Das königl. sächsische Gesetz zur Sicherstellung des literarischen und artistischen Eigenthums#

Metadaten#

Herausgeber
  1. Christine Haug
  2. Ute Schneider
Fassung
1.0
Letzte Bearbeitung
07.2020

Text#

25 Das königl. sächsische Gesetz zur Sicherstellung des literarischen und artistischen Eigenthums.#

Den gegenwärtig in Dresden versammelten Ständen hat die Staatsregierung einen Entwurf zu dem obengenannten Gesetze vorgelegt. Wir werden, da der Buchhandel einen so lebhaften Kreis der sächsischen Industrie bezeichnet, gewiß einer sehr gründlichen Debatte über diesen Gegenstand entgegensehen dürfen. Der Deputirte, Heinrich Brockhaus, ergreift ohne Zweifel diese Gelegenheit, das von der Stadt Leipzig in ihn gesetzte Vertrauen auch in dieser Frage zu rechtfertigen.

Der Entwurf ist kurz in seinem gesetzlichen Bestandtheile, ausführlich in seinen Erläuterungen. Er geht von der rechten Liebe zur Sache aus und hat dadurch einen großen Vorzug vor dem weitschweifigen und an lästigen Formalitäten so reichen sächsischen Censuredikte. Die Absicht, aus den übrigen deutschen Gesetzgebungen über die Frage des literarisch-artistischen Eigenthums das Gute zu entlehnen, ist lobenswerth; ebenso lobenswerth, wenn auch auf den ersten Blick bedenklicher, die Tendenz, in schwierigen Punkten das auswärtige Verfahren deßhalb zu adoptiren, weil dadurch eher die so nöthige allgemeine gesetzliche Einheit über diesen Gegenstand erreicht wird. Denn leider selbst in dieser Angelegenheit, wo der Bundestag doch das Prinzip gebilligt hat, finden in den einzelnen deutschen Staaten noch große Differenzen statt.

Als der Bundestag vor mehren Jahren erklärte, daß jeder Schriftsteller und Künstler an seinem durch Vervielfältigung verbreiteten Werke noch seinen Erben zehn Jahre nach seinem Tode das Eigenthumsrecht hinterlasse, klagte man mit Recht über diese äußerste Beschränkung. Dem Bunde lag allerdings nur daran, ein Prinzip auszusprechen. Er hatte in seinem eignen Schooße gegen die Vertheidigung des Nachdrucks zu kämpfen gehabt, gegen Beschönigungen einer unrechtmäßigen Handlungsweise, die, sonderbar genug, von vielen Juristen vertheidigt worden ist. Mit jenen zehn Jahren war für die Freiheit des literarisch-artistischen Eigenthums schon Vieles gewonnen. Keine Regierung begnügte sich aber, bei diesem Bundesgesetze stehen zu bleiben. Man dehnte den Terminus von zehn fast überall auf dreizig Jahre aus und so auch in dem vorliegenden Entwurf der sächsischen Regierung.

Ohne uns bei der allerdings begründeten Klage aufzuhalten, wie es doch über eine Frage von so klarem und gemeinschaftlichen Interesse nicht einmal zu einer gemeinsamen Bundesgesetzgebung kommen könne, bemerken wir an dem Sächsischen Entwurf zuvörderst eine gewisse schwankende, sich selbst nicht recht klare Haltung. Das Gesetz fällt gleich mit seinem ersten Paragraphen, man mögte sagen, mit der Thür ins Haus. Man vermißt eine prinzipienmäßige Vorbegründung, einen Fundamentalsatz, zu welchem sich die übrigen Bestimmungen wie wissenschaftliche Herleitungen hätten verhalten müssen. Es mußte der Begriff der Vervielfältigung seyn, aus welchem her die gesetzlichen Verfügungen abgeleitet wurden. Diesem voran mußte die Begriffsbestimmung des literarisch-artistischen Eigenthums an sich gehen.

Dies geistige Eigenthum ruft den Schutz der Gesetze an, so wie es an Andere übertragen wird. Was heißt, geistiges 26 Eigenthum übertragen? Unter welchen Verhältnissen, zu welchem Zweck findet diese Übertragung Statt? Was sagt die sächsische Gesetzgebung z. B. über folgenden, in diesem Entwurf nicht präcavirten Fall? Ein Buchhändler kauft ein Manuscript und hat das Recht, es tausendfach zu vervielfältigen. Wie aber, wenn er es nicht drucken läßt? Gab er sein Geld für ein Recht oder für eine Pflicht? Muß ihn erst zum wirklichen Druckenlassen ein vorher gemachter Contrakt zwingen? Darf dieser Buchhändler, der ein Manuscript liegen läßt, weil es ihm z. B. nach dem Ankauf nicht mehr gefällt, gegen den andern Buchhändler klagen, dem der Autor dann sein Werk zum zweiten Male verkauft, oder darf der Autor nichts bezahlt nehmen und muß gegen den ersten Verleger klagen? Solche und ähnliche complizirte Fälle würden leicht zu entscheiden seyn, wenn der Gesetzentwurf weniger polizeylich, als strengrechtswissenschaftlich anhübe. Nur eine scharfe Bestimmung über die geistige Eigenthums-Übertragung selbst konnte solchen und ähnlichen Schwierigkeiten vorbeugen.

Eine consequente wissenschaftliche Entwicklung jenes Begriffs hätte dann auch einen in dem sächsischen Entwurfe fehlenden Schluß auf das Eigenthum an dramatischen Werken ziehen lassen. Die Unnationalität unserer Bühne, der Übersetzerunfug, die Concurrenz der Oper und aller der Gaukelkünste, die auf denselben Brettern, die der dramatischen Muse gewidmet sind, getrieben werden, alle diese Einflüsse haben das Rechtsgefühl gegen das Bühnenwesen abgestumpft. Unsere Bühne lebt auch trotz des Originalautors. Der deutsche vaterländische Bühnendichter ist schon glücklich, wenn man seine Werke berücksichtigt. Es ist mehr eine Gnade, als ein Recht, das ihm widerfährt. Daher kommt es, daß wir keinen Rechtsinstinkt für ihn haben. Allein der Jurist, die Gesetzgebung sollte ihn haben. Sie muß sich besinnen, was das ist, für die Bühne schreiben. Sie darf die Vervielfältigung des Dramas nicht von der Vervielfältigung der Musik trennen. Es ist eine und dieselbe Frage und beide Vervielfältigungen sind ganz unabhängig von der Vervielfältigung durch Druck oder Stich. Der Schutz, den man Büchern und Partituren schenkt, ist noch lange nicht erschöpfend genug. Es giebt eine freie Entäußerung seines Eigenthumsrechtes und eine unfreie, eine solche, die man sich durch öffentliche Aufführung und Darstellung gefallen lassen muß. Ist diese letztere eine solche, daß sie dem Aufführenden und Darstellenden Vortheil bringt, so ist der, der ihm den Stoff dafür lieferte, zu einem Antheil des Vortheils berechtigt und es ist widersinnig, daß dieser Antheil dadurch aufhören soll, daß ein Drama im Druck erschienen ist. Soll auch hier ein Terminus ad quem des Eigenthumsrechtes statt finden, so hätte er grade auch in diesem Gesetzentwurfe bei einer consequenten wissenschaftlichen Entwicklung berücksichtigt werden müssen.

Gehen wir nun auf das, was der Gesetzentwurf giebt und geben will, näher ein, so finden wir zwar überall eine ehrenwerthe Ansicht vom Autorrechte, vermissen aber das, was wir Bücherrecht nennen möchten. Beispiele können erläutern, was wir meinen. Ein Philolog edirt einen alten Classiker. Einen Commentar würde ihm der sächsische Gesetzentwurf dreißig Jahre nach seinem Tode noch sichern. Allein wenn er nur einen besondern Abdruck des alten Textes nach seiner Recognition giebt, soll ihm diese Recognition auch so lange gehören? Hat Lachmann auf seine Recognition des Lessing’schen Textes noch dreißig Jahre nach seinem Tode ein Recht? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Einen Wink auch darüber müssen die sächsischen Gesetzgeber sich nicht verdrießen lassen. Ferner: wie ist es mit Sammelwerken? Wer ist z. B. der geistige Eigenthümer des Conversationslexikons? War es Brockhaus, der Vater, dann würde man bald die Auflage, die bei seinem Tode die letzte war, (mit eignen Zusätzen) nachdrucken dürfen. Oder hat ein solches Werk, an dem die Kraft von Hunderten mitarbeitete, nicht Anspruch auf längere Integrität, als nur dreißig Jahre nach dem Tode dessen, der für das Ganze verantwortlich war?

Ueberhaupt diese 30 Jahre sind und bleiben ein kurzer Termin. Wie mancher Autor setzte an ein einziges Buch die Kraft seines ganzen Lebens! Alles, was er war und besaß, concentrirte sich in diesem Buche, einer Quellenforschung, einem Geschichtswerke, einem naturhistorischen Sammelwerke, einem Lexikon. Alles, was er den Seinigen hinterläßt, ist dieses Buch. Und in dem Augenblicke, da es erscheint, da es die Capitale von Fleiß und baarem Gelde, die darauf verwandt wurden, einbringen soll, in dem Augenblicke stirbt er. Sind dreißig Jahre Ersatz für sechzig verlorne? Geht nicht auf jede verlorne Minute nach der Güte des Schöpfers ein ganzer Tag! Braucht man nicht Jahre, um einzuholen, was man in Stunden verlor? Aber der Fall kann noch trüber kommen. Nicht jeder Gelehrte ist ein Mackeldey, der mit seiner leichten und mundgerechten Speise schnelles Glück macht und Dutzende von Auflagen während seines Lebens genießt, nicht jeder Dichter ist ein Schiller, der schnell und ohne Hinderniß in die Masse dringt. Für manchen 27 Genius muß erst die Zeit reifen. Für die Würdigung so mancher Bestrebung muß sich erst der Horizont lichten. Von dem Wirken so manches Autors, der sein Lebtag nur Blättchen schrieb, mit Entbehrung, Kummer und Sorge schrieb, läßt der Tod erst ein Facit ziehen. Dann erst existirt sein Schaffen als ein Ganzes, als eine Sammlung, ein Buch. Zehn Jahre vergehen, ehe die Nachwelt sich über ihn verständigt, und dann hat seine Familie noch zwanzig, um vom Wirken ihres Erblassers zu leben! Der Königsberger Hamann ist vierzig Jahre todt. Wie lange ist es her, daß man tieferes Interesse an ihm nahm? Heinrich von Kleist starb vor dreißig Jahren: jetzt erst wird er gewürdigt. Gesetzt, ein solcher Autor hätte bei seinem Tode ein ein Jahr altes Kind hinterlassen, ein Mädchen, das nicht Gelegenheit findet, in die Ehe zu treten; in ihrem 30sten Jahre könnten dann also Fremde ernten, was der Vater für sie gesäet hat? Man datirt ja die Civilisation vom Erbrecht, warum hier die Heiligkeit eines Begriffs nicht anerkennen, die man bei Majoraten mit gefaltenen Händen anbetet!

Auch der sächsische Entwurf will den aus 30 Jahren möglicherweise entstehenden Inconvenienzen durch die Vergünstigung von Privilegien entgegenarbeiten. Allein, wer ertheilt diese Privilegien? Der Staat. Gut, man privilegirt Jahr ein Jahr aus dem Herrn von Cotta seine Klassiker. Komme doch auch einmal Börne’s Erbin nach 30 Jahren beim Bundestage um Verlängerung der Frist für Börne’s Schriften ein! Wird man sie ertheilen? Überhaupt, wir wollen Gesetze, aber keine Privilegien haben. Der Staat soll uns nach gleichen Vorschriften regieren, aber nicht nach Fürwort oder Protektion begünstigen. Keine Privilegien, aber Eigenthumsrecht bis 50 Jahre nach dem Tode. Den Dank der Literatur und Kunst würde sich jeder erwerben, der in der sächsischen Kammer in dieser oder ähnlicher Weise einen Antrag stellte, in welchem sich Kenntnisse der geistigen Interessen mit geläutertem Rechtssinn vereinigen müßten.

Apparat#

Bearbeitung: Christine Haug, München; Ute Schneider, Mainz#

1. Textüberlieferung#

1.1. Handschriften#
1.1.1. Übersicht#

Es sind keine handschriftlichen Überlieferungsträger bekannt.

1.2. Drucke#
J K[arl] Gutzkow: Das königl. sächsische Gesetz zur Sicherstellung des literarischen und artistischen Eigenthums. In: Telegraph für Deutschland. Hamburg. Nr. 7, [11.] Januar 1843, S. 25–27. (Rasch 3.43.01.11.2)

2. Textdarbietung#

2.1. Edierter Text#

J. Der Text folgt in Orthographie und Interpunktion unverändert dem Erstdruck. Textsperrungen werden übernommen. Silbentrennstriche (=) werden durch - wiedergegeben. Die Seitenzählung wird mit Klammern [ ] an den betreffenden Stellen in den Text eingefügt.

Die Liste der Texteingriffe nennt die von den Herausgebern berichtigten Druckfehler sowie die Emendationen. Fehlende oder überzählige Spatien im Erstdruck wurden stillschweigend korrigiert.

Die Seiten-/Zeilenangaben im Apparat beziehen sich auf die Druckausgabe des Beitrags im Band: Schriften zum Buchhandel und zur literarischen Praxis. Hg. von Christine Haug u. Ute Schneider. Münster: Oktober Verlag, 2013. (= Gutzkows Werke und Briefe. Abt. IV: Schriften zur Literatur und zum Theater, Bd. 7.)

2.1.1. Texteingriffe#

18,4 Vortheils Vortheis

Errata#

In der Buchausgabe (GWB IV, Bd. 7) ist der unter 2.1.1. aufgeführte Texteingriff zwar erfolgt, aber nicht ausgewiesen. Der Texteingriff:

19,34 ein Jahr Jahr ein Jahr

wurde rückgängig gemacht.

Folgende Textkorrektur ist zu vermerken:

16,12 dreiszig lies: dreizig

5. Rezeptionsgeschichte#

5.1. Dokumente zur Rezeptionsgeschichte#

K.: Gutzkow und der Sächsische Gesetzentwurf über das literarische Recht. In: Allgemeine Preßzeitung. Leipzig. Nr. 8, 25. Februar 1843, Sp. 234-235. (Rasch 9/2.43.02.25)

Kommentar#

Der wissenschaftliche Apparat wird hier zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht.