Zensur (Gutzkows Werke und die Zensur)#

Metadaten#

Herausgeber
  1. Wolfgang Rasch
Fassung
1.0
Letzte Bearbeitung
23.11.2020

Text#

Heinrich Hubert Houben: Zur Zensurgeschichte von Gutzkows Werken#

Grundlegendes zur Zensurgeschichte von Gutzkows Werken hat Heinrich Hubert Houben 1924 in seinem Standardwerk "Verbotene Literatur von der klassischen Zeit bis zur Gegenwart" zusammengetragen. Die profunde Darstellung wird an dieser Stelle unverändert wiedergegeben; lediglich ein paar Druckfehler sind berichtigt worden und eine Ergänzung in eckigen Klammern wurde vorgenommen. Zudem wurden Zwischenüberschriften (gefettet, kursiviert) hinzugefügt, die sich auf die behandelten Werke beziehen:

Forum der Journal-Literatur #

Am 1. September 1830 wurde auf dem Berliner Polizeipräsidium das Gesuch eines Unbekannten abgegeben, der um Erlaubnis zur Herausgabe einer Zeitschrift bat. Ein Prospekt des neuen Unternehmens war beigefügt. Es nannte sich: "Forum der Journal-Literatur, eine anti-kritische Quartalschrift", und der im Original nicht erhaltene, "à la Jean Paul capriolisirte Prospekt", von dem uns nur Auszüge gleichzeitiger Journale Fragmente verraten, besagte: "Ergriffen von der festen Überzeugung - mögen Andere es Wahn nennen - die Gesetze höherer Entwickelung begriffen zu haben, tret’ ich ohne Rücksicht auf meine Persönlichkeit dem größten Theil der Tages-Literatur gegenüber, einem kleinen zur Seite, mit dem festen Vertrauen, wenigstens Einiges beizutragen zur Förderung der Wahrheit." Jeder gegen Urteile anderer Zeitschriften gerichteten Antikritik solle in dem neuen Blatte Raum gegeben werden - ein Aufruf also zu einer "Kritik der Kritik", wie er bis heute immer wieder gelegentlich ertönt von jungen oder auch gereiften Männern, die durch handwerksmäßige, dumme und anmaßende Kritik das Wachstum der gesamten - vielleicht auch nur ihrer eigenen - Literatur für bedroht halten.

Der Antragsteller unterzeichnete sich "K. Gutzkow, Kronenstraße 65". Daß er Student der Theologie zu Anfang des vierten Semesters sei, verschwieg er; als captatio benevolentiae diente dem Gesuch nur die Versicherung: "Dieses gegen Unmoralität und anmaaßende Tendenzen gerichtete Journal liegt durchaus im Interesse der Regierung und wird vor Allem die persönlichen Verhältnisse des Einzelnen unberücksichtigt lassen. Obschon noch jung und unbekannt glaub’ ich doch mir durch ein gründliches Studium der Literatur die Kenntniß des Feldes, worauf es hier ankömmt, verschafft zu haben." - Die Polizei gab am 3. den Bescheid, die gewünschte Erlaubnis und die damit verbundene Zuweisung eines Zensors müsse beim Oberpräsidenten der Mark Brandenburg, v. Bassewitz, nachgesucht werden. Gutzkow machte also ein neues Gesuch - die Urschrift ist bisher noch nicht aus den Akten aufgetaucht -, und schon am 13. September hatte er die Erlaubnis in Händen. Diese ganz ungewöhnliche Gunst verdankte er dem Justizminister v. Kamptz, dem Hauptorganisator der Demagogenverfolgungen, der den Schulkameraden seines Sohnes begönnerte und für den unternehmungslustigen Studenten gutgesagt hatte, wie Gutzkow in seinen spätern Erinnerungen wohl mit Recht vermutete. Er mußte sich nur auf dem Polizeiministerium persönlich vorstellen und angeben, wer er sei, was er wolle und wie er die Kosten des Unternehmens - aus eigener Tasche! - zu decken beabsichtige. Daß ihn kurz vorher, am 3. August, die Berliner Universität für eine philosophische Arbeit preisgekrönt hatte, wird er bei jenem Examen nicht verschwiegen haben - die goldene Medaille im Wert von 72 Talern machte ja den Freitischstudenten zum Krösus und hat zweifellos das Verlagsunternehmen finanziert -; wohl aber verschwieg er, daß dieser 3. August im Auditorium der Universität für ihn ein Tag von Damaskus geworden war: die ersten Nachrichten über die französische Julirevolution wurden ruchbar! Es war das erstemal, daß ein politischer Vorfall wie ein Donnerschlag ihn erschreckte, er war, die Glückwünsche der Verwandten und Bekannten überhörend, spornstreichs in ein Lesekabinett gestürzt, um sich aus der neuesten französischen Zeitung von der Wahrheit der Pariser Ereignisse zu überzeugen. Von diesem Tage an wurde er Zeitungsleser und Journalist, dem die Politik alles bedeutete. "Die Wissenschaft lag hinter mir, die Geschichte vor mir", so bezeichnete er fünf Jahre später dieses innere Erlebnis, das seiner ganzen Laufbahn eine andere Richtung geben sollte. - Aber welche Enttäuschung erwartete zunächst den Neuling auf dem Forum der Tagespresse! Er hatte durch seine Lektüre der Schriften Ludwig Börnes und Wolfgang Menzels "die Literatur unter dem Gesichtspunkt des Zeit- und Volksgeistes", die Poesie in ihrem Zusammenhang mit dem Bedürfnis der Erneuerung auf allen Gebieten, "jedenfalls mit den Bedürfnissen des nationalen Lebens, unserer Erziehung und Geselligkeit" zu betrachten gelernt, und mächtig hatte ihn der "Drang zur Anteilnahme am Kampf für die gute Sache der Schönheit, Freiheit und Wahrheit" ergriffen. Was fand er nun? "Auf dem literarischen Gebiet erschien mir alles Unselbständigkeit, Nachahmung, affectirte, in Berlin durch besondere Gesellschaffen geförderte Vergötterung unsrer classischen Periode. Dort aber, wo noch neue Blüthen getrieben erschienen, wo noch etwas wie frische Farbe und Duft herauskam, sah ich die innerlich leere Vegetation des Sumpfes, grünschillernde Decken stehender Gewässer - Die Ausbeute jedes Besuchs [der Lesekabinette] war eine Ansammlung grimmigen Zornes und polemischer Gelüste." Diese Empfindung drückte dem Studenten die Feder in die Hand - so wurde der neunzehnjährige Gutzkow Herausgeber des "Forum der Journal-Literatur".

Diese polemische Stellung beschattet Gutzkows junge Schaffenszeit, aus ihr sind seine ersten Schriften bis zur "Wally" zu verstehen; sie bescherte ihm auch seine Kämpfe mit der Zensur, in denen er als Mensch und Schriftsteller Gefahr lief zu verbluten. Näher auf Entstehung, Inhalt und Tendenz dieser Werke einzugehen, wäre die Aufgabe einer Gutzkowbiographie, die ich der Ungunst der Zeit trotz alledem noch abzuringen hoffe; einen Entwurf dazu habe ich in meiner Einleitung zu Gutzkows "ausgewählten Werken in zwölf Bänden" (Leipzig, Hesse & Becker) gegeben. Im Zusammenhang dieses Buches muß es genügen, das Spiegelbild festzuhalten, das die gewaltig umfangreichen Zensurakten von den Schriften dieses kampferprobten "Ritters vom Geiste" bieten.

Vom "Forum" erschienen zunächst zwei Quartalshefte, deren schwerfällige Phraseologie nur den Schülern Hegels verständlich sein konnte, zu denen Gutzkow damals zählte. Sie lagen "wie Blei": vom ersten (Januar 1831) wurden 70, vom zweiten (Mai) nur mehr 50 Exemplare abgesetzt, der Rest später makuliert. Die Druckschulden für das Unternehmen - der Verleger Logier lieh nur seinen Namen dazu - schleppte Gutzkow noch bis 1849 nach. Lag der Mißerfolg an Inhalt oder Form? Beides wollte er erproben: vom 4. Juli an verwandelte er das Blatt in eine leichter beschwingte Wochenschrift, und um ihren Interessenkreis zu erweitern, hatte er am 26. Juni an das Ministerium der Geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten das Gesuch gerichtet, auch Gegenstände der Religion behandeln zu dürfen, wozu eine besondere Erlaubnis nötig war. Er habe, so schrieb er, seine Tätigkeit bisher auf das allgemeine Feld der Literatur beschränkt und namentlich die theologische Seite derselben nicht so wesentlich hervorgehoben, sehe aber jetzt, daß er sein Unternehmen bei dieser Beschränkung auf die Länge nicht durchführen könne. "Unsre allgemeine Journalistik, indem sie die Interessen des Lebens ausspricht, hat das Kirchliche in so weit in sich aufnehmen müssen, als dies selbst in die Formen unsres Lebens so allseitig eingreift. Außerdem liegt in meiner Concession der Widerspruch, daß ich zwar über Philosophie sprechen darf, des Theologischen mich aber entschlagen muß, ich kenne für diese Gebiete keine trennenden Gränzen. Hiezu kömmt, daß von der kirchlichen Seite aus soviel Dinge in Anspruch genommen werden, deren Beurtheilung man gewissen theologischen Zeitungen überlassen müßte, wenn man mit einer Entgegnung ihnen zu folgen keine Erlaubniß hat." Diese Sätze deuten eine zweite Wandlung an, die damals in ihm vorging: zwei Monate später trat er aus der theologischen Fakultät in die philosophische zurück, in die er sich 1829 zuerst hatte einschreiben lassen. - Am 12. August wurde sein Gesuch vom Kultusministerium (v. Altenstein) genehmigt, aber mit der väterlichen Warnung, "daß der ernste Charakter dieses Theils der Literatur ... ganz besonders eine würdige Haltung erfordert"; das werde er hoffentlich niemals aus den Augen lassen. Bisheriger Zensor des "Forums" war Kammergerichtsrat Bardua; ihm wurde jetzt Konsistorialrat Dr. Brescius zur Seite gestellt, der die theologischen Artikel Gutzkows zu prüfen hatte.

Derweil lag schon wieder ein neuer Antrag Gutzkows vom l. Juli vor, dessen Wortlaut nicht bekannt ist: er bat, ihm auch die Aufnahme politischer Artikel zu gestatten. Jetzt wurde man bedenklich. Das Ministerium ließ erst durch die Polizei via Oberpräsident einiges über den Leumund usw. des Petenten feststellen. Die Polizei bescheinigte seinen "sehr günstigen Ruf"; obendrein sei sein Bruder Kreisgendarm zu Forst in der Lausitz und seine Schwester an einen Wundarzt Bungenstab (Neuenmarkt 3) verheiratet. Gutzkows Vater war ein kleiner Beamter im Kriegsministerium, also wohl auch zuverlässig. Demnach konnte der Oberpräsident am 26. Juli mit ruhigem Gewissen aussagen: "Führung völlig tadelfrei", und das Fürwort des "Großinquisitors", des Ministers v. Kamptz, dürfte auch diesmal nicht gefehlt haben, so daß das Unerhörte geschah; was die angesehensten Berliner Journalisten vergeblich erstrebten, dem jungen Anfänger wurden auch politische Artikel zugestanden, "insofern dieselben mit der Journal-Literatur zusammenhingen". Zugleich aber erscholl die dringendere Warnung, die Erlaubnis werde mit dem Augenblick zurückgenommen, "wo die unter den gegenwärtigen Zeitumständen doppelt nöthige Vorsicht bei der Redaktion des Blattes außer Acht bliebe und Sie so das, von uns in Sie gesetzte Vertrauen nicht rechtfertigen sollten". Mit Rücksicht auf Gutzkows Alter erteilte man die Erlaubnis zunächst nur auf ein halbes Jahr, und dem Oberpräsidenten gaben die Zensurminister (v. Altenstein, v. Brenn und v. Bernstorff) die Weisung, das "Forum" bleibe hauptsächlich wissenschaftlich; Politik werde nur beiläufig darin berührt. Der bisherige Zensor Bardua bleibe also zuständig, die politischen Artikel aber seien dem Legationsrat de la Croix vorzulegen, dem Zensor der in die Politik einschlagenden periodischen Schriften.

Als Gutzkow diese erweiterte, für sein Blatt ebenso bedeutungsvolle wie gefährliche Konzession vom 25. August erhielt, waren von den Wochennummern des "Forums" bereits acht erschienen; über dreizehn kam es überhaupt nicht hinaus! Unter den sengenden Augen der nicht weniger als drei Zensoren schwand der Text der Nummern immer mehr dahin, obgleich Gutzkow von der neuen Erlaubnis, sich auch mit Politik beschäftigen zu dürfen, noch keinen Gebrauch machte. Schon das zweite Quartalsheft hatte eine Reihe von Zensurlücken aufgewiesen, in den Wochennummern häuften sie sich. Gutzkow pflegte jede Nummer sofort nach Erscheinen an seinen damaligen bewunderten Gönner Wolfgang Menzel in Stuttgart zu schicken und den vom Zensor gestrichenen Text handschriftlich einzufügen oder doch jede Zensurlücke kenntlich zu machen; dieses interessante und wertvolle Exemplar seiner Zeitschrift kam mit Menzels ganzer Bücherei 1874 an die Straßburger Landesbibliothek, ist also heute französischer Besitz! Glücklicherweise habe ich es 1906 für mein "Bibliographisches Repertorium" ("Zeitschriften des jungen Deutschlands", 1. Teil), worin ich eine ausführliche Analyse des "Forums" gab, benutzen können. Gleich im Juli wurde dem Wochenblatt eine ganze Nummer gestrichen! Sie enthielt einen die vier Quartseiten füllenden Aufsatz "Preßzwang", der verheißungsvoll mit den Worten begann: "Die Nothwendigkeit der Preßfreiheit muß man nicht beweisen! Wer wird auch die Thatsache des Bewußtseins und Gewissens beweisen wollen?" Gutzkow schickte einen Korrekturabzug davon an Menzel zur Aufnahme in das "Literatur-Blatt", aber für Süddeutschland war der Aufsatz, wie Menzel am 23. August antwortete, lange nicht stark genug! Er liegt dem Menzelschen Exemplar des "Forums" bei, ich habe ihn in meinem "Bibliographischen Repertorium" abgedruckt. Das war natürlich ein schwerer Schlag für den Herausgeber, der die Druckkosten seines Blattes aus eigener Tasche deckte. Mehrere andere "gewaltige" Zensurlücken lassen sich nicht rekonstruieren. Die kürzeren Zensurstriche, die wir durch Gutzkows schriftliche Erläuterungen kontrollieren können, sind kleinlichster Art. Sprach er von "preußischem Wesen", so verbesserte der Zensor "norddeutschem"; aus der Zeit der Freiheitskriege - so etwa wird sich Gutzkow (II, S. 160) ausgedrückt haben - mußte eine "sogenannte Franzosenzeit" werden! "Die eigentliche Bestimmung dieser Zeit von der Zensur gestrichen", setzt er handschriftlich an den Rand. Scherze wie: "Unsre Freiheit ist die Freiwilligkeit des Aufgebots, unsre Hoffnung ein ewiger Civilversorgungsschein, dessen Nichterledigung man sich bei einem anständigen Wartegeld noch gefallen läßt", wurden natürlich vom Rotstift des Zensors zugedeckt. Dieser Ängstlichkeit gegenüber war es sehr überraschend, daß der Zensor Bardua im II. Quartalsheft die gefährlichste Stelle übersehen hatte; sie deutete schon an, worauf Gutzkow mit seinem spätern Gesuch um Erweiterung seiner Konzession auf das Gebiet der Politik hinaus wollte. Er schrieb da in dunkeln Andeutungen: "Es wird eine Zeit kommen, und sie ist schon da, wo nach Novellen, Dramen, Geschichten des deutschen Hexameters, Übersetzungen aus dem Altdeutschen keine Nachfrage mehr sein wird ... In euren Produktionen eifert ihr für alles Gute, Schöne, Edle, schildert mit höchstmöglicher Farbengluth die Gegenstände der Liebe und des Hasses, wohl auch der Tugend und des Lasters, und oft auch der Freiheit und Sklaverei, warum aber blos aus der eigenen Brust, warum nur Fiktionen der Phantasie! Sehet auf das großartige Leben, das um uns her auf- und niederwogt, und höret die Urtheile des Hasses, der Leidenschaft, der Furcht, der Unwissenheit, deren sich immer mehr zusammenfinden, und die der Ausdruck der öffentlichen Meinung zu werden drohen - stille Klage, Ironie, Achselzucken ist da lange nicht genug! ... Wir haben wohl Opponenten in Masse - doch nur mit gutem Willen, und sie werden nicht eher gehört werden, ehe nicht die anerkannten Geister der Nation ihnen zur Seite treten." Diese in gewundenem Prophetenton gehaltene Anrede, die zu tatkräftiger oppositioneller Schriftstellerei "die anerkannten Geister der Nation" aufrief, war durchgeschlüpft, aber wohl auch von keinem Leser beachtet worden - Gutzkow druckte sie daher in der Wochennummer 11 vom 12. September noch einmal ab! Auch diesmal blieb sie stehen! Nun wurde er noch kühner: in einer Briefkastennotiz der Nr. 12 gab er zu, daß er zwar "politische Artikel berücksichtigen" dürfe, daß ihm aber zu dieser "Suppe" noch der "Löffel" fehle. Zugleich schrieb er aber in einer andern Briefkastennotiz das Kochrezept zu dieser "Suppe": "Viel zu deutlich!" antwortete er einem politischen Mitarbeiter. "Ich empfehle Ihnen das Studium eines trefflichen Holzschnittes von Gubitz. Krone, Scepter, Mantel, und unter Blumen, tausend Blumen, eine Schlange! Anders darf man nicht schreiben!" Das war eben der Stil, zu dem die Zensur die deutschen Schriftsteller erzog; Heine und Börne waren ihre gelehrigsten Schüler; das war der Stil, der die Zensoren zur Verzweiflung bringen konnte, zum regelrechten Verfolgungswahn, so daß sie unter der harmlosesten Bemerkung eine satirische Spitze suchten. Auch diese Lüftung des Visiers ließ der Zensor Bardua geschehen, aber sein Kollege von der Politik, de la Croix, wurde nun wohl aufmerksam: Nr. 13 erschien nur noch halb! Mitten auf der zweiten Seite bricht der Text ab, als ob dem Schreiber von einem gestrengen Büttel die Feder aus der Hand gerissen sei, und schließt in aller Eile mit den rätselhaften und doch so bezeichnenden Worten: "Wir müssen uns hier übrigens weiterer Gegenbemerkungen enthalten!" Aus den Erläuterungen Gutzkows zu dem Menzelschen Exemplar des "Forums" ergibt sich, daß zwei Spalten über die beiden Konvertiten Jarcke und Philipps (ersterer der Begründer des "Politischen Wochenblattes" in Berlin, beide später Herausgeber der "Historisch-politischen Zeitschrift für das katholische Deutschland") gestrichen worden, und daß der Zensor weitere "Gegenbemerkungen", jedenfalls über die Preußische Städteordnung und die Provinzialstände - ein sehr bedenkliches Thema! - "bei einer so wichtigen Sache für zu obenhin" erklärt und getilgt hatte. Durch solche umfangreichen Zensurstriche wuchsen die Kosten des Drucks über Gutzkows Budget hinaus, er mußte ihn also einstellen. Wurde das "Forum" auch nicht verboten, so verendete es doch unter den Eingriffen der Zensur.

Aber Gutzkow hatte Blut geleckt: der erst Zwanzigjährige hatte ein eigenes Blatt besessen - diesen Vorsprung wollte er behaupten. Als die letzte verstümmelte Nr. 13 des "Forums" vor ihm lag, vom 26. September 1831, regten sich sofort neue Journalpläne; die Konzession hatte er ja in der Tasche und nach der politischen Seite noch gar nicht ausgenutzt. Eine "Zeitschrift für Politik, Völkerleben und Literatur in Folio" schwebte ihm vor, als Titel "Die Norddeutsche Biene", der es gewiß an einem Stachel nicht gefehlt haben würde. Nur ein zahlungsfähiger Verleger mußte erst gefunden werden, der sich zu einem anständigen Honorar verpflichtete, damit das in großem Stil gedachte Blatt auch anderer Männer Beihilfe gewinnen könne. Plötzlich bot sich eine andere Aussicht, über die er flugs an das Ministerium des Auswärtigen berichtete (25. Oktober):

"Der hiesige Buchhändler Krause beabsichtigt, dem von ihm verlegten Morgenblatte: Eulenspiegel von Neujahr ab eine andre Gestalt zu geben: er würde eine von mir redigirte Zeitung vollkommen an die Stelle des alten Blatts setzen, wenn er sich nicht den Besitz der so reichen Abonnentenzahl erhalten möchte: so aber wünscht’ er, daß ich die von einem Hohen Ministerio mir für das Forum der Journalliteratur gestattete Erlaubniß, über politische Gegenstände zu schreiben auf die neue Gestaltung seines Blatts so übertrage, daß die alte Redaktion sich nur mit Theater, Mode u. dergl. in einer auch räumlich beschränkten Sphäre zur theilweisen Erhaltung der alten Bestimmung beschäftigen würde. Der Eulenspiegel erscheint dann in seinem politischen Theile unter meiner Verantwortlichkeit, u. wenn ich auch volles Recht über den alten Theil nicht erhalten sollte, so werd’ ich mich doch bemühen, ihn mit dem Ernst u. der Würde der neuen Bestimmung in Einklang zu erhalten, und einen solchen Einfluß sogar kontraktmäßig zur Bedingung machen." Er bat also, die ihm gewährte Konzession, von der Gebrauch zu machen "die kommerziellen Verhältnisse" des "Forums" nicht erlaubt hätten, vom 1. Januar 1832 an auf das politische Beiblatt des "Eulenspiegel" zu übertragen und zugleich auf ein volles Jahr auszudehnen. Zum Schluß versicherte er dem Minister, "daß meine schriftstellerische Thätigkeit nur auf den Kampf für die ewigen Wahrheiten der Vernunft u. Sittlichkeit gerichtet ist, daß ich das in mich gesetzte Vertrauen rechtfertigen werde sowohl durch ein sorgfältiges Vermeiden jedes leidenschaftlichen Parteiinteresses, als auch namentlich durch die schuldigste Achtung der Institutionen, in deren Verbande ich zu leben das Glück habe."

Bei dem "Eulenspiegel", dessen schon oben (S. 205) unter Glaßbrenner kurz gedacht ist, war aber Gutzkow an eine üble Adresse geraten. Es handelte sich um eines der zahlreichen Berliner Lokal- und Theaterblättchen nach Saphirschem Muster, das den Titel führte: "Der Berliner Eulenspiegel, Zeitschrift von und für Narren." Eduard Maria Öttinger, heute noch bekannter als Bibliograph durch seinen "Moniteur des dates" denn als Schriftsteller, hatte es am 1. April 1829 als Fortsetzung der eingegangenen "Estafette" gegründet. Seit März 1830 lautete der Titel "Till Eulenspiegel, Ein Abendblatt für die schöne und hässliche Welt", im Oktober 1831 "Berliner Eulenspiegel-Courier"; er wechselte dann noch mehrfach, je nachdem der Herausgeber, zeitweise auch als Verleger zeichnend, wegen seiner Konflikte mit der Zensur einen neuen Titel für rätlich hielt. Der wirkliche Verleger war L. W. Krause. Öttingers Kämpfe mit der Zensur sind eine Komödie für sich, in der sogar der König mitspielte. Hier genüge der Hinweis, daß er im März 1831 aus Berlin ausgewiesen werden sollte, wobei ihm der Umstand, daß er eigentlich Meyer hieß, sich gleichwohl zum Katholizismus bekannte, schlecht zustatten kam; er wußte aber durch aalglatte Geschicklichkeit sich und sein Blatt zu behaupten. Auf beide war man im Ministerium denkbar schlecht zu sprechen, und als nun Gutzkows Eingabe vorlag, meinte der Minister des Auswärtigen, Eichhorn, sofort, "aus einer Verbindung so ungleichartiger Zwecke, wie die politischen Artikel und der sonstige Inhalt des ,Eulenspiegel-Courier’ sind, würden sehr bald Verwicklungen entstehen"; die seien allerdings zunächst Sache des Zensors, da man aber die Erlaubnis "ausdrücklich nur im Zusammenhange mit der Bestimmung des 'Forums'" gewährt habe, könne er das Gesuch nicht befürworten. Unterdes wird Gutzkow längst gewußt haben, wie es stand: am Tage vor seiner Eingabe, am 24. Oktober, war das Blatt auf Antrag des Oberzensurkollegiums ab 1. November verboten worden, und am 30. November wurde die Maßregel durch eine königliche Kabinettsorder bestätigt. Geheimrat Tzschoppe im Polizeiministerium gab die entsprechende Notiz am selben Tag zu den Akten.

Briefe eines Narren an eine Närrin#

Gutzkows Gesuch war damit eo ipso erledigt, er selbst aber schon lange nicht mehr in Berlin. Aus Stuttgart, von Menzel, lag schon seit Sommer die Aufforderung vor, nicht länger seine Truppen so einzeln zu versprengen, sondern sie zu denen des mächtigen "Literaturblattes" stoßen zu lassen. Ziemlich plötzlich entschloß sich Gutzkow, dieser Aufforderung zu folgen; er verließ Anfang November 1831 seine von der Cholera verseuchte Vaterstadt und diente nun als literarischer "Adjutant" Menzels ein halbes Jahr ab, das ihn aufs beste in alle Geheimnisse des literarischen Lebens einführte. Die Hauptfrucht seines ersten Aufenthalts in Süddeutschland aber war das Manuskript eines Buches, dem Menzels kritischer Rat leider seine endgültige Form gegeben hat. Ursprünglich als Novelle in Briefen gedacht, wurde es eine politische Satire. Menzel, der damals selbst ganz unter dem Eindruck der "Briefe aus Paris" von Börne stand, versprach sich mehr Erfolg davon, wenn Gutzkows jeanpaulisierende "Briefe eines Narren an eine Närrin" - der Titel ist noch ein Nachklang der forcierten Saphir-Öttingerschen Komik - umgemodelt und die Narrenkappe mit Räsonnements über zeitgenössische Zustände, politische Anspielungen usw. aktuell verbrämt würde. Die Folge war, daß dieses Beiwerk, um das der Berliner Journalist nicht verlegen war, die Konturen der Novelle völlig überwuchert hat, was heute die Lektüre sehr erschwert. Die weitere Folge aber war, daß sich die Berliner Zensurbehörden mit diesem Opus liebevoll beschäftigten. Menzel hatte auch gleich einen Verleger dafür zur Hand, keinen andern als Hoffmann & Campe, der im Oktober 1831 durch Herausgabe eben der "Briefe aus Paris" die im Sinne der Zensur berüchtigtste Verlagsbuchhandlung Norddeutschlands war. Für einen jungen Autor also eine bedenkliche Geschäftsverbindung. Das sagte sich auch Gutzkow, der damals über seine Zukunft noch nicht im reinen war, noch unschlüssig zwischen der möglichen Laufbahn eines Staatsbeamten, eines Oberlehrers und der des freien Schriftstellers hin und her schwankte. Ostern 1832 war er nach Berlin zurückgekehrt; mit der dortigen Polizei war nicht zu spaßen; wer konnte wissen, ob die gute Beziehung zu den Zensurministerien und dem Gönner v. Kamptz nicht noch einmal entscheidend für seine Laufbahn wurde? Sie brüsk zu verscherzen und alle Schiffe hinter sich zu verbrennen, dazu war er zu vorsichtig. Er sandte daher seine "Briefe eines Narren" anonym in die Welt. Im Spätherbst 1832 erschienen sie, und wie klug seine Vorsicht war, erwies sich alsbald. Am 2. Oktober fällte das Ober-Zensur-Kollegium über das 21 Bogen starke, also ohne Hamburger Zensur gedruckte Buch folgendes vernichtende Urteil: "Dieser Titel scheint theils um Aufmerksamkeit zu erregen, theils aber auch um deswillen gewählt zu seyn, damit unangemessene Dinge, ohne Zusammenhang und ohne Scheu dem Publicum mitgetheilt werden können. Hauptsächlich beschäftigt sich diese Schrift mit der Politik und es werden, dem schlechten Tone vieler Zeit- und Flugschriften gemäß, das Königthum nebst den Fürsten, dem Adel etc. herabgesetzt; die heilige Allianz, ferner die Bundesversammlung, und in Frankreich die Maßregeln zur Bekämpfung des unruhigen Geistes der Zeit etc. angegriffen. Namentlich wird Preußens, und des Preußen an Rußland knüpfenden verwandtschaftlichen Bandes auf eine so ganz ungeziemende Weise erwähnt, daß uns Maaßregeln gegen diese Schrift unerläßlich scheinen." Der Berichterstatter verwies auf die Seiten 35, 57f., 135, 155f., 184f., 215f. und beantragte, das Buch "um so mehr" zu verbieten, "als durch diese Maaßregel kein Verlust für die Wissenschaft entsteht und das Buch, wenn es verbreitet und namentlich in Lese-Cabinetten, Leihbibliotheken gehalten oder vorzugsweise in Zeitblätter auszugsweise aufgenommen würde, vielen Nachtheil herbeiführen und die Meynung verwirren würde". Unterzeichnet ist das Schriftstück von dem Vorsitzenden des Ober-Zensur-Kollegiums, K. G. v. Raumer. Der Antrag wurde am 11. Oktober vom Polizeiminister v. Brenn genehmigt, Gutzkows Erstling also verboten, auch die Ankündigung in Zeitungen untersagt. Der Name des Verfassers war der Behörde nicht bekannt, sonst hätte man gewiß auf die früheren "Vorgänge" zurückgegriffen und den Sünder vorgeladen. Was ihm dann bevorstand, zeigte zwei Jahre später das Schicksal Heinrich Laubes, auf dessen erstes Buch, die "Politischen Briefe", das vorstehende Urteil des Oberzensurkollegiums ebensogut paßte wie auf die Narrenbriefe. Kein Wunder also, daß Laube, damals noch einer der anonymen Nummernrezensenten der "Blätter für literarische Unterhaltung", das Buch des ihm noch unbekannten Verfassers enthusiastisch pries (Dezember 1832) und als selbständiger Redakteur der "Zeitung für die elegante Welt" im Februar 1833 nochmals darauf zu sprechen kam. Als dann schließlich noch Börne in der Fortsetzung seiner "Briefe aus Paris" des Lobes davon voll war, bereute Gutzkow seine zaghafte Vorsicht: das Lob galt jetzt einem Unbekannten, der sich persönlich nicht vorgestellt hatte, der junge Schriftsteller blieb für die Öffentlichkeit, vor allem für die Verleger, noch ein unbeschriebenes Blatt, er hatte nur das wohltuende Bewußtsein, der geheime Urheber des Erfolges zu sein. Doch trug letzterer wesentlich dazu bei, den Entschluß zum freien Beruf des Schriftstellers zur Reife zu bringen. Das geschah im Sommer 1833, als er zu München seinen ersten Roman, "Maha Guru", vollendete und damit eigentlich erst als ernsthafter Autor debütierte. Der Name seines zweiten Verlegers, Cottas, war für die Behörden eine bessere Empfehlung als der des Heine- und Börneverlegers; in den preußischen Zensurakten ist "Maha Guru" überhaupt nicht genannt, ebensowenig aber auch die zweibändige Sammlung seiner "Novellen", die im Frühjahr 1834 wieder bei Hoffmann & Campe erschien.

Gegenstand der Aufmerksamkeit der Zensurbehörden wurde Gutzkow erst mit dem Frühjahr 1835. Der Bücherwurm, der Gutzkow von der Schule auf war, hatte sich durch den gelehrten Wust von "Philosophie, Juristerei und leider auch Theologie" durchgefressen, seine ersten Bücher sind davon noch überlastet. Die ironische Überlegenheit des Vielwissers, der alles wissen möchte, des akademisch Gebildeten, der sein Doktorpatent in der Tasche hatte, dazu des dünkelhaften und naseweisen Berliners - alles Züge, die aus dem Charakterbild Gutzkows nie völlig schwanden -, hatte einer innern Unsicherheit, einem Gefühl der "Zerrissenheit" Platz gemacht, die mancherlei persönliche Herzenserlebnisse in ihm aufgewühlt hatten: der völlige Bruch mit seiner theologischen Vergangenheit, die Entwurzelung aus dem häuslichen Kleinbeamtenmilieu und der Verlust einer Braut, die sich dem Ungläubigen verweigerte. In dieser Stimmung traf die kurz angebundene Kritik eines literarischen Freundes über die Unnatur seiner ersten Versuche, traf die Mahnung, der Dichter könne nur wirken, wenn er sein Innerstes gebe, sich "das Herz aufreiße", genau in den Riß, unter dem er seelisch litt. Die Dichtkunst war ihm von da ab nicht nur eine Tätigkeit des Geistes, sondern ein Stück seines Lebens, sie wurde jetzt erst jung und, da sie aus dem Sturm und Drang der ganzen aufgeregten Zeit geboren war, jungdeutsch. Sie wurde damit eins der stärksten Elemente einer Literatur, der der Name "Junges Deutschland" als Ehren-, aber auch als Brandmal aufgeprägt wurde, ein Name, mit dem man in den Repositorien der Ministerialbureaus alsbald gewichtige Aktenstücke bezeichnete.

Literaturblatt zum „Phönix“ - Schleiermachers Vertraute Briefe über die Lucinde#

Die neue Phase in Gutzkows Schaffen zeigte sich einmal in den durchaus persönlichen Kritiken, die er als Herausgeber eines Literaturblattes zu der Dullerschen Zeitschrift "Phönix" in Frankfurt a. M. von Januar bis August 1835 allwöchentlich veröffentlichte, literarische Manifeste, die mit ihrem prickelnden, subjektiven Stil das literarische Milieu ihrer Entstehungszeit nicht weniger klar widerspiegeln als die Fragmente der Romantiker ein Menschenalter vorher. Zu Konflikten mit der Frankfurter Zensur, mit der Gutzkow "auf gutem Fuße" stand und deren damalige "Humanität" von Ed. Beurmann gerühmt wird, führten sie anscheinend nicht; nur einmal (10. Juli) klagte Gutzkow seinem Freunde Gustav Schlesier: "Die Censur hat mich einmal wieder maltraitirt heute: man soll nicht sagen, daß diejenigen, welche der Staat mit Stricken um den Hals lohnt, von der Literatur mit Lorbeerkränzen bedacht werden" - wobei er wahrscheinlich den politischen Flüchtling Büchner meint: die Zensur verstümmelte in diesen Tagen die begeisterte Kritik, die Gutzkow über Büchners "Danton" geschrieben hatte; sie erschien am 11. Juli (vgl. seinen Brief an Büchner vom 23. Juli). - Schlimmer aber ging es mit zwei Büchern, die Gutzkow im selben Jahr herausgab. Schon im Februar 1834 hatte sein Nekrolog auf den eben gestorbenen Friedrich Schleiermacher (in der Augsburger "Allgemeinen Zeitung") das größte Befremden erweckt, sogar in Gutzkows persönliches Leben eingegriffen, den Bruch mit seiner Braut verursacht. 1835 sollte eine Sammlung der Werke Schleiermachers erscheinen, aber die pikante Arabeske auf diesem Denkmal für den berühmten Prediger, seine Briefe über den erotischen Roman "Lucinde" von Friedrich Schlegel aus dem Jahre 1801, sollte fortbleiben. Diese schamhafte Verschleierung empfand Gutzkow als eine Geschichtsfälschung; eine Erinnerung daran erschien ihm um so notwendiger, als der Gegenstand dieses verpönten Buches, das übrigens nie verboten worden war, ebensowenig wie der Schlegelsche Roman selbst, auch der jungdeutschen Generation wie ein Alp auflag: das Problem moderner Sittlichkeit. Da die Briefe anonym erschienen, zum Nachdruck also frei waren, entschloß er sich kurzerhand, sie neu herauszugeben, und er leitete sie mit einer Vorrede ein, die wie eine prasselnde "Rakete in die stickende Luft der protestantischen Theologie und Prüderie" hineinfuhr. Voll Hohn und Spott gegen die "Gescheitelten", voll Sarkasmus über die mißverstandene weibliche Tugend, die den "süßen Verkehr der Geschlechter" zur Unnatur wandle, voll prophetischen Zornes über das Gespinst von Lüge, unter dem sich die landläufigen Begriffe von Liebe versteckten, malte sie eine "Genialität der Liebe", deren Beurteilung nicht vom Sittlichen, sondern vom Schönen ausgeht und über die Unsittlichkeit der moralischen Gewohnheit die keusche Sünde des "entzückenden Augenblickes" setzt. Das alles war schon vor Gutzkow gedacht, es war nur ein Glied in der Kette, an der jede junge Generation zu schmieden pflegt; aber so geradezu, so mit unmittelbarer Anwendung auf die Gegenwart, so mit Fingern weisend und hohnlachend herausfordernd hatte man solch Evangelium noch nicht vernommen, und es wäre gewiß ungeschrieben geblieben, hätte sich nicht der Autor selbst damit das Herz erleichtert.

"Schleiermachers Vertraute Briefe über die Lucinde. Mit einer Vorrede von Karl Gutzkow" erschienen bei Hoffmann & Campe in Hamburg. Als sie Anfang April der Berliner Zensur vorlagen, wagte die sich offenbar an dem Namen Schleiermacher nicht zu vergreifen, sie erlaubte den Verkauf des Buches in Preußen! Irgendein beflissener Zuträger, jedenfalls aus den Kreisen der Hoftheologie, steckte aber die Schrift dem König, und sofort erging eine Kabinettsorder, die den Fehler des Zensors aufs höchste mißbilligte und ihn - ein Tadel, der sich gegen die drei Zensurminister richtete! - "nur der nicht mit der nötigen Energie aufgenommenen Reorganisation des ganzen Zensurwesens" zuschrieb, auf die Friedrich Wilhelm III. damals drang. So meldete der Kultusminister v. Altenstein am 24. April seinem Kollegen v. Rochow; die Kabinettsorder selbst war bisher nicht zu finden. Am Rande des ministeriellen Berichts findet sich die Bemerkung: "Verbot dieser Schrift bereits in Zirkulation. 27. 4." Man hatte schon am 21. den Lapsus des Zensors gutgemacht; unter diesem Datum steht das Verbot in mehreren amtlichen Verzeichnissen. Am 12. April hatte auch das Oberzensurkollegium darüber berichtet; in Erlangen war die Vorrede bereits beschlagnahmt worden, am 29. Juli bestätigte das Kgl. Bayrische Ministerium diese Verfügung der Regierung des Rezatkreises, und in den allgemeinen Erlassen gegen das "Junge Deutschland" wurde von Bayern und andern Bundesstaaten später ausdrücklich auf diese Vorrede hingewiesen. 1837 versicherte der Kurator der Bonner Universität, Geh. Rat J. P. v. Rehfues, der jene vom König erstrebte Reorganisation der preußischen Zensur hatte durchführen sollen, nichts habe Gutzkow "bei der Theologie" so sehr geschadet, wie die Ausspielung Schleiermachers gegen die Berliner Orthodoxie, und der Schauspieler Karl Seydelmann hatte in jenen Frühjahrstagen 1835 allen Grund, den Freund zu warnen, sich ja nicht in Berlin sehen zu lassen. In Württemberg dachte man offenbar milder darüber; noch im selben Jahr 1835 erschien in Stuttgart ("In Commission der Christ. Hausmann’schen Antiquariats-Buchhandlung") ein Nachdruck der Hamburger Veröffentlichung, der Briefe Schleiermachers mit der Vorrede Gutzkows! Ob dieser und Campe damit einverstanden waren, hat sich bisher nicht ermitteln lassen.

Diese blutige Satire gegen das Philistertum genügte aber Gutzkow nicht. Die religiöse Debatte kam gerade im Frühjahr 1835 zu besonders starker Entladung. Der erste Teil des "Leben Jesu" von D. F. Strauß wirkte wie ein Kriegsruf auf die Orthodoxie. Das war Wasser auf Gutzkows Mühle, und sofort sprang der Gedanke hervor, dem tapfern Tübinger zur Seite zu treten. Was lag da näher als eine Erinnerung an Lessings Kämpfe mit dem Hauptpastor Götze und das damalige Streitobjekt, die Wolfenbüttler Fragmente des Reimarus! Einen Auszug daraus wollte Gutzkow jetzt herausgeben mit einer entsprechenden Vorrede. Aber Campe, dem Furcht sonst nicht eigen war, schreckte zurück vor einem Tanz mit Götzes Nachfolgern, und diese Schrift blieb ungedruckt. Ihr Inhalt aber wurde mit einem Dichtwerk verschmolzen, das aus denselben Gedanken- und Empfindungsquellen strömte und im Sommer 1835 durch neue Erlebnisse in stürmischen Fluß gekommen war. Um den Kern des Auszuges aus der "Schutzschrift für die vernünftigen Verehrer Gottes" des Wolfenbüttler Fragmentisten entstand der Roman "Wally, die Zweiflerin".

Wally, die Zweiflerin#

In drei Juniwochen wurde er geschrieben und ebenso schnell in Frankfurt bei Sauerländer gedruckt; da aber das Manuskript auch bei splendidem Druck nicht ganz 20 Bogen füllte, also zensurpflichtig gewesen wäre, gab ihm Gutzkow einen Anhang, der mit dem Roman in keinem direkten organischen Zusammenhang steht: die letzten 13 Seiten enthalten einen Aufsatz, der schon im Literaturblatt zum "Phönix" vom 25. Juli, also mit Frankfurter Zensur, erschienen war. Er hieß "Wahrheit und Wirklichkeit" und gab philosophisch-theologische Betrachtungen im Anschluß an George Sands Roman "Lelia", dessen deutsche Übersetzung Gutzkow in derselben Nummer der Zeitschrift kritisierte. Daß "Lelia" so zeitig erschien, um Gutzkows "Wally" selbst noch beeinflussen zu können, wie vielfach behauptet wird, ist bisher unbewiesen. Gleiche Luft weht gewiß durch beide. Am 12. August erschien "Wally" bei Carl Löwenthal in Mannheim; der Verleger eröffnete damit sein Verlagsgeschäft, erschrak aber sehr, als er jetzt den Roman seines Freundes las; vor dem Druck kannte er keine Zeile davon. Unterdes bereitete Gutzkow ein neues, großes Unternehmen vor, die Gründung einer Zeitschrift "Deutsche Revue", zu der er sich mit Ludolf Wienbarg, der damals nach Frankfurt kam, verbündet hatte. Cotta schien dem Plan nicht abgeneigt, konnte sich aber mit Rücksicht auf sein "Literaturblatt" zum "Morgenblatt", dessen Existenz durch die Neugründung gefährdet schien, nicht sofort entschließen ; so gab Gutzkow zuletzt seinem Freunde Löwenthal den Vorzug, und am 14. September 1835 erfuhr die Öffentlichkeit, daß die Deutsche Revue in Löwenthals neuem Verlag erscheinen werde. Die Aufforderungen zur Mitarbeit und zahlreiche Exemplare des von Gutzkow verfaßten, schwungvollen Programms waren bereits Ende August versandt, manche Zustimmung und Zusage war eingelaufen. Da führte der Redakteur des gefährdeten "Literaturblatts", der ehemalige Gönner Gutzkows, Wolfgang Menzel, den großen Schlag gegen das "Junge Deutschland", gegen die junge Brut, die unter seinem eigenen Schutze groß geworden war. Unter der Überschrift "Unmoralische Literatur" ließ er am 11. und 14. September eine Kritik der "Wally" und dann noch etliche "Abfertigungen" vom Stapel, deren Maßlosigkeit und beschwörender Prophetenton alles in Aufregung versetzten und deren lärmender Appell an die Staatsgewalt ihrem Verfasser mit vollstem Recht das Mal des Denunzianten in die Stirne brannte. Bereits am 24. September wurde "Wally" in Preußen verboten. Das Urteil des Oberzensurkollegiums vom 18. September, unterzeichnet von Wilken, Neander und Tzschoppe, lautete: "Dieses Buch, übrigens in jeder Beziehung eine werthlose Hervorbringung, sucht sich durch die frechste Verunglimpfung des Christenthums, durch die verabscheuungswürdigsten Schmähungen gegen die göttlichen Stifter des Christenthums und überhaupt durch die zügelloseste Verhöhnung jedes religiösen Glaubens bemerklich zu machen. Wir sehen uns um so mehr veranlaßt, auf das Verbot der gedachten höchst verwerflichen Schrift und die Entfernung derselben aus dem Buchhandel, sowie aus den Leihbibliotheken und Lesegesellschaften anzutragen, als die Popularität des Vortrags und manche dem großen Haufen der Leser zusagende witzige Wendungen, welche dem schon längst übelberüchtigten Verfasser zu Gebote stehen, die schädlichsten Wirkungen von der ferneren Verbreitung des ruchlosen Machwerks besorgen lassen." - Das Urteil beruft sich auf die Seiten 19, 43, 83, 221, 223 und 227 der "Wally", namentlich aber auf S. 260 ff., die "Geständnisse über Religion und Christenthum", ein Tagebuch des Romanhelden Cäsar, bei dem der Wolfenbütteler Fragmentist Pate gestanden hatte. Die drei Zensurrichter waren so sehr nur mit dem theologischen Inhalt des Romans beschäftigt - der eine von ihnen, Neander, als Jude geboren, war evangelischer Bischof -, daß sie über die von Menzel ausgeschrieene Unsittlichkeit etwa der vielberufenen Sigunenszene (S. 127ff.) kein Wort verloren. Verfasser des Gutachtens war der Oberbibliothekar Prof. Dr. Wilken.

Der Berliner Polizeipräsident ließ das Verbot durch Zirkular den Buchhändlern am 10. bis 15. Oktober bekanntgeben. Am 16. wurde der Roman in Würzburg im bayrischen Obermainkreis konfisziert, am 17. auch in München; "dem Vernehmen nach", meldeten die Zeitungen, sei Menzels Kritik der Anlaß zum Vorgehen der bayrischen Regierung gewesen. Nach einer brieflichen Meldung Theodor Mundts, auch eines jungdeutschen Kollegen, an Gustav Kühne soll Friedrich Wilhelm III. selbst die "Wally", deren Autor er "hasse", gelesen und beim Großherzog von Baden über das in dessen Lande erschienene Buch Beschwerde geführt haben; ein aktenmäßiger Beweis dafür liegt nicht vor. Bei der Initiative, die der König gegen die Vorrede zu Schleiermacher, übrigens auch gegen Schriften von Heine und Börne ergriff, kann die Nachricht stimmen. Tatsächlich machte schon am 20. Oktober ein ministerielles badisches Reskript die Kreisregierungen auf den Roman und auf die bestehenden gesetzlichen Verfügungen aufmerksam, unter Bezugnahme natürlich nicht auf eine Berliner Kabinettsorder, sondern auf eine Frankfurter Zeitungsnotiz. Gleichzeitig wurde Löwenthal, dessen Verlagskonzession noch nicht in Ordnung war, wegen seiner vorschnellen Geschäftseröffnung zur Verantwortung gezogen und ihm die Fortführung seines Verlags verboten. Die Mannheimer Kreisregierung hatte für Gutzkows Broschüre "Vertheidigung gegen Menzel und Berichtigung einiger Urtheile im Publikum" die Druckerlaubnis verweigert; Löwenthal hatte sie trotzdem, ohne Zensur, Anfang Oktober erscheinen lassen. Der Mannheimer Stadtdirektor Riegel unterzog sich infolge des Ministerialreskripts nunmehr der Lektüre der "Wally" und ließ sie am 13. November konfiszieren, ebenso die Broschüre Gutzkows gegen Menzel. Letztere verbot auch die bayrische Regierung am 21. Januar 1836. Von der 700 oder 800 Exemplare betragenden Auflage der "Wally" trieb der Polizeikommissar aber nur zwei auf, von der Broschüre zehn; die übrigen waren abgesetzt, dafür hatte Menzels Kritik gesorgt; in Frankfurt ging der Roman "von Hand zu Hand auch bei gebildeten Ungelehrten", wie ein österreichischer Konfident am 15. November berichtete, bei einer einzigen Leihbibliothek kursierten fortwährend neun Exemplare, sogar die Landbevölkerung interessierte sich für die darin ausgesprochenen "unsittlichen Ansichten"; selbst "achtzigjährige Greise" waren "lüstern" geworden, und der hohe Verkaufspreis, drei Gulden, wurde zwei- und dreifach überboten (Glossy, "Literarische Geheimberichte", I, 34. 41. 47). Auch in Berlin riß man sich um das Buch, obgleich die Polizei versicherte, daß "streng nach dem Verbot" verfahren würde. Stadtdirektor Riegel fand, beide Schriften seien "Erzeugnisse eines Mitglieds des jungen Deutschlands, welches sich gleich der jeune France zur Aufgabe gemacht habe, durch Vernichtung alles dessen, was dem Menschen heilig sein soll, jedes aufstrebende edlere Gemüth zu verderben und so einen Zustand der Barbarei herbeizuführen" usw. Daher beschloß er, gegen Autor und Verleger am 16. November gerichtlich vorzugehen. Löwenthal wurde zunächst am 25. wegen Umgehung der Druckerlaubnis für die Broschüre in Geldstrafe genommen, am 27. dann wegen der "Wally" die Voruntersuchung gegen Gutzkow und Löwenthal eröffnet. Unterdes war das Buch auch in Kurhessen (1. November) konfisziert worden, desgleichen durch Beschluß des Hohen Rats in Frankfurt a. M. am 24. November. Am 8. Dezember folgte sogar Württemberg. Am 29. Oktober hatte sich der Bundestag gerührt, er begann eine allgemeine Verfügung gegen die junge Literatur zu erwägen. Am 14. November erfolgte das preußische Generalverbot der Schriften des "Jungen Deutschlands" und weiterhin die lange Reihe von Verfügungen, deren Entstehung, Formulierung und Handhabung ich in meinem Buche "Jungdeutscher Sturm und Drang" (1911) dargelegt habe.

Die verweigerte Verlagskonzession schaltete Löwenthal als Verleger der geplanten "Deutschen Revue" aus. Sofort verhandelte Gutzkow mit Franz Varrentrapp in Frankfurt über die Herausgabe einer andern zweimal wöchentlich erscheinenden Zeitschrift "Deutsche Blätter für Leben, Kunst und Wissenschaft"; um "die Insinuation einer Parteiung zu zerstreuen", wollte er sie allein redigieren, im übrigen sollten sie alles bringen, "was in der durch mannigfache Hindernisse zu erscheinen verhinderten Deutschen Revue von dem Einen der Herausgeber zu erwarten war." Als diese, am 16. November niedergeschriebene Anzeige am 21. im "Frankfurter Journal" erschien und bereits zwei Probenummern gedruckt waren, besiegelte die preußische Verfügung und das einsetzende Gerichtsverfahren das Schicksal auch dieses Unternehmens. Der Verleger (Inhaber der Firma war Buchhändler Krebs) bekam Angst, holte sich im Bundespalais Rat und kaufte sich mit einer Abfindungssumme von 100 Fl. los (Glossy I, 40). Die drei Korrekturbogen des ersten Heftes der "Deutschen Revue" und ebenso die beiden Nummern der "Deutschen Blätter" haben sich in je zwei Exemplaren erhalten, die Frankfurter Stadtbibliothek und das Kestner-Museum in Hannover besitzen diese jungdeutschen Raritäten [im 2. Weltkrieg verbrannt. W.R.]; das zweite Exemplar entstammt dem Nachlaß des Advokaten Detmold. In meinem "Bibliographischen Repertorium" habe ich den ganzen Inhalt beider Blätter dargelegt und sämtliche Aktenstücke zu ihrer Geschichte zusammengetragen.

Noch am 29. November war Gutzkow entschlossen, der Vorladung nach Mannheim nicht zu folgen. In Frankfurt zwar konnte er nicht mehr bleiben; bei Zustellung des Ladungsdekrets am 23. November hatte ihm der Senat erklärt, man werde ihn an das Mannheimer Stadtamt ausliefern; am 25. verweigerte er ihm das nachgesuchte Bürgerrecht und verwies ihn, Wienbarg und zwei andere Mitarbeiter, Kottenkamp und Ludwig Wihl, aus Frankfurt. Um gegen die Beschlagnahme der "Wally" zu protestieren, reiste Gutzkow nach Karlsruhe zum badischen Minister Winter, der die Verfügung vom 20. Oktober erlassen hatte. Zugleich bat er als Preuße das Polizeiministerium in Berlin um Erneuerung seines gerade ablaufenden Passes auf drei Jahre zu einer "Erholungsreise" nach Italien, der ihm natürlich am 3. Dezember ohne jede Begründung verweigert wurde. Er hoffte, sich den Weg über die Grenze offenhalten zu können, er dachte an Flucht nach Frankreich, so ungern er auch, schon mit Rücksicht auf seine soeben geschlossene Verlobung mit einer Frankfurterin, Deutschland den Rücken gekehrt hätte. Die Audienz bei "Vater Winter" ließ ihn den Gedanken an Flucht aufgeben, sie eröffnete ihm die Aussicht, seine Sache ohne Gefährdung der persönlichen Freiheit führen zu können; mit "Kampfeslust, ja mit Siegesvorstellungen" eilte er nach Mannheim, mit der Freiheit und der Möglichkeit der Selbstverteidigung schien ihm alles gewonnen.

Am 30. November stand Gutzkow vor dem Stadtgericht in Mannheim. Den Wortlaut des Verhörs hat Johannes Proelß in seinem Buche "Das Junge Deutschland" (S. 687 ff.) wiedergegeben; die Art, wie es geführt wurde, war schon eine Verurteilung. Der Amtsrichter Gockel, ein Sohn des Mannheimer Stadtpfarrers, pflückte die in der "Wally" über Christentum, Religion und Tugend gefällten Urteile sorgfältig heraus und beanspruchte sie als Meinung des Autors, wie das in solchen Prozessen seitens der Anklagebehörde noch heute üblich ist. Nach der Entstehungsgeschichte des Romans hatte er wenigstens den Schein des Rechtes für sich, Gutzkow hat es später stets bekannt, daß er um die selbständig vorhandene religiöse oder antireligiöse Tendenz nur notdürftig das dichterische Gewand drapiert habe. Aber die Blasphemie, die das Gericht herauslas, lag weniger im Inhalt; Lessing, Herder, Strauß hatten weit Schlimmeres drucken lassen; sie lag vielmehr in der Form, die spöttisch, oft frivol, allerdings aus dem Charakter des Romanhelden Cäsar hervorwuchs. Unglücklicherweise hatte Gutzkow in seiner "Vertheidigung gegen Menzel" bekenntnismutig zugegeben, daß er selbst zum Teil dieser Cäsar sei; so fiel ihm auch die gotteslästerliche Form seiner Ketzereien zur Last.

Als er am Mittag dieses Tages zum Essen in den Pfälzer Hof entlassen wurde, begleitete ihn eine Polizeiwache; das Gerücht war ausgekommen, er wolle nach Frankreich fliehen, und nach Fortsetzung des Verhörs am Nachmittag wurde er verhaftet. Der Vorfall machte ungeheures Aufsehen, denn es war lange nicht mehr vorgekommen, daß jemand wegen unsittlicher und irreligiöser Schriften in peinliche Untersuchung gezogen worden. Bei Heinrich Laubes Verhaftung vor einem Jahr hatten politische Gründe den Ausschlag gegeben. Gutzkows politische Schriften aber, seine Sammlung "Öffentliche Charaktere", die soeben erschienen war und sogar im österreichischen Staatskanzler einen aufmerksamen Leser fand, waren unbeanstandet geblieben, obgleich darin neben einem preußischen Minister (Ancillon) der jüdische Bankier Rothschild erschien, was dem preußischen Postminister v. Nagler sehr ungehörig vorkam. Französische Blätter munkelten schon etwas von einer preußischen Requisition; es war ja auch auffallend: Gutzkow, der als "Ausländer", als Preuße, mit einem Paß seiner Heimatbehörde in Frankfurt lebte, wurde vor ein badisches Gericht gezogen. Aber die Vergehen, deren man ihn beschuldigte, waren laut §§ 21 und 22 des badischen Preßgesetzes von Amts wegen zu verfolgen, und er hatte sich freiwillig gestellt, wobei der Wunsch, seinen Freund und Verleger nicht in der Patsche sitzen zu lassen, mitgesprochen haben dürfte; auf badischem Boden, von Mannheim aus, hatte die Verbreitung der "Wally" stattgefunden.

Die Fortsetzung des Verhörs am Nachmittag hat Richard Fester in seiner Schrift "Eine vergessene Geschichtsphilosophie" (1890) dem Inhalt nach wiedergegeben. Ein weiteres Verhör fand am 3. Februar statt, dessen Wortlaut in meinem Buche "Jungdeutscher Sturm und Drang" mitgeteilt ist. Ich habe dort auch den ganzen umständlichen Hergang des Kriminalprozesses gegen Gutzkow auf Grund der Gerichtsakten dargelegt. Hier muß daher eine kurze Zusammenfassung des Verlaufs und des Ergebnisses genügen.

Alle Proteste gegen die Verhaftung und der Appell an den Minister Winter halfen nichts; die Berufung wurde am 5. Januar vom Badischen Hofgericht verworfen. Am 8. Januar, also nach sechswöchiger Untersuchungshaft, fand vor diesem Gerichtshof die mündliche Verhandlung statt. Gutzkow durfte noch von Glück sagen, daß das badische Recht ihm die Selbstverteidigung gestattete. Auch seine zweite Rechtfertigungsbroschüre "Appellation an den gesunden Menschenverstand. Letztes Wort in einer literarischen Streitfrage" lag dem Gericht vor; sie war Anfang Dezember bei Joh. Phil. Streng in Frankfurt erschienen, mit dortiger Zensur, und wurde nur in Bayern (15. März 1836) ausdrücklich verboten. In einer umfangreichen Anklageschrift hatte der Staatsanwalt Minet Gotteslästerung, Verächtlichmachung des christlichen Glaubens und der Kirche und Darstellung unzüchtiger Gegenstände aus der "Wally" nachzuweisen versucht und - auf Grund der Reichspolizeiordnung von 1577! - gegen den Verfasser ein Jahr, gegen den Verleger drei Monate Zuchthaus beantragt! Eventuell - nach dem badischen Preßgesetz von 1831 - gegen Gutzkow drei Monate Gefängnis, in omnem eventum aber wenigstens gegen Löwenthal drei Monate Gefängnis und gegen Gutzkow Ausweisung. Der Gerichtshof gab dem ersten, drakonischen Antrag keine Folge. Gutzkows gewandte und eindringliche Selbstverteidigung vermochte die Beweisgründe des Staatsanwalts zu entkräften. Das Urteil, das am 12. Januar nach dreieinhalbstündiger Beratung gefällt und am 13. verkündet wurde, lautete auf einen Monat Gefängnis, doch wurde die Untersuchungshaft nicht angerechnet, so daß annähernd das höchste Strafmaß des Preßgesetzes zur Anwendung kam. Nur die "verächtliche Darstellung des Glaubens der christlichen Religionsgesellschaften" hatte der Gerichtshof aufrechterhalten. Löwenthal wurde ganz freigesprochen, da er das Buch nicht vorher gelesen hatte. Die Staatsanwaltschaft meldete sofort Berufung an, da dem Fiskus zwei Drittel der Kosten auferlegt worden waren. Um die Untersuchungshaft nicht zu verlängern, erklärte sich Gutzkow am 14. zum sofortigen Antritt der Strafe bereit, unbeschadet der Berufung, die auch sein Anwalt einreichte. Zu einer weitern Verhandlung aber kam es nicht. Der Verurteilte war müde geworden, die lange Haft mit ihrer marternden Unsicherheit hatte seine Kampfeslust gebrochen; nun er eine nicht allzu schlimme Gewißheit hatte, hegte er nur den einen Wunsch, daß die Aussicht auf baldige Freiheit nicht durchquert werde. Ein Bittgesuch an Minister Winter, ihn mit der Qual weiterer Verhöre zu verschonen, hatte Erfolg: am 3. Februar zog der Staatsanwalt, "vom Grosherzoglichen Justiz-Ministerio ermächtigt", seine Appellation zurück, beantragte aber, den Verurteilten nach bestandener Strafe aus Baden zu verweisen. Am 10. Februar wurde Gutzkow aus dem Gefängnis entlassen. Der gleichzeitigen Ausweisung konnte er nicht gleich Folge leisten, da die Haft ihn krank gemacht hatte. Dann kehrte er nach Frankfurt zurück und erreichte hier wenigstens, daß man seinen Aufenthalt weiter duldete.

Noch einmal von vorne! war nun für ihn, wie ein Jahr zuvor für Laube, die Losung. Auch im Gefängnis war er nicht untätig gewesen. Nach anfänglicher Strenge war die ihm widerfahrene Behandlung gemildert worden, er durfte sich beschäftigen, Besuche empfangen, erhielt zuletzt auch Bücher zur Lektüre. Die "Allgemeine Zeitung" hatte ihm auch jetzt ihre Spalten nicht verschlossen. In ihr erschienen, aber ohne Namensnennung, einige Abschnitte sowohl aus der Schrift "Philosophie der Geschichte", als auch aus dem Büchlein "Goethe im Wendepunkte zweier Jahrhunderte"; beide waren im wesentlichen während der Gefangenschaft vollendet worden. Einen neuen, in Arbeit befindlichen Roman "Seraphine" mit Gutzkows Namen zu verlegen lehnte aber Cotta ab. Von allen Seiten hagelten ja jetzt die Verwarnungen und Verbote gegen die Schriften des "Jungen Deutschlands" hernieder, und die ungesetzliche Verfügung vom 14. November, die den Zensoren glatt verbot, einem neuen Buche eines Jungdeutschen, sei es auch noch so harmlos, das Imprimatur zu geben, hatte ihnen das wichtigste Absatzgebiet, Preußen, zunächst völlig verschlossen. Keine Anzeige und Rezension dieser verfemten Literatur durfte in preußischen Blättern erscheinen, man durfte nur gegen sie polemisieren, ohne die Namen der Attentäter zu nennen. Das galt sogar von wissenschaftlichen Blättern und wurde einstweilen strikt durchgeführt. Der Königsberger Philosoph Karl Rosenkranz sandte an die Berliner "Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik" eine Besprechung der "Wally", sie wurde nicht zugelassen, "die Censur hatte den Auftrag, damals, Ihr Gedächtnis zu exstirpiren", schrieb Rosenkranz zwei Jahre später an Gutzkow. Minister v. Altenstein ließ sich die Kritik vorlegen, und Rosenkranz glaubte, daß sie dadurch immerhin günstig gewirkt habe. Als derselbe Rosenkranz in seiner Vorrede zu Schleiermachers "Glaubenslehre" Gutzkows Namen nennen wollte, verbot der Zensor sogar das. Waren auch die Verfügungen der übrigen Bundesstaaten nicht alle so rigoros, welcher Verleger hatte Lust, sich auf so riskante Geschäfte einzulassen? Die bisherigen Verleger der Jungdeutschen waren ja schon schwer genug getroffen, denn das preußische Verbot bezog sich ausnahmslos auf alle ihre Schriften, auch auf die schon früher erschienenen, von irgendeiner Bundesbehörde rechtmäßig zensierten! Was noch neu auf dem Buchmarkt war, konnte gar nicht versandt werden. Im Oktober 1835 hatte J. D. Sauerländer eine zweibändige Sammlung "Soireen" des fabelhaft produktiven Verfassers der unseligen "Wally" gebracht - jetzt saß er mit dem völlig harmlosen Buche fest! Noch ehe die mildernde preußische Verfügung vom 16. Februar 1836 heraus war, hatte er die Berliner Zensurministerien um Zulassung des Werkes in Preußen gebeten. Am 13. Juni hatte er noch keinen Bescheid, denn die jungdeutsche Sonderzensur wurde unterdes organisiert. Auf sein erneutes Gesuch erklärte endlich das Oberzensurkollegium (Tzschoppe und Wilken) am 29. Juni, die "Soireen" enthielten nichts Bedenkliches, und am 16. Juli gab Minister v. Rochow das Buch frei, drei Vierteljahre nach seinem Erscheinen.

Zur Philosophie der Geschichte#

Verzweifelte Aussicht für Gutzkows neue Schriften, die nun ans Licht sollten. Die "Philosophie der Geschichte" wurde bereits in Mannheim gedruckt und war nicht unbedenklich. Für das Goethebüchlein mußte noch ein Verleger gesucht werden. Um Klarheit darüber zu gewinnen, wie es eigentlich mit der künftigen preußischen Zensur stehe, wandte sich Gutzkow mit dem Manuskript nach Berlin und fand auch in der Plahnschen Buchhandlung einen wagemutigen Verleger. Natürlich mußte es nun in Berlin zensiert werden. Am 15. März wandte sich Gutzkow persönlich an Tzschoppe und bat um "versöhnliches Entgegenkommen". (Den Brief hat Otto Draeger in seinem Buche "Theodor Mundt und seine Beziehungen zum Jungen Deutschland", Marburg 1909, S. 164 ff. mitgeteilt.) Wirklich antwortete der allmächtige Geheimrat, Mitglied der preußischen Ministerialkommission (siehe Laube) und des Oberzensurkollegiums: wenn das Buch die Berliner Zensur passiere, stehe seiner Veröffentlichung nichts im Wege. Unterdes hatte Minister v. Rochow das Generalverbot vom 14. November 1835 durch eine ergänzende Verfügung vom 16. Februar 1836 mit dem Gesetz in Einklang gebracht und damit bedeutend gemildert. Der Zensor gab auch tatsächlich sein Imprimatur, und Ende Mai hatte Varnhagen in Berlin das Buch schon gelesen. Es war noch glücklich durch die bisher übliche Zensur durchgeschlüpft. Aber seit dem 6. Juni war als Sonderzensor für das "Junge Deutschland" der Geheimrat John mit scharfen Anweisungen versehen, und das Oberzensurkollegium hatte jetzt Bedenken gegen das vorschnelle Imprimatur bei einem neuen Werk, das den Namen Gutzkow trug; noch am 24. Juni beschäftigte es sich damit. Aber das einmal Geschehene war nach ausdrücklicher Bestimmung Rochows vom 14. Juni nicht mehr zu ändern, wenn man nicht der einheimischen Zensur ein Mißtrauensvotum ausstellen wollte. Also blieb es dabei, und dieses Buch durfte Rosenkranz auch ungehindert in den Berliner "Jahrbüchern" wenigstens rühmend erwähnen; das geschah allerdings erst im Oktober 1837 (S. 619)!

Die "Philosophie der Geschichte" kam nicht so glücklich davon. Ermutigt durch die immerhin freundliche Antwort Tzschoppes, wandte sich Gutzkow wegen jenes Buches, das unterdes in Mannheim mit badischer Zensur gedruckt worden war, aber als Verlag die Firma Hoffmann & Campe zeigte, am 3. April 1836 an den Minister v. Rochow. Er legte ihm das gleichsam als Manuskript gedruckte erste Exemplar vor und bat in einem ausführlichen Schreiben, der Verbreitung in Preußen keine Schwierigkeiten in den Weg zu legen. Er hatte sich zuerst damit nach Halle gewandt, um ein preußisches Imprimatur zu erhalten; dort gab man den Antrag nach Magdeburg weiter, und dieses verwies ihn nach Berlin. Es galt zunächst, die heimatliche Behörde über seine politische Gesinnung im allgemeinen zu beruhigen und dann dem Minister eine unbefangenere Ansicht über die junge Literatur und im besondern über Gutzkows Schaffen und sein vorliegendes Buch zu suggerieren, ohne sich etwas zu vergeben. So schrieb er:

"Ich gebe zu, daß meine Schrift eine Physiognomie trägt, der man nur bei dem Gefühl der freisten Unabhängigkeit auf menschlichen Antlitzen zu begegnen pflegt. Möchte mir aber diese Frische doch zu meinen Gunsten ausgelegt werden! Ich kann in der Literatur nur eine sichere Stellung bekommen, wenn ich die Macht habe, meine Individualität geltend zu machen. Wenn diese auf keiner Seite meines Versuches fehlt, sollte der Staat sie nicht dulden, falls von dem was er zu schützen hat, durch sie nichts beeinträchtiget wird? Ueberdieß verlangte mein Gegenstand, daß ich, alle jene unsicheren Gedankenstrudel über Staat, Kirche, Gesellschaft u. s. f. durchschiffend, die bedenklichsten Dinge in Erwägung zog ... Ich bin mir bewußt, daß es Wahrheit ist, was ich in der Vorrede sage: Das Bestehende ist nicht meine Prämisse, wenn es nur mein Resultat ist! ... wenn meine Schrift, so wie sie abgefaßt ist, die Zulassung von Ew. Excellenz erhält, so ist es die Neugier des Publikums, die hier den Kürzeren zieht. Freilich wird man davon überzeugt sein, daß ich einen neuen Weg einschlagen will, wird aber dem Gouvernement beipflichten, wenn es mir behülflich war, dies thun zu können, ohne meine Individualität, d. h. meine literarische Freiheit aufzugeben. Je größer die mir gelassene Unabhängigkeit ist, desto entschiedener kann ich auf das Publikum für jene versöhnenden Zwecke wirken, von welchen ich durchdrungen bin. Eine völlige Beschränkung meines Tones wäre sowohl ein Beweis gegen meine Redlichkeit, wie gegen die Milde der Preußischen Regierung, die schon allmählig von den übrigen Staaten als Richtschnur angenommen wird ... Schließlich ersuche ich Ew. Excellenz, zur Prüfung meiner Schrift weder Mystagogen noch Männer heranzuziehen, welche eine exclusive Philosophie zu vertheidigen haben." Zuletzt entschuldigt Gutzkow noch seine Verbindung mit Hoffmann & Campe durch kontraktliche Verpflichtung; übrigens sei auch Campe zu klug, "mit Trotz auf einer Richtung zu beharren, welche ihm so viel Nachtheile zu bringen drohe", er habe es daher "allen seinen Verbindungen", seinen Autoren, "zur Pflicht gemacht, sich dem Königl. Preußischen Gouvernement zu nähern, und ihm selbst seine Theilnahme an ihren Leistungen dadurch zu erleichtern, daß er nicht stündlich in der Besorgniß leben muß, in seiner ganzen merkantilischen Thätigkeit paralysirt zu werden."

Das äußerst gewandte diplomatische Schriftstück verfehlte gänzlich seinen Zweck. Literarische Freiheit, Individualität eines Schriftstellers - von diesen Dingen wußte der preußische Polizeikodex nichts. Rochow überwies Gutzkows Eingabe und Buch am 18. April an das Oberzensurkollegium, und dieses erklärte sich am 2. Mai gegen die Zulassung der Schrift. Tzschoppe entwarf das Gutachten, Wilken, Neander und v. Lancizolle unterzeichneten es. Abgesehen davon, daß Gutzkows Buch bei der "durch schlechten Verlag bekannten Buchhandlung" erscheine, suche der Verfasser in der Vorrede und S. 177, auf die gegen das junge Deutschland erlassenen Verfügungen ein nachteiliges Licht zu werfen". Im übrigen könne das Buch nur dazu dienen, "die Begriffe über das Christentum und den Staat zu verwirren"; das bewiesen die Äußerungen auf den Seiten 7, 8-11, 157, 170 und 283; dazu komme noch eine Reihe "unpassender Bemerkungen" (S. 31, 45, 82, 99, 186, 195 und 197). Es sei eben dem Verfasser noch nicht recht ernst mit dem Entschluß, seine frühere Richtung zu verlassen; er selbst bezeichne ja auch sein Werk als ein unvollständiges Produkt, das Publikum erleide also durch dessen Vorenthaltung keinen Verlust. "Sehr wahr!" schrieb Rochow vergnügt an den Rand und gab am 13. Mai Gutzkow einen ablehnenden Bescheid mit der geradezu höhnischen Motivierung: daß er ja selber "keinen Wert" auf sein Buch lege. Die "Philosophie der Geschichte" durfte in Preußen nicht verkauft werden.

Beiträge zur Geschichte der neuesten Literatur#

Die letztere Entscheidung war noch nicht erfolgt, kaum der Brief an Rochow abgegangen, da war bereits wieder ein neues Buch Gutzkows unter der Presse. Er vereinigte seine hauptsächlich im "Phönix" erschienenen kritischen Aufsätze zu dem zweibändigen Werk "Beiträge zur Geschichte der neuesten Literatur", für das er in der P. Balz’schen Buchhandlung zu Stuttgart einen Verleger gefunden hatte. Schon am 16. März 1836 war der erste Band im Manuskript abgeschlossen, wie der österreichische Spion in Frankfurt wissen wollte (Glossy I, 67). Die Vorrede brachte eine gründliche Abrechnung mit dem Stuttgarter Literaturpapst Menzel. So wie die Druckbogen aus der Maschine kamen, sandte der Verleger sie nach Berlin (16. April, 11. und 25. Mai); am 2. Juni erbat er nochmals für den nun fertigen ersten Band das Imprimatur und die Erlaubnis, gleich auf den Titel setzen zu dürfen: "Mit Kgl. preußischer Censur." Da man sich in Berlin ausschwieg, gab er sich weiter keine Mühe; er sandte zwar noch den zweiten Band am 1. August ein lieferte aber das ganze Werk schon vorher im Buchhandel aus; am 4. August konnte Varnhagen von Ense auf der Reise ein Exemplar in Köln kaufen; Kritiken über Band 1 erschienen in der Frankfurter Presse sogar schon Anfang Juli. Derweil lieferte der seit 6. Juni amtierende Spezialzensor John sein erstes Meisterstück. Rochow hatte, gleich als er die ersten Bogen sah (18. Mai), sich gegen die Zulassung des Buches erklärt, auch wenn es nicht "positiv schädlich" sei; die Literatur werde an diesem "flachen und sogar platten" Machwerk nichts verlieren; auch zeige es, daß sich Gutzkow noch keineswegs von der bisherigen "frivolen Bahn" abgewendet habe. Auch ein neuer Brief Gutzkows (4. Juni), der über die Nichtzulassung der "Philosophie der Geschichte" klagte und versicherte, daß er in dem neuen Buche "jede Persönlichkeit, jede gesetzwidrige Beziehung mit strengster Consequenz gestrichen habe", änderte an dem Urteil des Ministers nichts. Ähnlich lautete Johns Urteil vom 20. Juli: bei allem "nicht zu verkennenden Talente des Verfassers, bei manchen einzelnen treffenden Urtheilen und witzigen Äußerungen" blicke doch überall "die Unreife, das Unklare, das leidenschaftlich Verworrene, der Geist der Frivolität, der Mangel einer festen Richtschnur für das Denken und Leben, eines sittlichen Halts, einer religiösen Gesinnung und dabei eine vorwaltende dünkelhafte Arroganz, ein schrankenloser Hochmut bei affektirter Bescheidenheit" hervor. Ganz abgesehen von der "zügellos leidenschaftlichen, rohen und beleidigenden Diatribe" gegen Menzel in der Vorrede enthalte das Buch genug Verwerfliches, um sein Verbot zu rechtfertigen. Dazu genügten schon die Abschnitte über Gans und die Doktrinäre, Heine, Börne und Wienbarg (I, 66-102); Heine und Wienbarg standen ja auf der Liste der jungdeutschen Schriftsteller, von denen man in Preußen überhaupt nicht mehr sollte reden dürfen. Daß Gutzkow überhaupt seine "Geistesgenossen Heine, Börne, Wienbarg, nebst Laube, Mundt und anderen, wenn er sich auch einzeln tadelnd über sie erhebt, doch in einem glänzenden Lichte" darstelle und die Anklage gegen die neuere Richtung für falsch erkläre (I, 243), daß er bei jeder Gelegenheit gegen Polizeimaßregeln, besonders gegen die Zensur angehe, sei "zwar natürlich", beweise aber nur den nicht erfolgten Gesinnungswechsel. "Unstreitig ebenso anstößig und verwerflich, als unrichtig und unklar" erschien dem Zensor die Äußerung S. 77: "Aber Staat als Resultat ist immer Tyrannei, sei es nun mit drei Roßschweifen oder mit Volkstribunen. Staat als Resultat macht eine Form der Existenz absolut, von welcher wir im Gegentheil hoffen, daß sie nur vorübergehend ist und sich in irgendein Niveau auflösen muß." Wie S. 13 der Vorrede zeige, betrachte Gutzkow überhaupt "die Verhältnisse in Deutschland als einen Zustand politischer Auflösung". Das ist glattweg eine Fälschung; Gutzkow spricht allerdings von der "politischen Auflösung" Deutschlands, aber - zur Zeit der Reformation, sie ist ihm eine der historischen Bedingungen der deutschen Literatur seit vier Jahrhunderten. Er kann sich allerdings einen Hinweis auf die Gegenwart nicht versagen: "und die noch währende Staatenmenge". Welchen "frivolen Lebensansichten" Gutzkow zugetan sei, fährt John fort, wie er zum Fatalismus hinneige und das Christentum, das ihm bloß eine historische Erscheinung sei, geringschätze, ergebe sich aus weiteren Stellen der Vorrede (S. 13, 22, 48 und 70) und S. 185 des andern Textes. S. 22 der Vorrede bezeichnet Gutzkow als Durchschnittscharakter der Zeitgenossen den Egoismus, aber dann heißt es: "Unsre Geldaristokratie strebt nach dem falschen Scheine, als wäre sie Dessen würdig, was sie besizt." S. 48 der Vorrede weist Gutzkow nur auf eine merkwürdige Äußerung des "Ketzerrichters" Menzel hin, dem die mohammedanische Vorstellung vom ewigen Leben "weniger abgeschmackt" scheine als die christliche; das ist ein Zitat aus Menzels Buch "Die deutsche Literatur" (2. Aufl., III, 72), das Gutzkow in dieser Vorrede kritisch vernichtet. Als eigene Meinung setzt Gutzkow nur hinzu: "Ich habe gegen die Sache wenig, sondern rüge nur die Inconsequenz des Großinquisitors." S. 70 der Vorrede steht: "Leben ist Leben. Leben ist Leichtsinn. Leben ist Zufall!" Das war für John der Höhepunkt der Frivolität! Und wenn Gutzkow S. 185 die Revolutionsidee mit der Messiasidee verglich und auf Christus exemplifizierte, der auch "nicht anders that, als eine Vorstellung seiner Nation adoptieren, und sich selbst zum Substrat und Subject einer äußeren Thatsache machen", so bezeigte er damit nicht seine geschichtliche Bildung, sondern nur seine Geringschätzung des Christentums! - Johns Urteil genügte dem Oberzensurkollegium, am 9. August beantragte es das Verbot der "Beiträge", und am 20. August gab Rochow dem Verleger die Antwort: weder Band I, noch der erst zu erwartende zweite Band dürften in Preußen verbreitet werden; das Buch gebe, wegen der vorschnellen Versendung durch den Verleger, sogar Anlaß, die Buchhandlungen zu verwarnen und sie (entsprechend einer ältern Verfügung vom 29. August 1832) aufzufordern, sich bei den Verlegern die vorzeitige Zusendung solcher Werke zu verbitten, die einer besondern Verkaufserlaubnis bedürften. - In Leipzig wurde das Buch laut Verordnung des sächsischen Kultusministeriums vom 25. August 1836 konfisziert. Wie weit die Verbote den Absatz der "Beiträge" beeinflußten, ist nicht nachzuweisen, jedenfalls aber "gingen" sie nicht, und der Verleger machte aus den liegengebliebenen Exemplaren 1839 eine "Neue wohlfeile Ausgabe".

Frankfurter Börsen-Zeitung - Frankfurter Telegraph#

Dem "vorbestraften" Schriftsteller wurde demnach der Neuaufbau seiner Existenz nicht leicht, und den eigenen Haushalt, den er am 18. Juli 1836 durch seine Heirat mit der Frankfurterin Amalie Klönne gründete, beschattete oft die Sorge um das tägliche Brot, besonders nach der Geburt eines ersten Sohnes. Ein neuer Roman, "Seraphine", unmittelbar nach der Wally begonnen und im Mannheimer Gefängnis beendet, lag druckfertig in Campes Pult, aber der Verleger zögerte mit der Herausgabe, er wollte jedenfalls erst den Zensursturm verbrausen lassen. Auch ein Zeitungsunternehmen, an dem sich Gutzkow Ende 1836 beteiligte, mißglückte. Mehr als aus den Zeitungsnummern selbst erfahren wir darüber aus den Berichten des preußischen Residenten v. Sydow in Frankfurt an den Minister des Auswärtigen v. Ancillon. Am 13. September 1836 sandte Sydow das Probeblatt und die ersten dreizehn Nummern nach Berlin und gab dazu die Erläuterung: die Zeitung bezwecke die Beleuchtung politischer Ereignisse unter dem ausschließlichen Gesichtspunkt der Börse, es handle sich aber offenbar zugleich um die Gewinnung eines neuen Feldes zur Geltendmachung liberaler Ansichten. Der Redakteur Wilhelm Speyer, früher jüdischen Glaubens, habe durch unglückliche Spekulationen sein Vermögen verloren, ohne jedoch zu fallieren, jetzt sei er Wechselsensal. "Über seine politische Richtung verlautet wenig, doch ist sie gewiß nicht conservativ. Er scheint übrigens für den politischen Theil der Frankfurter Börsenzeitung nur prête nom zu sein. Als hauptsächlichster Mitarbeiter und vermuthlicher Verfasser fast aller bis jetzt erschienenen raisonnirenden Artikel ist mir der Dr. Gutzkow bezeichnet worden, eine Angabe, welcher auch der Herr Graf von Münch ... vollen Glauben beimißt. Für ihre Richtigkeit spricht die Fassung der Artikel, welche eine übrigens zwar geübte, für Politisches aber noch ungelenke Feder verräth ... Die politischen Nachrichten sind zwar mit entschiedener Vorliebe für die Revolution, aber mit großer Ungeschicklichkeit im Übersetzen und Extrahiren zusammengestellt." Die Zeitung polemisiere gegen die "Preußische Staatszeitung" mit "pöbelhaften" Erwiderungen, besonders aber nehme sie die Frankfurter "Ober-Post-Amtszeitung" aufs Korn, deren Redakteur Hofrat Berly ungeschickt genug erwidere. Das gebe wahrscheinlich eine Dauerpolemik, die nur dann gut sei, "wenn die Ober-Post-Amtszeitung dadurch einen Antrieb erhalte, der Halbheit zu entsagen, mit welcher sie, der rechten Gesinnung entbehrend, bis jetzt auf beiden Seiten hinkt". (Dieser Hofrat Berly, mit dem sich Gutzkow trotz allem gut zu stellen wußte, war nicht weniger zweideutig als der noch zu erwähnende Freund Beurmann.) Die Erlaubnis zur Herausgabe des Blattes stehe im Widerspruch zu Artikel 29 der Wiener Schlußprotokolle vom 12. Juni 1834 (Verminderung der politischen Tagesblätter!). Wenn man aber der Frankfurter Behörde Vorhaltungen mache, werde sie sich "jedenfalls hinter dem merkantilischen Zweck des Unternehmens verstecken". Auch der österreichische Resident habe ein Auge auf das Blatt. - Am 24. Oktober folgte ein zweiter Bericht; jetzt meldete Sydow schon bestimmter: „Die Theilnahme des Doctor Gutzkow an der Börsen-Zeitung wird immer unzweifelhafter, und ich muß der Besorgniß Raum geben, daß dessen Aufenthalt an dem hiesigen Orte, wo er mit vielen Personen in naher Beziehung steht, die der revolutionären Parthei offen oder ins Geheim dienen, vielleicht bald schlimme Früchte tragen werde." - Am 27. November antwortete Rochow, er werde auf diese Berichte "Rücksicht nehmen", sobald Gutzkow um Verlängerung seines Passes einkomme. Zur Ermöglichung seiner Heirat war ihm am 23. Juni ein neuer Paß auf ein Jahr ausgestellt worden; Gutzkow hatte am 16. Mai und 4. Juni Rochow persönlich darum bitten müssen. Auch die Ministerialkommission in Berlin beobachtete das Blatt, wie die Minister v. Rochow und v. Mühler (nach Entwurf Tzschoppes) am 6. Dezember meldeten, um die notwendigen Maßregeln zu ergreifen, wenn es "seine bisherige Richtung fortsetze". Ebenso das Oberzensurkollegium, und die Frankfurter Bundesbehörde selbst trug sich schon mit einer Verfügung, der sich aber der bayrische Gesandte vorerst widersetzte. Ehe es dahin kam, war die Börsen-Zeitung schon eingegangen, nur ihr Beiblatt "Frankfurter Telegraph" blieb und "setzt die Richtung fort", wie die Frankfurter Zentralbehörde am 20. Januar 1837 der Ministerialkommission anzeigte.

Daß Gutzkow die Zeitung redigierte und ihre Leitartikel schrieb, gab er in einem Brief an Varnhagen vom 22. September 1836 zu, mit der scherzhaften - aber sehr zutreffenden - Wendung, daß seine Artikel einstweilen "mehr Beobachtung als Beachtung" fänden. Sich öffentlich dazu zu bekennen, sei in seiner Lage "Verwegenheit", er habe schon genug damit zu tun, "ihnen das grelle und verrätherische Colorit zu nehmen" (vgl. meine "Gutzkow-Funde", S. 80). Auch würde der Verfasser der "Wally", dem man das Bürgerrecht verweigerte, keinesfalls das "Privilegium eines Hohen Senats" erhalten haben, mit dem die Börsen-Zeitung stolz erschien. Als verantwortlicher Redakteur des nun allein übriggebliebenen "Telegraph" zeichnete bis Nr. 11 noch Wilhelm Speyer, dann Dr. Eduard Beurmann, der ein enger Freund Gutzkows und aller Jungdeutschen - zugleich im geheimen ein wenn auch wohlwollender Spion für die österreichische Staatskanzlei war! Gutzkow befand sich demnach keineswegs in guter Gesellschaft. Die Tageszeitung war Anfang 1837 in den Verlag von Friedrich Wilmanns übergegangen, der aber nach wenigen Januarnummern auf die Fortsetzung verzichtete. Von Nr. 22 an (Februar) trat er auch vom "Telegraph" zurück, für den jetzt nur eine anonyme "Verlags-Expedition: Allerheiligengasse, B. 79r" firmierte. Als Kommissionär nannte sich im zweiten Halbjahr 1837 der Frankfurter Buchhändler Wilhelm Küchler. Ob sich dieser finanziell beteiligt hat, ist unbekannt. Im ersten Halbjahr aber zahlte Gutzkow selbst die Unkosten aus seiner Tasche. Sehr bald war die Situation schon fast unhaltbar; am 13. Februar schrieb er an Dr. Oppermann: "Die Zahl der Abnehmer ist so gering, daß ich keine Seide, sondern wahrscheinlich nur einen finanziellen Strick spinnen werde. Bis zum 1. July mag es noch währen, dann, wenn mir mein jetziges Manöver mit der heftweisen Form nicht gelingt, bin ich fertig u. verblutet." Aber der Gedanke, doch wieder ein eigenes Blatt zu haben, das ihm zugleich zur Abwehr gegen die massenhaften Angriffe naher und entfernter Gegner diente, auch wenn sein Name völlig ungenannt blieb, ließ ihn bei dem Unternehmen ausharren. Er setzte alle Hebel in Bewegung, um seine Zeitschrift über Wasser zu halten und ihr freieren Spielraum zu verschaffen. Entscheidend dafür war die Einfuhr nach Preußen. Also nochmals eine Supplik an den, von dessen Stirnrunzeln alles abhing.

Am 20. März legte er dem Minister v. Rochow, zu dem ihm wahrscheinlich Freund Laube ein gewisses Zutrauen eingeflößt hatte, ausführlich seine prekäre Lage dar. Durch die Verfügungen der Behörden sei die gegenwärtige Literatur, von der er mit schönem Stolz spricht, "wie eine Conkursmasse zum größten Nachtheile ihrer Entwicklung unter Administration gestellt. Gern räumt man dem Principe ein, daß sich zwischen Drucker, Verleger und Autor schon das Hemmniß der Localcensur stellt. Wenn aber eine Schrift erst in die Ressorts einer entlegenen Verwaltungsbehörde übergehen muß, wenn sie meilenweit versandt und nicht mehr vom allgemein literarischen, sondern von einem speziell administrativen Standpunkte beurtheilt wird, dann hört gewiß der größte Theil einer freien Bewegung in der Literatur wenigstens für den auf, welcher unter eine so drückende Maaßregel gestellt wurde. Ich will nicht sagen, daß ich die Maaßregel nicht verdient hätte, nur die spätere Milderung des Beschlusses, möcht’ ich gern zeigen, daß sie weit entfernt ist, mir überhaupt literarische Thätigkeit möglich zu machen. Ein nicht Preußischer Verleger nähme wohl ein Manuscript von mir; ich bin gewiß, daß es, eingesandt nach Berlin, keinen Einspruch finden würde; allein ich darf schon nicht das Manuscript schicken, sondern der Verleger darf das Buch nur gedruckt einsenden. Er muß von der Voraussetzung einer Zulassung ausgehen, die ich ihm doch nicht schriftlich geben kann. Dazu kommt, daß, selbst wenn meine Schrift zugelassen wird, es doch zahlreiche Buchhändler in kleinen Städten gibt, welche im Amts- oder Buchhändlerblatte diese Zulassung übersehen, kurz der Verleger hat mehr Last mit einer Schrift von mir, als ich ihm Vortheil dafür garantiren kann. Ich mag Niemanden in die Fraglichkeit meiner literarischen Existenz hineinziehen; ich mag Buchhändlern nichts verkaufen, was ihnen unter den jetzigen Verhältnissen so zweideutig und schwierig erscheinen muß. Einem Manne, der seine geistige Produktion nicht zum Handwerke herabwürdigen will, ist es unmöglich, in der Runde bei den Buchhändlern anzuklopfen, die man nicht kennt, und ich kenne keinen einzigen der vermögenderen Preußischen Verleger, deren Firma allerdings einer Schrift von mir die Erlaubnis des freien Verkaufes gestatten würde. Unter diesen Umständen kann ich Ew. Excellenz wohl gestehen, daß die über mich verhängte Preßmaaßregel mich verhindert, irgend etwas, von dessen Werth ich überzeugt bin, zu schaffen [eine Anspielung auf Rochows Antwort vom 13. Mai 1836 über die "Philosophie der Geschichte"!], daß ich meine Gabe nicht bethätigen kann, keinen Einfluß habe und alle die literarischen Grundsätze, die ich für die richtigen halte, und die ich nirgends gewahrt sehe, dem Zufall Preis geben muß. Erlauben mir Ew. Excellenz, mit Erröthen hinzuzufügen, daß ich unter diesen Umständen auch bald um meine bürgerlichen Existenzmittel gebracht werde." Er frage deshalb, ob denn nicht irgendein anderer Zensor in der Preußischen Monarchie seine Arbeiten prüfen dürfe ("Nein!" schrieb Rochow an den Rand); man habe ihm den "Telegraph" zur Redaktion und als Eigentum angeboten (daß er beides schon innehatte, umgeht er); wenn er ihn (unter seinem Namen) herausgebe, käme das also einem Verbot für Preußen gleich, trotz der "außerordentlich strengen Censur, die hier am Sitz des Bundestages herrscht" (zwei Fragezeichen Rochows am Rande!); ob man ihm nicht gestatten wolle, die Zeitschrift in einem näher liegenden preußischen Ort, etwa in Koblenz, drucken und zensieren zu lassen, so daß sie mit seinem Namen in Preußen verbreitet werden könne?

Der so eindringlich angesprochene Minister mochte sich schmunzelnd die Hände reiben ob der guten Wirkung der preußischen Maßregel! Wenn die jungdeutschen Schriftsteller erst nichts mehr zu beißen hatten, würden sie schon zu Kreuze kriechen! Nur jetzt keine Nachgiebigkeit! Was bedeutete für den Staat die Entwicklung der jungen deutschen Literatur, die Existenz des "Telegraph" und seines Herausgebers! Konnte man alle drei mit einem Federstrich aus der Welt schaffen - um so besser! Demnach lautete die Antwort vom 1. April 1837 kurz und bündig, daß der Minister mit Rücksicht auf die Kgl. Bestimmung dem Gesuch nicht willfahren könne. Nur Hofrat John, fügte Rochow zur Erläuterung für sein Bureau der Eingabe Gutzkows hinzu, habe über das Imprimatur zu befinden.

Damit war es also nichts. Blieb noch der Versuch offen, einen wagemutigen und zahlungsfähigen Verleger zu finden. Gutzkow verhandelte mit Heinrich Hoff in Mannheim, der Laubes Schriften übernommen und dem Löwenthal, einstweilen auf die Weiterführung seines Verlags verzichtend, auch die Restvorräte von Gutzkows verpönten Büchern übergeben hatte. Eine Einigung kam nicht zustande, ebensowenig mit dem Buchhändler Fischer in Kassel, wohin sich Beurmann zurückziehen wollte; seine Frau war am dortigen Theater engagiert. Er sollte, immer noch als Vertreter Gutzkows vor der Öffentlichkeit, die Redaktion fortführen. Dabei fehlten Gutzkow, wie die Zahl seiner Bücher beweist, sonst die Verleger keineswegs; nur die dauernde Last seiner Zeitschrift wollte keiner übernehmen, da ihr Vertrieb dort, wo sie verboten war, wesentlich schwerer fiel als die Einschmuggelung eines einzelnen Buches, wofür sich immer Wege fanden; jene Last blieb vorläufig dem Herausgeber. Mit der Frankfurter Zensur stand er auf gutem Fuße; das hinderte leider nicht, daß der Kanzleirat Dr. Fiedler in Gutzkows Nachruf auf Georg Büchner im "Telegraph" (II, 42-44), die "originellsten Stellen" in des letzteren Briefen strich - ein unersetzlicher Verlust, da die Originale nicht mehr existieren und Gutzkow in der späteren Buchausgabe ("Götter, Helden, Don Quichote") die Lücken nur teilweise ausfüllte, wohl um nicht wieder beim Zensor Anstoß zu erregen (vgl. seinen Brief an Büchners Braut M. Jaeglé vom 30. August 1837). Aufsätze für die "Allgemeine Zeitung" in Augsburg, wo ihm der Redakteur Gustav Kolb noch immer die Stange hielt und Cotta gewogen blieb, kamen ebenfalls als von der Zensur beanstandet zurück. Er war schlechterdings durchaus zur anonymen Schriftstellerei verurteilt. Oder zur pseudonymen! Hatte sich nicht Willibald Alexis 1825 bei seinem Roman "Walladmor" keck des Namens Walter Scott bedient und damit Aufsehen erregt? Warum sollte nicht dem Jüngeren eine ähnliche Mystifikation erlaubt sein, wenn die Not ihn zu diesem Ausweg zwang? Gutzkow bejahte diese Frage und schrieb eines seiner besten Bücher "Die Zeitgenossen. Ihre Schicksale, ihre Tendenzen, ihre großen Charaktere. Aus dem Englischen des E. L. Bulwer", und um die Mystifikation vollständig durchzuführen, erschien das zweibändige Werk als "Supplement" zu den verschiedenen deutschen Ausgaben der Werke des berühmten englischen Romanciers. Die ersten Lieferungen kamen schon im April 1837 heraus, und die Zensur scheint sich haben düpieren zu lassen: von einem Verbot wurde nichts bekannt, obgleich in der Presse der Name des wirklichen Verfassers bald durchsickerte und dieses Versteckspiel hämisch von Gegnern glossiert wurde. Dem Renommee des Schriftstellers war damit wenig gedient, ebenso wie fünf Jahre zuvor bei seinem Erstlingswerk, den "Briefen eines Narren", und daß gerade eines seiner kulturgeschichtlich bedeutendsten Jugendwerke unter fremder Flagge segeln mußte, war wirklich eine "Ironie des Satans". Zum Verleger hatte er die ehemalige Brodhagsche Buchhandlung gewonnen, die jetzt anspruchsvoll als "Verlag der Klassiker" firmierte; auch Heine hatte damals mit ihr zu tun. Derselbe Verlag brachte im folgenden Winter, aber jetzt unter Gutzkows Namen, dessen dreibändigen komischen Roman "Blasedow und seine Söhne", den der Buchhändler Trautwein zur Erzielung einer Verkaufserlaubnis in Berlin vorlegte (24. August, 9. Oktober und 18. November 1838); aber der Zensor Grano, in Vertretung Johns, schwang sich zu keiner Begutachtung auf; wenigstens fehlt sie in den mir zugänglichen Akten; in den Polizeiakten ist das Werk ebenfalls nicht als erlaubt geführt, so daß es als verboten zu gelten hatte. Ebenso in Sachsen, wo es noch 1840 in einer Dresdener Leihbibliothek beschlagnahmt wurde.

Bei seinen Büchern war also Gutzkow um die Unterbringung nicht so verlegen, wie er das in begreiflicher Übertreibung dem Minister geschildert hatte, und die Rechnung der Behörden auf seinen Umfall, wenn man ihm nur den Brotkorb höher hing, erwies sich als verfehlt. Daß er als gereifter Mann seine Jugendeseleien anders zu betrachten begann, bleibt dabei selbstverständlich. Nur der "Telegraph" war einstweilen noch immer obdachlos. Unterdes war auch der Moment gekommen, auf den Rochow lauerte, Gutzkows Paß war abgelaufen. Am 15. Juli 1837 mußte er um einen neuen bitten. Nun zeigte sich die Wirkung der Berichte des Herrn v. Sydow. Das Ministerium des Auswärtigen erklärte am 16. Juli mit Bezug auf jene, Frankfurt sei "keineswegs der geeignetste Aufenthaltsort für den p. Gutzkow, welcher dort mannigfache Verbindung mit Personen von schlechtem politischen Rufe zu unterhalten Gelegenheit hat, die er schwerlich unbenutzt läßt. Seine literarische Tätigkeit, welche unter andern in seinen Arbeiten für den factisch von ihm, dem Namen nach von Dr. Beurmann redigierten, sehr schlechten Frankfurter Telegraphen besteht, ist keineswegs löblich, findet aber dort wol Anklang. In Berlin würde seine Anwesenheit nach dem Dafürhalten des Herrn Residenten viel weniger gefährlich seyn, da er hier schwerlich ein so zahlreiches Publikum finden dürfte. Doch zweifelt er daran, daß der Gutzkow, wenn ihm der Paß zum längern Aufenthalt in Frankfurt versagt werden sollte, sich hieher und nicht vielmehr nach einem Orte begeben würde, wo es noch schwerer als in Frankfurt wäre, ihn zu beobachten und wo seine Wirksamkeit noch bedenklichere Früchte tragen könnte."

Das bleibt abzuwarten! dachte sich Rochow, einstweilen hatte man den jungen Mann durch den fehlenden Paß fest "an der Strippe", und wenn er erst, wie ehemals Laube, in Berlin war - -! Also antwortete der Minister am 18. August, er könne dem Gesuch um so weniger entsprechen, als Gutzkow sich in Frankfurt, nachdem er um die Bewilligung des Bürgerrechts eingekommen sei, verheiratet und "sonach ohne Zweifel durch Anlegung einer eigenen Haushaltung ein Domicil im Ausland aufgeschlagen habe". Daß die Freie Stadt Frankfurt dem Verfasser der Wally am 24. November 1835 das Bürgerrecht verweigert hatte, wußte man in Berlin natürlich ganz genau. Den wahren Grund der Paßverweigerung verschwieg man, um den Vogel, den man gegebenenfalls fangen wollte, nicht scheu zu machen.

Was man in Berlin wohl am wenigsten erwartet hatte, geschah: Gutzkow machte Miene, der freundlichen Einladung, wieder unter die Fittiche der preußischen Polizei zurückzukehren, zu folgen. Er antwortete am 20. September dem Minister v. Rochow, wenn man voraussetze, als beabsichtige er aus dem Kgl. Preußischen Staatsverbande auszutreten, so wolle er diese Voraussetzung durch längere Entfernung von seiner Vaterstadt nicht mehr unterstützen. Er wolle heimkehren, da er sich ohne Paß im Auslande nicht halten könne. Man möge ihm aber dann auch ermöglichen, in Berlin für seine Existenz zu sorgen, und ihm die Herausgabe einer dort schon bestehenden Zeitschrift erlauben, die ihm angeboten sei. Als Dokument seiner jetzigen Gesinnung legte er einen großen Aufsatz über den Roman "Die Revolution" von Henrik Steffens bei, eine gründliche Abrechnung der jungen mit der älteren Generation, worin er die Fehler der ersten freimütig zugab, aber sie zur "Verständigung für Verständige" zu erklären suchte durch Geschichte und Erziehung, die beide ja durch die vorige Generation ihren charakteristischen Stempel erhalten hätten. Der Aufsatz war in einer überaus kühnen Sprache geschrieben und alles eher denn ein reumütiges Bekenntnis, zugleich aber auch eine heftige Polemik gegen einen Mann, der als Professor der Berliner Universität mit den preußischen Ministerien enge Fühlung hielt. Bei den vielen Gegnern, die Steffens hatte, durfte diese Erklärung auf Zustimmung rechnen, sie fand sie z. B. bei Varnhagen; eine Empfehlung bei Rochow war sie gewiß nicht! Aber Gutzkow wollte nun endlich Klarheit haben und schloß seinen Brief mit der Ankündigung seines baldigen persönlichen Besuches in Berlin!

Zu der Frage in Gutzkows Brief, wie man sich zu einer Redaktionsübernahme eines dortigen Blattes stellen würde, schrieb Rochow gleich an den Rand: "kann nicht gestattet werden", und dementsprechend wurde ihm am 19. Oktober der Bescheid gegeben, als Redakteur einer Berliner Zeitschrift würde er keinesfalls anerkannt; Aufsätze für andere Redaktionen jedoch dürfe er schreiben, aber nur unter Zensur des Hofrats John. Im ersten Entwurf der Antwort hieß es, etwaige anonyme Artikel von ihm unterlägen der gewöhnlichen Zensur; dies Zugeständnis wurde aber wieder gestrichen. Gutzkow hatte das Schreiben noch nicht erhalten, als er tatsächlich schon auf der Reise nach Berlin war, um durch persönliches Eintreten seinem schriftlichen Gesuch den nötigen Nachdruck zu geben.

"Herr Gutzkow wird in Norddeutschland Gutes würken", schrieb der preußische Generalpostmeister v. Nagler höhnisch an sein Faktotum Kelchner in Frankfurt. Gutzkow hatte zunächst eine Audienz beim Ministerialrat v. Tzschoppe - er war seit 1836, auf sein eigenes Gesuch hin, geadelt -, aber er fand diesen Mann schon in einem geistigen Stadium, das sein baldiges Ende im Irrsinn vorausahnen ließ. Der Aufsatz gegen Steffens hatte ihm nicht übel gefallen, der Geheimrat gefiel sich sogar in gnädigen Witzen, aber größere Preßfreiheit für das Junge Deutschland - auf dem Ohre schien er völlig taub. Nicht anders erging es Gutzkow beim Minister v. Rochow, dem er in einer Abendstunde aufwarten durfte; er hat den Besuch in seinen "Lebensbildern" (1869. 2. Bd.) geschildert, ebenso den bei Tzschoppe. Rochow schenkte ihm wenigstens klaren Wein ein: er führte die Sprache eines altpreußischen Beamten, der an dem Preußen, wie es nun einmal war, nichts geändert sehen wollte, am wenigsten durch irgendeine Konzession an den berüchtigten "Zeitgeist". Dazu seien die Gendarmen kraftbegabt genug! Auf Gutzkows Frage, ob er seinen "Telegraph" nach Berlin verlegen dürfe - das war wohl von vornherein seine Absicht, als er von einer Redaktionsübernahme sprach - antwortete ihm Rochow glatt: "Nein!" und Gutzkows Einwendungen, er schreibe doch dann unter preußischer Zensur, Berlin sei von jeher maßgebend gewesen für Kunst und Literatur, schnitt der Minister mit den denkwürdigen Worten ab: "Nein, wir wollen hier dergleichen nicht!" Seine Verdrießlichkeit taute aber zuletzt auf, und er entließ den Besuch mit dem jovialen Gendarmenwort: "Und noch Eines, Bester! Nehmen Sie sich ja hier mit Ihren Reden in Acht! Man paßt Ihnen auf den Dienst!" Und daß dieser "Diplomatenhumor" kein bloßer Scherz war, beweisen die Akten des Polizeipräsidiums: Gutzkow wurde, wenigstens mehrere Tage lang, genau beaufsichtigt; wo er wohnte, wohin er ging, wen er besuchte usw. ist alles genau festgestellt. Seiner scharfen Beobachtung entging das wohl nicht, und als er obendrein im Kreise seiner Berliner Literaturfreunde den Polizeirat Duncker ganz gemütlich verkehren sah, der ehemals Laube verhaftet hatte, wurde ihm das "Bezähmungsklima" der preußischen Hauptstadt zu drückend: er machte, daß er wieder davonkam, da an eine Zurücksiedelung in seine Heimat ja doch nicht zu denken war, wenn er als Schriftsteller anständig existieren wollte. "Man paßt Ihnen auf den Dienst!" Das konnte ihn unversehens dahin führen, wo Laube acht Monate geschmachtet hatte, in die Berliner Hausvogtei. Diese Spur schreckte. Gutzkow war am 21. Oktober angekommen und hatte sich, ohne Paß, angeblich in der Absicht zu bleiben, beim Einwohnermeldeamt vorgestellt. Am 19. November reiste er über Perleberg nach Hamburg. Aus den Polizeiakten ergibt sich auch, daß er wenigstens eines in Berlin losgeeist hatte: man gab ihm am 17. November einen neuen Paß auf ein Jahr. So war er also in der Lage, sich ohne Belästigung durch die Polizei seinen Wohnsitz frei zu wählen. Das sollte für fünf Jahre Hamburg sein, wo sich nun Hoffmann & Campe zur Übernahme des "Telegraph" bereit fand; denn die Zeitschrift hatte sich durch Gutzkows festes Ausharren allmählich durchgesetzt, wie man auch in Berlin nicht ohne Mißvergnügen hatte zugeben müssen.

Telegraph für Deutschland#

Ohne Gutzkows Namen aber war sie für den Verleger nur eine halbe Sache. Daß bei solcher Bindung durch die Zensur die Stellung eines Autors, auch einem kühnen Verleger wie Campe gegenüber, von vornherein nur eine großmütig geduldete, völlig wehrlose, sklavisch abhängige und unwürdige war, durch die kleinsten Meinungsverschiedenheiten jeden Monat erschüttert werden konnte und in ihrer gedeihlichen Wirksamkeit untergraben blieb, ist selbstverständlich und sollte sich auch in Hamburg nur zu bald zeigen. Aber einstweilen war man im besten Einvernehmen, für den "Telegraph" war Campe der berufene Verleger, und es war nun seine Aufgabe, sich mit der preußischen Behörde darüber auseinanderzusetzen, ob er die Nennung Gutzkows als Herausgeber wagen durfte, ohne in Berlin ein Verbot herauszufordern.

Der "Telegraph für Deutschland", wie er von jetzt an hieß, erschien mit dem Jahre 1838 "Redigirt unter Verantwortlichkeit der Verlagshandlung" bei Hoffmann & Campe in Hamburg, aber schon die Probenummern enthielten Beiträge mit Gutzkows vollem Namen. Sogleich rührte sich der Berliner Polizeipräsident; er fragte am 19. Januar (abgesandt erst 8. Februar) beim Ministerium an, ob die Zeitschrift, deren "ostensibler Mitarbeiter" Gutzkow sei, im hiesigen Debit zu dulden sei, und legte Nr. 5 und 6 als Probe vor. Die beiden Nummern enthielten Gutzkows Artikel "Über die Entsetzung des Erzbischofs von Köln und die Hermes’sche Lehre", Ereignisse, die damals die öffentliche Debatte beherrschten. Gutzkow war diesmal in der Lage, gegen die Hierarchie für die preußische Regierung einzutreten. Am 24. Februar ersuchte der Minister das Oberzensurkollegium um seine Meinung. Es bedachte sich lange; am 23. Juni endlich gab es das Ergebnis einer sorgfältigen Prüfung fast des halben Jahrgangs von sich. Das Schriftstück ist von Tzschoppe entworfen, von ihm, Neander und Lancizolle unterzeichnet. Es besagte, Gutzkow sei nicht nur als Mitarbeiter, sondern als Mitredakteur anzusehen; einige seiner Aufsätze seien untadelhaft, andere, die mutmaßlich von ihm stammten, nicht. Auch Beurmann liefre Beiträge. Im allgemeinen gehe durch das Blatt "ein Geist, dessen Verbreitung nicht erwünscht" sei. Besondere Teilnahme widme es den sieben Göttinger Professoren, die der König von Hannover damals Knall und Fall entlassen hatte, weil sie gegen seinen Verfassungsbruch protestierten. S. 419 spreche es von Prof. A. Böckh und seiner "beneidenswerthen Popularität", die er sich "durch die Festigkeit erworben, mit der er das Ansinnen, in eine Censur-Behörde zu treten, zurückgewiesen". Die Sache war durchaus richtig, und das Kollegium erinnerte den Minister daran, "daß des Königs Majestät den Professor Böckh zum Mitglied des unterzeichneten Collegii ernannt hatte, er aber diese Allerhöchste Berufung ablehnte"! Auch gegen die Berliner Zensur bringe S. 383 eine unangemessene Bemerkung - Gutzkow hatte aus einem Leipziger Blatte die Bemerkung übernommen, "ein ganz neuer Geist" gehe seit den Kölner Ereignissen in das preußische Zensurwesen über, womit er wohl der Behörde das größte Kompliment gemacht zu haben glaubte; allerdings hatte er hinzugefügt, man müsse auch neue Zensurbeamte einstellen - sollte wohl heißen: Hofrat John muß beseitigt werden! -, denn nichts werde so leicht zur Manie, wie das Streichsystem eines Zensors und der "Fanatismus in der Befolgung seiner Instruktionen"; die "wahrhafte Scheu vor dem heiligen Rechte des Autors" werde ihm immer fremd bleiben. - S. 657 sei sogar ein Gedicht von Heinrich Eimer abgedruckt, einem Teilnehmer am Frankfurter Attentat von 1833, der auf der badenschen Festung Kislau sitze - lebenslänglich; eine Fußnote der Redaktion enthalte zwar keine Anerkennung seines Verbrechens, sondern nur Teilnahme für sein Unglück. Aus allen diesen Gründen sprach sich das Oberzensurkollegium gegen die Zulassung aus.

Gegen ein Verbot hatte aber Minister v. Rochow Bedenken. Gutzkow, erwiderte er am 26. Juli, als das neue Halbjahr längst angefangen, sei vielleicht mehr als bloßer Mitarbeiter, aber doch nicht als Mitredakteur genannt, daher könne man das Blatt nach den gesetzlichen Bestimmungen nicht einfach aus Preußen verbannen. Ein besonderes Verbot sei aber vom Oberzensurkollegium nicht genug begründet; auch habe man bei der "Zeitung für die elegante Welt", an der Wienbarg und Mundt mitarbeiteten und die außerdem fortgesetzt gehässige Aufsätze über preußische Verhältnisse bringe, statt eines Verbots nur eine Warnung der Redaktion und des Verlags ergehen lassen. Das werde auch beim "Telegraph" genügen. - Daraufhin erließ der Minister des Auswärtigen v. Werther am 5. August eine solche Verwarnung ziemlich mit den Worten des Oberzensurkollegiums und verlangte, Hoffmann & Campe müßten Aufsätze von Gutzkow und Beurmann vor dem Druck zur Rezensur (sic!) durch John vorlegen.

Nun hatte Campe das Wort. Am 17. August antwortete er: der "Telegraph" sei schon 1837 unter Gutzkows Redaktion in Frankfurt erschienen und unbeanstandet nach Preußen eingeführt worden. Das Verbot des "Jungen Deutschlands" durch Preußen vom 14. November 1835 beziehe sich offenbar nur auf Bücher, da ja auch andere Journale ungehindert erschienen: das "Morgenblatt", in dem jüngst Heines "Florentinische Nächte" standen, der "Phönix", die "Literarischen und Kritischen Blätter der Börsenhalle" und die Hamburger "Neue Zeitung" mit Artikeln von Wienbarg unter dessen Namenschiffre, die "Zeitung für die elegante Welt" mit Beiträgen Mundts und Wienbargs, die "Mitternachtszeitung", die Laube länger als ein Jahr redigiert habe - aber ohne Nennung seines Namens! - und für die er jetzt noch arbeite, die "Baltischen Blätter", für die Mundt schreibe, der außerdem ein eigenes Journal "Freihafen" in Altona herausgebe, das in Berliner Zeitungen angekündigt werden dürfe. Er hatte also die gleichen Einwände wie Minister v. Rochow. Den "Telegraph" einer preußischen Rezensur zu unterwerfen, das erlaube "die einmal herrschende Buchhändlerverfassung" nicht, das würde den ganzen Verkehr zerstören. Um aber sein Entgegenkommen zu zeigen, wolle er die ohnehin geringe Teilnahme Beurmanns in Kassel ganz sistieren und, so nachteilig das auch sei, Gutzkow veranlassen, seinen Namen dem Blatt "gänzlich zu entziehen" und nur dann noch persönlich aufzutreten, wenn er eine Erklärung abzugeben habe. Allerdings sei der "Telegraph" bis Nr. 138 schon gedruckt, daran lasse sich nichts mehr ändern; aber von Nr. 139 ab würden der Regierung "die Bemühungen des Verlags erkennbar sein".

Da Campe mit seinen Hinweisen ganz recht hatte, vermied man es natürlich, auf weitere Auseinandersetzungen mit ihm einzugehen. Am 11. September ließ Minister v. Werther durch den preußischen Gesandten in Hamburg v. Hänlein der dortigen Zensurbehörde und dem Verlag eröffnen, der "Telegraph" werde verboten werden, wenn er Aufsätze von Schriftstellern des "Jungen Deutschlands" bringe, ohne sie "vor Abdruck der preußischen Rezensur" unterworfen zu haben - ein Widerspruch in sich, denn Rezensur war ja eben Prüfung nach Abdruck! - und wenn weiterhin Artikel wie die vom Oberzensurkollegium gerügten erschienen. Dem mußten sich Verlag und Zensurbehörde wohl oder übel fügen, der Name Gutzkows verschwand also so gut wie ganz aus dem Blatt, nur bei Gedichten oder polemischen Erklärungen trat er selten noch hervor. War die Hamburger Zensur auch bei weitem liberaler als die in Frankfurt - ein Gedicht von Anastasius Grün an Jakob Grimm durfte im "Telegraph" 1838, Nr. 33, wenn auch mit Kürzungen erscheinen, in Frankfurt hatte man es für den "Phönix" gestrichen -, so suchte sie doch das Äußerste zu verhindern ; sie ließ z. B. ein Epigramm Gutzkows gegen Metternich nicht durch, das in der Sammlung von Epigrammen erscheinen sollte, die Gutzkow in Nr. 108 des "Telegraph" für 1839 (Juli) veröffentlichte - der einzige Beitrag, zu dem er sich in diesem Jahrgang mit Namen bekannte. Wußte auch jeder Leser, wen er unter den Buchstaben "K. G." oder "G." vor sich hatte, und verriet auch der Stil so manches anonymen Artikels seinen Urheber, so war dieses immer noch gebotene Verschwinden vor der Öffentlichkeit dem Schriftsteller allmählich verdrießlich, er verlor die Lust an der redaktionellen Tätigkeit, um so mehr als ihn andere Arbeiten immer stärker in Anspruch nahmen, vor allem seine Dramen.

Seraphine#

Was sonst an Büchern Gutzkows in diesen Jahren erschien, wanderte regelmäßig zur Rezensur nach Berlin. So seine "Seraphine", der erste Roman Gutzkows, der nach der "Wally" erschien und jetzt endlich ausgegeben wurde. Am 6. Januar 1838 überwies das Oberzensurkollegium das Buch an John, und dieser faßte am 17. sein Urteil dahin zusammen: Von Seiten der Kritik - die des Zensors Aufgabe gar nicht war! - sei viel gegen dieses "farblose Machwerk" zu sagen; vom Zensor wenig. Ein Pfarrer, der als Gegner der preußischen Agende bezeichnet werde (S. 58), die Charakteristik eines alten Ministers und der "damaligen Regierungsverhältnisse" (S. 224 und 238) und dessen Unterredung mit einem "jüdischen Schriftsteller" (S. 220 bis 232), mit dem nach dem angeführten Titel zweier Schriften (S. 226) der bekannte Joel Jacoby gemeint sei - das waren die einzigen Flecken, die John an dem Buch entdeckte. Er stellte daher dem Kollegium die Debitserlaubnis für das "im Ganzen unbedeutende und seichte Machwerk" anheim, daraufhin gab Rochow es am 28. Februar frei, und am 3. April benachrichtigte die Polizei die Buchhändler. Verwunderlich ist, daß John nicht auf eine Stelle jener Unterredung zwischen Minister und Schriftsteller besonders aufmerksam machte, wo dieser sein literarisches Programm zur Bekämpfung des Liberalismus entwickelt und seine strategischen Mittel dafür aufdeckt. Da heißt es (S. 231): "Zuletzt muß man sich an die Ausdrücke gewöhnen, welche in den neueren Censuredikten vorkommen. Man muß von einem Buche, das etwas frei, etwas subjektiv, kurz etwas modern geschrieben ist, sogleich sagen: Dies Buch ist in einem schlechten Geiste geschrieben! Es muß gar nicht darauf ankommen, diesen Geist zu analysiren, zu beweisen, warum der Geist eigentlich nicht schlecht, sondern nur unbrauchbar ist, sondern man muß aus einer Sache der Politik sogleich eine Sache der Moral machen. Ebenso muß man sich an den Ausdruck falsche Lehren gewöhnen. Denn es ist zu weitläuftig, nachzuweisen, daß sich diese oder jene Idee da oder dort verzweige. Man muß durchaus nicht thun, als wenn irgend Etwas in Frage gestellt werden könne. Man muß das herrschende System: die Wahrheit nennen und ihre Widersprüche nicht mehr für Irrthümer, sondern geradezu für falsche Lehren ausgeben. Falsche Lehren, schlechter Geist, sind kategorische Ausdrücke, die Alles umfassen, was man an den Erscheinungen der Zeit in ihren einzelnen Mißlichkeiten und Bedenklichkeiten fest anatomiren müßte." Dieses probate Rezept, mit dem der damals bei der Regierung noch keineswegs gut angeschriebene Joel Jacoby gewirtschaftet hatte und das demnach eine Satire auf ihn, auf Menzel und auf die - Zensur selbst war, belohnt der Minister im Roman mit einer Kassenanweisung. Eine schlagendere Satire auf die damalige Zensurwirtschaft war kaum möglich. Aber das Oberzensurkollegium schloß offenbar krampfhaft die Augen und wollte nicht einräumen, daß mit jenen satirischen Worten seine eigenen Erlasse, in denen der "schlechte Geist" eines Buches eine so große Rolle spielte, persifliert waren; vielleicht gönnte es dem Jacoby diesen Denkzettel, es war ja ganz erfreulich, wenn sich die Schriftsteller untereinander abschlachteten - nur war Gutzkow in diesem Falle der Scharfsichtigere: Jacoby ging den Weg zu Ende, den ihm Gutzkow hier prophezeit hatte, und endete als Geh. Regierungsrat im preußischen Pressebureau!

Die rothe Mütze und die Kapuze - Götter, Helden, Don Quixote#

Nicht so glücklich kam eine Broschüre davon, die Gutzkow, noch dazu fast ganz im Sinne der preußischen Regierung, gegen Joseph Görres und seinen "Athanasius" schrieb: "Die rothe Mütze und die Kapuze". Akten darüber haben sich bisher nicht gefunden, nur die Notiz des Polizeipräsidenten v. Gerlach, daß er am 30. März 1838 die Beschlagnahme angeordnet habe. Jedenfalls geschah das der Konsequenz wegen, denn der "Athanasius" selbst war am 16. Februar auch verboten worden. - Ebenso erging es Gutzkow mit einem neuen Buche, das er schon im Juni 1837 einem Verleger angeboten hatte, einer Sammlung seiner besten Aufsätze für den "Telegraph": "Götter, Helden, Don Quichote". Diese ausgezeichnete Essaisammlung, in der Shelley, Büchner und Grabbe die Götter darstellen, um die sich als Helden Immermann, Varnhagen, Schadow, die jungdeutschen Kollegen Heine, Mundt, Laube und Schlesier und noch etliche andere gruppieren, während Joh. Minckwitz, Joel Jacoby, Löffler und Henrik Steffens als Don Quichote paradieren - ursprünglich sollten sie "Affen" heißen! - lag im Juni 1839 der Berliner Rezensur vor. Der Zensor Grano (Sohn), in Vertretung Johns, erklärte am 15. Juni die Schrift für sehr gemäßigt und ruhig, nur der letzte Teil, der von den Beschuldigungen gegen das "Junge Deutschland" rede, führe eine heftigere Sprache. Gutzkow bezeichne zwar einige seiner älteren Schriften als jugendliche Verirrungen und benutze die Gelegenheit "geflissentlich, um Loyalität, religiöse Gesinnung, Verehrung des Göttlichen und Achtung vor dem Kirchlichen" zu zeigen. Das hindere ihn aber nicht, "alte Sympathien zu hegen", Heines Genialität herauszustreichen und die Gegner der jüngeren Literatur, besonders Steffens, mit entschiedener Antipathie, zum Teil bitter sarkastisch zu behandeln, ja zu mißhandeln. Ein Verbot wollte zwar Grano nicht vorschlagen, das überließ er dem Oberzensurkollegium, und dieses, vertreten durch die unvermeidlichen Neander und Tzschoppe, untersagte am 12. Juli 1839 in einem Schreiben an den Berliner Buchhändler Trautwein, der das Buch eingereicht hatte, den Verkauf in Preußen.

Jahrbuch der Literatur#

Ein Verbot seitens Preußens traf auch das "Jahrbuch der Literatur", das Hoffmann & Campe verlegte, der auch die drei zuletzt genannten Bücher Gutzkows herausbrachte. Die Pièce de résistance des "Jahrbuchs" war Heines "Schwabenspiegel" (vgl. den Artikel: Heine). Aber auch den übrigen Beiträgen zu diesem von Gutzkow hauptsächlich redigierten Almanach widmete der Zensor Grano, der immer noch den oft kränklichen John vertrat, ausführliche Erörterungen. Über Gutzkows Abhandlung "Vergangenheit und Gegenwart", die für seine Biographie und die Psychologie des jungdeutschen Zeitalters von größtem Wert ist, sagt er folgendes: "Obwohl Gutzkow in diese [Abhandlung] unverkennbar die Geschichte seiner eigenen Entwicklung hineinträgt und als eine Erfahrung außer ihm so manches Erlebnis seines innern Menschen hinstellt, so läßt sich dennoch die tiefe und sichere Erfassung seines Gegenstandes und die Wahrheit nicht läugnen, mit der er die einzelnen Bildungsstadien der neuen poetischen Tätigkeit aufgefaßt hat. Indessen liegen auch in dieser, im Ganzen ruhig gehaltenen Darstellung Dokumente in hinreichender Zahl vor, aus welchen sich der Nachweis führen läßt, daß sich bei ihm diejenige Lebensperiode noch nicht geschlossen hat, in der es wünschenswerth bleibt, sein ungewöhnliches Talent gegen die eigene mangelhafte Einsicht in Schutz zu nehmen. Der burschenschaftliche Schwärmer Gutzkow träumte nur 3 Dinge in Preußen notwendig (S. 3): eine Verfassung, Preßfreiheit und ein Drittes, das er vergessen, - bis ihn Sct. Marc Girardin, Gans und die Julirevolution in die Bahn der Politik und den Entwicklungsgang warfen, welchen er als den der neuesten Literatur darstellt und der selbstredend noch als der seinige angesehen werden will. [Weitere Inhaltangabe.] Er klagt viele Seiten hindurch über Menzels Lüge, über die solidarische Verantwortlichkeit, welche auf ihn und seine Genossen gewälzt, und die Unvorsichtigkeit dieser und die Maßregeln des Gouvernements, ohne zu bedenken, daß er durch seine eigenen Beiträge, aus einer an und für sich harm- und tadellosen Tendenz der neuesten Literatur eine gefahrvolle Bewegungsliteratur herausbildete. Noch jetzt sucht sein Unmuth nach gehässigen Quellen außer ihm, obwohl ihm die eigene Erfahrung die Einsicht aufdringen mußte, daß sein positives Streben nur dann zu einer heilsamen Wirksamkeit führen konnte, wenn seine Spekulationen die der Wirklichkeit feindseligen Bestandteile ausschieden und er den vulkanischen Boden verließ, der jede Vermittelung zurückweist und auf dem eine Welt idealer gesellschaftlicher und öffentlicher Zustände improvisirt wurde, welche die bestehende Ordnung der Dinge und die sie schätzenden zählenden Kräfte unberücksichtigt ließ. Ebensowenig hat Gutzkow bis jetzt seine oppositive Stellung verlassen ... Religion und Sitte bleiben dagegen unberührt, obwohl Mundts Bekehrung zu den sogenannten zeitgemäßen Tendenzen etwas frivol, selbst in den Worten, mit der Bekehrung des Apostels Paulus assonirt."

Schückings Aufsatz nennt Grano in der äußern Form mangelhaft und ungleich. Oppermann halte sich in den Grenzen ruhiger Besonnenheit mit Ausnahme der Seiten 291 und 299. Kyaus Satire gegen die modische Pietisterei und das Muckertum scheine persönliche Richtungen zu verfolgen (Name Tollmuck [Tholuck hieß ein bekannter orthodoxer Theologieprofessor]), sei aber zu aphoristisch, um zureichend begründete Schlüsse zu ziehen. Wie Wihls Aufsatz zu seiner Überschrift komme, sei unbegreiflich. - Im ganzen setze das Jahrbuch allerdings "besonnene Leser" voraus, wenn es nicht zur Verbreitung und Befestigung von Irrtümern dienen solle, deshalb sei er dafür, den Antrag des Buchhändlers Trautwein auf Verkaufserlaubnis zurückzuweisen. Das geschah durch Ministerialdekret vom 9. Dezember 1839.

Skizzenbuch#

Erlaubt wurde dagegen eine neue Essaisammlung Gutzkows, sein "Skizzenbuch", das bei der Krieger’schen Verlagshandlung (Th. Fischer), Kassel und Leipzig, 1840 erschien. Granos Niederschrift darüber ist fast literarisch zu nennen. Gutzkows Äußerung: "Goethe schrieb gegen das Licht" (in seiner Stellung am Schreibtisch!) erinnere an die Zeit, da er noch als "Champion Menzels" gegen Goethe polemisierte; in der "Criminalerinnerung" werde Jakob Venedeys mißlungene Flucht aus dem Mannheimer Gefängnis geschildert. In den Reisebriefen "Der jüngste Anacharsis" sei der Abschnitt "Mangel der Erziehung" anstößig, er werfe die Frage auf, warum den Kronprinzen nicht gelehrt werde, von ihren Thronen herabzusteigen und mit Würde im Exil zu leben. Außerdem spotte Gutzkow, frei nach Heine, über Potsdams militärische Uniformität und variiere zum Schluß das haud soli cedit auf eine wenigstens nicht patriotische Weise. In dem Märchen "Die literarischen Elfen" sei mit Gumal Gustav Pfizer gemeint. S. 285 werde ein Brief des Außenministers an Gustav Schlesier erwähnt, aber wohl nur scherzhaft. Im ganzen sei das Buch ungefährlich. Granos Urteil schloß sich das Oberzensurkollegium an (17. März), und am 6. April 1840 erlaubte Rochow den Verkauf, nicht ohne Bedenken; am 11. Mai gab die Polizei den Beschluß an die Buchhändler.

Börne’s Leben#

Verboten aber wurde wieder "Börne’s Leben", worin Gutzkow in einer geharnischten Vorrede Heines Börnebuch abfertigte. John empfahl am 21. April 1841 die Freigabe: zwar müßten bei sorgfältiger Zensur manche Stellen darin beseitigt werden; aber Gutzkow stelle in der Vorrede Heine in seiner Nichtswürdigkeit dar und brandmarke ihn; seit die Schriftsteller des "Jungen Deutschlands" sich gegenseitig befehdeten und die Kritik sich an ihre Schriften mache, sei Gutzkows Stimme überhaupt nicht mehr sonderlich von Bedeutung. Auch walte in dem Buch eine weit größere Mäßigung, es zeige "geflissentlich eine Anerkennung der monarchischen und religiösen Prinzipien". - Das Oberzensurkollegium aber dachte anders, die Verherrlichung Börnes, wenn auch auf Kosten Heines, schien ihm bedenklich, es antwortete am 14. Juli 1841 dem Antragsteller Trautwein ohne jede Begründung, daß es sich nicht veranlaßt finde, die Debitserlaubnis höheren Orts zu beantragen.

Telegraph für Deutschland#

"Börne’s Leben" war wieder bei Hoffmann & Campe erschienen, mit dem sich Gutzkow mittlerweile entzweit hatte, und wäre nicht der "Telegraph" gewesen, dann hätte die Verbindung mit Campe schon vorher ein Ende gefunden. Die Zeitschrift nannte eine Menge literarischer Namen; der des Herausgebers wurde nur in Ausnahmefällen sichtbar. Auch nach dem Tode Friedrich Wilhelms III. und dem Regierungsantritt seines Nachfolgers (Juni 1840) wagte sich Gutzkow aus dieser Zurückhaltung nicht heraus, denn die Ausnahmemaßregeln gegen das "Junge Deutschland" bestanden nach wie vor, und trotz aller liberalen Verheißungen blieb es beim alten; Rochow und Tzschoppe waren noch immer auf ihren Posten. An dem Buchstaben des Gesetzes mußte man sich so genau wie möglich halten. Das schloß nicht aus, daß man der freieren Regung in der deutschen Presse unter dem neuen Regime huldigte und in seinen Äußerungen kühner wurde. Im Januar 1841 erhielt Gutzkow aus Breslau ein "Räthsel" geschickt, das dort schon in zahlreichen Abschriften kursierte: Ein Vater verspricht seinem Kinde ein Goldstück; nachdem es den Lohn verdient hat, wird es jedoch mit Spielpfennigen abgefunden, das Goldstück aber aufgehoben, bis es "an der Zeit" sei; der Vater stirbt, und als das Kind von seinem Stiefvater das Erbe fordert, verweist jener es auf seine Spielpfennige und steckt die Münze in die eigene Tasche. Die Schlußfrage: "Wer war das Kind, wer der Papa?" war kaum mehr ein Rätsel: das Goldstück war die seit 1813 versprochene Verfassung, die dem preußischen Volke, dem großen Kinde, noch immer vorenthalten wurde. Ob Gutzkow den Verfasser kannte, ist unsicher; es war Friedrich v. Sallet, ehemals preußischer Offizier, der Verfasser des "Laienbreviers" und zahlreicher politischen Gedichte; er wohnte in Breslau. Um die Beziehung auf Preußen noch kenntlicher zu machen, setzte Gutzkow, als er das Manuskript für Nr. 11 des "Telegraph" in Satz gab, den Herkunftsort Breslau darunter. Der Hamburger Zensor strich das Gedicht; die Zensurbehörde jedoch gab es frei, nur mußte der Name Breslau fallen; so geradezu wollte man es mit Preußen nicht verderben. Die Nummer wurde gedruckt, in Hamburg ausgeliefert und auch auf die preußische Post gegeben. Als aber Campe sie sah, bekam er einen Schreck, sandte noch spät abends eine Stafette nach Berlin man möge die Auslieferung sistieren, ließ schleunigst das Blatt neu drucken, worin das Gedicht von Sallet durch ungefährliche Lyrik ersetzt war, und sandte sie hinterdrein, mit der Erklärung, im ersten Druck seien zu viele Fehler stehengeblieben. Bezeichnend für das Verhältnis zwischen Herausgeber und Verleger ist, daß Campe nichts Eiligeres zu tun hatte, als ein Exemplar der unterdrückten Nummer an Hoffmann von Fallersleben in Breslau zu schicken und durchblicken zu lassen, "der Lumpazy" Gutzkow, der stets im "Telegraph" auf Hoffmann stachele, habe durch die Ortsbezeichnung Breslau ihm etwas "einbrocken" wollen (vgl. Hoffmann, "Mein Leben" III, 182ff.). Hoffmann als Professor der Breslauer Universität hatte allerdings Anlaß, vorsichtig zu sein; das zeigte sich ein Jahr später, als er wegen des zweiten Bandes seiner "Unpolitischen Lieder" relegiert wurde. Gutzkow wiederum bezeichnete Campes Vorsicht als "Feigheit" (an Moritz Carriere, 18. Februar 1841). Tatsächlich hatte Campe durch sein schnelles Eingreifen den "Telegraph" für diesmal "gerettet". Das Rätsel machte ungeheures Aufsehen in Hamburg, sogar der "Temps" brachte, wie Gutzkow an Alexander Jung (21. März) schrieb, "eine lächerlich verkehrte Darstellung dieses Quiproquos". Der preußische Gesandte in Hamburg, v. Hänlein, sandte am 16. Januar die vom Verleger selbst konfiszierte Nummer nach Berlin mit einer Darlegung des Sachverhalts, riet aber, der Sache keine Wichtigkeit beizulegen. Die Minister waren damit einverstanden (19. Januar), wiesen aber am 21. Februar erneut das Oberzensurkollegium auf die Zeitschrift hin, deren "böswillige Tendenz nach Anlage keinem Zweifel unterliege". Abschriften des Rätsels finden sich in den verschiedensten Ministerialakten. Das Oberzensurkollegium (Tzschoppe und Neander) antwortete aber (29. März), in seinem Exemplar stehe das Gedicht nicht. Daraufhin erhielt Hänlein nochmals den Auftrag, Genaueres zu ermitteln, wußte aber (26. April) nur noch zu melden, Campe habe infolge der vielen Anfragen noch manches Exemplar der unterdrückten Nummer verschickt, wodurch der Verleger nun wieder in sehr üblem Lichte dastand. Der Berliner Polizeipräsident v. Puttkamer stellte durch Recherchen fest: Campe habe sofort Ersatz geschickt, das Postamt habe aber die zuerst eingelaufenen Nummern schon verteilt gehabt; nur wenige Exemplare habe das Debitskontor zurückerhalten können. In öffentlichen Lokalen seien die Nummern bereits von den Lesern "entfernt" worden. Nach Auskunft des Hamburger Postmeisters Schmückert sei nur die preußische Post mit den Originalnummern versehen worden.

Daß man nach diesem Vorfall, der das lange Sündenregister Campes neu belastete, in Berlin nur auf die Gelegenheit wartete, ihm einen ordentlichen Denkzettel zu geben, ist begreiflich. Diese Gelegenheit bot Campe bald. Im Herbst 1841 brachte er eine anonyme Schrift "Der Bischof Draeseke und sein achtjähriges Wirken in preußischen Staaten", die in Preußen ungeheures Ärgernis erregte, weil sie offenbar auf amtliche Quellen zurückging. Man wollte den Verleger zwingen, den Namen des Verfassers zu verraten; da er sich weigerte, wurde am 8. Dezember sein ganzer Verlag verboten. Nach außen hin begründete man das Verbot aber weniger mit jener Schrift, auf die man nicht noch die Aufmerksamkeit lenken wollte, sondern mit dem zweiten Teil der "Unpolitischen Lieder" von Hoffmann von Fallersleben und mit den anonym erschienenen "Liedern eines kosmopolitischen Nachtwächters" von Franz Dingelstedt, die beide eben damals großes Aufsehen machten und der Unzufriedenheit der Behörden reichlich Stoff boten.

Damit war auch der "Telegraph" für Preußen verboten, also gerade das eingetreten, was Gutzkow durch die dauernde Unterdrückung seines Namens zu verhindern gehofft hatte. Die Zukunft der Zeitschrift, die unterdes an Abonnenten gewonnen hatte - sie zählte ihrer 600! - und eine, wenn auch bescheidene, Sicherung seiner Existenz bildete, war damit gefährdet. In Bayern bestand ein Postverbot gegen den "Telegraph", in Österreich war er ganz verpönt; anfangs gingen 130-150 Exemplare dorthin, März 1841 nur noch 12, die "verstohlen durchschlüpfen" (Campe an Dingelstedt, 9. März). Gutzkow wollte deshalb sein Verhältnis zu Campe lösen, um nicht unter jenen Verboten zu leiden, aber sich auf alle Fälle das Blatt sichern. Er richtete daher an den Minister v. Rochow am 2. Januar 1842 eine Darlegung seines jetzigen Verhältnisses zu Campe; er sei mit ihm völlig zerfallen, habe zwei Jahre bei ihm kein Buch verlegt und werde seine weiteren Schriften in Leipzig erscheinen lassen. Den "Telegraph" könne er als Erwerbsquelle nicht entbehren, trotz seiner Erfolge auf der Bühne, solange ihm diese nicht eine Stellung als "Theaterdichter" eintrügen. Seit Jahren bemühe er sich, Vergangenes vergessen zu machen - vergeblich! "Hoffmann & Campe sind reich, diese trifft der harte Schlag weniger, als mich. H. u. C. können einstweilen ihren Verlag einstellen, ich aber kann meine Zeitschrift nicht einstellen, u. auf diese fällt jetzt ganz allein die nächste Rückwirkung des Generalverbots, auf mich, der ich seit zwei Jahren mit dieser Buchhandlung verfallen bin, nicht ihr Comptoir betreten habe, durch die Bühne bemüht bin, mir, unabhängig von diesen Herren, eine andre Existenz zu gründen!

Hoffmann u. C. finden eine große Genugthuung darin, daß es vor der Welt scheint, als wenn auch mir diese Strafe gölte. Ich finde diese gar nicht. Ich habe mir die Feindschaft vieler Leute zugezogen, die nicht begreifen, warum ich gegen Hoffmann von Fallersleben opponire, ich habe entschieden abgelehnt, einen größern Artikel über den cosmop. Nachtwächter zu schreiben, ich stehe mit Hoffmann u. Campe über kein einziges Buch mehr in Verbindung, warum soll ich Märtyrer von Schriften sein, von denen ich die eine nicht mag und die andre nirgend empfohlen, ausführlich nicht angezeigt habe?! Unglück ist zwar in meiner dornigen Laufbahn noch immer mein Loos gewesen, aber wozu soll ich jetzt in einem andern Lichte erscheinen, als dem, das die Wahrheit mit sich bringt?

Es existiren hier in Hamburg drei Buchhandlungsfirmen: Hoffmann & Campe, Julius Campe, August Campe. Der Telegraph ist gestern nicht mehr bei Hoffmann u. Campe, sondern mit der mittleren Firma erschienen, wie Anlage zeigt. Ich gebe mich der Hoffnung hin, daß Ew. Excellenz auf diese Veränderung hin die freie Praxis dieser Zeitschrift innerhalb der Preußischen Monarchie nicht hindern werden."

Gutzkow fügte als Belege, außer Nr. 1 von 1842, die Nummern 198 und 200 des Jahrgangs 1841 bei; in der ersten hatte ein ungenannter Mitarbeiter aus Göttingen den Dichter der "Unpolitischen Lieder" in Schutz zu nehmen versucht, während die Redaktion (Gutzkow) die "stumpfe Pointe dieser Hoffmann’schen Witze, die Suffisance dieser Gesangsmanier und die Seichtigkeit der poetischen Anschauungen und politischen Auffassungen des Herrn Hoffmann" niedriger hängte und an Stelle des "nüchternen und unpoetischen" zweiten Teils auf die "wahr empfundenen, wirklich schönen politischen Gedichte" von Dingelstedt und Herwegh verwies. Die "Nachtwächterlieder" waren nicht direkt genannt, jeder Leser aber mußte schließlich an sie denken, wenn Dingelstedt auch vordem, und nicht anonym, schon andere politische Gedichte veröffentlicht hatte. Nr. 200 sprach von Gutzkows Aussicht auf einen Dramaturgenposten in Darmstadt, und in dem Brief an Rochow deutete er weiterhin noch an, daß er am liebsten in Berlin lebe - tatsächlich korrespondierte er 1841 mit dortigen Freunden wie M. Carriere über eine mögliche Dramaturgentätigkeit am Berliner Hoftheater, wo seine Dramen erfolgreich aufgeführt wurden. Bestand eine solche Aussicht, so war sie durch die neue Polizeimaßregel jetzt völlig beseitigt. Daher schrieb er noch in dem Brief an Rochow: "Ich muß in meiner traurigen Stellung ausharren, gezwungen an all den Wirrsalen des Tages Theil nehmen und nun wieder durch eine mir fremdgewordene Buchhandlung ein neues Unglück erleben, das ich selbst durch nichts verschuldet habe!"

Auf den Minister machte die Eingabe keinen Eindruck. Er erklärte am 15. Januar, politisch sei der "Telegraph" zwar unschädlich, sonst aber spiegele sich "in keiner Zeitschrift die Flachheit und Anmaßung der jungen Schule" so treu wider; er sei daher nicht für Ausnahmen. Die Minister Eichhorn und Werther bekundeten ihr Einverständnis (28. Januar), und der Erfolg des Gesuches war, daß der Generalpostmeister v. Nagler den ausdrücklichen Befehl erhielt, den Debit der Zeitschrift einzustellen. Daß die Firmen Hoffmann & Campe und Julius Campe "Jacke wie Hose" waren, mußte Gutzkow allerdings in Berlin als bekannt voraussetzen; man erklärte dort ganz zutreffend diesen Firmenwechsel, wie er übrigens in solchen Fällen seitens der Buchhändler üblich war, nur als eine Umgehung des Verbots. Nagler mußte aber dennoch (30. Januar) zurückfragen, denn in der Presse erschien eine Notiz, der "Telegraph" werde von nun an bei einer "andern" Firma erscheinen und Gutzkows künftige Schriften bei J. J. Weber in Leipzig, der auch im selben Jahr 1842 die "Dramatischen Werke" verlegte. Nagler verstand unter der andern Firma auch den Leipziger Verlag; in diesem Fall, erklärte Rochow (23. Februar), stehe der Verbreitung nichts entgegen. Naglers Annahme erwies sich durch die neuen Nummern des Blattes als ein Mißverständnis, demnach wurde der "Telegraph" am 7. Februar verboten, und Gutzkow erhielt am 25. einen kurz ablehnenden Bescheid. Um das Blatt aber nicht aus den Augen zu lassen, beantragte der Polizeipräsident, wenigstens ihm den Bezug zu gestatten; dagegen hatten die Minister (11. März) natürlich nichts einzuwenden.

Gutzkow beruhigte sich bei dieser Ablehnung nicht, er machte eine Immediateingabe, deren Original bisher leider nicht zu finden war. Am 12. März verlangte Friedrich Wilhelm IV. darüber Bericht, den Rochow am 29. erstattete. Er machte die gleichen Gründe gegen eine Freigabe des Blattes geltend wie in seiner Korrespondenz mit den Ministerkollegen, fügte aber noch hinzu: das bewußte "Räthsel" (von Sallet) sei unmittelbar nach dem Königsberger Landtagsabschied vom 9. September 1840 erschienen und "persiflire diesen auf unanständige Weise". Gutzkows Aufsätze zeigten nur eine "berechnete Zurückhaltung in politischen Dingen", und wenn man ihn auch "in seinen dramatischen Leistungen und der ausgesprochenen Rückkehr zu gemäßigten Grundsätzen in Religion, Moral und Politik vermuten möchte", so könne das doch nicht durch eine Ausnahme geschehen, die die ganze Maßregel gegen Hoffmann & Campe hemme.

Eine Antwort seitens des Königs erfolgte nicht, zunächst blieb der "Telegraph" verboten, er war, wie Gutzkow am 23. April an Brockhaus schrieb, "gänzlich gelähmt". Aber ohne Wirkung blieb Gutzkows Majestätsgesuch nicht, denn darauf dürfte es zurückzuführen sein, daß der König am 29. April 1842 seine Minister fragte, wie sie über eine Aufhebung des Generalverbots dächten, natürlich unter bestimmten Kautelen. Die Bittsteller Gutzkow und Raupach (auch dieser hatte unterdes um eine Ausnahme gebeten, da er Autor des Hamburger Verlags war; seine Stücke waren ja das tägliche Brot des Berliner Hoftheaters) seien vorläufig davon zu verständigen. Ehe das geschah, zerstörte ein furchtbarer Brand (5.-8. Mai) einen Teil von Hamburg, auch Campe war durch das Unglück betroffen. Alle Regierungen kamen der bedrängten Stadt zu Hilfe, und als einen Akt dieser Hilfeleistung betrachtete Preußen auch die Aufhebung des Verbots gegen Hoffmann & Campe. Am 8. Juni 1842 wurde sie vom König verfügt, und vom 21. Juni ab durften die preußischen Postanstalten wieder Bestellungen auf den "Telegraph" annehmen. Gutzkows Eingabe an den König war damit erledigt.

Dramatische Werke - Briefe aus Paris - Vermischte Schriften#

Gutzkow trennte sich jetzt auch äußerlich von Campe, er kehrte von Hamburg nach Frankfurt zurück. Seine "Dramatischen Werke" erschienen bei J. J. Weber in Leipzig 1842 ff.; aber in dem Verlagsvertrag mit Weber vom 25. Mai 1841 hieß es ausdrücklich, daß der Verleger vom Vertrag zurücktreten dürfe, wenn die Stücke verboten würden. Da das Berliner Hoftheater sie ja selbst aufführte, wurden sie in Preußen nicht beanstandet; die Buchhändler scheinen gar nicht erst um die Erlaubnis gefragt zu haben, denn die beabsichtigte, zum Teil schon erfolgte Aufhebung des Ausnahmegesetzes gegen das "Junge Deutschland" war ruchbar geworden. Gutzkow allerdings gehörte noch nicht zu den Begünstigten, daher legte der Verlag F. A. Brockhaus, der 1843 seine "Briefe aus Paris" brachte, um keine Scherereien zu haben, das Buch der Berliner Rezensur vor. Am 10. Mai urteilte Hofrat John, es zeige "unverkennbar das Gepräge des Verfassers und auch manche Ausfälle, anmaßliche Urteile und kecke Behauptungen", aber der Ton sei gegenüber den früheren Schriften gemäßigt. Auf Antrag des Oberzensurkollegiums vom 30. Mai gab Minister v. Arnim, der Nachfolger Rochows, am 10. Juni das Buch frei, sogar "ohne Einschränkung", es durfte also auch in Berliner Zeitungen angezeigt und besprochen werden und erregte eine gewaltige Debatte in der Öffentlichkeit. Das hielt aber den Kölner Zensor nicht ab, der "Rheinischen Zeitung" eine Kritik des Buches, noch dazu eine tadelnde, zu streichen! Die entsprechende Polizeiverfügung erfolgte erst am 1. Juli.

Im selben Sommer erklärte John sogar über Gutzkows Vermischte Schriften, deren 3. Band (Mosaik), bei Weber verlegt, der Rezensur unterbreitet wurde, dies Buch würde, abgesehen von einigen pikanten Einzelheiten in dem Artikel über Bernadotte, unbedenklich unter preußischer Zensur das Imprimatur erhalten. Das Oberzensurkollegium war demnach am 30. Juni (am letzten Tage seiner Wirksamkeit) für die Zulassung, am 17. Juli war Arnim einverstanden, und am 24. gab der Polizeipräsident die Freigabe bekannt.

Die Aufhebung des Ausahmegesetzes von 1835#

Damit verschwanden Gutzkows Schriften aus den vormärzlichen Zensurakten, denn unterdes war auch ihm - allerdings nur durch einen glücklichen Zufall! - die Aufhebung des Ausnahmegesetzes von 1835 zugute gekommen, die Oberzensurkollegium und Ministerium nach langem Schriftwechsel schon am 31. Juli 1841 beim König angeregt hatten. Seit dem 28. Februar 1842 lag die Kabinettsorder vor, die alle jungdeutschen Schriftsteller von der Ausnahmezensur befreite, soweit sie in Deutschland wohnten - Heine also nicht; Bedingung aber war ein persönliches Versprechen, fortan in ihren Schriften alles zu vermeiden, was Religion, Staatsverfassung und Sittengesetz beleidige. Bei einem Rückfall würde das bisherige Verfahren aufs neue angewandt - und dann "für immer"! Auf Grund dieser Kabinettsorder war Laubes völlige Freisprechung am 7. Juni, die Theodor Mundts schon am 9. Mai 1842 erfolgt. Als das bekannt wurde, erließ Gutzkow im "Telegraph" (Nr. 97, Juni 1842) die Erklärung, man habe ihm nicht die Zumutung gemacht, sich zu verpflichten, "nie mehr etwas gegen die Kirche, die Staatsverfassung und die Sittlichkeit zu schreiben", auch würde er sich niemals zu "einem derartigen formellen Gelöbniß verstehen". In der "Leipziger Allgemeinen Zeitung" vom 10. Juli - dort hatte die erste Nachricht über die Aufhebung der Maßregel gestanden - veranlaßte er die gleiche Erklärung unter einer Frankfurter Korrespondenz, nicht ganz so entschieden: "daß ein solcher Revers ihm überall weder vorgelegt noch je von ihm unterschrieben worden" sei. Der auf ihm lastende Ausnahmezustand wurde ihm aber auf die Dauer lästig, sie erschwerte seinen Verkehr mit den Verlegern; die gewöhnliche Meinung, verbotene Bücher gingen desto besser, schrieb er noch 1861 (5. April) an Campe, sei falsch gewesen. "Die conservativen Preußischen Buchhändler hüteten sich wol, den rothen Adlerorden und den Commerzienrath zu verscherzen." Habe man sich auch manchmal um ein verbotenes Buch gerissen - eine neue Auflage wagte der Verleger doch nicht, er hatte also höchstens keinen Schaden, der Autor aber keinen Vorteil. Deshalb entschloß sich Gutzkow, am 4. Februar den neuen preußischen Minister des Innern v. Arnim um eine "Revision" der ihn betreffenden Zensurmaßregeln zu ersuchen. Er gab dazu eine Schilderung des bisherigen Zustandes:

"Vor acht Jahren wurden meine Schriften, einbegriffen in die Gesammt-Categorie eines 'jungen Deutschland', gleich denen der übrigen Betheiligten in den Königl. Preußischen Staaten verboten. Mit strenger Consequenz wurde fünf Jahre hindurch diese Maaßregel ausgeführt. Meine Schriften wurden nur nach einer in Berlin bestandenen Recensur zum Debit gelassen.

Fünf Jahre nach dem Verbot trat größere Milde ein. Man durfte meine Schriften wenigstens misbilligen, wenigstens widerlegen, man durfte sie wenigstens tadelnd erwähnen. Auch wurde eine von mir redigirte Zeitschrift allmählig zugelassen.

Seit der Thronbesteigung Sr. Majestät des jetzt regierenden Königs schienen, de facto, die noch vorhandenen lezten Einschränkungen ein Ende nehmen zu wollen. Die Verhältnisse und Tendenzen hatten sich geändert. Es verlautete von Berlin, daß einige der mit mir in gleicher Lage befindlichen Autoren sich, unter gewissen Bedingungen, einer vollkommnen Befreiung von allen frühern Einschränkungen zu erfreuen gehabt hätten.

Mir sind solche Bedingungen nicht vorgelegt worden. Vielleicht mochte es unnöthig erscheinen, da meine schriftstellerische Thätigkeit sich fast ausschließlich der Bühne zugewandt hatte und dadurch eine einheimische Censur derselben von selbst involvirt war. Auch ich glaubte, hoffen zu dürfen, daß jene vor acht Jahren gegen mich nothwendig erschienenen Maaßregeln jetzt vergessen sind.

Seither seh’ ich aber, daß dies nicht der Fall ist.

Der Kölner Censor streicht meinen Namen von einem Bühnenstücke. Er ließ ihn erst zu, als er sah, daß dasselbe Stück auf der Königl. Bühne von mir selbst in Scene gesetzt wurde.

Von einer Sammlung Briefe aus Paris, die ich im vorigen Herbst in Leipzig drucken ließ, ist in Preußen der Verkauf zugelassen gewesen, die Ankündigung aber nicht.

Die 'Rheinische Zeitung' brachte eine Kritik dieser Briefe. Der Censor strich sie. Hr. G. Jung, einer der Redakteure, schickte seine Arbeit in die 'Deutschen Jahrbücher'. Zufällig war es eine Kritik, in der ich mishandelt wurde.

Aber nicht immer nützt mir auf diese Art die Preußische Censur. Wenn in Berliner Blättern ein Almanach angekündigt wird mit Beiträgen von hundert Autoren, unter denen ich mich zufällig auch befinde, so find’ ich regelmäßig meinen Namen von der Censur gestrichen.

Wenn ein Journal mich unter seinen Mitarbeitern aufführt, so wird man meinen Namen sicher in den Berliner Blättern nicht finden.

Die HH. Censoren scheinen über mich so im Unklaren zu sein, daß ich mich bei solchen Anzeigen oft in Königsberg zugelassen, in Köln gestrichen finde."

Ohne irgendwelche Versicherungen für die Zukunft zu geben, beleuchtete das Schreiben treffend die Unhaltbarkeit und Unsinnigkeit der Situation, auch im verwaltungstechnischen Sinne, so treffend, daß die drei Zensurminister Eichhorn, Bülow und Arnim sein Gesuch befürworteten. Arnim wollte es vermeiden, daß der Fall Gutzkow in der Presse so erörtert werde, wie im Vorjahre die Lossprechung Laubes und seines jungdeutschen Kollegen Th. Mundt. Das Zensuredikt von 1819, die Order vom 28. Dezember 1824 und des neuen Königs jüngste Zensurinstruktion vom 31. Januar 1843 genügten, um Angriffe auf Religion, Staatsverfassung und Sittengesetz zu hindern. Man brauche daher von Gutzkow kein Versprechen zu fordern, nur ihm anzudeuten, daß "bei einem Rückfall in die frühere verderbliche Richtung das bisherige Verfahren wieder eintreten würde". - Der König aber bestand auf der "vorherigen Reversirung"; seine Kabinettsorder vom 26. März besagte: "Es kommt nicht darauf an, wie eine solche Forderung der Garantie für das künftige Verhalten dieser Klasse von Schriftstellern von den Zeitungsschreibern beurtheilt wird, aber wesentlich darauf, daß jene, wenn sie wieder in ihre alten Wege zurückfallen, dann zugleich als wort- und treubrüchig auch vor ihren Genossen selbst erscheinen müssen. Der verständige und wohlgesinnte Theil des Publicums wird der Konsequenz, womit dieser Gesichtspunkt aufrechterhalten wird, seine Anerkennung nicht versagen und dafür dankbar sein." Dem Könige lag daran, ein Mittel in der Hand zu haben, Leute wie Gutzkow gegebenenfalls moralisch vernichten zu können. Den Ministern blieb daraufhin nichts übrig, als den preußischen Residenten v. Sydow in Frankfurt anzuweisen, durch persönliche Verhandlung von Gutzkow "eine protokollarische Erklärung zu erhalten, die einem Revers gleichkomme".

Diese Verhandlung fand am 2. Mai statt, und v. Sydow konnte als ihr Ergebnis folgende Erklärung Gutzkows nach Berlin schicken:

"Wie vieldeutig auch der Sinn der Worte Religion, Staatsverfassung und Sitten-Gesetz in unsrer Zeit sei, und wieviel innerer Kampf daher aus einem Versprechen, wie das in Rede stehende, auch hervorgehen, wie leicht der Versprechende, ohne es zu wollen, mit der Deutung des Versprochenen gegen die Regierung in Widerspruch gerathen könnte, so mache doch Überzeugung und Empfindung ihn bereit zu einem solchen Versprechen. Aber dessenungeachtet sehe er sich durch äußere Gründe verhindert, dasselbe in der verlangten Weise abzulegen. Er habe seit der tumultuarischen Zeit, in welcher er durch widrige Umstände aus seiner natürlichen Entwickelung herausgerissen, und in eine dem Bestehenden feindliche Richtung hineingeworfen worden, auf mannigfache Weise zu bethätigen gesucht, daß seine Ansicht eine andere geworden. Allerdings sei er ein freisinniger Schriftsteller und wolle dies bleiben; aber er habe in die Geleise des Bestehenden wieder eingelenkt. Davon lege seine ganze schriftstellerische Thätigkeit in den letzten Jahren ein, wie er glaube, unwiderlegliches Zeugniß ab.

Um sicherer und leichter Conflikte zu vermeiden, habe er sich der Bühne zugewandt. Eine wesentliche ästhetische Verbesserung derselben in Deutschland zu erzielen, sei jetzt seine Lebens-Aufgabe. Er habe dabei viel trübe Erfahrungen gemacht, aber zugleich die Befriedigung gewonnen, seine Stücke sowohl auf dem Königlichen Theater in Berlin, als auf dem Hofburg-Theater in Wien ohne alle Veränderung aufgeführt zu sehen. In Berlin sei ihm auch persönlich viele Anerkennung zutheil geworden.

In seinen 'Briefen aus Paris' habe er seine nationale Gesinnung und seine Abneigung gegen die radikale Parthei offenkundig dargelegt.

Auch für den 'Telegraphen', an dessen Leitung er übrigens nur noch Theil nehme, weil er der Einnahme davon für seinen und seiner Familie Unterhalt nicht entbehren könne, habe er in veränderter Weise gearbeitet. Dieses sein Einlenken sei ihm vielfach verdacht worden. Noch neuerlich habe ein Aufsatz über Preßfreiheit (in welchem er nachgewiesen, daß Preßfreiheit nicht der Vorläufer freier Institutionen, sondern deren Blüthe sein müsse, und daß dieselbe daher in Deutschland jetzt nur zerstörend wirken könne) ihm die heftigsten Anfeindungen aller Leipziger Literaten zugezogen. Er sei, da sein Wunsch unerfüllt geblieben, in Berlin eine sichere Existenz, ein Feld für seine literarische Thätigkeit zu finden, zu seinem Bedauern auf das große Publikum, auf die Masse angewiesen. Bei dieser setze er seine ganze Stellung aufs Spiel, wenn er die verlangte Erklärung abgebe, und wenn, wie es so leicht geschehen könne, dies von seinen Gegnern auf hämische Weise in öffentlichen Blättern ausgebeutet werde.

Wie gern er daher auch sich der Regierung seines Vaterlandes gegenüber reinigen und von jeder Ausnahmebestimmung befreien möchte, so sei er doch, da er sich, seine Frau und drei Kinder ernähren müsse, da er, um produciren zu können, einer gewissen aisance des Lebens bedürfe, und da ein diesem Bedürfnis entsprechender Erwerb ihm nur solange sicher sei, als das große Publikum ihm Beifall schenke, außer Stande, sich der fraglichen Forderung zu fügen. Er bitte in dieser seiner Erklärung, bei welcher er auch nach erneuter Prüfung der Sache werde stehen bleiben müssen, keine Äußerung von Renitenz, sondern das einfache Geständniß seiner ungünstigen Lage sehen zu wollen.“

Protokolle dieser Art sind stets mit Vorbehalt aufzunehmen. Gutzkow wollte keinesfalls mehr sagen, als er vor der ihm so vielfach feindlichen Öffentlichkeit würde verantworten können. Sydow hatte zwar schwerlich Sympathie für diesen Mann, der in seinen Berichten seit 1835 schon eine üble Rolle gespielt hatte, und gewiß nicht den Takt, ihm den Gang nach Canossa leicht zu machen. Andererseits hatte er die Aufgabe, eine Art Revers dem Delinquenten zu "extrahiren", und er war ein schlechter Diplomat, wenn ihm das nicht gelang. Gutzkow dürfte auf die ihm günstigen Momente mehr Nachdruck gelegt haben, als bei genauer Prüfung ratsam war. Seine Stücke wurden in Berlin und Wien aufgeführt, doch ging es keineswegs immer ohne Veränderungen ab. In verschiedenen mit seinem vollen Namen gezeichneten Artikeln über Preßfreiheit, die damals infolge verschiedener neuer Zensurerlasse des Königs allgemein erörtert wurde, hatte er die Gefahr der Preß- und Karikaturenfreiheit eingeräumt, wenn sie "ohne ein freies Volksleben, ohne freie Institutionen, ohne Geschwornengerichte, ohne eine durch alle Poren unseres öffentlichen Lebens schon gedrungene politische Toleranz" erteilt würden ("Telegraph" 1843, Nr. 18: "Die Freiheit der Zerrbilder" und Nr. 38: "Die Furcht vor der Preßfreiheit"); der Nachdruck lag dabei auf dem Beweis, wie notwendig es sei, solche freien Institutionen endlich ins Leben zu rufen. Wie das von den Verfechtern der Preßfreiheit unter allen Umständen aufgenommen wurde, zeigt eine Notiz der "Leipziger Locomotive" (Nr. 12 vom 22. März) in der Knüppelsprache ihres Herausgebers Held: "Man hat es erlebt, daß große Verbrecher mit Brandmalen gezeichnet wurden, die der Henker ihnen aufdrücken mußte. Henker von Mut versichern, eine solche Execution sei entsetzlicher, als eine Hinrichtung. Und das muß wohl wahr sein; denn während man von tausend Selbstmördern hörte, kannte man keinen einzigen Menschen, der sich selbst gebrandmarkt hatte. - Herr Karl Gutzkow hat die Welt um diese schöne Unkenntnis betrogen; Herr Karl Gutzkow hat gegen die Preßfreiheit geschrieben. - Wenn Herr Karl Gutzkow, mit dem wir jetzt, wo er literarisch und moralisch tot ist, über seine Sünden nicht rechten wollen, die Absicht gehabt hat, durch jenen Schritt seine literarische Autorität zu vernichten, so können wir ihn versichern, daß er sich dabei eines Pleonasmus anzuklagen hat." Sollte heißen: eine solche Autorität hat nie bestanden. Daß bei solch kräftiger Polemik die Stellung Gutzkows auf dem Forum der Literatur keine beneidenswerte war, ist klar, und was er dem Frankfurter Residenten über das Prekäre seiner wirtschaftlichen Lage ans Herz legte, traf fühlbarer zu, als er gestand; immerhin mochte dies das einzige dem Diplomaten verständliche Argument sein. Sydow fühlte sich natürlich als der Überlegene und schrieb als seine Meinung zu dem Protokoll: bei allem Talent sei in dieser Erklärung "Flachheit und Unklarheit der Ansicht und gänzlicher Mangel an einer höheren Lebensauffassung hervorgetreten"! Da aber Gutzkow berechtigten Zweifel darin setzte, daß der Beamte seine Ansichten, ohne in Zweideutigkeit oder Mißverständnisse zu verfallen, richtig wiedergegeben hatte, versprach er ihm noch eine schriftliche Formulierung seiner Zugeständnisse. Die gab er, von einer Reise, aus Würzburg am 4. Mai in folgendem Brief:

"Noch einmal die Eröffnung, die ich von Ew. Hochwohlgeboren vorgestern erhalten, reiflich überlegend, muß ich mit tiefem Leidwesen bekennen, daß es mir unmöglich ist, von der Erklärung abzuweichen, die ich im ersten Drang meines natürlichen Gefühls Ew. Hochwohlgeboren bereits mündlich gegeben habe. Als ich bei des Herrn Staatsministers von Arnim Excellenz um Beseitigung der letzten Hindernisse, die in Preußen noch meinen literarischen Bestrebungen im Wege stehen, einkam, setzte ich voraus, daß bei der jetzigen strengen Beaufsichtigung der Presse es den Leitern unsres Censurwesens nicht entgangen sein kann, wie ich seit länger als fünf Jahren eine Richtung eingeschlagen, die die politisch-kirchlichen Conflicte der Gegenwart vermeidend, ihre eigne Befriedigung nur in unverfänglichen Produktionen gefunden hat, von denen die Mehrzahl dem Theater angehört. Ich glaubte, so gewagt der Ausdruck ist, dem Staate einen Dienst zu erweisen, wenn ich ihn auf den lezten Rest einer veralteten Bestimmung aufmerksam machte, die z. B. in dem Widerspruch, daß meine Theaterstükke auf allen Preußischen Bühnen gegeben worden sind und dennoch, gedruckt, nicht angezeigt werden dürfen, ein vollkommner Nonsens wird. Statt der erbetenen Revision meines Censurverhältnisses erhalt’ ich die Zumuthung, einen Revers auszustellen, daß ich nichts gegen drei von Ew. Hochwohlgeboren namhaft gemachte Begriffe schreiben wolle. Im Gefühl meines redlichsten Willens, nur den wahren Interessen der Menschheit zu dienen und mit Freude jede Gelegenheit zu bezeichnen, wo die Heiligkeit des Bestehenden mit den Resultaten eignen Nachdenkens zusammenfällt, im Bewußtsein eines mich erhebenden und beseligenden Vertrauens auf die friedliche Lösung so vieler streitigen Punkte unsrer Tage, ist mir an dem erwähnten Reverse der objektive Gedanke völlig vertraut, ja ich sehe es als die Grundlage aller meiner Bestrebungen an, nichts Irreligiöses, Staatsverwirrendes und Unsittliches zu schreiben. Allein für diese rein auf moralischer Empfindung beruhende Grundlage ein äußres Wortgelöbniß auszustellen, mein Innerstes unter eine so höchst allgemeine Formel gefangen zu geben, das bin ich nicht im Stande. Kirche, Staat und Sittlichkeit sind drei Worte, die das ganze ringende und streitende Leben unsrer Zeit ausdrücken. Hundertfachen Bestimmungen ausgesetzt, sind sie in dem Grade recht eigentlich zu Tagesamphibolieen geworden, daß ich mich durch Unterschrift des verlangten Reverses nicht nur in eine traurige Herzensunruhe, von der ich kein Ende absehe, stürzen würde, sondern selbst bei den ehrlichsten Vorbehalten mich unsäglichen Verdächtigungen aussetzen müßte. Was kann ein Schriftsteller seiner Nation sein, wenn er ihr die Möglichkeit entzieht, ihn unbefangen, frei, als einen Mann von Selbständigkeit zu beurtheilen? Wehmuth ergreift mich, wenn ich bedenke, wie der Schriftsteller in Frankreich und England zu seiner Nation steht und welche Stellung man ihm in Deutschland zumuthet! Offen sprech’ ich es aus, daß der Staat zwar das Recht und die Pflicht hat, jeden schriftstellerischen Verstoß gegen die Thatsachen, die von ihm repräsentirt werden, zu ahnden, nimmermehr aber schon a priori den Autor in Zwiespalt mit sich selbst zu bringen und durch ängstliche Dilemmen und mehrdeutige Alternativen sein Gewissen zu trüben und zu beschweren.

Se. Majestät, unser König und Herr, ist so sehr dem Formenwesen abhold, und nur dem Geist der Dinge zugethan, daß es ihm sicher nicht entgehen wird, wie derartige Reverse nur den finstern Zeiten mittelalterlicher Kirchenversammlungen angehören und am wenigsten dem Schriftsteller zugemuthet werden sollten, der ja recht eigentlich aus sich selbst, aus der Freiheit seines Geistes heraus wirken und schaffen soll. Von einem Autor, der kürzlich ein so harmloses Werk, wie das Schauspiel: ,Ein weißes Blatt’ auf der Königl. Bühne aufführen ließ, noch zu verlangen, er solle einen Revers für sein künftiges literarisches Benehmen ausstellen, heißt nicht nur, ihn in einer seit 1835 streng durchgeführten loyalen Entwickelung ignoriren, sondern nach sovielen Annäherungen an die bestehenden Verhältnisse ihn in den Augen der blind u. nach dem Schein urtheilenden Menge, in den Augen hämisch ausdeutelnder Gegner vollends verderben.

Mit Betrübniß seh’ ich dem Bescheide entgegen, der nach dieser meiner Verweigerung des geforderten Reverses nicht ausbleiben kann."

Das klang nun allerdings etwas anders als der Bericht des Herrn v. Sydow und enthielt eine Charakteristik der ihm gemachten "Zumutung", wie sie nicht besser zu geben war; gleichwohl meinte Sydow, Gutzkow mache ja durch seine Worte: "ich sehe es als Grundlage aller meiner Bestrebungen an, nichts Irreligiöses, Staatsverwirrendes und Unsittliches zu schreiben", wenn auch "auf sehr explicite Weise das Versprechen, gegen welches er sich, in Folge unklarer Auffassung des ihm gestellten Verlangens, mittelst langer Hin- und Herreden verwahren zu müssen glaube". Über das sehr Bedingte des Versprechens ("wo die Heiligkeit des Bestehenden mit den Resultaten eignen Nachdenkens zusammenfällt") ging er hinweg und sandte den Brief am 8. Mai mit jener Empfehlung nach Berlin.

Auch die drei Zensurminister empfanden offenbar das Unwürdige in dieser "Zumutung" eines Reverses und legten am 13. Juni dem König nahe, von der "strengen Erfüllung der Form" abzusehen; sie machten sich also eine Wendung des Gutzkowschen Briefes zu eigen und hatten diesmal Erfolg: am 17. Juli 1843 hob der König die Zensurverfügung auch gegen Gutzkow auf und sah "mit Rücksicht auf Gutzkows Erklärung in seinem Brief vom 4. Mai von der Ausstellung eines Reverses ab".

Aber noch im letzten Augenblick schien alles zu scheitern. In der Schweiz war eine Untersuchung gegen die dortigen Kommunisten im Gange, vor allem gegen den Schneider Wilhelm Weitling, den Verfasser der "Garantien der Harmonie und Freiheit" (Vevey, 1842). Ihr Ergebnis legte Dr. Bluntschli, der spätere bekannte Staatsrechtslehrer, im Auftrag der Untersuchungskommission in einem Bericht dar: "Die Kommunisten in der Schweiz nach den bei Weitling vorgefundenen Papieren"; er war soeben im Druck erschienen. Da zeigte sich nun, daß auch Gutzkow, der sich natürlich mit dem Problem des Kommunismus beschäftigt hatte, zu Weitling persönliche Beziehungen gehabt, sogar Briefe mit ihm gewechselt hatte, die hier abgedruckt waren. Gutzkow war gerade auf Reisen und wurde der drohenden Gefahr erst spät inne. Der Bericht Bluntschlis kam dem Minister v. Arnim gerade zur Hand, als er die befreiende Kabinettsorder seinem Bureau zur Ausfertigung gegeben hatte. Sofort meldete er dem König (1. August), Gutzkow sei der Beteiligung an kommunistischen Umtrieben verdächtig. Die Ende des Monats erfolgenden öffentlichen Erklärungen Gutzkows legte er am 31. August gleichfalls vor. Die Minister beantragten daraufhin am 6. September, die Kabinettsorder über Gutzkows Zensurfreiheit so lange zurückzuhalten, bis sich Gutzkow von dem neuen Verdacht gereinigt habe. Eine solche Reinigung im Sinne der Minister, denen schon jede Beschäftigung mit einem so staatsgefährlichen Problem ein Verbrechen bedeutete, war natürlich dem Angeschuldigten nicht eben leicht, und auch seine weiteren öffentlichen Erklärungen befriedigten in Berlin so wenig, daß Arnim, nachdem auch noch ein sehr ungünstiger Bericht des Schweizer Gesandten v. Werthern eingelaufen war, am 2. Oktober dem Könige vorschlug, es mit Rücksicht auf Gutzkows mindestens "zweideutige" Rolle in der Kommunistenaffäre bei den bisherigen Ausnahmemaßregeln gegen seine Schriften zu belassen. Und am 29. Oktober genehmigte der König den Widerruf der Order vom 17. Juli! Schon war die entsprechende Ausfertigung an Gutzkow entworfen, als plötzlich von ihm ein Dankbrief an den König für die Befreiung von der Zensur eintraf! "Unterm 17. Juli d. J.", schrieb er, "haben Ew. Majestät durch allergnädigste Cabinetsordre die literarische Thätigkeit des Endesunterzeichneten, auch ohne Gelöbniß seinerseits, von bisherigen äußeren Hemmungen zu befreien geruht. Unmittelbar darauf würd’ ich sogleich für diesen Beweis huldvoller Gnade gedankt haben, wenn nicht ein später folgendes Misverständnis dazwischen getreten wäre. Da nun auch dieses, wenn ich den Zeitungen trauen darf, beseitigt ist und ich wiederum die Befreiung von einem ungegründeten Verdacht über sogenannte communistische Tendenz Allerhöchst Ihrer Einwirkung und Ew. Majestät unbefangener Beurtheilung zu verdanken habe, so vermag ich jetzt das Bedürfniß meines Herzens nicht länger zurückzuhalten, spreche Ew. Majestät hiemit meinen tiefgefühlten Dank aus und wünsche nur, daß sich, unbeschadet der Selbständigkeit, die der Schriftsteller in seinen Zeit- und Welturtheilen zeigen soll, oft Gelegenheit finden möge, des in mich gesetzten allerhöchsten Vertrauens würdig zu erscheinen und in jeder möglichen Weise die Schranke aufzuheben, die mich bisher von den heimathlichen Kreisen getrennt hat." Als Beweis seines guten Preußentums übersandte er dem Könige zugleich sein neues Lustspiel "Zopf und Schwert" zur Kenntnisnahme und Erwägung, ob die gegen seine Aufführung auf der Königlichen Bühne in Berlin bestehenden Zensurbedenken vielleicht beseitigt werden könnten!

Daß Gutzkow die Kabinettsorder erhalten habe, sagte er nicht deutlich. Die Minister recherchierten demnach, wodurch er davon wisse. Da stellte sich zunächst heraus, daß sie schon in der "Allgemeinen Preußischen Staatszeitung" gestanden hatte; das Ministerialbureau hatte sie etwas vorschnell dorthin gegeben. Aber damit nicht genug: die Kabinettsorder vom 17. Juli war unterdes wirklich an Gutzkow abgegangen, da sie noch nicht formell aufgehoben worden. Die Absendung scheint erst Ende September etwa erfolgt zu sein; am 20. hatte Gutzkow die Nachricht noch nicht (Glossy II, 130). Wie das zuging, verraten die Akten nicht. So kam der amtliche Schematismus, dank seiner langsamen Bewegung, dem Dichter im richtigen Moment zustatten! Was nun? Hier stand Kabinettsorder gegen Kabinettsorder! In diesem Dilemma bewies Friedrich Wilhelm IV. eine königliche Gesinnung: er befahl am 5. November, daß es unter diesen Umständen bei dem einmal gegebenen Wort zu verbleiben habe, das Interdikt aufzuheben und von weiterer Inhibierung der Schriften Gutzkows Abstand zu nehmen sei. Daraufhin gab Minister v. Arnim am 10. Dezember den königlichen Willen dem Oberpräsidenten und dem Frankfurter Residenten bekannt, und am 23. durfte Gutzkow die erfreuliche Nachricht bei Herrn v. Sydow persönlich entgegennehmen. Allerdings hieß es auch hier warnend "unter Vorbehalt der Erneuerung" der Ausnahmezensur! Nach achtjährigem Kampf war er nun endlich wieder wirklich "freier" Schriftsteller. Seine Verleger brauchten nicht mehr um die Erlaubnis zu bitten, seine Bücher an preußische Buchhändler ausliefern zu dürfen. Freigegeben waren damit alle die Werke, denen man zwischen 1835 und 1843 den Eingang in Preußen untersagt hatte, nicht aber die, auf denen schon vor dem 14. November 1835 ein ausdrückliches Verbot ruhte. Diese Spezialverbote wurden nicht zurückgenommen; man entsann sich ihrer später aber nur in einem Falle, bei einer Neuausgabe der berüchtigten "Wally", die den ganzen Feldzug gegen das "Junge Deutschland" verursacht hatte.

Gesammelte Werke - Vergangene Tage (Wally)#

1845/46 gab Gutzkow bei der "Literarischen Anstalt" (J. Rütten) seine "Gesammelten Werke" in zwölf Bänden heraus. Mitbesitzer des Verlags war der Originalverleger der "Wally", Karl Löwenthal, der unterdes die ehemals verweigerte Konzession erstritten und sich als Löning hatte umtaufen lassen. Noch heute trägt die Firma den Doppelnamen Rütten & Löning. Band 3 brachte die "Briefe eines Narren an eine Närrin", Band 4 die "Philosophie der Geschichte", die jetzt "Philosophie der That und des Ereignisses" hieß - beides Werke, die Preußen verboten hatte. Doch nahm niemand an dem Neudruck Anstoß. Die gefährlichere "Wally" wagte er erst 1852 in einem 13. Bande seiner Werke nachzuliefern "als geschichtlichen Mitbestandtheil einer nicht zu verschweigenden literarischen Entwickelungszeit". Mit geistreichem Humor setzte er sich in einer langen Vorrede mit den Lesern auseinander, die den Wunsch nach solcher Vervollständigung der Sammlung ausgesprochen hatten. Seine "Appellation" und das ehemals auch verbotene "Sendschreiben" des Kirchenrats Paulus an den Verfasser fügte er als Aktenstücke hinzu und nannte das Ganze jetzt "Vergangene Tage". Auch mit der vormärzlichen Zensur, mit seinen alten Freunden Rochow, Tzschoppe und Konsorten ging er in der Vorrede wenig glimpflich um. Wenn er aber auf das kurze Gedächtnis der Staatsanwaltschaft gerechnet hatte oder darauf, daß man sich im Berlin Hinckeldeys den Titel "Vergangene Tage" zu Herzen nehmen würde, so täuschte er sich. Der Staatsanwalt beim Königlichen Stadtgericht zu Berlin Meier ließ den Band am 29. Januar 1852 beschlagnahmen und forderte am 29. März vom Badischen Appellationsgericht in Mannheim die Akten ein, die er am 7. Februar 1853 zurückschickte. Nun genügte die Beschlagnahme allerdings nicht, und ein Zensurministerium hatte darüber nicht mehr zu entscheiden; sie mußte gerichtlich gerechtfertigt werden. Am 24. September wurde also vor dem Königlichen Stadtgericht Berlin, Abteilung 4, mit Ausschluß der Öffentlichkeit (!) über die alte "Wally" in ihrem neuen, nur unwesentlich veränderten Gewande verhandelt, ein neues Verdammungsurteil über sie gefällt und die Vernichtung der beschlagnahmten Exemplare verfügt. Es fehlte nur noch der Antrag, den Verfasser aufs neue unter preußische Rezensur zu stellen! Diese Drohung vom 23. Dezember 1843 war jedenfalls der Staatsanwaltschaft unbekannt.

In der zweiten Ausgabe der "Gesammelten Werke" (1872-76) erschienen aber die "Vergangenen Tage" wiederum, diesmal mitten unter den "Kleinen Romanen und Erzählungen" (Band 4). Gutzkow machte am 28. Oktober seinen neuen Verleger Hermann Costenoble in Jena darauf aufmerksam, daß Bayern (Preußen nennt er nicht) 1852 das alte Verbot erneuert habe. Aber Costenoble kehrte sich daran nicht. Der 4. Band mit der "Wally" erwies sich vielmehr als der einzige, der wirklich "ging"; er war jahrelang vergriffen. Auf meine Anregung hin veranstaltete Costenoble 1905 sogar eine Sonderausgabe des Buches, das jetzt wieder seinen alten Titel "Wally, die Zweiflerin" erhielt und ließ es, nachdem ich ihm die Abdruckserlaubnis von den Erben Gutzkows verschafft hatte, unter Bruch eines mir schon schriftlich vorgelegten Vertrags, von Eugen Wolff herausgeben. Wolff fügte einiges aus der Masse der 1835 erschienenen Kritiken und Streitschriften hinzu und am Schluß eine verständige Liste der Lesarten, aus denen sich ergibt, daß Gutzkow auch später nur Unwesentliches an seinem Jugendwerk geändert hat. Habent sua fata libelli! - An die "Klassikerausgaben", die seit 1911 von Gutzkows Werken erschienen sind, hat sich bislang kein Staatsanwalt herangetraut. In meiner Ausgabe von Gutzkows "Ausgewählten Werken" (bei Hesse & Becker) steht "Wally" im 5. Band, die von Reinhold Gensel (Deutsches Verlagshaus Bong & Co.) bringt sie im 4., die von Peter Müller (Bibliographisches Institut) im 2. Band. - Der "Wally" vor allem ist es schließlich zuzuschreiben, wenn Gutzkow im "Index der verbotenen Bücher" der katholischen Kirche (Ausgabe von Hilgers, 1904, S. 69) unmittelbar neben Conrad Ferdinand Meyer zu den Schriftstellern gerechnet wird, "deren Name schon ein Glaubensbekenntniß, wenn auch das des Unglaubens" ist, denen also dieser Index nicht erst durch besondere Nennung "erst zur Warnung den Stempel der Ungläubigkeit oder Unsittlichkeit aufzudrücken braucht".

Wiener Eindrücke#

Gutzkows Gesammelte Werke (1845/46) brachten in ihrem 3. Band eine völlig neue Schrift, eine Schilderung seiner "Wiener Eindrücke" während eines Aufenthalts in der österreichischen Kaiserstadt im Frühjahr 1845. Sie war zunächst als ein Beitrag zu dem Taschenbuch "Urania" gedacht, aber am 1. Mai 1845 schrieb Gutzkow an den Verleger Brockhaus, er könne das Manuskript nicht liefern, da es ihn in Erörterungen führe, die "über die Salonsphäre der Urania" hinausgingen. "Denn das ist der Eindruck, den mir Wien macht: Ich kann nicht mit in die übliche Lustigkeit der Wiener Touristen einstimmen, ich kann die Schattenseiten des hies. Lebens nicht verwischen u. würde in einem Bericht über meinen hiesigen Aufenthalt mehr sagen müssen, als was sich für die Urania u. ihre friedliche Tendenz geziemt." Der Brief wurde auf der Wiener Post "perlustrirt" und kopiert; Gutzkow dürfte demnach wohl dort unter heimlicher Polizeiaufsicht gestanden haben! Er sah voraus, daß diese Schrift der "Urania" in Österreich Scherereien bereiten würde; was er aber damit anrichten würde, hätte er schwerlich je ahnen können. In Österreich waren alle die Schriften Gutzkows, die in deutschen Bundesstaaten Anstoß erregten, ebenfalls verboten worden, war es doch gerade der Staatskanzler Fürst Metternich, der Preußen gegen die junge Literatur scharfgemacht hatte. Die österreichischen Zensurakten aber wurden in den 1848er Revolutionstagen von den Behörden aus Angst vernichtet, so daß sich bestimmte Nachrichten darüber höchstens aus Notizen österreichischer Zeitungen zusammentragen lassen, die nur in Wien, heute also überhaupt nicht erreichbar sind. Nur über die "Wiener Eindrücke" hat sich ein Aktenstück erhalten, dessen Inhalt Karl Glossy in seinen "Literarischen Geheimberichten aus dem Vormärz" (III, 126 ff.) mitteilen konnte. In der österreichischen Hof- und Staatskanzlei erregte der 3. Band der "Werke" die maßloseste Entrüstung! Am 14. September 1845 teilte der Polizeipräsident v. Sedlnitzky dem Fürsten mit, Gutzkows Aufsatz sei, nach dem Urteil des Zensors, von Bitterkeit und Schonungslosigkeit gegen die Zustände Österreichs dergestalt durchsättigt, daß es nicht leicht eine Schrift geben könne, die mehr geeignet wäre, Unzufriedenheit mit allem Bestehenden zu verbreiten, "da in diesem Aufsatz unter dem perfiden Panier der Freimütigkeit, sowohl das Allerhöchste Kaiserhaus, als die Regierung und deren Politik auf eine dieselbe im höchsten Grade entwürdigende Weise angegriffen" werde. Er halte daher das "allerstrengste" Zensurverbot für dieses Buch und ebenso für die übrigen Bände der "Gesammelten Werke" für angemessen, wolle sich aber erst der Zustimmung des Staatskanzlers versichern. Sedlnitzky machte noch besonders darauf aufmerksam, daß diese Schrift, "welche unser Allerhöchstes Regentenhaus, die höchsten Organe der österreichischen Staatsverwaltung und die Politik Österreichs so frech verunglimpft", gerade in Frankfurt, am Sitz des Deutschen Bundes, erschienen sei. Dies "Pamphlet" mache die größte Vorsicht bei Zulassung "ähnlicher schlecht berüchtigter Literaten in die k. k. Staaten" notwendig, man müsse daher Gutzkow, nachdem er seine "bereits aus früheren Schriften bekannte verwerfliche Gesinnung dermal auf die bedenklichste Weise betätigt", weiterhin den Eintritt in die Monarchie unbedingt untersagen. Daß Metternich mit diesen Maßregeln völlig einverstanden sein würde, durfte Sedlnitzky mit Gewißheit erwarten, denn Gutzkow hatte bei seinem Besuch in Wien eine Audienz beim Staatskanzler gehabt und sich mit diesem vortrefflich unterhalten; er hielt es sogar damals für möglich, eine Dramaturgenstelle am Burgtheater zu erlangen, so entgegenkommend sah er sich bei den entscheidenden Instanzen aufgenommen. Wenn aber Metternich glaubte, Gutzkow würde ihm nun in seinen "Wiener Eindrücken" eine klug berechnete Huldigung darbringen, so irrte er sich gründlich. Er war daher ebenso empört wie der Polizeipräsident und (3. Oktober) mit dem unbedingten "Damnatur" der "Gesammelten Werke" wegen des 3. Bandes völlig einverstanden. Gutzkow werde zwar selbst wissen, daß er sich im Kaiserreiche "infolge seiner Insulte keiner günstigen Aufnahme erfreuen dürfte"; dennoch lasse sich "der Geist, welcher Menschen seines Gelichters belebt, nicht nach dem Maßstab gemeiner Klugheit abmessen". Für den Fall also, daß Gutzkow wieder einmal nach Österreich reisen wolle, sei den Gesandtschaften in Deutschland zu verbieten, ihm ein Paßvisum auszustellen. Ferner sei als weitere "empfindliche Strafe" für seinen "Übermut", der "Tantième" wegen, die Aufführung seiner Stücke auf dem Burgtheater sofort zu unterlassen. Gegen diesen Vorschlag hatte aber Sedlnitzky ein Bedenken: man lenke damit zuviel Aufmerksamkeit auf Gutzkows "Pamphlet" und schade ihm obendrein wenig; die Tantieme für Dramatiker war damals eben erst in Wien eingeführt, und tantiemeberechtigt war nur Gutzkows letztes Stück "Der dreizehnte November", das am 12. September ohne Erfolg gegeben worden war. Wenn Gutzkows ältere Stücke, wofür man nichts mehr zu bezahlen hatte, dem Burgtheater die Kasse füllten, warum sollte man sich das nicht gefallen lassen! Aber neue Stücke von ihm dürften natürlich nicht angenommen werden. Dieser nüchtern geschäftliche Kalkül befriedigte aber Metternichs Rachsucht nicht; das Burgtheater erhielt den Befehl, alle Stücke Gutzkows vom Repertoire abzusetzen, die "sämmtlichen Werke" wurden mit dem "Damnatur" belegt und den Gesandtschaften die Erteilung eines Paßvisums an Gutzkow verboten; die Länderchefs wurden angewiesen, Gutzkow bei etwaigem Erscheinen an der Grenze "unfehlbar und unbedingt in das Ausland zurückzuweisen", diese Anordnung aber "auf eine möglichst vorsichtige, jede Publizität vermeidende Weise" zu treffen. Die österreichische Regierung soll sogar zwölf Exemplare der "Wiener Eindrücke" gekauft und an ergebene Rezensenten verschenkt haben, um Gutzkow herunterzureißen! Das geschah auch, von Frankfurt aus, in der österreichischen Einflüssen stets zugänglichen "Augsburger Allgemeinen Zeitung" (vgl. Glossys Anmerkung zu Bauernfelds Tagebüchern, "Grillparzer-Jahrbuch" V, 211). Man ließ sich also in Österreich die Unterdrückung mißliebiger Werke sogar bares Geld kosten. So splendid war Preußen nicht; hier bevorzugte man die kleinlichen Mittel, die versteckten Nadelstiche, auch noch nach 1848, gegen die mißliebigen Schriftsteller des Vormärz. Ein Vorfall aus dem Jahre 1854 ist dafür charakteristisch.

Unterhaltungen am häuslichen Herd#

Den "Telegraph" hatte Gutzkow 1843 aufgeben und dem Verleger überlassen müssen, wie das nach dem ungeschriebenen "Urheberrecht" der Verleger so üblich ist. Seit Oktober 1852 gab Gutzkow in Leipzig bei Brockhaus seine bald populär gewordene Zeitschrift "Unterhaltungen am häuslichen Herd" heraus. Da sie "Politik, positives Kirchenwesen und die soziale Frage" von vornherein streng ausschloß, waren Konflikte mit der Preßpolizei kaum noch denkbar. Außerdem sorgte der angstvolle Verleger dafür, daß diese Sperrlinie vom Herausgeber nicht überschritten werde, besonders Österreichs wegen, wo das Blatt guten Absatz fand. Dieses "nachgiebige Unterducken unter die Interessen des Geldbeutels" empfand Gutzkow bitter genug. Auch mit den jetzt bestehenden Preßgesetzen war nicht zu spaßen. Verirrte sich das Blatt in ein irgendwie der Politik benachbartes Gebiet, so drohte zunächst die Beschlagnahme der Kaution, die der Herausgeber als Pfand seiner guten Führung beim sächsischen Ministerium zu erlegen hatte, dann der Postzwang, der den wirksameren Vertrieb durch den Buchhandel ausschloß. Brachte die Zeitschrift irgendeine Bemerkung, die einen deutschen Bundesstaat unliebsam berührte, so hagelte es Verwarnungen. Zart fühlende Vorsicht erforderte vor allem jede Erwähnung Napoleons III., der im November 1852 zum Kaiser avancierte, und dessen abenteuerliches Emporkommen das Tagesgespräch ganz Europas bildete. "Beleidigungen auswärtiger Regenten" - gleichgültig, wie sie auf den Thron gekommen - wurden in Sachsen von Amts wegen verfolgt, in Preußen nur auf Klage des Beleidigten. Gutzkow mußte also als Redakteur der "Unterhaltungen" auf das verzichten, was bisher sein ganzes Schaffen begleitet, oft genug bestimmt hatte, und für ein vielleicht "sinniges", aber ebenso leicht auch philiströses Publikum schreiben, dem die Gedankenwelt der "Ritter vom Geist" (1851/52) noch fremd war. Zu einer Zeit, die mit politischem Zündstoff geladen war, blieb es für einen Schriftsteller, der seit seinem ersten Auftreten immer mit einem Fuß auf dem Boden der Politik gestanden hatte, ein kühnes Unterfangen, auf jedes bestimmte Urteil über das, was die Öffentlichkeit in Atem hielt, programmäßig zu verzichten und dennoch allen wichtigen Erscheinungen des Tages eine geistreiche Seite abzugewinnen, wie man das von dem Herausgeber erwartete. Die Kollegen mokierten sich denn auch nicht wenig über die Harmlosigkeit des Blattes, Robert Prutz war schon über das vorsichtige Programm geradezu empört. Aber es galt eben, zwischen der Scylla eines jederzeit drohenden Verbotes und der Charybdis allzu großer Harmlosigkeit einherzusteuern, um ungefährdet in den Hafen der Familie, des "häuslichen Herdes", einzulaufen. Da kein Zensor mehr vorher die Auswüchse beschnitt, mußte der Verleger dessen Amt versehen, und so entwickelte sich Woche für Woche ein Kampf zwischen zager Vorsicht auf der einen und allerhand revolutionären Gelüsten auf der andern Seite, ein Prozeß, in dem Stöße von Akten, will sagen Briefen, beschrieben wurden, und der gewöhnlich mit einem magern Vergleich endete. Erst 1860 wurde diese stoffliche Beschränkung der Zeitschrift aufgegeben, der Zeitgeist war doch etwas lebhafter geworden, und die Furcht vor Verboten in Österreich oder gar Rußland schwand. Man gab eine Beilage dazu, die in Zeit, Leben und Literatur nachdrücklicher eingriff, indem sie das Neueste berührte, was Politik, Religion und literarische Polemik zutage förderte.

Es allen recht zu machen, war natürlich Gutzkow nicht möglich, und wie wenig ihm das gegenüber seiner preußischen Heimat nach wie vor gelang, zeigte sich, als ihm 1854 vom Großherzog von Sachsen-Weimar der Falkenorden verliehen wurde und er als preußischer Untertan bei seiner Heimatsbehörde am 14. Oktober um die Erlaubnis zum Tragen dieser Auszeichnung bitten mußte. Polizeipräsident und Ministerpräsident hatten nichts dagegen, um so mehr aber der König! Er erklärte am 20. Dezember, Gutzkow habe in seinen Schriften, "namentlich in den von ihm herausgegebenen 'Unterhaltungen am häuslichen Herde' die diesseitigen Verhältnisse in einer eben so hämischen als entstellenden Weise besprochen und sich dadurch aller vaterländischen Gesinnung in einem Grade baar erwiesen, daß Ich mich nicht bewogen finden kann, ihm die nachgesuchte Genehmigung zu erteilen. Die Tragung des Ordens im Ausland bleibt ihm überlassen." Daraufhin mußte das Gesuch am 27. Februar 1855 abgelehnt werden; erst der Prinzregent Wilhelm gewährte es drei Jahre später, am 18. November 1858. Bedenkt man dabei, daß Gutzkow gerade 1852 sein liebenswürdigstes Buch "Aus der Knabenzeit" veröffentlicht hatte, das für seine treue Anhänglichkeit an die Eindrücke gerade seiner Berliner Jugend ein so schönes Zeugnis ablegte, so bleibt nichts übrig, als jenen Erlaß Friedrich Wilhelms IV. entweder höfischer Ohrenbläserei oder seiner zunehmenden Geisteskrankheit zuzuschreiben.

Der Zauberer von Rom#

Von Gutzkows späteren Werken hat nur sein zweiter zeitgeschichtlicher Roman "Der Zauberer von Rom" ein Verbot erlebt, und zwar in Österreich. Gutzkow schilderte in dieser grandiosen Dichtung die ultramontane Fata morgana in allen ihren Farbenschattierungen, so frei von einseitig protestantischem Gesichtspunkt, daß man ihn sogar katholischer Neigungen verdächtigte. Er wollte dem poetischen Element im Katholizismus volle Gerechtigkeit widerfahren lassen und vermied daher die "gewöhnliche ordinäre" Art, das Priestertum und namentlich den Zölibat zu verfolgen. Er umgab die Helden des Romans, den Priester Bonaventura, sogar mit allen Glorien der Sittlichkeit und des Edelsinns und malte andere Priestergestalten, vor allem den alten Dechant, mit den lieblichsten Farben. Er wollte, wie er einmal an Franz Dingelstedt schrieb (2. August 1861), "die südliche Welt schildern, wie sie ist und wie sie sich bessern kann". Aber zu bessern ist ja im Katholizismus nichts, am wenigsten, wenn die Anregung dazu von einem protestantischen Schriftsteller ausging, dessen sämtliche Werke noch heute als unsittlich und irreligiös auf dem Index der Kurie stehen. Gutzkow unterschied allerdings scharf zwischen Katholizismus und Ultramontanismus, das war im Lande des Konkordats irreligiös, und obgleich der Verleger und die Freunde Gutzkows in Wien geltend machten, die Ereignisse, die Gutzkow schildere, seien doch schon historisch geworden, die Absetzung des Kölner Erzbischofs 1838 und der daraus entbrennende Kampf zwischen Kirche und Staat, glaubte die österreichische Zensur 1858, den Roman beanstanden zu müssen. Doch war die Zeit vorüber, da derartige Maßregeln von Wirkung waren, und der Roman wurde in Österreich mit dem gleichen Interesse gelesen wie in Deutschland. Auch daß sich ein zweiter Gentz fand, Joseph Gentz, der unter dem Pseudonym "Alexander Alt" die ersten drei Bände in einer eigenen Broschüre "Briefe über Gutzkow’s 'Zauberer von Rom'" (Prag, Bellmann, 1859) herunterriß, das Mißbehagen des Katholiken hinter literarischer Kritik verbergend, hat ihm selbst in Österreich nicht schaden können.

König Saul - Richard Savage#

Das Problem des "Zauberers von Rom" führt auf Gutzkows dramatische Anfänge zurück, die ihm durch seine Verfemung seitens der preußischen Zensurbehörde aufs äußerste erschwert wurden. Schon 1835, vor dem "Wally"-Konflikt, hatte er eine Tragödie "Nero" herausgegeben, die aber für die Bühne nicht in Betracht kam. Sie erschien bei Cotta und erlitt kein eigenes Verbot, nur daß auch sie seit der Verfügung Preußens vom 14. November 1835 dort nicht mehr verkauft werden durfte, solange sie sich nicht einer Rezensur unterwarf. Da weder Cotta noch ein Berliner Buchhändler dazu Anstalten machte, hatte sie von 1835 bis 1843 als verboten zu gelten. Übrigens brauchte auch Cotta, um vor der österreichischen Regierung rein dazustehen, am 25. Februar 1836 die Ausrede, er würde "Nero" nicht verlegt haben, wenn er ihn vorher gelesen hätte! (Vgl. Glossy a. a. O. I, 64.) Herbst 1839 aber erschien bei Hoffmann & Campe das Trauerspiel "König Saul", mit dem Gutzkow der praktischen Bühne schon nähertrat. Dieses Buch wurde der preußischen Rezensur unterbreitet, und der Zensor Grano als Vertreter Johns erstattete am 3. Januar 1840 darüber folgendes Gutachten:

"Der Verfasser behandelt darin den düstern Lebensschluß jenes ersten Königs des theokratischen jüdischen Staates. Saul ringt mit der Priesterherrschaft Samuels um die Unabhängigkeit des neuen Königthums, der von dem Herrn Verworfene verfällt den dämonischen Mächten, unterliegt seinen innern und äußern Feinden und endet in Verzweiflung durch Selbstmord. Diese sehr ungleich bearbeitete Tragödie, in der wahrhaft poetische, zum Theil den Psalmen David’s nachgebildete Stellen mit unverkennbaren Trivialitäten wechseln, würde zu jeder andern Zeit zu den bedeutungslosen poetischen Versuchen zu rechnen sein. Es muß jedoch auffallen, daß der Verfasser der 'Rothen Mütze und Kapuze' gerade jetzt bei dem noch schwebenden Konflikt zwischen weltlicher und geistlicher Macht sich zur Verarbeitung eines Stoffes gedrängt fühlt, in dem nicht nur die Hierarchie in dem Untergang der herrschenden Dynastie ihre Triumphe feiert, sondern sich auch als letzter Zweck des Hohenpriesterthums die Schutzherrschaft der Menschenrechte, der weltlichen Macht gegenüber darstellt (S. 87). Wünscht er deshalb diesem Erzeugnisse zeitgemäße Deutung, worauf die Tendenzen seiner übrigen Schriften schließen lassen, so stellt er seinen Takt bei der Auswahl dieses Stoffs nicht eben in ein günstiges Licht; denn für die noch ungelösten Fragen der Zeit sucht man in dem Gang des Schicksals die Entscheidung. Noch weniger liegt indessen eine Berechtigung vor, seine Absicht bei dieser literarischen Erscheinung zu verdächtigen, da er nicht nur durch die jesuitische Priestermoral, die Anmaßung und das ränkevolle Treiben Samuel’s (S. 11, 41, 93), sondern auch durch die gedachte Schrift auf jedem Blatte gegen eine solch ungünstige Auslegung auf energische Weise protestirt. Die neuesten Zeitereignisse dürften ihm daher wohl den Stoff zugeführt, er aber dabei nicht bedacht haben, daß die Erscheinung einer Auslegung unterliegen könnte, die seiner eigenen Überzeugung schnurstracks entgegentritt. Im übrigen findet sich gegen den Inhalt des Buches nichts zu erinnern. Die Philister, repräsentirt durch Flach und Oberflach, sind moderne Figuren des Witzes burschikoser Studenten und kontrastiren auffallend, doch nicht in Shakespeare’s Weise mit der sonstigen Haltung des Stückes; die Schlußrede Samuel’s aber enthält ein oft dagewesenes Memento mori an die Herrscher der Welt, wie sie in Calderon und Schiller zu finden sind. Hiernach glaube ich, daß von dem Buche keine Nachtheile zu befahren sind, es überhaupt nur einen sehr beschränkten Lesezirkel finden muß."

Das Oberzensurkollegium hatte demnach gegen das Stück nichts einzuwenden (24. Januar), am 14. Februar 1840 wurde sein Verkauf in Preußen zugelassen. An dem im ganzen nicht üblen Gutachten Granos ist aber charakteristisch, daß seine gnädige Zustimmung nicht unwesentlich durch die Spekulation beeinflußt ist, Gutzkows Tendenz könne eine Deutung erfahren, die dem Dichter selbst unbequem sei. Daß die damals tobenden Kämpfe zwischen Preußen und der römischen Kurie Gutzkow zur Wahl des Stoffes bestimmt hätten, wurde von ihm öffentlich bestritten, als die Buchhändleranzeige auf eine "Abspiegelung unserer kirchlichen Wirren in einer dreitausendjährigen Vergangenheit" hindeutete; die tendenziöse Beziehung sei "rein zufällig" ("Telegraph" 1839, Nr. 168); es fehlte ja nur noch, daß die Berliner Zensur mit der Nase darauf gestoßen wurde. Aber die Aktualität des Stoffes war schlechterdings nicht zu bestreiten und wurde auch sofort von den Lesern empfunden, wie Georg Herweghs Kritik in der "Deutschen Volkshalle" (Belle-Vue) zeigte; seinem Eindruck nach war "das tragische Ende Sauls mit specieller Beziehung auf die Kölner Angelegenheiten" behandelt. Diese rein äußerliche Auffassung nimmt bei einem Dichter wie Herwegh wunder. Der Lebensnerv des Saulproblems lag für Gutzkow ganz anderswo; er liegt in den Worten Jonathans:

"Ein neu Geschlecht steht vor dem Thor - und Lüge

Wird manches werden, was jetzt Wahrheit scheint."

Wem konnte diese Empfindung näherliegen als dem Schriftsteller des "Jungen Deutschlands", der am ärgsten Sauls Haß erfahren, im wildesten Kampf mit einer unduldsamen Vergangenheit gestanden hatte! David gegen Saul - diese Kampfstellung ist ewig, da stets die Jugend gegen das Alter aufbegehren wird; die gewaltige Symbolik des Bibelstoffes hat daher bis zum heutigen Tag zahllose Dichter gelockt. Aber keines der Sauldramen kann auch den mit dem Stoff verwachsenen Kampf des Königtums gegen das Priestertum umgehen, es war daher nicht nüchtern zurechtgelegte "Tendenz", wenn Gutzkow auch dieses Aufeinanderprallen zweier Mächte in dem großen Widersacher seines Saul, dem Hohenpriester Samuel, symbolisierte. Ein bloßes Buchdrama zu schaffen, war aber keineswegs seine Absicht, er hatte den grandiosen Stoff so einfach wie möglich geformt, um den Forderungen der Bühne gerecht zu werden. Daß die Aktualität des Stoffes ihm dabei im Wege stehen, daß die Hoftheater - nur diese bedeuteten damals für den Dramatiker etwas - schwerlich dulden würden, "was der Schatten Samuels spricht", sah er allerdings voraus; wurde der Haß Samuels gegen das Königtum von der Zensur gestrichen oder sonst irgendwie beschränkt, so würde das unfehlbar die Nichtaufführung des Stückes nach sich ziehen, schrieb er am 23. Dezember 1838 an den Schauspieler Theodor Döring. Noch sicherer war, daß die Hoftheaterintendanten sich bekreuzigen würden bei der Zumutung, das Stück eines Autors aufzuführen, dessen Name in der Berliner Presse nicht einmal genannt werden durfte. Auf diese Schwierigkeit mußte er von vornherein gefaßt sein, und da er außerdem wußte, wie schwer es dem einmal "geaichten" Schriftsteller gemacht wird, sich auf einem neuen Felde zu betätigen, mußte er versuchen, zunächst Intendanten und Kritik irrezuführen. Der Bonner Kurator J. P. v. Rehfues hatte ihm, ehe er das Werk noch kannte, geraten, es fünf Jahre liegen zu lassen und dann erst die Aufführung zu betreiben - ein billiger Rat für einen Mann, der sich in demselben Briefe (vom 28. Januar 1839) rühmen konnte, drei schöne Besitzungen im Siebengebirge sein eigen zu nennen! Gerade in diesen Tagen hatte Gutzkow seinen "König Saul" an den ihm befreundeten Schauspieler Karl Seydelmann in Berlin gesandt und von diesem die Antwort erhalten, es sei "bühnenfähig" genug, um dem Intendanten des Berliner Hoftheaters, dem Grafen v. Redern, angeboten werden zu können. Gutzkows Name wurde dabei sorgfältig verschwiegen, der Verfasser hieß "Leonhard Falk". Da die Antwort auf sich warten ließ, mahnte dieser Falk am 25. März den Intendanten. Noch immer regte sich nichts - am 15. April drang Falk erneut auf baldige Entscheidung. Endlich am 9. Mai erfolgte die Antwort: in acht Tagen werde sich die "Prüfungskommission" schlüssig werden, Herr Falk möge bis dahin auch sein neues Stück "Richard Savage", von dem wiederum Seydelmann Mitteilung gemacht, einsenden. Diesen "Richard Savage" hatte Gutzkow, gleichfalls unter dem Namen Leonhard Falk, schon am 28. März 1839 nach Wien geschickt an den Vizedirektor des Burgtheaters, Deinhardstein, denn auch dort durfte er ja das Vorurteil gegen seinen Namen nicht herausfordern. Er sandte das Stück nun schleunigst auch nach Berlin und hatte die Genugtuung, schon am 29. Mai zu hören, daß es vom Berliner Hoftheater angenommen sei. "König Saul" allerdings kam zurück, auch die Bemühungen Dörings, eine Aufführung in Stuttgart zu erreichen, blieben ohne Erfolg. In der Literaturgeschichte gewann "König Saul" aber dadurch eine Bedeutung, daß Friedrich Hebbel daraus die Anregung zu seiner "Judith" schöpfte. "Sollte sich Saul," so tröstete Rehfues am 6. Juni den Dichter, "wie ich fürchten muß, von der Politik nicht ganz frei gehalten haben, so erklärt sich die Verzögerung seiner Annahme, besonders da der Verfasser einmal von dieser Seite Besorgnisse erregt hat. Auch die freisinnigste Regierung kann in solchen Dingen nicht immer, wie sie will, und hat, nach dem Standpunkt, den sie einmal eingenommen, Menagements zu beobachten, die ihrem eigenen System fremd sein können. Sie dürfen froh sein, wenn Ihnen nur keine persönlichen Intriken entgegen treten, an denen es schwerlich ganz fehlen wird. Übrigens wird der Erfolg des Savage viele Hindernisse aus dem Weg räumen." Dieser Erfolg stellte sich denn auch bei der Uraufführung in Frankfurt a. M. am 15. Juli 1839 voll und ganz ein. Der richtige Name des Verfassers war allerdings schon bekannt geworden, Gutzkow hatte dem dortigen Ensemble sein Stück selbst vorgelesen. Das Pseudonym Falk behagte ihm daher nicht mehr, er zog es vor, das Stück in Frankfurt ganz anonym spielen zu lassen. Der Bundespräsidialgesandte v. Münch-Bellinghausen wohnte der Aufführung bei und hatte nichts zu beanstanden. Nun war das Versteckspiel überflüssig, und am 27. Juli bedankte sich Gutzkow - nicht mehr Falk - beim Berliner Intendanten für die Annahme. Die dortige Aufführung fand am 2. Mai 1840 statt, und zwar unter Gutzkows Namen. Das Königliche Hoftheater hatte seine eigene Zensur, aber natürlich bedurfte es in diesem Fall der Genehmigung des Königs, die v. Redern erbat und auch erhielt. Erst am 28. April teilte er das dem Polizeiministerium mit und legte ihm das Textbuch vor, damit es von John geprüft werde; das hatte jedenfalls der König verlangt, um die einmal bestehende Form nicht zu verletzen. Bereits zwei Tage später - die Aufführung war schon lange auf den 2. Mai angesetzt - hatte John das Werk Gutzkows gelesen, und Minister v. Rochow verständigte nun den Oberpräsidenten v. Bassewitz davon, daß gegen Ankündigungen und Besprechungen des "Richard Savage" von Gutzkow in den Zeitungen nichts einzuwenden sei. Als Leonhard Falk korrespondierte Gutzkow nur noch eine Weile mit dem Wiener Burgtheater, denn hier hatte der Direktor (zugleich Zensor) Deinhardstein Bedenken. Infolgedessen kam das anfangs verbotene Stück dort erst zwei Jahre später zur Aufführung (6. September 1842) und in einer Form, die Gutzkow unterdes längst umgestoßen hatte. In der ersten Fassung, die ganz verschollen zu sein scheint, galt Richard Savage vier Akte hindurch als illegitimer Sohn einer Lady; im fünften Akt erst enthüllte sich das als ein Irrtum; es war noch ein Rest romantischer Ironie, die den Verfasser zu einer solchen Düpierung des Publikums reizte. In Wien aber sträubte man sich schon gegen den vier Akte lang aufrechterhaltenen Schein, eine Aristokratin könne einen unehelichen Sohn haben, und als Gutzkow März 1840 den fünften Akt endgültig umänderte und seinen Helden zum wirklich illegitimen Sohn der Lady machte, die sich auf dem Sterbebett zu dem Verstoßenen bekennt, griff man in Wien denn doch lieber auf die erste Form des Schlusses zurück, die immer noch weniger gegen die Empfindlichkeit der Wiener Salonmoral verstieß. Um diese Zeit waren bereits mehrere Stücke von Gutzkow auf der Burg heimisch, und sein Name durfte genannt werden; vordem aber, als Theodor Döring schon am 6. Oktober 1839 den "Richard Savage" in Pest spielte, strich der Zensor den Wiener Zeitungen alle Kritiken, die aus Pest darüber eingelaufen waren. In Dresden wußte Emil Devrient den Widerstand des Intendanten v. Lüttichau, der den "Richard Savage" am 29. März 1839 kurzerhand zurückgeschickt hatte, zweifellos auch nur aus sittlichen Bedenken, zu überwinden; die dortige Premiere erfolgte am 1. Januar 1840.

Patkul - Werner#

Gutzkow war also nun Autor des Königlichen Hoftheaters in Berlin, derweil er noch immer auf der Proskriptionsliste der dortigen Zensur stand; die Berliner Kritik durfte seine Stücke sogar loben, während sie die Mehrzahl seiner Bücher mit Stillschweigen zu übergehen hatte. Vom Mai 1840 bis Juni 1841 wurden sogar nicht weniger als drei Stücke von ihm im Berliner Schauspielhaus aufgeführt; dem "Richard Savage" folgte am 19. Juni 1841 das historische Trauerspiel "Patkul" und am 13. September das bürgerliche Schauspiel "Werner", das sich seit der erfolgreichen Hamburger Premiere am 22. Februar 1840 als eines der meistgespielten Dramen Gutzkows erwies. In Wien, wo es am 14. Oktober 1840 den neuen Dramatiker bestens einführte, hatte die Zensur eine charakteristische Änderung verlangt: im Schlußakt legt ein geadelter Bürgerlicher seinen Adel wieder ab, und seine Frau, eine geborene v. Jordan, soll einfach Frau Professor Werner heißen. Das war auf dem damaligen Hofburgtheater unmöglich, zum mindesten verlangte man, daß Professor Werner, "schon aus Rücksicht auf seine Gemahlin", erklärte, seinen Kindern die Führung des Adels als Erbe seines Schwiegervaters gestatten zu wollen. In Berlin mußte nur, mit Rücksicht auf die noch bestehende Familie v. Jordan, der Name als Jordón gesprochen werden; v. Jordan hieß unter anderem der preußische Gesandte in Dresden, der in Zensurkonflikten mit dem Leipziger Buchhandel oft in Anspruch genommen wurde. - Für "Patkul" soll sich, nach einer brieflichen Angabe Gutzkows (an Holbein, 8. Mai 1841) Friedrich Wilhelm IV. besonders interessiert haben. Aus den Akten des Schauspielhauses ergab sich nur, daß Gutzkow das Manuskript am 10. Februar nach Berlin schickte - die Uraufführung in Hamburg am 2l. Januar 1841 hatte bestrittenen Erfolg -, und daß der Intendant v. Redern am 30. März antwortete, das Stück habe "ausnehmend gefallen", er werde es daher "mit Vergnügen und Dank" alsbald zur Darstellung bringen. Auffallend war allerdings, daß er "Patkul" vor "Werner" herausbrachte, dem Einspruch des sächsischen Gesandten zum Trotz, denn die Erinnerung an das tragische Ende des livländischen Nationalhelden, der von dem treulosen sächsischen Kurfürsten Friedrich August II. seinen Todfeinden, den Schweden, ausgeliefert und grausam hingerichtet wurde, war dem sächsischen Hofe sehr unbehaglich. Der Berliner Intendant mußte seines Rückhalts beim König gewiß sein, wenn er die Aufführung wagte, um so mehr, als das Stück, wie Gutzkow selbst fühlte, "freisinniger geraten" war, als er hoffte und wollte. Für Dresden war es, trotz der Bemühungen Emil Devrients, natürlich ganz unmöglich, ebenso in Wien, und der Schauspieler J. B. Baison behielt recht, wenn er am 22. Februar 1841 an Gutzkow schrieb: "Patkul wird leider seiner freisinnigen Tendenz wegen Ihnen weniger einbringen ... Patkul, möcht' ich sagen, löst eine gegenwärtige Zeitfrage - wenn er überall gerade jetzt gegeben werden dürfte, Sie würden der Mann von ganz Deutschland! Aber, du lieber Gott, unsere ängstlichen Regierungen und 'daß die Gewalt auch stets so gute Schergen hat' - die Censur!" In Darmstadt wieder brachte die Vorliebe für Rußland das Stück auf die großherzogliche Hofbühne. So diente der Dichter als Spielball höfischer Sympathien oder Antipathien. - Einen andern, halb politischen Stoff hatte Gutzkow schon vor "Patkul" zu bearbeiten begonnen, aber wieder beiseite gelegt; eine edle Fürstenmätresse, eine Gestalt aus der Geschichte des preußischen Königshauses, mußte von vornherein für die ausschlaggebenden Hofbühnen unmöglich sein. "Gräfin Esther" blieb daher Fragment. - Dennoch drängte es den Dichter immer wieder zum historischen Drama. Vielleicht, daß sich dem historischen Lustspiel gegenüber das grämliche Gesicht der Zensur erheiterte? Auch dieser Versuch brachte eine Enttäuschung, die bitterste wohl, die Gutzkow erlebt hat.

Zopf und Schwert#

Bei einem Frühlingsaufenthalt in Oberitalien, in Mailand und am Comer See, schrieb er 1843 sein historisches Lustspiel "Zopf und Schwert"; schon am Neujahrstag 1844 erlebte es in Dresden seine Uraufführung. Der Erfolg war durchschlagend, und wenn der vaterländische Stoff naturgemäß nicht allerorten die gleiche Teilnahme fand, so ist dieses echt deutsche Lustspiel doch bis zum heutigen Tag ein Repertoirestück unseres Theaters geblieben. Manche seiner politischen Pointen mögen uns heute etwas überlebt erscheinen - manche auch haben durch die heutige Weltlage eine neue Aktualität gewonnen. Seine zündende Wirkung verdankt das Werk übrigens keineswegs, wie die Mehrzahl der Gutzkow wenig geneigten Literarhistoriker immer einer dem andern nachschreibt, diesen politischen Spitzen, die im Dialog hier und da zutage treten; denn diese Spitzen wurden vor der Aufführung von sorgsamer Zensorhand feinsäuberlich abgefeilt oder auch von Gutzkow selbst beseitigt. Anzüglichkeiten wie: "Bewegung? Die wird sich in Österreich noch halten lassen!" hätten gewiß als Ausdruck reichsdeutscher Stimmung gegen Metternichs Österreich im vormärzlichen Parterre jubelnden Beifall gefunden; in Wirklichkeit sind sie damals nie, wenigstens nicht auf "maßgebenden Bühnen", gesprochen worden. Es war auch dem ersten Darsteller des Erbprinzen, Emil Devrient, der sich um die schnelle Aufführung des Stückes ein rühmenswertes Verdienst erwarb, keineswegs leicht geworden, die Bedenken des Dresdener Intendanten v. Lüttichau zu beseitigen. Als der Dichter im März 1844 persönlich der siebenten Darstellung seines Werkes in Dresden beiwohnte, sah er, daß eine "Unmasse" der "pikantesten Stellen" gestrichen worden war. "Es ist doch eine erstickende Luft, diese Hofluft", schrieb er ziemlich zerknirscht an seine Gattin, und von der zweiten Vorstellung am 3. Januar, die durch die Anwesenheit des damaligen russischen Thronfolgers, späteren Kaisers Alexander II., zu einer besondern Sensation wurde, hat ein Augenzeuge, der sächsische Schriftsteller Theodor Drobisch, nach Gutzkows Tode eine lustige Erinnerung veröffentlicht. Noch bei der Generalprobe, versichert er, sei Lüttichau kopfscheu geworden und habe auf Fortlassung mancher Dialogstellen, ja ganzer Szenen bestanden. "In jedem Satz sah er ein Gespenst, das ihm zuraunte: Ergreife nicht die Fahne der jungen dramatischen Literatur, nimm Rücksicht auf einen Hof, wenn dir dein Roter Adlerorden erster Klasse noch lieb und wert ist." Nach der ersten Aufführung sollte der preußische Gesandte, nach andern der österreichische, Einspruch erhoben haben. "Während dieser Zeit war Lüttichau der wahre 'Hofmeister in tausend Ängsten', und seine Befürchtung erreichte jedenfalls den Hitzegrad, als der gesamte Hof mit dem hohen Gast seinen Besuch anmelden ließ. Ich belauschte die Gesichtszüge der hohen Herrschaften, wenn auf der Bühne mehrfache Rauhheiten und Eigentümlichkeiten gegenüber königlicher Würde zutage kamen. Ich betrachtete einige Hofdamen, welche bedenklich den Kopf schüttelten, als ein Bayreuther Prinz, von Rheinsberg kommend, ohne noch dem König vorgestellt zu sein, in das Zimmer der Prinzessin dringt und lange Zeit bei ihr allein bleibt. Nun erst, als der König in Hemdsärmeln erschien. Ich bin sicher, daß einige Damen schamrot wurden, während der König Friedrich August und sein hoher Gast sich zu amüsieren schienen, obgleich sie vielleicht im Stillen fühlen mochten, daß in dem Stück mehr Derbheit als Romantik vorkomme, auch letztere in den Sitten und dem Geschmacke Deutschlands im Jahre 1736, wo das Stück spielt, nicht gerade zu finden sei. Der Beifall und das Applaudissement war auch nach der zweiten Aufführung wahrhaft grandios, jedenfalls zur Bewunderung der im Parterre aufgestellten zwei Polizeigensdarmen, von denen einer einem fremden, auf eigene Faust enthusiastisch applaudierenden Zuschauer die Worte zuraunte: 'Mein Herr, menagieren Sie sich, das ist hier nicht Mode!'"

Lüttichaus Angst war von Stund’ an gewichen. Was konnte einem sächsischen Intendanten noch Übles widerfahren, wenn der russische Thronfolger lachend Beifall geklatscht hatte! Rücksicht auf Preußen? Der war man überhoben. "In Dresden ist man nur allein Reklamationen großer Mächte zugänglich", schrieb am 1. März 1844 einer der Spione Metternichs stolz nach Wien!

Daß die Intendanz der Königlichen Schauspiele in Berlin - seit dem 1. Juni 1842 war K. Th. v. Küstner Nachfolger des Grafen Redern - bei der Zumutung, "Zopf und Schwert" aufführen zu sollen, erschrecken würde, hatte Gutzkow vorausgesehen und deshalb am 16. Oktober 1843 das eben im Manuskriptdruck fertig gewordene Stück dem Könige persönlich vorgelegt, zugleich mit seinem Dank für die ihm nur durch Zufall gewährte Befreiung von den bisherigen Zensurmaßregeln gegen seine Schriften. Über das Lustspiel sagte er in diesem Brief an Friedrich Wilhelm IV.:

"Wie hingebend mein Herz der Heimath schlägt, wo ich mit allen Lebensströmen ihr angehören darf, wag’ ich sogleich Ew. Majestät an der unterthänigst beigefügten Anlage zu zeigen. Dies neue, auf mehreren Bühnen schon zur Darstellung vorbereitete Drama von mir darf, obgleich hundert Jahre seit dem Sujet verstrichen sind, schwerlich darauf rechnen, an der Königl. Hofbühne in Berlin gegeben zu werden, aber selbst bei flüchtiger Durchblätterung kann Ew. Majestät nicht entgehen, daß trotz der komischen u. zuweilen burlesken äußern Absicht dieses Theaterstückes dem Ganzen doch eine warme, aufrichtige, vaterländisch-preußische Tendenz zum Grunde liegt, eine Tendenz, die hier nicht aus einem allgemeinen künstlerischen oder historischen Interesse allein, sondern in weit größerm Maaße aus dem Gemüth und der Anhänglichkeit an meine ersten Jugendeindrücke geflossen ist.

Wollen Ew. Majestät diese unbedeutende Zusendung als einen Beweis meiner tiefsten Verehrung vor einem seltnen, hochgebildeten Kennergeiste entgegennehmen und es einen Augenblick erwägen, ob sich vielleicht doch eine solche zwar grelle, aber treugemeinte Erinnerung an alte Zeiten in Berlin selbst vergegenwärtigen ließe, so würde sich dadurch in seiner oft dornenvollen Laufbahn und in seiner einsamen Lebensstellung tiefbeglückt finden

Ew. Majestät allerunterthänigster Karl Gutzkow."

Der König ließ sich das neue Werk Gutzkows, dem er ebensowenig wie sein Vater hold gesinnt war, in Sanssouci vorlesen und soll dabei sehr gelacht haben. Als aber nun auch der Intendant v. Küstner um die Genehmigung der Aufführung bat, machte er die Entscheidung von dem Urteil Ludwig Tiecks abhängig, des jetzigen preußischen Geheimen Hofrats, der Ruine aus alter romantischer Zeit, die der neue Herr nach seiner Thronbesteigung als blendende Theaterkulisse nach Berlin verpflanzt hatte. Und Tieck erklärte, wie kaum anders zu erwarten war, die Aufführung von "Zopf und Schwert" auf der Berliner Hofbühne für unmöglich; abgesehen von der "Entstellung der wirklichen, so naheliegenden Geschichte" sei die Person des Königs Friedrich Wilhelm I. darin "zu unwürdig und kleinlich" behandelt; königliche Würde, selbst Anstand, fehlten ganz; das Stück sei, "vielleicht ohne Absicht des Verfassers", nichts anderes als "ein Lächerlich-Machen des ganzen Hofes"! Von Shakespeare könne jeder Autor lernen, wie Könige in theatralischer Darstellung zu behandeln seien: niemals dürfe die Majestät "zur Farce herabgewürdigt" werden, wie es hier in der Schilderung des Tabakkollegiums und in früheren Szenen geschehe! Tieck war gewiß ein "ehrenwerter Mann", aber dieses Urteil verrät gar zu offen seine persönliche Gereiztheit gegen die junge Literatur, die auch seinem poetischen Königsmantel allerlei am Zeuge geflickt hatte. Das "vielleicht ohne Absicht des Verfassers" ist eine wohlüberlegte, technisch ganz niedliche Bosheit.

Damit hatte der König ein beachtenswertes literarisches Urteil für sich, das seiner persönlichen Abneigung recht gab, und am 26. Dezember 1843, fünf Tage vor der Premiere in Dresden, bekam der Intendant v. Küstner in Form einer Kabinettsorder den wortkargen Bescheid, die Aufführung könne nicht genehmigt werden.

Diese Ablehnung seitens der Berliner Hofbühne war nun für die übrigen deutschen Bühnen zunächst nicht maßgebend, auch nicht für die preußischen, und sie kehrten sich daran nicht, griffen vielmehr freudig nach einem Werk, das in wenigen Monaten einen Siegeszug über zahlreiche deutsche Bühnen hielt. Auch preußische, wie Magdeburg und Erfurt, waren darunter, und Gutzkow, dem Küstner die strikte Weisung des Königs jedenfalls verheimlicht haben dürfte, damit sie nicht in die Presse kam, hoffte daher immer noch auf eine Sinnesänderung des Berliner Intendanten, dem er, in Unkenntnis des Sachverhalts, die Ablehnung zuschrieb. Als er im März 1844 in Berlin weilte, "schnitt" er ihn ostentativ, besuchte ihn nicht, worüber wieder Küstner tief gekränkt war. In einer anonymen Berliner Korrespondenz für die Leipziger "Deutsche Allgemeine Zeitung" (31. März, Nr. 91) versuchte er einen Druck auf die Intendanz auszuüben. "Gutzkows 'Zopf und Schwert'", so schrieb er selbst, "hat im übrigen Deutschland die gemütlichsten Sympathien für Preußen, seine Geschichte, für die nationale Bedeutung seines Königshauses geweckt: in Gegenden, wo noch immer gegen den Norden Deutschlands eine gewisse Spannung herrschte, hat dieses Drama dem geistigen Anschluß aller Bundesglieder zu einem deutschen Ganzen in die Hände gearbeitet, und für dieses Verdienst, das sich ein deutscher Schriftsteller erworben, stellt man seiner ersten populairen und nationalen Dichtung Hindernisse in den Weg? In Köln hat sich z. B. der Censor für incompetent erklärt und erst über die Möglichkeit, dieses vaterländische Werk aufführen zu lassen, hierher berichtet, sodaß der Direktor Spielberger sich in der Freiheit beeinträchtigt sieht, welche man doch in Magdeburg, Frankfurt a. d. O., Münster und Erfurt, wo überall ,Zopf und Schwert’ volle Häuser macht, den Direktoren gestattete. Ein letzter Nachteil ist sodann der Umstand, daß einige Höfe, wie Wien und München, glauben, dem preußischen Hofe könne die Aufführung dieses Stückes unwillkommen sein, während Dresden, Weimar und selbst das mit Preußen verwandte Schwerin bald herausfanden, daß dem preußischen Hofe diese gemütliche Apologie Friedrich Wilhelms I. nur erfreulich sein könnte."

Aller Wahrscheinlichkeit nach bot nun die von Gutzkow erwähnte Anfrage des Kölner Zensors in Berlin den willkommenen Anlaß, die ganze Frage grundsätzlich zu regeln. Bisher hatten sich die Hofbühnen schon stets Dramen versperrt, die Vorfahren des regierenden Hauses auf die Bretter brachten. Nur widerwillig hatte Preußen in Ausnahmefällen, z. B. bei Kleists "Prinz von Homburg" (1828), nachgegeben. Jetzt gab Friedrich Wilhelm dieser Abneigung die bisher fehlende gesetzliche Grundlage und erließ am 20. April 1844 die vielberufene Kabinettsorder, daß verstorbene Mitglieder des Königlichen Hauses die Bühne nur mit Allerhöchster Erlaubnis betreten dürften. Eine zweite Kabinettsorder vom 13. Juli 1844 ergänzte die erstere dahin, daß Stücke dieser Art, wenn sie auf einer königlich preußischen Bühne zur Aufführung gekommen, damit für ganz Preußen freigegeben seien. Diese Verfügungen Friedrich Wilhelms IV. wurden noch 1884 durch einen preußischen Ministerialerlaß vom 28. Juli (siehe "Ministerialblatt für die innere Verwaltung" 1884, S. 210) in nachdrückliche Erinnerung gebracht; sie haben, auch von andern Höfen aufgenommen und in die Praxis umgesetzt, fast drei Menschenalter hindurch die Freiheit des historischen Dramas, wenigstens in seiner Wirkung, aufs peinlichste beschränkt und gaben gehässigster Willkür freien Spielraum. Denn was hieß: Vorfahren des regierenden Hauses? Mehr oder weniger gingen sie, in ihren unzähligen Verzweigungen, durch die ganze deutsche Geschichte seit dem grauen Mittelalter! Mit ihnen war also auch diese deutsche Geschichte von den Hofbühnen so gut wie verbannt. "Glücklicherweise haben wir unter uns keinen Shakespeare," schrieb damals die "Zeitung für die elegante Welt" unter Laubes Redaktion, "unsere Rücksichten würden ihm bald das Handwerk legen." Selbst ein Mann wie Treitschke hatte für diese Einschnürung der Literatur kein Verständnis und meinte: "Wenn die großen Hohenzollern auf der Bühne erschienen, so würden sie dem Volke doch ungleich verständlicher als durch Denkmäler und Gemälde" ("Deutsche Geschichte" V, 391). Heute würde vielleicht auch Treitschke urteilen, daß diese unglückliche Bestimmung mit die Schuld daran getragen hat, daß das Nationalgefühl des deutschen Volkes schließlich so ganz andere Wege ging als die seiner Fürstenhäuser.

Immer wieder sind die deutschen Dramatiker gegen diese Kabinettsorder Sturm gelaufen, nur in seltenen Ausnahmefällen wurde die Allerhöchste Genehmigung erteilt, sie wurde sogar willkürlich wieder zurückgezogen, wie kurz nach Gutzkows "Zopf und Schwert" Robert Prutz mit seinem "Moritz von Sachsen" erleben mußte. Für Gutzkow aber wurde die Kabinettsorder des Königs, die durch sein Lustspiel veranlaßt war, zu bösem Verhängnis. Die Ablehnung durch die Berliner Hofbühne war so gut wie ein Verbot des Stückes für die ganze Preußische Monarchie, auch für die nicht königlichen Bühnen, die jetzt das schon aufgeführte Werk vom Repertoire absetzen mußten, soweit sie nicht um besondere Erlaubnis einkamen; daß diese auch nur von einer einzigen Bühne erbeten worden wäre, dafür ergeben die Akten und Gutzkows Briefwechsel bisher keinen Anhalt. Dagegen hieß es in Breslau sofort: "Nicht aufzuführen." Der Dichter hatte nur zu sehr recht, wenn er 1844 in einem Epigramm bitter klagte:

"Liebe erwarb mein Stück für Preußens deutsche Gesinnung;

Dennoch verboten sie dir’s! Weil -? Tel est notre plaisir!"

Und auch gegen die weiteren Folgen des Berliner Verbots kämpfte der einmütige Erfolg des Lustspiels überall da, wo es gespielt werden durfte, vergebens. In Wien ging es unbeanstandet durch die normale Zensur des Hofburgtheaters. Der Polizeipräsident v. Sedlnitzky aber sah sich veranlaßt, "mit Rücksicht auf das Sujet und die politischen Beziehungen" die Meinung des Staatskanzlers einzuholen, und dieser erklärte sich am 14. Februar 1844 gegen die Aufführung, weil "abgesehen von allen übrigen Konsiderationen, in diesem, wie man es nennen will, 'geschichtlichen Charaktergemälde' das häusliche Leben einer Königsfamilie bis zur Fratze entstellt und herabgewürdigt" werde! Auf der Burg wollte Metternich das Stück nicht dulden, für die österreichischen Provinztheater aber gab er es frei. Als man jedoch schleunigst in Prag die Darstellung, wenn auch mit starken Zensurstrichen, wagte, wurde es nach der ersten Vorstellung auch für die ganze Österreichische Monarchie in den Bann getan! Der gerade in Prag weilende Erzherzog Karl hatte sich gefreut, das so viel besprochene Stück endlich sehen zu können; es hätte ihn gewiß nur ein Wort gekostet, das Verbot rückgängig zu machen, aber er erklärte, daß er "seinen eigenen Wunsch gern dem Gesetz opfere"! Vielleicht hatte man Anstoß daran genommen, daß die Prager Darstellung eine der Bühnenfiguren, den kaiserlichen Gesandten v. Seckendorf, als eine Karikatur herausbrachte, wie das noch heute oft geschieht; vielleicht aber war unterdes das Berliner Verbot bekannt geworden - wenn der Staatskanzler nicht schon vorher davon wußte; sein Urteil klingt fast wie ein Zitat aus dem Gutachten Tiecks. - Daß 1848 ein kurzlebiges Volksblatt in Wien unter dem Titel "Zopf und Schwert" erschien, gereichte dem Stück Gutzkows gewiß auch nicht zur Empfehlung. So fand es erst unter Heinrich Laube Eingang auf dem Burgtheater (3. Dezember 1861); nach 1866 fiel es der preußenfeindlichen Stimmung wieder zum Opfer; wenn Metternichs Urteil zutraf, hätte man es zu dieser Zeit ja erst recht aufführen müssen! - In Karlsruhe konnte Eduard Devrient das Werk noch 1856 nicht durch die Zensur bringen. In Stuttgart erschien es 1863 als "Novität"; als 1843 Franz Dingelstedt, der "Tyrannenvorleser", dem Könige Wilhelm von Württemberg das Werk seines Freundes Gutzkow zur Lektüre gab, erklärte der Fürst: "Nein, das geht nicht, das ist ganz mein Vater, der in dem König Friedrich Wilhelm geschildert ist" (Glossy II, 140). Merkwürdige Ähnlichkeit der Fürsten! - In Petersburg nahm man keine Rücksicht auf die königlich preußische Verwandtschaft; dort ging "Zopf und Schwert" schon am 2. Oktober 1844 in Szene; Gutzkows Freundin Therese v. Bacheracht, die Tochter des russischen Residenten v. Struve in Hamburg, soll die Vermittlerin gewesen sein (Glossy II, 190 f.); die Erinnerung des russischen Thronfolgers an den vergnügten Theaterabend in Dresden dürfte dabei den Ausschlag gegeben haben.

Die Berliner Witzbolde motivierten das Verbot auf ihre Weise: da ein König in dem Stücke rauche, würde das Publikum sehen, wie ihm blauer Dunst vorgemacht werde. Dem Dichter aber brachte es auch einen sehr ernsthaften wirtschaftlichen Schaden. Damals wurde auf den Hofbühnen nach und nach die Tantieme eingeführt, aber nur für neue Stücke, die älteren waren Freiwild, nachdem sie durch ein einmaliges kärgliches Honorar abgekauft waren. Jetzt hatte er seinen bisher größten Erfolg errungen, und der klingende Lohn dafür blieb so gut wie aus! Die paar Taler Honorar von den Provinzbühnen konnten dem Dichter das Leben nicht fristen. Nach sechzehn Jahren, die zahllose Vorstellungen des Lustspiels gebracht hatten, mußte er dem Schauspieler Emil Devrient gestehen: "Für 'Zopf und Schwert' habe ich von sämtlichen deutschen Bühnen 1200 Thaler eingenommen. Ein französischer Autor hätte mit einem so einschlagenden Stück 12 000 Thaler gewonnen." Hätte damals bereits das in Deutschland erst 1870 eingeführte Urheberrecht an dramatischen Werken bestanden, ein Stück wie "Zopf und Schwert" hätte seinem Autor auf Jahrzehnte hinaus eine behagliche Existenz gesichert und ihn von schriftstellerischer Fronarbeit befreit. Und den ärmlichen Ertrag verkümmerte dem Dramatiker noch die Zensur der Hofbühnen auf Grund jener preußischen Kabinettsorder vom April 1844!

Noch lange nach Gutzkows Tod blieb das preußische Verbot von "Zopf und Schwert" in Geltung. Aber nur für das Königliche Theater selbst. Anderen Bühnen erlaubte man schon in den fünfziger Jahren die Aufnahme des Lustspiels. In Berlin selbst führten fremde Gäste es ein. Im Sommer 1853 spielte Eduard Genast mit mehreren Weimarer Kollegen auf dem Friedrich-Wilhelmstädtischen (späteren Deutschen) Theater, und Genast wußte den Polizeipräsidenten v. Hinckeldey zur Aufhebung des Verbots zu bewegen. Vier Wochen lang bestand das Repertoire der Wilhelmstadt nur aus "Zopf und Schwert" und aus Freytags "Journalisten", die damals ebenfalls vom Hoftheater verbannt waren; am Schluß gesellte sich noch Ludwigs "Erbförster" hinzu. Kurz vor Ende des Gastspiels kam aber vom Polizeipräsidenten die Warnung, man sähe höheren Ortes die Aufführung des Gutzkowschen Lustspiels nicht gern. Ende der siebziger Jahre brachte dann August Förster, der als der vollendetste Darsteller des Königs Friedrich Wilhelm I. gerühmt wird, das Stück auf das Berliner Residenztheater; am Vorabend des Sedantages 1886 erschien es, ebenfalls mit Förster als König und mit Kainz als Erbprinzen, auf dem nunmehrigen Deutschen Theater. Erst am 1. Oktober 1893, also unter Kaiser Wilhelm II., öffnete ihm endlich auch das Königliche Schauspielhaus seine Pforten, ein volles halbes Jahrhundert nach der Uraufführung in Dresden! - Dem oben erwähnten preußischen Ministerialerlaß von 1884 ist ein Verzeichnis der bis dahin durch königliche Entscheidung erlaubten Stücke mit Hohenzollernfiguren beigegeben; Gutzkows "Zopf und Schwert" steht als Nr. 25 am Schluß.

Pugatschew - Das Urbild des Tartüffe#

Wenn Gutzkow hoffte, Berlin würde sich für die Petersburger Aufführung von "Zopf und Schwert" dadurch revanchieren, daß es sein neues historisches Drama aus der russischen Geschichte "Pugatschew" annehme, so täuschte er sich gründlich. Nicht nur Preußen, auch die übrigen Bundesstaaten hatten, wie Gutzkow an Levin Schücking (22. November 1844) schrieb, "vor Sr. Excellenz dem Flügeladjutanten Orloff in Petersburg soviel Respect, daß sie seine blutbefleckten Vorfahren nicht auf der Bühne dargestellt sehen" wollten, die Hofbühnen verboten auch dieses Stück einstimmig - eine klägliche Abhängigkeit vom Auslande, die in der Geschichte der Zensur das ganze neunzehnte Jahrhundert hindurch eine große Rolle spielt. - Ein Jahr nach "Zopf und Schwert" gelang es Gutzkow endlich, mit einem neuen historischen Lustspiel die Bedenken der Zensur fast ganz zum Schweigen zu bringen. Sein "Urbild des Tartüffe", sein zweiter großer Erfolg, ging unbeanstandet auch über die deutschen Hofbühnen; bei der Dresdener Erstaufführung (1. Januar 1845) hatten nur wenige Stellen gegen die katholische Kirche, den Beichtstuhl usw. fortfallen müssen. Gutzkow hatte besondern Wert darauf gelegt, das Stück zuerst auf der Bühne eines katholischen Hofes herauszubringen, damit Bedenken dieser Art gleich zum Schweigen kamen; nur Oldenburg war ihr (15. Dezember 1844) zuvorgekommen. Der Berliner Intendant v. Küstner konnte es diesmal wagen, dem Dichter die für dort nötigen Zensurstriche zur Genehmigung vorzulegen, ohne sich eine Blöße zu geben. - Heftigst dagegen sträubte man sich wiederum in Wien gegen dieses selbst von Hebbel bewunderte Meisterwerk. Auch diesmal fragte Sedlnitzky erst den Staatskanzler um seine Meinung, und Metternich antwortete, er sehe nicht ein, daß, da eine "weise Staatsverwaltung" die Aufführung des Molièreschen "Tartüffe" nicht gestattet habe, die Darstellung des "Urbildes" zugelassen werden könne, zumal es mit der frivolen Rolle, die der Verfasser den König Ludwig XIV. darin spielen lasse, auf eine Herabwürdigung des Königtums abgesehen sei. "Es würde der kaiserlichen Regierung nicht wohl anstehen, in jedem einzelnen Falle einem ausländischen dramatischen Dichter gegenüber über das, was nach den Regierungsgrundsätzen und Zensurvorschriften Österreichs auf einer Hofbühne zulässig sei, sich in eine Diskussion einzulassen oder zum Teil selbst Abänderungen an die Hand zu geben, welches bei dem unter den jüngeren Dramatikern des Auslandes vorherrschenden Geiste überdies noch zu hämischen, der Würde der Regierung abträglichen Bemerkungen Anlaß geben könnte!" In Wien gelangte das Urbild infolgedessen erst nach der Revolution des Jahres 1848 aufs Burgtheater. - Dieser Sieg Gutzkows über die Zensur fast auf der ganzen Linie war um so bemerkenswerter, als das "Urbild des Tartüffe" gerade eine Satire auf die Zensur und aus den damaligen Kämpfen um die Preßfreiheit erwachsen war! "Rücksichtslos gingen die polizeilichen Maßnahmen über die Lebensinteressen der Autoren hinweg", sagte Gutzkow in dem spätem Vorwort zu diesem Lustspiel. "Eine kalte, mumienhaft vertrocknete Praxis der Censurbehörden kümmerte sich um keine Bitte, keine Versicherung, die Harmlosigkeit der ihnen vorgelegten Erfindungen betreffend; in Preußen herrschte eine Coterie höherer Polizei- und Regierungsbeamten, deren oberster Chef Tzschoppe mit fixen, man könnte sagen, Alba-Ideen und schon als Irrer umging, während er noch den Staatsrat besuchte." Es war in der Tat das vereinzelte Symptom einer "neuen, freien Zeit", daß ein solches Stück wie das "Urbild" in Berlin erscheinen durfte und zahlreiche Wiederholungen erlebte, bis 1875 nicht weniger als 52.

Anonym#

Eine Satire auf deutsche Verhältnisse sollte auch eine der nächsten dramatischen Arbeiten Gutzkows sein, ein historisches Lustspiel "Anonym". Es spielte in London, die englische Maske war durch die Rücksicht auf die Zensur geboten. Da aber ein englischer Prinz in dem Stück eine preußische Prinzessin geheiratet hatte, erregte selbst das englische Milieu in Berlin Bedenken; "höhere Kreise" nahmen daran Anstoß, und Gutzkow mußte sich verpflichten, seinen Herzog von Rutland in einen Herzog von Norwig und den Herzog von Gloster in einen Lord Brummel zu verwandeln. Die Initiative des Königs soll zwar diese Hindernisse, die ihm der Intendant v. Küstner darlegte, beseitigt haben, aber Gutzkow zog das Stück, abgeschreckt durch Mißerfolge in Dresden und Frankfurt, zurück. Bald darauf spielte er einen bessern Trumpf aus, seinen "Uriel Acosta".

Uriel Acosta#

Der Erfolg des "Uriel Acosta" steht ziemlich einzig da in der Theatergeschichte des 19. Jahrhunderts. Aber auch er wurde geschmälert und die Freude daran dem Dichter vergällt durch die Zensurschwierigkeiten, die auch diesem Werk allenthalben in den Weg traten. In Dresden hatte Emil Devrient die Bedenken des Intendanten v. Lüttichau gegen das religiöse Problem und das jüdische Milieu glücklich überwunden; am 13. Dezember 1846 ging "Uriel Acosta" mit sensationeller Wirkung über die dortige Hofbühne. Für Gutzkow war dieser unbestrittene Sieg von doppeltem Wert, denn seit dem 19. November war er zum Dramaturgen des Dresdner Theaters ernannt worden, er hätte daher seinen neuen Posten unter keinen glücklicheren Vorbedingungen antreten können. Aber schon am Abend der Premiere gab die dem Dichter gewogene Gattin des Intendanten ihm einen Wink, daß der stürmische Beifall bei Hofe als eine Demonstration im Sinne der "Tendenz" des Dramas empfunden worden sei, eine "hohe Frau", wahrscheinlich die Prinzessin Amalie, selbst eine erfolgreiche dramatische Dichterin, hatte während der Vorstellung mehrmals unwillig den Fauteuil gerückt, und prompt fand sich am nächsten Tag auf der Intendanz eine Kabinettsorder ein, in der König Friedrich August drohte, dem Theater künftig einen Zensor zu setzen, wenn Stücke so aufregender Art wie die "Karlsschüler" von Laube und jetzt dieser "Uriel Acosta" gegeben würden, und die Wiederholung des letzteren untersagte.

Gutzkow beantwortete das Verbot mit einem Gesuch um Entlassung, noch ehe er seine Dramaturgenstelle offiziell angetreten hatte. "Bei Beginn meiner Thätigkeit so von oben her begrüßt," erklärte er mit Recht, "würde ich beim Personal kein Vertrauen finden." Dieses unerwartet entschiedene Auftreten imponierte oben. Man schien einzusehen, daß man sich denn doch etwas übereilt hatte, und der literaturfreundliche Prinz Johann erhielt den Auftrag, den königlichen Lapsus wieder gutzumachen; er sollte als Zensor das Stück durchsehen, alle anstößigen Stellen beseitigen und es dann wieder freigeben. Der prinzliche Zensor waltete auch seines Amtes, beanstandete eine Reihe von Stellen, in denen die Worte Priester, Glaube und Kirche vorkamen, Gutzkow nahm auf dem Hausministerium das Zensurexemplar in Empfang, mußte sich bequemen, die angestrichenen Stellen dem hohen Wunsch entsprechend zu mildern, und reichte am 22. Dezember die mit vierzig Änderungen versehene "editio castigata" seines Werkes dem Hausministerium wieder ein. Die dicken Bleistiftbalken, die vor achtundsiebzig Jahren jene gefährlichen Worte unlesbar machen sollten, sind im Soufflierbuch des Dresdener Hoftheaters noch heute erkennbar als charakteristische Rudimente einer noch keineswegs ganz erstorbenen Vergangenheit. Das Wort "Priester" ist überall da gestrichen, wo es durch den Rhythmus des Verses besonders ins Ohr fällt. "Was sagst du, Simon - Priester an der Pforte?" fragt Manasse zu Anfang der 6. Szene des 2. Aufzugs. Hier hieß es jetzt: "Rabbinen an der Pforte?" In der großen Überredungsszene zwischen Silva und Uriel ruft dieser: "Mir selber bin ich irrend, Priestern nicht!" Den Sinn des Verses zerstört völlig die hier angebrachte Änderung: "andern nicht". Der wuchtige Schlußsatz des Monologs im 3. Akt: "Den Priestern aber widerruf ich nicht" ist verändert in "Und diesen Irrtum widerruf ich nicht", was dem Vers jede Bedeutung raubt und ihn überflüssig macht, ist es doch gerade die geistige Herrschaft der Priester, die Uriel nicht anerkennen will. In der 3. Szene des 3. Aktes ist "Priester" einmal sogar durch "Rache" ersetzt, als wenn das beiläufig dasselbe wäre: "Von Rache aufgehetzt die Masse droht." - Der Glaube ist weniger rigoros behandelt; das Wort Talmud ersetzt ihn; gelegentlich muß er selbst die "Kirche" vertreten, die ebensowenig in üblem Lichte erscheinen darf. Der fanatische Schlußtriumph des Santos "Der Glaube siegt, zwei Opfer sind gefallen" hieß ursprünglich "Die Kirche siegt" usw. Diese Zensuränderung hat der Dichter in späteren Ausgaben beibehalten und auch manche Verse endgültig gestrichen, die der Zensor ihrer herausfordernden Schärfe wegen nicht hatte dulden wollen, wie z. B. in dem Widerruf den Vers "Gott und die Teufel allgesamt verlachend". Auch das Wort "Gott" ist einmal vorsichtig umschrieben durch "des Höchsten", wodurch der Vers fast unaussprechbar wird. Der Schluß des 4. Aktes, wo selbst der zurückhaltende Silva gegen die Härte der Ketzerrichter protestiert, ist ebenfalls mit deutlicher Entrüstung dick durchstrichen. - Mit diesen Änderungen durfte "Uriel Acosta" nach einer Unterbrechung von zehn Tagen sich am 23. Dezember wieder auf der Dresdner Hofbühne zeigen, wo er dann zahlreiche Wiederholungen erlebte.

Dresden war aber nicht die einzige Stadt, die in puncto: Priester und Kirche empfindlich war. In Berlin ging es dem "Uriel Acosta" nicht anders. Als Gutzkow Ende Oktober 1846 in seiner Vaterstadt weilte und im Königlichen Schauspielhaus vorsprach, zuckte Herr v. Küstner über das Stück verlegen die Achseln. Er hatte es zunächst dem Minister des Innern v. Bodelschwingh vorgelegt; dieser hatte vom polizeilichen Standpunkt aus keine Bedenken geäußert, bezweifelte aber doch die Möglichkeit der Aufführung, da das Stück religiöse Spaltungen der Gegenwart unter der Hülle des Judentums vorführe und sie auf eine gehässigen Ausdeutungen Raum gebende Weise löse. Also mußte der Hausminister v. Wittgenstein befragt werden; er hielt Bodelschwinghs Bedenken für begründet und legte das Stück am 11. November dem Könige vor, da sich der Verfasser bei einer bloß ministeriellen Entscheidung gewiß nicht beruhigen werde. Damit hatte er recht. Am selben Tag hatte Gutzkow ein Gesuch an den König gerichtet, was ihm "sehr widerlich" war. Der von P. A. Merbach im "Euphorion" (XXIII, 696 ff.) nach dem Original (im Königlichen Hausarchiv) mitgeteilte Text trägt die Spuren dieser Stimmung: er legt Inhalt und Charakter des Werkes so sachlich wie möglich dar, beruft sich auf die "von Ew. Majestät so oft für allein rühmenswert erklärte Kardinaltugend einer redlichen Überzeugung" - das Sujet des Dramas! - und schließt fast schroff: "Wenn die Bühne eine tiefere Beziehung zur Nation gewinnen und keinen flüchtigen Unterhaltungsstoff nur für müßige Stunden gedankenloser Zuschauer bieten soll, so möchte der in diesem Drama eingeschlagene Weg von jenem idealen Ziele, nach welchem alle Ströme dieser Zeit wallen sollten, nicht zu weit abliegen und Ew. Majestät werden, selbst wenn die Form dieses Dramas dem Geschmacke und hie und da der Inhalt den theoretischen Überzeugungen Ew. Majestät nicht entsprächen, doch sicher die Absicht anerkennen, daß diese Arbeit gegen das Alltägliche und Handwerksmäßige auf der Bühne angehen will und schon aus diesem Gesichtspunkte dürfte sie dem gnädigen Ermessen Ew. Majestät nicht unwürdig erscheinen, in die Bahn des Wettkampfes um die schwer zu erringende Gunst des intelligenten deutschen Publikums und einer hierorts üblichen strengen kritischen Beurtheilung durch die Darstellung auf der königlichen Bühne zugelassen zu werden." Man merkt es den Zeilen an: der Dichter war es müde geworden, immer noch um sein Recht auf der Bühne ergebenst bitten zu müssen und sich von unkontrollierbaren höfischen Faktoren auch bei seinen besten Leistungen abhängig zu wissen. Das Gesuch hatte Erfolg; nach einer handschriftlichen Notiz in Varnhagens Tagebüchern ließ sich der König in Charlottenburg durch Oberst v. Willisen die beiden Dramen "Erich XIV." von Prutz und "Uriel Acosta" vorlesen; "am wenigsten gefiel das letztere Stück". Am 5. Dezember erging eine Kabinettsorder an den Hausminister v. Wittgenstein, die besagte, daß der König "eine Aufführung nicht als Gewinn für die Bühne ansehen kann in ästhetischer Beziehung, daß er aber keinen Hinweis fände, eine Aufführung zu untersagen, und glaube, daß ein Verbot dem Werke eine Wichtigkeit beilegen würde, auf welche es keinen Anspruch machen dürfe; außerdem sei eine unerläßliche Bedingung, daß die Ausdrücke: Kirche und Priester in Anwendung auf die jüdische Religionsgemeinschaft, welcher dieselben nicht zukämen, durchwegs fortgelassen und durch andere ersetzt würden". Wittgenstein bemerkte ausdrücklich am Rande: "Von des Königs Majestät Allerhöchsteigenhändig in der Reinschrift nach nebenstehender Weise unterstrichen" und gab am 10. Dezember die Kabinettsorder ihrem wesentlichen Inhalt nach an Küstner weiter. Die zum Teil dreifachen Unterstreichungen des Königs sollten an seine Zensurverfügung vom 24. Dezember 1842 erinnern, die bestimmte, daß "israelitische Synagogen-Beamte in Schriften und öffentlichen Anzeigen nicht als Geistliche bezeichnet werden" dürften, weil von Geistlichen, wie der König erklärte, "nur auf dem Gebiete des christlichen Bodens die Rede sein" könne. Der Berliner Aufführung, die erst am 17. April 1847 stattfand und das literarische Urteil des Königs glänzend widerlegte, hätte also ohne weiteres die Dresdener Zensureinrichtung zugrunde gelegt werden können.

In Hannover durfte "Uriel Acosta" nicht aufgeführt werden, weil man durch die Erscheinung der blinden Mutter den blinden Kronprinzen nicht an sein Elend erinnern wollte, wie der Schauspieler Kaiser am 23. November 1846 schrieb, und auch aus Braunschweig meldete Karl v. Holtei am 4. Mai 1847 dem Dichter ein Verbot. In Bayern, wo Lessings "Nathan" seine verschiedenen Benennungen hatte (siehe den Artikel: Lessing), war "Uriel Acosta" das "Schandstück von dem saubern Gutzkow" (vgl. "Euphorion" XX, 133). Allgemein wurde, wie Gutzkow selbst erzählt, dieses Drama ein "Witterungsbarometer für die öffentlichen Zustände. Nahm die kirchliche Reaktion zu, so erfolgte auf der Bühne ein Verbot; fand ein Systemwechsel statt, so ließ man das Stück frei." Auf dem Wiener Burgtheater durfte es erst nach der Märzrevolution, am 15. Juni 1848, erscheinen. Als im nächsten Jahr die Reaktion einsetzte, wurde es wieder verboten, nur auf den Provinzbühnen ließ man es hingehen. Das österreichische Konkordat 1855 machte es vollends in Wien unmöglich. 1857 wollte die Schauspielerin Zerline Gabillon zu einer Wohltätigkeitsvorstellung auf dem Theater an der Wien die Judith spielen, es wurde ihr verboten. "Man glaubt, es könnten wieder so und soviel hundert Seelen dem Fegefeuer verfallen, durch Anschauen dieses entsetzlichen Stückes", schrieb sie am 4. April 1857 an Gutzkow. Erst 1863 wurde "Uriel Acosta" vom Burgtheater wiederaufgenommen, "ohne augenscheinliche Gefahr für Kirche und Staat", wie das "Deutsche Museum" (1863, Nr. 41, S. 563) ironisch bemerkte, "im Gegenteil, alle Welt staunte nur darüber, daß dasselbe überhaupt jemals hatte verboten werden können! Fast hätte man glauben mögen, es sei aus Convenienz gegen die orthodoxen polnischen Juden geschehen, die sich skandalisiren konnten, Rabbiner in treuem Originalkostüm an so profaner Stelle zu erblicken."

Der Königsleutnant - Die Diakonissin - Lenz und Söhne - Ella Rose - Verletzte Rechte der Natur#

Mit dem "Uriel Acosta" hatte Gutzkow den Höhepunkt seines dramatischen Schaffens erreicht, und je weniger Erfolg seine späteren Stücke hatten, um so weniger Aufmerksamkeit brauchte ihnen die Theaterzensur zu widmen. Gegen die Aufführung des "Königsleutnants", den Gutzkow als Festspiel zu Goethes hundertstem Geburtstag schnell skizziert hatte und der sich durch die "Bombenrolle" des Thorane eine Unsterblichkeit errang, an die der Dichter selbst nie gedacht hätte, protestierten, wenigstens für das Weimarer Theater, Goethes Enkel, und es gibt noch immer Goethe-Fexe, die solchen "Pietätsstandpunkt" für durchaus berechtigt halten - als ob nicht die Debatte darüber: Ist das der rechte junge Goethe oder nicht? für die Erkenntnis Goethes oft weit fruchtbarer sein könnte als zehn Bände Lesarten seiner Werke. Eine engherzige Pietät, deren Berechtigung man im Interesse der dramatischen Literatur weltlichen Fürsten bestreitet, sollte man nicht zugunsten eines Fürsten des Geistes geltend machen. - Die Aufführung des Gutzkowschen Schauspiels "Die Diakonissin" scheiterte 1852 an den Bedenken der Dresdener Intendanz über die zu satirische Charakteristik der darin auftretenden Ärzte und Juristen und über die düstere Färbung des Ganzen, die Gutzkows damaliger melancholischer Lebensstimmung entsprach; er zog es deshalb zurück und verarbeitete den Stoff später zu einer Novelle. - Die Redaktion der Unterhaltungen zwang ihn wieder zur journalistischen Beschäftigung mit Tagesfragen, zur Beobachtung ephemerer Erscheinungen auf politischem und sozialem Gebiet, und sein scharfes Auge war von jeher darauf eingestellt, schöpferische Ansätze von schädigenden Zeitkrankheiten zu scheiden und die nachteilige Berührung beider miteinander in ihren Konsequenzen zu verfolgen. Eine dieser Zeitmoden, die Gutes und Schlimmes im Gefolge hatte, war die der sozialen Arbeit durch Vereine, Institute, Sammlungen, Adressen usw. Daraus gestaltete er 1854 eine satirische Komödie "Lenz und Söhne". Sie wurde am 20. Januar 1855 in Dresden aufgeführt. Die Peinlichkeit des Konflikts, das Abstoßende der Charaktere und der satirische Hohn des Ganzen hatten zur Folge, daß der empfindliche Hof der sächsischen Residenz die Wiederholung verbot. Schon vor der Aufführung hatte Gutzkow mit dem Intendanten lange Auseinandersetzungen darüber, ob ein kaufmännischer Parvenü in dem Stück den Ehrgeiz haben dürfe, in die "Erste Kammer" berufen zu werden; schon damals fühlte sich die sächsische Erste Kammer als eine Auswahl "erstklassiger Menschen"! - Den bedeutendsten Erfolg einer zweiten dramatischen Periode errang Gutzkow 1856 mit seinem Schauspiel "Ella Rose"; der Wiener Zensor verlangte jedoch, daß der darin auftretende "Pfarrer" in einen "Pastor" verwandelt werde, da das Wort Pfarrer in Österreich ebenso wie in Süddeutschland eine spezifisch katholische Geltung hatte; am Rhein ist es bekanntlich umgekehrt. - In Wien war es auch, wo unter Dingelstedts Burgtheaterdirektion 1873 die Aufführung eines letzten Dramas von Gutzkow scheiterte an dem Anstoß, den die doppelte Zensur des Oberhofmeisteramts und des Hausministeriums an der Behandlung der Arbeiterfrage nahm, der brennendsten Tagesfrage, an die man, wie Dingelstedt am 24. April 1873 an Gutzkow schrieb, "auch im conservativen Sinne nicht rühren" durfte, hatte doch kurz vorher die Statthalterei einer Vorstadtbühne die Aufführung des harmlosen Schwanks "Die Fabrik von Niederbronn" kurzweg verboten. Gutzkow zog daraufhin dies sein letztes modernes Schauspiel zurück; das Manuskript davon ist verschollen; wir kennen nur den Titel: "Verletzte Rechte der Natur." Den Stoff hat er aber, aus den Andeutungen im Briefwechsel mit Dingelstedt zu schließen, in einen Roman verarbeitet, "Die neuen Serapionsbrüder", der 1877 erschien und die soziale Frage eigentümlich behandelt, wenn auch durchaus nicht im Sinne der politischen Propaganda, schrieb doch Gutzkow an Dingelstedt am 26. April 1873: "Die Verpönung der Arbeiterfrage hätte ich am wenigsten erwartet, da gerade die Bühne ein Mittel bietet, das verrückte Volk aufzuklären." So mündet das dramatische Schaffen Gutzkows da ein, von wo eine neue Literaturbewegung und ein neuer Zeitgeist, in die sich der alte und verbitterte Dichter nicht mehr finden konnte, ihren Ausgang nahmen. Aber neben seinem letzten wie neben seinem ersten Drama stand nach wie vor der Engel mit dem Schwert, die Zensur.

(An Akten des Preußischen Staatsarchivs sind für diese Untersuchung benutzt: Ausw. Amt Rep. IV Tit. 21 Bd. 15, Tit. 89 Bd. 1 und Tit. 196 Bd. 2; Prov. Brand. Rep. 30 Berlin C Tit. 94 G 149, Tit. 165 Nr. 32 Bd. 1 und Nr. 51; Rep. 76 I Gen. 6 Bd. 2; Rep. 77 I 34 Bd. 1; Rep. 77 II Gen. 19 und 55 Bd. 2; Rep. 77 II Spec. G 29, F 17, H 28 und T 18; Rep. 77 VI Polit. Verdächtige G 81; Rep. 89 B I 88 [1843 und 1846]; Rep. 89 C XII 50; Rep. 101 D Gen. 57; Rep. 101 E, Lit. G 26, H 21 und T 16. Nur wenige dieser Akten hat Geiger für sein Buch "Das Junge Deutschland und die preußische Censur" [Berlin 1900] gesehen; seine ganz unzulänglichen Angaben sind durch meine obige Darstellung in allen Punkten überholt. - Benutzt wurden ferner, außer dem ein Archiv für sich bildenden Briefwechsel Gutzkows [in meinem Besitz], die Akten der ehemals Königlichen Schauspielhäuser Berlin und Dresden.)

Quellennachweis:

H[einrich] H[ubert] Houben: Verbotene Literatur von der klassischen Zeit bis zur Gegenwart. Ein kritisch-historisches Lexikon über verbotene Bücher, Zeitschriften und Theaterstücke, Schriftsteller und Verleger. Berlin: Rowohlt, 1924. S. 250-329.