Der deutsche Buchhandel#
Metadaten#
- Herausgeber
- Christine Haug
- Ute Schneider
- Fassung
- 1.0
- Letzte Bearbeitung
- 08.2020
Text#
639 Der deutsche Buchhandel.#
Wir fanden kürzlich Gelegenheit, einige Worte über die durch unsern Buchhandel hervorgerufene Ueberproduction und Marktüberfüllung zu sagen. Ein uns eingesandter Artikel aus der Feder eines Buchhändlers geht in seinen Anklagen noch weiter. Er vermißt am deutschen Buchhandel einen größern Anschluß an die üblichen Kaufmannsüsancen und eine tiefere Bildung der Verleger. In der That ist besonders letzterer Vorwurf außerordentlich begründet. Man nehme den Verlagskatalog gebildeter und charakterfester Buchhändler und den nur experimentirender Speculanten – welcher Unterschied! Dort nur gediegene, auf wirklichen Werth Anspruch machende Werke, hier gute und schlechte Waare durcheinandergemengt. Um Beispiele zu geben. Man vergleiche, was seit manchen Jahren Perthes in Gotha, Cotta, Reimer in Berlin und Leipzig, Veit in Berlin, Bassermann u. A. verlegt haben. Ist nicht in allen Unternehmungen dieser Firmen eine höhere, edlere Bildung ersichtlich? Und nun nehme man, wie verkehrt sich die Verlagsthätigkeit so vieler bornirter und ungebildeter Köpfe dagegen ausnimmt. In der That sollte man, um unsere jährlichen beiden Meßkataloge mindestens auf Einen zu reduciren, das Verlagsrecht irgendwie beschränken und vom Sortiment trennen. Unser Gewährsmann schreibt u. A.:
„Einer entsprechenden Bildung kann sich unter Denen, die mit geistiger Waare handeln, verhältnißmäßig nur eine geringe Anzahl rühmen; der größte Theil dieser ehrenwerthen Firmen tappt so zu sagen fortwährend im Finstern und hat sich an diesen Zustand schon so sehr gewöhnt, daß man sich gar nicht genirt, mit der stereotypen Behauptung: daß ein «gutes» literarisches Unternehmen die Verluste an zehn andern «schlechten» decken müsse, seine Rathlosigkeit offen zur Schau zu tragen. Daß ein solcher Zustand in mehrfacher Hinsicht nachtheilig einwirkt, ist nicht zu bestreiten; denn einmal macht er den Buchhandel zum Hazardspiel und dann das Publicum mistrauisch. Besserung kann nur kommen aus einer kaufmännischern Erziehung und daraus hervorgehenden kaufmännischen Anschauungsweise des deutschen Buchhandels. Damit ergeben sich eine Verminderung der Pro-640duction, ein mehr sicherer Takt in der Auswahl der Verlagsunternehmungen, eine Beschränkung des einzelnen Verlegers auf ein einzelnes oder doch mindestens auf einige ihm geläufige Fächer der Literatur, eine Möglichkeit, bessere Honorare zu zahlen und dadurch den Boden zu befruchten, eine Beschränkung des fast lächerlich-langen Creditsystems, ein Aufhören aller Commissionsversendungen, selbst der Novitäten, und in Beziehung auf das Publicum eine Erweckung und größere Ausbildung des in Deutschland noch lange nicht genug empfundenen Bedürfnisses, gute Bücher zu kaufen und als Eigenthum zu besitzen. Damit soll keineswegs gesagt sein: Man richte die Sache doch bei uns ganz so ein wie z. B. in England; Englands Verhältnisse sind nicht die unserigen und es gehört ein englisches Volk und eine englische Staatsverfassung dazu – vom englischen Gelde ganz zu schweigen –, um einen englischen Buchhandel zu besitzen. Daß unser Buchhandel – in mancher Hinsicht ein Bild unserer politischen Verhältnisse – so ist wie wir ihn eben finden und daß die Träger desselben bisher nur theoretisch und ohne Erfolg versucht haben, sich von den Uebelständen, welche auf diesem Geschäftszweige lasten und eine freiere Entwickelung desselben verhindern, zu emancipiren, das liegt am letzten Ende doch im deutschen Volkscharakter und in den deutschen Zuständen.“
Es ist an sich eine schöne Seite des deutschen Buchhandlungsverkehrs, daß in ihm eine Art von Gemüthlichkeit herrscht. Aber es sind nicht allein die Verleger, die diese Gemüthlichkeit theuer bezahlen. Das naivgedankenlose Bücherfabriciren, das Drucken, nur um seine „Pressen zu füttern“, die nie aussterbende Illusion der Jubilatemesse, das Hoffen auf Eintreffen gewisser Wundererfolge, die allerdings dann und wann im Buchverkehr stattgefunden haben (z. B. „Conversations-Lexikon“, „Stunden der Andacht“, „Pfennig-Magazin“, „Walter Scott“, „Struwwelpeter“ u. s. w.), bringen Ueberflutungen hervor, die nicht blos die Verleger ruiniren, sondern Alles, was am Buchhandel betheiligt ist, und leider Niemanden mehr als das Publicum.
Apparat#
Bearbeitung: Christine Haug, München; Ute Schneider, Mainz#
1. Textüberlieferung#
1.1. Handschriften#
1.1.1. Übersicht#
Es sind keine handschriftlichen Überlieferungsträger bekannt.
1.2. Drucke#
2. Textdarbietung#
2.1. Edierter Text#
J. Der Text folgt in Orthographie und Interpunktion unverändert dem Erstdruck. Textsperrungen werden übernommen. Silbentrennstriche (=) werden durch - wiedergegeben. Die Seitenzählung wird mit Klammern [ ] an den betreffenden Stellen in den Text eingefügt. Fehlende oder überzählige Spatien im Erstdruck wurden stillschweigend korrigiert.
Die Seiten-/Zeilenangaben im Apparat beziehen sich auf die Druckausgabe des Beitrags im Band: Schriften zum Buchhandel und zur literarischen Praxis. Hg. von Christine Haug u. Ute Schneider. Münster: Oktober Verlag, 2013. (= Gutzkows Werke und Briefe. Abt. IV: Schriften zur Literatur und zum Theater, Bd. 7.)
Kommentierung#
Der wissenschaftliche Apparat wird hier zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht.