Siegel von meinen eignen lüften und jenes erste Schreiben hier abdrucken lassen, von dem er selbst, unser Père Enfantin, mit so wohlwollender Herablassung und vornehmer Duldung spricht. Es ist Zeit, einmal offenbar zu machen, wie ich mit meinen Freunden conspirire, woran ich denke, wenn ich mich gegen Verläumdungen zu decken suche, ob an meinen Egoismus, oder an die Interessen der Literatur. Man überzeuge sich nun, wie ich gegen Herrn Heine intriguire! Ich schrieb an ihn:

601 Hamburg, 6. August 1838.

Der Augenblick einer persönlichen oder schriftlichen Begegnung, verehrter Herr Doktor, mußte zwischen uns doch einmal früher oder später eintreten; denn schon seit langer Zeit bin ich auf dem Sprunge nach Paris zu kommen, oder die Interessen des Telegraphen hätten mich zum Schreiben bewogen, oder die innige und aufrichtige Hochachtung, die ich für Sie hege, hätte zuletzt jedenfalls die Schranke gebrochen und mich um so mehr auf Erwiederung eines dargebrachten Grußes hoffen lassen, als ich von Campe sowohl wie von Dr. Wihl die Zusicherung bekommen habe, daß Sie meine literarischen Entwickelungen mit wohlwollender Theilnahme verfolgen und aus ihnen ein Bild meiner Persönlichkeit entnommen haben, auf welches Sie Ihre Augen nicht mit Mißtrauen heften würden. Freilich ist nun die Veranlassung, die ich grade jetzt zum Schreiben genommen habe, für mich eine sehr unglückliche und für Sie wird sie eine zweideutige seyn. Ich weiß nicht, was Sie zu dem fernern Inhalt dieses Briefes sagen werden, ob Sie meine Absicht mißdeuten; ob Sie gleich beim Beginn unsers nähern Verhältnisses, unmuthig über meine von Ihnen nicht einmal provozirte Aufrichtigkeit, es nicht schon abbrechen werden; genug, es ist mit Gefahr verbunden, daß ich Ihnen schreibe, was zu schreiben mich meine Liebe zu Ihnen, meine Bewunderung Ihres Geistes, meine Achtung Ihres Ruhmes zwingt.

Jeder, der mit Campe so nahe stünde, wie ich, würde auf 602 Nachrichten von Ihren Unternehmungen und Plänen neugierig seyn. Ich bin es um so mehr, da sich für mich an Ihre Briefe und Vorhaben nicht blos persönliches, sondern allgemein literarisches Interesse knüpft. Ich frage Campe: Was hat Ihnen Heine geschrieben, was bereitet er vor, was können wir hoffen? Seyen Sie ihm nicht ungehalten, daß er mir in solchen Fällen wohl eine Stelle Ihrer Briefe liest, daß er mir etwas mittheilt, was eben unter die Presse gehen soll! So hab’ ich Ihre Nachrede zu dem Supplement des Buches der Lieder gelesen; so hab’ ich das Material, was zu dieser Ergänzung bestimmt ist, selbst gesehen. Letzteres kam nämlich vor einigen Tagen von Darmstadt zurück, wo die Censur nach langem Besinnen den Druck verweigert hat. In Betreff dieses Nachtrages ist es, daß ich Ihnen schreiben wollte. Hören Sie nun und handeln Sie nach Ihrem Gutdünken!

Es wird Ihnen selbst in Paris nicht die Bemerkung entgangen seyn, daß sich das Urtheil über die Literatur der letzten zehn oder zwölf Jahre gegenwärtig bei uns in einer Krisis befindet. Das literarhistorische Urtheil scheint sich feststellen zu wollen; man nimmt die Akten der frühern Prozesse wieder vor, instruirt sie von Neuem, bringt neue Entscheidungsgründe heran, Natürlich befinden Sie sich, als gemachter Autor gegen die erst sich Machenden, in einem großen Vorsprunge. Unsre Namen sind in den Sand, Ihrer ist schon in Erz gegraben; und dennoch ist auch der Moment für Sie ein sehr beachtungswerther. Es ist nämlich die junge Generation selbst, an die jetzt die Kritik gekommen ist. Für mißliebige Urtheile hat man jetzt nicht mehr den Trost, daß ja diese Pedanten und Professoren und Hofräthe unverbesserlich sind. Schon Menzels Umkehr und Treulosigkeit war eine bedenkliche Wendung. Die Partheien trennten sich und Zahllose fielen ab und wandten sich einer sogenannten Tugend, dem Vaterlande und den guten Sitten zu. Vollends beachtenswerth ist aber die gegenwärtige Erscheinung, daß sich grade der jüngere Nachwuchs, der sich durch Sie und theilweise auch durch uns später gebildet hat, als entscheidende Instanz aufzuwerfen beginnt. Pfizers Kritik konnte vielleicht nur noch einige Wenige 603 zu Menzel hinüberführen, aber unbedenklich nachtheilig ist das, was Ruge über Sie geschrieben hat, sind die Persönlichkeiten, die Beurmann mittheilte, und so vieles Andere, was Ihnen hoffentlich in Paris entgangen seyn wird. Ich bin nun der Überzeugung, (und halte mich verpflichtet, Ihnen sie mitzutheilen) daß, wie die Sachen jetzt stehen, Ihre Verhältnisse zur Deutschen Bildung, Nationalität und Literatur wenn nicht vollkommen, doch bei Weitem überwiegend günstig ausfallen; daß Sie aber, wenn diese Gedichte des beabsichtigten Nachtrags erscheinen, in die Waage Ihrer Beurtheilung ein Gewicht legen, welches auf der Schaale der gegen sie erhobenen Beschuldigungen centnerschwer lasten wird. Alle die Verse, die Pfizer mühsam aus dem Buche der Lieder zusammenlesen mußte, bieten Sie ihm jetzt dutzendweise dar. Ich möchte denjenigen genannt wissen, der nach Veröffentlichung jener Gedichte wagen würde, Sie in Schutz zu nehmen. Gentz ist todt, Varnhagen ist stumm, Laube hat Rücksichten; sonst wüßt’ ich Niemanden.

Dichter der Reisebilder, man hat Dir viele Sünden vergeben, weil es Dornen an Rosen waren; aber diese neuen, Heine, die nur Dornen sind, vergiebt man Ihnen nicht! Für „den ungezogenen Liebling der Grazien“ giebt es auch eine Gränze, und diese haben Sie in jener Gesangsmanier längst überschritten. Sie kennen die allgemeine Stimme, die über Ihre Gedichte auf die Pariser Boulevardsschönheiten mit den stolzen Namen: Angelika u. s. w. im Salon in Deutschland herrscht; warum in dieser Manier noch eine so fruchtbare Nachgeburt? Nennen Sie mir die Nation, die solche Sachen in ihre Literatur aufgenommen hat? Wer hat in England, in Frankreich dergleichen zum Jocus der Commis herausgegeben, Gedichte, die man sich vorliest in Tabacksqualm, bei ausgezogenen Röcken, in einem gemietheten Zimmer, unter leeren Flaschen, die auf dem Tische stehen! Beranger scheut sich nicht, von einem nächtlichen Besuch bei einer Grisette zu sprechen; aber sagt er „ich habe mich wohlbefunden“? Spricht sich bei ihm je das Gefühl von Übersättigung und aufgestachelter sinnlicher Trägheit aus? Ich verletze Sie, indem ich dies schreibe, aber ich muß es 604 Ihnen sagen; denn Sie scheinen mir in einer Sorglosigkeit über Ihren Namen befangen, die gränzenlos ist. Sie gehören doch einmal den Deutschen an und werden die Deutschen nie anders machen, als sie sind. Die Deutschen sind aber gute Hausväter, gute Ehemänner, Pedanten, und was ihr Bestes ist, Idealisten. Ich spreche hier meinen eigenen literarischen Erfahrungen nach; ich weiß, wie hoch man in Deutschland die Saiten spannen darf, aus dem Erfolge meiner eignen Schriften. Sie waren schon in Paris, als plötzlich die Anklage der neuen Literatur auf Unsittlichkeit ertönte; Sie konnten sich nicht selbst überzeugen, wie vernichtend dieser Vorwurf wirkte. Wer damals von den Autoren nicht wenigstens Geist hatte, war unrettbar verloren. Welcher Deutsche Autor aufhört in die Höhe zu blicken, wer in seinen Augen den himmlischen Glanz verliert, der verliert auch seine Stellung im Volke. Ich könnte Ihnen hier viel, viel mittheilen und ausführen, aber ich fasse mich kurz und sage Ihnen: durch diesen Nachtrag ruiniren Sie Ihre Stellung so, daß selbst Ihre Freunde die Feder niederlegen und sich bescheiden müssen. Geben Sie das Buch auf! Der Ratcliff ist ja Jedermann zugänglich, die Nachrede lassen Sie, wenn es nirgend anders ist, im Telegraphen drucken, und das wenige Gute, was sonst noch in dem Material vorliegt, finden Sie schon Gelegenheit, hier oder dort unterzubringen, ich meine, in Ihren eignen spätern Werken, nicht in Journalen.

Machen Sie nun mit diesem aufrichtigen Geständnisse und Rathe, was Sie wollen; ich bin mir der besten, der ehrlichsten Absicht bewußt. Ich sehe, daß Sie an einem Abgrunde wandeln, den Sie nicht sehen. Ich warne Sie, die Akten Ihrer, ich möchte sagen literarischen Seligsprechung nicht zu verderben. Verdorben aber sind sie, wenn sie jetzt noch einen solchen Stoß von Anklagepunkten aufhäufen und allen Ihren Gegnern die Beweise muthwillig in die Hände spielen. Halten Sie mich für einen Pedanten? Oder glauben Sie, daß ich die grade im Prosaischen und Ordinairen gesuchte Originalität jener Poesieen nicht zu kosten wüßte? Ich weiß es, hier ist der Punkt, wo Sie mir am meisten widersprechen; gerade etwas originell-Pro-605saisches, auf den Kopf Gestelltes und doch Poetisches dabei wollen Sie geben; Ihre Begriffe über Poesie scheinen mir in einer theoretischen Verwirrung zu seyn: aber Deutschland, das versichr’ ich Ihnen, wird sie praktisch verstehen und Ihre Gegenwart fallen lassen; da man Ihnen freilich die Zukunft, Ihrer Vergangenheit wegen, nicht nehmen kann.

Ich müßte bei Ihnen seyn, um mich ganz so auszusprechen, wie ich möchte. Was hätt’ ich Ihnen nicht Alles über die Stellung der Partheien und die Resultate, die wir als wirklich gewonnen und die wir als verloren ansehen müssen, mitzutheilen! Nur in flüchtigem Umriß hab’ ich angedeutet, was hier Alles zu erwägen wäre. Vielleicht ergänzt Ihre Phantasie und die selbst dem Großen schön stehende Bescheidenheit, was ich Alles noch verschwiegen und der trägen, Zeit raubenden Feder nicht übergeben habe. Ich gesteh’ es leider, daß für unser Verhältniß viel davon abhängt, ob Sie meinen Rath befolgen; denn wenn auch unverändert bliebe die Achtung vor Ihren großen Gaben, so würde doch in dem Eifer, für Sie zu wirken, manche der Sehnen, die ich für Sie noch nicht alle in Thätigkeit gesetzt habe, vor der Zeit erschlaffen. Seyen Sie versichert, daß so aufrichtig und treu, wie ich, noch Wenige zu Ihnen gesprochen haben und daß mein Rath mehr werth ist, als ein Schwall lobender und nichts sagender Allgemeinheiten, mit denen ich mich Ihnen nähern könnte, wäre nicht unser Verhältniß ein organisches. Erfreuen Sie mich bald mit einer Antwort und erhalten Sie Ihr Wohlwollen Ihrem u. s. w.

K. Gutzkow

Herr Heine befolgte meinen Rath und dankte mir mit jenen ihm eigenthümlichen aus Ironie, scheinbarer Gutmüthigkeit und vornehmer Berücksichtigung zusammengesetzten Wendungen. Er war befugt, mich an die Geschichte vom Splitter und Balken zu erinnern und deutete an: „Ihm wärs um eine gewisse vornehme Literatur zu thun.“ Es thut mir leid, meine Antwort auf diese Theorie von einer vornehmen (in den Anschauungen 606 Gentzens, Varnhagens und Laubes wurzelnden) Literatur nicht abdrucken zu können, da ich von dem Briefe keine Abschrift behielt. Da Herr Heine so sorgfältig seine erhaltenen Briefe zu dem edlen Zwecke unerlaubter Veröffentlichung aufbewahrt, sollte er ihn drucken zu lassen den Muth haben. Er würde nicht minder, wie der vorige bezeugen, wie unwürdig Herr Heine meiner ihm so frei und treu ausgesprochenen Achtung war.

Wenn man die von Herrn Heine mitgetheilten Auszüge aus den Briefen des Herrn Campe lies’t, so wird man zwar zunächst nur das Gefühl des tiefsten Unwillens über den Scandal der Indiscretion haben. Dann aber wird man sich bald eingestehen, daß Herr Campe ein Buchhändler ist, der bei allen persönlichen Vorzügen doch mit dem Edlen, Schönen, Großen nur - Geschäfte macht. Luthers Reformation war für den Verleger Luthers - eine gute Conjunktur; das, wofür Rousseau sein Leben gelassen hätte, wird sein Verleger immer eine Spekulation nennen, eine ernste Unternehmung wird der Buchhändler seinem Geschäftsfreunde so mittheilen, daß er sagt: „da hab’ ich etwas ausgeheckt.“ Häßlicher ist die Darstellung des Verhältnisses zu meinen Freunden. Freie, für sich selbst verantwortliche Bildungen werden da für mein Werk ausgegeben, aus Anhänglichkeit wird Interesse, das Organische wird als Maschine dargestellt. Was mich auf die Freundschaft eines Mannes, wie Ludwig Wihl, so stolz macht, ist nicht allein das feste Vertrauen, das ich auf sein Herz setzen kann, sondern noch weit mehr das freie Entgegenkommen der aus ihm selbst sich entwickelnden Überzeugungen seines Geistes. Würd’ ich auch das Unglück haben, in so viel persönliche Fehde verwickelt zu seyn, wenn ich die Gewohnheit hätte, meine Freunde immer für mich ins Feuer zu schicken? Eher hindr’ ich sie an freundlichen Äußerungen ihrer Ansichten über mich; denn ich kenne die traurige Verdächtigung, der sie sich aussetzen. Ohnedies bedarf Ludwig Wihl keines Partheianschlusses, da er als Dichter und Kritiker auf persönliche, keiner Rückwand bedürftige Geltung Anspruch machen kann. Ich muß es ihm selbst überlassen, sich auch seinerseits die Rolle zu verbitten, die 607 ihn Herr Heine in der von ihm um jeden Preis beabsichtigten Mystification spielen lassen will.

Zum Schluß bitt’ ich Herrn Heine, sich doch am Genius unsrer Literatur nicht so sträflich zu versündigen, daß er die Geduld seines Vaterlandes auf so peinliche Proben stellt. Was soll die Nation denken, wenn sich ihrer besten Köpfe eine solche Zügellosigkeit und Scandalsucht bemächtigt! Ich bitte Herrn Heine, an den Verlust seines von so Vielen noch immer geachteten Namens nicht das Äußerste zu setzen! Diese Farce mit der eigenmächtigen von Herrn Campe, Wihl und mir gewagten Censur seines Schwabenspiegels (eine offenbar absichtliche Selbsttäuschung), sey nun zu Ende gespielt mit der Beschämung, vor welcher wir ihn leider nicht retten konnten, die aber dem Humoristen vielleicht von dem lachenden Theile des Publikums verziehen wird. Wenn jedoch die Absicht des Herrn Heine, durch solche Umtriebe sich ein neues Relief geben zu wollen, allzudeutlich wird, wenn er, statt uns lieber Gedichte, Trauer-, Lust-, Schauspiele, Romane, Novellen oder auch nur Reisebilder zu schreiben, jetzt auf den Boulevards herumgrübelt und sich aussinnt, wie er diesen Artikel wohl recht pikant beantworten, mich wie Pfizer etwa an den Galgen bringen oder wie Wolfgang Menzel mit dem isabellfarbnen Hemde meiner Frau widerlegen könnte, so würde es mich tief, nicht meinet- sondern der Literatur und seinetwegen schmerzen; denn müßte dann nicht die Achtung vor diesem einst so reichen Geiste, der seit beinahe sechs Jahren nichts mehr schaffen zu können scheint, und, um sich nicht vergessen zu machen, nach dem schmutzigsten Scandale greift, vollends verloren gehen?

Apparat#

Bearbeitung: Wolfgang Rasch, Berlin#

1. Textüberlieferung#

1.1. Handschriften#
1.1.1. Übersicht#

Es sind keine handschriftlichen Überlieferungsträger bekannt.

1.2. Drucke#
J [Karl] G[utzkow]: Herr Heine und sein Schwabenspiegel. In: Telegraph für Deutschland. Hamburg. Nr. 75, [10.] Mai 1839, S. 593-597; Nr. 76, [11.] Mai 1839, S. 601-607. (Rasch 3.39.05.10)

2. Textdarbietung#

2.1. Edierter Text#

J. Der Text folgt in Orthographie und Interpunktion unverändert dem Erstdruck. Textsperrungen werden übernommen. Silbentrennstriche (=) werden durch - wiedergegeben. Die Seitenzählung wird mit Klammern [ ] an den betreffenden Stellen in den Text eingefügt.

Die Liste der Texteingriffe nennt die von den Herausgebern berichtigten Druckfehler sowie die Emendationen. Fehlende oder überzählige Spatien im Erstdruck wurden stillschweigend korrigiert.

2.1.1. Texteingriffe#

5,4 zu machen zumachen

11,4 persönliche, persönliche;

Kommentar#

Der wissenschaftliche Apparat wird hier zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht.