[Modernes Antiquariat]#
Metadaten#
- Herausgeber
- Christine Haug
- Ute Schneider
- Fassung
- 1.0
- Letzte Bearbeitung
- 08.2020
Text#
[Modernes Antiquariat.]#
[1.]#
679 * Bei dem Streite, welchen die jüdischen Antiquare in Frankfurt a. M. mit den dortigen Buchhändlern führen, kommen die Gebrechen des Deutschen Buchhandels recht zum Vorschein. Weder jene Antiquare noch diese Sortimentisten tragen eine Schuld, wohl aber die Verleger in Stuttgart und anderswo, welche ihre Verlagswerke zu Spottpreisen massenhaft verkaufen und, vielleicht von den Schwankungen ihres sinkenden Geschäfts gedrängt, den regelmäßigen soliden Buchverkehr stören. Auch ist zu verwundern, mit welchem Leichtsinn in Frankfurt die Behörden Conzessionen zu neuen Buchläden geben. Der Sortimentsbuchhandel, berechnet auf den literarischen Consumo eines einzelnen Ortes, ist jedenfalls eine Zunft; in dem Sinne wenigstens, als sich das literarische Bedürfniß von 50,000 Menschen ohne Weiteres abschätzen läßt. Der Verlagsbuchhandel, dessen Betrieb auf den ganzen Deutschen Büchermarkt gerichtet ist, kann dagegen Niemanden, der sich darum bewirbt, verweigert werden, falls er in Frankfurt das Recht des Handelsmannes, wie es dort heißt, erlangt hat. Baden hat gewiß eine sehr freisinnige Gewerbeverfassung und doch läßt die Regierung in Mannheim nur vier Buchhandlungen aufkommen. Sie schätzt richtig ab, daß diese hinlänglich sind, um Mannheims literarische Bedürfnisse zu befriedigen. Mehr Buchhandlungen dulden hieße die andern brodlos machen oder eine Prämie auf den Mißkredit setzen, in welchen die Literatur durch einen zu-680dringlichen Buchhandel gebracht wird. Um Abnehmer zu bekommen, scheuen die neuen Etablissements keine Demüthigung. Die Literatur wird entwürdigt, wenn sie sich anbietet. Ihre Stellung ist die, gesucht zu werden. Frankfurts Behörden sollten die Eröffnung neuer Buchläden unbedingt verweigern oder, wenn der Buchstabe des dortigen Gesetzes sagt: Der Handelsmann könne jedes Geschäft treiben, den Sortimentsbuchhandel, als ein Gewerbe, von diesen Geschäften ausnehmen. Die gesunde Vernunft lehrt, daß für eine Stadt von 50,000 Einwohnern in Frankfurt schon mehr als zu viel Buchhändler da sind, und daß eine Vermehrung derselben nur Verarmung der Betheiligten und die Entwürdigung der Literatur zur Folge haben kann. Die Handelsfreiheit ist sehr gut; aber sie muß auch richtig verstanden werden.
[2.]#
895 * In Stuttgart giebt der Buchhändler C. Hoffmann eine Zeitung heraus, die den Interessen des Buchhandels gewidmet, aber auf ein ganz künstlich ersonnenes Bedürfniß basirt ist. In einer neuen Nummer dieses Organs werden die Bemerkungen, welche wir uns kürzlich über die Sucht, in Frankfurt a. M. neue Buchhandlungen anzulegen, erlaubten, mit prahlerischer Vornehmheit als unberufene Weisheit eines Layen zurückgewiesen. Der Verfasser der gegenseitigen Bemerkungen giebt sich leicht zu erkennen; denn nicht der Frankfurter Buchhandel ist seine eigentliche Sorge, sondern die erste Veranlassung unsers Artikels, der Streit der Antiquare gegen die Frankfurter Sortimentisten, bei dem der muthmaßliche Verfasser wie bekannt eine Hauptrolle gespielt hat. Ja, von den Resten unabgesetzter Auflagen, den Parthiepreisen und der Kupferstichsammlung, die ihm der Antiquar Bär an Geldes Statt und rein zum Privatgebrauch gegeben, kommen jene Thränen her! Wir wollen aber mit Herrn C. Hoffmann über seinen Vollmer’schen Olymp und Littrows Himmelswunder nicht streiten; mag er immerhin ein Buch herausgeben, das er im Buchhandel einzeln und im Antiquargeschäft parthieweise zu zwei ganz verschiedenen Preisen und zu gleicher Zeit erscheinen läßt; mag er den bisherigen würdigen Buchverkehr umwälzen; nur woll’ er seinen Zorn nicht auf eine seinen Manipulationen ganz entgegengesetzte Frage übertragen, auf die Frage: Ob Frankfurts Buchhandel nicht durch eine leichtsinnige Vermehrung der Buchläden untergraben wird? Herr Hoffmann mag überzeugt seyn, daß wir in der That im Stande sind, das „literarische Bedürfniß Frankfurts abzuschätzen,“ daß wir den Höhegrad der Frankfurter Bildung kennen, daß wir von den Schwierigkeiten wohl unterrichtet sind, welche sich zu Frankfurt schon vor zwei Jahren der Errichtung eines neuen Buchhandels entgegenstellten. Man muß die außerordentlichen Anstrengungen kennen, welche Herr W. K. in Frankfurt aufbot, um sein neues Geschäft zu begründen, um zu wissen, was all die neuen Läden, die sich neuerdings noch eröffnet haben 896 und eröffnen wollen, für ein Schicksal zu gewärtigen haben. Es ist möglich, daß hier der Himmel ein Wunder thut, (ohne Beziehung auf Herrn Hoffmann und seinen Littrow sey dies gesagt!) allein die Frankfurter Behörden sorgen mit geringer Einsicht für die Statistik ihrer Gewerbe- und Handelsthätigkeit, wenn sie gleichsam hülflose Kinder aussetzen und sagen: Sorge nun selbst für dich! Wir wiederholen, daß der aufgeklärte Winter in Mannheim nur drei Buchhandlungen gestattete und erst jetzt die vierte geduldet wird. Der Vergleich der Bücher mit Zucker und Kaffé ist ganz thöricht, da Herr Hoffmann wohl wissen sollte, daß Bücher weit weniger von den Schwankungen des Levantehandels und den Westindischen Ernten abhängen, als Zucker und Kaffé, und daß durch die festen Preise eine Regulirung im Buchhandel liegt, die alles Hausiren und Schlaudern bis zu einer gewissen Gränze unmöglich macht, es sey denn, daß man von ihm Bücher parthieenweise und direkt und für Kupferstiche (!) unverhältnißmäßig wohlfeiler bekömmt, als im alten ehrlichen Gange einzeln über Leipzig! Freilich dann würde der Buch- dem Zucker- und Kafféhandel gleich!
[3.]#
983 * Der Buchhändler C. Hoffmann in Stuttgart ist von den Frankfurter Buchhändlern förmlich in eine Art von Acht erklärt worden; jede Geschäftsverbindung mit ihm haben sie ihm aufgekündigt. Zu gleicher Zeit sucht Herr Hoffmann sich im Frankfurter Journal über den Verkauf seiner Volksgewerblehre von Poppe an den Antiquar Bär von neuem zu rechtfertigen. Wie die Sachen aber stehen, wird Herr Hoffmann den Vorwurf nicht widerlegen können, daß er den honnetten alten Buchverkehr durch seine Parthieverkäufe und das daraus erfolgende Annulliren der festen Preise der Bücher untergräbt. Die Schriften, welche ein Verleger herausgiebt, sollten ihm ein theuerwerthes Gut seyn, welches er um so weniger verschleudern darf, als ja bei Herrn Hoffmann der Fall eintritt, daß mit Ausnahme der Vollmer’schen Mythologie seine Verlagsartikel einen gediegenen Werth haben. Wie oft wird den Verlegern zugemuthet: Geben Sie mir 100 Exemplare von diesem oder jenem Werke für ⅓ des Ladenpreises! Der tüchtige, auf seinen Verlag stolze Verleger thut es nicht. Der selige Varrentrapp in Frankfurt a. M. litt nicht einmal, daß auf Auctionen Werke seines Verlags zu allzu niedrigen Preisen abgingen; er bot für jede vorkommende Schrift seines Verlags immer selbst soviel, als ihm nöthig schien, seinen Verlag in Ehren zu halten und kaufte sein früheres Eigenthum wieder an sich. Wie sehr sticht gegen dieses Verfahren der jetzige Buchhandel ab! Nicht nur, daß die Handlungen jetzt Cataloge drucken, wo man für 30 Thaler baar 100 Thaler Werth bekommen kann, sondern es werden nun sogar in Leipzig Auctionen gehalten, wo die Verleger ihre Werke quasi als alt anzeigen lassen und als quasi nur in einem Exemplar vorhanden; aber wenn 500 Bestellungen darauf einlaufen, so ist der Auctionator schon angewiesen, sie alle 500 zu effektuiren. Andre Verleger 984 lassen von bandreichen Werken einzelne Theile in Auctionen anbieten, um die darauf Reflektirenden zu zwingen, sie sich zu etwas höherem Preise, als der Ladenpreis ist, zu komplettiren! Viele Leihbibliothekare, viele Vorsteher öffentlicher Bibliotheken haben sich dies gemerkt, und kaufen die Bücher selten neu, warten ein Jahr und haben sie dann für die Hälfte des ersten Preises. Herrn Hoffmanns Verlagsartikel z. B. würden wir rathen, nie im ersten Jahre zu kaufen, sondern so lange zu warten, bis damit die Antiquare Geschäfte machen. Wie stolz können Cotta, Duncker und Humblot, Dümmler, Hahn, Reimer, Hoffmann und Campe, Gerold, Perthes und einige Andere auf dies Getriebe herabsehen!
Apparat#
Bearbeitung: Christine Haug, München; Ute Schneider, Mainz#
1. Textüberlieferung#
1.1. Handschriften#
1.1.1. Übersicht#
Es sind keine handschriftlichen Überlieferungsträger bekannt.
1.2. Drucke#
In der Rubrik „Kleine Chronik“ des „Telegraph für Deutschland“ setzte sich Gutzkow 1838 in einer Reihe von Beiträgen mit dem Phänomen des modernen Antiquariats auseinander. Diese Publikationen reihen sich in seine Kritik der Entwertung von Druckwerken durch profitorientierte buchhändlerische Methoden ein (vgl. auch → Ueber Preisherabsetzungen im Buchhandel). Der in GWB edierte Text „Modernes Antiquariat“ stellt eine Kompilation von drei aufeinander bezogenen Beiträgen Gutzkows zu diesem Thema dar, die über einen Zeitraum von etwas mehr als zwei Monaten veröffentlicht wurden.
2. Textdarbietung#
2.1. Edierter Text#
J. Der Text folgt in Orthographie und Interpunktion unverändert dem Erstdruck. Textsperrungen werden übernommen. Silbentrennstriche (=) werden durch - wiedergegeben. Die Seitenzählung wird mit Klammern [ ] an den betreffenden Stellen in den Text eingefügt. Fehlende oder überzählige Spatien im Erstdruck wurden stillschweigend korrigiert.
Die Seiten-/Zeilenangaben im Apparat beziehen sich auf die Druckausgabe des Beitrags im Band: Schriften zum Buchhandel und zur literarischen Praxis. Hg. von Christine Haug u. Ute Schneider. Münster: Oktober Verlag, 2013. (= Gutzkows Werke und Briefe. Abt. IV: Schriften zur Literatur und zum Theater, Bd. 7.)
Errata#
Zur Buchausgabe (GWB IV, Bd. 7) sind folgende Textkorrekturen zu vermerken:
162,19-20 zu- [680]dringlichen lies: zu-[680]dringlichen
164,15 Schleudern lies: Schlaudern
3. Quellen, Folien, Anspielungshorizonte, Bezugstexte#
3.1. Bezugstext von Nr. 2 der edierten Texte#
[Anon., vermutlich Carl Hoffmann:] Kukukseier. In: Süddeutsche Buchhändler-Zeitung. Stuttgart. Nr. 24, 15. Juni 1838, S. 179-180.
Seit längerer Zeit sind wir gewöhnt, allerlei den Buchhandel beschränkende Maßregeln von Frankfurt aus beantragt zu sehen, so daß wir keinen Augenblick im Zweifel sind, was für ein Vogel diese Eier in ein fremdes Nest legte, und die Ueberschrift keiner weiteren Erläuterung bedarf. Wir trauen auch dem Herausgeber des Telegraphen, obschon er vor einiger Zeit sich berufen glaubte, mittels einiger paradoxer Rathschläge den heruntergekommenen Buchhandel zu reformiren [→ Ueber eine Reform des deutschen Buchhandels], zu viel Selbstkenntniß zu, als daß er sich für fähig halten sollte, ‚das literarische Bedürfnis von 50,000 Menschen ohne weiteres abzuschätzen.‛ Da der Verfasser unterlassen hat, Gründe für seine Behauptungen anzuführen – was ihm freilich schwer geworden sein würde, – so begnügen wir uns, obiges Räsonnement, das den Stempel der Beschränktheit an der Stirn trägt, unsern Lesern blos der Kuriosität wegen mitzutheilen; wir müßten das in früheren No. d. Bl. Gesagte nur wiederholen. Die sehr weise Schlussbemerkung, daß die Handelsfreiheit zwar sehr gut sei, nur auch richtig verstanden werden müsse verdient aber besonders hervorgehoben zu werden. Nach des Verfassers Meinung wäre nämlich die richtig verstandene Handelsfreiheit das Ding, das nicht ist, denn er räsonnirt so: die Handelsfreiheit ist sehr gut, mag daher allen Handelsleuten zu gut kommen, nur der Sortimentsbuchhandel ist davon auszunehmen, wahrscheinlich weil er ein Sortimentsbuchhändler ist. Ein Verleger ist er nicht, sonst müßte er wissen, daß auch dieser mit Konkurrenz zu kämpfen hat, und konsequenterweise auch den Verlagsbuchhandel ausnehmen. Da aber der Buchhandel so daniederlegt, und er als Handelsmann berechtigt ist, jedes Geschäft zu treiben, so greift er vielleicht zum Spezereibedarf, und findet, daß sich das leibliche Bedürfniß von 50,000 Menschen, welche mit Zucker und Kaffee und andern Materialien zu ihrem Lebensunterhalte versorgt sein wollen, mit weit mehr mathematischer Gewißheit anschätzen läßt, als das literarische, er trägt daher flugs darauf an, die Behörden sollten die Eröffnung neuer Spezereiläden unbedingt verweigern, da die gesunde Vernunft lehrt, daß schon mehr als zu viel da sind, und eine Vermehrung nur die Entwerthung des Zuckers und Kaffee’s zur Folge haben kann. Und so kommt er zu dem richtigen Schluß, daß die Handelsfreiheit für jedes Geschäft sehr gut ist, nur nicht für das, welches er selbst betreibt,– denn sie muß nur richtig verstanden werden ! –
3.2. Folien#
Carl Hoffmann: Das Frankfurter Manifest. In: Süddeutsche Buchhändler-Zeitung. Stuttgart. Nr. 10, März 1838, S. 69-71.
[Anon., vermutlich Carl Hoffmann:] Der Frankfurter Handel. In: Süddeutsche Buchhändler-Zeitung. Stuttgart. Nr. 184,Mai 1838, S. 134-137.
Carl Hoffmann: Die Frankfurter Korporation. In: Süddeutsche Buchhändler-Zeitung. Stuttgart. Nr. 27, 6. Juli 1838, S. 197-199.
[Anon., vermutlich Carl Hoffmann:] Schneller Tod der frankfurter Korporazion. In: Süddeutsche Buchhändler-Zeitung. Stuttgart. Nr. 29, 20. Juli 1838, S. 241.
5. Rezeption#
5.1. Dokumente zur Rezeptionsgeschichte#
[Anon., vermutlich Carl Hoffmann:] Kukukseier. In: Süddeutsche Buchhändler-Zeitung. Stuttgart. Nr. 24, 15. Juni 1838, S. 179-180. (→ 3.1. Bezugstext von Text Nr. 2.)
[Anon., vermutlich Carl Hoffmann:] Abfertigung. In: Süddeutsche Buchhändler-Zeitung. Stuttgart. Nr. 34, 14. August 1838, S. 242-243.
Der Ausleger der Handelsfreiheit im hamburger Telegraphen, mit dem wir uns in no. 24 d. Bl. beschäftigten, versichert, daß er in der That im Stande sei, „das literarische Bedürfniß von 50,000 Menschen ohne weiteres abzuschätzen,“ womit also alle Zweifel niedergeschlagen sind. Wir bedauern hiebei nur den Umstand, daß er entweder nicht lesen kann, oder nicht will, er würde sonst nicht sagen, daß wir seine Bemerkungen mit „prahlerischer Vornehmheit als unberufene Weisheit eines Laien zurück gewiesen“ hätten. Wir hatten im Gegentheil sehr deutlich zu verstehen gegeben, daß wir den Verfasser für keinen Laien, sondern für einen Sortimentsbuchhändler halten, und ausdrücklich hinzugefügt, daß wir dem Herausgeber des Telegraphen die Anmaßung nicht zutrauen. Sei er indessen Laie oder nicht – uns kann es gleichgültig sein. Die „prahlerische Vornehmheit“ überlassen wir ihm, möge er in seinem Dünkel sich wohl und glücklich fühlen!
Er – der die Handelsfreiheit richtig verstanden wissen will – sagt ferner: „der Vergleich der Bücher mit Zucker und Kaffee ist ganz thöricht.“ Untersuchen wir doch einmal, wem die Thorheit zur Last fällt. Als Vergleich an und für sich ist er es gewiß nicht, denn es lassen sich noch heterogenere Dinge miteinander vergleichen. Man kann z. B. recht gute einen aufgeblasenen mit einem bescheidenen Menschen vergleichen, indem man die Aehnlichkeiten und Verschiedenheiten beider aussucht, ohne daß dies thöricht genant werden darf. Thöricht wäre der Vergleich aber, wenn der Aufgeblasene dem bescheidenen gleich gesetzt würde. Unser Verfasser behauptet, daß sich das literarische Bedürfniß einer Stadt oder einer gewissen Seelenzahl ohne weiteres abschätzen lasse, und folgert daraus, daß die Behörden verpflichtet seien, die Zahl der Sortimentshandlungen hienach zu beschränken. Wir sagen dagegen, daß sich der Bedarf von Zucker und Kaffee mit weit mehr mathematischer Gewißheit abschätzen lasse, was wol keinem Widerspruch unterliegen dürfte, und kommen mit der nämlichen Folgerung zu dem Schluß, daß der Spezereihandel mit weit größerem Rechte, als der Sortimentsbuchhandel, der Beschränkung zu unterwerfen sei.
6. Kommentierung#
6.1. Globalkommentar #
Mit Aufkommen eines neuen Unternehmertyps in der Verlagsbranche (→ Lexikon: Spekulativer Verleger), der dazu tendierte, auf der Basis herstellungstechnischer Innovationen Massenauflagen zu publizieren und über den eigentlichen Bedarf des Käuferpublikums hinaus zu produzieren, entstanden Auflagen mit einem nicht absetzbaren Anteil. Diese Druckerzeugnisse wurden kurz- oder mittelfristig in größeren Partien zu einem geringen Preis dem Antiquariatsbuchhandel zugeführt. Der Antiquar konnte sie dann deutlich verbilligt und für ihn meist profitabel an das Publikum weitergeben. Der Bezug großer Partien von Restauflagen unverkäuflicher Ware und Remittenden sowie umfangreichen Lagerbeständen durch Antiquare ist charakteristisch für die Entstehung und kontinuierliche Ausbreitung eines neuen Vertriebszweigs, des modernen Antiquariats, im 19. Jahrhundert.
Als ein Zentrum des modernen Antiquariats kristallisierte sich schon früh Frankfurt am Main heraus, wo bekannte Firmen wie beispielsweise die Antiquariatsbuchhandlung von Joseph Baer ihren Sitz hatten. Die Sortimenter in Frankfurt sahen diese Entwicklung mit Besorgnis, da sie selbst mit den Preisen der Antiquare nicht konkurrieren konnten. Die Frankfurter schlossen sich gegen die ortsansässigen Antiquare – in erster Linie Baer und St. Goar – zur „Frankfurter Corporation“ zusammen. Anlass war das Geschäft zwischen dem Stuttgarter Verleger Carl Hoffmann und dem Antiquar Joseph Baer 1838, als Baer von Hoffmann die Restauflage von Poppes „Volksgewerbslehre“ (→ Erl. zu 164,27-28) übernahm und sie zur Hälfte des früheren Ladenpreises verkaufte. Daraufhin wehrten sich die Frankfurter Sortimenter mit der Anzeige, auch bei ihnen sei dieses Werk jetzt zu Billigpreisen im Angebot, und kündigten dem Stuttgarter Verleger Hoffmann Ende Juni 1838 die Geschäftsverbindung.
Hoffmann seinerseits führte in seiner „Süddeutschen Buchhändler-Zeitung“ eine Kampagne gegen den Frankfurter Buchhandel mit seinen, wie er es sah, protektionistischen Tendenzen (→ 3.2. Folien) und betrachtete den Korporations-Zusammenschluss der Frankfurter Buchhändler als geschäftswidrig. Er veröffentlichte in Nr. 174 des „Frankfurter Journals“ (Juni 1838) eine Erklärung, „Poppe’s Volksgewerbslehre betreffend“: „In Nro. 108 des Frankfurter Journals wurde von Herrn Joseph Baer, Buchhändler und Antiquar in Frankfurt, Poppe’s Volksgewerbslehre, 3. Aufl. In 2 Bden à fl. 2. 24 kr. netto (statt des Ladenpreises von fl. 5. 24 kr.) angezeigt, worauf in Nro. 110 desselben Blattes in einer anonymen Anzeige die unwahre Behauptung ausgesprochen wurde, daß dasselbe Werk in allen Buchhandlungen für 36 kr. zu haben sey, da es durch neuere Werke, theils desselben Verfassers, theils Anderer, entbehrlich geworden. Auf Anfrage bekannte sich später als Einsender die Jäger’sche Buchhandlung, mit dem Beifügen, daß sie die Anzeige im „Auftrage und mit Zustmmung ihrer dortigen Collegen zur Einrückung befördert habe.“ Ungeachtet die Absicht, mir, als Verleger des Werkes, und besonders dem Herrn Baer, als Eigenthümer einer auf rechtliche Weise erworbenen großen Parthie Exemplare, die er im Tausch gegen antiquarische, mir für meine Privatbibliothek dienliche, meist sehr kostbare Werke empfing, also ganz nach seinem Belieben wieder zu verkaufen volle Befugniß hat, empfindlichen Schaden zuzufügen, augenfällig vorlag, war ich dennoch nicht abgeneigt, den gethanen Schritt als Uebereilung anzusehen, und mich mit einem öffentlichen Widerruf der Anzeige zu begnügen. Statt dessen bestätigte die Jäger’sche Buchhandlung brieflich, daß die gedachte Anzeige wohl überlegt, und auf einem förmlichen Beschluß der Korporation der Frankfurter Buchhändler erlassen worden sey. Diese sogenannte „sich gebildete Korporation“ glaubt sich nämlich befugt, andern Buchhändlern, welche, gleich den Mitgliedern derselben, conzessionirt sind, durch Nichtaufnahme in ihre Mitte die Anerkennung als Buchhändler zu verweigern, sie gleichsam mit dem Interdikt zu belegen, und in der Betreibung ihres Geschäfts zu hindern. Ebenso droht sie allen Verlegern, welche sich ihrer Diktatur nicht unterwerfen wollen, und, außer den Mitgliedern der Korporation, noch mit andern Frankfurter Buchhandlungen in Verbindung bleiben, daß sie sich für deren Verlag nicht mehr verwenden, dagegen die Verbreitung desselben in ihrem Wirkungskreise auf jede Weise hemmen und hindern werde. Welche Mittel dazu angewendet werden, geht aus Obigem hervor. – Nach Vorausschickung des Vorstehenden wird das Publikum, dem ich die Aufklärung hinsichtlich der versuchten Täuschung von Seiten der Korporation noch schuldig bin, die Absicht derselben bei Abfassung der Anzeige zu würdigen wissen. Ich erkläre hiermit, daß der Preis des Buches von mir niemals herabgesetzt wurde, daß noch jetzt kein einziges Exemplar anders, als zum Ladenpreise von fl. 5. 24 kr., und an Buchhändler zum entsprechenden Nettopreise abgegeben wird, daß es daher weder in allen, noch in irgendeiner Buchhandlung à 36 kr. verkauft werden kann, und daß auch, wie bewiesen werden könnte, auf die Anzeige kein einziges Exemplar um 36 kr. verkauft wurde. Diese erweist sich also als durchaus unwahr, und in der offenbar böswilligen Absicht der Gewerbsschmälerung erlassen, und sucht überdies auf hämische Weise des Werth des Buches herabzuwürdigen. Hierauf etwas zu erwiedern, ist freilich sehr überflüssig, da die Schriften des rühmlich bekannten Herrn Verfassers zu allgemeine Anerkennung gefunden haben, als daß der Neid und die Mißgunst einer Faktion ihnen nachtheilig seyn könnte.“
Dass Hoffmann allerdings selbst mit der Wertminderung seiner Poppeschen „Volksgewerbslehre“ begonnen hatte, indem er sie als zu verschleudernden Restposten ins moderne Antiquariat gab, stellte Gutzkow in seinem Beitrag vom 1. August (Nr. 3 der hier edierten Texte) ausdrücklich fest: Durch seine Parthieverkäufe und das daraus erfolgende Annulliren der festen Preise seien nicht die von Hoffmann beschuldigten Frankfurter Korporationsbuchhändler, sondern er selbst für die Untergrabung des honnetten alten Buchverkehr[s] verantwortlich (164,30-165,1). Dies sei umso mehr zu bedauern, als Hoffmann sich doch als Verleger von Artikeln mit gediegenem Werth hervorgetan habe; dazu gehören die 1835 von Gutzkow so positiv besprochenen Lieferungswerke der Okenschen „Naturgeschichte“ und des Littrowschen „Himmels“ (→ Werke der Industrie).