Der alte Buchhandel besaß, ich darf nicht sagen, mehr Geld, aber er besaß mehr Stolz, als der jetzige. Der alte Buchhandel stand mit verschränkten Armen in der Thüre seines Ladens, grüßte herablassend das vorübergehende Publikum, das noch durch keine Plakate und große Kupferwerke an die Aushängefenster herangelockt wurde; der alte Buchhandel griff das Publikum nicht gewaltsam an: la vie et la bourse. Es war ein sehr gemessener Gang, das damalige Buchhändlergeschäft, ein Gang auf den gebahnten Straßen des Bedürfnisses: nur die Gelehrten, die Autodidakten klopften bei den Buchhändlern an, das Bedürfniß war das bittende, es war ein freies, kein erzwungenes Bedürfniß. Einige Firmen fuhren sechsspännig; aber Lessing gerieth in Verzweiflung, und wollte hinfort seine Schriften auf eigne Rechnung verlegen.
Die Journalistik hat den alten Buchhandel zu Grunde gerichtet. Die Journale veranlaßten die Lesezirkel, die Lesezirkel absorbirten die Kauflust der Privaten. Es waren zwei Dinge nothwendig: neue Käufer zu gewinnen, und die Waare selbst äußerlich in andere Gestalt zu bringen. Wir reden noch nicht von den populären Schriften; wir stehen erst bei der „beispiellos wohlfeilen“ Periode.
Der neue Buchhandel gründete sich auf Nichts; denn er fing mit Schulden an. Seht, dort wird ein neuer Laden ausgebrochen! Was soll dort verkauft werden? Bücher. Du lieber Gott! Ich brauche keine Bücher, meine Frau braucht keine Bücher, mein Vater brauchte keine Bücher, meine Kinder brauchen den Ferbitz, den Splittegarb, den Kinderfreund, aber sie brauchen keine Bücher. Närrisches Volk! Es scheint, du willst betrogen sein. Bücher sind Luxus für dich, du siehst nur das Angenehme darin, man muß dich gegen deinen Willen zwingen, Bücher zu kaufen. Da steht der junge Anfänger von höchst zweideutigem Credit! Der Laden ist ausgebrochen, die Sonne brennt auf den geschmückten Glasfenstern; treten Sie herein, meine Herren, der Leipziger Ballen ist angekommen! Brüsseler Nachdruck, Romane von Fürst und Kollmann, Tutti Frutti! Die Leute hören nicht, sie haben auf der Börse, im Amte, draußen auf der Zollwage zu thun. Was Literatur! Narrenspossen!
Mein junger Buchhändler verzweifelt nicht. Er ärgert sich nicht, daß in die alte Firma des Ortes, drüben an der Ecke des Marktes, nach einander hineintreten der praktizirende Arzt, der Stadtprediger, der Justizamtmann, der Bediente einer englischen Familie, die nach Deutschland reiste, um zu sparen, zuletzt eine alte Betschwester: er greift nach dem Wohnungsanzeiger der Stadt, dieser wunderlichen Stadt, die aber wie alle Städte ist, und streicht sich mit Rothstift die Adressen der Menschen an, welche entweder Vermögen besitzen oder ihr Auskommen haben, oder derer, welche 550 auf Bildung Anspruch machen. Nun herbei, ihr Anzeigen und Subscriptionslisten, herbei, ihr bibliographischen Berichte, herbei, ihr à condition anvertrauten Bücher; ich will diesem Orte von 15000 Seelen zeigen, was es heißt, Bedürfnisse, nicht befriedigen, nein! Bedürfnisse schaffen. Du schlauer Spekulant! Jetzt heißt es plötzlich: Ew. Wohlgeboren erhalten anbei zur gefälligen Ansicht –, und nun folgt Titel und Werth irgend eines von den werthlosen Büchern, mit welchen sich unser Literaturblatt zu beschäftigen pflegt. Das Buch, die Anzeigen, die Subscriptionslisten, die bibliographischen Berichte Nr. 89 oder Nr. 98 werden eingeschlagen in die Verlagswerke des Buchhändler Reimer, ich wollte sagen: in verschossenes Makulatur; das Ganze gibt ein hübsches Paket und geht dreist an eine Adresse ab, welche nie mit dem Reich der Ideen, mit der Kunst, mit Schiller und Göthe, am wenigsten mit dem jungen Anfänger in irgend einer Verbindung gestanden hat.
Das Paket kömmt an. Was ist das? Was soll das? Wozu das? Wer wollte das? – Bitte! Öffnen Sie nur! Man öffnet, die Familie steht herum, neugierig, man lies’t: Ew. Wohlgeboren erhalten anbei zur gefälligen – Von wem? Von wem hab’ ich etwas zu erhalten? Wer braucht mir unaufgefodert Gefälligkeiten zu erweisen? Der Sortiments-, Kunst- und Musikalienhändler Mauser – Mauser? Ich kenne keinen Mauser! Ach, der junge Mann da, – sagt die Frau. Ach, der junge Mann auf dem Ball da, – sagt die Tochter. Man lies’t, man rechnet, man fühlt sich geehrt, man zahlt. Der junge Anfänger lacht: Er hat Kundschaft.
Aber nicht überall reussirte die Dreistigkeit. Es gibt Grobiane (auch verheirathete), dummstolze, in überwiegender Zahl aber rohe Menschen, die sich für zu gebildet achten und zu reich, als daß sie noch nöthig hätten, etwas Monatliches auf die Kultur ihres Geistes zu verwenden. Der junge Anfänger klopft nicht wieder an. Sein erster Coup gelang im Durchschnitte. Die Literatur hat einen neuen Absatzweg. Wir verdanken dem jungen Manne brave Menschen, welche sich bilden wollen, die Wahrheit befördern und eine Ehre darein setzen, ihren Kindern eine Bibliothek zu hinterlassen.
Dies Genrebild klärt uns das Glück auf, welches in unsern Tagen die Heftweise und die Pfennigsliteratur gemacht hat. Denn es ist, wenn auch nicht immer wohlfeile Literatur, die hier vertrieben wurde, doch bequem zahlbare, da sie sich nur in kleinen Raten merklich macht. Auch erfordert die Art, wie die Heftliteratur verbreitet werden muß, eine besondre Betriebsamkeit des Buchhändlers, der sich nur der Fleiß junger Leute zu unterziehen gewohnt ist. Die alten Firmen verbitten sich Zusendungen dieser Art; sie wollen vor Niemanden den Hut abnehmen und sich nicht so rühren, daß sie ihr Embonpoint verlieren könnten. Es leben die alten Firmen!
Das Glück, welches die Heftliteratur machte, veranlaßte freilich den Plunder; doch kommen auch vortreffliche Erscheinungen vor, und wir wollen hier kurz einige dieser Art erwähnen, welche besondre Aufmerksamkeit verdienen.
Okens Naturgeschichte ist bis zur neunzehnten Lieferung gediehen. Anerkannt ist der innre Werth dieses Buches; aber noch hat man nicht bemerkt, welche merkwürdige Erscheinung es in der Fassungskraft des großen Publikums bewirkt hat. Wie begann diese Naturgeschichte? Mit den Phänomenen der Thierwelt, mit den Organen des menschlichen Körpers, kurz mit Begriffen, welche uns nahe liegen, mit Anschauungen, in welche sich der Laie bald versetzen konnte. Jetzt im Verlaufe des Werkes werden die Untersuchungen schon complizirter, der Geist der Wissenschaft gibt die Deutlichkeit auf Kosten des Systemes nicht zu; aber wir hielten uns fest an den Demonstrationen des Verfassers, wir prägten seine Vordersätze unsrer Fassungskraft ein, wir fühlen kaum, daß wir aus Laien Kundige geworden sind, daß wir uns mitten in dem Systeme selbst befinden.
Littrow’s Himmel, seine Welten und seine Wunder riß vielleicht schon zu früh in das Gebiet mathematischer Abstraktionen hinein, die nicht Jedem gegenwärtig sind; doch schön ist es, daß die Popularität nichts der Wissenschaft entzieht, was ihr gehört. Die geschmackvolle Ausdrucksweise des Verfassers ist seinem Gegenstande durchweg angemessen.
Hugo’s Geschichte des Kaisers Napoleon machte so viel Glück, daß eine zweite Auflage und neue Bearbeitung von Elsner zulässig wurde. Mehre Hefte des letztern liegen uns vor; doch scheint der jetzige Bearbeiter, auf die Bereitwilligkeit des Publikums rechnend, sich in Ausdehnungen zu gefallen. Bei solchem Streben müssen denn Dinge unterlaufen, wie man sie zur Ergötzlichkeit z. B. Bd. II. S. 97 liest: „Man kann die Seemächte theilen in die katholischen, protestantischen und neutralen.“ Diese Eintheilung ist drollig. Was hat die Religion mit der Marine zu thun?
Friedrich der Große von Theobald Chauber stieß im Anfang seines Erscheinens auf kritische Hindernisse. Der Name des Verfassers war so geflissentlich maskirt, und die Erscheinung des werthvollen Werkes von Preuß hatte das Hauptverdienst, welches man sich um Friedrich II. erwerben konnte, in Mittheilung aus archivalischen Quellen gestellt. Doch rechtfertigte der Verfolg den Verfasser und gibt einen denkenden und von seinem Gegenstande hinlänglich ergriffenen Kopf zu erkennen. Der Styl ist edel und angemessen, vielleicht etwas zu voll. Charakteristisch für einen Süddeutschen ist es, sich so in Preußische Anschauungen und in ein patriotisches Ge-551fühl von jenseits der Elbe zu versetzen, wie hier geschehen ist.
Im Allgemeinen aber bitten wir die Firma Scheible, in ihrer heillosen Büchermacherei einzuhalten und die kaum erwachte Theilnahme des Publikums durch übergroße Zudringlichkeit nicht zu erkälten.
Gutzkow nahm den 1835 im „Literatur-Blatt“ des „Phönix“ erschienenen Text 1836 in überarbeiteter und gekürzter Form in das Kapitel → Literarische Industrie seiner Sammlung Beiträge zur Geschichte der neuesten Literatur auf.
J [Anon.:] Werke der Industrie. In: Phönix. Literatur-Blatt. Frankfurt/M. Nr. 23, 13. Juni 1835, S. 549-551. (Rasch 3.35.06.13.1)
E Literarische Industrie. In: Karl Gutzkow: Beiträge zur Geschichte der neuesten Literatur. 2 Bde. Stuttgart: Balz, 1836. Bd. 1, S. 1-22. (Rasch 2.13.1.2.) Die Passagen aus J finden sich auf S. 1-6.
J. Der Text folgt in Orthographie und Interpunktion unverändert dem Erstdruck. Textsperrungen werden übernommen. Silbentrennstriche (=) werden durch - wiedergegeben. Die Seitenzählung wird mit Klammern [ ] an den betreffenden Stellen in den Text eingefügt.
Die Liste der Texteingriffe nennt die von den Herausgebern berichtigten Druckfehler sowie die Emendationen. Fehlende oder überzählige Spatien im Erstdruck wurden stillschweigend korrigiert.
Die Seiten-/Zeilenangaben im Apparat beziehen sich auf die Druckausgabe des Beitrags im Band: Schriften zum Buchhandel und zur literarischen Praxis. Hg. von Christine Haug u. Ute Schneider. Münster: Oktober Verlag, 2013. (= Gutzkows Werke und Briefe. Abt. IV: Schriften zur Literatur und zum Theater, Bd. 7.)
Für die Aufnahme des Textes in E strich Gutzkow die Bezüge auf aktuelle Fortsetzungspublikationen in Heftform (ab 99,29: Das Glück, welches die Heftliteratur machte). Damit entfielen die Hinweise auf Okens Naturgeschichte, Littrow's Himmel, Hugo's Geschichte des Kaisers Napoleon und Friedrich der Große von Theobald Chauber: alles popularisierende naturwissenschaftliche oder historische Werke, die als Fortsetzungspublikationen für weite Käuferkreise erschwinglich wurden und deren Verdienste Gutzkow anerkannte, wenn er auch die ,industrielle‛ Buchproduktion des Stuttgarter Verlags Scheible tadelte (101,7).
Weitere Änderungen in E sind kleinere Kürzungen oder Zusätze sowie eine Reihe von Straffungen und Glättungen. Exemplarisch für diese Überarbeitung steht der zweite Abschnitt:
J: Die Journalistik hat den alten Buchhandel zu Grunde gerichtet. Die Journale veranlaßten die Lesezirkel, die Lesezirkel absorbirten die Kauflust der Privaten. Es waren zwei Dinge nothwendig: neue Käufer zu gewinnen, und die Waare selbst äußerlich in andere Gestalt zu bringen. Wir reden noch nicht von den populären Schriften; wir stehen erst bei der „beispiellos wohlfeilen“ Periode. (97,17-23)
E: Die Journalistik hat den alten Buchhandel zu Grund gerichtet; denn die Journale veranlaßten die Lesezirkel und die Lesezirkel absorbirten die Kauflust der Privatleute. So wurden denn zwei Dinge nothwendig: neue Käufer zu gewinnen und die Waare selbst von Außen in eine andere Gestalt zu bringen.