Die Pfennig-Litteratur#

Metadaten#

Herausgeber
  1. Christine Haug
  2. Ute Schneider
Fassung
1.0
Letzte Bearbeitung
07.2020

Text#

513 Die Pfennig-Litteratur.#

*** Leipzig, Anfang März. In der Nachmittagsstunde von drei bis vier Uhr versammelt eine neue Erscheinung, welche sich regelmäßig fast täglich vorn in der Grimmaischen Gasse unweit dem großen Markte vorfindet, eine Menge neugieriger Zuschauer. Wir befinden uns vor dem eleganten Gewölbe des Buchhändlers Bossange Père aus Paris. Ein kleines geschmakvolles Kabriolet, ein Einspänner und zweirädrig, wie sich von selbst versteht, hält dicht vor den steinernen Stiegen, welche an die Thüre des Ladens führen. Es ist dem Neide zum Aerger mit gelber Farbe bestrichen, das kleine Fuhrwerk, bedekt mit einem großen geflochtenen Korbe, der an der hintern Seite bequem verschlossen werden kan. Für einen Fuhrmann ist nicht gesorgt, sondern wir sehen einen Graukopf, in Schuhen, mit blauem Frak und feiner Wäsche, in seiner aufrechten und gewandten Haltung den Franzosen verrathend, den eingeschirrten stampfenden Fuchs kurz am Zügel halten und einen lächelnden erwartungsvollen Blik nach dem andern auf das Hintertheil des Wagens werfen. Eine Menge junger Leute reichen sich, wie die Maurer Bausteine, große Ballen gedrukten Papiers zu, welche sorgfältig von hinten in den gelben Korb verpakt werden. Wir wissen es schon, daß dis die neuen Nummern des Pfennig-Magazins sind, und finden es durch eine Inschrift am Korbe des Wagens noch weitläuftig bestätigt. In der That, das Pfennig-Magazin hat sich Wagen und Pferd angeschaft. Es fährt bei den hiesigen Buchhändlern vor, man springt herbei, um es bequem herauszuheben, und übergibt es dann den Kommissionairen, welche es bis in die verstektesten Winkel Deutschlands spediren. Der federleichte durchsichtige Wagenlenker immer voran, und einige Buchhalter, Hand­knechte und Lehrlinge in gewisser Entfernung hinterher. Alles blikt freundlich, die Hände werden mit Seligkeit gerieben; man sieht es diesen Trabanten an, daß es sich um Tausende von Exemplaren und um eben so viel Thaler handelt. Bossange Père  ist stolz auf seine Erfindung. Obschon er nicht ein deutsches Wort versteht, so pflegt er doch oft auf französisch zu sagen, er liebe die Deutschen, sie seyen nächst den Franzosen die erste Nation. Bossange Père vergleicht sich oft mit Napoleon, und behauptet etwas vollbracht zu haben, was selbst dem großen Kaiser nicht gelungen sey, eine unzertrennliche Allianz zwischen Frankreich und Deutschland. La librairie en Allemagne, sagt er oft, n’était jusqu’alors qu’une chimère: moi j’étais le pre­mier à montrer ce que c’est que d’avoir une idée. Mon magazin était une idée; mais une idée-vérité. Der stolze Mann sagt nicht zu viel, denn es handelt sich um eine Wahrheit von 50,000 Exemplaren, um einen aufgehaltenen Bankerott, um eine glänzende Zukunft, um eine Wahrheit, welche sich Pferd und Wagen hat anschaffen können. Baumgärtner ist dem Franzosen schnell auf dem Fuße gefolgt. Sein Heller-Magazin hat die Hälfte von der Wahrheit des Hrn. Bossange Père, das Sonntags-Magazin eines flamändischen Buchhändlers (Peters aus Brüssel) ein Drittel Wahrheit, ein Ungarischer (Otto Wigand) mit seinem National-Magazin etwa zwei Fünftel. Hr. Bossange Père hat diese Nachahmungen mit Gleichmuth ertragen, und wird, da täglich der Papierbedarf steigt, nach der Ostermesse wahrscheinlich mit seiner klingenden abgerundeten Vierviertels-Wahrheit nach Karlsruhe ziehen, woselbst die Lumpen aus der Schweiz, aus Frankreich und ganz Süddeutschland zusammenkommen, und die Papierfabrikation besser in Flor ist, als in Sachsen, Böhmen und der Lausiz, wo man die Lumpen braucht, um sich darein zu kleiden.  Es läßt sich kaum sagen, daß eine neue Unternehmung dieser Art ohne Fortgang wäre; denn es ist erstaunlich, von welcher Kauflust plözlich unser gutes, edles, geiziges Publikum angestekt ist. Doch sind inzwischen weit größere Schwierigkeiten eingetreten, die sich nur durch ansehnliche Fonds überwinden lassen. Druk und Stof finden sich, aber wenn schon das Papier kostspielig ist, so sind es noch mehr die Stöke zu den Bildern, welche nicht fehlen dürfen. Die Londoner Stöke sind schwer zu verschaffen, die Pariser besizt Bossange, und die Berliner Stöke, den Professor Gubitz an der Spize, laufen in ein ungeheures Geld. Man rechnet, daß ein freies ungefesseltes Vermögen von 8000 Thalern, sogleich auf den Tisch zählbar, dazu gehört, die Konkurrenz der schon blühenden Institute auszuhalten. Erwägt man nun, daß es sich um einen buchhändlerischen Umsaz einer Summe von mehr als 200,000 Thalern jährlich bei diesen neuen Erscheinungen handelt, so wäre es möglich, daß auch in Deutschland sich bald ein solcher Widerspruch gegen die Pfennigindustrie erheben würde, wie er jezt in England schon eingetroffen ist. Ansehnliche Buchhandlungen, wie z. B. Duncker und Humblot in Berlin, schiken alle Pfennig-Ankündigungen zurük, und vielleicht treten in der nächsten Messe einige störende Reibungen wegen der Pfennigfrage ein. Doch sind die deutschen Verhältnisse verschieden von den englischen. Denn in Deutschland ist die Pfennig-Litteratur, vom buchhändlerischen Standpunkte aus gesehen, keine Neuerung. Unsre Litteratur ist niemals zu hohen Preisen angeschlagen worden. Unsre Uebersezungswuth drükte den Werth der Originale herab. Die Gesezlosigkeit des Buchhandels brachte Anarchie und Verwirrung in einen Zweig der Industrie, der zwar immer republikanische Farbe haben wird, aber doch in ein regelmäßigeres System gebracht werden konnte, als es bisher der Fall war. Weil es außerdem an einem bestimmten Gepräge unserer Litteratur selbst fehlt, an einem sichtbaren Publikum, an Autoren, welche vom Enthusiasmus empfangen würden, so war die nächste Folge eine solche Werthlosigkeit der in Deutschland aufgestapelten Papiermasse, daß eine Opposition gegen die Pfennig-Litteratur am wenigsten behaupten kan, die Preise der Litteratur seyen bedroht. Wir wissen ja längst, daß der beste Fortgang eines Buches in Deutschland darin liegt, es so wohlfeil als möglich zu machen. Ein Schulbuch muß schon halb wie Makulatur gerechnet werden, eine Unterhaltungsschrift von drei Bänden ist schwerfällig in unsern Augen und findet keinen Käufer. Deshalb kan der Widerspruch des Buchhandels gegen die Neuerung einzig auf den Aerger zurükkommen, daß einzelne Unternehmer, weiß Gott durch welchen Zufall, einen so glüklichen Treffer gehabt haben. Etwas Anderes ist es um die Gefahr, von welcher sich die Autoren durch die Pfennig-Litteratur bedroht glauben. Die Klagen derselben möchten auf Folgendes zurükkommen: Der Inhalt der neuen wohlfeilen Litteratur be-514steht zum kleinsten Theile aus Abdrüken angemessener Passagen in Originalwerken, zum größten Theile aus Uebersezungen der fremden Blätter. Es ist eine Litteratur, welche ohne Reaktion auf die deutsche Kunst oder Gelehrsamkeit bleibt, und durch die gedankenlose Hand eines Uebersezers schnell hergestellt ist. Dazu kommen vor allen Dingen zwei Umstände: Erstens wird die Kauflust des Publikums in demselben Augenblike, wo sie erregt ist, wieder verschleudert; denn auf die Länge sieht es ein, daß eine Menge kleiner Geldsteuern zulezt gleichfalls eine große Summe bilden, daß es sein Vermögen an eine gehaltlose, durch ihre Unbeholfenheit nur lästige Litteratur verschwendet hat, und es wird in der Folge nur desto karger werden, wenn es sich um die Beförderung wahrhaft nüzlicher patriotischer Zweke handelt. Sodann tritt namentlich für den Unterhaltungsschriftsteller eine noch tiefer liegende Besorgniß ein. Die Masse regellos zusammengeworfener realistischer Kuriositäten zieht das Publikum von den Schöpfungen der Phantasie ab, es erkaltet die Theilnahme für jene Leistungen, welche sowohl die Einbildungskraft angenehm beschäftigen, als auch das moralische Gefühl veredeln. Jener unsystematische Realismus ist Allen schädlich, selbst der Wissenschaft, in deren Interesse eine planlose Zusammenwürfelung ihrer Resultate niemals liegen wird. – Wir gestehen diesen Klagen keine vollkommene Wahrheit zu; denn sie halten sich auf einer nur oberflächlichen Ansicht der Verhältnisse, und greifen der Zukunft vor, welche vielleicht andre Folgen des einreißenden scheinbaren Verderbens aufweisen dürfte. Vor allen Dingen darf nicht ohne Anerkennung bleiben der große Werth, den die Verbreitung gemeinnüziger Kenntnisse hat. Es ist zwar beschämend, daß über die gebildetsten Völker plözlich die Sucht gekommen ist, sich zu unterrichten, allein es handelt sich um Thatsachen aus der Geschichte, dem Völkerleben, der Natur, deren Kenntniß gerade in der gebildeten Welt nur zu oft vermißt wird.

522 Noch unendlich wichtiger ist die Verbindung der Pfen­nig-Litteratur mit den Fortschritten, welche die Industrie in der neuern Zeit mit so reißender Schnelligkeit gemacht hat. Deutschland, durch den jüngst abgeschlossenen Zollverband nur um somehr aufgefordert, mit der englischen Gewerbsthätigkeit zu wetteifern, bedarf populairer Aufklärung über seinen Vortheil. Es ist viel zu wenig unterrichtet über die Vereinfachung der Gewerbe, über die Benuzung einfacher physikalischer, chemischer und namentlich mechanischer Kräfte und Geseze zu seinen industriellen Arbeiten, ja es fehlt selbst an vielen Orten die Bekanntschaft damit, wie man Lokalbegünstigungen, z. B. Steinkohlen- und Torflager, in das Interesse seines Gewerbes ziehen kan. Freilich hat unter den deutschen Pfennig-Blättern nur erst das National-Magazin, welches von dem Deutsch-Amerikaner List geleitet wird, eine Bestimmung dieser Art in seinen Plan aufgenommen. Aber die Uebrigen müssen einsehen, daß sie zulezt sich diesem Beispiele anzuschließen haben, wenn sie sich die Theilnahme des Publikums fortdauernd erhalten wollen. Die Konkurrenz wird auch dem National-Magazin seinen übertrieben englisch-amerikanischen Charakter nehmen und es darauf hinlenken, daß es sich weniger darum handelt, die Fortschritte jenseits des Kanals kennen zu lernen, als die Bedingungen, unter welchen sie in Deutschland könnten angewandt werden. Würden deutsche Gewerbsverständige, Kenner des deutschen Bodens, Fabrikanten, welche weniger Gelehrte, als Routi­niers in ihrem Fache sind, in das Interesse gezogen, so wäre diese populäre Litteratur in der That in ein Gleis gekommen, das die lebhafteste Anerkennung der Nation verdiente. – Mit der durchbrechenden polytechnischen Tendenz wird aber auch die Pfennig-Litteratur ein isolirtes Publikum erhalten. Die kleinen Holzschnitte, wie der Kasuar seine Eier legt und die Nordpolbewohner mit Hunden Schlitten fahren, verschwinden dann; der Beamte, der Gelehrte, die Frauenwelt, jeder, der nicht das Interesse der Industrie hat, läßt die Pfennig-Blätter bei Seite liegen und spart den Band, den er bereits gekauft hat, für seine Kinder auf, welche sich dadurch so gut belehren werden, als durch die Schriften des Verfassers der Ostereier. Wir haben dann mit den populairen Blättern für die Gewerbtreibenden einen positiven Vortheil erreicht, und durch die Theilnahme, welche das gesamte Publikum schon den jezt noch blühenden Ahnen derselben schenkte und später, wie wir fest hoffen, zurüknahm, einige negative, die sich auf die nachstehenden Bemerkungen werden reduziren lassen. – Es ist unwahr, daß durch die Pfennig-Litteratur die Kauflust verschleudert wird; aber man sehe sich nur um; wer sind jezt die Kaufenden? Schüchterne Pfahlbürger, mit langen blonden Haaren und blauen Oberröken, treten verlegen lächelnd in die Buchläden, die sie nur als Kinder betraten, als sie sich Rochows Schulfreund oder den kleinen Katechismus kauften, oder später ein Gesangbuch kurz nach ihrer Verheirathung. Sie beschreiben den großen Plakatbogen der draußen am Fenster hängt, und bringen es endlich heraus, daß sie 144 Pfennige an das erste Quartal des Pfennig-Magazins aufs Spiel sezen wollen. Wo ist hier eine Verschleuderung? Liegt nicht eine erhebende Anerkennung des Druk- und Bücherwesens in dieser simpeln Pränumeration? Ja es ist eine ganz neue Klasse von Käufern und Interessenten, welche der Buchhandel durch die verschriene Neuerung gewonnen hat. Es sind noch dazu zuverlässige, ehrliche Leute, die pünktlich mit ihren Sparpfennigen erscheinen, tüchtige, gesunde, und praktische, die der Buchhändler leicht für ein anderes gemeinnüziges Unternehmen gewinnen kan, kurz eine neue Handelsverbindung, die wie durch einen Zollkordon früher vom Markte ausgeschlossen war, und zwar mit nicht mehr als höchstens jährlich 6 bis 8 Thalern erscheint, aber in Masse erscheint, und sich täglich vermehrt. Der deutsche Buchhandel kan von ei­ner Eroberung, einem Arrondissement sprechen, und wird auf der nächsten Messe, statt darüber zu klagen, eher Ursache haben, darüber Triumphe zu feiern. Denn wenn er für seine frühern Unternehmungen sichere Abnehmer hatte, so ist deren Zahl darum nicht geringer geworden, sondern entweder dieselbe geblieben, oder sie hat sich sogar vermehrt, da die Kauflust der untern Stände anstekt, beschämt, und Bemittelte, aber Sorglose aus den Rekruten des Bücherkaufs wohl gar in die Reihen der alten Interessenten getreten sind. Allerdings ließe sich für eine Gefahr, welche die Pfennig-Litteratur dem bisherigen Buchhandel gebracht hätte, ein Ausdruk finden; doch ist die Gefahr nur scheinbar, und wenn sie eine wirkliche wäre, nur momentan. Es handelt sich nemlich nur darum, daß der Buchhandel eine andere Physiognomie angenommen hat, oder daß die Art des Verkaufs eine andere geworden ist. Bücher nemlich, welche nicht durchaus einfach-wissenschaftliches Interesse, das Interesse des Katheders und der Schule haben, welche an ein großes Publikum appelliren, ohne doch der Belletristik anzugehören, sind, wenn sie heftweise erscheinen, gegenwärtig in Deutschland einer Theilnahme gewiß, welche Erstaunen erregt. Dieselbe Erscheinung finden wir jezt in Frankreich, wo Thiers, Mignet, Guizot, Cuvier in derselben Weise aufgelegt werden. Diese Hefte sind schnell gelesen, wohlfeil, wie man sich überredet, gekauft und bequem verbreitet, namentlich in größern Städten, wo sich dem Buchhandel Kolporteurs anschließen, welche Raritäten, Prospekte, erste Lieferungen u. s. w. in die Häuser tragen, eine Art des Verkaufs, die in Berlin z. B. gänzlich organisirt ist. Wir besizen in Deutschland schon einige ausgezeichnete Schriften, die ihre Verbreitung auf dem genannten Wege gefunden haben, und es ist um aller Theile, der Kaufenden, der Schreibenden, der Verlegenden willen zu wünschen, daß wir noch mehr Werke dieser Art entstehen sehen. Die Pfennig-Litteratur stört diesen Buchhandel durchaus nicht; denn sie ist nur ein Symptom desselben. Sie zeigt namentlich, daß auch die Zeitschriften einen ähnlichen Weg nehmen müssen. Die auffallend geringe Zahl von Abnehmern deutscher Journale erklärt sich aus dem Umstande, daß unsre Journale nur für Cirkel und Gesellschaften, für den Privatmann gar nicht existiren. Allein man hebe, was sich thun läßt, das Zerblättern in eine Menge von Nummern auf, binde den Inhalt in ein Heft, versende es zwei, drei, viermal im Monate, indem man den Abnehmern überläßt, für das Ganze oder für jede einzelne 523 Lieferung zu bezahlen, und man wird einen ganz neuen Schwung unsrer Journal-Litteratur wahrnehmen. Zulezt erwidern wir noch Einiges auf die Besorgniß, daß die Pfennig-Litteratur unser Publikum für belletristische Erzeugnisse abstumpfe. Diese Besorgniß ist nicht ungegründet; allein wir müssen sie unter einem andern Lichte sehen. Es handelt sich, wenn man die Interessen des Genie’s bedenkt, eher um einen Vortheil als um einen Nachtheil. Gegen die belletristische Ueberfluthung, gegen zahllose oberflächliche, matte Produktionen kämpft die Kritik schon seit Jahren vergebens, und es muß endlich so weit kommen, daß sich die Litteratur selbst zu helfen sucht. Sie hilft sich, fast möchte man sagen homöopathisch; gegen Schriften, welche keinen Pfennig werth sind, durch solche, welche in der That nur einen Pfennig kosten. Es wäre sogar zu wünschen, daß dieser Reaktion eine recht direkte Tendenz auf Vernichtung der alten Ueberschwemmungs-Litteratur gegeben werden könnte, und es ist möglich, daß diese eine rein materielle wäre; denn wenn die Pfennig-Litteratur kein Papier mehr finden kann, so müssen die alten Bücherlager ausräumen und die tausend schlechten Fabrikate über Bord in die Papiermühle werfen. Diese Prozedur läßt sich mit dem ruhigsten Auge ansehen, denn unsre Litteratur ist auf den Punkt gekommen, sich konsolidiren zu wollen; sie stößt in der Gährung die schlechte Masse als Bodensaz von sich, und wird sich nur mit einigen treflichen Namen und Schriften auf der Höhe erhalten. Das Genie kan mitten unter den Papierfluthen der Pfennig-Litteratur unbesorgt um die Anerkennung bleiben, welche ihm immer sicher ist bei einer Nation, die von jeher für das, was neu, originell, epochemachend ist, einen so glüklichen Takt gehabt hat. Ja dieser einbrechende Realismus wird seinem Interesse entgegenkommen, da er den Weg bahnt, die schlechte Masse wegräumt, und dem Publikum derbe, kräftige, gesunde Nahrung reicht. Die ehemalige Konkurrenz mit seichter Phantasterie schadete dem genialen Autor bisher mehr, als alle Bilder- und Pfennig-Magazine, welche wir schon besizen und noch erhalten können. Man erwehrt sich eher eines Gegners als eines zweifelhaften Freundes.

Apparat#

Bearbeitung: Christine Haug, München; Ute Schneider, Mainz#

1. Textüberlieferung #

1.1. Handschriften#
1.1.1. Übersicht#

Es sind keine handschriftlichen Überlieferungsträger bekannt.   

1.2. Drucke#

Gutzkow nahm den 1834 in der „Außerordentlichen Beilage zur Allgemeinen Zeitung“ veröffentlichten Artikel in gekürzter und überarbeiteter Form 1836 in seine Sammlung Beiträge zur Geschichte der neuesten Literatur auf. Dort bildet dieser Text den Abschluss des ersten Kapitels Literarische Industrie, in das Gutzkow auch die ebenfalls früher publizierten Journalbeiträge → Werke der Industrie (GWB IV, Bd. 7, S. 97-101) und → Der Ostermeßkatalog einarbeitete.

J [Anon]: Die Pfennig-Litteratur. In: Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitung. Augsburg. Nr. 129 u. 130, 31. März 1834, S. 513-514; Nr. 131, 1. April 1834, S. 522-523. (Rasch 3.34.03.31)
E Karl Gutzkow: Literarische Industrie. In: Ders.: Beiträge zur Geschichte der neuesten Literatur. 2 Bde. Stuttgart: Balz, 1836. Bd. 1, S. 9-21. (Rasch 2.13.1.2) 

 

 2. Textdarbietung#

2.1. Edierter Text#

J. Der Text folgt in Orthographie und Interpunktion unverändert dem Erstdruck. Textsperrungen werden übernommen. Silbentrennstriche (=) werden durch - wiedergegeben. Die Seitenzählung wird mit Klammern [  ] an den betreffenden Stellen in den Text eingefügt.

Die Liste der Texteingriffe nennt die von den Herausgebern berichtigten Druckfehler sowie die Emendationen. Fehlende oder überzählige Spatien im Erstdruck wurden stillschweigend korrigiert.

Die Seiten-/Zeilenangaben im Apparat beziehen sich auf die Druckausgabe des Beitrags im Band: Schriften zum Buchhandel und zur literarischen Praxis. Hg. von Christine Haug u. Ute Schneider. Münster: Oktober Verlag, 2013. (= Gutzkows Werke und Briefe. Abt. IV: Schriften zur Literatur und zum Theater, Bd. 7.)

 2.1.2 Texteingriffe#

129,2 gefolgt gefogt

Errata#

Der oben verzeichnete Texteingriff ist in der Buchausgabe (GWB IV, Bd. 7) nicht vorgenommen worden.

2.2. Lesarten und Varianten#

Die Umarbeitung von J für E besteht aus einer Reihe stilistischer Änderungen: So entfernte Gutzkow die Charakteristika des aktuellen Korrespondentenberichtes aus Leipzig, untergliederte den Text stärker in Abschnitte und straffte die detailreichen, manchmal abschweifenden Schildungen des Journaltextes durch Streichungen und glattere Übergänge. Orthographische Abweichungen betreffen vor allem die Schreibung von Konsonanten nach kurzen Vokalen: geschmakvolles J, geschmackvolles E; angeschaft J, angeschafft E; gemeinnüziger J, gemeinnütziger E; dagegen aber: Nummern J, Numern E. Im Gegensatz zu Sperrungen in J sind Eigennamen in E teilweise gefettet. Zahlen (z. B. Es handelt sich um eine Wahrheit von 50,000 Exemplaren, 128,32) stehen in E ebenfalls im Fettdruck.

 

 6. Kommentierung#

6.1. Globalkommentar#

Der Beitrag Die Pfennig-Litteratur belegt Gutzkows früh einsetzendes publizistisches Engagement für eine sinnvolle Verbreitung von Wissen und literarischer Bildung durch Neuerungen im Druck- und Verlagswesen. Anfang der 1830er Jahre zeigten sich auf diesem Gebiet in Deutschland Innovationen, die aus England und Frankreich kamen: die Produktion und Distribution von Druckwerken in heftweisen Lieferungen. Leipzig stellte dabei den wichtigsten Umschlagplatz im deutschen Handelsraum dar: Hier betreuten ortsansässige Buchhändler (Kommissionäre) zwischen den Buchmessen die Leipziger Lager auswärtiger Verleger und belieferten in deren Namen und auf deren Rechnung Kunden im gesamten deutschen Raum. Der französische Verleger Martin Bossange (1765-1865) eröffnete in Leipzig eine Zweigstelle und begründete 1833 zusammen mit Johann Jakob Weber (1803-1880) nach englischem und französischem Vorbild das mit Holzstichen opulent illustrierte „Pfennig-Magazin“, das als Lieferungswerk in Heften für einen geringen Preis populärwissenschaftliche und unterhaltende Lesestoffe für ein breites Publikum bereit hielt und überaus reüssierte. Gutzkow registriert und verarbeitet dieses Phänomen sogleich an Ort und Stelle, nämlich während seines Aufenthalts in Leipzig von Mitte Januar bis Anfang März 1834. Mit der „(Außerordentlichen) Beilage“ zu der von Cotta verlegten, überregional bedeutenden Augsburger „Allgemeinen Zeitung“, für die der junge Autor in den ersten Monaten des Jahres 1834 regelmäßig Korrespondenzen lieferte, wurde ein großer gebildeter Leserkreis erreicht.

Im vorliegenden Beitrag hebt Gutzkow nicht nur auf die plötzliche Popularität des „Pfennig-Magazins“, dieses neuen Periodikums, ab, sondern stellt auch das Phänomen der heftweise und preisgünstig vertriebenen anderen Publikationsformen vor. Mit seinem nachdrücklichen Plädoyer für den ,Pfennigdemokratismus‛ beteiligt er sich an einem literarisch-politisch brisanten Diskurs der literarischen Intelligenz in den 1830er Jahren über die Vor- und Nachteile einer ungehemmten Expansion des Buchmarkts und einer Deregulierung der Buchzirkulation. Die Produktion von Groschen- und Pfennigliteratur scheint ihm ein wirksames Element eines homöopathisch wirkenden Selbstheilungsprozesses im Verlagsgewerbe zu sein, denn diejenige verflachte Literatur der Restaurationsperiode, die keinen Pfennig werth sei, werde allmählich ersetzt durch Literatur, die wirklich jeden für sie ausgegebenen Pfennig wert sei (135,4-6).

Dass Gutzkow diesen Text in das Eröffnungskapitel seiner literaturkritischen Sammlung Beiträge zur Geschichte der neuesten Literatur einarbeitete, zeigt, wie eng für ihn die Modernisierung der Literatur nach dem Ende der ,Kunstperiode‘ mit der erhöhten Zirkulation von Bildungsstoffen zusammenhing.

    

Stellenerläuterungen#