Wir stellen die Gutzkow Gesamtausgabe zur Zeit auf neue technische Beine. Es kann an einzelnen Stellen noch zu kleinen Problemen kommen.

Julius Max Schottky, Professor. Eine Skizze#

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Herausgeber
  1. Wolfgang Rasch
Fassung
1.0
Letzte Bearbeitung
22.11.2019
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105 Julius Max Schottky, Professor.#

Eine Skizze.#

Wo ließ es sich schöner leben als in Botzens duftigen Weinthälern, Italien im Auge, die Etsch zu seinen Füßen? Und in diesem Paradiese war es, wo Julius Max sein Auge schloß, hier verstummte sein ewig bewegter Mund, hier starb er. Doch wollt’ es der Himmel gnädig mit ihm, sandte ihm als Vorboten des Todes erst den Winter, sammelte Schnee auf den Bergesgipfeln, entblätterte die Maulbeerbäume und ließ es so kalt, öde und zugig werden, daß dem armen Dulder wenigstens die Pein der Entsagung nicht zu hart ankommen mußte, daß er noch einen seiner ersterbenden Blicke, ohne auf die Symbole des Lebens zu stoßen, zum Fenster hinauswerfen konnte. Welch altes Weib mag ihm den letzten Trunk Wasser gereicht haben! Wie erstaunt muß die Todtenwäscherin gewesen seyn, als sie nach seinem Kopfe fühlte, und ihr der falsche Haarprunk des entseelten Jünglings von vierzig Jahren in den Händen blieb! Du guter Schottky! verzeihe Deinem Freunde, mit dem Du im Leben nie anders als lächelnd sprachst, daß er noch in Deiner letzten Stunde mit Dir Scherze treibt und Deinen fernen, einsamen Grabeshügel mit muthwilligen, lachenden Blumen bestreut! Vergieb, der Du viel vergeben! Lache, wie Du oft thatest, wenn der Wurm der Vergänglichkeit schon an Deinem Mark nagte! Ich habe kein Bild von Dir, wie Du hast einsam auf einem Erkerstübchen sterben können, wie ein frommer Mönch Dir das Allerheiligste zeigt, wie Du auf geweihter Erde ruhen magst, oder das Bild ist so wehmüthig, so untreu Deinem vollendeten Leben, daß ich dabei nicht verweilen darf, wenn ich einige Züge Deiner heimathlosen Irrfahrt, welche man Dein Leben nennen könnte, dem Gedächtnisse erhalten will. Ich beschwöre Dich, todter Julius Max Schottky, richte Deinen feuchten Leichnam aus dem Grabe auf; hier die Perrücke, hier die falschen Zähne, hier Dein einziger grüner Oberrock, hier das neueste Modekupfer, nach dem Du Dir Deine weiße Cravate binden magst, kehre zurück auf die Terrasse in Neuberghausen, wo wir oft Rettige aßen und Bock tranken, und Du mich dann an die Hand nimmst, um mich in Dein Museum zu führen! Hier liegen sie, die Bausteine Deiner jetzt um ihre Zukunft betrogenen Werke, hier liegen die tausend Zettel, auf welche Du die flüchtigen Beobachtungen des Augenblicks einfingst, hier der neue Roman, den Du in Thiersch’s Soirée vorlesen willst. Es klopft. Ein betreßter Diener bringt von seiner gräflichen Herrschaft einen gnädigen Gruß und diese Rolle mit vielem Danke zurück, es sind die Zeichnungen, welche Du auf eigne Kosten von alten Denkmälern der Malerei hast anfertigen lassen, und für welche sich mehrere Jahre hindurch kein Verleger finden wollte, ein Exemplar dieser Zeichnungen schicktest Du der Gräfin zur Ansicht, sie sah sie an und kauft sie nicht – und kauft sie nicht! Schottky, was sich da auf Deine Mienen legte, das war kein verdammtes Lächeln, sondern ein lächelndes Verdammt! eine süßliche Desperation, eine anständige Erbitterung, ein Ausdruck aller Deiner Eigenthümlichkei-106ten, den man gesehen haben muß, um ihn zu beschreiben, und siehe, ich schicke mich dazu an, mein seliger Freund, ich bin schon im besten Zuge, alle Thüren meines Gedächtnisses sind aufgesperrt, und alles, was sich über Dich in ihm vorfindet, mag in lustigem, buntscheckigem Aufzuge in der ganzen Grandezza Deiner verstorbenen Lächerlichkeit hier jetzt öffentlich hervortreten.

Die biographische Skizze über Karl Schall, welche sich vor einiger Zeit in diesen Blättern befand, drängt mir eine Parallele auf, welche sich zwischen jenem und meinem Helden ziehen ließe. Auch Julius Max Schottky war ein Schlesier und erzählte mir oft von den Erbschaftsantheilen, die er hinter Breslau noch einst zu erwarten hätte. Auch er war das Glück der kleinen Welt, die sich gerade um ihn befand, er heirathete nie, lebte am liebsten unter Frauen, las vor und schrieb Verse. Nur unterschied er sich zuerst dadurch von Karl Schall, daß ihn Viele unausstehlich fanden, daß man weniger mit ihm als über ihn lachte, daß er so vieles, was er gern seyn mochte, z. B. Elegant, Gourmand, nicht seyn konnte, sodann aber durch viel Anderes. Schottky war Gelehrter, und besaß alle die schmuzigen Eigenschaften, welche sich aus dem Leben in den Dachstuben gewöhnlich erzeugen, er war ein eleganter Bücherwurm, der mit der Dinte am Schreibfinger in die Gesellschaft lief, der mit einem Loch in den Stiefeln den Damen in ihrem Boudoir aufwartete, er gehörte zu den Menschen, welche eigentlich keine Handschuhe tragen, und trug welche, aber sie waren danach, der Schmuz der Gelehrsamkeit blickte hervor auf den Manschetten, dem Vorhemdchen, und doch war es viel, daß er dergleichen trug. Nur bei seinem Rocke schien ihn die Consequenz seiner Toilette verlassen zu haben. Denn er trug seinen Rock immer fein gebürstet, kein Härchen, kein leisester Federflaum war darauf zu erblicken, eine Maßregel, die er vielleicht deshalb ergriffen hatte, weil dieser grüne Oberrock der einzige war, der seit Jahren auf seinen unsaubern Leib kam. Schottky war ein gelehrter Elegant mit dem ganzen Widerspruche, der in dieser Bezeichnung liegt. Das kam in seinen Kleidern zum Vorschein, das in seinen Sitten. Denn jener taktfeste, gleichmäßige Anhauch des Wohlwollens und des freundlichen Anstandes, welcher sich im Gefolge vornehmer Geburt oder guter Vermögensumstände zu befinden pflegt, war ihm unbekannt, seine Freundlichkeit war Grimasse, sein Lächeln beleidigend, seine Höflichkeit eine zudringliche Unterwürfigkeit. Ließ sich darin der Gelehrte verkennen? Schottky besaß im höchsten Grade den Witz der Erfahrung, daß von dem hohen Adel und einem verehrungswürdigen Publicum für die einsamen Studien des vierten Stocks wenig zu erwarten ist, allein es war ein unabweislicher Instinct, den er mit dem Staube seiner Pergamente einsog, sich nur von Gönnern umgeben zu denken; er begab sich freiwillig in eine lächerliche Unterredung, und ließ sich belachen auf Kosten einer Anerkennung welche ihm mit drei scherzenden Worten verloren hingeworfen wurde.

111 Dabei hatte ihn seine Philosophie der Eleganz auf den Grundsatz geführt, daß man in die Gesellschaft niemals mit dem Duft seiner häuslichen Gelehrsamkeit oder Berühmtheit treten dürfe, sondern während er am Kratzeisen draußen vor der Thür seine Schuhe reinigte und dem Bedienten seinen Hut einhändigte, schüttelte er alle Lobeserhebungen, die ihn je getroffen, von sich, streckte frei und heiter seine Fühlfäden aus dem Mittelalter, in welchem seine Studien lebten, hervor, drückte seine schlaffen Halskragen an die graue Wange, damit sie steif stünden, und war einen ganzen Abend hindurch nichts als das Geschöpf des Augenblicks, weder Professor, noch Autor zahlloser Schriften, warf Alles von sich, was ihn gehindert hätte, jeden Moment so kurz, so genossen, so liebenswürdig als möglich zu machen. Trotz seiner Perrücke und seiner vierzig Jahre war er jung, er griff nach den schönsten Blüthen und Solitären der Gesellschaft, verspielte Pfänder, ließ sich als Blindekuh brauchen, sang, hüpfte, tanzte und stieß ein süßes, wonnetrunknes Hm! nach dem andern aus. Hm! meine Würdigste! wie liebenswürdig Sie sind! Hm, hm, ja, hm, wollen Sie mir die Augen verbinden? Hm, ja, wollen die Gnädigen lebende Bilder aufführen? Hm, hm, ich lasse mich placiren, wohin die Damen wollen; oder hm, hm, ja, hm Alles, nur wie Sie befehlen, meine Schöne. – Man sieht, es war etwas Schwulst in seiner Grazie, allein seine leuchtende Miene machte Alles wieder gut; er war Held in diesem Augenblicke, er schien sich ein Antinous, ein Achilles unter Weibern und hätte sich auf der Stelle bereit gefunden, für eine unterlassene Schmeichelei, für einen ungeschickten Fußtritt auf der Kante eines Bortenkleides mehrere Pfunde seines literarischen Gewichts zu verkaufen. Man wird gestehen, daß ich Recht hatte, Julius Max Schottky einen gelehrten Elegant von etwas Schwulst zu nennen.

Ueber seine Lebensumstände hab’ ich nur Folgendes mitzutheilen: Er kam, ich weiß nicht nach welchen bestandenen Prüfungen, als deutscher Lehrer an das Gymnasium in Posen und schien hier in geheimen Aufträgen, die er von Berlin aus empfing, noch Nebengeschäfte zu treiben. Wenigstens bildeten sich seine Schüler ein, daß er ein preußischer Spion sey, und hatten eine Pulvermine unter dem Katheder angelegt, ihren Professor an einem schönen Frühlingstage in die Luft zu sprengen. Schottky, ein schlauer Kopf, roch das Pulver und sprang, während er seinen Polen die komische Geschichte des heiligen Gral auseinandersetzte, noch zur rechten Zeit von seinem Sessel, schrie über Verrath und Meuchelmord so laut, daß man ihn bald in Berlin hörte und nach der Hauptstadt abrief. Seitdem wurzelte sich in Schottky’s Seele ein vielverzweigter Haß des polnischen Namens, er verlernte absichtlich die wenigen slavischen Laute, die er verstand, und bereitete sich gründlich zu einer Gesinnung vor, die ihm später so glücklichen Eingang in die vornehmen Cirkel verschaffte. Schottky hatte noch Freunde, die Pulververschwörung compromittirte ihn bei seinen Behörden nicht, sondern sie ließen ihm seinen Gehalt und beschäftigten ihn in Breslau, wo er im Aufräumen und Ordnen der durch Secularisationen vermehrten Bibliothek half. Hier bildete sich sein großes Talent für alte Bücher aus, hier entschied sich jene Neigung für Archive, welche während seines ganzen Lebens vorherrschte. Eine Klosterbibliothek, ein paar Randglossen und Titelgemälde in alten Handschriften bestimmten ihn, fünf Meilen für einen Spaziergang zu halten, er machte sich auf den Weg, klopfte den Pförtner heraus, begehrte Einlaß, war freundlich, herablassend, interessirte sich für jedes geistlichen Bruders eignes Beet im Klostergarten, aß an der reichen Tafel des Priors und kramte in den alten wurmstichigen Folianten der Klosterbibliothek so lange, bis er für zwei Verläumdungen, die ihn während seines ganzen Lebens verfolgten, reif war. Welches waren diese Verläumdungen? Die Gelehrten behaupteten erstens, Schottky sey nicht gründlich genug, er husche über die Schwierigkeiten der Manuscripte hinweg und bringe die Oberflächlichkeit, welche in der Gesellschaft immer ein so großes Talent ist, da am unrechten Orte an, wo es sich um diplomatische Genauigkeit handle. Der zweite Vorwurf, der unsern Helden traf, ist der, daß er keine Bibliothek besuche, ohne ihr irgend einen Schatz zu entwenden, ja es ist erwiesen, daß er aus Wien verwiesen wurde, weil er bei jedem Gang in die kaiserliche Bibliothek immer in dem Unterfutter seiner Rocktasche eine Rückfracht, aus einem Pergament oder einer seltenen Incunabel bestehend, mit sich nahm. Was ist da weiter? das war eine Eigenthümlichkeit, welche man seiner Liebe zur Wissenschaft zu Gute halten mußte.

113 Von Breslau zog Schottky abwechselnd nach Dresden, Leipzig und Weimar, wo er überall Freude und Gelächter verbreitete. Dann zog er nach Prag, einem Orte, den er für sein ganzes Leben am liebsten gewonnen hatte. Seither entschied sich seine große Vorliebe für Böhmen, er lernte die Sprache des Landes, dichtete alle Vornehmen an und verschaffte sich durch seine Umgänglichkeit den Schlüssel zu den Privatarchiven derselben. An der Hand des Abtes Dombrowsky suchte er das böhmische Mittelalter zu lichten, er studirte eifrig über die Hussiten, über Wallenstein, über ältere Literatur, in derselben Zeit, wo er sich in seiner gesellschaftlichen Blüthe befand. Denn in Prag namentlich entwickelte er all die Regsamkeit, welche ihn zum willkommenen Freunde der Damen, zum Brennstoff jeder Unterhaltung machte. Es wären seine glücklichsten Tage gewesen, die er in Prag verlebt hätte, sagte er mir oft, und als ich selbst in Prag war, wußte alle Welt von dem kleinen preußischen Professor zu erzählen, der eine Perrücke trug, das böhmische Mittelalter studirte und alle Cirkel entzückte. Nur wenige verzogen die Miene, wenn sie von ihm hörten, namentlich die Calve’sche Buchhandlung, die bei Nennung seines Namens immer eine Prise nimmt, um sich zu zerstreuen, und die Vergangenheit zu vergessen, außerdem, wie man mir sagte, seine Wäscherin, seine Wirthin und der Perruquier. In Wien stellte er sich wieder auf die altdeutschen Studien, weniger aus Vorliebe als aus Zwang; denn der preußische Staat hatte ihm einstens sagen lassen, daß er nicht gesonnen sey, seine Galanterien zu pensionniren, sondern eifrige Beförderung der Wissenschaft von ihm erwarte, ja es war sogar davon die Rede, ihm seinen Professorsgehalt gänzlich zu entziehen. Schottky stutzte, setzte sich auf einen prager Stellwagen, ließ sich augenblicklich in Teplitz dem Könige von Preußen vorstellen, erzählte ihm die Geschichte von der Pulververschwörung und hatte seine Pension gerettet. In Wien besorgte Schottky die Abschriften vieler altdeutschen Gedichte, machte sich durch das Auffinden der ächten Verse des Wolfram von Eschenbach’schen Titurel verdient, reiste durch das ebene Land und das Gebirge, um Volkslieder zu sammeln, und verirrte sich auf diesen Fußwanderungen eines Tages so weit, daß er es vorzog, statt nach Wien zurückzukehren, seinen Lauf gen München zu richten. Hier trat die Periode ein, in welcher ich ihn während eines halben Jahres zu beobachten Gelegenheit fand.

Als ich Julius Max Schottky zum ersten Male sah, waren gerade einige seiner blühendsten Hoffnungen zertreten worden. Seine Pension war ungeachtet der polnischen Pulververschwörung um ein Ansehnliches reducirt worden, eine Sammlung von altdeutschen Gemälden, die er hatte lithographiren lassen, lag ohne Verleger da, und selbst den seligen Herrn von Cotta konnte er für dies steinerne Unternehmen 114 nicht gewinnen, die münchener Buchhändler zuckten die Achseln, wenn ihnen Schottky seine Forschungen zum Verkaufe anbot; allein wie unglücklich ihn das Alles machte, so wurde es doch von einem andern Schlage, der ihn traf, überboten. Man denke sich, Schottky war nahe daran, den Glauben an das andere Geschlecht zu verlieren! Es ereignete sich Etwas, das ganz im Charakter der Münchnerinnen lag, ihm aber noch nie, weder in Prag noch Wien begegnet war. Schottky entschloß sich nämlich, zu den Vergnügungen des Winters 1832/33 auch einen geistigen Genuß zu fügen, und las vor den Mitgliedern des Museums, beides, Männern und Weibern, seine später im Druck erschienenen Untersuchungen über Wallenstein’s Privatleben. Er hatte sich Popularität zum Ziele gesetzt, citirte Schiller, um ihn zu widerlegen, und gab über seines Helden Leben so komische Details, daß er doch wenigstens die Lacher auf seiner Seite haben wollte. In der That gefiel es, ihn über die Futterrationen der friedländischen Pferde oder Rockknöpfe der Pappenheimer weitläufig verhandeln zu hören, die höchste Aristokratie aus der Ludwigs- und Briennerstraße in München fand sich im Museum ein, es war Ton unter den Damen, sich von dem liebenswürdigen Professor die Wirthschaftszettel der Wäscherinnen Wallenstein’s vorlesen zu lassen; selbst die Männer mußten lachen, wenn sie den süßen Julius Max „Hm, hm, ja, hm“ aus diesen Documenten den Schluß auf Wallensteins Ehrlichkeit und unverrätherische Absichten ziehen hörten. Endlich waren die Vorlesungen beendigt, und Schottky, der sie umsonst hielt, glaubte jetzt erst seine Rechnung zu machen. Er ließ sie drucken, in der Voraussetzung, daß keiner seiner zahlreichen Zuhörer unterlassen würde, das elegante Buch zu kaufen. Eine Ankündigung verging nach der andern, die Bälle, die Maskeraden lösten seine Vorlesungen ab, Niemand dachte noch an sie, Niemand kaufte sie. Das war ein Donnerschlag für Schottky; denn eine Zukunft von drei Monaten war auf dieses Calcul des schleunigsten Absatzes begründet. Er mußte sich entschließen, dem Vorstand des Museums seine Exemplare anzubieten, er glaubte fest, daß sich dieser zu einer außerordentlichen Sitzung versammeln und den Ankauf von zweihundert Stück decretiren werde, und war vernichtet, als sich die stolze Aristokratie herabließ, zwei Exemplare seines Buchs für die Bibliothek des Museums vom Buchhändler Franz kommen zu lassen. Schottky ließ sich mehrere Tage nicht sehen, er wollte katholisch werden und in ein Kloster ziehen, er phantasirte im Fieber und wurde erst wieder besonnen, als ihn das Museum zum Ehrenmitgliede ernannte, und er von der Last des monatlichen Beitrags befreit wurde. Er ging wieder aus, obschon mit einem unverkennbaren Zuge leidender Melancholie, und einem gewissen Spotte in seinen Mienen, wenn von der Schönheit der Münchnerinnen gesprochen wurde. Erst als die Sonnenstrahlen des Frühlings das Eis von der Isar wegschmolzen und der weiße Schneeglanz der fernen Gebirge immer höher an die Kanten der Spitzen rückte, thaute sein Inneres auf, er resignirte auf die Gesellschaft und entschloß sich, in den Thälern des Gebirges die Theilnahme zu suchen, welche ihm die Salons versagt hatten. Er hatte doch viel antichambrirt in seinem Leben, aber eine solche Behandlung war ihm neu geblieben.

118 Den Mittelstand kannte Schottky nie, sondern nur den Adel und den Bauer. Jener mußte ihm die Archive aufschließen, dieser ihm Lieder singen, welche er aufschrieb und sammelte. Man konnte den Landmann nicht besser behandeln, als es Schottky that. Er war Freundlichkeit, Spaßvogel, lachte gern und spielte keinen Kostverächter. Schon hundert Schritte vor der Wohnung eines Bauern rief er die Kinder, welche in der Thür standen, an, ob ihr Vater zu Hause sey, und lachte dabei so herzlich, daß die Kinder nicht anders glaubten, als er brächte Lebkuchen mit. Wenn es aber hieß, daß der Vater schon längst todt sey, so fuhr sich Schottky noch funfzig Schritte vom Hause entfernt über die Stirn und rief: „Hm, ja, hm, wie konnt’ ich das vergessen, Ihr lieben kleinen Buben und Mädel? aber die Frau Mama ist doch zu Hause?“ Wenn sich nun die Kinder ansahen und nicht wußten, was der spaßhafte Fremde mit der Mama sagen wollte, so fragte auch Schottky nicht viel danach, ob er eine Antwort bekam, sondern es war ihm nur darum zu thun, freundliche Gesichter zu sehen und mit Vorliebe aufgenommen zu werden; deshalb behandelte er Alles mit vornehmer, aber geschäftiger Herablassung; die Viehmagd, der Pferdejunge, der Gänsetreiber, jeder wurde mit einer hofräthlichen Achtung begrüßt, und er setzte Allem, was er zu diesen sprach, die Anrede an die Spitze: meine Theuerste! mein Würdigster, Gnädigster! Daher kam es, daß Schottky auf dem flachen Lande zwar immer für verrückt gehalten, aber doch sehr gern gesehen wurde. Man gab ihm immer das Oberste der Milch, die besten Fleischschnitte und die gethürmtesten Betten. Wenn er mit der Bäuerin ausgemacht hatte, daß er acht Tage lang in ihrem Hause bleiben würde, so streifte er am Tage in der Umgegend, wo er die Ansichten der Seen und Hügel in flüchtigen Umrissen zeichnete, besuchte Capellen und prüfte die Altarbilder, schrieb alle Denksprüche und Reime, welche an den Häusern standen, in sein Portefeuille und kehrte, wenn die letzten Abendsonnenstrahlen den fernen 119 Kirchthurm beschienen, zu seiner Wirthin zurück. Dann hatten sich die Knechte und Mägde schon zur Erholung in der duftigen Abendkühle versammelt, scherzten und lachten, und Schottky setzte sich mitten unter sie, seine ewige Schreibtafel heimlich hervorziehend. Jetzt zeigte er sich von der liebenswürdigsten Seite; er wollte, daß man sänge. Er ging zu jeder Dirne heran und sagte ihr die schönsten Dinge über ihr Haar, ihren Busen, ihre Hüften, und die, welche am blutrothesten darüber wurde, half sich am besten dadurch, daß sie seiner Aufforderung folgte und dreist einen Heureigen oder wenn wir vom Gebirg sprechen, einen Schnaderhüpferl, anstimmte. Schottky’s Galanterie erhitzte aber gewöhnlich dann die Bursche, welche ihn mit eifersüchtigem Auge verfolgten und erst ein Einsehen nahmen, nachdem der Volksliedersammler ein paar Kreuzer nicht gescheut und einigen Krätzer für ihre Kehlen hatte herbeischaffen lassen. Dann sangen sie mit frischer Kehle, und der entzückte Professor schrieb hurtig diese Erzeugnisse der Volkspoesie nieder.

Es war im Frühlinge des verwichenen Jahres, als ich zum ersten Male mit Schottky in Berührung trat. Meine Erwartung war auf das höchste gespannt; denn Niemand, der früher über ihn zu mir gesprochen hatte, konnte seinen Namen ohne Lachen nennen. Ich begriff das nicht. Schon vor mehrern Jahren kam ich im Gespräche mit Herrn von der Hagen auf diesen Gelehrten, den ich damals für einen Böhmaken hielt, und wußte nicht, warum dieser zu lachen anfing und einmal über das andere rief: Der gute Schottky! Wo er stecken mag? Er war doch liebenswürdig! Schottky gerieth in Entzücken, als ich ihn später in München traf und diese süßen Worte in sein Ohr träufelte, eine sanfte Resignation zog sich über die kleine Stirn, auf welche die Haare der Perrücke fast bis zu den Augenbraunen langten; denn nicht nur daß es selten geschah, daß er so uneigennützig gelobt wurde, sondern auch die Erinnerung an Preußen, an den Buchhändler Reimer, dem er als Honorar für eine nicht geschriebene Schrift hundert Thaler schuldete, an seine immer mehr verringerte Pension stieg mit wehmüthigen Zuckungen in seiner Seele auf. Er war von einer Seite berührt, von welcher man ihn in dem sinnlichen, genußsüchtigen München gar nicht gelten lassen wollte, und seine Geständnisse brachen in meiner Gegenwart oft mit wahrer Rührung durch die Täuschung seiner äußern Hülle. Ohne Rückhalt gestand er, daß ihm für einen Gelehrten die Combination, und für den Belletristen die Schöpfungsgabe versage, daß er in einer unbestimmten Schwebe zwischen zwei Fächern, in welchen er gleicherweise nichts Bleibendes wirke, gehalten werde und fortwährend die Wahl habe, entweder vom Freiherrn v. Hormayr für seine Beiträge zu dessen historischem Taschenbuche gar nichts, oder von Saphir für seine Aufsätze im deutschen Horizont das Versprechen eines halben Louisd’ors per Bogen, das immer nur Versprechen blieb, zu erhalten. Das waren einige schwache Augenblicke, wo er mir von diesen Dingen sprach; eine Pause der Erschöpfung, ein Abtrocknen der Stirn hinter den Coulissen, eine Beichte, welche er zum Glück bald wieder vergaß. Der Gruß einer Dame aus Thiersch’s Soiréen, die Erinnerung an Gustav Schwab’s Nichte, welche im Hause des Philhellenen lebte, störte ihn bald aus seiner Schwermuth wieder auf, er begann sein widerlich komisches, näselndes „Hm, hm, ja, hm,“ und lachte so zufrieden, daß sich seine kronenlosen, bemoosten Zahnreihen weit, wie zu einer pittoresken Aussicht öffneten.

Ich weiß, daß dem Bilde, welches ich bis hierher von meinem Helden entworfen habe, noch ein entscheidender Zug fehlt. Man irrt sich, wenn man glaubt, daß sich Schottky durch die Scherze, welche der Muthwille mit ihm trieb, gutmüthig täuschen ließ. Schottky war niemals der Dupe einer fremden Laune.

126 Schottky ließ Alles mit sich geschehen; das war die unterwürfige Gelehrtennatur, gegen welche er nicht konnte; aber daß er immer sehr bald das Maß jeder Uebertreibung erwogen hatte, lehrte ein einziger Blick aus seinem grauen, ins Grüne schillernden Auge. Er war gegen Männer selten jener liebenswürdige Fangball der Laune. Er lachte, er näselte, er fand es allerliebst, wenn man ihn persiflirte, aber sein Auge blitzte mit allen Farben des Chamäleons, unter denen die grüne immer die Oberhand behielt. Schottky wußte, daß sein Auge eine Verschwörung gegen die Menschheit war, er fürchtete die Schlangen, welche giftig aus ihm hervorzischten, und zog sie mit fast gränzenloser Geduld immer wieder zurück in den stillen Behälter des Herzens; allein zuweilen glitten sie ihm aus der Hand und bahnten sich durch alle Poren seines Antlitzes den Weg. Dann verwelkte Alles um ihn her, alles Blühende wurde blaß und verdorrte, man wich vor der verpestenden Sirokkowolke, welche er aushauchte, betroffen zurück; denn Freund und Feind, nichts blieb verschont. Der ganze künstliche Bau seines Benehmens fiel im Nu zusammen, der Jähzorn erstarrte alle Räder in der Maschine seiner Erscheinung, und es währte lange, ehe er die Schrauben und Stifte derselben wieder zusammenlas und sich auf Zeit, Ort und Umgebung besann. Ob er nach solchen Auftritten später versöhnlich war, kann ich nicht entscheiden, denn gewöhnlich trugen diejenigen, welchen er auf so tumultuarische Weise seine Freundschaft aufkündigte, wenig Verlangen, wieder in den Besitz derselben zu kommen. Dennoch halte ich dafür, daß er der Ausgleichung nicht unzugänglich war, weil das Mißtrauen doch immer die Folie aller seiner persönlichen Beziehungen bildete.

127 Unvergeßlich wird mir immer die Aufeinanderfolge von drei, vier Tagen bleiben, welche ich mit Julius Max auf einer Reise durch das baiersche Hochgebirge zubrachte. Es war ein glühender Junivormittag, als ich mich einer Karavane, aus dem bekannten Novellisten August Lewald, dessen Frau, einem jungen Musiker und Schottky bestehend, anschloß. Wir fuhren durch die Hirschgärten, welche München umgeben, und hatten gegen Mittag den weiten Spiegel des Würmsees erreicht. Obgleich unser Professor an heftigem Kopfschmerz litt, so ließ er’s doch an nichts fehlen, so liebenswürdig als möglich zu seyn! Eine Dame elektrisirte ihn immer. Es waren Autoren, welche zusammenwaren, natürlich nahm das Gespräch immer eine Wendung, welche für uns interessant seyn mußte. Schottky war reich an Anekdoten, welche er Lewald zur Bearbeitung empfahl; und in der That hatte er guten Geschmack. Die Erzählung von vier Engländerinnen, welche er in Dresden gekannt haben wollte, die sich das Versprechen gaben, nie einem Manne nachzugeben und alle durch eigne Hand sterben zu wollen, war artig genug. Er bedang sich als Gratuit einen Theil des Gewinnstes, welchen Lewald aus dieser Erzählung ziehen konnte. Schottky war den ganzen Nachmittag höchst drollig; wir mußten lachen, wenn er seine Schreibtafel hervorzog und jedes nur einigermaßen leserlich gesetzte Worte, das einem von uns entfiel, aufzeichnete; er versicherte uns auf Ehre, die Kosten der Reise sich an unsern Einfällen bezahlt machen zu wollen, und gestand, daß eine öffentliche Darstellung derselben in seinen ernstesten Vorsätzen läge. Wir mußten viel über ihn lachen.

Allein schon hinter Claremberg nahm sein Befinden eine üble Wendung. Er hatte so viel geredet, daß sein kranker Leib fieberte, und wir seinetwegen in einem Dorfe halten mußten. Er erholte sich, und wir wagten die Fahrt fortzusetzen. In der Nacht kamen wir im Bade Sulz am Peistenberge an, und ehe wir uns umsahen, war Schottky verschwunden. Der Kellner brachte uns eine freundliche Nacht und meldete, der Professor sey schon im Bette.

Der nächste Morgen zog einen feuchten grauen Regenflor über die ganze Gegend, die Ebene und das Gebirge waren darin eingehüllt, und nur einige Blicke in die romantisch-wilde Hinterwand des Herrenhauses blieben frei. Das war ein unwillkommnes Hinderniß unserer Reise. Allein selbst wenn die Sonne gelacht hätte, würden wir haben bleiben müssen; denn Schottky hatte sich von seinen üblen Anfällen noch nicht erholt. Wir klopften an seine Thür: keine Antwort; wir riefen: alles still. Eine Magd eilte herbei und bedeutete uns, daß der Professor vor neun Uhr sich nicht sprechen lassen würde. Er besaß die Eitelkeit, sich in seinem natürlichen Zustande Niemandem zu zeigen. Seine verschobene Perrücke würde ihn in die größte Verlegenheit gebracht haben; denn die Erwähnung nur eines Haares derselben brachte ihn außer sich. Um neun Uhr endlich ließ er uns herein, wir stürzten an sein Bett: Schottky, was machen Sie? Er lag mit gemachter Toilette, sogar mit seinem grünen Oberrock, dessen langen Kragen er à l’anglaise immer bis ans Ohr krempelte, und war in jedem Athemzuge nichts als ein lächelnder Schmerz. Wir bedauerten, ihn in dieser Lage zu finden, das Weiße seines Auges war krankhaft bewegt; doch lächelte er und sagte: in einigen Stunden hätte er sich erholt.

129 Schottky, sonst eifersüchtig auf seine Umgebungen, Alles verbergend, was sieben Fuß im Umkreis zu seinem Körper gehörte, mußte jetzt geschehen lassen, daß man Alles anfaßte, was er berührt hatte. Hier oder da hatte ein Gegenstand seiner Toilette gelegen, er verfolgte uns ängstlich, wenn wir uns dem Orte näherten. Spaßhaft war ein großes Papier voll kleiner Papiere, das auf einem Stuhle vor ihm lag, es waren die Bausteine seiner Studien; Alles, was er nur je in seinen frühen Wanderungen durch das Gebirg aufgelesen hatte, war hier in flüchtigen Buchstaben verzeichnet; Volkslieder, Localsagen, naive Antworten idyllischer Milchmädchen, Erinnerungen aus den Sennhütten, Inschriften über Capellen und Wohnhäusern. Ich verwickelte mich mit dem Kranken in ein Gespräch über seine Studien und bin gewiß, zu seiner Genesung beigetragen zu haben, da ich ihn auf das böhmische Mittelalter und die neuen Schriften brachte, welche er über dasselbe noch schreiben wollte.

Gegen Mittag theilten sich die Nebel, der Himmel blauete hier und da, und man sah nur noch in der Ferne das Gebirge rauchen. Die Sonne theilte das üppige Grün um uns her in helle und dunkle Partien, und Schottky trat lachend unter uns. Er war ein wackrer Fußwanderer, und forderte uns auf, mit ihm den Peißenberg, an dessen Fuße das Bad lag, zu besteigen. Der junge Musiker und ich nahmen die Aufforderung an, und unser rüstiger Fußtritt einte sich bald mit den heißen Sonnenstrahlen, das feuchte Gras des Berges zu trocknen. Schottky ergriff einen jungen Eichbaum und ging uns mit der muntersten Laune voran. Wer hätte glauben sollen, daß er vor einer Stunde noch mit den Vorkämpfen seines nahen Todes rang? Der Peißenberg, der Rigi des baierschen Hochgebirgs genannt, streckt sich in einer beträchtlichen Höhe; wir bedurften Schottky’s munterer Unterhaltung, um das Steigen nicht beschwerlich zu finden. Endlich hatten wir den Gipfel gewonnen, die einsame Kirche, das Schul- und Pfarrhaus. Wir kehrten beim Herrn Pfarrer, Schottky’s altem Freunde, ein. Unser Professor war hier in seinem Elemente, die fünf Frauen, welche des Pfarrers Küche bedienten, lachten, der Schulmeister war entzückt, als ihn Schottky nach seinem in Freising studirenden Sohne fragte, der Pfarrer begrüßte ihn als einen Kenner seiner werthvollen Büchersammlung. Schottky wurde übermüthig, wie folgende Probe beweist. Der obere Gipfel des Berges wird von einem Steinwall eingerandet, der vor dem jähen Absturz des Berges schützt. Eine steile grüne Ebene legte sich dicht unter dem Steinwall an und langte mehrere hundert Fuß in die Tiefe. Schottky rief einen Buben in der Nähe an, ob er für sechs Kreuzer den Weg in die Tiefe wage und von dem Hohlunder drüben einen Zweig heraufbringen wolle. Es war die Geschichte vom Taucher, nur daß sie glücklicher endete. Schottky war entzückt, für sechs Kreuzer einen König zu spielen, er 130 steckte den Hohlunderzweig auf seinen Hut und schwur, ihn Mad. Lewald zu weihen. Nachdem wir den Berg hinuntergestiegen, war er den ganzen Abend allerliebst, nur eine seiner charakteristischen Thorheiten vermochte er nicht zu lassen. So wie wir das Badehaus erreicht hatten, schlich er auf sein Zimmer, riegelte wie immer zu, zog die Fenstervorhänge zusammen, daß auch keine Spalte übrig blieb, seine Geheimnisse zu belauschen. Was that er? Wollte er sein Derangement in Ordnung bringen? Darüber ist während seines ganzen Lebens ein Dunkel geblieben. Wie viel Reisen er gemeinschaftlich machte, er ließ sich immer auf seine eigene Person ein Zimmer geben, er entfernte sich immer zuweilen plötzlich von der Gesellschaft und riegelte sich ein, um etwas zu thun, was nie entdeckt worden ist.

Es war ein duftiger, sonniger Frühmorgen, als wir Sulz verließen und der Richtung des Gebirges zufuhren. Die Lerchen wirbelten, die weißen Schneehäupter reckten sich kühn in die blaue Gebirgsluft, lange Schwärme von Männern, Weibern, Kindern zogen murmelnd, ein Priester mit der Fahne an der Spitze, über die Feldwege her. Es war Vorabend der Himmelfahrt, die frommen Gemeinden wallfahrteten nach heiligen Orten, viele nach Ammergau, der berühmten Heiligenfabrik. Schottky war reich an Anekdoten und so aufgeheitert, daß es in Murnau um so auffallender war, ihn plötzlich verstimmt zu sehen. In der Herberge nämlich, wo wir abstiegen, bot sich eine Frau an, unsre Bärte zu rasiren. Schottky fühlte das Bedürfniß eines glatten Kinnes, und der weibliche Figaro fing an, ihn einzuseifen. Wir fanden diese Frau zu drollig, um nicht zu lachen, allein Schottky bat uns inständigst, still zu seyn. Er wollte das Komische, von einer Frau barbirt zu werden, gar nicht urgirt wissen, weil ihn unsere Bemerkungen zum Lachen zwangen, und er dies unter einem scharfen Messer scheute. Nichtsdestoweniger lachten wir, Schottky wurde gelb unter dem weißen Schaum, der ihm auf den Backen lag, der Schaum wurde grün, dann wieder weiß, das Chamäleon des Zorns sprühte aus den Augen. Die Barbière gerieth in Verwirrung, sie übersah einen kleinen Hügel auf Schottky’s Oberlippe, ein unvorsichtiger Schnitt, und das Blut spritzte von der verwundeten Stelle. Schwamm! Schwamm! – schrie ich, Schottky war leichenblaß und stürzte auf das Stück Spiegel, das ohne Rahmen am Fenster hing. Das Blut war bald gestillt, nicht so früh sein Zorn. Hm, ja, hm, es ist abscheulich, mir so mitzuspielen, ja, hm! – Ich fragte ihn, ob Murnau nicht berühmt sey durch einen Kaiser, der hier gewohnt hätte? – Allerdings, antwortete er ärgerlich; das Haus drüben, das Sie sehen, hat Ludwig der Baier bewohnt; wie das blutet! hm, ja, es ist abscheulich! und erst da beruhigte er sich, als wir den schneeigen, von der Sonne beleuchteten Eingang des Gebirges nach Partenkirchen, einen bezaubernden Anblick, vor uns hatten.

Die Gebirgswonne übermannte ihn. Er fürchtete, sein Groll könnte in den Bergen wiederhallen, beruhigte sich und war der liebenswürdigste Gesellschafter. Wir kamen in ein königliches Gestüt, wo er sich vom vielen Sprechen erschöpft Milch geben ließ. Wir versicherten ihn hoch und theuer, er hätte Stutenmilch getrunken, und er war so aufgelegt, uns diesen Scherz gar nicht übel zu nehmen, sondern uns zu versichern, sie hätte ihm ganz vortrefflich geschmeckt.

134 Wie viel Pferde stehen hier, hm, ja, wie viel, mein Freund? – fragte Schottky einen Bereiter. Der Mann nannte einige hundert, er zog seine Schreibtafel und notirte die Zahl sorgfältig. – Wie viel Stuten? – fuhr er fort. Der Bereiter antwortete redlich.

Sind Sie verheirathet?

Wie? die Stuten? Wie meinen Sie das?

Nein, nein, mein wohlgeborener Freund, hm, hm, das ist sehr drollig; ich meine Sie, wie hießen Sie doch gleich?

Kaspar Müchler.

Der tausend? verwandt mit dem Kriegsrath Müchler in Berlin? nicht? aber Sie haben Kinder, guter Freund?

Drei, einen Buben und zwei Mädchen.

Zwei Mädchen; hm, das ist allerliebst, ja grüßen Sie doch die kleinen Damen von mir. Ich bin der Professor Schottky aus München. Adieu, adieu.

Wir hatten schon einen beträchtlichen Vorsprung gewonnen, als Schottky noch immer mit dem Stallknechte sprach, der bestimmt darauf rechnete, dieser vornehme Mann werde in München etwas für ihn thun. Allein es war dies unsers Seligen Manier; so verbreitete er ganze Himmel von Glück, 135 die ihn nichts kosteten, um sich her. Am Kochelsee wäre kein Kind gewesen, dem er nicht eine herrliche Weihnacht, keine Dirne, der er nicht für die Erntezeit die schmucksten Tänzer versprochen hätte. Alle seine Gaben streute er in reichem Maße aus, es waren nur Worte, aber die bezauberndsten, welche je gesprochen sind. Beim Ersteigen des Kochelberges fand sich für Schottky eine lange Inschrift am Wege, die ihn ungemein beschäftigte und ihn bis auf den Gipfel des Berges in seine gelehrten Verbindungen brachte. Er ruhte oben aus, und die Bank, auf welche er sich setzte, brach unter den vielen Hoffnungen, welche er in Betracht seiner gelehrten Zukunft zu entwickeln begann, in der That zusammen. Noch so eben citirte er ein Buch über die Inschriften des deutschen Mittelalters, das er noch gar nicht geschrieben hatte, und hätte auf ein Haar jählings in die Tiefe stürzen können. Er raffte sich auf; denn der melancholische Wallersee lag vor uns ausgebreitet. Schottky war in die Unglücksfälle gerathen und erzählte uns, wie viel Maler aus München in jenen dunklen Wellen ihr Grab gesucht hätten. Einer dieser Unglücklichen hatte noch im jüngsten Winter seinen Vorlesungen über Benutzung altdeutscher Dichtung für den Künstler auf der kauffinger Straße in München beigewohnt und war ihm das Honorar dafür schuldig geblieben, worüber er lächelte, doch nicht ohne Schmerz.

Gegen Abend trübte sich aber das schöne Wetter auf Schottky’s Stirn. Er trällerte zwar noch, als wir über den Wallersee fuhren, er war entzückt, als ich ihn beim Eintritt in die Jachenau auf ein ästhetisches Thema brachte. Wir stiegen schon tief ins Thal hinunter, als er noch immer von der falschen Copirung der Natur sprach. Da nahten wir uns, es wurde schon dunkel, den ersten Häusern; ein junger Bauer stand mit zwei Kindern vor einer Hofthür und sprach uns einen guten Abend zu. Guten Abend, guten Abend! – rief Schottky mit seiner freundlichen Hast; – Eure Kinder? hm, hübsche Kinder? wie alt? wie lange verheirathet? was macht Eure Frau? kommt die Großmutter noch zuweilen herauf? grüßt sie doch, Alle, Eure Frau, Eure Schwägerin, Eure Großmutter! mein Freund, mein würdigster Freund! – Einer von uns lachte über diese Apostrophe, die den guten Bauer ganz verdutzt machte; Schottky gerieth in Zorn. – Wer lacht da? – fragte er – Hm, was? scheine ich Ihnen lächerlich? diese Gebirgsmenschen kenn’ ich; ich weiß, wie man sie behandeln muß; es ist nicht zum ersten Male, daß ich ins Gebirge komme. Ich studire die Sitten dieser Leute, ich sammle Volkslieder und charakteristische Züge, da muß ich mich auf die Stufe derselben stellen und von ihren Angelegenheiten wie von den meinen sprechen.

Würden Sie da nicht besser thun, – fragt’ ich – wenn Sie sich in jedem Bauernhause für einen verschollenen Vetter ausgäben, der aus America kommt?

O, Sie sind auch Einer, – geiferte er mich an – ich weiß es wohl, daß Sie hinter meinem Rücken Gesichter schneiden! ich verstehe es aber, wie der Geschichtsforscher den gemeinen Mann behandeln muß. Zum Teufel, mit Ihren leichtsinnigen Schnurren! – Mit diesen Worten schoß der Erzürnte wie eine spritzende Giftrakete voraus und dünstete so viel Zorn aus, daß das Gras am Wege bleich wurde. An dem Hause, wo wir ein Nachtlager nehmen wollten, holten wir ihn wieder ein. Doch war kein Auskommen für heute mehr mit ihm; denn wenn er auf eine Weile beruhigt schien und sich in die freundlichen Bewillkommnungen mischte, welche wir in dem Hause des reichen Bauers gaben und empfingen, so trat doch sogleich wieder ein neues Mißverständniß ein.

137 Die baarfüßige Tochter des Wirths, eine frische Dirne mit sauber geschnittenen Gesichtszügen, trug die Vorbereitungen zu einem Abendimbiß zusammen. Schottky ergriff diese schickliche Gelegenheit zu einer Unschicklichkeit und begann zu forschen: Kathi, hast Du auch schon einen Liebhaber? – fragte er schmunzelnd, schon darauf rechnend, daß sie ihm zur Belohnung für diese Frage ein Lied singen würde, und zog seine Schreibtafel. Das Mädchen lachte, und einer von uns war so vorwitzig zu sagen: Ei, wenn Du heuren willst, Kathi, das ist der Professor Schottky; der möchte nicht übel Gefallen an Dir finden. – Was blieb nun noch übrig? – Für heut war es mit Schottky verspielt. Er warf die Gabel auf den gepfefferten Kalbsbraten, stürzte den Deckel seines Bierkrugs nieder, daß es krachte, und lief hinauf, wo es hieß, daß wir für die Nacht ein Bett finden würden.

Der junge Musiker und ich mußten dasselbe Zimmer theilen, wo sich der erzürnte Professor schon gebettet hatte. Wir ließen ihm Zeit, seine ängstliche Nachttoilette zu machen, und erstaunten, in das Zimmer tretend, eine Batterie von sechs Riesenbetten aufgepflanzt zu sehen. Wir strengten unser Auge an, irgendwo den knirschenden Schottky zu entdecken. Hier ist er nicht, da auch nicht, die Betten sind leer – ach, da steht noch ein siebentes in der Ecke. Ein Schimmer unserer Lampe fiel darauf, da lag Schottky! mit jungfräulicher Befangenheit hatte er das weiße Deckbett über seinen Leib gezogen, Hemd, Halskragen waren in der saubersten Ordnung, die Weste hatte er anbehalten, die Perrücke ruhte tief in dem weißen Kopfpfühl, er war noch wach, sehr wach, hörte Alles, was wir flüsterten, doch gab er sich das Anhören, als schlief er, von den süßesten Träumen umfangen. Es war eine bräutliche Atmosphäre, welche um das Bett wehte. Wir mochten aber kaum unser Auge eine Stunde geschlossen haben, als ein fürchterlicher Donnerschlag uns aus den Federn aufschreckte. Ein Gewitter entlud sich über den Bergen, der Regen strömte unaufhaltsam, das ganze Thal war eine leuchtende, phosphorescirende Masse. Unsere erste Sorge war Schottky; aber in dem wilden Kampfe der Elemente blieb er ungestört, in lächelnder Unschuld athmete er in seinen weißen Federn. O, er wachte, das war gar kein Zweifel; denn sein Auge zuckte bei jedem Blitzstrahle, der an den kleinen Fenstern vorüberglitt. Aber er blieb unbeweglich, fast grauenhaft anzusehen, da wir ihn am Morgen noch in derselben Lage fanden, die er am Abende als die für seine Person vortheilhafteste gewählt hatte. Er rührte sich nicht eher, bis wir das Zimmer verlassen hatten. Dann mag er uns nachgehorcht haben, wie wir die Treppe hinunterstiegen, hat sich noch einmal scheu umgesehen, ist mit einem dreisten Sprunge an die Thür gerannt, um sie zu verriegeln, und hat sich endlich die Muße genommen, in ungestörter Sichselbstüberlassung seine geheimnißvolle Morgentoilette zu machen.

138 Es war Himmelfahrtstag. Der Himmel, auf den heut Alles ankam, kleidete sich in das schönste Festblau. Ueber die Berge schwanden die letzten Nachzügler der nächtlichen Schauer, rings athmete die ganze Natur in duftiger Erquickung. Die Bewohner des langen Thals mußten von einem Gehöft zum andern wandern, ehe sie das Haus des Herrn und das daranstoßende Haus des Herrn Walter Werner erreichten. Die Glocken hatten erst einmal gerufen, und die zuströmende Menge versammelte sich einstweilen noch in der Wohnung ihres Oberältesten, in dessen Betten wir geschlafen hatten. Dies war eine Erscheinung, die Schottky elektrisirte. Er schlug an seine Rocktasche, vermißte seine Schreibtafel, stürzte in unser Schlafgemach hinauf und kehrte lächelnd, längst mit seinen Gefährten versöhnt, langsam die Treppenstufen zählend, wieder zurück; er spitzte den Bleistift. Wir erriethen, was jetzt vorgehen sollte, und traten vor die Thür, ihn im Zimmer mit den alten und jungen Kirchengängern allein lassend. Während wir nun draußen abwechselnd die Regentropfen zählten, welche an der noch dünn verschleierten Sonne hingen, oder mit Herrn Werner’s großem Hofhunde spielten, oder uns von einem jungen Schützen die einzelnen decenten Bestandtheile seiner malerischen Kleidung erklären ließen, begann Schottky drinnen seine populairen Forschungen zu machen. Wir horchten zuweilen nach der offenstehenden Thür hin. Schottky verfuhr wie ein Inquisitionsrichter; er fragte nach den spaßhaftesten Dingen; wie alt Kathi’s ältester Bruder sey? wie viel Kühe Werner auf der Alm habe? wer denn nun wohl der Reichste in der ganzen Jachenau sey? ob sie Vertrauen zu ihrem Könige hätten? ob sie gern Soldat würden? wer von ihnen schon die meisten Auerhähne geschossen hätte? Kurz alle diese Dinge schrieb er pünctlich auf, man wird sie in des Verstorbenen Nachlasse finden; denn es war seine Absicht, einst dem deutschen Publicum mit diesen Mittheilungen aufzuwarten. Allein Schottky täuschte sich, wenn er glaubte, diese Menschen ließen sich gern von ihm ausforschen. Im Gegentheil, sie sahen sich einander an, mit großen Augen, verdächtigen Mienen, sonderbaren Handgriffen, nach der Seite hin, wo sie ihre Messer tragen; sie flüsterten sich zu, das müsse entweder ein Spion aus München seyn, der sie für ihre versteckten kleinen Jagdfrevel belangen, oder ein österreichischer Werber, der sie gegen ihren König einnehmen wollte. Die Jüngern standen auf und traten dem erschrockenen Professor bedenklich näher, die Aeltern unterließen, seine Fragen zu beantworten, wir mußten schleunigst in die Mitte dieser Aufregung treten. Die Leute wollten sich nicht zufrieden geben, sie verlangten das Papier, das Schottky beschrieben hatte; da hatte der Küster den glücklichen Einfall, zum dritten Male zu läuten, die Gedanken bekamen eine andere Richtung, Schottky fand Gelegenheit, sich zurückzuziehen, und die von drübenher brausenden Orgeltöne milderten den Tumult, der mit einer lebensgefährlichen Attaque auf Schottky hätte enden können.

Als sich das Gewitter verzogen hatte, übergab sich der gerettete Schottky der muntersten Ausgelassenheit. Er klatschte in die Hände, hüpfte, sang, erbot sich, einen Theil unseres Gepäcks zu tragen, und war so liebenswürdig wie immer, wenn ihm die Laune zuströmte. Als wir unsern Weg fortsetzten, machte er ihn vor Beweglichkeit immer zweimal; in jedes Haus rief er den Frauen Grüße von ihren Männern zu, von ihren Männern, die ihn vor einer halben Stunde hatten erschlagen wollen. Es war ihm genug, wenn ihm die Frauen dafür ein Glas Milch gaben und ihm sagten, in welchem Jahre das von ihnen bewohnte Haus gebaut wäre, denn er hätte gänzlich den Zweck seiner Reise zu verfehlen geglaubt, würd’ er auch nur eine mögliche Notiz unbenutzt am Wege liegen gelassen haben. Alle fünfhundert Schritte lag an dem anmuthigen Wiesenpfade eine Capelle mit einigen geklecksten Bildern, welche Schottky, ein Kenner der Malerei, nicht unberücksichtigt lassen konnte. Er sammelte an jenem Vormittage eine Menge von Materialien, welche er alle in seinem ungeschriebenen Werke: Ueber die Kirchenmalerei der Gebirge, benutzen wollte. Keine Inschrift an einem Giebeldache blieb unaufgenommen, keinen Reim trafen wir, dem er nicht eine poetische Seite abgewonnen hatte. Es mußte Alles hinein in sein Portefeuille, was sich nur durch eine Bleifeder wiedergeben ließ.

146 Obgleich von der linken Seite die Eiszacken der Benedictenwand in das Thal hineinragten, und von der rechten die Firnen der tyroler Alpen den Horizont mit einer Schneetonsur umrandeten, glühte der Sonne Mittagsstrahl doch mit so erschlaffender Gewalt, daß wir am letzten Hause der Jachenau rasteten und für die weitere Reise Kräfte sammelten. Schottky war von seiner Lebhaftigkeit sehr angegriffen, er hatte zu viel gesprochen, sein schwacher Leib hielt diese Munterkeit nicht mehr aus. Wir mußten ihn pflegen mit Speise und Trank, frischem Quellwasser, Milch, Schwarzbrot und gutem Zureden. Ich weiß nicht, mir dauerte diese Geschichte damals zu lange, ich nahm den Componisten unter den Arm und ging voraus, nachdem wir von den Uebrigen das Versprechen baldiger Nachkunft erhalten hatten. Schottky nickte höchst verdächtig. Wir gingen weiter: ich sprach von meinen engen Schuhen und pflückte von den zahllosen Blumenfeldern, den Vergißmeinnicht und Stiefmütterchen, welche hier zur Weide für das Rindvieh dienten, einige Sträuße der Erinnerung; mein Begleiter spitzte das Ohr und haschte nach den flüchtigen Lauten, welche einem Käfer oder dem stummen Munde der Natur entfuhren, welches für ihn die herrlichsten Motive zu ganzen Ouvertüren und Opern waren. Wir lenkten in das Stromgebiet der grünen 147 Isar ein, eine Gegend der Verwüstung, zahllose Steinhaufen, weißgewaschen und des nächsten Frühjahrs harrend, wo die schmelzenden Gebirgshöhen ihre Schneeströme in die Tiefe senden, und jede Welle in den Armen der Isar ihre Zuflucht findet. Ein kalter Zugwind wehte von Norden herein, die Sonne verschwand hinter drohenden Regenwolken; und es bangte uns um die Zurückgebliebenen. Wir kehren in ein Städtchen am jenseitigen Ufer der Isar ein, die Landbewohner mit langschößigen, zeisiggrünen Oberröcken eilten uns über die Isarbrücke her aus der Kirche entgegen, die Schenke, wo wir uns bargen, füllte sich mit jungen, athletischen Gebirgssöhnen, welche gewünscht hätten, der Papst verliehe ihnen für die heutige Himmelfahrt eine heilige Tanzindulgenz; der Himmel selbst tropfte. Da sind L. und seine Frau. Wo ist Schottky? Nun hatten wir’s: Schottky stak noch in der Jachenau, er hatte sich dort niedergelassen, in den Armen des kleinen Mädchens, welches die Wohnung hütete, in zwei Stunden erst hatte er sich erheben wollen. Jetzt strömte der Regen, Blitze zuckten, der Donner rollte schwer in den Bergen, und er konnte unterwegs seyn. Schottky! Schottky! – riefen wir; vergebens, nur Blitz und Donner antworteten. Himmel, wie strömt der Regen! Die Isar wird austreten, Schottky in die Strömung gerissen werden und nach München kommen, er weiß nicht wie? Da fällt etwas von der Brücke! Schottky? Nein, es ist nur ein Stück vom heiligen Nepomuk, der die Brücke schützen soll und bei einem solchen Wetter sich selbst nicht mehr halten kann. Der Wirth bringt uns das bestellte Lammsviertel: verzweiflungsvoll setzten wir uns an den Tisch; denn wir liebten Schottky und waren sehr hungrig.

Will man uns der Verrätherei bezüchtigen, so versichere ich hoch und theuer, daß wir mehr als vier Stunden auf den verlorenen Nachzügler warteten. Er kam nicht. Es dunkelte schon, und die Gebirgsstadt Tölz mußte das Abendziel unserer Reise werden. Nichts blieb übrig, als eine Personalbeschreibung des Vermißten zurückzulassen und den Wirth aufzufordern, ihn, sobald er ankäme, schleunigst aufzupacken und in den goldenen Adler zu Tölz abzuliefern. Die hochgelegene Gebirgsstadt war erreicht, das Theater, welches die Freuden des Festtages durch Aufführung der Stummen vom Berge Porticia, Text von Castelli, Musik vom Ritter Seyfried, verherrlichte, war besucht, aber Schottky erschien nicht. Der Morgen brach an, die einzige Speditionsverbindung des Gebirges mit der Ebene, der tölzer Bote, fuhr entweder jetzt oder erst in drei Tagen auf; wer konnte den letzten Fall abwarten? Wir saßen auf dem Wagen, Schottky fehlte noch immer.

In München verstrich eine lange Zeit, ehe von unserm Verluste etwas sichtbar wurde. Wir waren nahe daran, ihn in öffentlichen Blättern bekannt zu machen. Inzwischen wurde drei Mal beim Hofrath Thiersch getanzt, der Setzer des deutschen Horizontes wartete ängstlich auf die Fortsetzung von Manfred’s Reisebriefen, einem von Schottky angefangenen Artikel, in welchem er leicht und gewandt, aber etwas langweilig, alle Personen seiner Bekanntschaft aufführen wollte, funfzig griechische Soldaten wurden angeworben, neun Advocaten mußten vor dem Bilde des Königs Abbitte thun, inzwischen sah ich König Ludwig selbst in grünem Fracke, worauf ein schwarzer Sammetkragen, und in grauen Beinkleidern, wie er sich im englischen Parke die Compositionen einiger seiner Lieder vorsingen ließ, und darauf den münchner Bürgertöchtern Artigkeiten über ihre Ringelhäubchen sagte, kurz, es währte eine geraume Zeit, daß wir endlich eine Beruhigung über Schottky erhielten. Er war angekommen, aber todtkrank. Ich eilte zu ihm, er lächelte und lag ermattet im Bette. Er hatte uns in Tölz abfahren sehen, aber nicht die Kraft gehabt, seine Stimme hörbar zu erheben. Wie er mich dauerte! In leidenden Momenten war Schottky der besten Theilnahme werth: Er stand da wie ein Thier der Wildniß, weit höher als Alle, die sich damit zu schaffen machten, ihn an den Eisenstäben seines Käfigs zu necken. Schottky erzählte mir damals, daß er an einer Monographie über die Burg Hohenschwankau, eine Besitzung des baierschen Kronprinzen, arbeiten werde; leider ist auch diese Schrift unvollendet geblieben.

Julius Max wurde bei Thiersch nicht mehr so oft gesehen, er zog auf das Schlößchen Neuberghausen bei München und kam nur zuweilen nach der Stadt, um ins Theater zu gehen, oder der Gräfin Kielmannsegg, deren Schützling er plötzlich wurde, aus interessanten Büchern vorzulesen. Schottky wurde stiller, nachdenklicher; ich glaubte, diese Stimmung gälte der Schrift über das baiersche Hochgebirge und Tyrol, die er damals aus kleinen Papierschnitzeln zusammensetzte. Hätte ich ahnen können, daß es eine bewußtlose Vorbereitung zu seinem nahen Tode war? Noch jedes Wort könnte ich berichten, das er bei unserer letzten Begegnung zu mir sprach. Ich war in Reisekleidern, und eben im Begriffe, bei Herrn von Eichthal in München preußische Cassenbillets in Gold zu verwandeln. Da faßte mich Schottky am Rockzipfel.

149 „Wohin? mein Würdigster;“ rief Schottky, „Sie wollen verreisen? Morgen setze ich mich gleichfalls auf die Post; in Innsbruck sehen wir uns wieder.“ – „In Innsbruck? Sie wollen auch München verlassen?“ Schottky sagte, daß ihm Connexionen den Schlüssel zu den Archiven Tyrols verschafft hätten: es bräche eine ganz neue Lebensperiode für ihn an, allen seinen historischen Conjecturen würde jetzt eine glänzende Genugthuung widerfahren. Da gerieth er in Verwirrung, er bemerkte einen Gegenstand auf der Straße, dieser weiße Gegenstand winkte, es war die Gräfin Kielmannsegg, und Schottky war für mich verloren. In Innsbruck war meine erste Frage beim Adlerwirth nach einem kleinen Manne von dünnem, schmächtigem Ansehen, mit grünem Oberrocke und sehr steifer Haltung. Die Kellnerin lachte. Ja, ja, sagte ich, das ist er; denn dies Lachen verrieth, daß Schottky hier war. Aber zu meinem Leidwesen erfuhr ich, daß er so eben beim Bischofe oder sonst einem Vornehmen, der über Archive zu gebieten hat, zu Tische gegangen sey; die Post ging in einer Stunde ab, ich konnte nicht mehr thun, als tausend warme Grüße an ihn zurücklassen.

Erst nach einigen Monaten erfuhr ich wieder von Schottky. Man bediente sich in München des Ausdrucks, er sey verschollen. Die vorletzte Nachricht, die über ihn ausging, war die, daß er in Tyrol zu einem katholischen Geistlichen gezogen sey, zu einem tiefsinnigen Manne, der ein großes Gedicht geschrieben haben soll. Schottky hatte merken lassen, daß dieser Geistliche ein Drittel Homer, ein Drittel Dante und ein Drittel Shakspeare sey. Während man sich über diese Bekanntschaft noch belustigte, traf die Botschaft ein, Schottky sey gestorben. Jetzt lachte Niemand mehr.

Unsers seligen Julius Max hinterlassene Werke bestehen aus einer zahllosen Menge kleiner beschriebener Papierstreifen, und außerdem aus einem Dutzend Schriften, von welchen sich unter jenen Papieren bereits die Titel finden. Was würde ein Mann von Fach mit diesem Chaos von Notizen beginnen? Herr von Raumer? Dieser Gelehrte, welcher die Geschichte zu untersuchen scheint, um über die Rollen, welche von Mad. Crelinger gespielt werden, historische Gewißheit zu haben, dürfte vielleicht über die Gräfin Terzki in Schottky’s Papieren ganz neue Aufschlüsse finden. Zschokke? Seiner baierschen Geschichte ließe sich durch die Materialien, welche Schottky über die Burg Hohenschwankau gesammelt hat, vielleicht ein neuer Reiz geben. Friedrich Förster? Schottky’s Memoiren über Wallenstein dürften ihm sehr erwünscht kommen, da sie alle darauf hinzielen, den Herzog von Friedland halter als einen guten patriotischen Unterthan Sr. kaiserl. Majestät darzustellen. Zu geschweigen, daß sich in der Hinterlassenschaft Anfänge zu ein paar neuen Zweigen der Kunstgeschichte finden, z. B. über die Kirchenmalerei der 150 Gebirge, Ideen zu einer Kunstgeschichte des Holzes, ein Versuch über die böhmischen Brücken, nebst Darstellung der berühmtesten Bilder des heiligen Johannes von Nepomuk, Bemerkungen über die byzantinische Christuskopftradition, nebst einem Anhange über eine Copie des Schweißtuches der heil. Veronica im Dom zu Cöln. Schottky’s münchner Intestaterben kann nur daran gelegen seyn, daß diese Wunderdinge verkauft werden. Und da er keine Kinder hinterließ, so mögen die Summen, welche die hiermit ausgeschriebene Veräußerung einbringen dürfte, dazu verwendet werden, dem Seligen einen Denkstein zu setzen, und zwar im baierschen Gebirge, dort, wo er, trotz einem Baschkiren, Stutenmilch getrunken.

Es ist unläugbar, daß durch Schottky’s Tod eine Lücke entstanden ist, welche sich schwer ausfüllen läßt. Ich unterlasse es, von seinem Verdienste als Gelehrter zu reden, worüber der Freiherr von Hormayr und der Buchhändler Franz in München wohl am geschicktesten seyn werden, ihm einen wohllautenden Nachruf öffentlich abzufassen; aber für die Gesellschaft ist sein Verlust unersetzlich. Die großen Männer sterben ab, und die liebenswürdigen folgen ihnen. Wären diese aber nur so leicht zu ersetzen wie jene! Schottky’s Philosophie des Umganges verdient in ein System gebracht zu werden. Sein erstes Princip für die Gesellschaft war, sich ihr unterzuordnen, und sein garstiges Ich zu verläugnen. Dieser gewandten Abwägung dessen, was gefordert wird, und dessen, was er gab, diesem täuschenden Wahrheitsschein der Schmeichelei, dieser ewigen Simulation, als zwängen ihm die fremden Vorzüge eine Achtung ab, welche er nur aus Zuvorkommenheit schenkte, verdankt’ es Schottky, daß er in der Gesellschaft gern gesehen wurde, quand même! Schottky las, wenn er Zahnschmerzen hatte. Er tanzte, wenn er am Fuß hinkte. Schottky schwur, daß eine Sache schön wäre, wenn man nicht hören wollte, daß sie abscheulich sey. Schottky war Alles, wozu man ihn machte. Gibt es solcher Männer, welche eine kleine Welt beglücken können, viel? Man wird sie zählen können, und es schmerzlich empfinden, wenn ihrer immer weniger werden.

Gegen mich hatte aber Schottky keine Ursache, liebenswürdig zu seyn, und ich gestehe, daß ich selbst nach seinem Tode nicht ohne Zagen diese Worte des Gedächtnisses niedergeschrieben habe. Ich weiß nicht, ob der Himmel zu den Abonnenten der Zeitung für die elegante Welt gehört, besorge aber, Schottky möchte jenseits irgendwo in den Besitz dieses Aufsatzes kommen. Was würde er thun? Er wird sich in einer stillen Abendstunde Gott dem Herrn entziehen und in das Zwischenreich der Seherin von Prevorst schleichen. Von hier aus ist er im Stande, recht ärgerlich auf mich zu wirken. Wenn ich in den Abenden des laufenden Winters nicht wissen werde, was sich mir zuweilen auf die Schultern setzt, was meinen Hut vom Stuhl herunterwirft und an dem Nagel zerrt, woran mein Rock hängt, wenn ich mit Grauen sehen werde, wie sich der Stiefelknecht unter meinem Bette bewegt, in steifer Grandezza vor mir auf den Tisch stellt, eine Verbeugung macht und sich in derselben Gelassenheit wieder an seinen alten Ort begibt, wenn meine Wirthin händeringend zu mir in’s Zimmer läuft, und mir klagt, daß sie auf Mäuse Verdacht hätte und eine Falle stellen müsse, so werd’ ich geheimnißvoll den Zeigefinger zur Nase erheben und sie still bedeuten: Lassen Sie das nur, liebe Frau, das hat alles gute Wege! und werde dann beiflüstern: das ist Schottky! Und wenn in demselben Momente der Kaiser von Rußland, eine Schilderei an der Wand, polternd herunterstürzt, so wird zwar die Frau erschrocken aus dem Zimmer springen, ich aber werde lächeln, mir Zeit nehmen, und den Kaiser von Rußland ruhig wieder an seine alte Stelle hängen.

Apparat#

Bearbeitung: Wolfgang Rasch, Berlin#

1. Textüberlieferung#

1.1. Handschriften#
1.1.1. Übersicht#

Es sind keine handschriftlichen Überlieferungsträger bekannt.

1.2. Drucke#

Gutzkows Erinnerungen an Julius Max Schottky erschienen zuerst im Februar 1834 in der von Laube redigierten "Zeitung für die elegante Welt". Sie wurden mit nur sehr geringfügigen Änderungen 1835 in den zweiten Band der Soireen übernommen. Von einem wiederholten Druck des Beitrages sah Gutzkow später ab. Erst als er 1874/75 seine Rückblicke auf mein Leben ausarbeitete, griff er auf die frühe Arbeit zurück und integrierte einen Teil davon - die Schilderung der fünftägigen Sommerreise durch das bayrische Gebirge (13,1-26,1 unserer Ausgabe) - stark überarbeitet in die Rückblicke.

J. Karl Gutzkow: Julius Max Schottky, Professor. Eine Skizze. In: Zeitung für die elegante Welt. Leipzig. Nr. 27, 7. Februar 1834, S. 105-106; Nr. 28, 8. Februar 1834, S. 111; Nr. 29, 10. Februar 1834, S. 113-114; Nr. 30, 11. Februar 1834, S. 118-119; Nr. 32, 14. Februar 1834, S. 126-127; Nr. 33, 15. Februar 1834, S. 129-130; Nr. 34, 17. Februar 1834, S. 134-135; Nr. 35, 18. Februar 1834, S. 137-138; Nr. 37, 21. Februar 1834, S. 146-147; Nr. 38, 22. Februar 1834, S. 149-150. (Rasch 3.34.02.07)
E1. Julius Max Schottky, Professor. In: Karl Gutzkow: Soireen. Theil 2. Frankfurt/M.: Sauerländer, 1835. S. 191-269. (Rasch 2.9.2.6)
E2. Karl Gutzkow: Rückblicke auf mein Leben. Berlin: Hofmann, 1875. S. 89-99. (Teildruck, Rasch 2.46)

2. Textdarbietung#

2.1. Edierter Text#

J. Der Text folgt in Orthographie und Interpunktion unverändert dem Erstdruck. Textsperrungen werden übernommen. Silbentrennstriche (=) werden durch - wiedergegeben. Die Seitenzählung wird mit Klammern [ ] an den betreffenden Stellen in den Text eingefügt.

Die Liste der Texteingriffe nennt die von den Herausgebern berichtigten Druckfehler sowie die Emendationen. Fehlende oder überzählige Spatien im Erstdruck wurden stillschweigend korrigiert.

2.1.1. Texteingriffe#

2,11 vielem vielen

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25,19 zu zn

26,18 das daß

Kommentar#

Der wissenschaftliche Apparat wird hier zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht.