Die Pfennig-Litteratur#

Metadaten#

Herausgeber / Herausgeberin
  1. Christine Haug
  2. Ute Schneider
Fassung
1.0
Letzte Bearbeitung
07.2020

Text#

513 Die Pfennig-Litteratur.#

*** Leipzig, Anfang März. In der Nachmittagsstunde von drei bis vier Uhr versammelt eine neue Erscheinung, welche sich regelmäßig fast täglich vorn in der Grimmaischen Gasse unweit dem großen Markte vorfindet, eine Menge neugieriger Zuschauer. Wir befinden uns vor dem eleganten Gewölbe des Buchhändlers Bossange Père aus Paris. Ein kleines geschmakvolles Kabriolet, ein Einspänner und zweirädrig, wie sich von selbst versteht, hält dicht vor den steinernen Stiegen, welche an die Thüre des Ladens führen. Es ist dem Neide zum Aerger mit gelber Farbe bestrichen, das kleine Fuhrwerk, bedekt mit einem großen geflochtenen Korbe, der an der hintern Seite bequem verschlossen werden kan. Für einen Fuhrmann ist nicht gesorgt, sondern wir sehen einen Graukopf, in Schuhen, mit blauem Frak und feiner Wäsche, in seiner aufrechten und gewandten Haltung den Franzosen verrathend, den eingeschirrten stampfenden Fuchs kurz am Zügel halten und einen lächelnden erwartungsvollen Blik nach dem andern auf das Hintertheil des Wagens werfen. Eine Menge junger Leute reichen sich, wie die Maurer Bausteine, große Ballen gedrukten Papiers zu, welche sorgfältig von hinten in den gelben Korb verpakt werden. Wir wissen es schon, daß dis die neuen Nummern des Pfennig-Magazins sind, und finden es durch eine Inschrift am Korbe des Wagens noch weitläuftig bestätigt. In der That, das Pfennig-Magazin hat sich Wagen und Pferd angeschaft. Es fährt bei den hiesigen Buchhändlern vor, man springt herbei, um es bequem herauszuheben, und übergibt es dann den Kommissionairen, welche es bis in die verstektesten Winkel Deutschlands spediren. Der federleichte durchsichtige Wagenlenker immer voran, und einige Buchhalter, Hand­knechte und Lehrlinge in gewisser Entfernung hinterher. Alles blikt freundlich, die Hände werden mit Seligkeit gerieben; man sieht es diesen Trabanten an, daß es sich um Tausende von Exemplaren und um eben so viel Thaler handelt. Bossange Père  ist stolz auf seine Erfindung. Obschon er nicht ein deutsches Wort versteht, so pflegt er doch oft auf französisch zu sagen, er liebe die Deutschen, sie seyen nächst den Franzosen die erste Nation. Bossange Père vergleicht sich oft mit Napoleon, und behauptet etwas vollbracht zu haben, was selbst dem großen Kaiser nicht gelungen sey, eine unzertrennliche Allianz zwischen Frankreich und Deutschland. La librairie en Allemagne, sagt er oft, n’était jusqu’alors qu’une chimère: moi j’étais le pre­mier à montrer ce que c’est que d’avoir une idée. Mon magazin était une idée; mais une idée-vérité. Der stolze Mann sagt nicht zu viel, denn es handelt sich um eine Wahrheit von 50,000 Exemplaren, um einen aufgehaltenen Bankerott, um eine glänzende Zukunft, um eine Wahrheit, welche sich Pferd und Wagen hat anschaffen können. Baumgärtner ist dem Franzosen schnell auf dem Fuße gefolgt. Sein Heller-Magazin hat die Hälfte von der Wahrheit des Hrn. Bossange Père, das Sonntags-Magazin eines flamändischen Buchhändlers (Peters aus Brüssel) ein Drittel Wahrheit, ein Ungarischer (Otto Wigand) mit seinem National-Magazin etwa zwei Fünftel. Hr. Bossange Père hat diese Nachahmungen mit Gleichmuth ertragen, und wird, da täglich der Papierbedarf steigt, nach der Ostermesse wahrscheinlich mit seiner klingenden abgerundeten Vierviertels-Wahrheit nach Karlsruhe ziehen, woselbst die Lumpen aus der Schweiz, aus Frankreich und ganz Süddeutschland zusammenkommen, und die Papierfabrikation besser in Flor ist, als in Sachsen, Böhmen und der Lausiz, wo man die Lumpen braucht, um sich darein zu kleiden.  Es läßt sich kaum sagen, daß eine neue Unternehmung dieser Art ohne Fortgang wäre; denn es ist erstaunlich, von welcher Kauflust plözlich unser gutes, edles, geiziges Publikum angestekt ist. Doch sind inzwischen weit größere Schwierigkeiten eingetreten, die sich nur durch ansehnliche Fonds überwinden lassen. Druk und Stof finden sich, aber wenn schon das Papier kostspielig ist, so sind es noch mehr die Stöke zu den Bildern, welche nicht fehlen dürfen. Die Londoner Stöke sind schwer zu verschaffen, die Pariser besizt Bossange, und die Berliner Stöke, den Professor Gubitz an der Spize, laufen in ein ungeheures Geld. Man rechnet, daß ein freies ungefesseltes Vermögen von 8000 Thalern, sogleich auf den Tisch zählbar, dazu gehört, die Konkurrenz der schon blühenden Institute auszuhalten. Erwägt man nun, daß es sich um einen buchhändlerischen Umsaz einer Summe von mehr als 200,000 Thalern jährlich bei diesen neuen Erscheinungen handelt, so wäre es möglich, daß auch in Deutschland sich bald ein solcher Widerspruch gegen die Pfennigindustrie erheben würde, wie er jezt in England schon eingetroffen ist. Ansehnliche Buchhandlungen, wie z. B. Duncker und Humblot in Berlin, schiken alle Pfennig-Ankündigungen zurük, und vielleicht treten in der nächsten Messe einige störende Reibungen wegen der Pfennigfrage ein. Doch sind die deutschen Verhältnisse verschieden von den englischen. Denn in Deutschland ist die Pfennig-Litteratur, vom buchhändlerischen Standpunkte aus gesehen, keine Neuerung. Unsre Litteratur ist niemals zu hohen Preisen angeschlagen worden. Unsre Uebersezungswuth drükte den Werth der Originale herab. Die Gesezlosigkeit des Buchhandels brachte Anarchie und Verwirrung in einen Zweig der Industrie, der zwar immer republikanische Farbe haben wird, aber doch in ein regelmäßigeres System gebracht werden konnte, als es bisher der Fall war. Weil es außerdem an einem bestimmten Gepräge unserer Litteratur selbst fehlt, an einem sichtbaren Publikum, an Autoren, welche vom Enthusiasmus empfangen würden, so war die nächste Folge eine solche Werthlosigkeit der in Deutschland aufgestapelten Papiermasse, daß eine Opposition gegen die Pfennig-Litteratur am wenigsten behaupten kan, die Preise der Litteratur seyen bedroht. Wir wissen ja längst, daß der beste Fortgang eines Buches in Deutschland darin liegt, es so wohlfeil als möglich zu machen. Ein Schulbuch muß schon halb wie Makulatur gerechnet werden, eine Unterhaltungsschrift von drei Bänden ist schwerfällig in unsern Augen und findet keinen Käufer. Deshalb kan der Widerspruch des Buchhandels gegen die Neuerung einzig auf den Aerger zurükkommen, daß einzelne Unternehmer, weiß Gott durch welchen Zufall, einen so glüklichen Treffer gehabt haben. Etwas Anderes ist es um die Gefahr, von welcher sich die Autoren durch die Pfennig-Litteratur bedroht glauben. Die Klagen derselben möchten auf Folgendes zurükkommen: Der Inhalt der neuen wohlfeilen Litteratur be-514steht zum kleinsten Theile aus Abdrüken angemessener Passagen in Originalwerken, zum größten Theile aus Uebersezungen der fremden Blätter. Es ist eine Litteratur, welche ohne Reaktion auf die deutsche Kunst oder Gelehrsamkeit bleibt, und durch die gedankenlose Hand eines Uebersezers schnell hergestellt ist. Dazu kommen vor allen Dingen zwei Umstände: Erstens wird die Kauflust des Publikums in demselben Augenblike, wo sie erregt ist, wieder verschleudert; denn auf die Länge sieht es ein, daß eine Menge kleiner Geldsteuern zulezt gleichfalls eine große Summe bilden, daß es sein Vermögen an eine gehaltlose, durch ihre Unbeholfenheit nur lästige Litteratur verschwendet hat, und es wird in der Folge nur desto karger werden, wenn es sich um die Beförderung wahrhaft nüzlicher patriotischer Zweke handelt. Sodann tritt namentlich für den Unterhaltungsschriftsteller eine noch tiefer liegende Besorgniß ein. Die Masse regellos zusammengeworfener realistischer Kuriositäten zieht das Publikum von den Schöpfungen der Phantasie ab, es erkaltet die Theilnahme für jene Leistungen, welche sowohl die Einbildungskraft angenehm beschäftigen, als auch das moralische Gefühl veredeln. Jener unsystematische Realismus ist Allen schädlich, selbst der Wissenschaft, in deren Interesse eine planlose Zusammenwürfelung ihrer Resultate niemals liegen wird. – Wir gestehen diesen Klagen keine vollkommene Wahrheit zu; denn sie halten sich auf einer nur oberflächlichen Ansicht der Verhältnisse, und greifen der Zukunft vor, welche vielleicht andre Folgen des einreißenden scheinbaren Verderbens aufweisen dürfte. Vor allen Dingen darf nicht ohne Anerkennung bleiben der große Werth, den die Verbreitung gemeinnüziger Kenntnisse hat. Es ist zwar beschämend, daß über die gebildetsten Völker plözlich die Sucht gekommen ist, sich zu unterrichten, allein es handelt sich um Thatsachen aus der Geschichte, dem Völkerleben, der Natur, deren Kenntniß gerade in der gebildeten Welt nur zu oft vermißt wird.

522 Noch unendlich wichtiger ist die Verbindung der Pfen­nig-Litteratur mit den Fortschritten, welche die Industrie in der neuern Zeit mit so reißender Schnelligkeit gemacht hat. Deutschland, durch den jüngst abgeschlossenen Zollverband nur um somehr aufgefordert, mit der englischen Gewerbsthätigkeit zu wetteifern, bedarf populairer Aufklärung über seinen Vortheil. Es ist viel zu wenig unterrichtet über die Vereinfachung der Gewerbe, über die Benuzung einfacher physikalischer, chemischer und namentlich mechanischer Kräfte und Geseze zu seinen industriellen Arbeiten, ja es fehlt selbst an vielen Orten die Bekanntschaft damit, wie man Lokalbegünstigungen, z. B. Steinkohlen- und Torflager, in das Interesse seines Gewerbes ziehen kan. Freilich hat unter den deutschen Pfennig-Blättern nur erst das National-Magazin, welches von dem Deutsch-Amerikaner List geleitet wird, eine Bestimmung dieser Art in seinen Plan aufgenommen. Aber die Uebrigen müssen einsehen, daß sie zulezt sich diesem Beispiele anzuschließen haben, wenn sie sich die Theilnahme des Publikums fortdauernd erhalten wollen. Die Konkurrenz wird auch dem National-Magazin seinen übertrieben englisch-amerikanischen Charakter nehmen und es darauf hinlenken, daß es sich weniger darum handelt, die Fortschritte jenseits des Kanals kennen zu lernen, als die Bedingungen, unter welchen sie in Deutschland könnten angewandt werden. Würden deutsche Gewerbsverständige, Kenner des deutschen Bodens, Fabrikanten, welche weniger Gelehrte, als Routi­niers in ihrem Fache sind, in das Interesse gezogen, so wäre diese populäre Litteratur in der That in ein Gleis gekommen, das die lebhafteste Anerkennung der Nation verdiente. – Mit der durchbrechenden polytechnischen Tendenz wird aber auch die Pfennig-Litteratur ein isolirtes Publikum erhalten. Die kleinen Holzschnitte, wie der Kasuar seine Eier legt und die Nordpolbewohner mit Hunden Schlitten fahren, verschwinden dann; der Beamte, der Gelehrte, die Frauenwelt, jeder, der nicht das Interesse der Industrie hat, läßt die Pfennig-Blätter bei Seite liegen und spart den Band, den er bereits gekauft hat, für seine Kinder auf, welche sich dadurch so gut belehren werden, als durch die Schriften des Verfassers der Ostereier. Wir haben dann mit den populairen Blättern für die Gewerbtreibenden einen positiven Vortheil erreicht, und durch die Theilnahme, welche das gesamte Publikum schon den jezt noch blühenden Ahnen derselben schenkte und später, wie wir fest hoffen, zurüknahm, einige negative, die sich auf die nachstehenden Bemerkungen werden reduziren lassen. – Es ist unwahr, daß durch die Pfennig-Litteratur die Kauflust verschleudert wird; aber man sehe sich nur um; wer sind jezt die Kaufenden? Schüchterne Pfahlbürger, mit langen blonden Haaren und blauen Oberröken, treten verlegen lächelnd in die Buchläden, die sie nur als Kinder betraten, als sie sich Rochows Schulfreund oder den kleinen Katechismus kauften, oder später ein Gesangbuch kurz nach ihrer Verheirathung. Sie beschreiben den großen Plakatbogen der draußen am Fenster hängt, und bringen es endlich heraus, daß sie 144 Pfennige an das erste Quartal des Pfennig-Magazins aufs Spiel sezen wollen. Wo ist hier eine Verschleuderung? Liegt nicht eine erhebende Anerkennung des Druk- und Bücherwesens in dieser simpeln Pränumeration? Ja es ist eine ganz neue Klasse von Käufern und Interessenten, welche der Buchhandel durch die verschriene Neuerung gewonnen hat. Es sind noch dazu zuverlässige, ehrliche Leute, die pünktlich mit ihren Sparpfennigen erscheinen, tüchtige, gesunde, und praktische, die der Buchhändler leicht für ein anderes gemeinnüziges Unternehmen gewinnen kan, kurz eine neue Handelsverbindung, die wie durch einen Zollkordon früher vom Markte ausgeschlossen war, und zwar mit nicht mehr als höchstens jährlich 6 bis 8 Thalern erscheint, aber in Masse erscheint, und sich täglich vermehrt. Der deutsche Buchhandel kan von ei­ner Eroberung, einem Arrondissement sprechen, und wird auf der nächsten Messe, statt darüber zu klagen, eher Ursache haben, darüber Triumphe zu feiern. Denn wenn er für seine frühern Unternehmungen sichere Abnehmer hatte, so ist deren Zahl darum nicht geringer geworden, sondern entweder dieselbe geblieben, oder sie hat sich sogar vermehrt, da die Kauflust der untern Stände anstekt, beschämt, und Bemittelte, aber Sorglose aus den Rekruten des Bücherkaufs wohl gar in die Reihen der alten Interessenten getreten sind. Allerdings ließe sich für eine Gefahr, welche die Pfennig-Litteratur dem bisherigen Buchhandel gebracht hätte, ein Ausdruk finden; doch ist die Gefahr nur scheinbar, und wenn sie eine wirkliche wäre, nur momentan. Es handelt sich nemlich nur darum, daß der Buchhandel eine andere Physiognomie angenommen hat, oder daß die Art des Verkaufs eine andere geworden ist. Bücher nemlich, welche nicht durchaus einfach-wissenschaftliches Interesse, das Interesse des Katheders und der Schule haben, welche an ein großes Publikum appelliren, ohne doch der Belletristik anzugehören, sind, wenn sie heftweise erscheinen, gegenwärtig in Deutschland einer Theilnahme gewiß, welche Erstaunen erregt. Dieselbe Erscheinung finden wir jezt in Frankreich, wo Thiers, Mignet, Guizot, Cuvier in derselben Weise aufgelegt werden. Diese Hefte sind schnell gelesen, wohlfeil, wie man sich überredet, gekauft und bequem verbreitet, namentlich in größern Städten, wo sich dem Buchhandel Kolporteurs anschließen, welche Raritäten, Prospekte, erste Lieferungen u. s. w. in die Häuser tragen, eine Art des Verkaufs, die in Berlin z. B. gänzlich organisirt ist. Wir besizen in Deutschland schon einige ausgezeichnete Schriften, die ihre Verbreitung auf dem genannten Wege gefunden haben, und es ist um aller Theile, der Kaufenden, der Schreibenden, der Verlegenden willen zu wünschen, daß wir noch mehr Werke dieser Art entstehen sehen. Die Pfennig-Litteratur stört diesen Buchhandel durchaus nicht; denn sie ist nur ein Symptom desselben. Sie zeigt namentlich, daß auch die Zeitschriften einen ähnlichen Weg nehmen müssen. Die auffallend geringe Zahl von Abnehmern deutscher Journale erklärt sich aus dem Umstande, daß unsre Journale nur für Cirkel und Gesellschaften, für den Privatmann gar nicht existiren. Allein man hebe, was sich thun läßt, das Zerblättern in eine Menge von Nummern auf, binde den Inhalt in ein Heft, versende es zwei, drei, viermal im Monate, indem man den Abnehmern überläßt, für das Ganze oder für jede einzelne 523 Lieferung zu bezahlen, und man wird einen ganz neuen Schwung unsrer Journal-Litteratur wahrnehmen. Zulezt erwidern wir noch Einiges auf die Besorgniß, daß die Pfennig-Litteratur unser Publikum für belletristische Erzeugnisse abstumpfe. Diese Besorgniß ist nicht ungegründet; allein wir müssen sie unter einem andern Lichte sehen. Es handelt sich, wenn man die Interessen des Genie’s bedenkt, eher um einen Vortheil als um einen Nachtheil. Gegen die belletristische Ueberfluthung, gegen zahllose oberflächliche, matte Produktionen kämpft die Kritik schon seit Jahren vergebens, und es muß endlich so weit kommen, daß sich die Litteratur selbst zu helfen sucht. Sie hilft sich, fast möchte man sagen homöopathisch; gegen Schriften, welche keinen Pfennig werth sind, durch solche, welche in der That nur einen Pfennig kosten. Es wäre sogar zu wünschen, daß dieser Reaktion eine recht direkte Tendenz auf Vernichtung der alten Ueberschwemmungs-Litteratur gegeben werden könnte, und es ist möglich, daß diese eine rein materielle wäre; denn wenn die Pfennig-Litteratur kein Papier mehr finden kann, so müssen die alten Bücherlager ausräumen und die tausend schlechten Fabrikate über Bord in die Papiermühle werfen. Diese Prozedur läßt sich mit dem ruhigsten Auge ansehen, denn unsre Litteratur ist auf den Punkt gekommen, sich konsolidiren zu wollen; sie stößt in der Gährung die schlechte Masse als Bodensaz von sich, und wird sich nur mit einigen treflichen Namen und Schriften auf der Höhe erhalten. Das Genie kan mitten unter den Papierfluthen der Pfennig-Litteratur unbesorgt um die Anerkennung bleiben, welche ihm immer sicher ist bei einer Nation, die von jeher für das, was neu, originell, epochemachend ist, einen so glüklichen Takt gehabt hat. Ja dieser einbrechende Realismus wird seinem Interesse entgegenkommen, da er den Weg bahnt, die schlechte Masse wegräumt, und dem Publikum derbe, kräftige, gesunde Nahrung reicht. Die ehemalige Konkurrenz mit seichter Phantasterie schadete dem genialen Autor bisher mehr, als alle Bilder- und Pfennig-Magazine, welche wir schon besizen und noch erhalten können. Man erwehrt sich eher eines Gegners als eines zweifelhaften Freundes.

Apparat#

Bearbeitung: Christine Haug, München; Ute Schneider, Mainz#

1. Textüberlieferung #

1.1. Handschriften#
1.1.1. Übersicht#

Es sind keine handschriftlichen Überlieferungsträger bekannt.   

1.2. Drucke#

Gutzkow nahm den 1834 in der „Außerordentlichen Beilage zur Allgemeinen Zeitung“ veröffentlichten Artikel in gekürzter und überarbeiteter Form 1836 in seine Sammlung Beiträge zur Geschichte der neuesten Literatur auf. Dort bildet dieser Text den Abschluss des ersten Kapitels Literarische Industrie, in das Gutzkow auch die ebenfalls früher publizierten Journalbeiträge → Werke der Industrie (GWB IV, Bd. 7, S. 97-101) und → Der Ostermeßkatalog einarbeitete.

  1. J [Anon]: Die Pfennig-Litteratur. In: Außerordentliche Beilage zur Allgemeinen Zeitung. Augsburg. Nr. 129 u. 130, 31. März 1834, S. 513-514; Nr. 131, 1. April 1834, S. 522-523. (Rasch 3.34.03.31)
  2. E Karl Gutzkow: Literarische Industrie. In: Ders.: Beiträge zur Geschichte der neuesten Literatur. 2 Bde. Stuttgart: Balz, 1836. Bd. 1, S. 9-21. (Rasch 2.13.1.2) 

 

 2. Textdarbietung#

2.1. Edierter Text#

J. Der Text folgt in Orthographie und Interpunktion unverändert dem Erstdruck. Textsperrungen werden übernommen. Silbentrennstriche (=) werden durch - wiedergegeben. Die Seitenzählung wird mit Klammern [  ] an den betreffenden Stellen in den Text eingefügt.

Die Liste der Texteingriffe nennt die von den Herausgebern berichtigten Druckfehler sowie die Emendationen. Fehlende oder überzählige Spatien im Erstdruck wurden stillschweigend korrigiert.

Die Seiten-/Zeilenangaben im Apparat beziehen sich auf die Druckausgabe des Beitrags im Band: Schriften zum Buchhandel und zur literarischen Praxis. Hg. von Christine Haug u. Ute Schneider. Münster: Oktober Verlag, 2013. (= Gutzkows Werke und Briefe. Abt. IV: Schriften zur Literatur und zum Theater, Bd. 7.)

 2.1.2 Texteingriffe#

129,2 gefolgt gefogt

Errata#

Der oben verzeichnete Texteingriff ist in der Buchausgabe (GWB IV, Bd. 7) nicht vorgenommen worden.

2.2. Lesarten und Varianten#

Die Umarbeitung von J für E besteht aus einer Reihe stilistischer Änderungen: So entfernte Gutzkow die Charakteristika des aktuellen Korrespondentenberichtes aus Leipzig, untergliederte den Text stärker in Abschnitte und straffte die detailreichen, manchmal abschweifenden Schildungen des Journaltextes durch Streichungen und glattere Übergänge. Orthographische Abweichungen betreffen vor allem die Schreibung von Konsonanten nach kurzen Vokalen: geschmakvolles J, geschmackvolles E; angeschaft J, angeschafft E; gemeinnüziger J, gemeinnütziger E; dagegen aber: Nummern J, Numern E. Im Gegensatz zu Sperrungen in J sind Eigennamen in E teilweise gefettet. Zahlen (z. B. Es handelt sich um eine Wahrheit von 50,000 Exemplaren, 128,32) stehen in E ebenfalls im Fettdruck.

 

 6. Kommentierung#

6.1. Globalkommentar#

Der Beitrag Die Pfennig-Litteratur belegt Gutzkows früh einsetzendes publizistisches Engagement für eine sinnvolle Verbreitung von Wissen und literarischer Bildung durch Neuerungen im Druck- und Verlagswesen. Anfang der 1830er Jahre zeigten sich auf diesem Gebiet in Deutschland Innovationen, die aus England und Frankreich kamen: die Produktion und Distribution von Druckwerken in heftweisen Lieferungen. Leipzig stellte dabei den wichtigsten Umschlagplatz im deutschen Handelsraum dar: Hier betreuten ortsansässige Buchhändler (Kommissionäre) zwischen den Buchmessen die Leipziger Lager auswärtiger Verleger und belieferten in deren Namen und auf deren Rechnung Kunden im gesamten deutschen Raum. Der französische Verleger Martin Bossange (1765-1865) eröffnete in Leipzig eine Zweigstelle und begründete 1833 zusammen mit Johann Jakob Weber (1803-1880) nach englischem und französischem Vorbild das mit Holzstichen opulent illustrierte „Pfennig-Magazin“, das als Lieferungswerk in Heften für einen geringen Preis populärwissenschaftliche und unterhaltende Lesestoffe für ein breites Publikum bereit hielt und überaus reüssierte. Gutzkow registriert und verarbeitet dieses Phänomen sogleich an Ort und Stelle, nämlich während seines Aufenthalts in Leipzig von Mitte Januar bis Anfang März 1834. Mit der „(Außerordentlichen) Beilage“ zu der von Cotta verlegten, überregional bedeutenden Augsburger „Allgemeinen Zeitung“, für die der junge Autor in den ersten Monaten des Jahres 1834 regelmäßig Korrespondenzen lieferte, wurde ein großer gebildeter Leserkreis erreicht.

Im vorliegenden Beitrag hebt Gutzkow nicht nur auf die plötzliche Popularität des „Pfennig-Magazins“, dieses neuen Periodikums, ab, sondern stellt auch das Phänomen der heftweise und preisgünstig vertriebenen anderen Publikationsformen vor. Mit seinem nachdrücklichen Plädoyer für den ,Pfennigdemokratismus‛ beteiligt er sich an einem literarisch-politisch brisanten Diskurs der literarischen Intelligenz in den 1830er Jahren über die Vor- und Nachteile einer ungehemmten Expansion des Buchmarkts und einer Deregulierung der Buchzirkulation. Die Produktion von Groschen- und Pfennigliteratur scheint ihm ein wirksames Element eines homöopathisch wirkenden Selbstheilungsprozesses im Verlagsgewerbe zu sein, denn diejenige verflachte Literatur der Restaurationsperiode, die keinen Pfennig werth sei, werde allmählich ersetzt durch Literatur, die wirklich jeden für sie ausgegebenen Pfennig wert sei (135,4-6).

Dass Gutzkow diesen Text in das Eröffnungskapitel seiner literaturkritischen Sammlung Beiträge zur Geschichte der neuesten Literatur einarbeitete, zeigt, wie eng für ihn die Modernisierung der Literatur nach dem Ende der ,Kunstperiode‘ mit der erhöhten Zirkulation von Bildungsstoffen zusammenhing.

    

Stellenerläuterungen#

6.2. Einzelstellenerläuterungen

127,22 Grimmaischen Gasse

In der Grimmaischen Gasse im Zentrum Leipzigs waren zahlreiche Buchhändler, Verleger und Kom­mis­sionäre (→ Erl. zu 128,15) angesiedelt.

127,25 Bos­sange Père

Martin Bossange (1765-1865), franz. Verleger und Buchhändler, eröffnete 1785 eine Buchhandlung in Paris und errich­te­te Zweigstellen in London, Leipzig, Neapel, Santo Domingo, Montreal, Mexiko und Rio de Janeiro; 1833 begründete er zusammen mit Johann Jakob Weber (→ Lexikon) nach englischem und fran­zösischem Vorbild das „Pfennig-Magazin“.

128,10 die neuen Nummern des Pfennig-Magazins

Vgl. Lexikon: → Illustrierte Periodika  und → Johann Jakob Weber.

128,15 Kommissio­nairen

Leipzig war bis zum Zweiten Weltkrieg im deutschen Buchhandel der bedeutendste Kommissions­platz, wo ortsansässige Buchhändler im Auftrag, also als Kommissionäre, die Leipziger Lager auswärtiger Verleger betreuten und in deren Namen und auf deren Rechnung Kunden im gesamten deutschen Raum belieferten.

128,28-31 La librairie en Alle­magne  […] mais une idée – vérité]

Franz.: Der Buchhandel in Deutschland war bisher ein bloßes Hirngespinst; ich war der erste, der gezeigt hat, was es heißt, eine Idee zu haben. Mein Magazin war auch eine Idee, aber eine Idee mit Wahrheit.

129,1 Baumgärtner

Nach dem Vorbild des „Pfennig-Magazins“ von Bossange Père (→ Erl. zu 127,25) gründete der Leipziger Buchhändler Julius Alexander Baumgärtner (1793-1855) das wöchent­lich erscheinende „Heller-Magazin. Eine Zeitschrift zur Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse“ (1833-1842). Sein Nachfolger war das zweiwöchentliche „Heller-Magazin begleitet von der Schnell­post für Moden. Eine Zeitschrift zur Unterhaltung und Belehrung. Unter besonderer Berücksichtigung auf die Interessen der Gegenwart“ (1843-1845), fortgesetzt durch „Illustriertes Magazin begleitet von der Schnellpost für Moden. Eine Zeitschrift zur Unterhaltung und Belehrung“ (1846-1851). Das „Heller-Magazin“ war mit einem Preis von 1 1/3 Talern pro Jahrgang billiger als das „Pfennig-Magazin“ mit 2 Talern, das allerdings 1833 schon eine Auflagenhöhe von 30.000 Exemplaren, also etwa die Hälfte von der Wahrheit des Hrn. Bossange Père (129,2-3), erreicht hatte, und später bis zu 100.000 Exemplare verkaufte. Die Auflage des „Heller-Magazins“ betrug im Dezember 1833 15.000 Exemplare, im Januar 1834 20.000 Exemplare. Vgl. die Angaben bei Eva-Maria Hane­butt-Benz: Deutscher Holzstich im 19. Jahrhundert. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens. Frankfurt/M. Nr. 24 (1983), Sp. 690-706, dort auch weitere Angaben zu Baumgärtners Versuchen, für das „Heller-Magazin“ Lithographien im Hochdruckverfahren zu reproduzieren.

129,3 Sonntags-Magazin

Das wöchent­lich erscheinende „Sonntags-Magazin. Familien-Museum zur Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse“ (1833-1835) wurde in Leip­zig in der Allgemeinen Niederländischen Buchhandlung, die dem Brüsseler Verleger Anton Peters gehörte, herausgegeben. 1834 hatten die drei größten populären Magazine, Pfennig-, Sonntags- und National-Magazin zusammen schon 60.000 Abonnenten. Vgl. die Angaben bei Eva-Maria Hanebutt-Benz: Deutscher Holzstich im 19. Jahrhundert. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens. Frankfurt/M. Nr. 24 (1983), Sp. 699.

129,5-6 National-Magazin

Der National­öko­nom Friedrich List (→ Erl. zu 132,5) gründete das wöchentlich erschei­nende „National­magazin für Haus- und Landwirtschaft, National-Unter­richt, Statistik und Reisen, neue Erfindungen, National-Unter­nehmungen und Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse“, mit dem Hinweis: „Herausgegeben von der Gesellschaft zur Verbreitung ge­mein­nütziger Kenntnisse“. Es erschien bei Wigand in Leipzig erstmals am 1. Januar 1834 und stellte sein Erscheinen mit Nr. 52 bereits zum Jahresende wieder ein. Die „Gesellschaft“ bestand aus drei Geld­gebern: Friedrich List und den Verlegern Johann Jakob Weber  (→ Lexikon: Weber) und Otto Wigand (1795-1870), der 1832 von Pest nach Leipzig übersiedelt war. Im Vorwort zum „National-Magazin“ schrieb List: „Eine  vaterländische Gesellschaft, beste­hend aus Gelehrten und Verlegern, hat sich zu dem gemeinnützigen Zweck vereinigt, dem deutschen Publikum eine populaire Wochen­schrift zu liefern, wie es noch keine besitzt. Diese Schrift soll nicht bloß Holzschnitte in Menge und nach Qualität und Auswahl so schön liefern, wie man sie in Deutsch­land noch nie gesehen hat, sondern auch durch meisterhaft bear­beiteten Text sich auszeichnen. Der Text soll nicht bloß geeignet sein, Kinder und Ununterrichtete zu amüsiren, sondern auch Erwachsene jedes Standes und Alters in allem zu unterrichten und zu belehren, was ihnen als Menschen, Geschäftsleute und Familienväter zu erfahren interessant sein muß. Den ganzen Kreis des wahrhaft Nützlichen, Wissenswerthen und Unterhaltenden soll sie umfassen, jedoch mit strenger Ausschließung aller Politik und [...] religiösen Polemik“. Bereits im April 1834 äußerte sich List gegenüber dem Verleger Georg von Cotta, er wolle das „National-Magazin“ wieder aufgeben, im August teilte Weber List mit, es habe Auseinandersetzungen zwischen ihm und Wigand gegeben. Wigand übernahm im November 1834 den Anteil Lists am „Magazin“, im Dezember kam es auch zwischen diesen beiden zu Streitigkeiten. Anscheinend waren persönliche Antipathien unter den Gesellschaftern für die Einstellung der Zeitschrift mitverantwortlich: „Gewiß ist nur, das im Gegensatz zu manchen anderen Listschen Unter­nehmen diese Wochenschrift nicht an technischen Mängeln krankte. Schon der Gründungsvertrag des Magazins hatte vorgesehen, dass einer der Gesellschafter nach London reisen und dort die für die Zeitschrift erforderlichen Abklatschen [manuell hergestellte Abzüge vom Druckstock zur Vorlage weiterer Druckstöcke, US] besorgen solle. Dies ist offenbar geschehen, und die Probenummer und einige der ersten Nummern brachten bereits Abbildungen, die nicht nur in Deutsch­land inhaltlich unbekannt waren, sondern auch in der druck­technischen Ausführung auf ungewohnter Höhe standen. Auch die wöchentliche Veröffentlichung und Versendung des Magazins scheinen regelmäßig und pünktlich erfolgt zu sein.“ Vgl. detailliert zur kurzen Geschichte des „National-Magazins“: Friedrich List: Schriften, Reden, Briefe. Bd. 5: Aufsätze und Abhandlungen aus den Jahren 1831-1844. Gesammelt und herausgegeben von Edgar Salin, Artur Sommer und Otto Stühler. Berlin: Hobbing, 1928, S. 3-7, hier S. 5; Abdruck des Vor­worts zum National-Magazin S. 18-20.  

129,8 Ostermesse

Zweimal im Jahr fand in Leipzig eine Buchmesse statt, im Frühjahr in der Regel an den Tagen um Cantate, den vierten Sonntag nach Ostern, daher auch „Ostermesse“ genannt, im Herbst um Michaelis (29. September), daher auch „Michaelis-Messe“.

129,10-13 Karlsruhe […] Lausiz

Im Südwesten Deutschlands war die Papierproduktion besonders fortschrittlich. Die Papierfabriken importierten vor allem die in England entwickelten industriellen Herstellungsverfahren, und von 1825 bis 1840 wurden die „neuen mechanischen, thermischen und chemischen Verfahren [...] zur vorherrschenden Produktionsweise“ (Frieder Schmidt: Von der Mühle zur Fabrik. Die Geschichte der Papierherstellung in der württem­bergischen und badischen Frühindustrialisierung. Ubstadt-Weiher: Verlag Regionalkultur, 1994. S. 699). 1834 waren im Königreich Sach­sen nur drei Papiermaschinen in Betrieb, im Großherzogtum Baden und im Königreich Württemberg zusammen bereits 13.

129,20 Stöke zu den Bildern

Die hölzernen Druck­stöcke mit Illustrationen im Holzstich- oder Holzschnitt­verfahren.

129,21-23 Londoner Stöke  […] Professor Gubitz

→ Lexikon: Illustrierte Periodika.

129,32 Duncker und Humblot

1798 in Berlin gegründete Verlags­buchhandlung, die ab 1809 von Carl Friedrich Wilhelm Duncker (1781-1869) und Peter (eigentl. Pierre) Humblot (1779-1828) geleitet wurde. Der Verlag avancierte recht bald durch hervorragende Kontakte zu Berliner Gelehrten zu einem hoch anerkannten Wissen­schaftsverlag. Daneben pflegte man auch belletristische Titel im Verlagsprogramm. E. T. A. Hoffmann und Joseph von Eichendorff publizierten beispiels­weise bei Duncker und Humblot; 1828-1832 wurden auch Überset­zun­gen der Romane von James Fenimore Cooper (1789-1851), Walter Scott (1771-1832) sowie auch Shakespeares „Troilus und Cressida“ (1824) und „Macbeth“ (1826) heraus­gebracht.  

130,5 Ueber­sezungs­wuth

Die auf dem deutschen Buchmarkt beliebten und erfolgreich abge­setz­ten, schnell produzierten Übersetzungen ausländischer Literatur wer­­den von Gutzkow immer wieder thematisiert. Vgl.  → Die deutschen Ueber­setzungsfabriken von 1839 (GWB IV, Bd. 7, S. 101-107).

130,18 Makulatur

Fehler- oder schadhafte, daher wertlose Druckbogen; Altpapier.

130,31-32 durch die gedankenlose Hand eines Uebersezers

→ Die deutschen Uebersetzungsfabriken von 1839 (GWB IV, Bd. 7, S. 101-107).

131,21 Verbreitung gemeinnüziger Kennt­nisse

Bereits in der Frühen Neuzeit war beim Verkauf von Büchern der „gemein Nutz“ ein wesent­liches Merkmal populärer Druck­erzeugnisse, die sich an ein Publikum ohne Spezialenntnisse, also außerhalb der gelehr­ten Öffentlichkeit, wandten. Die Formulierung „gemein Nutz“, später „gemein­nützige Kenntnisse“ o. ä., wurde von Verlegern werbetechnisch einge­setzt, was bei den von Gutzkow erwähnten Pfennig-, Heller- und Sonn­tags-Magazinen bereits werbewirksam in die Titel integriert wurde; → Erl. zu 129,1; 129,3; 129,5-6.

131,29 Zollverband

Durch den Zollvereinigungsvertrag, der am 22. März 1833 unterzeichnet wurde und am 1. Januar 1834 in Kraft trat, schlossen sich die meisten Länder des Deutschen Bundes wirtschaftlich enger zusammen. Damit entfielen auch Zölle im Buchhandelsverkehr.

132,5 Deutsch-Amerikaner List

Friedrich List (1789-1846), Wirtschaftstheoretiker, wurde 1817 Professor für Staatsverwaltungswissenschaften in Tübingen. List war ein starker Verfechter der innderdeutschen Zollfreiheit, außerdem Mi­t­be­gründer des Allgemeinen Deutschen Handels- und Gewerbevereins. Sein liberales Engagement wurde von der württem­bergischen Regierung missbilligt, sodass er 1819 seine Pro­­fessur aufgab. Nach einer Haft auf der Festung Hohenasperg wanderte er 1825 in die USA aus, wo er 1830 ein­gebürgert wurde. 1833 kehrte er im diplo­matischen Dienst nach Baden zurück, nachdem er vorher schon im handelspolitischen Auftrag der amerikanischen Regierung in Paris aktiv gewesen war. In Deutschland trieb er durch gezielte Publikationen vor allem den Eisenbahnbau voran. Sein volkswirtschaftliches Haupt­werk ist „Das nationale System der politischen Ökonomie“ (Stuttgart u. Tübingen: Cotta, 1841). Nach dem „Natio­nal-Magazin“ (→ Erl. zu 129,5-6) gab er ab 1835 das „Eisenbahn-Jour­nal und National-Magazin für die Fortschritte im Handel, Gewer­be und Ackerbau, für National-Unternehmungen und öffentliche Anstal­ten, für statistische Nachrichten und neue Ent­de­ckun­gen jeder Art und für interessante Erscheinungen in der Literatur und Praxis der Nationalökonomie überhaupt“ heraus .

132,10-11 übertrieben eng­lisch-amerikanischen Charakter

List hatte bereits im Vorwort zum „National-Maga­zin“ angekündigt, er wolle Berichte über das amerikanische Eisen­bahn­wesen veröffentlichen und die Auswanderung nach Nordamerika ansprechen, um deren Problematik Auswanderungs­willigen vor Augen zu führen.

132,19-20 durchbrechenden polytechnischen Tendenz

Griech. poly: viel, technae: Kunst, Fertigkeit. Diese wirtschaftlich umfassende, nämlich Gewerbe, Landwirtschaft und Industrie einbeziehende Tendenz sieht Gutzkow vorbildlich in Lists „National-Magazin“ angesprochen, und dieses Pfennigblatt könne für die Erkenntnis der wirtschaftlichen Interessen Deutschlands eine wichtige Rolle spielen, wenn es seine angloamerikanische Orientierung verliere und andere populäre Magazine seinem Beispiel folgten. Klarer wird Gutzkows Argument in der überarbeiteten Fassung E, die bereits nach dem Ende des „National-Magazins“ entstand: Es ist zu beklagen, daß das einzige unter den deutschen Pfennigblättern, welches eine Bestimmung dieser Art [der populären Aufklärung über wirtschaftliche Faktoren] in seinen Plan aufgenommen hatte, das Nationalmagazin, zu erscheinen aufhörte; aber die Uebrigen hätten einsehen sollen, daß man, um die Theilnahme des Publikums fortdauernd zu behalten, sich diesem Beispiele anschließen mußte. (Karl Gutzkow: Literarische Industrie. In: Ders.: Beiträge zur Geschichte der neuesten Literatur. 2 Bde. Stuttgart: Balz, 1836. Bd. 1, S. 16; → eGWB IV, Bd. 2.)

132,19-20 durchbrechenden polytechnischen Tendenz

Griech. poly: viel, technae: Kunst, Fertigkeit. Diese wirtschaftlich umfassende, nämlich Gewerbe, Landwirtschaft und Industrie einbeziehende Tendenz sieht Gutzkow vorbildlich in Lists „National-Magazin“ angesprochen, und dieses Pfennigblatt könne für die Einigung der wirtschaftlichen Interessen Deutschlands eine wichtige Rolle spielen, wenn es seine angloamerikanische Orientierung verliere und andere populäre Magazine seinem Beispiel folgten. Klarer wird Gutzkows Argument in der überarbeiteten Fassung E, die bereits nach dem Ende des „National-Magazins“ entstand: Es ist zu beklagen, daß das einzige unter den deutschen Pfennigblättern, welches eine Bestimmung dieser Art [der populären Aufklärung über wirtschaftliche Faktoren] in seinen Plan aufgenommen hatte, das Nationalmagazin, zu erscheinen aufhörte; aber die Uebrigen hätten einsehen sollen, daß man, um die Theilnahme des Publikums fortdauernd zu behalten, sich diesem Beispiele anschließen mußte. (Karl Gutzkow: Literarische Industrie. In: Ders.: Beiträge zur Geschichte der neuesten Literatur. 2 Bde. Stuttgart: Balz, 1836. Bd. 1, S. 16; → eGWB IV, Bd. 2.)

132,21 Holzschnitte

Genauer als ,Holzstiche‛ bezeichnet, wurden die meist kleinformatigen Illustrationen der populären Publikationen direkt in den Text integriert und im Hochdruck (Buchdruck) vervielfältigt. Von den aus einem Holzstock geschnittenen Illustrationen werden wie bei den Lettern des gesetzten Textes nur die erhabenen Teile eingefärbt und im selben Vorgang mit dem Text gedruckt.

 132,21 Kasuar

Australischer Straußvogel.

132,27 Schriften des Verfassers der Ostereier

Christoph von Schmid (1768-1854), Pfarrer, publizierte pädagogisch motivierte Erzählungen für Kinder. 1826 erschien die Erzählung „Die Ostereyer“, die bis heute zahlreiche Neuauflagen erlebte. 1841-1844 kamen die „Gesammelten Schriften des Verfassers der Ostereier“, 24 Bände, in Augsburg in der J. Wolffischen Buchhandlung heraus. Auch sie wurden mehrfach wieder aufgelegt. (Vgl. auch → Der deutsche Gänsekiel, Erl. zu 119,14.)

133,3-4 Rochows Schulfreund

„Der Kinderfreund. Ein Lesebuch zum Gebrauch in Landschulen“ von Friedrich Eberhard Freiherr von Rochow (1734-1805) erschien 1776 (Teil 1) und 1779 (Teil 2). Das Werk war das erste Volksschullesebuch und eines der erfolg­reichsten Bücher des letzten Drittels des 18. Jahrhunderts. In kurzer Zeit waren 100.000 Exemplare abgesetzt, das Buch erlebte insgesamt fast 200 Auflagen und wurde bis 1871 im Volksschulunterricht ein­gesetzt.

133,10 Pränumeration

Vertriebsverfahren im Buchhandel, bei dem der Käufer sich zur Abnahme eines Druckerzeugnisses verpflichtet und den Preis vor Drucklegung bzw. Auslieferung entrichten muss.

133,17 Zollkordon

Franz. cordon: Schnur, Reihe. Hierim Sinne von ,Zollgrenze‛.

133,21 Arrondissement

Franz. arrondir: abrunden; hier im Sinne vom Abstecken eines Marktanteils verwendet.

133,33 Physiognomie

Physiognomie nennt man das Ansehen eines Menschen oder sein ganzes Äußere (besonders das gesicht), insofern es eine natürliche und bleibende Beschaffenheit des Geistes ausdrückt, und Physiognomik die Kunst, aus der äußern Erscheinung des Menschen [...] eine bleibende Geistesbeschaffenheit zu erkennen.“ (Brockhaus 1833-37, Bd. 8 [1835], S. 543.) Gutzkow verwendet den Begriff hier in Bezug auf das Phänomen des Buchhandels, womit die ,Physiognomik‛ die Rolle einer soziologischen, nicht mehr einer charakterologischen Erkenntnis erhält.

134,6-7 Thiers, Mignet, Guizot, Cuvier

Beispiele für erstrangige Autoren jenseits der belletristischen Literatur, die sich durch heftweise Publikationen der Teilnahme eines großen nationalen Lesepublikums gewiss sein konnten. Ihre berühmten Hauptwerke waren größtenteils in den 1820er Jahren erschienen. Adolphe Thiers (1797-1877), Journalist, Historiker und Politiker, veröffentlichte 1823-27 seine zehnbändige „Histoire de la Révolution française“; François Mignet (1796-1884), Historiker, Journalist und Staatsbeamter, 1824 die zweibändige „Histoire de la Révolution française de 1789 jusqu’en 1814“; François Guizot (1787-1874), Historiker und Staatsmann, 1828 die „Histoire générale de la civilisation en Europe“ und 1830 die vierbändige„Histoire de la civilisation en France“. Der Naturforscher Georges Cuvier (1769-1832) publizierte die beiden Hauptwerke seiner paläontologischen und geologischen Forschungen in einem ähnlichen Zeitraum: 1812, mit späteren Auflagen 1821 und 1825, die „Recherches sur les ossemens fossiles de quadrupèdes“, 1825 den „Discours sur les revolutions de la surface du globe“.

134,10 Kolporteurs

Franz.: Halsträger; der Begriff beschrieb die Transporttechnik der Kolporteure, die gewöhnlich einen Korb mit ihrer Buchauswahl um den Nacken hängten. Die Kolportage war eines der wirkungsvollsten Distributionssysteme im 19. Jahrhundert vor allem für populäre Literatur.

134,12 in Berlin z. B. gänzlich organisirt

Berlin war ein Zentrum des Kolportagebuchhandels, wo sich Bücherhausierer schon früh in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts selbstständig machten. In Berlin entwickelten sich spezifische Vertriebsmethoden, die sowohl den Wandel- oder Hausierbuchhandel umfassten wie auch den ambulanten Buchhandel, der auf öffentlichen Plätzen Druckerzeugnisse wie Bücher, Broschüren und populäre Druckgraphiken zum Verkauf anbot.  

134,22 Journale nur für Cirkel und Gesellschaften

Seit etwa der Mitte des 18. Jahrhunderts schlossen sich im Zuge des Bildungsgedankens der Aufklärung vor allem Angehörige des städtischen Bürgertums zu Lesegesellschaften zusammen, die Zeitschriften aufgrund der hohen Preise gemeinsam abonnierten und reihum lasen. Im 19. Jahrhundert hatten diese Lesegesellschaften ihren Höhepunkt bereits überwunden; es entwickelten sich allerdings Lesemuseen, Lesecafés und Vereine, die Buch- und Zeitschriftenbestände für ihre Mitglieder bzw. Besucher bereithielten.