Birch-Pfeiffer, Charlotte#
Metadaten#
- Autor
- Wolfgang Rasch
- Fassung
- 1.1: Anpassungen, Ergaenzungen
- Letzte Bearbeitung
- 16.12.2020
Text#
Birch-Pfeiffer, Charlotte#
Charlotte Birch-Pfeiffer, geb. Pfeiffer (1800-1868, Pseud.: Franz Fels, Willibald Waldherr), Schauspielerin und Bühnenautorin.
→ Bilder Gutzkows Zeitgenossen
→ Bilder Gutzkows Zeitgenossen (Charlotte Birch-Pfeiffer als Leda, Karikatur)
Allgemeines#
Birch-Pfeiffer debütierte als Schauspielerin 1813 am Isartortheater in München, war von 1818-26 am Münchener Hoftheater engagiert, unternahm ab 1826 mehrere Kunstreisen. 1827-30 wirkte sie in Wien am Theater, lebte dann wieder in München, leitete von 1838-43 das Züricher Theater und wurde 1844 Mitglied der Königlichen Hofbühne in Berlin, wo sie bis zu ihrem Tod dauerhaft wohnte. Birch-Pfeiffer war seit 1825 mit Christian Birch (1793-1868, Schriftsteller) verheiratet. Ihrer Ehe entspringt Wilhelmine Birch-Pfeiffer, spätere Hillern (1836-1916), die sich als Schriftstellerin ("Geier-Wally" 1878) einen Namen machte. Charlotte Birch-Pfeiffer trat zuerst als Erzählerin auf. Als Verfasserin bühnenwirksamer Rührstücke, seichter, sentimentaler Schauspiele wurde sie die erfolgreichste und produktivste Bühnenautorin des 19. Jahrhunderts. Ihre "Gesammelten dramatischen Werke" erschienen in 23 Bänden (Leipzig: Reclam, 1863-80) und enthalten 74 Stücke. Eine Spezialität Birch-Pfeiffers war die Bearbeitung neu erschienener, beliebter Erzählwerke. Berühmt wurden ihre Stücke "Pfeffer-Rösel" (1829, bearbeitet nach einer Novelle von Georg Döring), "Hinko" (1833, nach Ludwig Storchs "Der Freiknecht"), "Dorf und Stadt" (1847, nach Auerbachs "Frau Professorin"), "Die Waise von Lowood" (1853, nach Charlotte Brontës "Jane Eyre"), "Die Grille" (1856, nach "La petite fadette" von George Sand). Sie gewann mit ihren geschickt und spannnungsvoll aufgebauten, inhaltlich jedoch trivialen und effekthascherischen Stücken ein Massenpublikum.
Gutzkow und Birch-Pfeiffer #
Gutzkow lernte Birch-Pfeiffer 1833 während seines Studiums in München kennen. In den Rückblicken auf mein Leben kommt er auf diese Zeit und Birch-Pfeiffer ausführlich zu sprechen. Als Gutzkow im September 1833 nach Berlin zurückkehrte, entspann sich zwischen ihm und ihr ein postalischer Flirt mit gegenseitigen Liebesbeteuerungen. Wie weit sie sich bei diesem amourösen Abenteuer vorgewagt hat, lässt sich nicht sicher sagen. Sie hat schon 1835 ihre Briefe von Gutzkow zurückgefordert und vernichtet. Gutzkow machte sie auch zur Vertrauten seiner Beziehungskrise mit Rosalie Scheidemantel. Birch-Pfeiffer versuchte 1834, Gutzkows ehemalige Verlobte von deren Eltern zu trennen, aus Berlin zu holen und mit Gutzkow wieder zusammenzubringen. Im Sommer 1834 trafen sich Gutzkow und Birch-Pfeiffer in Schwalbach; ein Reflex darauf findet sich in der "Wally", wo auf die Spielleidenschaft der Birch-Pfeiffer (1. Buch, 6. Kapitel) angespielt wird. 1835 riss der Kontakt zu der politisch konservativ Eingestellten ab. Ihr waren die Ideen des "Jungen Deutschland" unsympathisch. Erst Gutzkows Erfolg als Dramatiker 1839 stellte die alte Beziehung wieder her. In Zürich brachte Birch-Pfeiffer mehrere Dramen Gutzkows zur Aufführung. Um 1842 kam es zwischen den beiden zu einer Begegnung in Wiesbaden. Doch sie waren als Produzenten von Bühnenstücken längst zu Konkurrenten geworden und wurden schließlich durch zusätzliche persönliche Querelen erbitterte Gegner. Der Bruch konnte auch von Therese von Bacheracht, die durch Gutzkow mit Birch-Pfeiffer bekannt geworden war, nicht überwunden werden. Gutzkow hat das dramatische Werk Birch-Pfeiffers überwiegend kritisch gesehen:
1. Er beanstandete, dass sie kaum Originalwerke schrieb, sondern hauptsächlich Bestseller anderer Autoren ausbeutete und dabei wörtlich Passagen aus Romanen oder Erzählungen übernahm. Birch-Pfeiffer erzielte mit diesen Schauspielen enorme Einnahmen. Derlei 'Bearbeitungen' sollten von der Tantièmenregelung ausgeschlossen werden, meinte Gutzkow. Im Streit zwischen Birch-Pfeiffer und Auerbach - sie hatte seine "Frau Professorin" 1847 dramatisiert, ohne ihn zuvor gefragt zu haben - forderte Gutzkow 1848 eine gesetzliche Regelung, die dem Verfasser eines Erzählwerkes, das dramatisiert wird, einen Anteil an den Tantièmen des Bühnenstücks zusichert (vgl. Rasch 3.48.01.29).
2. Gutzkow warf Birch-Pfeiffer vor, mit ihren Rührstücken die Trivialisierung des Theaters und Verflachung des Publikumsgeschmacks zu begünstigen. Seiner Meinung nach gehörten viele ihrer 'Machwerke' nicht auf eine Bühne vom Rang des Königlichen Theaters in Berlin, sondern auf volkstümliche Bühnen wie etwa das Königsstädtische Theater am Alexanderplatz. Im Gegensatz zu Gutzkow hatte Birch-Pfeiffer keine 'ideellen' oder intellektuellen Ansprüche an das Theater. Sie wollte nicht aufklären, sondern unterhalten, nicht nachdenklich machen, sondern die Gefühle des Publikums ansprechen. Anspruchsvolles Theater war ihr fremd. "Ich habe nicht die Tendenz, für die Unsterblichkeit zu arbeiten, ich will nicht meine Zeit überleben, ich habe zu viel gesunde Vernunft, um nicht zu wissen, daß dazu [...] meine Kräfte zu schwach sind!", schreibt sie am 4. Mai 1844 an Gutzkow (A. v. Weilen, 1918, S. 319).
3. Alles in allem war Gutzkow die Vormachtstellung Birch-Pfeiffers, ihre starke Präsenz an allen Bühnen, ihre außerordentliche Popularität beim Publikum, ihr großer Einfluss in der Theaterwelt, ihre enge Beziehung in Berlin zum Intendanten Küstner und ihre Bevorzugung durch die Intendantur der königlichen Bühne ein Dorn im Auge. Er sah durch ihre Massenproduktion diejenigen dramatischen Künstler benachteiligt, die die Bühne reformieren, anspruchsvolle Stücke schreiben, sich gegen Zensur und konservative Tendenzen an Hofbühnen durchsetzen und sich nicht auf das Niveau des durchschnittlichen Theaterpublikums herablassen wollten. Kritische Äußerungen über Birch-Pfeiffer finden sich in zahlreichen Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln und anderen Werken Gutzkows, vor allem in vielen seiner Briefe. Dabei darf nicht übersehen werden, dass seine Beurteilung der dramatischen Leistungen Birch-Pfeiffers - was Bühnenwirksamkeit und Bühnentechnik betrifft - ambivalente Züge trägt: "Lassen Sie uns doch von der Frau lernen, statt über sie zu schimpfen", soll er einmal nach der Aufführung eines ihrer Stücke in Hamburg gesagt haben. (Vgl. Carl Sontag: Vom Nachtwächter zum türkischen Kaiser. Bühnen-Erlebnisse aus dem Tagebuche eines Uninteresanten. Hannover: Helwing, 1875, S. 26.)
Es sind mehrere Briefe Gutzkows an Charlotte Birch-Pfeiffer aus den Jahren 1833 bis 1843 überliefert. Die noch erhaltene Korrespondenz zwischen 1833 und 1835 (11 Briefe) wurde 2007 von Rasch veröffentlicht. Zwei Briefe Birch-Pfeiffers an Gutzkow finden sich im Nachlass Gutzkows (davon ist einer publiziert von Proelß, S. 755-756), sowie der Entwurf eines Briefes an Gutzkow (veröffentlicht von A. v. Weilen 1918). Wichtig im Zusammenhang mit Gutzkow sind auch jene Briefe, die zwischen Birch-Pfeiffer und Therese von Bacheracht gewechselt wurden und von denen viele erhalten sind.
Bibliographie #
Deutsches Schriftsteller-Lexikon. 1830-1880. Bearb. von Herbert Jacob, Bd 1, Berlin 1995, S. 437-454.
Werke / Ausgaben (Auswahl) #
Charlotte Birch-Pfeiffer: Gesammelte dramatische Werke. 23 Bde. Leipzig: Reclam, 1863-80.
Die von Mark Lehmstedt herausgegebene CD-ROM "Deutsche Literatur von Frauen" (Berlin: Directmedia, 2001; Digitale Bibliothek, Bd 45) enthält von Charlotte Birch-Pfeiffer folgende Dramen: "Pfeffer-Rösel", "Die Walpurgisnacht", "Johannes Guttenberg", "Vatersorgen" und "In der Heimath".
Briefe#
Alexander von Weilen (Hg.): Charlotte Birch-Pfeiffer und Heinrich Laube im Briefwechsel auf Grund der Originalhandschriften dargestellt. Berlin: Selbstverlag der Gesellschaft für Theatergeschichte, 1917.
Alexander von Weilen: Karl Gutzkow und Charlotte Birch-Pfeiffer. Eine Abrechnung. In: Beiträge zur Literatur- und Theatergeschichte. Berlin-Steglitz, 1918, S. 311-323.
Wolfgang Rasch: Karl Gutzkow und Charlotte Birch-Pfeiffer. Eine Affäre in Briefen. In: Immermann-Jahrbuch. Hg. von Peter Hasubek u. Gert Vonhoff. 8/2007. Frankfurt a.M. [usw.]: Lang, 2007, S. 97-129.
Nachlass #
Deutsches Theatermuseum, München.
Forschungsliteratur (Auswahl) #
Gisela Ebel: Das Kind ist tot, die Ehre ist gerettet. Frankfurt/M. 1985.
Birgit Pargner: Zwischen Tränen und Kommerz. Das Rührtheater Charlotte Birch-Pfeiffers (1800-1868) in seiner künstlerischen und kommerziellen Verwertung. Quellenforschung am Handschriften-Nachlass. Bielefeld 1999.
Birgit Pargner: Charlotte Birch-Pfeiffer. Eine Frau beherrscht die Bühne [Ausstellungskatalog des Deutschen Theatermuseums München]. Bielefeld 1999.
(Wolfgang Rasch, Berlin)