Wir stellen die Gutzkow Gesamtausgabe zur Zeit auf neue technische Beine. Es kann an einzelnen Stellen noch zu kleinen Problemen kommen.

Brüsseler Nachdruck#

Metadaten#

Autor
  1. Christine Haug
Fassung
1.0
Letzte Bearbeitung
07.2007

Text#

Brüsseler Nachdruck#

Bezeichnung für in Belgien zwischen 1815 und 1850 massenhaft produzierte Nachdrucke französischer Originalwerke.  

Der Nachdruck als Markenzeichen des holländischen Druckgewerbes im 19. Jahrhundert #

Die italienische Schweiz, Frankreich, Großbritannien und Belgien gehörten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu den wichtigsten Transferländern des Ideen- und Schriftenschmuggels, wobei sich insbesondere die Niederlande bereits im 18. Jahrhundert auf dem Gebiet der Herstellung und des Vertriebs von politisch und religiös diskreditierter Literatur exponiert hatte. Holländische Verlagshäuser hatten sich auf den Schmuggel der in Frankreich verbotenen Werke sowie von Raubdrucken spezialisiert und mit ihren grenzübergreifenden Kommunikations- und Agentennetzwerken ganz Europa mit französischer Aufklärungsliteratur versorgt.

Das Nachdruckgewerbe entwickelte sich also schon im 18. Jahrhundert zu einem wichtigen Wirtschaftszweig des Landes. Der Handel mit Nachdrucken erlebte in der Zeitspanne zwischen der Julirevolution und 1848er Revolution eine neuerliche Konjunktur, nicht zuletzt deshalb, weil zur Zeit der Bourbonen-Restauration, die durch eine scharfe Überwachung der Pressepolitik gekennzeichnet war, es sich für französische Verleger wiederum sehr schwierig gestaltete, Oppositionsliteratur im eigenen Land zu publizieren. Diese wurde jetzt in Gestalt von Raubdrucken über Belgien in das internationale Ausland geschleust.

Der Nachdruck entwickelte sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem Markenzeichen des niederländischen Buchhandels und dokumentiert die enge Verflechtung von politischen und fiskalischen Interessen im Druckgewerbe. Mit der politischen Vereinigung von Holland und Belgien nach dem Wiener Kongress blühte der Nachdruck hauptsächlich französischer Originalwerke fortan in Brüssel auf. Jetzt nahm das Nachdruckgewerbe ein solches Ausmaß an, dass die französische Regierung diesen eklatanten Verstoß gegen ihre interne Pressegesetzgebung durch Belgien nicht mehr zu tolerieren bereit war. Während sich politische Interventionen Frankreichs zunächst als wenig erfolgreich erwiesen, sollten wirtschaftliche Sanktionen schließlich zu einem zwischenstaatlichen Urheberrechtsabkommen führen. Die Unterzeichnung einer Konvention über den gegenseitigen Schutz des literarischen Eigentums im Jahr 1852 beendete dann zwar die Auseinandersetzung über den "Brüsseler Nachdruck", doch die Diskreditierung des Landes als Eldorado der "Freibeuter" und "Raubritter" dauerte noch bis ins letzte Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts fort. Die Auseinandersetzung über den Schutz von Autorrechten entfachte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein weiteres Mal am Konfliktpotential der nicht autorisierten "Übersetzung".

Belgien als „neuralgischer“ Punkt im europäischen Mächteverhältnis nach dem Wiener Kongress#

Die "belgische Frage" war wichtiger Diskussionspunkt auf dem Wiener Kongress 1815, galt Belgien doch als ein stets von Frankreich bedrohtes europäisches Gemeinschaftsterritorium. Eine politische Klärung der belgischen Frage tangierte unmittelbar die fragilen Mächteverhältnisse in Europa und galt dem Deutschen Bund daher als "neuralgische Stelle" im westeuropäischen Staatensystem (von der Dunk, S. 1). Der Aufstand in Brüssel im August 1830 wurde von den Staaten des Deutschen Bundes aufmerksam registriert, zumal sie französische Agenten in Brüssel als treibende Kraft vermuteten. Die Julirevolution und den belgischen Aufstand nahmen die europäischen Mächte als gefährliches Signal dafür, dass Frankreich neuerlich Expansionspläne hegte, und insbesondere Preußen drängte auf eine schnelle diplomatische Lösung. So erkannten Preußen und Österreich im November 1830 das Eigenexistenzrecht Belgiens an (von der Dunk, S. 87-91). Dieser Kompromiss war nicht nur politischen, sondern vor allem wirtschaftlichen Interessen geschuldet, gleichwohl spitzte sich der Konflikt im Februar 1839 erneut zu und führte zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Brüssel, Berlin und Wien (von der Dunk, S. 107).

Die belgische Frage fand Eingang in die deutsche Publizistik, wobei sich insbesondere Ernst Moritz Arndt mit seinen beiden Schriften "Holland und Belgien und die Trennungsfrage" (1830) sowie "Belgien und was daran hängt" (1834) zu diesem politischen Thema äußerte. Die belgische Frage wurde aber auch in der "Augsburger Allgemeinen Zeitung" heftig diskutiert. Ernst Münch, Verfasser des Artikels "Über die Ursachen, Urheber und Zwecke der belgischen Revolution" plädierte für eine Annäherung Belgiens an Preußen und den Zollverein allein aus wirtschaftlichen Gründen. Die politische Unabhängigkeit Belgiens verteidigte Münch, war sie doch aus einer Volksbewegung hervorgegangen; gleichwohl könne das Land nur im Verbund mit seinen Nachbarstaaten wirtschaftlich überleben (von der Dunk, S. 147). Münch setzte hierbei insbesondere auf den Ausbau der Eisenbahn. "Alle Gedanken sind hier [in Belgien] auf die materiellen Interessen gerichtet. Das Streben nach Deutschland hin spricht sich laut aus: Die Errichtung der Eisenbahn hat es noch mehr gekräftigt und überdies dazu gedient viele Meynungen zu vereinigen" - so ein Korrespondent der "Allgemeinen Augsburger Zeitung" im Mai 1837 aus Brüssel (von der Dunk, S. 154).

Belgien stand allein wegen seines hohen Industrialisierungsgrads innerhalb Europas an exponierter Stelle, und viele deutsche Handwerker entschieden sich für eine Auswanderung ins europäische Nachbarland. Bereits am 9. Oktober 1834 erließ der Deutsche Bund ein Auswanderungsverbot für Handwerker nach Belgien, um die Abwanderung von Arbeitskräften zu unterbinden. Auf der anderen Seite forcierte der Deutsche Bund die Forderung nach einer Mitgliedschaft Belgiens im Deutschen Bund, einerseits weil Belgien inzwischen als ein attraktiver Wirtschafts- und Handelspartner galt, auf der anderen Seite erhoffte man sich durch diesen politischen Schachzug eine stabile Abgrenzung Belgiens gegenüber Frankreich. Gleichwohl war der literarische, kulturelle und wirtschaftliche Einfluss Frankreichs auf Belgien immens, und ein Bruch mit Frankreich wäre für Belgien wirtschaftlich wie auch politisch ein Desaster gewesen (von der Dunk, S. 130).

Belgien galt wegen seiner liberalen Verfassung als progressives Land und besaß für die europäischen Intellektuellen Vorbildfunktion. Ein besonderes politisches Interesse an Belgien als Exilland entwickelten die deutschen Autoren des Vormärz; dieses schlug sich in Reiseberichten, z.B. Johann Wilhelm Löbells "Reisebriefe aus Belgien" (1837) oder Ludwig Wienbargs "Ästhetische Feldzüge" (1834) nieder (von der Dunk, S. 163). Zugleich entzogen die restaurative Literaturpolitik Metternichs und die Auswirkungen der Karlsbader Beschlüsse, z.B. Konzessionsentzug und Berufsverbote, deutschen Literaten und Verlegern seit 1819 zunehmend die Existenzgrundlage. Die engen Verflechtungen zwischen politischen, wirtschaftlichen und buchmarktpolitischen Interessen in der belgischen Frage werden sich auch am heftig umstrittenen Nachdruckgewerbe der Belgier aufdecken lassen.

Das Emigrantenzentrum Brüssel und die literarische Opposition in Europa#

Belgien gehörte seit der Julirevolution zu den politisch fortschrittlichsten Staaten Europas und entwickelte sich zu einem wichtigen Emigrantenzentrum, das Raum für vielfältige literarische Aktivitäten bot. Es bildete sich innerhalb kurzer Zeit eine wirkungsvolle deutsche Emigrantenpresse heraus, die insbesondere Metternich mit Argwohn beobachten ließ.

Im September 1844 flüchtete Freiligrath nach Brüssel und organisierte während seines viermonatigen Aufenthalts gemeinsam mit Schriftstellerkollegen und politischen Gesinnungsgenossen von hier aus den literarisch-publizistischen Widerstand. Zu diesem Zirkel stieß im Dezember 1844 Karl Peter Heinzen (1809-1880), ehemaliger Mitarbeiter der "Rheinischen Zeitung" und Publizist, der nach Veröffentlichung seiner Schrift "Preußische Bürokratie" aus Preußen fliehen musste; im Februar 1845 folgte Karl Marx nach Brüssel, nachdem er aus Paris ausgewiesen worden war. Ein wichtiges Betätigungsfeld bot sich den Emigranten im Zeitschriftenwesen und Druckgewerbe, das einerseits politische Agitation ermöglichte, zugleich aber auch das wirtschaftliche Überleben der Exilanten sicherte. Regelmäßige Zusammenkünfte, Gründung von literarischen Zirkeln und die Pflege von europaweiten Korrespondenznetzen - ein reger Austausch bestand mit den Emigrantenverlagen in der Schweiz - boten die Basis für eine effektive Oppositionsarbeit vom belgischen Exil aus. Brüssel war wichtiger Knotenpunkt im internationalen Korrespondenznetz geworden; hier bündelten sich die Informationen über oppositionelle Nachdruckliteratur.

Es verwundert daher nicht, dass Belgien dem Deutschen Bund, insbesondere der Habsburger Monarchie, als kaum zu kontrollierender politischer Unruheherd und gefürchteter Akteur im europäischen Ideen- und Schriftenschmuggel galt. Metternichs Geheimpolizei, aber auch das liberalere Sachsen, drängten vermehrt darauf, Bücherlieferungen aus Belgien an den Grenzen des Zollvereingebiets strengstens zu kontrollieren. Allein deshalb rangierte Brüssel als fiktiver Erscheinungsort im literarischen Submilieu als erste Adresse, wenn es galt, die Verfolgungsbehörden in die Irre zu führen (Müller, S. 313). Neben dieser stark politischen Komponente des Phänomens "Brüsseler Nachdruck" gab es eine nicht weniger bedeutsame wirtschaftliche Perspektive, die im internationalen Verlagsgewerbe mit vergleichbarer Heftigkeit diskutiert wurde.

Der Nachdruck als wirtschaftliche Komponente im Verlagsgewerbe nach 1830#

Die weitgehende Aufhebung der Zensur nach der Julirevolution 1830 leitete in Belgien eine wirtschaftliche Konjunktur im Verlagsgewerbe ein. Während 1815 noch zwanzig Druckereien mit 27 Pressen eine Jahresproduktion von fünf Millionen Bogen erzielten, produzierten 1838 bereits 53 Druckereien mit über zweihundert Pressen weit über 62 Millionen Bogen (Menz, S. 21). Diese drastische Steigerung spiegelte sich im gleichfalls prosperierenden Nachdruckgewerbe. Nach der erneuten Trennung der Territorien Belgien und Holland im Jahr 1831 gewann die Auseinandersetzung zwischen Frankreich und Belgien wegen des expandierenden Raubdruckgewerbes an Schärfe. Frankreich versuchte zunächst einen europaweiten Boykott der belgischen Nachdrucke durchzusetzen. Die neuen politischen Konstellationen in Europa - die einzelnen Staaten gewannen durch ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit zusätzlich an Gewicht - verhinderten nicht nur die Boykottmaßnahmen, sondern förderten sogar noch den Nachdruck, und dies inzwischen nicht mehr nur in Belgien. Dennoch waren es vor allem die Brüsseler Druckereien, die, von der ausgezeichneten Verkehrsanbindung der Hauptstadt profitierend, für den massenhaften Export der Nachdruckware produzierten. Zu den wichtigsten Abnehmerländern gehörten neben Frankreich, England und Deutschland auch zahlreiche süd- und osteuropäische Länder; das Brüsseler Vertriebsnetz erreichte in nur kurzer Zeit auch die Vereinigten Staaten und sogar in den arabischen Ländern, u. a. in Syrien, florierte der Handel mit belgischen Nachdrucken. So belief sich nach Angaben des belgischen Zolls allein im Jahr 1834 das Gesamtgewicht der exportierten Nachdrucke auf knapp 70.000 Kilogramm; 1851 sollte es sich bereits auf beinahe 400.000 Kilogramm erhöhen (Menz, S. 64). Eine weitere Maßnahme Frankreichs zielte jetzt darauf, zumindest den Transit der Nachdrucke im eigenen Land zu unterbinden. Dies blieb aber wirkungslos, weil belgische Unternehmen auch längere Transportwege in Kauf zu nehmen bereit waren - die hohen Gewinnspannen bei Nachdrucken erlaubten diese Unternehmensentscheidung.

Begünstigt wurde die Nachdruckkonjunktur zugleich durch die hohen Preise der französischen Originalausgaben. Die belgischen Nachdrucker produzierten qualitativ hochwertige Drucke zu deutlich niedrigeren Preisen - dies wurde ihnen sogar von ihren schärfsten Kritikern attestiert. Diese Preispolitik war möglich, weil keine Honorare an die Originalverfasser gezahlt wurden. Das eigentliche Erfolgsrezept des belgischen Nachdrucksystems bestand darin, wenige, aber stark gefragte Werke in hohen Auflagen zu drucken und anschließend im großen Stil in Europa zu vertreiben. So druckten die Belgier zwar nur etwa fünf Prozent der französischen Literaturproduktion nach; diese Titel waren aber im internationalen Ausland besonders begehrt (Menz, S. 60-62). Gegen diese Praxis schienen die französischen Verleger machtlos. Auch Bemühungen um eigene Verlagsgründungen in Brüssel, sieht man von wenigen Ausnahmen (z.B. dem Verlagsunternehmen Jean Paul Méline) ab, schlugen fehl.

Die französische Regierung sah sich zunehmend innenpolitischem Druck ausgesetzt, denn die Pariser Verlagshäuser, die einen erheblichen Wirtschaftsfaktor Frankreichs darstellten, wie auch die geschädigten Autoren, protestierten inzwischen vehement. Die Regierung entschied sich, nicht mehr nur gegen den Nachdruck im Nachbarland vorzugehen, sondern versuchte jetzt auf die gesamte belgische Industrie Druck auszuüben. So machte Frankreich die Unterzeichnung eines für Belgien sehr vorteilhaften Handelsabkommens von einer befriedigenden Beilegung des Nachdruckkonflikts abhängig. Erst diese drastische wirtschaftspolitische Maßnahme bewegte die belgische Regierung zum Einlenken. 1852 unterschrieb Belgien schließlich die Konvention über den gegenseitigen Schutz des literarischen Eigentums. Zwei Jahre später wurde das Gesetz ratifiziert.

In den 1850er Jahren waren zwar vermehrt Autorenrechtsregelungen auf internationaler Ebene angestrebt worden - entscheidende Impulse erhielt die Entwicklung nicht zuletzt durch die Auseinandersetzung zwischen Frankreich und Belgien -, doch an Bedeutung verloren die belgischen Nachdrucke erst, als die Originalbuchpreise in Frankreich die der Nachdrucke deutlich unterboten. Die Preissenkungen waren inzwischen möglich geworden, weil auf dem französischen Buchmarkt zunehmend Großunternehmen und Aktiengesellschaften agierten. Letztendlich hatten die französischen Verleger durch den jahrzehntelangen systematischen Nachdruck ihrer Literaturproduktion auch einen nicht unerheblichen Nutzen. Die belgischen Raubdrucke waren wirkungsmächtige Werbemedien, und Frankreich gelang es zweifelsohne auch deshalb in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, seine dominierende Rolle auf dem europäischen Buchmarkt weiter auszubauen (Menz, S. 66).

Mit der fortschreitenden Globalisierung der Buchmärkte seit dem ersten Drittel des 19. Jahrhundert, die den Literaturverkehr zwischen Frankreich, Deutschland, England und den Vereinigten Staaten intensivierte, wurde die Lösung des Problems belgischer Nachdrucke immer drängender. Das Problem wurde auch deshalb brisanter, weil belgische Verlagshäuser nicht mehr nur mit der Einrichtung von Bücherdepots in Leipzig, dem wichtigsten Kommissionsplatz Europas, begnügten, sondern verstärkt dazu übergingen, in der Messestadt eigene Niederlassungen zu gründen. Eine Niederlassung in Leipzig führte zu eklatanten Zeit- und Kostenersparnissen für ausländische Firmen. So eröffnete das Brüsseler Verlagsunternehmen Jean Paul Méline 1841 ein Verlagsgeschäft in Leipzig; die Allgemeine Niederländische Buchhandlung, 1829 in Leipzig gegründet, übernahm fortan die Aufgabe des Kommissionärs für die belgischen Geschäftskollegen. Die personellen und Firmenverflechtungen waren offenkundig. Ehemalige Mitarbeiter des Unternehmens Méline gingen als Geschäftsführer in die Niederlassungen ins Ausland, wurden Teilhaber und machten sich nach einigen Jahren mit eigenen Verlagen in Leipzig selbständig. Diese personellen und unternehmerischen Netzwerke - flankiert vom fortschreitenden Ausbau der Eisenbahnverbindungen und der zunehmenden Professionalisierung des Buchhandelsverkehrssystems - intensivierten Herstellung und Vertrieb von belgischen Nachdrucken beträchtlich.

In der Auseinandersetzung über den Nachdruck französischer Werke in Belgien und deren Export nach Deutschland hatte der Prozess des Verlagsunternehmens Brockhaus & Avenarius (Leipzig/Paris) im August 1838 eine wichtige Signalwirkung. So kommentierte - neben vielen anderen Zeitschriften - auch die "Leipziger Allgemeine Zeitung" (Leipzig: J. J. Weber, 1836-1843) ausführlich den Prozess zwischen Brockhaus & Avenarius und der belgischen Buchhandlung "Société belge de librairie" (Leipziger Allgemeine Zeitung, Nr. 21 vom 21. August 1838 und Nr. 22 vom 8. September 1838). Die "Société belge de librairie" gehörte seit den 1830er Jahren zu den produktivsten Nachdruckunternehmen Belgiens; hier erschienen oftmals nur wenige Wochen nach den französischen Originalausgaben die Nachdrucke, u. a. die des Erfolgsautors Louis-Adolphe Thiers ("Histoire de la Révolution française"). Brockhaus & Avenarius wehrte sich u. a. gegen den Nachdruck seines Verlagsartikels "Congrès de Vérone" (2 Bde. 1838) von François René Chateaubriand, der in Brüssel noch im selben Jahr erschienen war.

In Deutschland gehörten in den 1840er Jahren Sachsen und Preußen zu den wenigen Staaten, die das literarische Eigentum eines jeden Landes auf Dauer anerkannten, sofern diese im Gegenzug die deutsche Literaturproduktion in ihren Ländern vor unrechtmäßigem Nachdruck schützten (Reziprozitätklausel). So wies das Leipziger Handelsgericht zwar im August 1838 die Klage von Brockhaus & Avenarius aus formalrechtlichen Gründen ab, jedoch der sächsische Buchhandel wertete es dennoch als Erfolg, dass das Handelsgericht die belgische Ausgabe des Werkes "Congrès de Vérone" als unrechtmäßigen Nachdruck verurteilte und, obgleich sporadisch, zu Beschlagnahmungen überging. Der sächsische Buchhandel erwartete im Gegenzug allerdings von Frankreich ein vergleichbares Engagement beim Schutz deutscher Werke.

In Deutschland litten insbesondere die Verleger unter dem belgischen Nachdruck, die einen Programmschwerpunkt auf französische Literatur in Originalsprache gelegt hatten. Eine besondere Medienöffentlichkeit erlange daher der Rechtsstreit um ein weiteres Werk Adolphe Thiers', die "Histoire du consulat et de l’empire", erschienen im französischen Verlagshaus Jean Paul Méline im Jahr 1845. Wie verschiedene andere Pariser Verleger auch, hatte J. P. Méline die Auswirkungen der Rechtsunsicherheit auf dem Gebiet des internationalen Urheberrechts durch die Gründung von zusätzlichen Niederlassungen im benachbarten Ausland zu mildern gesucht. Méline hatte 1830 den Brüsseler Verlag Haumann & Comp. gekauft und besaß fortan neben seinem Hauptsitz in Paris eine Niederlassung in Brüssel (Teilhaber und Geschäftsführer war der Buchhändler Léo Cans). Bei Méline in Brüssel wurde schon seit 1831 - in diesem Fall mit Erlaubnis des Pariser Verlags Ladvocat - das Lieferungswerk "Paris, ou Le Livre des Cent-et-un" nachgedruckt. 1838 eröffnete Méline auch in Leipzig ein Bücherdepot und ebenfalls dort 1841 eine eigene Buchhandlung, deren Leitung Adolph Haubold übernahm. Am Beispiel des internationalen Verlagshauses offenbart sich die Verworrenheit des internationalen Urheberrechtsempfindens besonders augenfällig, nicht zuletzt durch unterschiedliche bilaterale Abkommen deutscher Staaten mit Frankreich. So versuchte Méline die Verbreitung belgischer Nachdrucke seines seit 1845 erscheinenden und auf acht Bände angelegten Werkes, das bereits im selben Jahr in einer deutschen Ausgabe mit dem Titel "Geschichte des Consulats und des Kaiserthums" (20 Bde. Leipzig 1845-1866) vorlag (übersetzt unter der Leitung von Friedrich Bülau), in Preußen zu unterbinden. Er berief sich auf einen Vertrag mit dem Originalverfasser Thiers, wonach ihm die Verlagsrechte auch für Deutschland überschrieben worden waren.

Doch schon im Erscheinungsjahr des ersten Bandes der "Histoire du consulat" zirkulierten zwei belgische Nachdrucke der Brüsseler Verlagsunternehmen Wahlen (2 Bde. Brüssel: Wahlen, 1845; August Wahlen war Teilhaber der Allgemeinen Niederländischen Buchhandlung, die 1829 in Leipzig gegründet wurde und inzwischen die Kommissionsgeschäfte auch für Méline übernommen hatte) und H. Bourlard (Brüssel: H. Bourlard, 1845-1857); 1846 folgte Carl Berendt Lorck mit einer deutschen Übersetzung von Eduard Burckhardt ("Geschichte des Consulats und des Kaiserreichs". 5 Bde. Leipzig: Lorck, 1846-1860). Doch das Aachener Landgericht wie auch der Königliche Rheinische Appelations-Gerichtshof entschieden noch im selben Jahr zum Nachteil J. P. Mélines: Ein Privatabkommen zwischen Autor und Verleger setze nicht die Reziprozitätsklausel außer Kraft, nach der Schutz nur aufgrund eines bilateralen Abkommens, hier zwischen Deutschland und Frankreich, gewährt werden könne. So seien die von Méline bekämpften Nachdrucke nach der Pariser und nicht nach seiner verlagseigenen Ausgabe angefertigt worden; daher könne die Verbreitung der belgischen Nachdrucke in Preußen auch nicht verhindert werden. Diese Auseinandersetzung erregte gerade in Deutschland großes Aufsehen, und Ende der fünfziger Jahre beschäftigten sich zahlreiche Presseberichte mit diesem Fall. Besondere Öffentlichkeitswirksamkeit erlangte dieser Nachdruckprozess auch deshalb, weil bei einem mehrbändigen und auf mehrere Jahre angelegten Großprojekt die zeitgleiche Entstehung von Konkurrenzübersetzungen kaum zu unterbinden war und der wirtschaftliche Schaden für den Originalverleger dabei beträchtlich sein konnte; auch dann, wenn die Nachdrucker nach Erscheinen der ersten Bände ihr Unternehmen bereits wieder einstellen mussten, was häufig vorkam.

In der "Deutschen Vierteljahrs Schrift" von 1846 wurde die komplexe Problematik in "Ein Wort über die Lage deutscher Verleger von Werken nicht deutscher Urheber" am Beispiel des Verlagswerks Mélines ausführlich erörtert: Auf Unverständnis stieß bei deutschen Literaten insbesondere die Rechtsprechung, dass deutschen und belgischen Buchdruckern erlaubt war, ein "in Frankreich und Deutschland zugleich bei rechtmäßigen Verlegern erscheinendes Werk nach dem schutzlosen, französischen Exemplar nachzudrucken [...]. Freilich können wir den thatsächlichen Umstand, dass Thiers sein Werk an zwei verschiedene Verleger verkaufen konnte und, um sich den Schutz desselben in Deutschland zu sichern, verkaufen musste, vom rein theoretischen Standpunkte aus nicht billigen. Die Möglichkeit war nur von den mit dem natürlichen Rechte nicht übereinstimmenden Verhältnissen, zu denen wir hier das Gesetz zählen, gegeben; denn das unnatürliche Gesetz, welches in Frankreich wie bei uns den Ausländern von der Wohlthat des Rechtsschutzes in dieser Hinsicht ausschließt, bewirkt, dass der zweite im Recht eigentlich gar nicht bestehende Vertrag vor den Gesetzen als formell gültig angesehen werden muß. Erkennt das Gesetz also den einen unter seinen Auspicien geschlossenen Vertrag an, so muß es den andern als im Rechte nicht bestehend behandeln und alle Folgen desselben rechtlich verneinen, wie denn auch die sächsischen Behörden dies in diesem Fall ganz richtig gethan und die Pariser Ausgabe dieses Werkes in Deutschland für unerlaubt, unbefugt angesehen und danach gehandelt haben. Das Unnatürliche und Widersinnige dieses Zustandes liegt auf der Hand und aus diesem Vorfalle erlauben wir uns daher die ganze Verworrenheit der Rechtsverhältnisse der Verleger rücksichtlich dieses Punktes klar zu machen [...]. Diese Erkenntniß nämlich geht noch viel weiter und an ihm zeigt sich recht klar, wie ein gänzliche Verwirrung der Rechtsbegriffe entsteht, wenn, was man so gern von Seiten des Urheberrechtes thut, Rechtssätze als polizeiliche Anordnungen der Willkür betrachtet werden. Das Gesetz als anerkanntes Recht in einem bestimmten Staate hat seine Geltung durch jene öffentliche Anerkennung von Seiten der Gesetzgebung, hat aber auch seine Grenzen mit den Grenzen der gesetzgebenden Gewalt jedes Staates gemein. Was außerhalb dieser Grenzen geschieht, was außerhalb derselben entstanden ist, ist auch außer diesem Gesetze, und wenn eine internationale Gemeinschaft nicht stattfindet, wenn die Gesetzgebung im Allgemeinen oder in einzelnen Theilen noch nicht soweit vorgeschritten ist, daß sie die Rechtsfähigkeit des Menschen und nicht blos des Staatsbürgers betrachtet, dann kann auch ein Schutz des Ausländischen nicht gedacht werden. Hierüber sind wir freilich zum größten Theile im Allgemeinen hinweg, wie schon oben bemerkt wurde. Einzelne Verhältnisse nur stehen noch insofern als rechtlos zwischen den verschiedenen Staaten da, als man sich noch nicht hat entschließen können das natürliche Recht des Menschen im Ausländer anzuerkennen, wo es mit dem pecuniären Vortheile eines Inländers streitet. Man hat den scheinbaren Nutzen dem wirklichen Gewinne vorgezogen. Doch das ist nicht genug. Jenes Erkenntniß schützt ja sogar den Ausländer zum Nachtheil des Inländers oder wenigstens Eines, der nach den Gesetzen des preußischen Staates als Inländer vor den Gerichten zu betrachten ist. Denn es schützt den belgischen Nachdruck, welcher die rechtmäßige Ausgabe Hrn. Meline’s auf das empfindlichste beeinträchtigt. Und warum? Weil der nachdruckende Ausländer von einem anderen Ausländer, der in jenem Lande ebenfalls des rechtlichen Schutzes in Betreff seines erworbenen Verlagsrechtes entbehrt, dasselbe Werk nachdruckte, in Bezug auf welches der Kläger von dem ausländischen Urheber das Vervielfältigungsrecht für Deutschland erworben hatte. Bei solcher Gestaltung der Dinge kann denn künftighin kein deutscher Verleger ein Werk von einem Franzosen, Engländer oder sonst einem Ausländer in Verlag nehmen. Denn verkauft der Urheber sein Werk in seinem Vaterlande, druckt irgendwo ein Industrieritter nun dies Werk im Ausland nach, so ist aller gesetzlicher Schutz nach preußischem Rechte verspielt" (Heft 2, S. 196-204). So empörten sich deutsche Verleger vor allem über die Absurdität, dass durch die diffuse Rechtslage nicht zuletzt belgische Nachdrucke in Deutschland Schutz genossen.

Die praktisch zeitgleich entstehenden Konkurrenzübersetzungen in anderen Staaten, der verschärfte Wettbewerb auf diesem Sektor und der schnelle Informationsaustausch innerhalb des internationalen Verlagsgeschäfts waren erst mit dem vermehrten Einsatz moderner Verkehrs- und Kommunikationssysteme seit dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts möglich geworden. Auch die vorsorgliche Gründung von Dependancen in den europäischen Verlagszentren konnte letztendlich nicht verhindern, dass die Konkurrenz mit ihren Übersetzungen bereits mit Erscheinen der autorisierten Übersetzung auf den Markt drängte. Der Zusammenhang zwischen modernen Kommunikations- und Transportsystemen und dem florierenden Handel mit Nachdrucken erkannten bereits die zeitgenössischen Beobachter des Buchmarkts, unter ihnen auch Gutzkow. Doch der deutsche Buchhandel, wie auch die Autoren, sahen in den modernen Kommunikationssystemen auch einen wichtigen Katalysator und erhofften sich nicht zuletzt mit der damit einhergehenden Intensivierung des deutsch-französischen Literaturverkehrs eine zunehmend wirkungsvollere Eindämmung des belgischen Nachdruckwesens: "Frankreich und Deutschland treten immer näher in geistigen Verkehr, trotz Mauth und Censur. Die geistigen Produkte werden jetzt wechselseitig mehr verlangt, da noch vor nicht langer Zeit der Drang nach jenseitigen Erzeugnissen nur einseitig deutsch war. Ist nun auch dieses Streben von Seiten der Franzosen nur noch gering, beschränkt es sich namentlich fast nur auf wissenschaftliche Werke, indem der ächte Franzose die Sprache der Deutschen immer noch glaubt für eine 'Sprache der Pferde' (une langue pour les chevaux) halten zu müssen, um seinem Rufe der Bildung nichts zu vergeben, so wächst es doch langsam und sicher und verbreitet bereits die Folgen segensreich auf die Verkehrsverhältnisse" (Heft 2, S. 196-204). Das Problem des florierenden Nachdruckergewerbes konnte erst 1854 durch das französisch-belgische Übereinkommen nachhaltig gelöst werden. Als ein öffentliches Bekenntnis zum internationalen Autor- und Verlagsrecht ist aber sicherlich die Entscheidung Belgiens zu sehen, 1858 Gastgeberland für die wichtigste internationale Konferenz zur Schaffung einer universellen Urheberrechtsgesetzgebung zu sein. Von dieser Konferenz, die allein von 300 Künstlern, Literaten und Journalisten besucht wurde, gingen wichtige Impulse für eine fortschreitende Vereinheitlichung des Schutzes von Autoren vor Nachdruck aus.

Der jahrelange Konflikt mit Belgien wirkte allerdings noch bis in die 1860er Jahre nach, z.B. im Streit um die Gewährung des Übersetzungsrechts, das die Originalwerke den Übersetzungen inländischer oder fremder Werke ausdrücklich gleichzustellen beabsichtigte. Kurz vor Abschluss eines diesbezüglichen Abkommens mit Frankreich im Frühjahr 1862 beschäftigte sich der Königlich Preußische Literarische Sachverständigen Verein mit den Fragen: "1. ob nach den buch- und kunsthändlerischen Beziehungen Preußens zu Belgien der Abschluß einer convention littéraire mit Belgien überhaupt wünschenswerth und 2. ob eventuell der mit Frankreich projectirte Vertrag eine geeignete Grundlage für die mit Belgien zu treffende Vereinbarung sein würde?" Die Sachverständigenkommission einigte sich zwar darauf, dass die Literaturkonvention auch mit Belgien abzuschließen sei, sprach aber von Belgien vorwurfsvoll als von einem "alten nachbarlichen Herde des Nachdrucks" (Nomine, S. 337-338).

Das Negativimage Belgiens bzw. Hollands erwies sich bis ins ausgehende 19. Jahrhundert als manifest, zumal 1872 der Börsenverein der Deutschen Buchhändler eine "Denkschrift betreffend eine eventuelle Literatur-Convention zwischen Deutschland und dem Königreich der Niederlande" in Auftrag gab. Diese Auftragsarbeit übernahm der Berliner Buchhändler Otto Mühlbrecht, der bereits zwei Jahre später, 1872, seine Ergebnisse dem Börsenverein vorlegte.

Anlass für diese "Denkschrift" waren Nachdrucke in größerem Umfang der Werke von Emanuel Geibel und Ferdinand Freiligrath, die vor allem das Stuttgarter Verlagshaus Cotta auf den Plan rief, das die "Denkschrift" übrigens auch in Verlag nahm. Doch zu diesem Zeitpunkt galt die Aufmerksamkeit weniger dem Nachdruck als vielmehr den nicht autorisierten Übersetzungen, die Mühlbrecht in seiner "Denkschrift" allerdings ohne genauere Differenzierung auch der damit verbundenen Rechtslage dem Nachdruck gleichsetzte. Mühlbrecht glaubte im holländischen Übersetzungswesen eine eklatante Missachtung des geistigen Eigentums deutscher Originalautoren zu erkennen. Eine Ursache für die in seinen Augen verwerfliche Übersetzungspraxis der Holländer sah er in der nur marginalen literarischen Eigenproduktion des Nachbarlandes, die "durchaus nicht den Ansprüchen der im Allgemeinen gut durchgebildeten Bevölkerung" genüge (Mühlbrecht, S. 2): "Ist auch die Kenntnis der neueren Sprachen in Holland eine sehr verbreitete und mehr als in andern Ländern entwickelte, so werden doch im Allgemeinen Uebersetzungen in holländischer Sprache, oder Nachbildungen von musikalischen Compositionen oder anderen Kunstwerken in holländischer äusserer Ausstattung den Originalen vorgezogen, und die aus dem grossen Reichthume der Bevölkerung sich ergebende grosse Kauflust, der verhältnissmässig sehr beträchtliche Consum befördern diesen Trieb die geistigen Erzeugnisse des Auslandes in holländische Form zu kleiden, ein Verfahren, welches bei so günstigen äussern Verhältnissen die daran verwandten Mühen und Kosten in den meisten Fällen lohnt" (Mühlbrecht, S. 2). Die deutschen Verlage äußerten die Sorge, dass allein wegen der Verbesserung von Verkehrs- und Transportwegen innerhalb Europas die holländischen Nachdrucke die deutschen Originalausgaben allmählich vom Markt drängten. Die Kritiker der holländischen Nachdruckprodukte mussten nicht zuletzt die hervorragende Qualität der Nachdrucke anerkennen: "Zuweilen lässt auch die Ausstattung der nachgedruckten Bücher nichts zu wünschen übrig, wie z.B. die im vorigen Jahre in Holland erschienene Ausgabe von Geibel’s Gedichten, und dann ist der Erfolg um so mehr ein durchschlagender, als sich die Nachdrucker überhaupt nur den bekanntesten gangbarsten Schriften bemächtigen. Als solche, dem holländischen Nachdruck zur Beute gewordenen Werke seien hier in erster Reihe Heinrich Heine’s sämmtliche Werke genannt, ferner Freiligrath’s und Em. Geibel’s Gedichte [...]. Bei genauer Nachforschung würde gewiss noch mancher im Geheimen veranstaltete Nachdruck, ausser den genannten, zu verzeichnen sein" (Mühlbrecht, S. 4). Dem holländischen Nachbarn wurde Nachdruckvergehen in noch größerem Umfang vorgeworfen, weil das Land in großem Stil amerikanische Nachdrucke deutscher Klassiker nach Europa importiere. Insbesondere Cotta litt unserem organisierten "literarischen Schleichhandel" und dem Verlagsunternehmen blieb nichts anderes übrig, "als die Preise ihrer theueren Originalausgaben für diejenigen Länder, in denen der Nachdruck erlaubt ist, soweit zu ermässigen, dass der Verkauf der Nachdruckausgaben weniger ergiebig war, als der der rechtmässigen Ausgaben" (Mühlbrecht, S. 5). Zwar war der Nachdruck bereits mit dem "Klassikerjahr 1869" zurückgegangen, gleichwohl "bleiben aber immerhin noch eine grosse Menge geistiger Schätze ersten Ranges, welche der Nachdruck in Amerika, Russland, in den skandinavischen Ländern und Holland auszubeuten versteht, zum grossen Schaden unserer rechtmässigen Verleger und Autoren" (Mühlbrecht, S. 5). Auf der Grundlage seiner ernüchternden Bilanz, die er dem Börsenverein der Deutschen Buchhändler 1872 vorlegte, plädierte Mühlbrecht für ein zügig umzusetzendes Literaturabkommen mit dem holländischen Nachbarn. Dass es sich bei dieser "Denkschrift" um eine Auftragsarbeit des Berufsverbandes deutscher Buchhändler und Verleger handelte, war ihren Kritikern natürlich bewusst. So dauerte es nur ein Jahr, bis in Holland eine Gegenschrift des Amsterdamer Buchhändlers Carel Leonhard Brinkmann mit dem Titel "Nachdruck in den Niederlanden" (Amsterdam 1875) erschien. Brinkmann wehrte sich vehement gegen die Stigmatisierung des holländischen Buchhandels als "bloßes Einfuhr- und Ausfuhrland" ohne eigene Nationalliteratur. In seiner Gegendarstellung setzte er zunächst am statistischen Material seines Kontrahenten Mühlbrecht an, das er einer kritischen Analyse unterzog und ihm dabei zahlreiche fehlerhafte Angaben nachweisen konnte. Vehement verwies er auf die hohe Anzahl von Nachdrucken, die schließlich in Holland ansässige deutsche Verleger produzierten: "In beinahe 60 Jahren sind in Niederland nicht mehr als achtundzwanzig deutsche Bücher nachgedruckt, von diesen sogar vierundzwanzig von Deutschen selbst" (Brinkmann, S. 5). Darüber hinaus verweist Brinkmann auf die hohen Importzahlen ausländischer Literatur in Holland: "Holland hat seine eigene, tüchtige Literatur, wovon viele Artikel in Auflagen von 4, 5 und mehreren tausenden Exemplaren erscheinen, wenn auch die holländische Sprache ausserhalb Holland fast nur noch in seinen Kolonien gesprochen und gelesen wird. Ausserdem werden jährlich noch für hunderttausende Thaler deutsche, englische, französische, schwedische, italienische und amerikanische Bücher in Holland gekauft" (Brinkmann, S. 4). Brinkmann versuchte also, Holland als Wirtschaftsfaktor und wichtigen Importeur ausländischer Literatur innerhalb der internationalen Buchmärkte zu positionieren.

Gutzkow und die deutsche Publizistik in der Kontroverse über den belgischen Nachdruck#

Die öffentliche, streitbare Auseinandersetzung über die Unrechtmäßigkeit von Nachdrucken, über die Verletzung von Urheberrechten und nicht zuletzt über den wirtschaftlichen Schaden, der dabei Autoren und Verlegern entstand, hatte in den 1830er Jahren einen neuerlichen Höhepunkt erreicht. Die wenig eindeutige Rechtslage führte zu einer Vielzahl von nicht nachvollziehbaren Gerichts- und Behördenentscheidungen, die in der Presse erregt kommentiert wurde. Es verwundert nicht, dass Gutzkow als aufmerksamer Kommentator des Buchmarktgeschehens sich an dieser Debatte aktiv beteiligte. So beschäftigte er sich im Zeitraum von 1830 bis 1860 in zahlreichen Beiträgen, hauptsächlich im "Telegraph für Deutschland", mit dem Thema des internationalen Autoren- und Verlagsrechts, insbesondere mit den Auswirkungen des französisch-deutschen Literaturtransfers für deutsche Autoren. Die Schlüsselrolle, die hierbei der belgische Nachdruck in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts einnahm, machte dieses spezielle Nachdruckgewerbe zu einem viel diskutierten Präzedenzfall des internationalen Urheberrechts. Die komplexe, als diffus erlebte Rechtssituation wurde unter dem Schlagwort "Brüsseler Nachdruck" publizistisch immer wieder aufgegriffen. Allerdings beschäftigte sich Gutzkow nicht explizit mit diesem Phänomen, sondern spielte darauf nur gelegentlich an, z. B. vor dem Hintergrund seiner Polemik gegen das Braunschweiger Verlagshaus Meyer senior, das er als negatives Beispiel der "Übersetzungsindustrie" stigmatisierte. (Die Deutschen Uebersetzungsfabriken. In: Telegraph für Deutschland. Hamburg. 1839, Nr. 7, S. 49-52; Nr. 8, S. 57-59)

Mit den wirtschaftlichen Auswirkungen des belgischen Handels mit Nachdrucken setzte sich dagegen dezidiert die "Leipziger Allgemeine Zeitung für Buchhandel und Bücherkunde" des Leipziger Verlegers J. J. Weber (Leipzig 1838-1843), der in seinem Buchhändler- und Literaturblatt den Fokus auf den internationalen Buchmarkt und die Entwicklung bilateraler und internationaler Urheberrechtsabkommen gerichtet hatte. Zudem rechnete sich Weber als Inhaber eines internationalen Verlagsunternehmens selbst zu den Geschädigten und hatte ein besonderes Interesse an der Ausbildung grenzübergreifender Urheberrechtsregelungen.

So war diese Thematik auch Gegenstand in seinem "Bibliopolischen Jahrbuch", das seit 1836 ergänzend zur "Leipziger Allgemeinen Zeitung" erschien. Ein ausführlicher Bericht über das belgische Nachdruckgewerbe im Speziellen und seine wirtschaftlichen Folgen auf den gesamten europäischen Buchmarkt im Allgemeinen war bereits im ersten Band im Rahmen einer Serie über den gesamteuropäischen Buchhandel erschienen; hier liefert Weber erstmals Zahlenmaterial, das über das Ausmaß sowie die politischen Hintergründe des belgischen Nachdruckgewerbes informierte: "Die Mehrzahl der in Frankreich erschienenen Werke von einigem Werth werden, sobald solche erschienen sind, in Belgien nachgedruckt. Dieses Nachdruckgewerbe ist so bedeutend, daß nach einer von frz. Buchhändlern bei ihrer Regierung eingereichten Petition vom Jahre 1828 ein einziger Buchhändler in Brüssel, während 1825 und 1826 und der ersten Hälfte von 1827 von frz. Originalwerken 318.613 Bände nachgedruckt hat. Diese Brüsseler Ausgaben, denen eine saubere äussere Ausstattung nicht abzusprechen ist, können allerdings zu einem viel billigeren Preise gegeben werden, indem der Nachdrucker weder Honorar zu bezahlen, noch Verlagsrechte zu erwerben hat. Der grosse Schaden, welcher den frz. Schriftstellern und Verlegern durch diese niederländische Nachdrucker im Auslande zugefügt wird, ist sehr bedeutend und es lässt sich erwarten, daß ihre Ausgaben selbst in Frankreich heimlich verbreitet werden". (Bd. 1, 1836, S. XXXII-XXXIII)

J. J. Weber forderte Gutzkow zwar immer wieder auf, Beiträge für die "Leipziger Allgemeine Zeitung" auch zum Thema des internationalen Autorenrechts beizusteuern, doch dieser lehnte dieses Ansinnen meist mit dem Hinweis auf seine zeitliche Auslastung als Herausgeber des "Telegraph für Deutschland" ab: Wenn ich nur nicht durch den Telegraphen in Anspruch genommen würde! Alle Muße, die ich journalistischen Arbeiten widmen kann, geht für jenes Blatt hin, dem ich so unumgänglich verpflichtet bin" (Gutzkow an Weber, 24. Dez. 1842). So stellte er Weber zwar längerfristig einen Artikel über "Das königl. Sächsische Gesetz zur Sicherstellung des literarischen und artistischen Eigenthums" in Aussicht, doch dieser erschien 1843 schließlich im "Telegraph für Deutschland" (Nr. 7, 11. Januar 1843, S. 25-27).

Quellen#

V. S.: Ein Wort über die Lage deutscher Verleger von Werken nicht deutscher Urheber. In: Deutsche Vierteljahrs Schrift 1846, Heft 2, S. 196-204. Ernst Moritz Arndt: Belgien und was daran hängt. Leipzig: Weidmann’sche Buchhandlung, 1834. Börsenverein der Deutschen Buchhändler: Denkschriften über den internationalen Rechtsschutz gegen Nachdruck zwischen Deutschland, Frankreich und England auf den Beschluß der Hauptversammlung des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler vom 14. Mai 1854 berathen und abgefasst von dem dazu statutenmäßig erwählten Ausschusse. Als Manuskript für die Mitglieder des Börsenvereins. Leipzig, 1855. Carel Leonhard Brinkmann: Nachdruck in den Niederlanden. Amsterdam: C. L. Brinkmann, 1875. Christian F. M. Eisenlohr: Sammlung der Gesetze und internationalen Verträge zum Schutze des literarisch-artistischen Eigenthums in Deutschland, Frankreich und England. Heidelberg: Bangel & Schmitt, 1856. Adolph Enslin: Ueber internationale Verlagsverträge mit besonderer Beziehung auf Deutschland. Berlin: Enslin 1855. Max Friedländer: Der einheimische und ausländische Rechtsschutz gegen Nachdruck und Nachbildung. Rechtswissenschaftliche und für den praktischen Gebrauch bestimmte Darstellung der heutigen Gesetzgebung und des internationalen Rechts zum Schutze schriftstellerischer und künstlerischer Erzeugnisse. Leipzig: Brockhaus, 1857.

Johann Wilhelm Loebell: Reisebriefe aus Belgien mit einigen Studien zur Politik, Geschichte und Kunst. Berlin: Duncker & Humblot, 1837. Otto Mühlbrecht: Denkschrift betreffend eine eventuelle Literar-Convention zwischen Deutschland und dem Königreich der Niederlande. Auf Veranlassung des Vorstandes des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler. Stuttgart: J.G. Cotta’sche Buchhandlung, 1874. Charles Muquardt: De la propriéte littéraire internationale, de la contrefaçon, et de la liberté de la presse. Bruxelles/Leipzig/Gand: Muquardt, 1851. Jules Pataille: Code International de la Propriété Industrielle, Artistique et Littéraire, avec Appendice contenant les Traités Internationaux et les Lois Françaises et étrangères. Paris: Marescq & Dujardin, 1855.

Ludwig Wienbarg: Ästhetische Feldzüge. Hamburg: Hoffmann & Campe, 1834.

Buchhändlerische Geschäftsrundschreiben (Deutsches Buch- und Schriftmuseum, Deutsche Nationalbibliothek Leipzig) #

Méline, Cans & Comp. Bruxelles : Errichtung eines Depots in Leipzig. Kommission: C. H. Hochausen & Fournes in Leipzig. Buchhändlerische Geschäftsrundschreiben. (Sign.: Bö-GR/M/509). Méline, Cans & Comp. Bruxelles: Errichtung einer Buchhandlung in Leipzig. Adolf Haubold erhält die Leitung des Geschäfts. Hochausen & Fournes sind mehr die Kommissionäre. Buchhändlerische Geschäftsrundschreiben. (Sign.: Bö-GR/M/510).

Allgemeine Niederländische Buchhandlung, Leipzig : Gründung der Firma. Geschäftsleiter Anton Peeters, der die Liquidation des Geschäfts von August Wahlen leitet. Leipzig 1828. Buchhändlerische Geschäftsrundschreiben. (Sign.: Bö-GR/B/2297).

Allgemeine Niederländische Buchhandlung, Leipzig : Verkauf an Carl Hochausen und Adolph Fournes. N.F.: C. Hochausen & Fournes. Anton Peeters. Leipzig, 1835. Buchhändlerische Geschäftsrundschreiben. (Sign.: Bö-GR/B/2299).

Allgemeine Niederländische Buchhandlung, Leipzig: Verkauf des Geschäfts. Errichtung eines neuen Geschäfts u.d.F.: Peeters Verlags-Comptoir. Leipzig, 1835. Buchhändlerische Geschäftsrundschreiben. (Sign.: Bö-GR/B2298).

Im Artikel erwähnte Werke, die bei belgischen, französischen und deutschen Verlagen erschienen#

François René Auguste de Chateaubriand: Congrès de Vérone. 2 Bde. Paris, Leipzig: Brockhaus & Avenarius, 1838.

François René Auguste de Chateaubriand: Congrès de Vérone. 2 Bde. Bruxelles: Société belge de librairie, 1838.

François René Auguste de Chateaubriand: Congrès de Vérone. 2 Bde. Paris, Leipzig: Brockhaus & Avenarius, 1838.

François René Auguste de Chateaubriand: Congrès de Vérone. 2 Bde. Bruxelles: Société belge de librairie, 1838.

Adolphe Thiers: Histoire du Consulat et de l’Empire. Bruxelles: H. Bourlard, 1845-1857.

Adolphe Thiers: Histoire du Consulat et de l’Empire. 2 Bde. Bruxelles: A. Wahlen, 1845.

Adolphe Thiers: Histoire du Consulat et de l’Empire. 8 Bde. Brüssel, Leipzig, Paris: Johann Paul Meline, 1845-1866.

Adolphe Thiers: Geschichte des Consulats und des Kaiserthums. 20 Bde. Leipzig: Jean Paul Méline, 1845-1866 (übersetzt unter der Leitung von Friedrich Bülau).

Adolphe Thiers: Geschichte des Consulats und des Kaiserreichs. 5 Bde. Leipzig: Lorck, 1846-1860 (übersetzt von Eduard Burckhardt).

Forschungsliteratur (Auswahl)#

Norbert Bachleitner (Hg): Quellen zur Rezeption des englischen und französischen Romans in Deutschland und Österreich im 19. Jahrhundert. Tübingen: Niemeyer, 1990. György Boytha: Fragen der Entstehung des internationalen Urheberrechts. In: Woher kommt das Urheberrecht und wohin geht es? Wien: Manz, 1988. S. 181-199.

Hermann von der Dunk: Der deutsche Vormärz und Belgien 1830/48. Wiesbaden: F. Steiner, 1966.

Arie Cornelis Kruseman: Bouwstoffen voor een geschiedenis van den Nederlandschen Boekhandel, gedurende de halve eeuw 1830-1880. Uitgegeven door de Vereenigung ter bevordering van de belangen des boekhandels. Bd. 1. Amsterdam: P.N. van Kampen & Zoon, 1886.

Gerhard Menz: Der europäische Buchhandel seit dem Wiener Kongress. Würzburg: Triltsch, 1941.

Thomas Christian Müller: Der Schmuggel politischer Schriften. Bedingungen exilliterarischer Öffentlichkeit in der Schweiz und im Deutschen Bund (1830-1848). Tübingen: Niemeyer, 2001.

Rainer Nomine: Der Königlich Preußische Literarische Sachverständigen-Verein in den Jahren 1838 bis 1870. Berlin: Duncker und Humblot, 2001.

Guido Ros: Adalbert von Bornstedt und seine Deutsche-Brüsseler Zeitung. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Emigrantenpublizistik im Vormärz. München, London, Paris: K.G. Saur, 1993.

Zitat- und Belegstellen #

Werke der Industrie. In: Phoenix. Literatur-Blatt. Frankfurt/M. Nr. 23, 13. Juni 1835, S. 549-551. (Rasch 3.35.06.13.1)

Die Deutschen Uebersetzungsfabriken. In: Telegraph für Deutschland. Hamburg. Nr. 7, 11. Januar 1839, S. 49-52; Nr. 8, 12. Januar 1839, S. 57-59. (Rasch 3.39.01.11)

Literarische Industrie. Beiträge zur Geschichte der neuesten Literatur. Bd. 1. Stuttgart: Balz, 1836. S. 1-22. (Rasch 2.13.1.2)

(Christine Haug, München)